Ästhetik, Anatomie und Funktion

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Wissenschaft und Fortbildung
Ästhetik, Anatomie und Funktion
Kompositrestauration unter Beachtung funktioneller Kriterien
Ein Beitrag von Ulf Krueger-Janson, Frankfurt am Main
Der nachfolgende Artikel schildert, warum Komposit auch oder gerade zur Rekonstruktion diffiziler
Strukturen im Frontzahnbereich das Mittel der
Wahl sein kann. Mit Komposit lassen sich schnell,
unkompliziert und minimalinvasiv erstklassige Versorgungen von lang anhaltender Funktionsfähigkeit sowie beeindruckender Ästhetik verwirklichen.
Wo früher Keramik der „Goldstandard“ war, behaupten sich inzwischen die Komposite. Im Folgenden zeigt der Autor die funktionsgerechte Wiederherstellung zweier Frontzähne.
Eine präzise Untersuchung und die genaue Planung vor Behandlungsbeginn sichern die Langlebigkeit einer zahnmedizinischen Versorgung.
Diese Maxime gilt auch bei direkten Restaurationen aus Komposit. Leider wird dieser Aspekt aus
Zeit- und Kostengründen im normalen Praxisablauf häufig vernachlässigt. Gefährlich, wie das
nachfolgend dargestellte Beispiel zeigt. Eine Frontzahnversorgung aus Komposit platzte schon nach
einigen Monaten wieder ab. Die Unzufriedenheit
liegt in solchen Fällen auf beiden Seiten – beim Behandler und beim Patienten (Abb. 1 und 2).
Die Morphologie einer Frontzahnkrone findet in
der Inzisalkante ihren Abschluss, da dort die labialen, die approximalen und die palatinalen Konturen aufeinandertreffen. Bei der Rekonstruktion
von Frontzähnen bestimmen sowohl funktionelle
Aspekte als auch anatomische Vorgaben die Gestaltung der Schneidekante. Werden alle notwendigen Parameter berücksichtigt, wird das Ergebnis immer als ästhetisch empfunden. Entscheidend
ist neben der Kenntnis des anatomischen Bauplans eines zu rekonstruierenden Zahnes die Analyse und Interpretation der Form der Nachbarzähne. Deren Stellung und Funktionsmuster vermitteln Informationen über die Gestaltung der
Abrasionsflächen und der Schneidekantenverläufe
des zu rekonstruierenden Zahnes. Individuelle Charakteristika der Nachbarzähne sowie der kontralateralen Zähne liefern wichtige Hinweise. Deshalb kommt bereits zu Beginn einer zahnärztlichen Therapie der Beachtung morphologischer Besonderheiten besondere Bedeutung zu. Das Krüm-
mungsmerkmal, das heißt der Übergang der vestibulären in die palatinale Fläche, liefert interessante Informationen. Die labiale Kontur beginnt
zervikal mit dem Cingulum (cingulum = lat. Gürtel) und endet – über unterschiedlich starke Krümmungen – mit der Inzisalkante. Je nach Alter und
Abnutzungsgrad des Zahnes verändert sich die
Form der Labialflächen sowie ihre Oberflächenstruktur. Die Mamelons in der Inzisalkante können
beim jugendlichen Frontzahn ausgeprägt sein, sie
reduzieren sich aber in Abhängigkeit von der Art
und vom Ausmaß der physiologischen oder pathologischen Funktionsbewegungen.
Ausgangssituation
Die Patientin hatte sich vor längerer Zeit beim
Sport eine Schneidekantenfraktur an den beiden
mittleren oberen Incisivi zugezogen. Die daraufhin
Abb. 1 und 2: Die Ausgangssituation – Fraktur der Inzisalkanten unterschiedlicher
Ausprägung an den Zähnen 11 und 21
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Abb. 3: Die in das Bild eingezogene Linie veranschaulicht, wie die beiden mittleren
Schneidezähne nach der Versorgung aussehen sollen.
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Abb. 4: Der zur Verfügung stehende Platz für die Rekonstruktion wird in der Kopfbissstellung deutlich. Durch den Schwarz-Weiß-Kontrast lassen sich die Konturen
gut erkennen.
Abb. 5 und 6: Der Grad des Substanzverlusts soll auch in der Ansicht von inzisal ermittelt werden. Von palatinal sieht man an den beiden mittleren oberen Schneidezähnen
die Bruchkanten, die durch die Funktion eingeebnet und abgerundet wurden.
alio loco vorgenommene Versorgung platzte nach
kurzer Zeit wieder ab, worauf die Zähne längere
Zeit unversorgt blieben. Die junge und lebenslustige Patientin war unzufrieden mit ihrem Erscheinungsbild und litt unter der „zerklüfteten“ Oberkieferzahnreihe. Sie wünschte sich eine neue, minimalinvasive Versorgung ihrer Frontzähne – stabil
und ästhetisch. Nach gemeinsamer Beratung fiel
die Entscheidung auf eine erneute Rekonstruktion
der Schneidekanten mit Komposit.
Therapieziel
Das Ziel der Therapie war es, eine natürliche Morphologie und einen ästhetischen Verlauf der Frontzähne herzustellen (Abb. 3). Als Material wählten
wir das neue modifizierte Hybridkomposit Kalore
von GC, das aufgrund einer neuen Monomertechnologie nur geringe Schrumpfungseigenschaften
hat. Gleichzeitig ist es abrasionsfest und verfügt
über eine natürliche Lichtbrechung. Damit ist das
Material für eine ästhetische und langlebige Restauration von Frontzähnen sehr gut geeignet.
Im Vorfeld müssen vor allem die funktionellen
Parameter berücksichtigt werden. So zeigt zum Beispiel die Zahnstellung im Kopfbiss, wie viel Platz
für eine folgende Restauration zur Verfügung steht,
um deren Überkonturierung zu vermeiden (Abb. 4).
Störende Interferenzen mit der Unterkieferfront können so vermieden werden.
Vorbereitung
Die Inspektion der palatinalen und inzisalen Strukturen erfolgt über einen Spiegel, da die gespiegelte
Perspektive den Verlauf des Defekts gut wiedergibt.
Der Behandler erhält Anhaltspunkte darüber, wo genau Komposit aufgetragen werden muss. Besonders
die vestibulären Flächen des Zahnes sind zu berücksichtigen, vor allem im Kontext mit dem Verlauf des
Frontzahnbogens (Abb. 5 und 6). Um sich schon vor
Behandlungsbeginn mit der Morphologie der Zähne
vertraut zu machen, ermöglicht die Analyse eines
exakten Gipsmodells unter verschiedenen Blickwinkeln eine umfassende Bestandsaufnahme (Abb. 7
und 8). Der Patientin kann das angestrebte Ziel visua-
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Abb. 7 und 8: Am Gipsmodell wird die Bestandsaufnahme unter anderen Blickwinkeln, als sie im Mund möglich sind, vervollständigt.
Abb. 9: Das Mock-up zur Visualisierung der angestrebten Situation
Abb. 10: Von dieser Situation wird ein Silikonschlüssel erstellt.
Abb. 12:
Für die gezielte Konditionierung des Schmelzes
werden die Nachbarzähne
mit einem hauchdünnen
Teflonband abgedeckt.
Abb. 11: Abschrägen der Schmelzkanten bei 11 mit einem feinkörnigen Diamanten
lisiert werden. Ein Mock-up nach idealen morphologischen Aspekten ist hierfür hilfreich (Abb. 9). Die
Patientin sieht und spürt sofort die mögliche Veränderung. Außerdem kann eine erste farbliche Überprüfung vorgenommen werden. Mit dem Mock-up
wird ein Silikonschlüssel von der palatinalen Fläche
der Frontzähne gefertigt (Abb. 10). Erst danach werden die inzisalen Frakturkanten mit einem flammenförmigen Feinkorndiamanten angeschrägt (Abb. 11).
Dadurch wird das retentive Muster erhöht und der
Übergang des Komposits zum natürlichen Zahn kann
gut verstrichen werden. Vor der nun folgenden Konditionierung des Schmelzes werden die Nachbarzähne
mit einem Teflonband abgedeckt (Abb. 12 bis 15).
Schichtung
In den Silikonschlüssel wird an der Position des Zahnes 11, der zuerst behandelt wird, eine Schicht opaken Dentins aufgetragen. Der Schlüssel wird von palatinal gegen die Zahnreihe gesetzt. Zusätzlich wird
das Komposit mit einem Heidemannspatel an die
Zahnsubstanz adaptiert. Als zweite Schicht ergänzt
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Abb. 13: Vor dem Auftragen des Bonders
wird die Präparationsgrenze mit Phosphorsäure geätzt.
Abb. 14: Die kristalline, milchige Oberfläche
des geätzten Schmelzes ist deutlich zu erkennen.
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Abb. 15: Applikation eines konventionellen
Bonders
Abb. 16:
Der zuvor mit opakem
Dentin befüllte Silikonschlüssel wird von palatinal angelegt. Mit einem
Heidemannspatel wird
das Material in die richtige Position gedrückt. Die
natürliche Krümmung
der Vestibulärfläche soll
sich in der Schneidekante fortsetzen.
Abb. 17: Überschichtung mit Enamel A2
Abb. 18 und 19: Ausarbeitung mit dem EVA-Kopf (KaVo)
Enamel (A2) – ein Material aus dem Kalore-Sortiment, welches dem natürlichen Reflexionsverhalten von Schmelz sehr nahe kommt – die Schneidekante (Abb. 16).
Im Anschluss an die Lichthärtung folgt die Ausarbeitung der Restauration. Hierzu eignet sich der
EVA-Kopf (KaVo) mit vertikalem Hub gut. Die flache, einseitig gekörnte Feile vereinfacht die Konturierung (Abb. 17 bis 19). Die Zahnkonturen können
bequem nachgearbeitet werden, ohne dass dabei
unnatürliche Rillen entstehen. Es kann gleichmäßig und kontrolliert Material abgetragen sowie die
individuelle Krümmung der vestibulären Kontur
des Zahnes nachvollzogen werden (Abb. 20). Das
Ergebnis ist ein fein auslaufender Übergang zwischen Zahnoberfläche und Komposit. Vor der Politur
muss unbedingt die Funktion der Frontzähne mit
Blaupapier kontrolliert und die Protrusionsbewegung entsprechend eingeschliffen werden (Abb. 21).
Die natürliche Führungsbahn des noch nicht behan-
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Abb. 20: Vorpolitur der Restauration an Zahn 11
Abb. 21: Überprüfen der Protrusions- beziehungsweise der Laterotrusionsbewegungen bei 11 mit Blaupapier
Abb. 22: Nach der Rekonstruktion des
Zahnes 11 wird der Zahn 21 behandelt.
Phosphorsäureätzung an Zahn 21.
Abb. 24 und 25: Die Inzisalkanten wurden mit einer opaken Bleachfarbe überzogen.
Dezente Lichtreflexionsleisten werden als morphologische Gestaltungsmerkmale
des Zahnes in der Füllung weitergeführt. So entsteht ein natürliches, dreidimensionales Erscheinungsbild des aufgebauten Frakturbereichs.
Abb. 23: Auftragen der opaken Dentinschicht auf den Defekt an 21. Durch
den indirekten Blick über einen Spiegel
lässt sich die Form der labialen und approximalen Konturen gut kontrollieren
und an den Nachbarzahn angleichen.
delten Zahnes 21 dient hierbei – mit Ausnahme der
dort fehlenden Mesialkante – als Referenz. Jetzt kann
die mesiale Kante an 21 restauriert werden. Hierfür
ist der Silikonschlüssel nicht notwendig. Nach dem
üblichen Prozedere wird auch hier die Präparationsgrenze angeätzt (Abb. 22). Da der mesiale Schneidekantendefekt nicht groß ist, wird nach dem Auftragen des Bondings nur eine Dentinmasse (AO2) benutzt (Abb. 23). Um weißliche Schmelzeffekte zu imitieren und so die naturidentische Ästhetik zu unterstützen, kann abschließend eine opake Bleachfarbe
(BW) aufgetragen werden. Damit lässt sich die natürliche Trübung des Schmelzes nachahmen. Um die diversen lichtreflektorischen Eigenschaften des natürlichen Zahnes zu imitieren, bietet das Kalore-System
spezielle Farbkomponenten an (Abb. 24 und 25).
Fazit
Die Materialeigenschaften der Komposite haben sich
in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Wir
sind nun grundsätzlich in der Lage, direkte Restau-
rationen herzustellen, die einem laborgefertigten
Veneer nicht nachstehen. Mit den modernen Kompositen können direkte Veneers angefertigt, aber
auch Frontzähne verlängert werden. Letzteres war
früher bei ausgedehnten Defekten nur mit Keramik
möglich. Das beschriebene System bietet aufgrund
seiner materialtechnischen Eigenschaften und der
neuartigen Monomertechnologie Vorteile und Möglichkeiten – sowohl im künstlerischen als auch im
werkstoffkundlichen Bereich. Auch wenn es sich
hierbei um ein „Premiumkomposit“ handelt, lohnt
sich das System auch für eine einfache Schichtung
wie im vorliegenden Fall. Die Verarbeitung und die
Handhabung sind einfach. Die Farbwirkung der
Frontzähne kann durch den Chamäleoneffekt gut
imitiert werden. Die Adaption an die natürliche
Zahnsubstanz ist hervorragend (Abb. 26 und 27). Da
die individuelle Charakterisierung der Zähne erst
nach genauer Analyse der morphologischen Beschaffenheit und der funktionellen Parameter vorgenommen wurde, fügen sich die beiden Versorgun-
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Abb. 26: Die polierte Restauration. Für ein harmonisches Gesamtbild wurde das
inzisale Dreieck beachtet und die „rundliche“ Grundform der Zähne beibehalten.
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Abb. 27: Der Blick von inzisal zeigt die labiale und inzisale Gestaltung.
gen an Zahn 11 und 21 harmonisch in das Gesamtbild ein (Abb. 28). Die Protrusionsbewegungen verlaufen flüssig und weich, ohne Störkontakte.
Wer nur die schnelle Lösung im Blick hat, wird dem
Patienten nicht gerecht. Bei rekonstruktiven Maßnahmen sollte immer eine umfassende Diagnostik
im Sinne einer Funktionsanalyse und – wenn nötig – eine Funktionstherapie vorgenommen werden,
sonst führt auch das innovativste Füllungsmaterial
langfristig nicht zum Erfolg.
Abb. 28: Das Strahlen der Patientin beweist die rundum gelungene, harmonische
Frontzahnästhetik. Die natürliche und dem individuellen Funktionsmuster angepasste Gestaltung der Inzisalkanten unterstützt das naturidentische Erscheinungsbild der Restaurationen.
Korrespondenzadresse:
Ulf Krueger-Janson
Stettenstraße 48, 60322 Frankfurt am Main
[email protected]
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