Die unterirdische Welt von Mulu von Kevin Dixon In Zeiten, in denen wir glauben, das Internet habe auf jede Frage eine Antwort, und die Erde wie ein offenes Buch vor uns zu liegen scheint, ist es geradezu erfrischend, dass ein Teil unseres Planeten noch unentdeckt ist. Das Höhlensystem von Mulu im Bundesstaat Sarawak in Malaysia, das über Jahrtausende durch Wasser geschaffen wurde, das sich durch Kalksteinschichten und -verwerfungen den schnellsten Weg zum Meer bahnte, ist heute eine von Fledermäusen und Mauerseglern bewohnte unterirdische Kristallwelt. Vermessungstätigkeiten sind für die laufende Erkundung von größter Bedeutung – z. B. wenn es um die Erstellung von Karten geht, die die Forscher zurück zu ihrem Ausgangspunkt bringen, oder um das Auffinden möglicher neuer Eingänge in Oberflächennähe oder die Sichtbarmachung potenzieller neuer Entdeckungen in den Höhlengängen entlang großer Verwerfungen, Schichtungsflächen und Entwässerungshorizonte. Doch welche Vermessungstechnologien und -verfahren haben sich als robust genug für die Kartierung dieses Labyrinths erwiesen? Soviel vorweg: Die Umgebungsbedingungen in den Höhlen von Mulu sind weder für die Vermessungsausrüstung noch für die Menschen besonders günstig. Die Feuchtigkeit entspricht meist 100 % und die Temperatur beträgt 30 °C. Für den Zugang zu den Höhlen von außen müssen sich die Forscher mit Macheten durch Rattan- und Kletterpflanzenbewuchs kämpfen, über Wurzelwerk, dichtes Unterholz und Kalksteinspitzen klettern, durch Bäche und Schlamm waten und häufigen Tropenstürmen standhalten. Trotz der Hitze und Feuchtigkeit halten die meisten Menschen ihren Körper vollständig bedeckt, um Schnitte und Kratzer zu vermeiden, die sich in dieser Umgebung rasch infizieren können. Textilien bieten außerdem wenigstens etwas Schutz vor Zecken, Pferdebremsen und Mücken. Der Erfolg der frühen Expeditionen in den letzten 30 Jahren im Rahmen des «Mulu Caves Project» war in wesentlichem Maße von zuverlässigen Vermessungsdaten abhängig. Die Daten dienten nicht nur zur Dokumentation der faszinierenden Entdeckungen, sondern bildeten auch die Grundlage für das wissenschaftliche Forschungsprogramm. Fast alle Höhlengänge wurden bei ihrer Erkundung durch kleine Teams, bestehend aus zwei oder drei Personen, >> Das Magazin der Leica Geosystems | 15 vermessen. Dazu wurden hauptsächlich Kompasse und Neigungsmesser sowie 30 m lange FiberglasMaßbänder verwendet. Zurück im Lager, beschränkte man sich darauf, die Aufzeichnungen aus der Höhle mit Hilfe von Winkelmesser und Lineal auf Millimeterpapier zu übertragen. Später vereinfachten programmierbare Taschenrechner diese Aufgabe wesentlich. Die Feldskizzen wurden nur auf Millimeterpapier aufgebracht und erst zuhause in Großbritannien mit Tinte und Letraset-Buchstaben ausgeführt. Vermessung heute: mit Leica DISTO™ Laser-Distanzmessern Unsere letzte, im Jahr 2011 durchgeführte Expedition hatte sich für die geplante Dauer von sechs Wochen zahlreiche ehrgeizige Ziele gesetzt, von denen einige für die Vermessung relevant waren. Die Vermessung erfolgte durch mehrere Teams, die aus zwei bis vier Personen bestanden. Dabei übernahm eine Person ausschließlich das Skizzieren der Höhle und das Notieren der Messwerte auf einem wasserfesten Notizblock. Eine zweite bediente die Vermessungsgeräte und rief dem Protokollanten die Messwerte zu. Neben Kompassen und Neigungsmessern waren mit den Laser-Distanzmessern Leica DISTO™ DXT und DISTO™ D8 auch Geräte von Leica Geosystems auf der Mulu-2011-Expedition mit von der Partie. Der Leica DISTO™ D8 mit integriertem Neigungssensor erwies sich als praktisch, weil wir weniger Neigungsmesser benötigten, eine größere Neigungsgenauigkeit erzielten und zudem noch über einen Messbereich von bis zu 200 m verfügten. Wasser und Schlamm mussten wir mit dem Leica DISTO™ D8 allerdings vermeiden, doch das wurde durch die Möglichkeit der Messung von Distanzen bis 186 m auf Reflexfolie, häufig unter Einsatz des digitalen Zielsuchers des Leica DISTO™ D8 mit unseren starken Stirnlampen zur Erkennung weit entfernter Ziele, wieder aufgewogen. Durch die Vermessung besonders langer Strecken im Gegensatz zu den üblichen kürzeren wollten wir die Messgenauigkeit steigern. Den Leica DISTO™ DXT haben wir zum ersten Mal eingesetzt. Durch seine höhere Schutzklasse (IP65) war er gegenüber Schlamm und Wasser unempfindlich. Das war ein Vorteil, da wir den DISTO™ DXT um den Hals tragen konnten, damit er für rasche Messungen der Gänge – meist der Seitenwände links und rechts, der Decke und des Bodens in Vermessungsrichtung – immer parat war. Dieselben Geräte und Methoden verwendeten wir auch an der Oberfläche für Polygonzüge zur Verbindung von Höhleneingängen mit fixen Kontrollstationen. Ein Vorteil beider Laser-Distanzmesser, den wir sehr zu schätzen wussten, war der interne Speicher, anhand dessen der Protokollant die Ergebnisse überprüfen und so Fehler bei der Aufzeichnung vermeiden konnte. Festlegung von Kontrollpunkten Robbie Shone skizziert das Mulu-Höhlensystem. 16 | Reporter 66 Ein Zweifrequenz-GPS-Empfänger, ein Leica SR530, war ebenfalls Teil der Expeditionsausrüstung. Er diente zur Festlegung einer Reihe fixer Kontrollpunkte innerhalb des Mulu-Gebiets, wobei insbesondere die genaue Höhenbestimmung im Mittelpunkt stand. Die Stationen wurden danach bestimmt, ob der Himmel frei und daher die Satellitensichtbarkeit gut war. Entsprechende Standorte sind im Primärdschungel gar nicht so leicht zu finden. Einige Stationen befanden sich auf Lichtungen, die von den Nationalparkbehörden als Hubschrauberlandeplatz für Evakuierungsmaßnahmen in Notfällen hergestellt wurden. Ein anderer Standort, unmittelbar außerhalb der Nationalparkgrenzen, war erst kürzlich von der einheimischen Bevölkerung freigemacht worden. Glück- licherweise war die Satellitensichtbarkeit zufriedenstellend und die Vermessung musste nicht wiederholt werden. Die statischen 30-Sekunden-GPS-Daten wurden mit Hilfe des kostenlosen Online-Diensts des Jet Propulsion Laboratory der NASA nach dem PPPVerfahren ausgewertet. Die dadurch erzielte absolute Positionsgenauigkeit bewegte sich von 0,02 bis 1,09 m, wobei meistens 0,1 m oder besser erreicht wurde. Das Ergebnis von 1,09 m war keine Überraschung: Der Messwert stammte von dem Standort mit der geringsten Sichtweite an der Austrittsstelle des Flusses Terikan, der nur ein kleines Sehfeld oberhalb des Flusses aufwies und in dessen östlicher Richtung direkt eine mächtige Felswand aufragte. Bilanz der Expedition Insgesamt 15,2 km neue Höhlengänge wurden erforscht und vermessen, davon 13,4 km im Clearwater-Höhlensystem, das nun auf 189 km dokumentiert und damit die achtlängste Höhle der Welt ist. Auch zwei neue Höhlen wurden gefunden und vermessen, genauso wie acht geodätische GPS-Punkte bestimmt. In der Deer-Höhle und der Sarawak-Kammer wurden zusammen 26,2 Millionen Punkte mit Laserscanning erfasst und mit 36 Aufstellungen 3,4 km abgedeckt. Die Sarawak-Kammer, die als der weltweit größte unterirdische Raum gilt, wurde mit Megaflash-Birnen und einer Panorama-Ausrüstung fotografiert. Was bringt Menschen dazu, für viel Geld um die halbe Welt zu reisen, um unter schwierigsten Bedingungen Höhlen zu vermessen? Neugier und Interesse dürften wohl die wichtigsten Triebfedern sein – das Wissen, dass man der erste Mensch ist, der einen Ort erforscht und vermisst, die Spannung, was einen hinter der nächsten Ecke erwartet und die Freude bei der Entdeckung prächtiger Tropfsteine, deren Bildung wir bis heute nicht verstehen. Weite Teile des MuluKalksteins weisen überhaupt keine bekannte Höhle auf: Auch das ist ein enormer Anreiz für künftige Expeditionen. Über den Autor: Kevin Dixon ist Ehrenmitglied der Royal Geographical Society. Er ist ausgebildeter Vermessungsingenieur und an der Universität York in Großbritannien tätig, wo er ein Studium der Informatik und Mathematik absolviert hat. ([email protected]) Weitere Informationen: www.mulupark.com Eine beeindruckende Fotosammlung der Mulu-Region einschließlich der Höhlen sowie der Flora und Fauna finden Sie hier: www.shonephotography.com Das Magazin der Leica Geosystems | 17