Jugoslawien Der Zerfall eines Vielvölkerstaates

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Martin Lehrner
Jugoslawien
Der Zerfall eines Vielvölkerstaates
Historische Entwicklung am Balkan bis 1918
Bei der Teilung des römischen Reichs in Ost- und Westrom wurde die Trennlinie genau durch
Bosnien-Herzegowina gezogen.
Das Osmanische Reich breitete sich am Balkan aus und zu Katholiken und orthodoxen
Christen gesellten sich die Moslems. Vor allem in Bosnien kam es zur Islamisierung und
Durchmischung verschiedenster Völker und Konfessionen. Die Habsburger versuchten dem
Expansionsdrang der Osmanen durch die sogenannte “Militärgrenze” (Krajina) Einhalt zu
gebieten. Die “Wehrbauern” in diesem Gebiet genossen besondere Privilegien, mußten aber
das Land gegen die Osmanen verteidigen.
Ab dem 18. Jh. versuchten die Russen, die durch die Türkenkriege geschwächten Osmanen
vom Balkan zu vertreiben. Dennoch schaffte es der Westen, die Russen vom Balkan
fernzuhalten (Berliner Kongreß: autonomes Serbien, Rumänien und Montenegro).
1913 wurden die Türken in zwei Balkankriegen vom Balkan zurückgedrängt.
Im 1. WK kämpften Kroatien und Slowenien an der Seite von Österreich-Ungarn u.a. gegen
Serbien. Danach wurden Gewinner und Verlierer in einem Staat zusammengeschlossen.
Geschichte Jugoslawiens
Die Teilrepubliken Jugoslawiens gehörten bis 1918 zu Österreich-Ungarn, zum Osmanischen
Reich und zum Königreich Serbien. Am 29./30.10. 1918 erklärte der Nationalrat von Kroatien
bzw. von Bosnien und Herzegowina die Loslösung von Österreich-Ungarn. Die
montenegrinische Volksversammlung verkündete am 19.11. den Anschluß an Serbien. Der
serbische Thronfolger Alexander I. proklamierte am 1.12. das Königreich der Serben,
Kroaten und Slowenen (SHS).
Der Führungsanspruch der Serben wurde durch die zentralistische Verfassung von 1921
durchgesetzt. Daraufhin entwickelte sich das politische System immer mehr zur Anachie: der
Parlamentsboykott der kroatischen Abgeordneten in den ersten Jahren nach der
Staatsgründung, die Maipulation bei der Verabschiedung der Verfassung von 1921, der
Todeskampf des Parlamentariesmus in den nachfolgenden Jahren, das politsche Versagen der
Parteien, die Ineffizienz von Legislative und Exekutive, die Ermordung des kroatischen
Oppositionführer Radic 1928.
Die Einführung der Diktatur mit Scheinparlamentarismus 1929 konnte die wirtschaftlichen
und sozialen Probleme des neuen „Königreich Jugoslawiens“ nicht lösen.
Bei Beginn des 2. Weltkriegs neutral, wurde es am 6.April 1941 von Deutschland angegriffen
und mußte innerhalb weniger Tage kapitulieren. Bis auf Serbien, das der dt.
Militärverwaltung unterstellt wurde, und den von der rechtsextremen Ustascha am 10.April
proklamierten “Unabhängigen Staat Kroatien” wurde das jugoslawische Territorium unter
Italien, Deutschland, Ungarn und Bulgarien aufgeteilt.
Um genügend Kräfte für den geplanten Rußlandfeldzug zu haben, setzte Hitler bei der
Besetzung der Balkanstaaten auf Kollaborateure.
Im Unabhängigen Staat Kroatien brachte er deshalb die faschistische Ustascha-Bewegung
unter Führung von Ante Pavelic an die Macht. Die terroristische UstaschaUntergrundorganisation war 1929 im Exil gegründet worden, hatte sich jedoch nie zu einer
dem Nationalsozialismus vergleichbaren Massenbewegung entwickeln können. Nach 1941
stellte sie sich ganz in den Dienst der deutschen Besatzungsziele. Die Ustascha- Führung, die
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Serbenhaß, Antisemitismus und Antikommunismus verband, hing dem Ideal eines ethnisch
homogenen , katholischen Großkroatien an.
Mit Massenvertreibungen, Zwangstaufen, Verfolgung aller Art, bis hin zur Vernichtung,
versuchten sie, die ethnische Identität der kroatischen und bosnischen Serben auszulöschen.
Auch in anderen jugoslawischen Regionen wurden verschiedene Nationalitäten verfolgt. Vor
allem die nationalserbische eingestellten “Tschetniks” wollten ein ethnisch reines Großserbien
schaffen.
Unter der Führung Draza Mihailovic sahen sie sich in der Tradition der in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts gegen die Osmanen kämpfenden Freischärler. Neu war die Idee, das
künftige Großserbien durch Vertreibung und Verfolgung von Nicht-Serben zu einem ethnisch
einheitlichen Staat zu machen.
Um ihre Ziele zu erreichen, griffen sie zu äußerst brutalen Verfolgungsmethoden, besonders
gegenüber Kroaten und bosnischen Muslimen, und kollaborierten zeitweilig auch mit der
Deutschen Wehrmacht. Insgesamt sind während des 2. Weltkrieges rund eine Million
Jugoslawen zu Tode gekommen. Mehr als eine halbe Millon Serben, 200 000 Kroaten und
100 000 Muslime fielen dem Krieg und Rassenhaß zum Opfer.
Nach dem dt. Angriff auf Jugoslawien begann die Kommunistische Partei Jugoslawiens unter
dem 1937 an die Spitze gerückten Josip Broz, Deckname “Tito”, sich an die Spitze des
Widerstands zu setzen.
Trotz enormer Vernichtungsschläge der SS und der Deutschen Wehrmacht, stellte diese
Partisanenorganisation 1944 mit fast einer halben mio. Kämpfern die stärkste und größte
europäische Wiederstandsorganisation dar. Der “Antifaschistische Rat der Volksbefreiung
Jugoslawiens” ( AVNOJ ) beschloss auf einer Sitzung am 29./30. Nov. 1943, Jugoslawien
nach Kriegsende in einen sozialistischen Bundesstaat umzuwandeln. Die Kommunisten
rechneten nun auch mit den politischen Gegnern im eigenen Land , vor allem nationalistisch
eingestellten serbischen und kroatischen Kollaborateuren gnadenlos ab. Mehrere Zehntausend
Menschen fielen dieser Säuberungsaktion, die auch nach Kriegsende andauerte, zum Opfer.
Schließlich wurde am 29.11. 1945 die Republik ausgerufen. Die nat. Frage sollte durch die
Schaffung von sechs Volksrepubliken gelöst werden. In den Friedensverträgen von Paris
wurde das Staatsgebiet von 1941 wiederhergestellt.
Bundesrepublik Jugoslawien 1945-1980
Obwohl Jugoslawien seit 1946 Bundesstaatlich organisiert war, blieben administrativer
Sozialismus, demokratischer Zentralismus und staatliche Planung in fast allen
gesellschaftlichen Bereichen zunächst prägend. Ein maßgebliches Mitwirken der Republiken
an den Entscheidungen der kommunistischen Bundesregierung, das höchste Verwaltungs- und
Executivorgan, war fast ausgeschlossen.
Seit dem immer stärkeren Aufflammen von regionalen und nationalen Bestrebungen wurden
Partei und Staat seit Mitte der sechziger Jahre schrittweise föderalisiert. Jedoch verlief die
neue Entwicklung in eine falsche Richtung, so sprach man einige Jahre später bereits von
einer Überföderalisierung des Jugoslawischen Systems.
Nach dem Tod Titos (Mai 1980), der über Jahrzehnte die Einheit und Unabhängigkeit des
Vielvölkerstaates verkörperte und diese Einheit mit harter Hand durchsetzte, wurde eine
Ämterrotation auch an der Staats- und Parteispitze eingeführt. Der Vielvölkerstaat
Jugoslawien bestand aus den sechs Teilrepubliken Bosnien und Herzegowina, Kroatien,
Makedonien, Montenegro, Serbien, und Slowenien sowie den beiden autonomen Provinzen
Kosovo und Vojvodina.
Die Bevölkerung setzte sich zusammen aus 42 Prozent Serben, 24 Prozent Kroaten, neun
Prozent Slovenen, fünf Prozent Makedoniern sowie Italienern, Albanern und anderen
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Minderheiten. 32 Prozent waren römisch-katholischen Glaubens (vor allem Kroaten und
Slowenen), zwölf Prozent Muslime (zumeist Bosnier).
Das Auseinanderbrechen des Bundesstaates
Nach dem Tod Titos dauerte es zehn Jahre, bis die Föderative Republik auseinanderbrach. Die
Rechte der Teilrepubliken wurden in mehreren Verfassungsänderungen erheblich erweitert.
Der Zentralregierung verblieben letztlich nurmehr die Außen- und Verteidigungspolitik. Die
traditionellen Rivalitäten zwischen den einzelnen Völkern traten schon bald wieder deutlich
hervor. Zielscheibe der Kritik war vor allem die Dominanz der Serben in der
Zentralregierung.
Schon bald folgten den Forderungen nach mehr Eigenständigkeit der Teilrepubliken
ernsthafte Separationsbestrebungen. Zu einem ersten ernsthaften Konflikt kam es im Kosovo.
Die überwiegend von Albanern bewohnte Provinz war ebenso wie die nördliche Vojvodina
unter Tito 1974 aus Serbien herausgelöst worden und hatte den Status einer autonomen
Provinz erhalten. Sie war damit rechtlich den sechs Republiken gleichgestellt. Mitte der
achtziger Jahre wurden die nationalistischen Rufe der albanisch-muslimischen Bevölkerung
nach Unabhängigkeit immer lauter.
Die serbisch-jugoslawische Führung reagierte mit immer schärferen Repressionen. 1989
wurde schließlich die Autonomie des Kosovo eingeschränkt. Die Beziehungen unter den
jugoslawischen Republiken wurde immer angespannter.
Slowenien unterstützte das Begehren des Kosovo auf Eigenständigkeit. Daraufhin verhängten
die Serben einen Handelsboykott gegen Slowenien, das seinerseits die Zahlungen in die
jugoslawische Bundeskasse einstellte.
1991 erklärten Slowenien, Kroatien und Makedonien ihren Austritt aus der Föderation.
Unmittelbar nach ihren Unabhängigkeitserklärungen brachen in Slowenien und
Kroatien im Sommer 1991 erste Kämpfe zwischen den Republikarmeen und der
jugoslawischen Bundesarmee sowie serbischen Freischärlern aus. Im April 1992 griff der
Krieg auf Bosnien-Herzegowina über. Während sich die Republikführungen in Slowenien und
Kroatien auf das von der UNO garantierte Selbstbestimmungsrecht der Völker beriefen,
hielten die serbische Führung und die jugoslawische Bundesarmee entgegen, daß die
international anerkannten Grenzen Jugoslawiens nicht einseitig, ohne die Zustimmung aller
Staatsvölker , verändert werden dürften. Die Serben forderten die Lösung der "serbischen
Frage", worunter der Zusammenschluß der von Serben besiedelten Länder in einem Staat zu
verstehen ist.
Vor dem Krieg lebten rund 600 000 Serben in Kroatien , und etwa 1,4 Millionen in Bosnien.
Die kroatischen und bosnischen Serben drohten deshalb, sich von Kroatien und Bosnien
abzuspalten, sollten die beiden Republiken Jugoslawien verlassen. Sie verlangten, ähnlich wie
zuvor Slowenien und Kroatien, die Verwirklichung ihres Selbstbestimmungsrechts.
Die politischen Führungen in Zagreb und Sarajewo beriefen sich unterdessen auf die
staatsrechtliche Legitimität und territoriale Integrität ihrer Republiken. Es stellten sich nun, in
diesem Zerfall-Prozeß eines Vielvölkerstaates, schwerwiegende Probleme: Wie das
international anerkannte Selbstbestimmungsrecht der Völker interpretiert werden sollte, wo
die Grenzen zwischen den jugoslawischen Nachfolgestaaten verlaufen sollten, wer
Rechtsnachfolger des zerfallenen Jugoslawien werden sollte und wie Schulden und Vermögen
zwischen den Republiken aufgeteilt werden sollten.
Die Staaten der EU waren unterschiedlicher Meinung hinsichtlich der Beantwortung dieser
Fragen. Mit Ausnahme Deutschlands wollten sie Jugoslawien zusammenhalten um
Präzedenzfälle für andere Staaten zu vermeiden. Auf deutschen Druck beschlossen die
Mitgliedsstaaten der EU im Dezember 1991, die Teilrepubliken, sofern sie dies wünschten,
als unabhängige Staaten anzuerkennen.
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Voraussetzung war, daß die Kandidaten
-die Menschen- und Minderheitenrechte wahrten,
-die bestehenden Grenzen respektierten
-demokratische Herrschaftsprinzipien einführten.
Im Januar 1992 wurden sowohl Slowenien, Kroatien und im April desselben Jahres BosnienHerzegowina als unabhängige und souveräne Staaten anerkannt.
Fortlauf des Bürgerkrieges und Friedensvertrag von Dayton
Mit den Unabhängigkeitserklärungen verschärfte sich nun im Jan. 1992 die innenpolit. Lage.
Trotz der internationalen Anerkennung kam es in Bosnien und Herzegowina zu heftigen
Kämpfen, vermehrt auch in und um Sarajewo, wobei wiederum serbische Freischärler
Gebietsgewinne erzielten.
Die Stationierung von UN-Friedenstruppen in Kroatien (März 1992) und BosnienHerzegowina (Juni 1992) konnten den Bürgerkrieg nicht beenden.
1994 begannen Bosnier und Kroaten militärisch zu kooperieren, im März 1995 schlossen sie
auch formal eine Allianz. Mitte 1995 begann sich das Blatt zugunsten der neuen Allianz zu
wenden.
Nach der Rückeroberung der von Serben besetzten Krajina durch Kroatien und Luftangriffen
der NATO auf serbische Stellungen in Bosnien kommt es im November 1995 zur
Unterzeichnung eines Friedensvertrages in Dayton, USA.
Kosovokrieg 1999
1974 wird der autonomen Provinz Kosovo eine umfassende Autonomie zugestanden. Im
Kosovo leben ca. 80 Prozent Albaner und 10 Prozent Serben. 1989 hebt das serbische
Parlament die Autonomie auf verfassungswidrigen Weg auf. Es kommt immer wieder zu
Konflikten zwischen Serben und Albanern. Die UCK wird 1996 aktiv. 1998 beginnen
Kämpfe zwischen UCK und Armee, viele Menschen werden daraufhin vertrieben. Im Oktober
1998 kommt es zu einem Abkommen unter der Drohung eines NATO Luftangriffes:
Milosevic verpflichtet sich zu einem weitgehenden Rückzug der serbischen Streitkräfte, und
akzeptiert, daß OSZE-Beobachter im Kosovo stationiert werden. Doch die Kämpfe brechen
von neuen aus. Im Februar 1999 beginnen die ersten „Verhandlungen“ in Rambouillet, aber
ohne Erfolg. Das zweite Diktat verläuft auch nicht posetiv, da auf die von Seiten der NATO
gestellten Forderungen nie eingegangen werden kann (siehe Annex B).
Daraufhin startet die NATO, ohne UNO-Mandat, einen Angriffskrieg gegen Jugoslawien.
Die Lage verschlechtert sich immer mehr. Auf lange Zeit ist keine Lösung in Sicht!
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