50 BZB Dezember 10 Wissenschaft und Fortbildung Ästhetik, Anatomie und Funktion Kompositrestauration unter Beachtung funktioneller Kriterien Ein Beitrag von Ulf Krueger-Janson, Frankfurt am Main Der nachfolgende Artikel schildert, warum Komposit auch oder gerade zur Rekonstruktion diffiziler Strukturen im Frontzahnbereich das Mittel der Wahl sein kann. Mit Komposit lassen sich schnell, unkompliziert und minimalinvasiv erstklassige Versorgungen von lang anhaltender Funktionsfähigkeit sowie beeindruckender Ästhetik verwirklichen. Wo früher Keramik der „Goldstandard“ war, behaupten sich inzwischen die Komposite. Im Folgenden zeigt der Autor die funktionsgerechte Wiederherstellung zweier Frontzähne. Eine präzise Untersuchung und die genaue Planung vor Behandlungsbeginn sichern die Langlebigkeit einer zahnmedizinischen Versorgung. Diese Maxime gilt auch bei direkten Restaurationen aus Komposit. Leider wird dieser Aspekt aus Zeit- und Kostengründen im normalen Praxisablauf häufig vernachlässigt. Gefährlich, wie das nachfolgend dargestellte Beispiel zeigt. Eine Frontzahnversorgung aus Komposit platzte schon nach einigen Monaten wieder ab. Die Unzufriedenheit liegt in solchen Fällen auf beiden Seiten – beim Behandler und beim Patienten (Abb. 1 und 2). Die Morphologie einer Frontzahnkrone findet in der Inzisalkante ihren Abschluss, da dort die labialen, die approximalen und die palatinalen Konturen aufeinandertreffen. Bei der Rekonstruktion von Frontzähnen bestimmen sowohl funktionelle Aspekte als auch anatomische Vorgaben die Gestaltung der Schneidekante. Werden alle notwendigen Parameter berücksichtigt, wird das Ergebnis immer als ästhetisch empfunden. Entscheidend ist neben der Kenntnis des anatomischen Bauplans eines zu rekonstruierenden Zahnes die Analyse und Interpretation der Form der Nachbarzähne. Deren Stellung und Funktionsmuster vermitteln Informationen über die Gestaltung der Abrasionsflächen und der Schneidekantenverläufe des zu rekonstruierenden Zahnes. Individuelle Charakteristika der Nachbarzähne sowie der kontralateralen Zähne liefern wichtige Hinweise. Deshalb kommt bereits zu Beginn einer zahnärztlichen Therapie der Beachtung morphologischer Besonderheiten besondere Bedeutung zu. Das Krüm- mungsmerkmal, das heißt der Übergang der vestibulären in die palatinale Fläche, liefert interessante Informationen. Die labiale Kontur beginnt zervikal mit dem Cingulum (cingulum = lat. Gürtel) und endet – über unterschiedlich starke Krümmungen – mit der Inzisalkante. Je nach Alter und Abnutzungsgrad des Zahnes verändert sich die Form der Labialflächen sowie ihre Oberflächenstruktur. Die Mamelons in der Inzisalkante können beim jugendlichen Frontzahn ausgeprägt sein, sie reduzieren sich aber in Abhängigkeit von der Art und vom Ausmaß der physiologischen oder pathologischen Funktionsbewegungen. Ausgangssituation Die Patientin hatte sich vor längerer Zeit beim Sport eine Schneidekantenfraktur an den beiden mittleren oberen Incisivi zugezogen. Die daraufhin Abb. 1 und 2: Die Ausgangssituation – Fraktur der Inzisalkanten unterschiedlicher Ausprägung an den Zähnen 11 und 21 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 3: Die in das Bild eingezogene Linie veranschaulicht, wie die beiden mittleren Schneidezähne nach der Versorgung aussehen sollen. BZB Dezember 10 51 Abb. 4: Der zur Verfügung stehende Platz für die Rekonstruktion wird in der Kopfbissstellung deutlich. Durch den Schwarz-Weiß-Kontrast lassen sich die Konturen gut erkennen. Abb. 5 und 6: Der Grad des Substanzverlusts soll auch in der Ansicht von inzisal ermittelt werden. Von palatinal sieht man an den beiden mittleren oberen Schneidezähnen die Bruchkanten, die durch die Funktion eingeebnet und abgerundet wurden. alio loco vorgenommene Versorgung platzte nach kurzer Zeit wieder ab, worauf die Zähne längere Zeit unversorgt blieben. Die junge und lebenslustige Patientin war unzufrieden mit ihrem Erscheinungsbild und litt unter der „zerklüfteten“ Oberkieferzahnreihe. Sie wünschte sich eine neue, minimalinvasive Versorgung ihrer Frontzähne – stabil und ästhetisch. Nach gemeinsamer Beratung fiel die Entscheidung auf eine erneute Rekonstruktion der Schneidekanten mit Komposit. Therapieziel Das Ziel der Therapie war es, eine natürliche Morphologie und einen ästhetischen Verlauf der Frontzähne herzustellen (Abb. 3). Als Material wählten wir das neue modifizierte Hybridkomposit Kalore von GC, das aufgrund einer neuen Monomertechnologie nur geringe Schrumpfungseigenschaften hat. Gleichzeitig ist es abrasionsfest und verfügt über eine natürliche Lichtbrechung. Damit ist das Material für eine ästhetische und langlebige Restauration von Frontzähnen sehr gut geeignet. Im Vorfeld müssen vor allem die funktionellen Parameter berücksichtigt werden. So zeigt zum Beispiel die Zahnstellung im Kopfbiss, wie viel Platz für eine folgende Restauration zur Verfügung steht, um deren Überkonturierung zu vermeiden (Abb. 4). Störende Interferenzen mit der Unterkieferfront können so vermieden werden. Vorbereitung Die Inspektion der palatinalen und inzisalen Strukturen erfolgt über einen Spiegel, da die gespiegelte Perspektive den Verlauf des Defekts gut wiedergibt. Der Behandler erhält Anhaltspunkte darüber, wo genau Komposit aufgetragen werden muss. Besonders die vestibulären Flächen des Zahnes sind zu berücksichtigen, vor allem im Kontext mit dem Verlauf des Frontzahnbogens (Abb. 5 und 6). Um sich schon vor Behandlungsbeginn mit der Morphologie der Zähne vertraut zu machen, ermöglicht die Analyse eines exakten Gipsmodells unter verschiedenen Blickwinkeln eine umfassende Bestandsaufnahme (Abb. 7 und 8). Der Patientin kann das angestrebte Ziel visua- 52 BZB Dezember 10 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 7 und 8: Am Gipsmodell wird die Bestandsaufnahme unter anderen Blickwinkeln, als sie im Mund möglich sind, vervollständigt. Abb. 9: Das Mock-up zur Visualisierung der angestrebten Situation Abb. 10: Von dieser Situation wird ein Silikonschlüssel erstellt. Abb. 12: Für die gezielte Konditionierung des Schmelzes werden die Nachbarzähne mit einem hauchdünnen Teflonband abgedeckt. Abb. 11: Abschrägen der Schmelzkanten bei 11 mit einem feinkörnigen Diamanten lisiert werden. Ein Mock-up nach idealen morphologischen Aspekten ist hierfür hilfreich (Abb. 9). Die Patientin sieht und spürt sofort die mögliche Veränderung. Außerdem kann eine erste farbliche Überprüfung vorgenommen werden. Mit dem Mock-up wird ein Silikonschlüssel von der palatinalen Fläche der Frontzähne gefertigt (Abb. 10). Erst danach werden die inzisalen Frakturkanten mit einem flammenförmigen Feinkorndiamanten angeschrägt (Abb. 11). Dadurch wird das retentive Muster erhöht und der Übergang des Komposits zum natürlichen Zahn kann gut verstrichen werden. Vor der nun folgenden Konditionierung des Schmelzes werden die Nachbarzähne mit einem Teflonband abgedeckt (Abb. 12 bis 15). Schichtung In den Silikonschlüssel wird an der Position des Zahnes 11, der zuerst behandelt wird, eine Schicht opaken Dentins aufgetragen. Der Schlüssel wird von palatinal gegen die Zahnreihe gesetzt. Zusätzlich wird das Komposit mit einem Heidemannspatel an die Zahnsubstanz adaptiert. Als zweite Schicht ergänzt Wissenschaft und Fortbildung Abb. 13: Vor dem Auftragen des Bonders wird die Präparationsgrenze mit Phosphorsäure geätzt. Abb. 14: Die kristalline, milchige Oberfläche des geätzten Schmelzes ist deutlich zu erkennen. BZB Dezember 10 Abb. 15: Applikation eines konventionellen Bonders Abb. 16: Der zuvor mit opakem Dentin befüllte Silikonschlüssel wird von palatinal angelegt. Mit einem Heidemannspatel wird das Material in die richtige Position gedrückt. Die natürliche Krümmung der Vestibulärfläche soll sich in der Schneidekante fortsetzen. Abb. 17: Überschichtung mit Enamel A2 Abb. 18 und 19: Ausarbeitung mit dem EVA-Kopf (KaVo) Enamel (A2) – ein Material aus dem Kalore-Sortiment, welches dem natürlichen Reflexionsverhalten von Schmelz sehr nahe kommt – die Schneidekante (Abb. 16). Im Anschluss an die Lichthärtung folgt die Ausarbeitung der Restauration. Hierzu eignet sich der EVA-Kopf (KaVo) mit vertikalem Hub gut. Die flache, einseitig gekörnte Feile vereinfacht die Konturierung (Abb. 17 bis 19). Die Zahnkonturen können bequem nachgearbeitet werden, ohne dass dabei unnatürliche Rillen entstehen. Es kann gleichmäßig und kontrolliert Material abgetragen sowie die individuelle Krümmung der vestibulären Kontur des Zahnes nachvollzogen werden (Abb. 20). Das Ergebnis ist ein fein auslaufender Übergang zwischen Zahnoberfläche und Komposit. Vor der Politur muss unbedingt die Funktion der Frontzähne mit Blaupapier kontrolliert und die Protrusionsbewegung entsprechend eingeschliffen werden (Abb. 21). Die natürliche Führungsbahn des noch nicht behan- 53 54 BZB Dezember 10 Wissenschaft und Fortbildung Abb. 20: Vorpolitur der Restauration an Zahn 11 Abb. 21: Überprüfen der Protrusions- beziehungsweise der Laterotrusionsbewegungen bei 11 mit Blaupapier Abb. 22: Nach der Rekonstruktion des Zahnes 11 wird der Zahn 21 behandelt. Phosphorsäureätzung an Zahn 21. Abb. 24 und 25: Die Inzisalkanten wurden mit einer opaken Bleachfarbe überzogen. Dezente Lichtreflexionsleisten werden als morphologische Gestaltungsmerkmale des Zahnes in der Füllung weitergeführt. So entsteht ein natürliches, dreidimensionales Erscheinungsbild des aufgebauten Frakturbereichs. Abb. 23: Auftragen der opaken Dentinschicht auf den Defekt an 21. Durch den indirekten Blick über einen Spiegel lässt sich die Form der labialen und approximalen Konturen gut kontrollieren und an den Nachbarzahn angleichen. delten Zahnes 21 dient hierbei – mit Ausnahme der dort fehlenden Mesialkante – als Referenz. Jetzt kann die mesiale Kante an 21 restauriert werden. Hierfür ist der Silikonschlüssel nicht notwendig. Nach dem üblichen Prozedere wird auch hier die Präparationsgrenze angeätzt (Abb. 22). Da der mesiale Schneidekantendefekt nicht groß ist, wird nach dem Auftragen des Bondings nur eine Dentinmasse (AO2) benutzt (Abb. 23). Um weißliche Schmelzeffekte zu imitieren und so die naturidentische Ästhetik zu unterstützen, kann abschließend eine opake Bleachfarbe (BW) aufgetragen werden. Damit lässt sich die natürliche Trübung des Schmelzes nachahmen. Um die diversen lichtreflektorischen Eigenschaften des natürlichen Zahnes zu imitieren, bietet das Kalore-System spezielle Farbkomponenten an (Abb. 24 und 25). Fazit Die Materialeigenschaften der Komposite haben sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Wir sind nun grundsätzlich in der Lage, direkte Restau- rationen herzustellen, die einem laborgefertigten Veneer nicht nachstehen. Mit den modernen Kompositen können direkte Veneers angefertigt, aber auch Frontzähne verlängert werden. Letzteres war früher bei ausgedehnten Defekten nur mit Keramik möglich. Das beschriebene System bietet aufgrund seiner materialtechnischen Eigenschaften und der neuartigen Monomertechnologie Vorteile und Möglichkeiten – sowohl im künstlerischen als auch im werkstoffkundlichen Bereich. Auch wenn es sich hierbei um ein „Premiumkomposit“ handelt, lohnt sich das System auch für eine einfache Schichtung wie im vorliegenden Fall. Die Verarbeitung und die Handhabung sind einfach. Die Farbwirkung der Frontzähne kann durch den Chamäleoneffekt gut imitiert werden. Die Adaption an die natürliche Zahnsubstanz ist hervorragend (Abb. 26 und 27). Da die individuelle Charakterisierung der Zähne erst nach genauer Analyse der morphologischen Beschaffenheit und der funktionellen Parameter vorgenommen wurde, fügen sich die beiden Versorgun- Wissenschaft und Fortbildung Abb. 26: Die polierte Restauration. Für ein harmonisches Gesamtbild wurde das inzisale Dreieck beachtet und die „rundliche“ Grundform der Zähne beibehalten. BZB Dezember 10 55 Abb. 27: Der Blick von inzisal zeigt die labiale und inzisale Gestaltung. gen an Zahn 11 und 21 harmonisch in das Gesamtbild ein (Abb. 28). Die Protrusionsbewegungen verlaufen flüssig und weich, ohne Störkontakte. Wer nur die schnelle Lösung im Blick hat, wird dem Patienten nicht gerecht. Bei rekonstruktiven Maßnahmen sollte immer eine umfassende Diagnostik im Sinne einer Funktionsanalyse und – wenn nötig – eine Funktionstherapie vorgenommen werden, sonst führt auch das innovativste Füllungsmaterial langfristig nicht zum Erfolg. Abb. 28: Das Strahlen der Patientin beweist die rundum gelungene, harmonische Frontzahnästhetik. Die natürliche und dem individuellen Funktionsmuster angepasste Gestaltung der Inzisalkanten unterstützt das naturidentische Erscheinungsbild der Restaurationen. Korrespondenzadresse: Ulf Krueger-Janson Stettenstraße 48, 60322 Frankfurt am Main [email protected] Literatur beim Verfasser Anzeige Komposit 3D NEU Natürliche Farb- und Formgestaltung von ZA Ulf Krueger-Janson Zahnarzt Ulf Krueger-Janson gilt weltweit als einer der renommiertesten Experten für funktionell-ästhetische Komposit-Chairside-Techniken. Sein neues Fachbuch widmet sich eingangs der Schulung der Sinne, um Formen, Konturen, aber auch die Farbe einzelner Zähne bewusster wahrzunehmen und zu reproduzieren. Sind die Sinne geschärft, geht es an die Umsetzung: Dazu beinhaltet das Buch eine praxistaugliche Arbeitsanleitung für einen unkomplizierten Schichtaufbau, sowie Tipps für den korrekten Umgang mit geeigneten Materialien und Gerätschaften. Schließlich bekommt der Leser die Chance die Technik des Autoren entsprechend der Lokalisierung der Füllungen und anhand von ausgesuchten Patientenfällen nachzuvollziehen. Insgesamt acht Kapitel, die durch ihre Didaktik, Gestaltung und die Brillanz der Bebilderung bestechen. Ein Buch das zugleich inspiriert, instruiert und motiviert. Ein „Must-have“ für jeden ambitionierten Praktiker. ca. 264 Seiten, ca. 1300 Abbildungen ISBN: 978-3-932599-28-6 Best.-Nr. 9028 In unserem Online-Bookshop präsentieren wir Ihnen alle Bücher aus dem Hause teamwork media. 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