Kapitel 4 Schwingungen und Resonanz Schwingungen sind Vorgänge, bei denen sich eine physikalische Grösse in Abhängigkeit von der Zeit periodisch ändert. Bei einer Schwingung bewegt sich z.B. ein Teilchen in einer periodischen Bewegung immer nur auf demselben Weg hin und her. 4.1 Harmonische Schwingungen 4.1.1 Sinus- und Kosinusförmige Bewegung Versuchsexperiment. Pendel bewegt sich sinusförmig Wir betrachten ein Pendel. Eine Masse wird an einem Faden aufgehängt. Physik I 145 Schwingungen und Resonanz Wenn wir die Masse aus seiner Gleichgewichtslage auslenken und sie loslassen, schwingt sie um die Gleichgewichtslage. Wie soll eine solche Bewegungskurve beschrieben werden? Wir beobacthen experimentell, dass für kleine Auslenkungen die Pendelbewegung gleich der Projektion einer Kreisbewegung ist. Siehe Abb. 1. Der Punkt läuft mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Kreis um. Die Projektion des umlaufenden Punktes auf die yAchse wird dargestellt als y = sin(θ ) = sin(ωt) π/2 Kreis Lichtquelle 1 y π θ 0 ωt 0 π 2 2π 3π 2 3π 5π 2 –1 3π/2 Die Pendelbewegung ist gleich der Projektion einer Kreisbewegung. Ein Punkt bewegt sich mit konstanter Geschwindigkeit auf dem Kreis. Figur 1. Daraus schliessen wir, dass die Bewegung, der am Pendel aufgehängten Masse um ihre Gleichgewichtslage, einen sinusförmigen Verlauf hat, der gegeben ist durch x ( t) = A sin(ωt + φ ) wobei A die Amplitude, ω die Kreisfrequenz, und φ die Phasenkonstante ist. 146 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen Solche Bewegungen werden harmonische Schwingungen genannt. Weil die Sinusfunktion nur Werte zwischen –1 und 1 annehmen kann, ist die grösste Auslenkung aus der Gleichgewichtslage gleich der Amplitude A, d.h. die Amplitude ist der Betrag der maximalen Auslenkung. Die Amplitude A und die Phasenkonstante φ sind durch die Anfangsbedingungen festgelegt: Zur Zeit t=0 ist die Auslenkung x(t) gleich x ( t = 0) = A sin(φ ) ≡ x 0 wobei x0 der Anfangswert der Auslenkung ist. Es gilt d sin(ωt) = ω cos(ωt) dt und d cos(ωt) = −ω sin(ωt) dt und die erste zeitliche Ableitung, die die Geschwindigkeit liefert, ist gleich v ( t) = dx ( t) = Aω cos(ωt + φ ) dt Bei maximaler Auslenkung ist die Geschwindigkeit null. Die Geschwindigkeit wird maximal, wenn die Masse durch die Gleichgewichtslage x=0 geht. Zur Zeit t=0 ist die Geschwindigkeit v ( t = 0) = Aω cos(φ ) = v 0 Physik I 147 Schwingungen und Resonanz wobei v0 die Anfangsgeschwindigkeit ist. Mit Hilfe der Anfangsauslenkung und der Anfangsgeschwindigkeit werden die Konstanten A und φ festgelegt. z.B. für v0=0, x (0) = A sin(φ ) = x 0 v (0) = Aω cos(φ ) = 0 π φ = ⇒ 2 A = x 0 π ⇒ x ( t) = x 0 sin(ωt + ) = x 0 cos(ωt) 2 Bemerkung. Harmonische Bewegungen können auch als Summe von Kosinus- und Sinusfunktionen ausgedrückt werden. Aus der Gleichung sin(α + β ) = sin α cos β + cosα sin β folgt x ( t) = A sin(ωt + φ ) = A sin ωt cosφ + A cosωt sin φ = B sin ωt + C cosωt wobei B, C Konstanten sind. Die Periode T der Schwingung ist definiert als die Zeit, die die Masse benötigt, um eine vollständige Schwingung durchzuführen. Bei einem vollständigen Zyklus erhöht sich die Phase der Sinusfunktion um 2π. Zur Zeit t+T unterscheidet sich die Phase um 2π von der Phase zur Zeit t: ω ( t + T ) + φ = 2π + ωt + φ 148 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen oder ωT = 2π und so T= 2π ω Die Frequenz ν ist die Anzahl der Schwingungen pro Sekunde ν= 1 ω = T 2π Die MKS-Einheit der Frequenz: Hertz (Hz) = 1/Sekunde 4.1.2 Horizontale Bewegung mit Federkraft (Federpendel) Wir betrachten nun die reibungsfreie Bewegung einer Masse, die mit einer Feder verbunden ist. Wir nennen eine solche Anordnung ein Federpendel. Siehe Abb. 2. Uns interessiert die eindimensionale Bewegung der Masse um ihre Gleichgewichtslage. Für eine Verschiebung x aus der Gleichgewichtslage, gibt es eine Rückstellkraft, die nach dem Hookeschen Gesetz für kleine Verschiebung x proportional zu x ist: F = − k( x − x0 ) wobei k die Federkonstante und x0 die Länge der entspannten Feder ist (Siehe Kapitel 2). Wir setzen x0=0, d.h. der Ursprung der x-Achse wird als die Gleichgewichtslage der Feder genommen. Physik I 149 Schwingungen und Resonanz F x F (Rückstellkraft) x x Verschiebung –kx F = –kx Horizontales Federpendel. Die Feder versucht die Masse in ihre ursprüngliche Lage zurückzubringen. Figur 2. Wenn x=0 ist, sitzt die Masse in ihrer Gleichgewichtslage, und der Betrag der Federkraft ist gleich null. Wenn x verschieden von null ist, versucht die Federkraft die Masse in ihre Gleichgewichtslage zurückzubringen. 150 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen 4.1.3 Vertikale Bewegung mit Federkraft und aufgehängter Masse Im Fall, dass das Federpendel in vertikaler Richtung aufgehängt ist, wirken zwei Kräfte auf die Masse: die Federkraft und die Gravitationskraft. Siehe Abb. 3. Die Gesamtkraft, die auf die Masse wirkt, ist F = − k ( x − x 0 ) + mg x0 x=xG+∆x xG F Gleichgewichtslage Figur 3. Vertikales Federpendel. Wenn wir die Masse an die Feder hängen, wird sich die Feder wegen der Gravitationskraft, die nach unten gerichtet ist, verlängern. Physik I 151 Schwingungen und Resonanz Wir berechnen die Gleichgewichtslage xG als die Verschiebung, in welcher die Gesamtkraft gleich null ist: F ( xG ) = 0 = − k ( xG − x 0 ) + mg ⇒ xG = x 0 + mg k Nun sind wir an der Verschiebung der Masse relativ zur Gleichgewichtslage interessiert: ∆x = x − xG Die Gesamtkraft ist F = − k ( ∆x + xG − x 0 ) + mg mg = − k ( ∆x + x 0 + − x 0 ) + mg k = − k∆x Wir schliessen daraus, dass die Rückstellkraft im Fall einer vertikal aufgehängten Masse auch proportional zur Verschiebung, gemessen relativ zur Gleichgewichtslage, ist. 4.1.4 Differentialgleichung der harmonischen Bewegung Mit Hilfe der Lösung einer Differentialgleichung werden wir die Kreisfrequenz der Schwingung als Funktion der physikalischen Grössen der schwingenden Anordnung bestimmen. Wir benutzen Newtons zweites Gesetz für den Fall, dass die Kraft proportional zur Verschiebung x ist, wobei der Ursprung der x-Ache (x=0) die Gleichgewichtslage der Masse ist: F = − kx = ma 152 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen Die Beschleunigung ist dv d 2 x = a= dt dt 2 d.h. − kx = m d2x dt 2 ⇒ d2x k + x=0 dt 2 m Diese Bewegungsgleichung wird eine Differentialgleichung genannt. Sie stellt eine Beziehung zwischen der Funktion x(t) und ihrer zweiten Ableitung dar. Gesucht wird die Funktion x(t), die die Gleichung erfüllt. Diese Funktion x(t) ist bis auf den Faktor –(m/k) gleich ihrer zweiten Ableitung: 2 m d x ( t) x ( t) = − k dt 2 Eine solche Bedingung erfüllen die Sinus- und Kosinusfunktionen. Wir schreiben den Ansatz x ( t) = A sin(ωt + φ ) wobei A die Amplitude, ω die Kreisfrequenz, und φ die Phasenkonstante ist. Durch die Ableitung nach der Zeit erhalten wir dx ( t) = Aω cos(ωt + φ ) dt Physik I 153 Schwingungen und Resonanz und d 2 x ( t) = − Aω 2 sin(ωt + φ ) = −ω 2 x ( t) dt 2 Wir setzen die Lösung x(t) in die Differentialgleichung ein d2x k + x=0 dt 2 m und finden − Aω 2 sin(ωt + φ ) + k A sin(ωt + φ ) = 0 m Wir beobachten, dass die Zeitabhängigkeit verschwindet, wenn wir die Sinusfunktionen weglassen, und dass die Amplitude auch weggelassen werden kann. Es bleibt −ω 2 + k =0 m ⇒ ω= m k und T = 2π k m D.h. die Kreisfrequenz ω ist durch die Federkonstante k und die Masse m festgelegt. Wir bemerken, dass 1. 2. 3. 154 die Kreisfrequenz von der Federkonstante und der inversen Masse abhängt; die Kreisfrequenz unabhängig ist von der Amplitude A der Schwingung; sobald die Masse erst einmal harmonisch schwingt, sie diese Schwingung mit gleicher Amplitude, Kreisfrequenz und Phasenkonstante weiterführt. Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen 4.1.5 Das Fadenpendel Wir betrachten ein idealisiertes Fadenpendel. Es besteht aus einer punktförmigen Masse, die an einem masselossen Faden hängt. Wir betrachten keine Reibung. Wenn das Pendel ausgelenkt und losgelassen wird, schwingt es unter der Wirkung der Gravitationskraft in einer vertikalen Ebene. Die Auslenkung s ist gleich s = lθ wobei l die Länge des Fadens ist. Wir zerlegen die Gewichtskraft in eine tangentiale Komponente mgsinθ und eine radiale Komponente mgcosθ. Die tangentiale Komponente ist eine rücktreibende Kraft, und wir schreiben deshalb Ftangential = − mg sin θ Siehe Abb. 4. Die Geschwindigkeit und die Beschleunigung können auch zerlegt werden. Für die tangentiale Geschwindigkeit und Beschleunigung gilt dθ v tangential = l dt Physik I und atangential = l d 2θ dt 2 155 Schwingungen und Resonanz s=lθ θ l mg sinθ m s mg Figur 4. Fadenpendel. Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz folgt Ftangential = matangential − mg sin θ = ml d 2θ dt 2 und schliesslich finden wir die Differentialgleichung für die Bewegung des einfachen Fadenpendels d 2θ g + sin θ = 0 dt 2 l In diesem Fall ist die rücktreibende Kraft nicht proportional zur Auslenkung, sondern zum Sinus des Auslenkungswinkels. D.h. die Lösung dieser Gleichung ist nicht einfach harmonisch. 156 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Harmonische Schwingungen Um eine einfache harmonische Lösung zu finden, betrachten wir den Fall, in dem der Auslenkungswinkel klein ist, so dass sin θ ≈ θ Siehe Abb. 5. Kraft sinθ≈θ π 2 –π 2 θ – mg sin θ mgθ Figur 5. θ≈θ benutzen. Für kleine Auslenkungen kann man die Näherung sinθ Die Bewegungsgleichung wird vereinfacht d 2θ g + θ ≈0 dt 2 l mit einer einfachen harmonischen Lösung, wobei ω= g l und T= 2π l = 2π g ω Wir bemerken, dass 1. die Periode T mit der Länge l zunimmt; Physik I 157 Schwingungen und Resonanz 2. 3. die Periode T unabhängig von der Masse m und der Schwingungsamplitude A ist; aus der Periode T die Erdbeschleunigung g bestimmbar ist. 4.1.6 Versuchsexperiment: Vergleich des Feder- und Fadenpendels Wir beweisen mit einem Vergleich ihrer Bewegungen, dass die Bewegungen des Feder- und Fadenpendels ähnlich sind. Die Periode des vertikalen Federpendels ist gleich TFeder = 2 π m k wobei m die Masse und k die Federkonstante ist. Die Periode des Fadenpendels ist TFaden = 2π l g wobei l die Länge des Fadens und g die Erdbeschleunigung ist. Wenn die Masse an der vertikalen Feder aufgehängt wird, verlängert sich die Feder, bis das System seine Gleichgewichtslage erreicht, in dem die Federkraft die Gravitationskraft kompensiert. Die Verlängerung der Feder ist xG − x 0 = 158 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia mg k Energieerhaltung bei harmonischen Schwingungen Wenn die Länge l des Fadens gleich der Verlängerung ist l = xG − x 0 = mg k ist die Periode des Fadenpendels gleich der des Federpendels: TFaden = 2π l mg m = 2π = 2π = TFeder g gk k Beide Masse werden sich zusammen bewegen. 4.2 Energieerhaltung bei harmonischen Schwingungen Wir kennen den Ausdruck der potentiellen Energie, die in einer Feder gespeichert wird: E= 1 2 kx 2 wobei x die Verschiebungs ist. Wir kennen auch die analytische Lösung der harmonischen Schwingung x ( t) = A sin(ωt + φ ) und die Geschwindigkeit ist gleich v ( t) = Physik I dx = Aω cos(ωt + φ ) dt 159 Schwingungen und Resonanz Mit diesen Beziehungen wird die gesamte mechanische Energie, die als die Summe der kinetischen und potentiellen Energie definiert ist, geschrieben als E = E kin + E pot 1 2 1 2 mv + kx 2 2 1 1 = mA 2ω 2 cos2 (ωt + φ ) + kA 2 sin 2 (ωt + φ ) 2 44424443 1 2 44 1 42444 3 = kinetische Energie potentielle Energie Nun bemerken wir, dass die Kreisfrequenz ω von k/m abhängt, so dass 2 1 1 k 1 k 1 mω 2 = m = m = k 2 2 m 2 m 2 und deshalb beide Teile der Gleichung für die Gesamtenergie denselben Faktor besitzen [ ] 1 2 kA cos2 (ωt + φ ) + sin 2 (ωt + φ ) 2 1 = kA 2 2 E= Die gesamte mechanische Energie des Systems verändert sich nicht während der Schwingungsbewegung. Die Energie ist erhalten (natürlich, weil die wirkenden Kräfte rein konservativ sind, da wir keine Reibung betrachtet haben.) 160 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Gedämpfte harmonische Schwingungen 4.3 Gedämpfte harmonische Schwingungen Bei der freien Schwingung bleibt die Gesamtenergie konstant. Einmal angeregt, wird die Masse unendlich lang weiterschwingen. Bei vielen Schwingungen bewegt sich die Masse nicht zwischen denselben Grenzen hin und her. In der Realität entziehen Reibungskräfte der Bewegung-Energie. Das System verliert mechanische Energie durch die von Reibungskräften geleistete Arbeit. Man spricht von gedämpften harmonischen Schwingungen. Wir betrachten die idealisierte Situation, in der die Reibungskraft proportional zur Geschwindigkeit der Masse und immer ihr entgegengesetzt ist. F ( t) = FRückstellkraft + FDämpfungkraft = − kx ( t) − bv ( t) wobei b die Dämpfungskonstante ist. Die Differentialgleichung ist dann F = ma = − kx ( t) − bv ( t) dx d2x = m 2 = − kx − b dt dt d.h. d 2 x b dx k + + x=0 dt 2 m dt m Physik I 161 Schwingungen und Resonanz Diese Gleichung ist die Bewegungsdifferentialgleichung der einfachen gedämpften harmonischen Schwingung. Nun müssen wir die Lösung x(t) vermuten. Der schwierigste Teil der Lösung einer Differentialgleichung ist, dass man schon den Ansatz vorher richtig raten muss, bevor man die Lösung finden kann. Der Ansatz ist in diesem Fall x ( t) = { Ae −δt sin( t4 +3 φ) 14ω 2 Amplitude Schwingung wobei δ der Dämpfungsfaktor ist. Die Lösung x(t) einer schwach gedämpften Schwingung ist in Abb. 6 gezeigt. Die Bewegung verläuft in Form einer harmonischen Schwingung, deren Amplitude allmählich abnimmt. Mit Algebra findet man die Bedingungen für den Dämpfungsfaktor und die Kreisfrequenz ω= k −δ2 m und δ= b 2m Wir definieren als ω0 die Kreisfrequenz der freien Schwingungen ω0 = k m und ω = ω 02 − δ 2 Wir diskutieren jetzt die möglichen Lösungen (Siehe Abb. 7), 162 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Gedämpfte harmonische Schwingungen Figur 6. Eine schwach gedämpfte Schwingung. a) ungedämpfte Schwingung δ=0 k m ⇒ ω = ω0 = ⇒ ω = ω 02 − δ 2 b) gedämpfte Schwingung δ≠0 b1) δ < ω0: die Bewegung ist eine Schwingung mit einer gedämpften Amplitude. Aus der Gleichung ω = ω 02 − δ 2 Physik I 163 Schwingungen und Resonanz schliessen wir, dass die Kreisfrequenz der gedämpften Bewegung immer kleiner als die der freien Bewegung ist. Die Reibungskräfte verlangsamen die Schwingung. Die Bedingung ist 2 δ < ω0 ⇒ k b δ = < ω 02 = ⇒ 2m m 2 b < bk = 4 mk d.h. die Dämpfungskonstante darf nicht zu gross sein, oder die Masse kann nicht schwingen. Wenn die Dämpfung zunimmt, wird sie einen kritischen Wert erreichen, bei dem keine Schwingung mehr auftritt. b2) δ = ω0: die Bewegung erreicht den aperiodischen Grenzfall, der kritische Dämpfung genannt wird. δ = ω0 ⇒ b = bk = 4 mk = 2 mω 0 Die Kreisfrequenz ist ω=0, und die Masse bewegt sich nur noch auf ihre Gleichgewichtslage hin, aber schwingt nicht. b3) δ > ω0: die Bewegung befindet sich im Bereich der überkritischen Dämpfung. Je grösser die Dämpfung, desto länger dauert die Rückkehr der Masse in die Ruhelage. Die Kreisfrequenz besitzt keine physikalische Bedeutung mehr, weil die Wurzel eines negativen Werts nicht reell ist. 164 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Erzwungene Schwingungen und Resonanz Gedämpfte Schwingung. Die Auslenkung x(t) als Funktion der Zeit (t) und der Dämpfungskonstante b ist gezeigt. Wenn b grösser als der kritische Wert bk ist, gibt es keine Schwingungen mehr. Figur 7. 4.4 Erzwungene Schwingungen und Resonanz Obwohl die Wirkung von Reibungskräften nicht vermieden werden kann, ist es möglich, dem schwingenden System Energie zuzuführen, so dass die Reibungsenergieverluste kompensiert werden. Wir können z.B. durch eine aufgezogene Feder Energie hineinbringen. Physik I 165 Schwingungen und Resonanz Man spricht von erzwungenen Schwingungen. Wir betrachten eine, auf das schwingende System wirkende, äussere periodische Kraft, die kosinusförmig ist Fäussere = F0 cos(ωt) wobei ω die Kreisfrequenz der äusseren Kraft ist. Die Kreisfrequenz der freien Schwingung (die Eigenkreisfrequenz) wird als ω0 bezeichnet. Experimentell beobachten wir, dass nach einer nicht-stationären Schwingung (Einschwingvorgang), bei der sich die Masse kompliziert bewegt, die Masse dann mit der Kreisfrequenz der äusseren Kraft schwingt. Erzwungene Schwingung. Nach einer nicht-stationären Schwingung, wird die Masse mit der Kreisfrequenz der äusseren Kraft schwingen. Figur 8. 166 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Erzwungene Schwingungen und Resonanz Wir suchen die stationäre Lösung. Die Bewegungsgleichung einer schwingenden Masse, die an eine Feder mit Federkonstante k gebunden ist, und einer Reibungskraft – bv und der antreibenden Kraft F0cosωt unterworfen ist, ist m dx d2x + F0 cos(ωt) 2 = − kx − b dt dt d.h. dx d2x m 2 +b + kx = F0 cos(ωt) dt dt Der stationäre Ansatz wird geschrieben als x ( t) = A cos(ωt − α ) wobei ω die Kreisfrequenz der äusseren Kraft, A die Amplitude und α eine Phasenkonstante ist. Die Amplitude und die Phase der Schwingung hängen von der Amplitude und der Winkelgeschiwndigkeit der äusseren Kraft, von der Kreisfrequenz der freien Schwingung ω0, und vom Dämpfungsfaktor b ab. Die Ausdrücke für A und α können leicht mit Algebra gefunden werden. Physik I 167 Schwingungen und Resonanz Wir lösen die Differentialgleichung mit Hilfe der komplexen Zahlen. Wir schreiben eine neue Gleichung, die für z in der komplexen Ebene gilt m dz d 2z + kz = F0e iωt 2 +b dt dt Gesucht ist die komplexe Lösung z(t). Wegen der Eulerschen Formel, e iθ = cosθ + i sin θ ist die Lösung x(t) gleich der reellen Projektion der komplexen Lösung z(t) x ( t) = Re z( t) Um die Differentialgleichung zu lösen, verwenden wir den folgenden komplexen Ansatz z( t) = Ae i(ωt −α ) Die zeitlichen Ableitungen sind dz = Aiωe i(ωt −α ) = iωz( t) dt d 2z 2 i(ωt −α ) = −ω 2 z( t) 2 = A(iω ) e dt 168 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Erzwungene Schwingungen und Resonanz Wenn wir diese Gleichung in der Differentialgleichung einsezten, finden wir m(−ω 2 z( t)) + b(iωz( t)) + kz( t) = F0e iωt − mω 2 Ae i(ωt −α ) + ibωAe i(ωt −α ) + kAe i(ωt −α ) = F0e iωt (− mω 2 + ibω + k ) Ae − iα = F0 d.h. ω )+ (1k4−2m4 3 2 reell F ib ω = 0 e iα { A imaginär Nun betrachten wir den rellen und den imaginären Teile der Gleichung. Es gilt F0 2 A cosα = k − mω F0 sin α = bω A Wenn wir nach der Amplitude und der Phase auflösen, finden wir A= F0 m 2 (ω 02 − ω ) 2 2 + b 2ω 2 und tan α = bω m(ω 02 − ω 2 ) wobei die Winkelgeschwindigkeit der freien Schwingung (die Eigenkreisfrequenz) ω0 = k / m ist. Physik I 169 Schwingungen und Resonanz Wir schliessen daraus, dass die Amplitude und die Phase stark von der Kreisfrequenz der treibenden Kraft abhängen. Wenn die Kreisfrequenz der treibenden Kraft in der Nähe der Eigenkreisfrequenz ist, wird die Amplitude der Schwingung zunehmen. Eine Resonanzbedingung wird erreicht, wenn die Amplitude der Schwingung viel grösser als die der antreibenden Kraft ist (Siehe Abb. 9), Wenn wir die Energie des Systems betrachten, beobachten wir, dass die von der treibenden Kraft geleistete Arbeit Energie zuführt, die die Schwingungsamplitude vergrössert. Diese Energie wird auch durch Reibung verloren. Zwischen zugeführter und verlorener Energie stellt sich schliesslich ein Gleichgewicht ein. Die Masse schwingt mit der Kreisfrequenz der treibenden Kraft ω und einer Amplitude die von ω und ω0 abhängt. Erzwungene Schwingung. Wenn die Kreisfrequenz der antreibenden Kraft in der Nähe der Eigenkreisfrequenz ist, wird die Amplitude der Schwingung zunehmen. Figur 9. 170 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Erzwungene Schwingungen und Resonanz Für eine Kreisfrequenz ω stark verschieden von der Eigenkreisfrequenz ω0, folgt α ≈ 0. Ist ω0≈ω, wird α ≈ π/2. Die Rezonanzbedingung, bei der die Amplitude maximal wird, ist ω ≈ ω Resonanz = ω 02 − b2 2m 2 Die Geschwindigkeit der Masse kann mit der Ableitung nach der Zeit gefunden werden v ( t) = dx = − Aω sin(ωt − α ) dt Im Resonanzfall, wenn α ≈ π/2, sind die Geschwindigkeit und die treibende Kraft in Phase π v ( t) = − Aω sin(ωt − ) = A cos(ωt) 2 Die Beziehung der Amplitude als Funktion des Verhältnisses ω/ω0 ist in Abb. 10 für verschiedene Dämpfungsfaktoren gezeigt.Für b=0 (d.h. keine Dämpfund) wird die Amplitude unendlich, wenn die Resonanzbedingung erreicht wird. Physik I 171 Schwingungen und Resonanz Amplitude der erzwungenen Schwingung. Die verschiedenen Kurven entsprechen verschiedenen Dämpfungsfaktoren. Für b=0 (keine Dämpfung) wird die Amplitude unendlich, wenn die Resonanzbedingung erreicht wird. Figur 10. Versuchsexperiment. Tacoma Brücke. 172 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Kapitel 5 Mechanische Wellen 5.1 Was sind Wellen? Wir betrachten ein Medium in seiner Gleichgewichtslage. Wenn wir eine physikalische Eigenschaft dieses Mediums in einem Punkt stören, wird sich diese Störung durch das Medium ausbreiten. Diese Störung wird eine Welle genannt. Man spricht von Wellenausbreitung. Als Medium können wir viele verschiedene Beispiele erwähnen, z.B. ein Seil, eine Saite, ein Festkörper, die Luft, Wasser, usw... 5.2 Seil- oder Saitenwellen Wir betrachten ein Seil. Physik I 173 Mechanische Wellen Wenn wir es mit einem kurzen seitlichen Ruck auslenken, beobachten wir, dass die anfängliche Auslenkung als Wellenberg mit konstanter Geschwindigkeit entlang dem Seil wandert. Siehe Abb. 1. Wir sagen, dass sich die transversale Auslenkung als eine Welle ausbreitet. a) b) c) d) Ausbreitung einer Seilwelle. Der Wellenberg wandert mit konstanter Geschwindigkeit. Figur 1. Man kann sich die Wellen als Auslenkung kleiner Massenlemente des Seils vorstellen. Wir bemerken, dass die einzelnen Massenelemente des Seils durch die Wellenbewegung nicht transportiert werden: Sie schwingen senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Welle. Sie bleiben so lange in Ruhe, bis der Wellenberg sie erreicht, führen dann eine Schwingung um ihre Ruhelage aus und kehren schliesslich in den Ruhestand zurück. 174 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Seil- oder Saitenwellen 5.2.1 Ausbreitungsgeschwindigkeit transversaler elastischer Seilwellen Der Zusammenhang zwischen der Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen und den physikalischen Eigenschaften des Seils kann mit Hilfe der Newtonschen Gesetze hergeleitet werden. Wir unterteilen das Seil in viele differentielle Massenelemente dm. Ein Massenelement kann sich in der vertikalen Richtung um seine Ruhelage bewegen. Zur Zeit t=0 kann die Form des Seils durch eine Funktion ξ(x) beschrieben werden, wobei ξ die Auslenkung des Seils ist. Jede bestimmte Koordinate x entspricht einem Massenelement. Nach einiger Zeit ist der Wellenberg weitergewandert und die Form des Seils ist nun durch eine andere Funktion gegeben. Die Form des Seils als Funktion der Zeit kann deshalb durch eine Funktion von zwei Variablen ausgedrückt werden ξ ( x, t) wobei x die Raumkoordinate, und t die Zeit ist. Diese Funktion, die Wellenfunktion heisst, beschreibt die Ausbreitung der Wellen durch eine Anordnung aller Massenelemente des Seils als Funktion der Zeit. Wir betrachten nun ein einzelnes Massenelement. Die auf das Massenelement wirkende resultierende vertikale Komponente der Kraft ist Fy = S sin α © − S sin α Physik I 175 Mechanische Wellen wobei S die Spannung des Seils ist. α und α’ sind die Winkel an beiden Enden des Massenelements zu Horizontalen (die Gravitationskraft wird als vernachlässigbar gegenüber der Spannung vorausgesetzt.). Siehe Abb. 2. y S dm α' α ξ(x+dx) S ξ(x) x Figur 2. x x+dx Kräfte, die auf das Massenelement dm wirken. Für kleine Auslenkungen gilt die genäherte Gleichung Fy ≈ S tan α © − S tan α Die Steigung des Seils im Punkt x ist gleich der Ableitung nach x der Auslenkung. Da die Funktion ξ von zwei Variablen abhängt, müssen wir eine partielle Ableitung benutzen: tan α = 176 ∂ξ ( x, t) ∂x Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia und tan α © = ∂ξ ( x + dx, t) ∂x Seil- oder Saitenwellen D.h. die resultierende vertikale Kraft kann als Funktion der Ableitung der Auslenkungsfunktion geschrieben werden Fy ≈ S tan α © − S tan α ∂ξ ( x + dx, t) ∂ξ ( x, t) =S − ∂x ∂x ≈S ∂ 2ξ dx ∂x 2 wobei wir differentielle dx-Segmente angenommen haben. Die Geschwindigkeit und die Beschleunigung der differentiellen Segmente können mit Hilfe der zeitlichen partiellen Ableitungen gewonnen werden: ∂ξ v ( x, t) = ∂t ∂ 2ξ und a( x, t) = 2 ∂t Aus dem zweiten Newtonschen Gesetz folgt Fy = ( dm) a ⇒ S ∂ 2ξ ∂ 2ξ dx = dm ∂x 2 ∂t 2 Wir führen nun die Gesamtmasse des Seils M und seine Länge L ein. Die Längendichte ρ des Seils wird definiert als ρ= M L ⇒ dm = ρdx Die Einheit der Längendichte ist Masse/Länge, d.h. kg/m. Physik I 177 Mechanische Wellen Mit Hilfe der Definition der Längendichte gilt die folgende Bewegungsgleichung ∂ 2ξ ∂ 2ξ S 2 dx = ρdx 2 ∂t ∂x ⇒ ∂ 2ξ S ∂ 2ξ = ∂t 2 ρ ∂x 2 Diese Gleichung wird die Differentialgleichung der Wellenausbreitung genannt. Im allgemein nennt man eine Gleichung der Form ∂ 2ξ ∂ 2ξ −K 2 =0 ∂t 2 ∂x Wellengleichung, wobei K eine Konstante ist. Wir beweisen nun, dass die Konstante K der Ausbreitungsgeschwindigkeit im Quadrat entspricht. 5.2.2 Allgemeine Lösung der Wellengleichung Wir suchen eine Funktion ξ(x,t), die die Wellengleichung erfüllt. Im Fall der Seilwellen beschreibt ξ(x,t) die transversale Auslenkung des Seils. Gewöhnlich wird sich die Form eines Wellenberges mit der Zeit verändern. Dieser Effekt heisst Dispersion. Wir werden die Dispersion vernachlässigen und eine stabile Form des Wellenberges annehmen. Wenn ξ(x,t) die zeitliche und räumliche Ausbreitung der Wellen darstellt und es keine Dispersion gibt, sind die zwei Variablen x und t nicht voneinander unabhängig. Die Ausbreitung der Wellen kann als ξ ( x, t) = ξ ( x ± vt) 178 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Seil- oder Saitenwellen geschrieben werden, wobei v der Ausbreitungsgeschwindigkeit (oder Phasengeschwindigkeit) der Welle entspricht. Diese Gleichung stellt eine Welle dar, die sich ohne Dispersion in die negative x-Richtung (+) oder die positive x-Richtung (–) ausbreitet. Wir betrachten z.B. eine Welle, die sich in positiver x-Richtung bewegt. Siehe Abb. 3. Der Wellenberg bewegt sich bezüglich des Ursprungs O mit der Geschwindigkeit v längs der positiven x-Achse. Im mitbewegten System mit Ursprung O’ wird die Bewegung für beliebige Zeiten durch ξ′ = ξ′( x ′) beschrieben. y v×t y' v v O Figur 3. Physik I O' x,x' Bewegtes Koordinatensystem. 179 Mechanische Wellen Damit lautet die Wellenfunktion im nicht bewegten Koordinatensystem. x ′ = x − vt ⇒ ξ ( x, t) = ξ ( x ′, 0) = ξ ( x − vt, 0) Wir werden beweisen, dass die Geschwindigkeit der Ausbreitung mit Hilfe der Differentialgleichung bestimmt werden kann. 2 ∂ξ ( x, t) ∂ξ ∂x ′ ∂ξ ∂ 2ξ ( x, t) 2 ∂ ξ = = (−v ) ⇒ =v ∂t ∂x ′ ∂t ∂x ′ ∂t 2 ∂x ′ 2 ∂ξ ( x, t) ∂ξ ∂x ′ ∂ξ ∂ 2ξ ( x, t) ∂ 2ξ = = ⇒ = ∂x ∂x ′ ∂x ∂x ′ ∂x 2 ∂x ′ 2 Wir erhalten daraus 2 2 ∂ 2ξ ( x, t) 2 ∂ ξ 2 ∂ ξ ( x, t) v v = = ∂t 2 ∂x ′ 2 ∂x 2 D.h. die Ausbreitungsgeschwindigkeit kann direkt von der Differentialgleichung abgelesen werden. 5.2.3 Ausbreitungsgeschwindigkeit von Seilwellen Wir verwenden das Ergebnis 2 ∂ 2ξ ( x, t) 2 ∂ ξ ( x, t) v − =0 ∂t 2 ∂x 2 180 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Seil- oder Saitenwellen Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Seilwellen wird damit vorausgesagt als v2 = S ρ ⇒ v=± S ρ wobei S die Spannung des Seils oder der Saite, und ρ die Längendichte ist. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit hängt nur von den Eigenschaften des Seils ab. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit nimmt mit der Spannung zu. Je grösser die Spannung ist, desto schneller wird das Massenelement in seine Gleichgewichtslage zurückkehren. Versuchsexperiment: Seilwelle: Ausbreitungsgeschwindigkeit bei verschiedenen Spannungen. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit nimmt mit der Längendichte ab. Je grösser die (träge) Masse ist, desto langsamer wird das Massenelement in seine Gleichgewichtslage zurückkehren. Wir bemerken, dass die Einheiten der Gleichung gegeben sind durch [N ] [kg / m] = [kg ] m / s2 = kg / m [m ] = m [s ] s 2 2 d.h., die Einheit entspricht wirklich einer Geschwindigkeit. Physik I 181 Mechanische Wellen 5.3 Prinzip der Superposition In Abb. 4 beobachten wir zwei Wellenberge, die sich in entgegensetzten Richtungen bewegen. Wenn sich die beiden Wellenberge treffen, ist die gesamte Auslenkung des Seils gleich der Summe der Auslenkungen der einzelnen Wellenberge. Nachher trennen sich die Wellenberge wieder und laufen weiter, ohne dass sich ihre Form geändert hat. a) b) c) d) Zwei Wellen begegnen sich. In c) ist die resultierende Amplitude gleich der Summe der Amplituden der beiden einlaufenden Wellen. Figur 4. Diese fundamentale Eigenschaft von Wellen wird das Prinzip der Superposition genannt. Mathematisch wird diese Eigenschaft einfach ausgedrückt. 182 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Prinzip der Superposition Ist ξ1(x-vt) die Wellenfunktion der sich in positiver x-Richtung bewegenden Welle und ξ2(x+vt) der sich in negativer x-Richtung bewegenden Welle, so ist die Gesamtwellenfunktion die mathematische Summe der Einzelwellenfuntkionen: ξ ( x, t) = ξ1 ( x − vt) + ξ2 ( x + vt) Im Fall, dass die Wellen entgegengesetzte Amplituden haben, werden sie einander auslöschen (siehe Abb. 5.) a) b) c) d) Prinzip der Superposition. Die resultierende Welle wird durch Addition beider Wellen gefunden. Figur 5. Physik I 183 Mechanische Wellen 5.4 Harmonische Wellen Wenn wir das Ende eines Seils in Form einer harmonischen Schwingung auf und ab bewegen, wird sich längs des Seils eine sinusförmige Welle ausbreiten. Eine solche Welle wird als harmonische Welle bezeichnet. Siehe Abb. 6. Die laufende Welle kann mit Hilfe einer Sinusfunktion geschrieben werden ξ ( x, t) = ξ ( x ± vt) = ξ0 sin( k ( x ± vt)) wobei k die Wellenzahl (oder Wellenvektor), und ξ0 die Amplitude ist. ω v x λ Figur 6. Sinusförmige Welle. Der Abstand zwischen zwei aufeinanderfolgenden Wellenkämmen wird die Wellenlänge λ genannt. Die Form der Welle wiederholt sich im räumlichen Abstand einer Wellenlänge. 184 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Superposition harmonischer Wellen Die Wellenzahl hängt mit der Wellenlänge zusammen. Aus der Raumabhängigkeit des Arguments der Sinusfunktion folgt k ( x + λ ) = kx + 2π ⇒ kλ = 2π ⇒ k= 2π λ Die Wellenfunktion kann als Funktion der Kreisfrequenz ω berechnet werden ξ ( x, t) = ξ0 sin( k ( x ± vt)) = ξ0 sin( kx ± kvt) = ξ0 sin( kx ± ωt) wobei für die Kreisfrequenz gilt ω = kv oder v= ω k 5.5 Superposition harmonischer Wellen Die durch Superposition harmonischer Wellen resultierende Welle hängt von den Phasen der ursprünglichen Wellen ab. Wir betrachten z.B. zwei harmonische Wellen, die von zwei gleichen Quellen Q1 und Q2 mit derselben Amplitude, derselben Frequenz und einem bestimmten Phasenunterschied kommen. Die zwei Wellen treffen sich in einem Punkt P, der sich im Abstand x1 von Q1, und x2 von Q2 befindet. Siehe Abb. 7. Wir betrachten einen bestimmten Zeitpunkt. Physik I 185 Mechanische Wellen Wegen des Prinzips der Superposition ist die resultierende Welle im Punkt P gleich der Summe der zwei einlaufenden Wellen: ξ ( x, t) = ξ1 ( x, t) + ξ2 ( x, t) = A sin( kx1 − ωt) + A sin( kx 2 − ωt + δ ) wobei δ der Quellenphasenunterschied ist. X1 Q1 P X2 Figur 7. Q2 Gangunterschied. Weil die Wellen verschiedene Wege zurückgelegt haben, erreichen sie den Punkt P mit einer zusätzlichen Phase. Diese Wegdifferenz wird als der Gangunterschied ∆x bezeichnet ∆x = x 2 − x1 ⇒ ξ = A sin( kx1 − ωt) + A sin( k ( x1 + ∆x ) − ωt + δ ) = A sin( kx1 − ωt) + A sin( kx1 − ωt + (δ + k∆x )) 186 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Superposition harmonischer Wellen Aus der Gleichung 1 1 sin α + sin β = 2 sin (α + β ) cos (α − β ) 2 2 folgt 1 1 ξ = 2 A sin kx1 − ωt + (δ + k∆x ) cos (δ + k∆x ) 2 2 1 1 = 2 A cos (δ + k∆x ) sin kx1 − ωt + (δ + k∆x ) 2 1444 2444 3 144442244443 Amplitude harmonische Welle d.h. die resultierende Welle ist eine harmonische Welle mit derselben Frequenz und derselben Wellenzahl wie die einlaufenden Wellen. Die Phase unterscheidet sich von beiden ursprünglichen Wellen. Die Amplitude der resultierenden Welle ist gleich 1 2 A cos (δ + k∆x ) 2 Für 1 (δ + k∆x ) = nπ 2 n = 0,1, 2,... ist der Gangunterschied so, dass die beiden Wellen in Phase sind. Die resultierende Welle besitzt die doppelte Amplitude. Man spricht von konstruktiver Interferenz. Für 1 1 (δ + k∆x ) = n + π 2 2 Physik I n = 0,1, 2,... 187 Mechanische Wellen addieren sich die Wellen zu null, weil sie gleich grosse, aber entgegengesetzte Amplituden besitzen. Man spricht von destruktiver Interferenz, und die resultierende Welle verschwindet. 5.6 Stehende Wellen 5.6.1 Eigenschwingungen eines Seils Versuchsexperiment: Eigenschwingung einer Saite Ein Seil ist an zwei Wänden fixiert. Wenn wir das Seil mit einer äusseren Kraft in Form einer harmonischen Schwingung auslenken, beobachten wir für bestimmte Frequenzen eine stehende Welle. Die Amplitude der Schwingung ist in diesem Fall gross. Man spricht von Resonanzfrequenzen. Die tiefste Frequenz heisst Grund- oder erste Eigenfrequenz ν1. Die Welle wird als erste Harmonische bezeichnet. Die zweite Eigenfrequenz ν2 hat die doppelte Frequenz. Siehe Abb. 8. Die Schwingung (d.h. die zweite Harmonische) besitzt einen Knoten und zwei Bereiche, die Bäuche genannt werden. Allgemein besitzt die n-te Harmonische (d.h. die stehende Welle miz der Eigenfrequenz νn) genau n Bäuche und n-1 Knoten. 188 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Stehende Wellen Um die Eigenfrequenzen zu bestimmen, bemerken wir, dass für eine stehende Welle die Länge L der Saite gleich einem ganzzahligen Vielfachen von λ/2 sein muss: n λ =L 2 n = 1, 2, 3,... D.h. es gibt eine unendliche Anzahl von Eigenfrequenzen, die die Wellenlänge λn besitzen, wobei gilt λn = 2L n n = 1, 2, 3,... Aus dieser Bedingung für stehende Wellen können wir die Eigenfrequenzen νn der n-ten Harmonischen ableiten, als υn = v v =n 2L λn (n = 1, 2, 3,...) wobei v die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Welle in der Saite ist. Die Frequenz der n-ten Harmonischen kann als Funktion der Grundfrequenz (der ersten Harmonischen) ausgedrückt werden υ1 = v 2L und υ n = nυ1 Aus der Bestimmung der Ausbreitungsgeschwindigkeit folgt v= S ρ ⇒ υ1 = 1 S 2L ρ wobei S die Spannung der Saite, und ρ die Längendichte ist, d.h. die Harmonischen der Saite können mit Hilfe der Spannung geändert werden. Physik I 189 Mechanische Wellen Saite erste Harmonische L Figur 8. 190 λ 1 = 2L 1 zweite Harmonische λ 2 = 2L 2 Dritte Harmonische λ 3 = 2L 3 4-te Harmonische λ 4 = 2L 4 5-te Harmonische λ 5 = 2L 5 n-te Harmonische λ n = 2L n Eigenschwingungen einer Gitarrensaite. Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Stehende Wellen 5.6.2 Wellenfunktionen stehender Wellen Wir betrachten zwei Wellen gleicher Wellenzahl, Frequenz und Amplitude, und entgegengesetzter Ausbreitungsrichtung. ξ1 ( x, t) = ξ0 sin( kx − ωt) ξ2 ( x, t) = ξ0 sin( kx + ωt) und Aus dem Prinzip der Superposition folgt, dass die resultierende Welle gleich ξ ( x, t) = ξ1 ( x, t) + ξ2 ( x, t) = ξ0 sin( kx − ωt) + ξ0 sin( kx + ωt) = 2ξ0 sin( kx )cos(ωt) ist. Es folgt, dass ein Punkt an einem beliebigen Ort x eine einfache harmonische Bewegung hat, und dass die Amplitude von Ort zu Ort verschieden ist. Ist die Saite an beiden Enden (d.h. bei x=0 und x=L) fest eingespannt, gibt es eine Randbedingung, die für alle Zeiten gelten muss ξ (0, t) = ξ ( L, t) = 0 für alle Zeiten t Die Bedingung ist bei x=0 immer erfüllt. Bei x=L muss gelten ξ ( L, t) = 2ξ0 sin( kL)cos(ωt) = 0 ⇒ sin( kL) = 0 für alle Zeiten t Die Bedingung wird erfüllt, wenn die Wellenzahl die folgenden Werte besitzt k n L = nπ Physik I n = 1, 2, 3,... 191 Mechanische Wellen oder in Wellenlängen ausgedrückt 2π L = nπ λn n = 1, 2, 3,... oder λn = 2L n n = 1, 2, 3,... Dieses Ergebnis entspricht genau der Bedingung für stehende Wellen, die wir schon gesehen haben. Die Wellenfunktion für die n-te Harmonische kann daher ausgedrückt werden als ξn ( x, t) = ξn sin( kn x )cos(ω m t) wobei kn = nπ und ω n = 2πυ n L ( n = 1, 2, 3,...) 5.7 Wellen im Festkörper Longitudinale und transversale Wellen können sich durch Festkörper ausbreiten. Ein Schlag an eine Ende eines festen Stabs pflanzt sich z.B. längs des Stabs fort, und wird schliesslich an das andere Ende des Stabs gelangen. Versuchsexperiment. Welle im Messingstab. 192 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Wellen im Festkörper Longitudinale Wellen können sich in allen Medien ausbreiten, die Volumenelastizität besitzen, wie z.B. in Festkörpern, aber auch in flüssigen und gasförmigen Stoffen. Es muss eine Rückstellkraft wirken, die der Volumenänderung entgegen gerichtet ist. Transversale Wellen sind etwas komplizierter, da bei ihnen Schubkräfte an den Massenlementen des Körpers angreifen müssen, um sie wieder in ihre Ausgangslage zurückzutreiben. Solche Wellen breiten sich nur in festen Körpern aus. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der longitudinalen elastischen Wellen in einem Festkörper lässt sich mit einem Gesetz über elastische Deformationen herleiten. Der Ausdruck für die Ausbreitungsgeschwindigkeit kann mit einer Dimensionsbetrachtung vermutet werden. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Festkörperdeformationen im Quadrat muss umgekehrt proportional zur Dichte des Körpers sein m 2 Y = v 3 s ρ kg / m 2 [ ] wobei Y eine Konstante ist. Die Dichte (oder Volumendicthe) ρ wird definiert als ρ= M V wobei M die Masse des Körpers und V das Volumen ist. Die Einheit der Dichte ist Masse/Volumen, d.h. kg/m3. Physik I 193 Mechanische Wellen Die Konstante Y muss die folgende Einheit besitzen: kg m 2 kg kg.m N Y= 3 = 2= 2 2= 2 m s m.s m s m Sie wird Elastizitätsmodul Y genannt. Allgemein ändert ein Körper seine Form, wenn Kräfte an ihm ziehen oder ihn komprimieren. Wenn der Körper seine ursprüngliche Form wieder annimmt, wenn die Kräfte nicht mehr wirken, dann heisst die Deformation elastisch. Die meisten Körper sind nur bis zu einer bestimmten Grenze der Kräfte elastisch, die Elastizitätsgrenze genannt wird. Innerhalb der Elastizitätsgrenze eines Metallstabs gilt das Hookesche Gesetz F = YA ∆l = YAε l wobei F die Kraft, die an dem Stab zieht, A der Querschnitt des Stabs und Y das Elastizitätsmodul ist. Die relative Längenänderung (oder Dehnung) ist ε= ∆l l Nach dem Hookeschen Gesetz ist die Dehnung des Stabs proportional zu der Kraft geteilt durch den Querschnitt. Einige repräsentative Ausbreitungsgeschwindigkeiten in verschiedenen Medien sind in Tabelle 1 zusammengefasst. 194 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia Wellen im Festkörper TABLE 1. Ausbreitungsgeschwindigkeit Stoff Elastizitätsmodul (N/m2) Ausbreitungsgeschwindigkeit (m/s) Gase Luft 0°C 331 Luft 20°C 343 Helium 20°C 965 Wasserstoff 20°C 1284 Flüssigkeiten Wasser 0°C 1402 Wasser 20°C 1482 Seewasser 20°C 1522 Festkörper Aluminium 1x10 11 6420 Stahl 2x1011 5941 Granite Physik I 6000 195 Mechanische Wellen 196 Physik I, WS 00/01, Prof. A. Rubbia