Vernachlässigung, Gewalt und Missbrauch erkennen psychische und physische Folgen für Kinder und Jugendliche EREV Forum Schule und Erziehungshilfen Eisenach, 17. 11. 2004 Eberhard Motzkau Evangelisches Krankenhaus Düsseldorf Gewalt gegen Kinder Ø Gewaltformen Ø Ø Ø Ø Ø Ø körperliche Gewalt seelische Gewalt Vernachlässigung, körperlich und seelisch sexuelle Gewalt Zeugenschaft von Gewalt Münchhausen-by-proxy-Syndrom Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 2 Häufige Irrtümer bei Verdacht auf Gewalt gegen Kinder Ø Ø Ø Ø Ø Ein Klaps/gelegentliche Schläge haben noch keinem geschadet. Hauen< Schlagen< Prügel< Gewalt Aggressive Kinder sind misshandelt. Schlagende Eltern lieben ihre Kinder nicht. Geschlagene Kinder lieben ihre Eltern nicht, möchten weg von zu Hause und warten darauf, gerettet zu werden. Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 3 Häufige Irrtümer bei Verdacht auf Gewalt gegen Kinder Ø Ø Ø Ø Bei Verdacht auf Gewalt muss ich sofort handeln Bei Verdacht sofort Anzeige! Der einzig wirksame Schutz für misshandelte Kinder ist die Herausnahme aus der Familie Wer seinem Kind so etwas Schlimmes antut hat für immer das Recht verloren, Kinder zu erziehen Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 4 Prinzipien zum Vorgehen bei Verdacht auf Gewalt Ø Ø Ø Ø Ø Das Kind steht im Mittelpunkt ,seine Interessen haben Vorrang. Die Perspektive des Kindes ist leitend. Es geht um Sorge, nicht um Anklage. Kleine Schritte in Ruhe sind besser als schnelles Handeln, das scheitert. Isolation macht hilflos und wütend, Kontakt bringt Möglichkeiten! Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 5 Körperliche Misshandlung Definition Ø Ø Durch körperliche Gewaltanwendung Kindern zugefügte ernsthafte vorübergehende oder bleibende Verletzungen oder Tod; Kindesmisshandlung bezeichnet gewalttätiges Verhalten von Erziehungspersonen als Grundelement der Erziehung. Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 6 Körperliche Gewalt, Art Ø Mechanische Verletzungen Ø Ø thermische Verletzungen Ø Ø schlagen mit/ohne Werkzeug, stechen, werfen, schütteln, würgen, ersticken, ertränken, quetschen, fesseln verbrennen, verbrühen, unterkühlen chemische Verletzungen Ø verätzen, vergiften, Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 7 Körperliche Gewalt, Häufigkeit Ø Ø Ø Ø Ø Grosse Dunkelziffer ca. 10% - 15% aller Kinder betroffen ca. 4000 schwere Verletzungen p.a. bis 4. Lebensjahr Jungen = Mädchen danach Jungen > Mädchen Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 8 Körperliche Gewalt Schädiger Ø Ø Ø 80% - 90% Familienangehörige Frauen = Männer generell Männer > Frauen für schwere Verletzungen Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 9 Körperliche Gewalt Diagnostische Ebenen Ø Anamnese Ø Ø Körperliche Untersuchung Ø Ø Ø Ø Bericht/Verletzung vereinbar? Verhalten der Eltern, Verzögerung der Vorstellung? Ganzkörperlich, Symptome gleich alt? Bildgebende Diagnostik Familien-Diagnostik traumaspezifische/Psycho - Diagnostik Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 10 Körperliche Gewalt Psychodynamik Ø Gewaltdynamik: Ø Instrumentelle Gewalt > Scham Ø Ø Expressive Gewalt > Schuldgefühl Ø Ø zielgerichtet, linear, unterdrückend, entwertender Machtmissbrauch, bekannte Regeln , kommunikativ entkoppelt, endet am Ziel , Unterwerfung vermeidet G., Stressauslöser bekannt & wiederholt, beziehungsgebunden, zirkuläre Eskalationsschleifen, Ende bei Entladung/ Unterbrechung Alle Beteiligten fühlen sich als Opfer! Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 11 Körperliche Gewalt Psychodynamik Ø Situation der Opfer: Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Loyalitätskonkflikt Ambivalenzkonflikt Angst - Zuneigung Interessenkonflikt Schutz - Kontakt ängstlich, schreckhaft, aggressiv sozial eingeschränkt Scham, geringer Selbstwert, Schuldgefühl Identifikation als Opfer oder Aggressor Gegenübertragung berücksichtigen! Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 12 Körperliche Gewalt Gegenübertragung Ø Ø Identifikation > Wut / Angst (<Scham) Anklagendes Verhalten / Entwertung (<Schuld, geringer Selbstwert) Ø Ø Ø Ø Ø Bessere Eltern sein wollen Überengagement, Aktionismus, Alleingänge (<Ohnmacht) Stellvertreterkonflikte (<Ablenken) Spaltung/Misstrauen (<Ambivalenz) Verharmlosung, Verdrängung (<Angst) Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 13 Empfehlungen für den Zugang zu Kindern bei Gewaltverdacht Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Klares Ansprechen von Verletzungen Keine Identifikation! Mitfühlen in Distanz Gefühle aussprechen Gespächsgelegenheit schaffen Keine Handlungen hinter dem Rücken Kontakt mit Eltern aus Sorge-Haltung Begleitende Beratung ist wichtig! Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 14 Möglichkeiten und Aufgaben der Schule bei Verdacht auf familiale Gewalt gegen Kinder Ø Ø Ø Ø Ø Klare Verteilung von Verantwortung und Aufgaben Aufmerksamkeit und Sorgfalt im Kontakt Abstimmung von Wahrnehmungen im Kollegium, Ruhiges Vorgehen, Beratung einholen Gelegenheit zum Einzelgespräch für das Kind, Einbeziehen der Eltern? Für kompetente Diagnostik sorgen Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 15 Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 16 Sexueller Missbrauch Definition Ø Ø Ø Ø Ø Ausbeutung der kindlichen Abhängigkeit Ziel: sexuelle Erregung des/der Schädiger Alters-/Entwicklungsabstand min. 5 J. Zustimmung des Kindes ist unwirksam verantwortlich ist der Schädiger Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 17 Sexuelle Gewalt, Art Ø Ø Ø Ø Ø Ohne körperl. Berührung mit körperl.Berührung, nicht penetrativ penetrativer Kontakt Formen von Perversion Ritualistischer Missbrauch Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 18 Sexuelle Gewalt Schädiger Ø Ø Ø Ø Ø Männer - Frauen = 95% - 5% Frauen meist in Helfer-/Dulder-Rolle ca. 75% - 80% entstammen dem familialen Nahbereich Pädophile treffen wenig geschlechtsspezifische Auswahl der Kinder bei Jugendlichen Schädigern sind Mädchen weniger selten Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 19 Sexuelle Gewalt Diagnostische Ebenen Ø Körperlich Ø Ø Ø Ø Ø kindergynäkologische U. ganzkörperliche Inspektion Sicherung/Untersuchung von Kleidung Abstriche, Schwangerschaftsdiagnostik Psychologisch/Kinderpsychiatrisch Ø Ø Ø traumaspezifisch allgemeine Psychodiagnostik Familiendiagnostik Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 20 Sexuelle Gewalt Inzest - Dynamik Vater Mutter Kind Mutter Vater Kind Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 21 Sexuelle Gewalt Psychodynamik Ø Opfer Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø übernehmen Verantwortung Schuldgefühle, Selbstzweifel, -entwertung Angst, Scham, Ekel Hilflosigkeit, Resignation, Passivität Abspaltung, Dissoziation, Verdrängung Wut, ungesteuerte Aggression Blockierung, Isolation Gegenübertragung berücksichtigen! Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 22 Sexuelle Gewalt Gegenübertragung Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Überengagement Aktionismus Alleingänge Anklagendes Verhalten Gefahr von Stellvertreterkonflikten Gefahr von Spaltung Misstrauen Verharmlosung, Verdrängung Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 23 Sexuelle Gewalt Mitteilungen in der Schule Ø Indirekte Signale Ø Verhalten, körperlich, psychosomatisch Verschlüsselte Mitteilungen, ungezielt Ø Direkte vertrauliche Mitt. (Freundin) Ø Direkte, hilfesuchende Mitteilung an Lehrperson Vertrauen! Verschwiegenheit? Schutz? Versprechen? Anzeige? Ø Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 24 Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 25 Vernachlässigung Definition Ø Unterlassen fürsorglichen Handelns für physische/psychische Versorgung Ø Ø Ø Ø durch Eltern oder Betreuer aktiv/passiv, zu wenig Einsicht/Wissen nachhaltiges Nichtberücksichtigen, Missachten, Versagen der Lebensbedürfnisse > chron. Unterversorgung >Entwicklungsschäden (körperl., geistig, seelisch) oder Tod Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 26 Vernachlässigung Grundmuster I Ø Mutter hat schwache/keine Introjekte Ø Ø Ø Ø Ø Ø (Innere Abbilder der Bezugsobjekte) entspr. schwaches/negatives Selbstbild phantasmatisches Kind schwach/ideal kein Abgleich / Spiegelung mit realem Kind bzw.Entwertung des realen Kindes instabiles Kind-Introjekt bei der Mutter Kind triggert die Mutter >Strukturierung Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 27 Vernachlässigung Grundmuster II Ø Mutter erlebt sich nicht steuernd Ø Ø Ø Ø Ø Fortsetzung des Ohnmachtserlebens Kommunikation Mutter-Kind so schwach, negativ bzw. passiv wie die Introjekte >> Sprachentwicklungsstörung >> Entwertungserwartung >> schwache Selbstwahrnehmung Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 28 Vernachlässigung - mögliche Auswirkungen Ø Körperlich: Ø Ø Kognitiv: Ø Ø Tod, Untergewicht, Übergewicht, Minderwuchs, Mangelkrankheiten, Kr.- Anfälligkeit/auff. Resistenz, verz. mot. Entwicklung, Hyperaktivität etc. Störungen der Sprachentwicklung und der Sprachfunktion, Leitsymptom verz. Sprachentwicklung! Intelligenzminderung, (neue Hirnforschungsergebn.) Sozial: Ø Störung von Kontakt und Nähe-/Distanzregulierung, Aggression, wenig Konfliktlösungsstrategien, Misstrauen, Entwertung anderer, Grenzüberschreitung/Überanpassg. Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 29 Vernachlässigung - mögliche Auswirkungen Ø Psychisch: Ø Hospitalismus, Inaktivität/Passivität, Störg. der Nahrungsaufnahme, Störg. Schlaf-/ Wachrhythmus, Bindungsstörung, depr. Persönlichkeitsentwicklung, Störg. der Symbolbildung und der Phantasietätigkeit, Identitätsstörung, geringer Selbstwert, Störg. der Selbstwahrnehmung u. des Selbstbildes, verm. Schmerzwahrnehmung, Unfallneigung, Selbstverletzung, Störg. der Impulskontrolle, emot. Störung, vermindertes Neugierverhalten, Störg. von Konzentration und Leistung Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 30 Schutzfaktoren bei Risikobelastung Ø Eigenschaften des Kindes, die pos. Reaktionen im soz. Umfeld auslösen Ø Ø Emot. Bindungen und Sozialisierungspraktiken > Vertrauen, Selbstständigkeit, Initiative Ø Ø günstiges Temperament, Anpassungsfähigkeit, Intelligenz, weibliches Geschlecht Frühe Interaktion, pos. Bindungsbeziehung, Erfahrung gelungener Bewältigung! Externale Unterstützungssysteme Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 31 Vernachlässigung Generationendynamik Großeltern Unser gutes Kind Id un r e i s ea li g Ambivalenz Konkurrenz Retten Angst Abhängigkeit Verantwortung Kompetenz Empathie? Freitag, 19. November 2004 Elternteil Vernachlässigung Kind Verleugnung, Abspaltung Desintegration Abl e Ent h n u n g we r tun g Das schwierige Kind Desintegration Neid Neg. Selbstwert Wut Sehnsucht Abhängigkeit Scheitern Dr. E. Motzkau 32 Vernachlässigung Generationendynamik II Eltern Kind Neid, Enttäuschung, Misstrauen Geschwister Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau Verleugnung, Abspaltung g n u Ko rt g Großeltern nku o w n t rre n du a nz r n e e E V uw ntw likt f n Z o er t k s t ä t ung i l a y o L Elternteil 33 Vernachlässigung Helferdynamik Ø Übertragung und Gegenübertragung: Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ohnmacht, Hilflosigkeit Resignation, Hoffnungslosigkeit, Gleichgültigkeit, Ablehnung, Lästigkeit, Unlust Wut Ekel Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 34 Vernachlässigung Fallen für Helfersysteme Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Ø Konkurrenz, Machtkampf, Entwertung Isolierung, Tabuisierung Unklarheit, Strukturlosigkeit Ressuorcenverleugnung Vergessen, Lähmung, Abschieben Überfordern mit Anforderung +Verantwortung Überfordern mit Überversorgung Umzingeln mit Hilfen Nicht - Wahrnehmen Freitag, 19. November 2004 Dr. E. Motzkau 35