VORLESUNGEN OBER E L E K T R I Z I 1~ArI~ VON PROFESSOR A. EICHENW ALD DIPL.-ING. (PETERSBURG) . DR. PHIL. NAT. (STRASSBURG) DR. PHYS. (MOSKAU) MIT 640 ABBILDUNGEK BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER I9 28 ISBN-13: 978-3-642-47156-8 e-ISBN-13: 978-3-642-47454-5 DOl: 10.1007/ 978-3-642-47454-5 Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1928 ALLE RECHTE VORBEHALTEN DEM ANDENKEN AN PROFESSOR DR. FERDINAND BRAUN GEWIDMET Vorwort. Dieses Buch ist aus Experimentalvorlesungen entstanden, die ich an den technischen Hochschulen und an' der Universitat in Moskau gehalten habe; es hat auch an mehreren Stellen den Charakter einer Vorlesung beibehalten. Der Zweck des Buches ist, als Einfiihrung in die Elektrizitatslehre zu dienen, eine Ubersicht iiber ihre mannigfaltigen Gebiete zu gestatten und zum weiteren Studium anzuregen. Das Buch besteht aus drei Teilen. - Der erste Teil, der wichtigste, ist den anderen zwei an Umfang weit iiberlegen. - Er fUhrt den Leser von den einfachsten uralten Experimenten allmahlich bis an die Grenze der modernen Relativitatstheorie; die letztere liegt aber au13erhalb des Rahmens dieses Buches. Das Studium dieses ersten Teiles ist in un serer Zeit, noch mehr als zuvor, dem Physiker wie dem Ingenieur von grundlegender Bedeutung. - Der zweite Teil beschreibt kurz die Erscheinungen, die mit dem atomistischen Bau der Elektrizitat, also mit Elektronen eng zusammenhangen, wie Elektrolyse, Gasentladungen und Radioaktivitat. - Der dritte Teil behandelt die periodischen Bewegungen der Elektrizitat, Wechselstrome, elektrische Schwingungen und Wellen mit ihren wichtigsten technischen Anwendungen und schlieHt mit der Quantentheorie der Strahlung. Die Darstellung ist durchweg elementar gehalten. Nichtsdestoweniger habe ich auf quantitative Beziehungen besonderen Wert gelegt, und im Anhang ist ein Abri13 der MAXWELLschen Theorie gegeben. Dieser Anhang solI das im ersten Teile Dargelegte kurz zusammenfassen und einen Ubergang zum weiteren Eindringen in die moderne Elektrizitatslehre bilden. Das Buch ist nicht jetzt erst entstanden, denn in russischer Sprache sind seit 1911 schon 5 Auflagen in etwa 35000 Exemplaren erschienen; die deutsche Ausgabe kann demnach als die 6., und zwar vollig umgearbeitete Auflage angesehen werden. Den Firmen Leibolds Nachf., Koln, Hartmann & Braun, Frankfurt a. M., Siemens & Halske, Berlin, danke ich fUr die Erlaubnis, ihre Abbildungen zu benutzen. Besonders aber spreche ich dem Verlag Julius Springer, Berlin, fiir die schone Ausstattung des Buches meinen verbindlichsten Dank aus. Prag, Dezember 1927. A. EICHENWALD. Inhaltsverzeichnis. Erster Teil. Das elektromagnetische Feld. I. Elektrosta tik. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. Reibungselektrizitat Influenzelektrizitat . Das elektrostatische Feld Leiter im elektrischen Felde Isolator im Felde . . . Elektrische Energie Elektrische Kapazitat Elektrostatische Apparate und Messungen. Seite 1 17 27 45 49 61 75 84 II. Der konstan te elektrische Strom. 1. Grunderscheinungen. . . . . . . . . . . . . . 2. 3. 4. 5. 6. Erzeugung und Beobachtung konstanter Strome. Die Gesetze des konstanten elektrischen Stromes Apparate und Messungen . . . . Warmewirkungen des elektrischen Stromes Thermoelektrizitat . . . 1. 2. 3. 4. Grundversuche. . . . . . . . . . . Das magnetische Feld. . . . . . . . Magnetische Eigenschaften der Korper Ferromagnetismus . . . . . . . . . 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Das magnetische Feld des elektrischen Stromes. . . Kraftwirkung eines Magnetfeldes auf den Stromleiter Die Arbeit der elektromagnetischen Krafte Der magnetische Kreis . . . . . . . . . . Anwendungen der Elektromagnete . . . . . Elektromagnetische Induktionserscheinungen Die Induktionskoeffizienten . . . . . . . . Elektromagnetische Instrumente und Messungen Die Einheiten . . 101 104 109 122 137 149 III. Der Magnetismus. 155 163 180 184 IV. Elektromagnetismus. 191 205 219 229 235 242 254 263 285 V. Das elektromagnetische Feld. 1. Spannungszustand im elektromagnetischen Felde 2. Elektrische Konvektion. . 3. Die MAXWELLsche Theorie. . . . . . . . . . . 292 297 303 Inhaltsverzeichnis. VII Zweiter Teil. Elektronen. VI. Elektrolyte. Seite 1. 2. 3. 4. 5. Einfiihrung Elektrolyse. Bewegung der Ionen Die elektromotorische Kraft. Anwendungen der Elektrolyse 320 332 337 350 356 1. 2. 3. 4. VII. Elektrischer Strom in Gasen. Kathodenstrahlen. Anodenstrahlen. LeiWihigkeit der Gase Gasentladungen. 374 381 390 363 VIII. Radioaktivitat. 1. Grunderscheinungen. . . . . . . . . . 2. Theorie der radioaktiven Erscheinungen 3. Weitere Untersuchungen . . . . . . . 401 406 412 IX. Elektronen theorie. 1. Elektrische Erscheinungen. 2. Magnetische Erscheinungen . . . . . . . . . . . . 418 426 Dritter Teil. Wechselstriime, elektrische Schwingungen und Wellen. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. X. Wechselstrbme. Schwingungslehre. . . . . Gesetze der Wechselstrbme Mehrphasenstrbme . . . . Deformation der Stromkurve Instrumente und Messungen. Gleichstrommaschinen. . . . Wechselstrommaschinen. . . 1. 2. 3. 4. XI. Elektrische Schwingungen und Wellen. Elektrische Schwingungen. . . . . . Elektrische Wellen langs Drahten . . Elektromagnetische Wellen im Raume Radiotechnik. . . . . . . . . XII. Elektromagnetische Atomstrahlung. 1. Lichtstrahlen. 2. Rbntgenstrahlen 3. Quantentheorie. Schl uBwort . . . Das elektromagnetische Spektrum Allgemeine physikalische Konstanten 437 451" 474 478 481 495 506 512 537 550 564 578 594 611 636 637 638 Anhang. Die MAXWELLsche Theorie. I. Einleitung . . . . . . . II. Das elektrostatische Feld III. Das elektromagnetische Feld. Sachverzeichnis . . . . . . 639 643 652 659 Abbildungen. Die Mehrzahl der in diesem Buche reproduzierten Abbildungen (etwa 500) sind von mir selbst oder nach meinen Skizzen ausgefiihrt worden. Die aus Originalarbeiten stammenden Zeichnungen und Photographien sind mit Quellenangabe versehen. AuBerdem sind von mir noch die folgenden Abbildungen als Vorlagen benutzt worden: 66: Kraftlinien eines ebenen Kondensators. aus MtlLLER-POULLIETS Lehrbuch der Physik undMeteorologie. 10. Aufl .• IV. Bd. Braunschweig: F. Vieweg & Sohn 1909. Abb. 361. 362. 373. 374: aus G. BENISCHKE: Die wissenschaftlichen Grundlagen der Elektrotechnik. 6. Aufl. Berlin: Julius Springer 1922. Abb. 519. 532. 533: aus J. ZENNECK. Elektromagnetische Schwingungen und drahtlose Telegraphie. Stuttgart: F. Enke. 1905. Abb. 603: verdanke ich Herrn Dr. B. POLLAND in Prag. Abb. Die folgenden Firmen stellten mir ihre Zeichnungen und Photographien zur Verfiigung: HARTMANN & BRAUN. Frankfurt a. M. - MeBinstrumente. Abb. 130. 131. 158. 278. 280. 283. 285. 292. 293. 337. 468. 469. Abb. Abb. LEIBOLDS NACHFOLGER. K51n a. Rh. - Elektrische Apparate. 78. 83. 84. 85. 87. 90. 118. 133. 134. 157. 163. 164. 165. 166. 174. 187. 190.193. 220. 251. 271. 304. 330. 338. 339. 343. 345. 477. 523, 556. 557. 558. SIEMENS & HALSKE. SIEMENS-SCHUCKERT. SIEMENS-REINIGER-VEIFA. Berlin. 81. 276. 277. 377. 378. 476. 507. 508. 583. 590. 601. 602. 604. 605. Berichtigung. Auf Seite 312. 313 muE iiberall POYNTING statt POINTING stehen. Erster Teil. Das elektromagnetische Feld. I. Elektrostatik. 1. ReibungselektrizWit. 1. Elektrisierung durch Reibung. Jedermann hat wohl selbst einmal beobachtet, wie eine Siegellackstange, nachdem sie an irgendeinem wollenen Stoff, z. B. am Rockarmel, gerieben wird, leichte K6rperchen - Papierschnitzel, kleine Federchen oder Strohhalme - anzieht (Abb.1). Die angezogenen Papierschnitzel bleiben am Siegellack eine Zeitlang haften, fallen dann herunter; manchmal wemen sie aber sogar sehr lebhaft abgestoBen. Wie unbedeutend dieser einfache Versuch auch scheinen mag, ist er dennoch fur die Elektrizitatslehre von fundamentaler Bedeutung, und wir werden im folgenden mehrmals auf ihn zuruckkommen. Wir wahlten Siegellack, Wolle und Papierschnitzel nur, weil diese ( , ,Gegenstande am bequemsten zu haben sind. Aber wir k6nnten statt Siegellack auch Glas, Hartgummi oder Bernstein nehmen; statt Wolle k6nnten wir ebensogut irgendein Fell, Seide, Leder u. a. Stoffe als Reibzeug benutzen. Abb.1. Elektrisierte Siegellackstange. Mit einigen VorsichtsmaBregeln; welche wir weiter unten kennenlernen werden, gelingt der Versuch uberhaupt mit jedem beliebigen Stoff, und es gilt eine ganz allgemeine Regel: Alle K6rper werden durch Reibung in einen besonderen Zustand versetzt, in welchem sie auf andere K6rper gewisse Krafte ~ Anziehung oder AbstoBung - ausuben. Diese Krafte unterscheiden sich wesentlich von anderen Naturkriiften, z. B. von der Gravitation und vom Magnetismus. Der englische Arzt W. GILBERT (1600), der diesen Unterschied besonders hervorhob und durch Versuche klarstellte, hat auch deswegen fur sie einen besonderen Namen vorgeschlagen: er nannte sie elektrische Kriijte, vom griechischen Worte Elektron, d. h. Bernstein (Bernsteinkrafte); am Bernstein wurde namlich die Anziehung leichter Strohhalme schon im Altertum beobachtet. Die GILBERTsche Terminologie hat sich eingeburgert. Man sagt jetzt von den K6rpern, welche elektrische Krafte auBern, sie sind elektrisiert, oder sie sind im elektrischen Zustande, oder endlich sie sind mit Elektrizitiit geladen. Eichenwald, Elektrizitat. 2 I. Elektrostatik. Der letzte Ausdruck deutet schon darauf hin, daB wir die elektrischen Krafte nicht den Korpern selbst zuschreiben, sondern vielmehr einem besonderen Agens, namlich der Elektrizitiit, welche auf den Korpern nach der Reibung zum Vorschein kommt. Diese Auffassug enthalt eigentlich eine gewisse Hypothese; aber diese Hypothese hat sich im weiteren durchweg bestatigt, und wir konnen diese Terminologie auch jetzt unbedenklich gebrauchen, zumal sie sehr bequem und anschaulich ist. Wir werden im folgenden sehen, daB die Elektrizitat nicht allein durch Reibung, sondern auch durch Einwirkung von Warme, Licht, Magnetismus und sogar auf chemischem Wege erzeugt werden kann. Aber aIle diese Mittel wollen wir vorlaufig beiseite lassen, denn unser nachster Zweck wird das allseitige Studium der elektrischen Krafte sein, und hierfiir ist die Elektrizitatserregung durch Reibung am bequemsten. 2. Gegenseitige Elektrisierung. Vor allem miissen wir bemerken, daB, wenn ein Korper A am Korper B gerieben wird, sich gleichzeitig der Korper B am Korper A reibt. Wenn also Siegellack beim Reiben mit Wolle elektrisch wird, so ergibt sich eine natiirliche Frage, ob dabei die Wolle nicht ihrerseits elektrisiert wird. Der Versuch zeigt, daB dieses in der Tat so ist: die Wolle ebenso wie der SiegeIlack werden elektrisch. Bei einiger Ubung im Experimentieren kann man namlich zeigen, daB auch die Wolle nach dem Reiben am Siegellack kleine Papierschnitzel anzuziehen vermag. Uberhaupt zeigen aIle Versuche, daB bei gegenseitiger Reibung zweier beliebiger Korper auch die Elektrisierung eine gegenseitige ist. 3. Ubergang der Elektrizitat. Der elektrische Zustand kann einem Korper, auch ohne Reibung, durch Abb. 2. Zwei Zigarettenhulsen bloBe Beriihrung mit einem andern schon elektrisierten am Seidenfaden. Korper erteilt werden. Urn das zu zeigen, hang en wir irgendeinen leichten Korper, z. B. einen Strohhalm oder eine Zigarettenhiilse, an einem Seidenfaden auf (Abb. 2). Beriihren wir den Strohhalm mit einem Stiick an Wolle geriebenen Siegellacks, so werden leichte Papierschnitzel auch von diesem Strohhalme in kleiner Entfernung angezogen und bleiben an ihm haften. Das bedeutet eben, daB die auf dem Siegellack durch Reibung entstandene Elektrizitat beim Beriihren des Strohhalmes, wenigstens teilweise, auf den letzteren iibergegangen ist. 4. Elektrische AbstoBung. Wenn wir den zuletzt beschriebenen Versuch aufmerksam verfolgen, so werden wir folgendes berner ken: Beim Annahern des Siegellacks an den hangenden Strohhalm und bevor sie sich noch beriihrt haben, zieht der Siegellack den Strohhalm an, aber unmittelbar nach ihrer gegenseitigen Beriihrung wird der Strohhalm yom Siegellack abgestoBen. Hangen an dem Seidenfaden zwei Strohhalme oder zwei Zigarettenhiilsen, so werden sie nach erfolgter Elektrisierung nicht nur yom Siegellack abgestoBen, sondern sie stoBen sich auch gegenseitig ab, wie es in der Abb. 2 gezeichnet ist. Aus derartigen Versuchen konnte man zunachst schlieBen, daB die elektrische Anziehung dann erfolgt, wenn der eine Korper elektrisiert ist und der andere nicht; sind beide Korper elektrisch, so stoBen sie sich ab. Aber diese Regel wird sich im weiteren nicht bestatigen und ein solcher SchluB muB als verfriiht angesehen werden. 5. Elektroskop. Ehe wir durch weitere Versuche zu einer richtigen Regel kommen, konnen wir die gewonnenen Tatsachen schon jetzt benutzen, urn einen 3 1. Reibungselektrizitat. Apparat zu bauen, welcher uns den elektrischen Zustand eines Karpers bequem nachzuweisen und sogar die Starke der Elektrisierung, wenigstens annahernd, zu schatzen erlaubt. Einen solchen Apparat nennt man Elektroskop. Das einfachste Elektroskop besteht aus zwei Papierstreifen, die an einem Seidenfaden aufgehangt sind (Abb. 2). Elektrisiert man die Papierschnitzel durch Bertihrung mit einem elektrisierten Karper, so stoBen sie sich ab und bilden einen Divergenzwinkel, dessen GraBe uns als ein MaB der Elektrisierung dienen kann. Dieses einfache Elektroskop hat aber verschiedene Nachteile, die bei unsern weiteren Untersuchungen tiber die Eigenschaften der Elektrisierung allmahlich zum Vorschein korilmen werden. Viel besser ist ein Elektroskop folgender Konstruktion (Abb. 3). An einem dicken Kupferdraht D, welcher oben mit einer glatt en Kugel versehen ist, II hangen zwei sehr dtinne Aluminiumblattchen EE aus Aluminiumfolie, etwa 0,1 mm dick. Der Draht D wird von einem Hartgummipfropfen B getragen derart, daB die Aluminiumblattchen in die Mitte einer metallischen zylinderfarmigen Blechdose A zu hangen kommen. Die ebenen Seiten der Dose sind mit Glasfenstern versehen, durch die man die Divergenz der Aluminiumblattchen beobachten kann. Bertihren wir die Kugel emit irgendeinem elektrisierten z Karper, so verteilt sich die Elektrizitat auf die Kupferstangt' Abb. 3. Aluminium· und auf die beiden Aluminiumfolien; die Aluminiumfolien blAttcben·Elektroskop. stoBen einander ab und bilden einen Winkel, den man durch die Glasfensterchen beobachten kann. Je starker die Aluminiumblattchen elektrisiert werden, desto graBer wird auch der Divergenzwinkel sein. Mit dies em Apparat kannen wir bequem die Elektrisierung der verschiedensten Karper bei ihrer gegenseitigen Reibung oder Bertihrung nachweisen. ! /I /I B ! z Abb.4. Dbergang der Elektrizitat von einem Elektroskop zum andern. Abb. 5. Zwei Elektroskope durch einen Nichtleiter verbunden bleiben elektrisch isoliert voneinander. 6. Leiter und Isolatoren. Mit zwei Elektroskopen der angegebenen Bauart kann man sehr demonstrativ den Ubergang der Elektrizitat von einem Elektroskop zum anderen zeigen. Man braucht dabei die Kugeln der Elektroskope nicht in unmittelbare Beriihrung zu bringen; es gentigt, die beiden Kugeln durch irgendeinen dritten Karper zu verbinden. Aber nicht aIle Karper sind dazu in gleichem Grade geeignet. Es seien E1 und E2 zwei maglichst gleiche Elektroskope (Abb.4 u. 5). Auf ihre Kupferstangen setzen wir statt Kugeln ausgehobelte Kupferstticke oder Haken auf, die uns die verschiedenen Verbindungsstabe, wie AB, auf die 1* 4 I. Elektrostatik. beiden Elektroskope bequem aufzulegen erlauben. 1st der Verbindungsstab aus Metail und wir elektrisieren das eine, z. B. das linke Elektroskop E 1 , so werden wir sehen, daB auch die Blattchen des zweiten Elektroskops E2 divergieren. Die Zeit, wahrend welcher die Elektrizitiit yom ersten Elektroskop zum zweiten iibergeht, ist so klein, daB wir gar nicht beobachten kannen: beide Elektroskope laden sich scheinbar gleichzeitig. Der metallische Verbindungsstab kannte bei solchen Versuchen auch vielmalliinger, sogar mehrere Kilometer lang genommen werden; es wird uns immer scheinen, daB beide Elektroskope sich gleichzeitig laden. So schnell bewegt sich die Elektrizitiit in den Metallen. - Man nennt deshalb die Metalle gute Leiter der Elektrizitiit. Etwas anderes beobachtet man, wenn das Verbindungsstiick A B nicht aus Metall, sondern etwa aus Holz oder Karton gemacht ist. Dann kannen wir das linke Elektroskop El mit Elektrizitiit laden und ruhig einige Sekunden abwarten, bis die Ladung auch auf dem zweiten Elektroskope E2 erscheint. Solche Karper, wie Holz und Papier, nennt man schlechte Leiter der Elektrizitiit oder auch Halbleiter. Nehmen wir endlich den Stab A B aus trockenem Glas (Abb. 5), aus Hartgummi oder aus Siegellack, so wird sich das zweite Elektroskop E2 iiberhaupt nicht laden, wie stark wir das erste Elektroskop El auch laden magen. Die zwei Elektroskope verhalten sich so, als ob sie durch den Stab A B gar nicht verbunden wiiren und ganz unabhiingig oder, wie man sagt, isoliert voneinander bleiben. Karper wie Glas, Hartgummi oder Siegellack nennt man daher Nichtleiter der Elektrizitiit, oder auch Isolatoren. Fiir diese Karper wird auch oft die Bezeichnung Dielektrika gebraucht aus Griinden, die wir spiiter erartern werden. In der angegebenen Weise kannen wir die verschiedensten Karper auf ihre Fiihigkeit, die Elektrizitiit fortzuleiten, untersuchen, und so aIle Karper in drei Klassen einteilen: Leiter, Halbleiter und Isolatoren. Am wichtigsten werden fiir uns die folgenden Materialien sein. Gute Leiter: aile Metalle, unter ihnen auch Quecksilber; Wasserlasungen von Sauren .und Salzen; der menschliche Karper, feuchte Erde; auch Flammen und sehr verdiinnte Gase leiten verhiiltnismaBig gut. Halbleiter: Holz, Papier, Stroh, Schiefer, Marmor u. a. m. Isolatoren: vor allem Bernstein und Quarz, sodann Flintglas, Paraffin, Harze, Siegellack, Hartgummi, Schwefel, Seide, Wolle, Porzellan, Ole, Gase und Dampfe in normalem Zustande und endlich der leere Raum (Vakuum oder Weltather). Es versteht sich von selbst, daB diese Einteilung der K6rper in drei Klassen nur den Zweck einer vorliiufigen Orientierung hat und daB in der Natur die Leiter von den Isolatoren iiberhaupt nicht scharf zu trennen sind, denn bei strengerer Untersuchung erweisen sich alle Naturk6rper fiir die Elektrizitat als mehr oder weniger gut leitend. AuBerdem muB man beachten, daB die Fiihigkeit, die Elektrizitiit zu leiten (die elektrische Leitfiihigkeit) eines und desselben K6rpers oder Materials noch von verschiedenen Nebenbedingungen abhiingen kann. So ist z. B. das Wasser, wenn es mit der graB ten Peinlichkeit gereinigt ist, ein Halbleiter; aber schon die geringsten Verunreinigungen, d. h. gel6ste Stoffe in geringster Menge, machen es zum gut~n Leiter der Elektrizitiit. Das Wasser, das sich aus der feuchten Luft sehr oft an den elektrischen Apparaten niederzusetzen pflegt, ist nicht mehr rein und leitet die Elektrizitat sehr gut. Gase und Dampfe sind, wie wir schon gesagt haben, sehr gute Isolatoren. Unsere zwei Elektroskope (Abb. 5), auch ohne den Verbindungsstab AB, sind ja stets mit derselben Luft in Beriihrung und bleiben dennoch in elektrischer 1. Reibungselektrizitat. 1) Beziehung isoliert voneinander. Aber bei sehr hohen Temperaturen, wie in Flammengasen, und bei sehr groBer Verdunnung, wie in den bekannten Geisler~ rahren, sind Gase und Dampfe keine Isolatoren mehr. Manchmal leitet ein Karper nur auf seiner Oberfliiche, indem sein Inneres die Isolationsfahigkeit nicht verliert. So ist z. B. Glas als Material ein Isolator, aber wenn die Luft im Experimentierzimmer feucht ist und die Feuchtigkeit sich auf dem hygroskopischen Glase in Form von einer dunnen Wasserhaut niedersetzt, die ja als eine Wasserlosung verhiiltnismiiBig gut leitet, so verliert auch der Glaskorper seine Isolierfiihigkeit. Solch ein feuchter Glasstab, wenn auch dessen Feuchtigkeit nicht direkt wahrgenommen wird, wird in dem Versuche Abb. 4 sich etwa ebenso verhalten wie ein Holzstab. Erwarmt man den Glasstab, so verdampft die Wasserhaut und seine Isolierfahigkeit stellt sich wieder ein. Erwarmt man das Glas so stark, daB es weich wird, so leitet nicht nur seine Ober£lache, sondern der ganze Glaskarper wird leitend. Das englische Flintglas (Bleiglas) ist nicht so hygroskopisch wie das gewohnliche Glas, und auf seiner Oberfliiche wird eine Wasserhaut nicht so leicht gebildet; deshalb wird Flintglas oft in den elektrischen Apparaten verwendet, welche gut isolieren sollen. Sonst verwendet man meistens gewohnliches Glas und bedeckt seine Oberflache mit einer dunnen Schicht von Schellack, welcher nicht so hygroskopisch ist wie das Glas. Hartgummi ist ein vorzuglicher Isolator, und dank seiner Festigkeit wird er sehr oft in den verschiedensten elektrischen Apparaten benutzt; er ist auch nicht so hygroskopisch wie Glas. Aber auch Hartgummiisolatoren konnen mit der Zeit ihre Isolierfiihigkeit verlieren, denn ihre Oberfliiche, namentlich durch langdauernde Belichtung, erleidet eine chemische Zersetzung, nimmt Feuchtigkeit an und wird leitend. Man sieht das schon an der braungewordenen Ober£liiche des schwarz en Hartgummis. Urn bei solchem Hartgummi seine Isolierfahigkeit wieder herzustellen, ist es ratsam, seine Ober£lache mit metallfreiem Sandpapier abzureiben. Die leitende Schicht wird dabei entfernt. Der beste Isolator fUr die feinsten elektrischen Apparate ist Bernstein und Quarzkristall. 7. Ableitung zur Erde. Der Erdboden enthalt groBtenteils genugend Feuchtigkeit, urn als Leiter der Elektrizitat qualifiziert zu werden. Wird irgendein elektrischer Leiter mit der Erde leitend verbunden, so verbreitet sich seine Elektrizitat im Erdboden, und der betreffende Leiter verliert fast seine ganze Ladung. Das kann man leicht an jedem Elektroskope zeigen. Laden wir ein Elektroskop und beruhren sodann seine Kugel mit dem Finger, so klappen die Elektroskopblattchen sofort zusammen: die Elektrizitat ist verschwunden. Die Erklarung ist die: unser Korper ist ein Leiter, wir stehen auf einem leitenden Boden, welcher mit der Erde auch leitend (vermittels Wasser- oder Gasleitungen) verbunden ist; die Elektrizitat kann also yom Elektroskope frei zur Erde abflieBen. Dasselbe Resultat erhalten wir auch dann, wenn wir die Elektroskopkugel nicht direkt mit dem Finger beriihren, sondern mit irgendeinem MetaHstab, den wir in der Hand halten. Daraus sehen wir, daB jeder Leiter, den wir mit Elektrizitat dauernd laden wollen, vor aHem von der Erde isoliert sein muB. Das ist der Grund, warum wir den Strohhalm (Abb. 2, S.2), den wir elektrisieren wollten, an einem Seidenfaden und an einem Glashaken aufgehangt haben: denn Glas und Seide sind gute Isolatoren. Dementsprechend sind auch die Materialien der einzelnen Teile des Elektroskops (Abb. 3, S. 3) gewahlt worden. Die auBere Metallhulle des Elektroskops A pflegt man mit der Erde leitend zu verbinden oder, wie man sich aus- 6 I. Elektrostatik. drtickt, "zur Erde ableiten" (Abb. 3, Z). Der Kupferdraht D mit den Bli.ittchen E muB von der AuBenhtille A und von der Erde Z gut isoliert bleiben., was durch den Hartgummipfropfen B gentigend gesichert ist. 1st aber dieser Hartgummipfropfen auf seiner Oberflache aus irgendwelchen Ursachen leitend geworden (Feuchtigkeit aus der Luft) , so halt das Elektroskop keine Ladung mehr; man muB den Hartgummipfropfen sorgfaltig reinigen. 8. Elektrisierung der Leiter durch Reibung. Frtiher war man der Meinung, daB nicht alle K6rper durch Reibung elektrisiert werden k6nnten; unter anderem bildeten alle Metalle eine solche Ausnahme. Das war aber ein Irrtum, der dadurch entstand, daB man auf die Isolation der Metalle von der Erde nicht geachtet hat. N ehmen wir einen Metallstab in die Hand, wie wir es mit der Siegellackstange gemacht haben, und reiben ihn an einem Seidenstoff, so wird der Seidenstoff elektrisch, aber auf dem Metallstab werden wir vergebens nach der Elektrizitat suchen. 1st jedoch der Metallstab mit einem isolierenden Handgriff versehen oder ziehen wir zu diesem Versuch Gummihandschuhe an, so gelingt es auch, einen Metallstab durch Reibung zu elektrisieren. Ohne diese VorsichtsmaBregeln wtirde ja die ganze auf dem Metallstab durch Reibung entstandene Elektrizitat durch unsere Hand und unseren K6rper sofort zur Erde abflieBen. Die Entdeckung dieser Tatsache verdanken wir dem englischen Physiker GRAY (1729), welcher somit experimentell bewiesen hat, daB die Leiter keine Ausnahme bilden und ebenso wie Isolatoren durch Reibung elektrisiert werden k6nnen. Der Unterschied zwischen den Isolatoren und den Leitern offenbart sich auch in folgender Erscheinung. Bertihren wir mit einer elektrisierten Siegellackstange die Elektroskopkugel, so erhalten die Elektroskopblattchen zunachst nur eine kleine Divergenz; es geht namlich auf die Elektroskopkugel nur die Elektrizitat tiber, welche auf der Siegellackstange in umitttelbarer Nahe der Bertihrungsstelle des Siegellacks mit der Kugel saB. Bringen wir einen anderen Punkt der Siegellackstange mit der Kugel in Bertihrung, so geht auf das Elektroskop auch von diesem Punkt neue Elektrizitat tiber. Es ist also zweckmaBig, beim Laden des Elektroskops mit einer Siegellackstange diese letztere der Lange nach zu verschieben, urn verschiedene Punkte derselben mit der Elektroskopkugel in Bertihrung zu bringen. Wiederholt man aber denselben Versuch mit einem geriebenen Metallstabe, so ist dieser letzte Kunstgriff belanglos, denn beim Bertihren der Kugel mit einem Metallstabe verteilt sich sofort die ganze Elektrizitat auf beide Leiter, und eine Anderung des Bertihrungspunktes kann nichts mehr ntitzen. 9. Zwei Arten der Elektrizitat. ]etzt nehmen wir eine Glasplatte und eine Hartgummiplatte und reiben sie gegeneinander. Beide Platten werden dabei elektrisch und k6nnen leichte Gegensatze anziehen. Sammeln wir die Glaselektrizitat von verschiedenen Stellen der Glasplatte auf irgendeinem Elektroskope, so werden seine Aluminiumblattchen allmahlich mehr und mehr auseinandergehen. 1st die Ladung gentigend groB, so k6nnen wir durch vorsichtige und nicht zu lange dauernde Bertihrung der Elektroskopkugel mit einem Holzstab oder mit einem Taschentuch einen Teil der Elektrizitat yom Elektroskope zur Erde ableiten. Beim Bertihren der Kugel mit dem Finger geht die ganze Elektrizitat zur Erde. Ganz dieselbe Folge von Versuchen k6nnen wir auch mit der geriebenen Hartgummiplatte wiederholen. Etwas anderes bekommen wir, wenn wir das Elektroskop zuerst mit der Glasplatte laden und dann mit der Hartgummiplatte bertihren. In diesem FaIle wird die von der Hartgummiplatte hinzugefiigte Elektrizitat die Diver- 1. Reibungselektrizitat. 7 genz der AluminiumbHittchen nicht vergroBern, sondern verkleinern. Auch umgekehrt, wenn wir den Versuch mit Hartgummi anfangen und dann das mit Hartgummi geladene Elektroskop mit der Glasplatte weiter laden, gehen die Blattchen zusammen. Bei einiger Vorsicht, wenn man die Ladungen nur in ganz kleinen Portionen zusetzt, kann man die Aluminiumblattchen zum vollstandigen Zusammenklappen bringen. Wohin ist denn die Elektrizitat verschwunden? Glas und Hartgummi sind sehr gute Isolatoren, und die Elektrizitat konnte bei unseren Versuchen nicht zur Erde abflieBen, wie es beim Beriihren mit dem Finger der Fall war. Wir miissen also annehmen, daB Glaselektrizitat und Hartgummielektrizitat etwas Verschiedenes sind, und zwar so, daB die Wirkung der einen Elektrizitat auf dem Elektroskope die Wirkung der anderen annullieren kann. Zwei Quantitaten, die sich gegenseitig annullieren konnen, miissen verschiedene Vorzeichen haben: die eine muB positiv, die andere negativ angenommen werden. Welches Zeichen - Plus oder Minus - wir der Glaselektrizitat und welches Zeichen wir der Hartgummielektrizitat zuschreiben, das ist offenbar gleichgiiltig; denn der Versuch fordert ja nur fUr die beiden Elektrizitaten, die auf dem Glase und auf dem Hartgummi bei ihrer gegenseitigen Reibung entstehen, entgegengesetzte Zeichen. Schon bei den erst en derartigen Versuchen hat man die Glaselektrizitat positiv genannt; die Hartgummielektrizitat muB sonach als negativ gelten. Diese Festsetzung, welche ja willkiirlich ist, hat sich bis jetzt erhalten. Wir haben soeben den Versuch mit Gl.P-s und Hartgummi gemacht; wie verhalt es sich aber mit anderen elektrischen Korpern, mit Siegellack, Bernstein, Wolle, Seide usw.? - Entstehen . auf diesen verschiedenen Korpern auch verschiedene Elektrizitaten? - Der Versuch bejaht diese Frage, aber es ist klar, daB diese Verschiedenheit in bezug auf die von uns wahrgenommenen elektrischen Krafte lediglich im Vorzeichen der Elektrizitat bestehen kann. Laden wir z. B. das Elektroskop mit einem am Fell geriebenen Glasstab, also positiv, so wird jede neu hinzugefUgte Ladung von einem anderen Korper, er mag elektrisiert sein wie man will, entweder die Divergenz der Blattchen vergroBern oder verkleinern. 1m ersten FaIle werden wir sagen, der untersuchte Korper tragt dieselbe Ladung wie das Glas, ist also positiv geladen; im zweiten FaIle ist seine Ladung entgegengesetzt der Glaselektrizitat, also negativ. Laden wir beim Beginn unseres Versuches das Elektroskop mit Hartgummi, also negativ, so werden alle Angaben des Elektroskops beim Laden mit irgendeinem andern Korper entgegengesetzt den friiheren ausfallen. Dabei wird die VergroBerung des Divergenzwinkels der Blattchen bedeuten, daB die Elektrizitat des betreffenden Korpers gleichnamig mit der Hartgummielektrizitat, also negativ ist, im entgegengesetzten FaIle werden wir sie positiv nennen. Es gibt demnach in der Natur zwei Elektrizitaten, die man positiv und negativ nennt, weil ihre Wirkungen sich gegenseitig aufheben konnen. Glas elektrisiert sich beim Reiben mit Seide, Fell, Hartgummi und Metall immer gleich, und zwar positiv, wie wir es definitionsmaBig festgesetzt haben. Metalle, auch Quecksilber und Amalgame der Metalle, beim Reiben mit Glas, Wolle oder Fell elektrisieren sich negativ. Bernstein, Siegellack, Hartgummi und verschiedene Harze elektrisieren sich beim Reiben mit Glas, Wolle oder Fell immer negativ. Es muB aber hinzugefUgt werden, daB solche Angaben nicht ohne Ausnahmen sind. Es kommt zuweilen vor, daB z. B. zwei Glasstabchen aus demselben Material und an einem und demselben Fell gerieben, sich dennoch verschieden laden, das eine positiv und das andere negativ. Allgemein giiltige I. Elektrostatik. 8 Regeln sind deswegen schwer aufzustellen, weil die Elektrisierung eines Korpers nicht nur von seinem Material, sondern auch von der Beschaffenheit seiner Oberflache und der Oberflache des Reibzeuges abhangen kann; die Oberflache eines Korpers kann aber durch unkontrollierbare Ursachen leicht veriindert werden. Fiir uns genugt es, sich folgendes zu merken. Glas, am amalgamierten Leder gerieben, ladet sich immer positiv. Das Leder dient hier nur als isolierende Unterlage, auf welcher eine dunne Schicht Zinkamalgam, also eine Metallschicht, aufgetragen ist. Metallamalgam auf Leder schmiegt sich beim Reiben besser an den Glasstab an, als etwa eine feste Metallplatte. Ebenso sicher ist es, daB wir auf Hartgummi, Bernstein oder Siegellack negative Elektrizitat erhalten, wenn wir diese Korper mit irgendeinem Fell, also Wolle, reiben; das Fell und die Wolle wird dabei positiv elektrisch. Die einzige allgemeine und fUr uns auch die wichtigste Regel, die man fUr alle diese FaIle aufstellen kann, ist folgende: Bei gegenseitiger Reibung zweier Korper entstehen an ihnen stets Elektrizitaten von entgegengesetzten Zeichen. 10. Elektrische Krafte zwischen elektrisierten Korpern. Schon am Anfang unserer Untersuchung haben wir erfahren, daB elektrisierte Korper gewisse Krafte auf andere elektrisierte Abb.6. Abb.8. Abb·7. Gleichnamige Elektrizitaten stoBen sich ab, ungleichnamige zieben sich an. oder auch unelektrisierte Korper ausuben. Wir wollen zunachst die Krafte llntersuchen, mit welchen elektrisierte Korper aufeinander wirken. Zu diesem Zweck hangen wir isoliert von der Erde, an Seidenfaden zwei leichte Zigarettenhiilsen (Abb. 6). Laden wir beide Hulsen positiv (mit Glas, oder beide negativ (mit Hartgummi), in beiden Hillen werden wir beobachten) daB die Zigarettenhillsen sich gegenseitig abstoBen. Laden wir aber die eine Hillse negativ, die andere positiv, so erhalten wir eine Anziehung (Abb. 7). Beim Annahern einer am Fell geriebenen Glasstange (positive Elektrizitat) wirdallch die negativ geladene Hillse vom Glasstabe angezogen, die positiv geladene dagegen abgestoBen (Abb. 8). Beim Annahern eines elektrisierten Hartgummistabes (negative Elektrizitat) wird die positiv elektrisierte Hulse angezogen und die negativ elektrisierte abgestoBen. Wirhaben somit folgende zum erst en Male von DUFAY (1754) aufgestellte Regel: Gleichnamige Elektrizitaten stoBen sich ab, ungleichnamige ziehen sich an. 11. Das Gesetz von COULOMB. Die DUFAYsche Regel bestimmt nur die Richtungder elektrischen Krafte, nicht ihre GroBe, hat also nur einen quali- 1. Reibungselektrizitat. 9 tativen Charakter. Ein quantitatives Gesetz fiir die elektrischen Kratte wurde von COULOMB (1785) aufgestellt und durch sorgfaltige Versuche bewiesen. Das COULoMBsche Gesetz lautet so: Die gegenseitigen Krafte, welche zwischen zwei elektrisierten Punkten wirken, haben die Richtung der die Punkte verbindenden Geraden; ihre GroBe ist proportional zu jeder der beiden elektrischen Ladungen und umgekehrt proportional dem Quadrate ihrer gegenseitigen Entfernung. Bezeichnen wir die GroBe der Kraft mit F, die in den zwei Punkten konzentrierten Elektrizitatsmengen mit el und e2 und ihren gegenseitigen Abstand mit r, so konnen wir das COULoMBsche Gesetz in folgender Form schreiben: F = K e1 r :2. Der Proportionalsfaktor K hangt von den gewahlten Einheiten ab, Wir werden ihn weiter unten naher festsetzen. Aus der DUFAYschen Regel wissen wir, daB die Kraft F eine anziehende ist, wenn die beiden Elektrizitaten verschiedene Vorzeichen haben. Daraus schlieBen wir, daB eine negative Kraft F eine Anziehung bedeutet. Sind beide Elektrizitaten positiv oder beide negativ, also gleichnamig, so ist das Produkt (e l • e2 ) und auch die Kraft F positiv; demnach bedeutet positives Zeichen der Kraft F eine gegenseitige AbstofJung. Zu der COULO:vlBschen Formel miissen wir noch eine Bemerkung hinzufUgen, die auch eine allgemeine Bedeutung besitzt. Von einer bestimmten Entfernung r zwischen zwei Elektrizitaten kann man nur dann sprechen, wenn diese Elektrizitaten in Punkten konzentriert sind, wie es auch im COULOMBschen Gesetz prazis ausgedriickt ist. In Wirklichkeit aber nehmen die elektrischen Ladungen stets ein gewisses Volumen ein. Wir konnen dennoch das COULOMBsche Gesetz auch fiir Volumenladungen anwenden, wenn die geladenen Volumina so klein in Vergleich zu ihrem gegenseitigen Abstande so klein sind, daB man sie mit geniigender Genauigkeit als Punkte betrachten kann. Uberhaupt ist ja die Form des COULoMBschen Gesetzes dem NEWToNschen Gesetze der allgemeinen Gravitation genau nachgebildet. Nach dem NEWTONschen Gesetze ist die gegenseitige Anziehung zweier Massen m1 und m 2 F = Km12m2. r Auch dieses Gesetz gilt, streng genommen, nur fUr Punktmassen. In Wirklichkeit aber nehmen endliche Massen auch endliche Volumina ein. Wollen wir diese Punktgesetze auf wirkliche Korper anwenden, so miissen wir folgendermaBen verfahren: Wir teilen zuerst die zwei betreffenden Korper in kleine Volumina ein, die so klein gewahlt werden, daB ihre Dimensionen im Vergleich zu den Entfernungen r vernachlassigt werden konnen. Dann berechnet man nach dem NEWToNschen oder im elektrischen FaIle nach dem COULoMBschen Gesetze die Krafte, welche zwischen irgendeinem kleinen Volumen des einen Korpers und einem kleinen Volumen des anderen Korpers wirken. AIle so berechneten Krafte summiert man nach den Regeln der Statik, d. h. geometrisch, und erhalt eine resultierende Kraft zwischen den zwei betreffenden Korpern. - Die gleiche Form der beiden Gesetze ermoglicht uns, die in der Gravitationslehre schon ge16sten FaIle fUr den elektrischen Fall direkt zu beniitzen. Dennoch besteht zwischen den elektrischen und den gravitierenden Kraften ein groBer Unterschied. 10 I. Elektrostatik. Erstens sind die Gravitationskrafte im Vergleich zu den elektrischen Kraften so klein, daB man sie zwischen einer Siegellackstange und einem Strohhalme uberhaupt nicht beobachten konnte; die Gravitation wurde etwa milliardenmal kleiner als die elektrische Anziehung sein. Zweitens sind die Massen m stets positiv und wirken immer anziehend; die Elektrizitaten konnen dagegen positiv und negativ sein und konnen anziehend sowie abstoBend wirken. Zudem reiht sich noch ein formeller Unterschied an. In der NEWToNschen Formel bedeutet eine positive Kraft eine Anziehung, in der COULoMBschen Formel dagegen, wie wir schon oben gesagt haben, bedeutet eine positive Kraft gegenseitige AbstoBung. 12. COULoMBsche Drehwage. Das Grundgesetz der elektrischen Krafte hat COULOMB experiment ell mit einem empfindlichen Apparat bewiesen, den man Drehwage nennt; ihre Konstruktion ist im wesentlichen die folgende: 1m oberen Deckel eines zylindrischen Glaskastens (Abb. 9) ist eine vertikale Glasrohre angebracht, in welcher ein sehr feines Drahtchen aufgehangt ist. Das obere Ende des Drahtchens ist an einem metallischen Kopfe T befestigt, den man urn die vertikale Achse drehen und dabei den Drehwinkel an einer Gradteilung ablesen kann. Am unteren Ende des Drahtchens hangt horizontal ein leichtes Stabchen aus Schellack, welches an einem Ende eine mit Goldfolie beklebte leichte Kugel m tragt und am anderen Ende ein Gegengewicht. S Eine zweite ebensolche Kugel n auf einem Isolierstander befestigt, kann man in der Nahe der ersten Kugel aufstellen. Die Versuche werden in etwa folgender Reihenfolge ausgefUhrt : Zunachst merkt man sich an der Gradteilung s die neutrale Lage des hangenden Stabchens bei unAbb·9· COULOMBsche Drehwage. geladenen Kugeln. Dann bringt man beide Kugeln in Beriihrung und ladet sie mit gleichnamiger Elektrizitat. Die Kugeln stoBen· sich ab; man kann aber durch entgegengesetztes Drehen des oberen Torsionskopfes bewirken, daB beide Kugeln in einer gewissen Entfernung r zur Ruhe kommen. In dieser Lage halten sich die elektrische Kraft und die Torsionskraft des Drahtchens das Gleichgewicht. Die Torsionskraft ist proportional dem Torsionswinkel, den man oben am Torsionskopf ablesen kann. Wenn man den Torsionskoeffizient fur das Drahtchen schon fruher durch besondere Versuche bestimmt hat, so ist man imstande, fUr jeden Torsionswinkel auch die entsprechende Kraft zu berechnen. Aus solchen Bestimmungeri der elektrischen Krafte bei verschiedenen gegenseitigen Abstanden der beiden Kugeln kann man sich uberzeugen, daB diese Krafte tatsachlich umgekehrt proportional der gegenseitigen Entfernungen von m und n wirken. Die Ladungen der beiden Kugeln mussen wahrend dieser Versuche ungeandert bleiben. Jetzt andern wir die Ladungen, indem wir von jeder Kugel einen Teil ihrer Elektrizitat wegnehmen. Das konnen wir am einfachsten so tun: Wir nehmen eine dritte, eben so groBe, unelektrisierte und gut isolierte Hilfskugel m1 und beruhren damit eine von unseren Kugeln m oder n. Da alle drei Kugeln gleich groB sind, so geht beim Beruhren z. B. der Kugel m mit m1 die Halfte der Elektrizitat von m zu m1 uber. Die AbstoBungskraft zwischen m und n wird bei derselben 1. Reibungselektrizitat. 11 Entfemung aueh zweimal kleiner. Nehmen wir aueh von der Kugel n die Hiilfte der Elektrizitiit weg, so wird die AbstoBung der Kugeln viermal kleiner usf. Dureh derartige Versuehe kannen wir die Gultigkeit des CouLOMBsehen Gesetzes verifizieren. Man muB aber beaehten, daB diese Versuehe nieht so leieht auszufUhren sind. Zuniiehst stellt sich das horizontale Stiibehen m nieht sofort in seiner Gleichgewiehtslage ein, sondem es wird ziemlieh lange hin und her pendeln; man muB sieh dabei die mittlere Lage des Stiibehens merken (wie bei einer Wage). Anderseits werden die Ladungen der Kugeln wegen unvermeindlieher Isolationsfehler sieh mit der Zeit allmiihlieh vermindem. Ideale Isolation ist uberhaupt nieht zu erzielen, und man muB die zeitliehe Abnahme der elektrisehen Ladungen auf den Kugeln dureh besondere Versuehe bestimmen, urn dann diese Abnahme bei Bearbeitung der Versuehsresultate als Korrektion einzufUhren. Obgleich COULOMB alle diese Umstiinde bei seinen Versuehen berueksiehtigt hat, konnte er dennoeh keine groBe Genauigkeit erreichen. Wir werden aber unten eine andere indirekte Methode (CAVENDISH) kennen lemen, welche die Gultigkeit des COuLoMBsehen Gesetzes viel genauer zu beweisen erlaubt. 13. Absolute Einheiten. Die Messungen des vorigen Paragraphs sind relativ: sie beweisen nur, daB die gemessene Kraft proportional gewissen anderen GraBen ist. Damit diese Messungen absolut genannt werden kannen, mussen alle in die Formel eingehenden GraBen auf das sog. absolute MaBsystem reduziert werden, wobei aueh der Faktor K im COuLoMBsehen Gesetze festgesetzt sein muB. Das absolute MaBsystem grundet sieh auf drei UrmaBe: Die Einheit der Entfemung ist das Zentimeter (em). Die Einheit der Masse ist das Gramm (g). Die Zeiteinheit ist die Sekunde (sek). Dieses MaBsystem wird dureh die Buehstaben CGS (Zentimeter-GrammSekunde) gekennzeiehnet. Die Einheit der Kraft im absoluten MaBsystem heiBt Dyne. Das ist eine Kraft, welche im Verlauf von einer Sekunde der Masse von einem Gramm die Besehleunigung von einem Zentimeter in einer Sekunde erteilen kann. Die Erdbesehleunigung in mittleren Breiten und auf Meereshahe wird gleich 980 CGS-Einheiten angenommen, d. h. daB jedes Gramm (Masse) von der Erde mit einer mittleren Kraft von 980 Dyne angezogen wird. Die Anziehungskraft der Erde nennt man Gewieht. Das Gewieht einer Masse von einem Gramm ist also bei den angegebenen Bedingungen im absoluten MaBsystem ausgedruekt gleich 980 Dynen. In der Praxis hat man (leider!) dieses Gewieht mit demselben Namen Gramm bezeiehnet wie die Masse, und urn Verweehslungen vorzubeugen, wollen wir das Gramm-Gewieht zum Untersehied vom Gramm-Masse mit einem Stemehen sehreiben: g*. Ebenso wird bei uns das Gewieht Kilogramm mit kg* bezeiehnet. Es ist leicht einzusehen, daB 1 kg* = 0,98' 106 Dynen ist oder rund gleich einer Million Dynen. Umgekehrt ist 1 Dyne = 1 -8 9 0 g*, oder rund 1 Milligramm = (mg*). Wollen wir die COuLoMBsehen Messungen auf das absolute MaBsystem reduzieren, so mussen wir zuniiehst die Entfemung r in Zentimeter und die Kraft F in Dynen ausdrueken. Fur den letzten Zweek mussen wir die Torsionskraft 12 1. Elektrostatik. des Hiingedrahts in Dynen kennen, was ja keine groBe Schwierigkeit mit sich bringt. 14. Elektrizitatseinheit. Es eriibrigt noch, die in der COULOMBschen Formel eingehenden Elektrizitatsmengen in absoluten Einheiten auszudriicken. Dazu miissen wir aber bemerken, daB wir die Elektrizitiit oder die elektrische Ladung nicht direkt beobachten k6nnen. Das einzige Mittel, die Anwesenheit der Elektrizitiit auf irgendeinem K6rper zu erkennen, welches uns vorliiufig (d. h. in diesen ersten Kapiteln des Buches) zur Ver£iigung steht, sind die an den elektrisierten K6rpern wahrgenommenen Kriifte. Wir wissen, daB diese Kriifte dem COULOMBschen Gesetze unterliegen. Es bleibt uns somit nichts anderes iibrig, als uns auf eben dieses Gesetz zu stiitzen, urn die Einheit £tir die elektrische Ladung festzusetzen. Das k6nnen wir in folgender Weise tun. Wir wollen als Elektrizitiitseinheit jene Elektrizitiitsmenge annehmen, welche auf eine ihr gleiche Elektrizitiitsmenge in einer Entfernung von einem Zentimeter mit einer Kraft gleich einer Dyne wirkt. Mathematisch ausgedriickt, wollen wir in der COULoMBschen Formel dann e1 = e2 = 1 setzen, wenn bei r = 1 cm ihre gegenseitige AbstoBung mit einer Kraft F = 1 Dyne er£olgt. Bei solcher Festsetzung miissen wir K = 1 setzen und erhalten £tir das COULoMBsche Gesetz in diesen Einheiten die Form: F = -el2e.- D ynen. r DIe durch unsere Verabredung festgestellte Elektrizitiitseinheit heiBt absolute elektrostatische Einheit, weil sie erstens auf absolute Einheiten (Zentimeter, Dyne) bezogen ist und zweitens, weil sie auf dem Grundgesetze der Elektrostatik, d. h. auf dem COULOMBschen Gesetze gegriindet ist. Absolute elektrostatische Einheiten wollen wir mit dem Zeichen CGS-E bezeichnen. Wir werden spiiter sehen, daB man auch eine andere Einheit £tir die Elektrizitatsmenge festsetzen kann, die sich nicht auf die elektrostatischen, sondern auf die magnetischen Erscheinungen griinden liiBt. Diese Elektrizitiitseinheit werden wir auch absolute aber elektromagnetische Elektrizitiitseinheit nennen, und werden sie mit CGS-M bezeichnen. Die absolute elektrostatische Einheit der Elektrizitiitsmenge ist £tir den praktischen Gebrauch, z. B. in der Elektrotechnik, nicht bequem, weil sie zu klein ist; die in der Praxis oft vorkommenden Elektrizitiitsmengen wiirden, in dieser Einheit ausgedriickt, zu groBe Zahlen ergeben. Deswegen beniitzten die Elektrotechniker vorzugsweise eine viel gr6Bere Elektrizitiitseinheit, welche Coulomb genannt wird und folgendermaBen mit der absoluten elektrostatischen Einheit in Beziehung gesetzt wird; 1 Coulomb = 3 . 109 CGS-E . Setzen wir in die COULOMBsche Formel die Elektrizitiitsmengen in Coulombs ausgedriickt, so erhalten wir Die Einheit fiir die Kraft - eine Dyne ist £tir die Praxis auch zu klein. Nehmen wir als Einheit der Kraft das in der Praxis eingefiihrte Kilogramm*, welches gleich 0,98· 106 Dynen ist, dann erhalten wir F = 8,8 . 1012 • e1r: . kg* .