7.3 Arbeiten mit schizophrenen Kranken 151 Zusammenfassung Das Erkennen und die Behandlung von psychischen Stærungen bei Kindern und Jugendlichen unterscheiden sich wesentlich von der Erwachsenentherapie. Nicht jedes Symptom hat Krankheitswert. Vielmehr sind durch entwicklungspsychologische Prozesse ¹Auffålligkeitenª als normale Wegbegleiter anzusehen und daher vorçbergehend. Anders gelagert ist der Fall, wenn Entwicklungsaufgaben nicht mehr bewåltigt werden kænnen und dadurch erhebliche Probleme in der Familie und im Umfeld auftreten. 7.3 Das Bewegungs- und Spielverhalten des Kindes/ Jugendlichen gibt Auskunft çber innerseelische Zustånde, was in der Bewegungstherapie genutzt werden kann. Auch wenn die Worte fehlen, ist die Kærpersprache eine Mæglichkeit, das Kind/ den Jugendlichen in seiner Not zu verstehen. Gleichzeitig sind Bewegungserlebnisse immer auch psychomotorische Erlebnisse, die sich auf Kærper, Seele und Geist auswirken und somit Selbsterfahrungen. Arbeiten mit schizophrenen Kranken Heidi Klett Einfçhrung ¹Die anderen haben mehr Angst vor uns, als wir vor ihnenª ± so die Aussage eines 40-jåhrigen chronisch an Schizophrenie Erkrankten (¹Siegfried, mein schizophrener Bruderª, Dokumentation 3SAT 1998). Mit Schizophrenie assoziieren wir ¹Wahnsinnª und ihn fçrchten wir (håufig aus Unkenntnis), obwohl er in unserem Sprachgebrauch allgegenwårtig ist. Wir alle kænnen jemanden ¹wahnsinnig vermissenª, oder uns çber jemanden ¹wahnsinnig årgernª. Wir beschreiben mit ¹wahnsinnigª, dass wir fassungslos und sprachlos sind, sich etwas im Inneren rçhrt und wir beinahe den Verstand verlieren. Dennoch verkennen wir dabei nicht, wie im ¹echtenª Wahn, die Realitåt. Ein ¹wahnsinnig schæner Sonnenuntergangª ist eben tatsåchlich sichtbar und jeder andere kænnte ihn ebenso mit eigenen Augen sehen. Grundlegende Orientierung Bei einem Menschen, der an einer akuten schizophrenen Stærung leidet, ist der Wahn (inhaltliche Denkstærung) ein håufiges Symptom. Der Wahnkranke ist davon çberzeugt, dass er ausspioniert wird (Verfolgungswahn), çber besondere magische Kråfte verfçgt (Græûenwahn) oder sich seine Gestalt veråndert hat (kærperbezogener Wahn). Und obwohl wir selbst so viele unfassbare Gefçhle in uns tragen, kænnen wir seinen irrealen Wahnsinn nicht mit ihm teilen. Er dient nicht nur zur Beschreibung eines Zustandes, er ist ein Zustand. Fçr den schizophren Kranken sind seine Wahrnehmungen Realitåt, er kann sie nicht auf ihren Symbolgehalt hin untersuchen oder gar bearbeiten. Zwar liegen unterschiedliche Theorien und Untersuchungsergebnisse vor, doch ist die Entstehung der Schizophrenie bis heute nicht vollståndig geklårt (siehe Kap. 3, S. 31). Derzeit kann davon ausgegangen werden, dass weder eine biologische, noch genetische Disposition alleine auszureichen scheint, an der Schizophrenie zu erkranken. Die Suche nach Ursachen im familiåren Umfeld sollte nicht in Schuldzuweisungen ausarten. Mit Sicherheit kann aber gesagt werden, dass gerade frçhe stærende Einflçsse die Verletzbarkeit des Organismus erhæhen und die weitere Entwicklung bestimmen. Das GehaltenSein (¹holdingª Winnicott 1994) und eine gelungene Affektabstimmung zwischen Mutter und Kind tragen dabei wesentlich zur Entwicklung und Stabilisierung des Selbstempfindens bei. Das Vulnerabilitåts-Stress-Modell (Libermann et al. 1994) geht davon aus, dass die Schizophrenie aus einer Interaktion von Einflçssen aus Biologie, Umwelt und Verhalten entstehen kann und ist somit bestrebt, familiåre und bio-psycho-soziale Faktoren zu integrieren. Die Schizophrenie ist eine der schwersten psychischen Erkrankungen und vor allem durch eine Desintegration des ¹Ichsª gekennzeichnet. Dabei sind Phånomene der Depersonalisation (Gefçhl, Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag 7 7 152 7 Spezifische Bewegungstherapie doppelt zu sein, neben sich zu stehen, Unwirklichkeitsgefçhle) und Derealisation (veråndertes Erleben der Umwelt) keine Seltenheit. Diese Empfindungen kænnen aber auch bei sonst gesunden Menschen, besonders in Stress- und Erschæpfungssituationen, auftreten. Stærungen des Kærpererlebens sind ein Teil der Krankheitserscheinungen, wobei insbesondere die Verbindung zwischen Selbst und Leib in der schizophrenen Psychose schwer gestært erscheint (DeInkarnation). Dem Kranken ist es nicht mehr mæglich, seine Gefçhle mit seinem Kærper auszudrçcken. Dies ist besonders bedeutsam, da gerade der Kærper die Mæglichkeit bietet, um mit der Wirklichkeit in Kontakt zu treten. Die neuroleptische Medikation belastet håufig zusåtzlich das Kærpererleben und kann als Nebenwirkung zum Aufrechterhalten der Kærperbild- und Kærperschemastærung fçhren (siehe Kap. 6, S. 83). Der Kærper wird nicht mehr sinnlich mit seiner Handlungsfåhigkeit und seinen Bewegungsmæglichkeiten erlebt, sondern der Mensch ¹erleidet die Bewegungen seines Kærpersª, so das Zitat eines 21-jåhrigen Betroffenen. Fçr den schizophren Kranken kann der Kærper mit seinen Symptomen die letzte Zufluchtsståtte sein, um sein bedrohtes Ich zu schçtzen ± ein Versuch der Selbstheilung. Dabei spçrt er seinen Kærper veråndert, fremd oder gar nicht. Dieses unermessliche Leid wird durch folgende Beschreibungen deutlich: ¹Zwischen mir und den anderen gibt es keine Grenze mehr, alles dringt in mich einª. ¹Stçcke aus meinem Kærper sind herausgerissenª. ¹Ich fçhle mich nicht mehr, meine Beine sind abgestorbenª. ¹Ich bin gebremst, lahmgelegtª. ¹Meine Bewegungen werden von auûen gelenktª. Obwohl die schizophrene Stærung eine Vielfalt von Erscheinungsbildern hat, haben die Patienten eines gemeinsam: Sie sind in ihrer Gesamtpersænlichkeit betroffen und tief erschçttert. Die Bewegungstherapie muss daher fçr die Patienten eine haltgebende, stabile Beziehung in einem geschçtzten Rahmen schaffen, um sich auf Wahrnehmungs- und Bewegungserlebnisse einlassen zu kænnen. Unser Wissen darf sich dabei nicht darauf beschrånken, den anatomischen Kærper als neurophysiologische Funktionseinheit zu betrachten. Vielmehr sprechen wir in der Bewegungstherapie den beseelten Leib an. Auf ihn kænnen wir hæren, seine Bedçrfnisse wahrnehmen, ihn beherrschen, aber auch von ihm beherrscht werden. Wir gebrauchen unseren Kærper und sind gleichzeitig Kærper. Bewegung ist die Basis fçr soziale Bindungen und Grundlage fçr die Handlungsfåhigkeit eines Menschen. Lange, bevor wir Bedçrfnisse verbalisieren kænnen, ist Bewegung die einzige Kommunikationsform, die uns zur Verfçgung steht. In der Bewegungstherapie kann der Betroffene durch Berçhrung und Kontakt von auûen eine Beziehung zu seinem Kærper aufnehmen und ihn in seiner Ganzheit spçren. Erst dann wird er im Stande sein, selbst aktiv Beziehungen zu seiner Umwelt aufzunehmen. Pankow schreibt folgerichtig hierzu: ¹... Eine Durcharbeitung der mitmenschlichen Beziehungen und ihrer Konflikte hat erst Sinn, wenn ein psychotischer Patient seinen Leib in seinen Grenzen bewohnen kannª (Psyche, 16; 1962: 440±463). Die Bewegungstherapie sollte ein fester Bestandteil im klinischen Alltag sein. Geeignete Råume, die groû und hoch genug sind, kænnen auch fçr Sport und Teamspiele genutzt werden. Gleichzeitig dçrfen sich die Patienten darin nicht verloren fçhlen, die Akustik, die Beschaffenheit des Bodens, die Lichtverhåltnisse tragen wesentlich dazu bei, ob sich ein Patient wohl fçhlen und einlassen kann. Nur so kann die Bewegungstherapie dazu beitragen, dass das Sehen von Bewegungen der Auûenwelt in einem geschçtzten Rahmen ermæglicht wird; die Qualitåt von Berçhrung und Kontakt auf den Patienten abgestimmt werden kann; die kærperliche Realitåt spçrbar, fassbar und begreifbar wird; der Patient seine Kærperempfindungen wahrnehmen und verbalisieren lernt. An Schizophrenie Erkrankte leiden unter Stærungen des Kærpererlebens. Im Rahmen der Bewegungstherapie lernen sie, Zugang zu ihrem Kærper zu bekommen und sich als Ganzheit zu spçren. 7.3.1 Die Bedeutung des Kærpererlebens fçr die Schizophrenie (Beispiel coenåsthetische Schizophrenie) Der gestærte Bezug zum eigenen Kærper ist ein håufig genanntes Symptom eines schizophren kranken Menschen. F. Ræhricht weist darauf hin, ¹dass dem subjektiven Erleben eine groûe Bedeutung fçr den weiteren Therapieverlauf zukommtª (Ræhricht 1998:15). Fçhlt sich der Patient in seinem leib-see- Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag 7.3 Arbeiten mit schizophrenen Kranken Tabelle 7.2 Strukturmodell von Bielefeld (1991) Stærungen Erscheinungsbilder Stærungen im neurophysiologischen Teilbereich/Kærperwahrnehmung Coenåsthesien (abnorme Leibgefçhle); Kærper-/Leibhalluzinationen; Stærungen der Schmerzwahrnehmung (Hyp- oder Analgesien, Hyperalgesien) und anderer Sinnesmodalitåten; Stærungen der Kærpergræûenwahrnehmung (Kærperschemastærungen). Stærungen im psychologischphånomenologischen Teilbereich Den Kærper betreffende Kognitionen/ Denkstærungen Den Kærper betreffende emotionalaffektive Stærungen Kærperbildstærungen (abnorme Gedanken und Einstellungen zum Kærper); kærperbezogener Wahn. Stærungen der Kærper-Kathexis (mangelnde Zufriedenheit mit dem Kærper, insuffiziente KærperBesetzung); kærperbezogene Øngste (z. B. Dysmorphophobie), wahnhafte Hypochondrie. Stærungen im Erleben der leiblichen Integritåt (Kognition und Wahrnehmung) somatopsychisches Depersonalisationssyndrom; Autoskopie (Mehrfachsehen der eigenen Gestalt); Out-of-body-experiences; Ich-Verdoppelung (leibhaftiges In-sich-Haben des Anderen, der gedanklich und kærperlich intern wahrgenommen wird); Syndrom der multiplen Persænlichkeit. Stærungen im Ausdrucks- und Bewegungsverhalten autoaggressive Fehlhandlungen (Selbstverletzung/Selbstverstçmmelung); psychomotorische Stærungen: motorische Unruhe, Lokomotion, tic-artige Bewegungsmuster, motorische Stereotypien und Automatismen, mimische und gestische Manierismen, katatone Symptomatik mit Parakinesen (Kataplexie, Flexibilitas cerea); Autismus. lischen Erleben verstanden, wird er eher eine Bereitschaft zur Mitarbeit (Compliance) zeigen. Eine Form abnormer Leibgefçhlsstærungen finden wir bei der coenåsthetischen Schizophrenie. Der Begriff ¹coenaesthesisª bedeutet çbersetzt ¹Gemeingefçhlª oder ¹Leibgefçhlª und beschreibt Verånderungen des Allgemeinbefindens. Obwohl nur wenige verfçgbare Daten vorliegen, die sich vorrangig auf Coenåsthesien beziehen, zeigen sie dennoch die klinische Bedeutsamkeit der Symptomatik. 153 Der Wahninhalt wird hierbei in die verschiedensten Teile des Kærpers projiziert. Die Patienten klagen çber kærperliche Symptome und fordern immer wieder årztliche Untersuchungen, dabei werden auch Heilpraktiker oder Geistheiler aufgesucht. Der Betroffene versucht durch ritualisierte Verhaltensweisen, Selbstmedikation usw. eine Linderung der Beschwerden zu erreichen. Es ist schwierig, eine coenåsthetische Schizophrenie von anderen psychischen Stærungen abzugrenzen, bei denen Kærpersymptome im Vordergrund stehen (z. B. einer somatoformen, dissoziativen oder Zwangsstærung). Charakteristische Beschwerdeschilderungen sind: ¹Ich muss trinken, sonst wird mein Magen leer.ª ¹Meine Muskeln sind zu kurz, es ist ein ståndiges Reiûen im Kærperª. ¹Mein Gehirn wird immer weicher, weil der Kopf so drçcktª. ¹Alle Nerven brennen wie elektrisiert.ª Zum Zwecke der Selbstbehandlung werden u. a. folgende Verhaltensweisen beschrieben: stereotype Bewegungsmuster, durchfçhren kærperlicher Prozeduren; Aussehen im Spiegel kontrollieren; Selbstverletzungen, um Schmerz zu spçren; Kontrolle der Atmung durch lautes, heftiges Atmen; ritualisierte Diåten oder Essgewohnheiten. Die Bedeutung des Kærpererlebens in der Schizophrenie zeigt das Strukturmodell von Bielefeld (Tab. 7.2). Tabelle aus: Ræhricht, Priebe 1998:13 7.3.2 Die 5 basalen Dimensionen des Ich-Bewusstseins von Christian Scharfetter Wie bereits erwåhnt, finden sich je nach Ausprågung der Erkrankung Stærungen in den 5 basalen Dimensionen des Ich-Bewusstseins: Ich-Vitalitåt (Gewissheit der eigenen Lebendigkeit); Ich-Aktivitåt (Gewissheit der Eigenbestimmung des Erlebens, Denkens und Handelns); Ich-Konsistenz (Gewissheit eines kohårenten Lebensverbandes); Ich-Demarkation (Abgrenzung des Eigenbereiches); Ich-Identitåt (Gewissheit der eigenen, personalen, physiognomischen, sexuellen, biografischen Identitåt. Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag 7 7 154 7 Spezifische Bewegungstherapie Im Folgenden werden die Erkenntnisse aus dem Konzept der Ich-Psychopathologie und ihre Auswirkungen fçr die Bewegungstherapie beschrieben. Beispiel 1: Stærung der Ich-Vitalitåt Psychopathologie: Angst vor dem eigenen Absterben, Tod, Untergang, Nicht-mehr-Sein, Weltuntergang, Untergang anderer Menschen oder dem Erleben dieser Ereignisse. Die Leibmitte als lebendig, bewegt betonen (festeres anfassen, keine diffuse Berçhrung). Spçren und Bewegen der Finger, Hånde, Arme, Beine; Finger: Daumen tippt jeden Finger an, Prise Salz darstellen, Fingerspiele, (begreifen von Gegenstånden); Hånde: aneinander reiben, falten, schçtteln, klatschen (halten und tragen von Gegenstånden); Arme: beugen, in alle Richtungen strecken, pendeln (Gegenstånde werfen, fangen, rollen); Beine: Auf der Stelle treten, unterschiedliche Schrittgræûe und Tempi, stampfen, schçtteln, hçpfen, (Gegenstånde stoûen, kicken, stoppen, annehmen); Rhythmus klatschen, Oberkærper schçtteln, abklopfen des Kærpers, auch gegenseitiges Rçcken abklopfen; Ausgangsstellungen erproben: sich hinlegen, aufsetzten, stehen, gehen. Erneut zum Liegen kommen. Auf der Matte rollen, herumkugeln; abstreifen des Kærpers mit der flachen Hand; mit den Fingerkuppen auf das Brustbein trommeln, ev. mit Tænen verbinden und die Vibration spçren. Hierbei mimen die Patienten gerne einen starken Gorilla nach, der durch den Urwald streift; auf dem Pezziball hçpfen (Hinweis: Fçûe mçssen im Kontakt mit dem Boden bleiben). Auf den Ball trommeln (Wer steigt in den Rhythmus ein?) Wichtig: Beenden, wenn es Patienten als zu laut empfinden; sich einrollen, alle Viere von sich strecken. Mit den Armen umschlieûen, die Arme zur Decke strecken. Wahrnehmung der eigenen Lebendigkeit durch Kraft und Beweglichkeit (rhythmisches Stampfen, Springen, Laufen-Stoppen,...); Beispiel mit dem Stab: Fçhren und gefçhrt werden, halten, packen, stoûen, ziehen. Besonders tonisierend ist das Arbeiten gegen Widerstand (Abb. 7.19); Ûbungen, die mit Kraft und Dynamik zu tun haben (Ball prellen, Einsatz vom Theraband, ...); Gleichgewichtsçbungen: Sitz auf dem Pezziball, Stand: Zehenspitzen, seitlich auf dickem Tau entlang gehen (tonisierend fçr die Fuûsohlen), Gehen: spielerisches Ûberwinden von Hindernissen. Die Patienten anregen, selbst die Gegenstånde zu wåhlen (Abb. 7.20); ziehen an einem Tuch, beide ziehen gegeneinander, oder ziehen sich von der Stelle (Abb. 7.21); Abb. 7.19 Fçhren und gefçhrt werden mit dem Stab. Beispiel 2: Stærung der Ich-Aktivitåt Psychopathologie: Fehlen der Eigenmåchtigkeit im Handeln und Denken. Fremdsteuerung, -beeinflussung, -kontrolle im Handeln, Erleben, Fçhlen, Denken. Lahmgelegt sein. Besessen sein. Verbale Betonung, dass der Patient selbst eigenmåchtig seine Bewegungen ausfçhrt. Einsatz von propriozeptiven, taktilen Reizen. Abb. 7.20 Verschiedene Mæglichkeiten, mit dem Gleichgewicht zu arbeiten. Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag 7.3 Arbeiten mit schizophrenen Kranken 155 ein Theraband an der Sprossenwand festbinden. Sich eigenmåchtig davon entfernen. Widerstand wahrnehmen und dabei eigene Kråfte spçren. Wie ¹spannendª oder ¹lockerª ist die Verbindung? Rhythmusband: schwungvolle Bewegungen nach verschiedenen Richtungen (Raum nehmen), eigenen Takt finden, dirigieren nach Musik (Abb. 7.22, Abb. 7.23); Beispiel 3: Stærung der Ich-Konsistenz/Kohårenz Abb. 7.21 Ziehen/schwingen mit dem Tuch. Abb. 7.22 Schwungvolle Bewegungen in verschiedene Richtungen mit dem Rhythmusband. Psychopathologie: Aufhebung des Zusammenhangs oder/und der Beschaffenheit des Leibes oder seiner Teile, der Gedanken-Gefçhls-Verbindungen, der Gedankenketten, der Willens- und Handlungsimpulse, der Seele, der Welt des Universums. Betonung der Leibmitte, der Atmung. Kærperkontakte des Therapeuten (auch mittels Gegenstånden) sollten klar und kråftig sein und nicht çberraschend erfolgen. Sich mit den Armen umschlingen, sich einrollen in Seit- und Bauchlage (Igel, Schildkræte, im Kniestand einen groûen Ball umschlieûen); die Wand als haltend, den Boden als tragend ansprechen. Ein Ball im Rçcken verstårkt den Kontakt (Abb. 7.24); mit festen Bållen abrollen, Bålle werfen, aus Bauchlage Bålle zurollen; stoûen mit Armen und Beinen, von der Wand abstoûen. Partnerangebot: Fçûe gegeneinander stemmen (Fahrrad fahren) (Abb. 7.25); Gelenke als Verbindungen des Kærpers wahrnehmen, Ganzheit erleben; Sandsåckchen in den Hånden tonisieren und stabilisieren beim Stehen und Gehen. Beispiel 4: Stærung der Ich-Demarkation Psychopathologie: Unsicherheit. Schwåche oder Aufhebung der Ich-Nicht-Ich-Abgrenzung, Fehlen eines (privaten) Eigenbereichs im Leiblichen, im Denken und im Fçhlen. Stærung der Innen-Auûen und Eigen-Fremd-Unterscheidung. Der Patient selbst bestimmt Nåhe und Distanz, Vorsicht bei Berçhrung! Einen Platz im Raum suchen, durch Grenzen markieren. Ev. spielerisch verteidigen (Schaumstoffbålle abwehren oder erbeuten) (Abb. 7.26); Nåhe ± Distanz, Erprobung mit Partner: Wie lang, kurz halten wir das Seil, das sich zwischen uns befindet; Abb. 7.23 Schwungvolle Bewegungen in verschiedene Richtungen mit dem Rhythmusband. Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag 7 7 156 7 Spezifische Bewegungstherapie eigene Kærpergrenzen erfassen (abrollen mit Igelball, abklopfen, sich in eine Decke wickeln) (Abb. 7.27, 7.28, ); einen Pezziball als Puffer vor sich her tragen. Mæglichkeit lassen auszuweichen, oder aneinander zu stoûen (spielerisches Anrempeln) (Abb. 7.29, 7.30); eigene Belastbarkeitsgrenzen wahrnehmen: Wie viele Sandsåckchen kann ich tragen (in der Hand, auf der Schulter, dem Kopf) (Abb. 7.31); jeder hat seinen Platz (im Reifen/auf dem Pezziball) und davor eine Keule. Mit einem Schaumstoffball darf versucht werden, andere umzuwerfen und dabei die eigene Keule mit Hånden und Fçûen zu verteidigen; Tau ziehen. Abb. 7.24 Ball verdeutlicht Kontakt zur Wand. Abb. 7.25 Partnerarbeit: Fçûe gegeneinander stemmen oder ¹Fahrrad fahrenª. Abb. 7.26 Eigenen Platz durch Reifen definieren, von dort aus Schaumstoffbålle erbeuten, ohne den Platz zu verlassen. Abb. 7.27 Eigene Kærpergrenzen durch abklopfen erfassen. Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag 7.3 Arbeiten mit schizophrenen Kranken Abb. 7.28 Eigene Kærpergrenzen durch abklopfen erfassen. 157 Abb. 7.31 Grenzen und Belastbarkeit wahrnehmen durch das Auflegen und Tragen von Sandsåcken. Beispiel 5: Stærung der Ich-Identitåt Abb. 7.29 Pezziball als Puffer einsetzen; sich abstoûen, aufeinandertreffen. Psychopathologie: Fehlen oder Unsicherheit çber eigene Identitåt, Angst vor Verlust der eigenen Identitåt. Physiognomische und Gestaltånderung, Geschlechtsånderung, Verwandlung in ein anderes Wesen, Ønderung der Herkunfts-Identitåt. Behutsames Arbeiten am Gesicht und den Hånden. Gesicht in die Hånde legen, Wårme spçren. Wo sind die Hånde im Gesicht behutsam (Augenlider), wo kann geklopft werden (Wangen, Stirn); Hånde betrachten, Beweglichkeit prçfen (auch Fingerspiele); unterschiedliche Gegenstånde fçhlen lassen, was spçren die eigenen Hånde (Festes ± Weiches, Rundes ± Eckiges ...) (Abb. 7.32, 7.33); Abb. 7.30 Kampf mit dem Pezziball, das Seil darf nicht çbertreten werden. Abb. 7.32 Gegenstånde erspçren. Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag 7 7 158 7 Spezifische Bewegungstherapie Abb. 7.33 Gegenstånde erspçren. Gegenstånde, Farben, Formen wåhlen lassen (ich tue, ich mæchte ...); eigenen Namen, Hobbys nennen (Ball wandert dabei zum nåchsten). Bei jedem Patienten finden sich unterschiedliche Ausprågungen und Kombinationen dieser Stærungsbilder. Das bedeutet, eine Behandlung muss stets individuell auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. 7.3.3 Die Bewegungstherapie findet auf der Beziehungsebene statt Die Beziehungsstærung eines schizophrenen Kranken erfasst alle Lebensbereiche. Umso verståndlicher wird, dass die von auûen angebotene therapeutische Beziehung einen entscheidenden Wirkfaktor und Ausgangspunkt darstellt. Dies geschieht in der besonderen zwischenmenschlichen Beziehung in der Einzel- und/oder der Gruppentherapie. Eine haltgebende, tragende, verlåssliche Bindung, vergleichbar mit der ¹holding functionª der Mutter, ist eine Voraussetzung der therapeutischen Beziehung. Den Patienten annehmen, so wie er ist, ihm beistehen (stçtzend, Ich-stårkend). Dabei dçrfen aber nicht neue, unlæsbare Abhångigkeiten entstehen, die Individuation und Autonomie verhindern. Durch die gelungene Einstimmung der Mutter auf die Bedçrfnisse ihres Kindes trågt sie zur Entwicklung des Selbstempfindens bei. Der Therapeut nimmt aktiv Beziehung zu Patienten auf, die selbst dazu noch nicht in der Lage sind. Wichtig in der Phase der Unselbståndig- keit: Dem Patienten dabei solange Halt und Sicherheit geben, wie er dies benætigt und gerade in schwierigen Phasen versuchen, dies aufrecht zu erhalten. Wendet sich der Patient ab, ist dies zu respektieren. Die Therapeutin darf ihn nicht bedrången und muss warten kænnen. Eine klare, unmissverståndliche Haltung von Nåhe und Distanz vermitteln, verlåsslich sein und Absprachen mæglichst einhalten, bzw. den Patienten çber Ønderungen informieren. Eine Aufgabe des Therapeuten besteht darin, sich seiner eigenen Gefçhle bewusst zu werden und die richtige Balance zu finden zwischen Distanz und Nåhe, Verschmelzung und rigider Abwehr. Speziell in der Kærpertherapie (und dazu gehært die Bewegungstherapie) kommt es durch åuûere Bewegung zu einer ¹inneren Bewegtheitª, deren Prozess nachvollziehbar sein muss. Um sich in diesem Dschungel der Gefçhle zurecht zu finden, sind folgende Wirkfaktoren hilfreich: Wåhrend des therapeutischen Prozesses kænnen Ûbertragungen besonders stark hervortreten. Der Patient reaktiviert und çbertrågt dabei unerledigte, kindliche Gefçhle, Bedçrfnisse und Konflikte aus frçherer Zeit auf die reale Situation und die momentanen Bezugspersonen. Diese Ûbertragungsgefçhle sind, auch wenn sie aus alten primåren Beziehungen stammen, authentisch und daher ernst zu nehmen. Sie ermæglichen einen Einblick in die ¹frçhere Gefçhlsweltª des Patienten und sind therapeutisch nutzbar. Unter Gegençbertragung versteht man die gefçhlsmåûige Reaktion des Therapeuten auf den Patienten. Dabei handelt es sich um ein wichtiges wirksames Instrument des Therapeuten. Es ermæglicht ihm, z. B. abgewehrte negative Affekte des Patienten, wie Neid und Wut, bei sich (stellvertretend fçr den Patienten) wahrzunehmen. Dabei muss der Therapeut unterscheiden kænnen, ob es sich um persænliche Reaktionsweisen handelt oder ob diese Gefçhle durch den Patienten in ihm ausgelæst wurden. In ihrem Buch: ¹Schritte zur Ganzheitª (1997) beschreiben S. Krietsch und B. Heuer in den 4 Ûbungsleitlinien anschaulich die Beziehungsstærung eines schizophren Kranken. Sie beståtigen meine jahrelange Erfahrung und begrçnden die umfassende Einbeziehung dieser Lebensbereiche. Beziehung zum eigenen Kærper Die eigene Lebendigkeit wird gespçrt durch den Atem, die Bewegung, das Pulsieren des Blutes, die Hçter-Becker/Dælken, Physiotherapie in der Psychiatrie (ISBN 313129521X), c 2004 Georg Thieme Verlag