Fit Für den Freihandel Die Exportfirmen Hocoma und Metallux

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Das Schweizer Aussenwirtschaftsmagazin
4 | Dezember 2013
Fit für den Freihandel
Die Exportfirmen Hocoma und
Metallux profitieren. Allerdings
nicht ohne Aufwand.
Interview
Innovationsgeist und Teamwork
ohne Allüren: Dafür steht Yves
Serra, CEO Georg Fischer, ein.
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inhalt
und
editorial
04 | Focus Frei für den Freihandel
Hocoma und Metallux profitieren vom Freihandel –
die bürokratischen Hürden dürften etwas tiefer sein
11 | grafik Bedeutende Bilaterale Abkommen
28 Freihandelsabkommen halten den Exporttanker
Schweiz erfolgreich in Fahrt
14 | Interview Yves Serra, Georg Fischer
«Die Produktion unserer Kernkomponenten bleibt zu
unserem Schutz stets in Schaffhausen»
18 | Import Shrimps aus Peru für Europas Teller
ATISA wächst mit Qualitätsprodukten für Geniesser
20 | Success Story Mondini
Unterirdische Abfallcontainer sind nachhaltig gefragt
22 | O
pportunities Myanmar
Der Rohdiamant, der noch viel Aufbauarbeit erfordert
22 | Invest Weltkonzern wählt Winterthur
DMG MORI baut Europazentrale auf dem Sulzer-Areal
27 | News & Events
Hans-Olaf Henkel rät zu mehr Unabhängigkeit vom Euro
28 |Know-how Von der Werkbank zum markt
Chinas Wandel öffnet Kapital- und Konsummärkte
30 | Schwarz auf weiss Ungenutzte Potenziale
Agrarprotektionismus bremst Schweizer Export
14
4
Impressum Erscheint viermal jährlich in deutscher und französischer Sprache.
Auflage Deutsch: 12 000 | Auflage Französisch: 3000.
Herausgeber: Switzerland Global Enterprise, Stampfenbachstrasse 85, CH-8006 Zürich,
Tel. + 41 44 365 51 51; E-Mail: [email protected], Internet: www.s-ge.com,
Redaktion: Switzerland Global Enterprise, Kommunikation + Content, Sibylle Zumstein
(Chefredaktorin), redaktionelle Mitarbeit, Produktion und Grafik: Infel Corporate Media,
Michael Flückiger (Text) und Franziska Neugebauer (Art Direction) | Titelbild: Daniel Winkler
Inserate: print-ad kretz gmbh, 8708 Männedorf,
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Daniel Küng, CEO
Switzerland Global Enterprise
Freihandel
verschafft
Vorteile
Die Schweiz versteht es, weltmeisterlich zu verhandeln.
Ihre Freihandelsabkommen sind eine starke Stütze der Exportwirtschaft. In jüngster Zeit ist ihr der
wirtschaftliche Brückenschlag zu neuen Märkten gelungen. Die vorausschauende Politik der kleinen
bilateralen Schritte hat den Schweizer Unternehmen zur
rechten Zeit Rückenwind verschafft. Sie konnten sich in
den letzten Jahren vom kriselnden EU-Raum lösen und
international diversifizieren. Lediglich 56 Prozent aller
Exportgüter gingen dieses Jahr bis September noch in die
EU, vor vier Jahren waren es noch über 63 Prozent. Dieser
Trend dürfte sich weiter verstärken, selbst wenn die Eurozone langsam aus der Rezession findet. Freihandelsabkommen sind allerdings nicht mit dem roten Teppich zu
verwechseln. Es bedarf einiger Initialanstrengungen, um
profitieren zu können. Hier besteht zweifelsohne Potenzial – auch bezüglich Regulatorien, wie unser Focus mit
dem Therapiegerätehersteller Hocoma beweist.
Respekt, Bescheidenheit, grösstmögliche Kundennähe:
Dafür plädiert Yves Serra, der CEO von Georg Fischer.
Das Industrieunternehmen mit 48 Produktionsstätten
in 30 Ländern verfolgt ein ausdifferenziertes Geschäftsmodell. Der ausgeprägte Teamspirit ist der Erfolgsträger.
Erstklassiges Teamplay trägt auch in der Firmenansiedlung Früchte. Zwei Jahre haben die Stadt Winterthur,
kantonale Standortförderer, der Swiss Business Hub
Japan, Switzerland Global Enterprise sowie Grundeigentümer und Projektentwickler an einem Strick gezogen.
Das Resultat: Der weltgrösste Werkzeugmaschinenhersteller DMG MORI baut seine Europazentrale in Winterthur. Damit wird auf dem Sulzer-Areal Industriegeschichte fortgeschrieben.
Ich wünsche Ihnen eine bewegende Lektüre!
3
«Inzwischen decken wir mit unseren
Geräten alle Therapiephasen ab. Sie
vereinen Robotik, Sensorik und
Augmented Performance Feedback.»
Peter Dell’Olivo, Leiter Export Hocoma
4
FOCUS FREIHANDEL
Schrittmacher im
Schweizer Export
Der Schweizer Freihandel blüht: Das Abkommen mit
China verspricht bei 95 Prozent des Exportwertes eine
Beseitigung oder eine Reduktion der Zölle von mindestens 60 Prozent, je nach Produkt mit Übergangsfristen.
Hocoma, die weltweit führende Herstellerin von Therapiegeräten, und der Drucksensorenhersteller Metallux
profitieren von den Exporterleichterungen. Doch sind
diese nicht ohne Aufwand zu haben.
Text Michael Flückiger | Fotos Daniel Winkler und Claudio Bader
D
ie Schweiz ist nicht nur Innovationsweltmeisterin. Die laut Weltbank Nummer 19
der weltgrössten Volkswirtschaften ist auch
verhandlungstechnisch Weltklasse. Ihre 28
Freihandelsabkommen mit 38 Ländern stellen dies unter Beweis. Im zähen Ringen um
Wettbewerbserleichterungen im internationalen Umfeld bietet die Exportnation ihren Unternehmen laufend verbesserte Handelsbedingungen. Daniel
Küng, CEO von Switzerland Global Enterprise, unterstreicht: «Da wir sehr viele Güter importieren, hier weiterverarbeiten und wieder exportieren, profitieren wir
doppelt. Dies umso mehr, als Schweizer Unternehmen
gerade noch gut 72 Rappen an jedem Exportfranken
selber erarbeiten. Und dieser Trend verstärkt sich.» Als
wichtiges Signal wertet Küng das jüngst ausgearbeitete Freihandelsabkommen (FHA) mit China, wo die
Schweiz allein 2012 Waren im Wert von 7,8 Milliarden
Schweizer Franken absetzen konnte. Mit dem neuen
Abkommen werden die chinesischen Einfuhrzölle bei
schätzungsweise 95 Prozent des Exportwertes ganz
oder fallweise um 60 Prozent abgebaut. Dies je nach
Produkt mit Übergangsfristen. «Im Hinblick auf weitere Verbesserungen der Marktzugangsbedingungen haben die Parteien eine Überprüfungsklausel vereinbart,
die vorsieht, dass die Zollkonzessionen alle zwei Jahre
einer Nachprüfung unterzogen werden.» Trotzdem
reizen viele Schweizer Unternehmen ihre Möglichkeiten nicht aus. Dies nicht nur aus Unwissen, sondern
auch wegen bürokratischer Hürden. «Die FHA sind
nicht die Antwort auf alle Fragen», weiss Küng. «Wer
hier Expertise erlangen und profitieren will, muss auch
bereit sein zu investieren.» Die Herausforderungen
könnten nicht unterschiedlicher sein. Dies zeigen die
Freude an Produkten, die Menschen wieder in Bewegung bringen:
Peter Dell’Olivo (r.) im Gespräch mit dem Produktionsleiter Fabian Felder.
HOCOMA
2000 als Spin-off der Schweizer Universitätsklinik Balgrist gegründet, entwickelt und produziert
Hocoma Therapielösungen für die Behandlung
von neurologischen Bewegungsstörungen. Hocoma
beschäftigt heute am Hauptsitz Volketswil sowie in
den Niederlassungen in den USA, in Singapur und
in Slowenien mehr als 150 Angestellte. 2012 erwirtschaftete das mehrfach international für seine
Innovationskraft ausgezeichnete Unternehmen
einen Umsatz von mehr als 30 Millionen Franken.
CEO der Hocoma AG ist Dr. Gery Colombo.
Weitere Informationen:
www.hocoma.ch
5
zu knapp 97 Prozent exportierende Therapiegeräteherstellerin Hocoma aus Volketswil und das Mikroelektronikunternehmen Metallux aus Mendrisio.
Hocoma: Revolution in der Bewegungstherapie
1996 haben sie mithilfe von Schraubenschlüsseln,
Lötkolben und Schweissgeräten noch an Seilzügen
von Mopeds und Alteisen gewerkelt. Heute sind die
Elektroingenieure Gery Colombo und Matthias Jörg
sowie der Ökonom Peter Hostettler mit ihren automatisierten Therapiegeräten Weltmarktführer. Der
Gangroboter Lokomat von Hocoma hat die Bewegungstherapie für Menschen nach Schlaganfall, Rückenmarkverletzungen oder Schädel-Hirn-Trauma
revolutioniert. Kliniken, die sich erfolgreich positionieren wollen, investieren gezielt in die HightechGeräte der Firma mit Produktion in Volketswil und
Niederlassungen in den USA, Singapur und Slowenien: Studien belegen, dass Schlaganfallpatienten, die
roboterunterstütztes Gangtraining mit Physiotherapie kombinieren, grössere Chancen auf selbständiges
Gehen haben als jene, die nur mit konventionellem
Gangtraining mobilisiert werden. «Wir sind der einzige Anbieter, der ausschliesslich auf diese therapeutischen Anwendungen von Robotik fokussiert ist.
Unsere Geräte sind mit führenden Kliniken entwickelt
worden, und ihr Nutzen ist durch Hunderte von Studien untermauert. Die Barrieren für Mitbewerber sind
sehr hoch.» Peter Dell’Olivo, Exportverantwortlicher
bei Hocoma, weiss um die Bedeutung von Erfolgsnachweisen in der Medizintechnik. Jede Weiterentwicklung des seit der Lancierung im Jahr 2001 mehr
als 500 Mal verkauften Geräts für Gangtherapie ist
wissenschaftlich dokumentiert.
«We move you»: Das
ist der Leitspruch der
Mitarbeitenden von
Hocoma (links). Das auf
Sensoren basierende
Produkt Valedo dient
der computergestützten
Rückentherapie (rechts).
500
Lokomaten von
Hocoma stehen heute weltweit bereits
in renommierten Kliniken im Einsatz.
Das ist ein Bruchteil des Potenzials.
6
Mit einmalig 15 Minuten Einrichtezeit muss jeder Patient rechnen, der sich erstmals in den Lokomat einspannen lässt. Die Tragegurte, die das Gewicht halten,
müssen perfekt sitzen. Das gilt auch für die auf die
Gelenkposition sowie auf Ober- und Unterschenkel
individuell angepassten Beinschienen. Stimmt alles,
setzt der Lokomat den Patienten mit flüssigen Beinbewegungen und natürlichem Abrollverhalten in
Bewegung. So manchen gehbehinderten Patienten
eröffnen sich Horizonte. Selbstvergessen steuern sie
sich als Avatar durch virtuelle Landschaften und stimulieren so sehr gezielt Nervenbahnen, Muskulatur,
Sehnen und Gelenke. «Inzwischen decken wir mit
unseren Geräten, alle Therapiephasen ab. Wir vereinen Robotik, Sensorik und Augmented Performance
Feedback», erläutert Dell’Olivo. «Der Lokomat ist unser Herzstück. Ab Werk kostet er rund 340 000 Franken
und ist vor allem für den Einsatz in Kliniken gedacht.»
Für kleinere Praxen von Physiotherapeuten ist Hocoma mit den jüngst entwickelten Valedo-Sensoren zur
computerunterstützten Rückentherapie gerüstet.
97 von 100 Geräten gehen ins Ausland. Sie machen 80 Prozent des Exportumsatzes aus, weitere
20 Prozent bestehen aus Ersatzteilen und Serviceleistungen. Hauptzielmärkte sind Europa und die
USA. Insgesamt beliefert Hocoma Kliniken in über 55
Ländern weltweit. Da Therapiegeräte in den meisten
Ländern zollbefreit sind, ist Hocoma im Export der
Komplettgeräte kaum von Handelshemmnissen betroffen. Anders sieht es bei den Ersatzteilen aus. «Weil
wir diese je nach Angebot aus unterschiedlichsten
Ländern beschaffen, stehen wir beim Einholen der
Ursprungsnachweise regelmässig vor Herausforderungen», zeigt Dell’Olivo auf. Alle diese Teile mit
dem korrekten Ursprung zu erfassen und im Prozess
zu verfolgen, sei das eine. Die oft nur für den Heimmarkt produzierenden Schweizer Lieferanten dazuzubringen, eine einwandfreie Ursprungserklärung
beizulegen, das andere. «Hier wägen wir Aufwand
und Nutzen sorgfältig ab. Wenn wir nicht sicher sind,
dass die Teile ausreichend in der Schweiz bearbeitet
sind und so zollbefreit in andere Märkte exportiert
werden können, verzichten wir je nach Markt und
abgesetzter Menge auf eine Ursprungsdeklaration.»
Dell’Olivo stellt auch fest, dass die Komplexität der
Anforderungen an die Exportindustrie in den letzten
Jahren zugenommen hat. Die Einhaltung dieser Anforderungen, die sogenannte «Trade Compliance»,
stellt KMU vor grosse Aufgaben und Investitionen bei
IT-Infrastrukturen, Ausbildung und Administration.
«Hier sind Vereinfachungen im Rahmen der Freihandelsabkommen eine grosse Hilfe, denn eine einfache
Einführung und Umsetzung spart Kosten und Aufwand und unterstützt uns dabei, von neuen Freihandelsabkommen rasch profitieren zu können.»
Metallux – dicht am Markt
Während Hocoma Körper von Menschen bewegt, die
ihre Bewegungen selber nicht mehr steuern können,
ist Metallux darauf spezialisiert, Druck zu messen. 2,5
Millionen Drucksensoren bringt das 1955 gegründete
KMU aus Mendrisio auf den Weltmarkt. Die kleinen
Bauteile sind höchst präzise Geräte der Messtechnik
Für Massimo Romano,
CEO der Metallux SA, ist
der Zugang zu Endkunden
in Russland, China und
Indien eine Pricing-Frage.
Freihandelsabkommen
verschaffen Spielraum.
METALLUX
1955 in Mendrisio gegründet, steht Metallux als
international anerkanntes Qualitätslabel für die
Produktion von Standarddrucksensoren wie auch
kundenspezifisch entwickelten Hybridlösungen
für die Messtechnik in Automotive, Fertigungsindustrie, Biomedizin und Raumfahrt. Das Unternehmen
mit 110 Mitarbeitenden erwirtschaftet 19 Millionen
Franken Umsatz pro Jahr, 60 Prozent entfallen
dabei auf Drucksensoren, von denen vier von fünf ins
Ausland gehen. Ein zweites Standbein von Metallux
ist das Zusammenbauen wie auch die Präzisionsfertigung von Mikroelektronikteilen.
Weitere Informationen:
www.metallux.ch
7
Präzisionsarbeit unter Laborbedingungen: In Mendrisio produziert Metallux jedes Jahr 2,5 Millionen Standarddrucksensoren und spezielle Hybridlösungen.
und helfen, Vorgänge in Automobilen, Produktionsanlagen oder der Medizintechnik aufeinander abzustimmen. Das Mikroelektronikunternehmen mit 110
Mitarbeitenden produziert ausschliesslich in Mendrisio, wie CEO Massimo Romano betont. «Die Drucksensoren machen rund 60 Prozent unseres Geschäfts aus.
Zu 80 Prozent liefern wir sie ins Ausland. Zu weiteren
40 Prozent fertigen wir im Auftrag von Schweizer und
norditalienischen Firmen in Präzisionsarbeit mikroelektronische Teile an. Stark sind wir mit unseren
Siebdruckverfahren zur Beschichtung von leitfähigen
Metallen. Und dank zwei Reinräumen können wir
Bonding-Verfahren state-of-the-art anbieten.»
Verkaufsleiter Luca Salmaso muss vom Südtessin
aus hart um Marktanteile in Deutschland, den USA,
«Dank der Freihandelsabkommen
importieren wir Bauteile wie
Keramik, Siebdruckpasten und Elektronikteile günstiger. Damit können
wir unsere Margen optimieren.»
Luca Salmaso, Verkaufsleiter Metallux
8
China, England und Frankreich ringen. Seit 2006
gehört Metallux zum italienischen Mechatronik-Unternehmen Eltek Group mit über 100 Millionen Franken Umsatz und rund 1000 Mitarbeitenden. Da die
Schweiz kaum über Mechatronik-Rohstoffe verfügt,
muss Metallux die meisten Bestandteile importieren.
Es sind vor allem Keramik, Siebdruckpasten, aber
auch elektronische Bauteile. «Dank der Freihandelsabkommen können wir die Produktion vergünstigen und unsere Margen optimieren», hält Salmaso
fest. Dies ist für Metallux umso bedeutsamer, als das
Unternehmen alle Produkte, seien es Standarddrucksensoren oder individuelle Kundenausführungen,
komplett in der Schweiz herstellt. «Wir schützen
so unsere qualitativ hochstehenden Produkte vor
Nachahmern im Ausland.» Metallux wägt seine Exporttätigkeit sorgfältig ab: Vor allem in den Ländern
Russland, China und Indien besteht ein sehr hoher
Bedarf an hochwertigen Sensoren, weshalb sich
Salmaso positive Effekte vom neuen Freihandelsabkommen erhofft. «Für uns gilt es, einen guten Weg
zu finden, damit wir unsere Produkte direkt an den
Endverbraucher liefern können und nicht nur die
anspruchsvollsten Teile an lokale Produzenten, die
sich dann auf unsere Kosten als Qualitätsanbieter
etablieren.»
Zu Geschichte und Hintergründen der Freihandelsabkommen der Schweiz siehe Grafik Seite 11.
INTerview FoCus Freihandel
«Die Auswirkungen sind manchmal
nicht direkt sichtbar»
Christian Etter hat als Schweizer Chefunterhändler mehrere Freihandelsabkommen
geleitet, unter anderem das jüngste mit China. Er ist überzeugt vom Erfolg der Abkommen
für die Schweizer Gesamtwirtschaft.
Interview Michael Flückiger
Was bezweckt die Schweiz mit ihren
Freihandelsabkommen? Ziel ist die Verbesserung des Marktzugangs für Waren und
Dienstleistungen und die Vermeidung von
Diskriminierungen auf Auslandsmärkten. In
älteren Abkommen wurde vor allem der
Warenverkehr geregelt, indem man sich gegenseitig Zollvorteile gewährte und den Schutz
des geistigen Eigentums stärkte. Die neueren
Abkommen beinhalten zusätzlich den Handel mit Dienstleistungen, zum Teil auch die
Investitionen und das öffentliche Beschaffungswesen sowie Bestimmungen über
die nachhaltige Entwicklung.
2012 traten FHA der Schweiz mit der
Ukraine, Hongkong und Montenegro in
Kraft, 2013 wurden Abkommen mit China,
Bosnien-Herzegowina sowie Panama und
Costa Rica unterzeichnet. Weshalb diese
hohe Aktivität? Seit 2001 versuchen die 159
Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO)
im Rahmen der sogenannten Doha-Runde
weitere Liberalisierungen für den Welthandel
zu vereinbaren. Bisher ohne Erfolg. Deshalb
verhandeln immer mehr Länder Freihandelsabkommen mit ausgewählten Partnern. Auch
die Schweiz hat eine zunehmende Zahl solcher Abkommen, insbesondere im asiatischen
Raum und in Lateinamerika, abgeschlossen.
Gemäss Berechnungen des SECO von
2010 wächst das Handelsvolumen mit
den Abkommenspartnern im Durchschnitt
doppelt so stark wie der Aussenhandel
mit anderen Ländern. Wie sieht die jüngste
Entwicklung aus? Schweizer Unternehmen
sparen dank der Gesamtheit unserer Freihandelsabkommen mit Partnern ausserhalb
der EU Zollgebühren von jährlich mehreren
hundert Millionen Franken. Eine Schätzung
für das Jahr 2008 ergab 420 Millionen. Weil
die Konjunkturlage und andere Faktoren ebenfalls einen Einfluss auf die Handelsströme
haben, sind die Auswirkungen von Freihandelsabkommen manchmal nicht direkt sichtbar.
Das Beispiel Japan, wohin wir im Vorjahr
Waren im Wert von fast 7 Milliarden Franken
exportiert haben, zeigt es: Die Schweizer
Exporte nach Japan haben im letzten Jahr
um 4,5 Prozent zugenommen, obwohl das
Wirtschaftswachstum Japans unter 2 Prozent
lag. Dazu hat zweifellos das Freihandelsabkommen Schweiz-Japan beigetragen.
Welche unserer Unternehmen profitieren vor allem von Freihandelsabkommen?
Foto: photopress
Zur Person
Botschafter Christian Etter, 60, Dr. rer. pol., ist
als Delegierter des Bundesrates für Handelsverträge seit 2006 Mitglied der Geschäftsleitung
des SECO. Christian Etter hat als Schweizer
Chefunterhändler viele der jüngsten Schweizer
Verhandlungen über Freihandelsabkommen
geleitet.
Alle. Die Exportindustrien Pharma, Chemie,
Maschinen und Uhren profitieren direkt von
tieferen Zöllen und – ebenso wie die international tätigen Dienstleistungsunternehmen –
von anderen Erleichterungen für den Handel.
Exporte lösen Nachfrage nach Vorleistungen
aus Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen
aus und schaffen Arbeitsplätze und Einkommen zugunsten der ganzen Volkswirtschaft.
«Falls sich die EU und die
USA finden, müssen wir Wege
finden, um die Hemmnisse
zu überwinden.»
Christian Etter, Botschafter und
Chefunterhändler
Welche Folgen hätte ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA
für unser Land? Die durchschnittlichen Einfuhrzölle der USA für Industrieprodukte sind
mit unter 4 Prozent heute bereits relativ tief,
und mit der EU haben wir für Industrieprodukte seit dem Abkommen von 1972 keine Zölle
mehr. Somit wären allfällige tarifäre Diskriminierungen begrenzt. Zwischen der EU und den
USA geht es um regulatorische Bereiche. Die
Schweiz hat mit den bilateralen EU-Verträgen
und in ihrer eigenen Gesetzgebung bereits viele Produktevorschriften an jene der EU angenähert. Falls sich die EU und die USA einigen,
müssten wir Wege finden, um sich ergebende
Handelshemmnisse zu überwinden.
Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Meilensteine, die die Schweiz mit
ihren Freihandelsabkommen erreicht hat?
Wirtschaftlich am bedeutendsten ist das
Freihandelsabkommen mit der EU von 1972,
das 56 Prozent unserer Exporte abdeckt.
Nach Abkommen mit vielen osteuropäischen
Staaten in den 1990er Jahren handelten wir
im Jahr 2000 mit Mexiko das erste Freihandelsabkommen aus, welches die Dienstleistungen integrierte. 2002 folgte das Abkommen
mit Singapur, welches erstmals zusätzlich
die Investitionen enthielt. Es folgten weitere
ähnliche Abkommen, zum Beispiel mit Japan,
Südkorea, Kolumbien und Chile. Das im letzten
Jahr in Kraft getretene Abkommen mit Hongkong umfasste erstmals Bestimmungen zur
nachhaltigen Entwicklung. In diesem Jahr ist
das Freihandelsabkommen mit unserem nach
der EU und den USA drittwichtigsten Handelspartner China zu Stande gekommen.
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Die Schweiz hat bislang
28 Freihandelsabkommen …
Schweizer Unternehmen
haben 2008 420 Mio. Fr.
Zollgebühren eingespart
Zollbestimmung
(günstigerer Zoll)
Bestandteile eines
Freihandelsabkommens
Patentschutz
(gegenseitiger Schutz
der Patente über
WTO-Norm hinaus)
Handel mit
Dienstleistungen
§
Info
grafik
Freihandel
%
Bestimmungen für
Investitionen
… mit 38 Ländern abgeschlossen
Bestimmungen
bezüglich
Beschaffungswesen
56% aller Exporte der Schweiz
gehen in die EU
75% aller Importe der Schweiz
kommen aus der EU
Zugeständnisse
bezüglich
Nachhaltigkeit
(z.B. Produktionsstandards)
51% Anteil aller Exporte
ausserhalb der EU, die durch ein
FHA abgedeckt sind
WTO
WTO
Die Freihandelsabkommen der Schweiz
sind an die WTO-Abkommen gebunden.
Es gibt folgende WTO-Bestimmungen:
GATT
Seit 1948.
General Agreements
on Tariffs and Trades.
GATS
Seit 1995. General Agreement on
Trade in Services; Abkommen über
den Handel mit Dienstleistungen.
TRIPS
Seit 1995. Trade-Related Aspects of
Intellectual Property Rights; Abkommen über
den Schutz des geistigen Eigentums.
Vorteilhaft verhandelt
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Grafik: Daniel Karrer / Quelle: SECO
Die Schweiz gehört zu den agilsten und erfolgreichsten Nationen im Aushandeln von Freihandelsabkommen (FHA) zum Austausch von Gütern, Dienstleistungen und Arbeitskräften.
Dank 28 Abkommen mit insgesamt 38 Ländern profitiert sie nicht nur beim Export, sondern
auch beim Import von verbesserten Bedingungen. In den letzten Jahren stellte die Schweiz vor
allem die Handelsbeziehungen zu neuen Märkten auf verbesserte Grundlagen.
11
Focus Freihandel
ExportHelp öffnet Räume
im Aussenhandel
Über 900 Exportfragen von KMU behandeln die Beraterinnen und Berater
von ExportHelp jedes Jahr auf Deutsch, Französisch und Italienisch. Selbst
komplexe Fragen werden meist innerhalb von 24 Stunden kompetent
beantwortet.
Text Michael Flückiger | FOTO Daniel Winkler
12
«Die Häufigkeit der Anfragen gibt uns schon eine gewisse Routine», erzählt Alfonso Orlando, der Leiter
von ExportHelp bei Switzerland Global Enterprise
(S-GE). «Doch liegt diese mehr in der Kompetenz,
Probleme zu lösen, als eine fertige Lösung aus der
Schublade zu ziehen.» Tatsächlich sind die über 900
Anfragen, die ExportHelp pro Jahr beantwortet, oft
so spezifisch wie die betroffenen Firmen mit ihren
Produkten und Dienstleistungen. Der Fokus liegt bei
Fragen zu Zoll, Exportdokumenten, Warenursprung,
Entsendung von Mitarbeitenden sowie Mehrwertsteuer. Besonders angezogen hätten die Anfragen zu
Freihandelsabkommen, verrät Orlando: «Sie haben
sich innerhalb des letzten Jahres verdoppelt.» Es sind
vor allem kleine und mittlere Unternehmen von 10
Sorgen im Deutschschweizer Exportgeschäft für den
Durchblick (v.l.n.r.): Petra Schwendimann, Nicole Märki,
Alfonso Orlando, Ana Carvalho und Christina Mäder.
bis 200 Mitarbeitenden, die sich melden. Grössere
Firmen verfügen über eigene Spezialisten. Schnelle
und unkomplizierte Hilfe erhalten die Anrufer in der
Deutschschweiz von fünf erprobten Fachkräften. Das
Quintett, bestehend aus Leiter Alfonso Orlando und
vier Frauen, besticht mit praxisnahem Wissen. Es
verfügt über Exporterfahrung in der Privatwirtschaft,
ergänzt durch vertiefte Kenntnisse in den einzelnen
Fachthemen. «Wir sprechen die Sprache der Unternehmer, das ist zentral», ist sich Orlando gewiss.
Besonders am Herzen liegt dies S-GE in der
französischen und italienischen Schweiz. Wer aus
der Romandie die Nummer von ExportHelp wählt,
gelangt direkt nach Lausanne zu Nicole Cuche. Die
Beraterin mit 25 Jahren Exporterfahrung steht allen
Westschweizer KMU mit Rat und Tat zur Seite, beantwortet auch komplexe Fragen selber oder greift
zielstrebig auf ihr Kontaktnetz bei Zollbehörden und
Kanton zurück. Fast schon familiäre Verhältnisse
herrschen in der italienischen Schweiz, wie Monica
Zurfluh, Leiterin S-GE Südschweiz erläutert. «Mit Silvia Devoti, die bei uns die Fragen beantwortet, treffe
ich die Unternehmen laufend an Veranstaltungen.
Das schafft Vertrauen.» Unterstützt wird das Team
Lugano auch von Zürich.
Die Experten scheuen sich nicht, auch vielfältige
Problemstellungen in Angriff zu nehmen. Um auf
dem aktuellsten Stand zu bleiben, bildet sich das
ExportHelp-Team regelmässig weiter und tauscht
sich mit Organisationen wie der Zollverwaltung oder
den kantonalen Handelskammern aus. Bereits seit
2005 leistet Alfonso Orlando erste Hilfe in der Internationalisierung, die stets neuen Fragen behagen
ihm. Er lacht: «Ich habe mal versucht, die Anfragen
zu standardisieren, es war zwecklos.»
Wer bei ExportHelp anruft, erhält oft schon
während des Gesprächs die gewünschte Antwort. Ansonsten melden sich die Beraterinnen innerhalb von
24 Stunden. Für präzise Fragestellungen und Antworten ist der Mailverkehr eine grosse Hilfe. Viele Firmen
haben den effektiven Nutzen dieser unkomplizierten
Hilfe für sich entdeckt. Sie kehren mit wechselnden
Anliegen wieder. Eine Erstberatung ist dabei kostenlos – als Teil der offiziellen Leistungsvereinbarung,
die S-GE mit dem Bund unterhält und im Auftrag des
Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO) ausführt.
Weitere Informationen: www.s-ge.com/exporthelp
Die Nummer für den Export: 0844 811 812
ExportHelp von S-GE deckt in allen drei Landessprachen den Bereich Erstinformationen ab und bietet
KMU Unterstützung in Exportfragen aller Art an. Anfragen, die sofort beantwortet werden können oder
eine Recherchezeit bis zu einer Stunde benötigen,
sind kostenlos. Ein erster Bescheid oder auch gleich
die Lösung wird innerhalb von 24 Stunden garantiert.
Jede neue Anfrage untersteht denselben Bedingungen. ExportHelp kann auf ein breites Netzwerk von
Experten im In- und Ausland zugreifen.
13
INTERVIEW Yves Serra
«Respekt haben,
hart arbeiten
und bescheiden
bleiben»
Georg Fischer hat sich von einer altehrwürdigen
Schaffhauser Giesserei zu einem internationalen Industrieunternehmen gewandelt. «Nahe bei den Kunden zu
sein» ist für CEO Yves Serra unabdingbar.
Interview Rita Baldegger | Fotos Jolanda Flubacher Derungs
14
«Um die Bedürfnisse der Kunden
im Detail zu kennen, müssen wir vor Ort
sein und ihre Sprache sprechen.»
Yves Serra, CEO Georg Fischer
Herr Serra, in Ihrem Halbjahresbericht steht, dass Sie für das zweite
Halbjahr trotz der volatilen Märkte ein
vergleichbares Ergebnis wie im ersten
Halbjahr erwarten. Sind Sie auf Kurs?
Ja, wir sind auf Kurs. In der Regel ist das
zweite Halbjahr traditionell schwächer,
weil wir in der zweiten Hälfte des Jahres
zahlreiche Anlagen warten und die
Kunden ihre Lager reduzieren. In diesem
Jahr hatten wir einen langen und kalten Winter, auf vielen Baustellen wurde
nicht gearbeitet. Das kann GF Piping
Systems jetzt kompensieren. Hinzu
kommt, dass wir die Kosten gesenkt
und eine neue Firma in der Türkei
akquiriert haben.
Zur Person
Yves Serra ist seit 2008 CEO der
Georg Fischer AG. Davor leitete er
GF Piping Systems. Der 60-jährige
gebürtige Franzose studierte in
Frankreich und den USA Ingenieurswissenschaften und begann
seine Karriere als Stv. Handelsbeauftragter der französischen
Botschaft in Manila. Danach war er
für Sulzer und AgieCharmilles in
leitenden Positionen in Japan tätig,
bevor er 1998 Geschäftsführer
der Charmilles Technologies SA in
Genf wurde.
Zum Unternehmen
Georg Fischer umfasst die Kerngeschäfte GF Piping Systems,
GF Automotive und GF AgieCharmilles. Das 1802 gegründete
Industrieunternehmen mit Hauptsitz in der Schweiz betreibt in
30 Ländern 125 Gesellschaften,
davon 48 Produktionsstätten.
Die 13 500 Mitarbeiter erwirtschafteten 2012 einen Umsatz von
3,6 Milliarden Franken. GF ist weltweit bekannt für den sicheren
Transport von Flüssigkeiten und
Gasen, die Gewichtsverringerung in Fahrzeugen und für die
Hochpräzisions-Fertigungstechnologie.
Die Division GF Piping Systems ist
sehr erfolgreich in Asien und Amerika.
In Amerika und Asien wachsen die
Märkte viel schneller als in Europa.
Deshalb hat GF zum Beispiel auch in
China viel investiert. Heute ist China
der Markt Nummer 1 für alle Werkzeugmaschinen-Hersteller. Auch für GF
Piping Systems gilt dies mit Abstand.
Das war vor zehn, fünfzehn Jahren
noch nicht der Fall. Deshalb haben wir
uns Schritt für Schritt angepasst und
werden es weiter tun.
Warum ist die Internationalisierung
bei GF Automotive schwieriger? GF
Automotive ist deutlich abhängiger von
Europa als die anderen beiden Divisionen. Die Autoproduktion in China hat
sich erst in den letzten Jahren beschleunigt. GF Automotive ist dabei, stark
in China zu investieren. Wir haben
dort zwei Firmen, die wir jetzt sukzessive
ausbauen. In Europa automatisieren
wir, um wettbewerbsfähig zu bleiben und
weiter Marktanteile zu gewinnen. Der
Markt in Europa bleibt trotz der jetzigen
Stagnation wichtig. Die Nachfrage nach
LKWs steigt, weil neue Normen zur
CO2-Reduktion eingeführt werden.
Ihre Mitarbeiterzahlen haben sich nur
in Europa verringert. Findet eine Verlagerung statt? Letztes Jahr haben wir in
Europa zwei Firmen mit insgesamt rund
700 Mitarbeitenden verkauft. Die Reduktion des Mitarbeiterbestandes hat vorwiegend mit dieser Desinvestition zu tun.
Grundsätzlich ist ja Ihre Philosophie,
dass Ihre Produktionsstätten nahe
beim Kunden sind. Das ist ein Muss für
unser Geschäft! Um die Bedürfnisse
der Kunden im Detail zu kennen, müssen
wir vor Ort sein und ihre Sprache sprechen; mit der Entwicklung, der Produktion, dem Verkauf und dem Service.
Wir verkaufen Komponenten für Autos, die
in China produziert werden. Wir können
diese schweren Komponenten nicht von
Europa nach China verschiffen. Zudem
sind die Importsteuern in China hoch. In
Amerika wiederum sind die Normen
anders. Deshalb müssen unsere Rohrleitungssysteme vor Ort hergestellt werden.
Wird es in Zukunft noch einen Werkplatz Schweiz geben? Unser Know-how
liegt in der Schweiz. Und das bleibt so.
Die Kernkomponenten werden wir auch
in Zukunft in der Schweiz produzieren,
obwohl wir die Montage der Werkzeugmaschinen in China oder Amerika machen. Die Rohrleitungssysteme – das sind
Rohre, Fittinge, Armaturen, Sensoren –
werden als System verkauft. Rohre und
Fittinge müssen wir vor Ort produzieren,
weil wir sonst Luft transportieren würden –
das ist zu teuer. Sensoren und Armaturen sind hochwertige Produkte. Deshalb
werden sie in Europa oder Amerika hergestellt. Es ist eine ausgeklügelte Mischung
von Produktionsstandorten erforderlich, um ein System zu haben, das wett-
15
Ausdifferenzierte Produktion: Yves Serra setzt auf ein
ausgeklügeltes System von Produktionsstandorten. Die
Kernkompetenzen behält er in der Schweiz.
«Für mich persönlich war immer
wichtig, Respekt vor den
Leuten zu haben, sich anzupassen
und bescheiden zu bleiben.»
können als internationale Firma nur
erfolgreich sein, wenn wir sehr flexibel
sind und zusammenarbeiten. Das
scheint einfach, ist es aber nicht.
Yves Serra, CEO Georg Fischer
Sie sind in Frankreich aufgewachsen,
waren lange Jahre in Japan stationiert, jetzt leben Sie in der Schweiz. Was
ist Ihr Erfolgsrezept, um sich in den
verschiedenen Kulturen zu bewegen?
bewerbsfähig ist. Und der Markt muss
entsprechend gross sein, damit sich
die Produktion lohnt, wie in Amerika,
China, Deutschland oder der Türkei.
Wie evaluieren Sie die Märkte, damit
Sie rechtzeitig vor Ort sind? Grundsätz-
tion unserer Kernkomponenten in
der Schweiz. Diese können nur schwer
kopiert werden. Da geht es um Software für die Werkzeugmaschinen, Funkengeneratoren für die Funkenerosionsmaschinen oder die Spindel für Fräsmaschinen. Den Rest der Maschinen,
80 bis 90 Prozent, produzieren wir
vorzugsweise in China.
lich sind alle Länder auf dem Radar.
Dadurch können wir kompensieren, wenn
es in einem Land oder einer Region
nicht so gut läuft. Wir brauchen diese Ausgewogenheit, um die Zyklen abfedern
zu können. In Asien waren wir schon vor
25 Jahren präsent, in China, Korea,
Taiwan, Singapur, Malaysia. Schon früh
war klar, dass diese Länder schneller
wachsen würden als Europa. Unsere
Talente in der Schweiz müssen so flexibel
sein, dass sie auch ein paar Jahre in
China arbeiten können. Darum ist
auch ein starker Teamgeist im Unternehmen sehr wichtig.
Welche Bedeutung hat das angekündigte Freihandelsabkommen mit
China für Georg Fischer? Der Hauptvor-
Wie erreichen Sie, dass Teams aus
verschiedenen Kulturen gut zusammenarbeiten? Seit sieben, acht Jahren
teil ist emotional, umfasst die Betonung der Freundschaft zwischen der
Schweiz und China. Wir würden die
Senkung der Importsteuern begrüssen,
es wäre beispielsweise wichtig für unsere
Premium-Werkzeugmaschinen. Fast neunzig Prozent von dem, was wir in China
verkaufen, produzieren wir vor Ort.
führen wir bei allen Managern und
Mitarbeitenden Trainings durch, die auf
diesen Teamgeist ausgerichtet sind.
So können wir rascher und effektiver auf
Kundenbedürfnisse reagieren. Viele
unserer Kunden sind international aufgestellt und erwarten von uns eine
solche reibungslose Unterstützung. Wir
Wie steht es mit dem Schutz des
geistigen Eigentums, gerade auch in
China? Auch deshalb bleibt die Produk-
16
Für mich persönlich war immer wichtig, Respekt vor den Leuten zu haben, sich
anzupassen und bescheiden zu bleiben. Das gilt wahrscheinlich überall auf
der Welt.
International erfolgreiche Schweizer
Firmen sind häufig sehr traditionsbewusst, aber auch sehr innovativ. Es ist
lebenswichtig für uns als Schweizer
Firma, innovativ und weltweit präsent zu
sein. Damit können wir uns differenzieren und die hohen Kosten kompensieren. Unsere Löhne sind hoch, der
Franken ist stark. Schweizer Firmen
können sich nur durch Innovation
differenzieren, durch eine starke Präsenz
im Ausland, durch gute Zusammenarbeit innerhalb der Firma, aber nicht
mit tieferen Kosten. Mit unseren weltweit zwölf Forschungszentren und jenen
in der Schweiz stellen wir sicher, dass
wir auch in Zukunft einen Schritt voraus
sind.
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IMPORT Promotion ATISA
Peruanische Shrimps für
Europas Teller
Das Familienunternehmen ATISA erobert Exportneuland für tiefkühlfrische
weisse Qualitätsshrimps in Europa. Dank der Schützenhilfe des Importförderungsprogramms SIPPO konnte es die Beschäftigtenzahl nahezu verdoppeln.
Text Sibylle Zumstein
Netzauswurf vom Fischerboot. Die Ernte der Shrimps
erfolgt bei ATISA noch nach konventionellen Methoden.
18
A
TISA, kurz für Acuacultura Técnica Integrada del Perú, wurde im Jahr 1991 in Peru
als Shrimp-Farm gegründet. Sales Managerin Patricia Matto erklärt: «Obwohl wir seit
15 Jahren Shrimps exportieren, bestanden
unsere Kontakte aus Leuten, die nach Peru
kamen und das Produkt bestellten, wenn sie wieder
nach Hause fuhren.» Die USA und Spanien waren die
ersten Abnehmerländer, und im Jahr 2012 begann
der Export von Shrimps nach Frankreich. Korea ist
das nächste Land auf der Liste. Zu den grössten Herausforderungen gehört, einen Detailhandelspartner
zu finden, der das Produkt im Supermarkt anbietet.
«Derzeit werden unsere Shrimps in einem einzigen
Supermarkt in Galicien, Spanien, verkauft», so Matto.
Die Vision von ATISA ist klar: der Verkauf an ausgewählte Partner, die die Qualität der Marke erkennen.
Doch erst durch die Teilnahme am Swiss Import
Promotion Programme SIPPO gelang es dem Familienbetrieb, sein Netzwerk auszuweiten und einen
nennenswerten Zugang zum europäischen Markt zu
finden – mit beachtlichem Erfolg für sein lokales Geschäft: «Zwischen 2012 und 2013 konnten wir unsere
Mitarbeiterzahl von 22 auf nunmehr 40 vergrössern»,
ergänzt Matto.
Shrimps, wie sie der Markt wünscht
Um das zu erreichen, musste viel getan werden. Während der ersten Teilnahme an der European Seafood
Exposition (ESE) in Brüssel im Jahr 2011 wurde sich
ATISA seiner Stärken und Schwächen bewusst: Man
besass zwar ein exzellentes Produkt, musste aber erst
lernen, wie man es verkauft und sich den europäischen Marktwünschen anpasst. ATISA steigerte die
Produktivität, holte mehr Spezialisten ins Boot und
optimierte die Lebensmittelsicherheit.
Das Unternehmen entwickelte die Marke COOL!,
um sich an die Anforderungen des europäischen Einzelhandels anzupassen und durch verbesserte Verpackungen und ein gesteigertes Image mehr Kunden
zu erreichen. «Bis Ende 2013 müssen wir den GlobalGAP-Audit bestanden haben. Dann bekommen
wir Zugang zu weiteren Kunden in Nordeuropa», erläutert Matto. Dies und die Tatsache, dass ATISA die
erforderlichen Gesundheits- und Qualitätsstandards
erfüllt, während gleichzeitig die Rückverfolgbarkeit
«Das SIPPO-Programm hat uns
den Zugang zu neuen Kontakten
ermöglicht und uns bei der
Geschäftsausweitung geholfen.»
Patricia Matto Lainez Lozada, Sales Manager, ATISA
der Produkte gewährleistet ist, machen das Unternehmen zu einem vertrauenswürdigen Partner für
Meeresfrüchte-Importeure in Europa.
Mehr als nur eine coole Marke
Bei ATISA ist «COOL!» mehr als nur eine Marke auf
einer frisch aussehenden Verpackung. Das gleichnamige Corporate-Social-Responsibility-Programm
verschafft Frauen aus der nahegelegenen Stadt Puerto Pizzarro Entwicklungschancen. ATISA pflanzte
100 Kokosnusspalmen für die Gemeinschaft. Die beteiligten Frauen nutzen die Früchte für die Herstellung von Süssigkeiten oder Saft, und sie lernen, wie
man seinen eigenen kleinen Betrieb führt.
Weitere Informationen:
www.atisaperu.com
ATISA setzt auf Qualität.
Nach der Aufzucht in
Ecuador gelangen die
Shrimps zur Ausreifung nach
Peru, wo sie frisch geerntet
und für den Export
konfektioniert werden.
Fotos: ATISA
Zum unternehmen
Das Familienunternehmen ATISA (Acuacultura
Técnica Integrada del Perú), ursprünglich eine
Shrimp-Farm aus Ecuador, ist heute in Peru ansässig. Von dort aus begann ATISA, die QualitätsShrimps ab 1997 zu exportieren. Inzwischen
gehen die Shrimps in die USA und nach Frankreich.
In Spanien sind sie in den Regalen eines Detailhändlers zu finden. Das Unternehmen mit heute
40 Mitarbeitenden will nun weiter nach Asien
mit Fokus Korea expandieren.
19
SucCess Story Mondini
Überirdisches Geschäft mit
unterirdischem Abfall
Mondini Engineering SA stellt unterirdische Abfallcontainer her. Damit
verschönert das international erfolgreiche Tessiner Unternehmen
nicht nur das Stadtbild und vertreibt schlechte Gerüche, sondern leistet
mit einem vereinfachten Unterhalt einen klaren Beitrag zur nachhaltigen
Müllentsorgung.
Text Sibylle Zumstein | FOTO Claudio Bader
E
twa 15 Minuten von Lugano entfernt, in
Capriasca bei Tesserete, befindet sich der
Sitz von Mondini Engineering SA. Der
Familienbetrieb wurde 1952 von Saverio
Mondini gegründet und wird heute von
seinem Sohn Stefano Mondini geführt.
Das ehemalige Metallbauunternehmen hat sich auf
die Herstellung von unterirdischen und teilunterirdischen Abfallcontainern spezialisiert, die auch
in der Schweiz immer häufiger anzutreffen sind
und die sperrigen – und zugegeben nicht gerade
20
geruchsneutralen – Rollcontainer ersetzen. Doch
die Geruchsminderung ist eigentlich nur eine angenehme Nebensache. Das Standardvolumen eines
unterirdischen Containers beträgt fünf Kubikmeter,
während die herkömmlichen Rollcontainer gerade
einmal 800 Liter Abfall fassen. Das macht die Entsorgung nicht nur effizienter, sondern reduziert
auch die Unterhaltskosten. Deshalb haben auch
viele ausländische Städte ein Interesse an den Containern, wie CEO und Inhaber Stefano Mondini erklärt: «Unsere Container können von einem Mann
Mondini Engineering SA hat sich über die Jahre ein
enormes Know-how angeeignet. Dazu gehörte auch
der Tankbau, der heute jedoch einen weniger wichtigen Stellenwert hat. Die Entsorgungsfirmen ziehen
den Abfall mit einem Kran aus der Säule, welche
die Verbindung zum unterirdischen Container darstellt. Ob sie den Abfall schräg oder gerade herausziehen, spielt dabei keine Rolle. Genau hier zeichnen
sich die Produkte von Mondini aus: Sie sind besser
verarbeitet und stabiler als Konkurrenzprodukte.
Und, wie Stefano Mondini anfügt: «Unser Produkt
ist durchdacht. Wir legen Wert auf Details: Unsere
neuen Container lassen sich mit einem Fusspedal
bedienen. Sie müssen also keinen Deckel mehr anfassen, wenn Sie Ihren Abfallsack wegwerfen.»
Zum unternehmen
Mondini Engineering SA, ein Tessiner Familienunternehmen, ist auf die Herstellung von
unterirdischen und teilunterirdischen Abfallcontainern spezialisiert und exportiert 80 Prozent
seiner Produkte. Das Unternehmen produziert in
der Schweiz und in Italien und beschäftigt
am Standort in Capriasca 22 Mitarbeitende. Mondini
feierte 2013 sein sechzigjähriges Bestehen.
Know-how weitergeben
Findet Mondini einen guten Partner vor Ort, gibt die
Firma viel Know-how weiter. So viel, dass der Partner
die Produkte nach einer gewissen Zeit, in der er vor allem die Wartung vornimmt, die Container auch selber
herstellen könnte. Eine Gefahr für den Entwicklungsund Produktionsstandort Schweiz sieht Stefano Mondini aber nicht. «Und wenn doch etwas schiefgehen
sollte, gibt es immer einen Plan B», lacht er.
Prototyp für Dänemark
Herr der Container:
Stefano Mondini
setzt im Abfallbehältergeschäft
Massstäbe in
Qualität, Funktionalität und Wirtschaftlichkeit.
geleert werden. Bei den Rollcontainern braucht
man zwei Leute plus den Chauffeur – das verursacht
höhere Kosten.»
Die kleinen Unterschiede
Früher hat Mondini Engineering SA Blech bearbeitet: Schneiden, Kanten, Stanzen. Dann wurde Blech
auf Mass bestellt. Heute bekommt Mondini fixfertig
bearbeitetes Blech, das zum Teil in Capriasca (auf
4500 Quadratmeter Produktionsfläche) und zum
Teil in Italien produziert wird. «Wir haben die Welt
nicht neu erfunden. Aber wir haben aus verschiedenen Teilen etwas Neues geschaffen, das es vorher
nicht gegeben hat.» Stefano Mondini weiss, wovon
er spricht. Der ehemalige Werkstattchef engagiert
sich stark in der Produktion und verfolgt alle Projekte genau. Dass ein CEO auch technische Fragen
selber beantworten kann, wissen die Kunden sehr
zu schätzen.
Neben den Vereinigten Arabischen Emiraten und
Saudi-Arabien ist Mondini Engineering SA in Frankreich, Italien, Spanien und Norwegen aktiv. Und
nimmt neu, mithilfe von Switzerland Global Enterprise (S-GE), Dänemark unter die Lupe. Eine Vorauswahl möglicher Partner wurde erstellt, es folgte ein
Besuch der Dänen in Capriasca. Mondini kann auch
schon einen ersten Auftrag verbuchen und stellt einen Prototyp für die dänischen Behörden her. Jetzt
gilt es nur noch, sich gegen die zwei Mitbewerber
durchzusetzen. Die Chancen stehen gut, denn Qualität und Funktionalität stehen bei Mondini an erster
Stelle: Bevor ein Produkt auf den Markt kommt, wird
es hunderttausendmal getestet. Deckel auf, Deckel
zu. Das entspricht einer Lebensdauer von fünf Jahren. Die Container sind EN-genormt und werden
von der Suva auf Herz und Nieren geprüft, bevor sie
in der Schweiz verkauft werden dürfen. So sollten sie
auch für den dänischen Markt mehr als erprobt sein.
Weitere Informationen:
www.mondini-engineering.com
«Wir haben die Welt nicht neu
erfunden. Aber wir haben aus verschiedenen Teilen etwas Neues
geschaffen, das es vorher nicht gegeben hat.»
Stefano Mondini, CEO Mondini SA
21
OPPORTUNITIES MYANMAR
Myanmar – Juwel für
Mineure der Wirtschaft
Reich an Rohstoffen, arm an Infrastruktur und Fachkräften: Das
wirtschaftliche Potenzial Myanmars ist ebenso enorm wie
der strukturelle Nachholbedarf bei Verkehr, Energieversorgung,
Bildung und Wettbewerb. Investoren stossen auf einen Rohdiamanten, den es mit Geduld zu fördern gilt. Tiefschürfende
Reformen dürften Myanmar wieder zum Strahlen bringen.
Text Michael Flückiger
M
yanmar war einst der Stolz Südostasiens.
Zumindest bevor die Militärdiktatur der
blühenden Wirtschaft im Länderdreieck
Thailand, China und Indien den Nährboden entzogen hat. Heute gilt das ärmste Land der Region als aussichtsreichster weisser Fleck Asiens. «Die bis zur Öffnung 2011
49 Jahre währende Isolation lässt sich allerdings
nicht einfach so auslöschen», weiss Angela Di Rosa,
Beraterin für Südostasien bei Switzerland Global
Enterprise (S-GE). «Die Burmesen sind derzeit sehr
gefordert, teils auch überfordert. Dessen muss man
sich als Investor bewusst sein. Zuerst gilt es, Knowhow einzubringen, dann erst können Unternehmen
verdienen.» Auch Patrick Fuchs, CEO des Beratungsunternehmens Thura Swiss in der Wirtschaftsmetropole Yangon (vormals Rangun), macht keinen Hehl
aus dem Zustand seines Mutterlandes: «Myanmar ist
wirtschaftlich auf derselben Stufe wie Thailand vor
20 bis 30 Jahren. Das gewaltige Potenzial zog anfangs
noch Profiteure ins Land, heute haben wir vor allem
Investoren mit langfristigem Horizont.» Der 35-jährige Geschäftsmann und Sohn einer Burmesin ist
selbst Investor.
Research für Investoren
Der Banker mit Studium des Maschinenbaus und
einem Doktor der Wirtschaft ist in Effretikon bei Zürich aufgewachsen und spricht fliessend burmesisch.
Seine Firma hat er Anfang 2012 in Yangon aufgebaut.
«Wir wollen uns langfristig in den Kapitalmärkten
etablieren und Projekte finanzieren. Doch weil sich
Strukturen und Regulatorien zögerlich entwickeln,
beschäftigt sich unser Unternehmen mit 15 Mitarbeitenden derzeit mit Research-Aufgaben für investitionsbereite Unternehmen.» Aung Thura, wie sich
Patrick Fuchs in seinem Mutterland nennt, hebt den
Erfolg japanischer Investoren hervor: «Sie waren bereit zu helfen und zu investieren, als die Regierung
die chinesischen Investoren zurückgebunden hatte.
22
Und sie haben sich dadurch auch lukrative
Geschäftsmöglichkeiten
eröffnet. Ganz im Gegensatz zu den Europäern
und Amerikanern.»
Der Fokus Research
bei Thura Swiss belegt:
Myanmar steht erst in den
Startlöchern. Defizite bestehen vor allem bei der Infrastruktur: Namentlich bei den Verkehrswegen, in
der Elektrizitätsversorgung, aber auch im Finanzwesen ist Handlungsbedarf angezeigt. Die Bildungsmisere aus den Zeiten der Militärdiktatur lastet nach
wie vor auf den Schultern des Staates. Für nachhaltiges Wirtschaftswachstum fehlt es an qualifizierten
Fachkräften aus den eigenen Reihen. Ingenieure sind
Mangelware. Wer hier anpackt, wird langfristig belohnt. Myanmar ist eine Schatzkammer: Es gibt Erdgas, Hölzer, Kupfer und Edelsteine in Hülle und Fülle.
Die Förderung ist nur zum Teil industrialisiert. Teils
fördern moderne Konsortien aus China die Bodenschätze, teils tun es Bauern in Handarbeit. «Die Rohstoffvorkommen sind für Myanmar Chance und Gefahr zugleich», erläutert Aung Thura. «Gelingt es der
Regierung nicht, die Minderheiten in den rohstoffreichen Gebieten daran teilhaben zu lassen, sind Unruhen vorprogrammiert.» Zuallererst ist und bleibt
Myanmar aber ein Agrarstaat und eine Kornkammer: 35 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP)
stammen aus der Landwirtschaft. Ausgedehnte,
fruchtbare Nutzflächen prägen das Landschaftsbild:
Nur werden diese lediglich ansatzweise mit modernen Agrarmethoden und Maschinen bewirtschaftet.
Gewässerreiche Flüsse verbinden die Wirtschaftsund Kulturzentren des vom Buddhismus geprägten
Landes. Die zahlreich projektierten Staudämme
und Wasserkraftanlagen sind umstritten, da sie die
vielfältige Fauna und Flora bedrohen. Doch sind
solche Projekte erforderlich. Denn nur teilweise ist
Business neben Buddhismus: Die ShwedagonPagode, das religiöse
Wahrzeichen Myanmars,
beherrscht das Bild
im Geschäftszentrum
Yangon.
Myanmar mit Elektrizität erschlossen. Und
das Netz ist anfällig: «Die teuerste Form
der Elektrizität ist die fehlende Elektrizität»,
identifiziert Aung Thura den Haupthemmschuh der industriellen Entwicklung.
Die moderne Finanzinfrastruktur mit
den damit verbundenen Geschäftsmöglichkeiten ist in Myanmar noch nicht richtig
angekommen. Es wird cash gezahlt, auch
die Löhne fliessen oftmals in bar. Die Tatsache, dass Tausende von Geschäften in den
letzten Monaten Terminals für Kredit- und
Debitkarten eingeführt haben, ändert die
Mentalität nicht von heute auf morgen. Verständlich, dass sich das Finanzwesen und
die Kapitalmärkte nur zögerlich entwickeln.
«Myanmar braucht Zeit und Geduld», erläutert Thura. Der Tourismus unterstützt das
Wachstum. Die Schönheit der Natur und die
prächtigen Tempel und Kulturdenkmäler
geniessen lediglich eine Million Besucher
jedes Jahr. Der ähnlich grosse Nachbarstaat
Thailand zieht rund 23 Millionen an. Tourismusanbieter, die schon in Thailand präsent
sind, planen Hotels im ganzen Land. Darunter sind auch Schweizer Unternehmer.
Vielfältige Entwicklungschancen bietet auch
das sich rasant entwickelnde Gesundheitswesen. Und die Regierung hat immer wieder
betont, wie wichtig ihr der Umweltschutz ist.
Regierung schafft Anreize
Die Rahmenbedingungen für Unternehmen sind
nicht einfach: Das Ende 2012 erlassene Gesetz für
Auslandsinvestitionen schafft aber vielversprechende Anreize. So dürfen Investoren 100 Prozent Kapitalanteil an Unternehmen halten, in einigen definierten
Geschäftsfeldern sind es maximal 80 Prozent. In der
Nahrungsmittelindustrie, der chemischen und pharmazeutischen Industrie wie auch in der Bauindustrie
und im Transportwesen sind nur Joint Ventures zulässig. Für lokale Fachkräfte gilt mit steigender Dauer
der Geschäftstätigkeit eine progressive Beschäftigungspflicht. Die schlechte Bewertung Myanmars
in der Liste von Transparency International habe die
neuesten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen im Land noch nicht genügend berücksichtigt,
meint Aung Thura: «Hier aktive Geschäftsleute halten Myanmar für nicht korrupter als Thailand.»
Foto: Keystone /Interfoto / Peter Schano
WEITERE INFORMATIONEN:
www.s-ge.com/de/country/Myanmar
«Myanmar braucht Zeit und Geduld.
Vor allem bei der Infrastruktur wie
der Energieversorgung besteht grosser Nachholbedarf.»
Myanmar – WIRTSCHAFTSDATEN
Naypyidaw
Fläche: 676 578 km2 (16-mal die Schweiz)
Bevölkerung: 61,1 Millionen;
Schweiz 8 058 100
BIP/Einwohner CHF: 796; CH 74 160 (2011)
Handelsvolumen CH/Myanmar (2012):
CHF 8.6 Mio.
Export CH – Myanmar (2012): CHF 3,0 Mio.
Import Myanmar – CH (2012): CHF 5,6 Mio.
Wirtschaftsdaten Myanmar* 2012
BIP (Mrd. CHF)     48
BIP/Einwohner CHF    751
Wachstum BIP   3,9 %
2013*
52
796
8,0 %
* Schätzung des World Economy Outlook, April 2013
Myanmar, einst als Kornkammer Südostasiens bezeichnet, hat sehr unter der von
1962 bis 2011 währenden Militärdiktatur
gelitten.Der Vielvölkerstaat zählt über
60 Millionen Einwohner, 87 Prozent davon
sind Anhänger des Buddhismus. Das über
Jahrzehnte isolierte Land gehört mit einem
geschätzten Bruttoeinkommen von 1400
Franken pro Einwohner (kaufkraftbereinigt
per 2012) zu den ärmeren Ländern der Welt.
Das war nicht immer so; noch zu Beginn
der 60er-Jahre waren die Einkommen hier
doppelt so hoch wie im Nachbarstaat
Vietnam. Der Handel zwischen der Schweiz
und Myanmar ist mit einem Gesamtvolumen
von weniger als 10 Millionen Franken pro
Jahr noch sehr gering ausgeprägt. Das Land
ist vor allem wegen des enormen Potenzials
interessant. Dazu gehört auch die sehr
günstige Lage zwischen Indien, China, Laos
und Thailand. Der Anteil der Landwirtschaft
am BIP liegt bei 35 Prozent (2012), zwei
Drittel aller Beschäftigten sind in diesem
Sektor tätig. Lediglich 14 Prozent des BIP
macht die verarbeitende Industrie aus. Auf
Handel und Dienstleistungen entfallen
ungefähr 37 Prozent.
Wichtigste Exporte CH-Myanmar 2012
Anteil in %
CHF Mio.
Chemikalien und verwandte Erzeugnisse
72
1,519
Maschinen, Apparate
und Elektronik
11,6
0,54
10
0,36
Präzisionsinstrumente,
Uhren
Quellen: World Economic Outlook 2013
Patrick Fuchs, CEO Thura Swiss in Yangon
23
INvestment Promotion DMG MORI
Weltkonzern DMG MORI
wählt Winterthur
DMG MORI, der weltweit grösste Werkzeugmaschinenhersteller, zieht nach
Winterthur. Vom neuen Technologiezentrum aus werden ab Herbst 2014 alle
europäischen Vertriebs- und Serviceaktivitäten der deutsch-japanischen Gesellschaft gesteuert. An der Sulzer-Allee entstehen rund 200 neue Arbeitsplätze.
Text Sibylle Zumstein | FOTOS Stefan Kubli
A
24
uf dem Winterthurer Sulzer-Areal wird kräftig gebaut. Die Entwicklung des ehemaligen
Industriequartiers zu einem urbanen Zentrum mit Arbeits- und Wohnraum erhält zusätzlichen Aufwind. Im September 2013 hat
die Stadt Winterthur den Gestaltungsplan
«Sulzer-Areal Werk 1» präsentiert. Grundeigentümerin und Bauherrin Implenia plant Wohnungen für
1000 Einwohner und 5000 Arbeitsplätze. Im selben
Areal erhält die Stadt einen neuen Aussichtspunkt,
der 120 Meter hoch werden soll – nur 6 Meter kürzer
als der Zürcher Prime Tower.
vicemarke DMG MORI von Skandinavien bis Italien
europaweit 17 Ländergesellschaften mit 950 Mitarbeitenden betreuen.
«In einem Jahr wird dieses Grundstück kaum
mehr wiederzuerkennen sein», freute sich der
Winterthurer Stadtpräsident Michael Künzle in
seiner Begrüssungsansprache. Aber nicht nur dieses Grundstück werde sich verändern, so Künzle
weiter, sondern das ganze Gebiet Neuhegi-Grüze.
Hier wird das zweite urbane Zentrum Winterthurs
entstehen – mit Gewerbe, Industrie, 10 000 Arbeitsplätzen und Wohn- und Freiräumen.
Europazentrale und Technologiezentrum
Nähe zu Industrie, Flughafen und Forschung
Doch damit nicht genug. DMG MORI, der weltweit
grösste Werkzeugmaschinenhersteller, errichtet an
der Sulzer-Allee seine neue Europazentrale. Der Spatenstich am 1. Oktober 2013 markierte den offiziellen
Baubeginn, die Bagger sind aufgefahren. Auf einer
Fläche von 21 000 Quadratmetern wird DMG MORI
SEIKI Europe AG unter der neuen Vertriebs- und Ser-
Sulzer, Rieter und die Schweizerische Lokomotivund Maschinenfabrik – diese Namen sind auch der
deutsch-japanischen Muttergesellschaft von DMG
MORI ein Begriff. Nicht zuletzt die Nähe zur Industrie sei ein Grund für die Ansiedlung gewesen, wie Silvio Lehmann, CEO DMG MORI SEIKI Europe AG, betonte. Für den Standort Schweiz und Winterthur im
Acht Schaufeln
für 200 neue
Arbeitsplätze.
DMG MORI
investiert
40 Millionen
Franken in
den Standort
Winterthur.
Besonderen sprachen die verfügbare Fläche, die gute
Infrastruktur sowie die Nähe zum Flughafen und zu
den technischen Hochschulen, von denen man sich
einen regen Technologietransfer und qualifizierte
Arbeitskräfte verspricht. Die Zürcher Hochschule für
Angewandte Wissenschaften (ZHAW) etwa wird die
wichtigste Nutzerin auf dem «Sulzer-Areal Werk 1»
und errichtet dort ihren neuen Hauptsitz. Auch die
«soft factors», wie die Lebensqualität, die Nähe zur
Winterthurer Altstadt, zu Parks und Wohnquartieren
oder zur International School, die sich in Gehdistanz
befindet, seien wichtige Argumente für die Rekrutierung zusätzlicher Arbeitskräfte am neuen Standort,
so Stadtpräsident Künzle weiter.
Mit Sonnenkollektoren und Ladestationen für
Elektroautos setzt DMG MORI am neuen Standort
auf ein ganzheitliches Energiekonzept und reiht
sich ein in die Vision des zukunftsträchtigen Quartiers Grüze-Neuhegi und der Stadt Winterthur, die
den CO2-Ausstoss pro Einwohner bis 2050 massiv
reduzieren will.
Zwei Jahre integrierte Projektarbeit
Für die Standortförderung Region Winterthur ist
die Ansiedlung von DMG MORI eines der grössten
und wichtigsten Projekte in ihrer zwanzigjährigen
Zum unternehmen
Die Werkzeugmaschinenhersteller DMG MORI SEIKI
Aktiengesellschaft (bis 30.9.2013 GILDEMEISTER
Aktiengesellschaft) aus Deutschland und DMG
MORI SEIKI Co., Ltd. (bis 30.9.2013 MORI SEIKI Co.,
Ltd.) aus Japan haben für das von ihnen gegründete
Joint Venture DMG MORI SEIKI Europe AG mit der
Marke DMG MORI im Juni 2013 den Standort Winterthur als Hauptsitz gewählt. Die Unternehmen
sind globale Marktführer in der Entwicklung und
Produktion von spanenden Werkzeugmaschinen
mit den Schwerpunkten Fräs- und Drehtechnologie.
Gelöste Stimmung
beim Spatenstich.
Michael Domeisen,
Geschäftsführer
Standortförderung
Winterthur (links), im
Gespräch mit Silvio
Lehmann, CEO DMG
MORI SEIKI Europe,
und Roger Zbinden,
Leiter des Swiss
Business Hub Japan
(rechts).
Swiss Business Hub Japan
Der Swiss Business Hub (SBH) Japan in Tokio ist
eine der weltweit 40 Aussenstellen von Switzerland
Global Enterprise (S-GE). Diese sind in Schwerpunktmärkten der Schweizer Exportindustrie angesiedelt und bieten Schweizer KMU Unterstützung
in der Internationalisierung. Der SBH Japan mit
Roger Zbinden betreibt zudem Investment Promotion.
Dabei informiert der SBH potenzielle japanische
Investoren über besondere Stärken und Rahmenbedingungen des Wirtschaftsstandorts Schweiz und
bietet ihnen einen kostenlosen Rundumservice bis
zur Ansiedlung – und oft darüber hinaus.
www.s-ge.com/schweiz/export/de/country/Japan
Geschichte: DMG MORI investiert über 40 Millionen Euro. Zusammen mit der Stadt Winterthur,
der Standortförderung des Kantons Zürich, dem
Swiss Business Hub Japan von Switzerland Global
Enterprise (S-GE) und der Grundstückeigentümerin sowie Projektentwicklerin Implenia setzte sich die Standortförderung
Winterthur zwei Jahre lang für das
Projekt ein.
Der Swiss Business Hub Japan leistete einen wesentlichen Beitrag zur
Ansiedlung – denn die Entscheide im
Hintergrund wurden in Japan gefällt,
wie Roger Zbinden, Leiter des Swiss
Business Hub Japan in Tokio, erläuterte: «Im April 2011 haben wir mit dem
Geschäftsführer von MORI, Dr. Masahiko Mori, am Hauptsitz in Nagoya, Japan, erste Gespräche geführt und ihm
den Standort Schweiz nähergebracht.»
Die professionelle Betreuung vor Ort
in Japan und durch alle involvierten
Stellen in Winterthur und des Kantons
Zürich seien neben den genannten
Standortvorteilen weitere Gründe für
den Entscheid gewesen, an der SulzerAllee anzusiedeln.
DMG MORI entsteht auf dem ehemaligen Grundstück der Giesserei Sulzer, einer
der damals grössten Werkzeughallen der Schweiz.
Für Michael Domeisen, Geschäftsführer der Standortförderung Winterthur, ist dies ein Sinnbild für
das Wiedererstarken einer Industrie, die einst am
Boden lag: «Für Winterthur ist die Ansiedlung ein
weiterer Impuls, als Standort selbstbewusst aufzutreten.»
Weitere Informationen:
www.dmgmoriseiki.com
25
INDUSTRIE
DUS
DU
ST
T
CCha
harm
har
rme
me
Maggi-Würze, Turbolader, Schiffsdieselmotoren, der «Rote Pfeil», das erste
künstliche Hüftgelenk … Stadt und Region Winterthur sind seit je Heimat
für Erfinder, Pioniere, Neudenker. In den charmanten Industriearealen findet
man heute multinationale Konzerne, innovative Start-ups, renommierte
Bildungsinstitutionen und attraktive Wohnräume. Und noch stehen freie Flächen
bereit: für zukünftige Pioniere, denen urbane Lebensqualität, ein kurzer
Weg zum Flughafen Zürich und ein Top-Naherholungsgebiet wichtig sind.
Willkommen in Winterthur – www.standort-winterthur.ch
NEWS
und
Events
Alle profitieren davon. Je stärker man Handelshemmnisse reduziert, desto effizienter
können Ressourcen eingesetzt werden. Und
im Idealfall verbreiten sich im Windschatten
der Freihandelsabkommen auch Menschenrechte und Demokratie. Denn es gibt keine
Demokratie ohne Marktwirtschaft.
Wie sehen Sie die wirtschaftliche Rolle
Deutschlands und diejenige Europas in
zehn Jahren? Deutschland wird durch den
INTerview Hans-olaf henkel
«Es lohnt sich, für den
Freihandel zu kämpfen»
Hans-Olaf Henkel, Eurokritiker, Buchautor und Keynote-Referent
am Aussenwirtschaftsforum 2014, zu Währungsalternativen
für den Euro, zum Freihandelsabkommen EU-USA und weshalb die
Schweizer Unternehmer in Deutschland Bewunderung ernten.
Als Sie mit Ihrem Buch «Die EuroLügner» begannen, war die Eurokrise akut.
Jetzt hat sich die Lage etwas beruhigt.
Ein Lichtblick? Nein. Für Griechenland sind
weitere Rettungspakete nötig. Griechenland, Portugal, Italien, Spanien, Zypern und
Frankreich – keines dieser Länder hat seine
fiskalischen Ziele erreicht, im Gegenteil, alle
erhöhen ihre Schulden, man denke da nur an
Frankreich. Ich vertraue vielmehr darauf, dass
Initiativen wie unser «European Solidarity
Manifesto» dazu führen, dass die südeuropäischen Staaten, denen der Euro schon lange
zu stark ist, Deutschland, Österreich, Finnland
und die Niederlande bitten, aus dem Euro
auszusteigen. Dann würde er abgewertet, die
Länder wären wieder wettbewerbsfähig, und
die Wirtschaft würde wachsen.
Was halten Sie vom Freihandelsabkommen EU-USA? Ich halte sehr viel davon.
Ich vermute bloss, dass Frankreich, wie bereits bei den Verhandlungen für das transatlantische Freihandelsabkommen TAFTA, das
Abkommen verzögern oder sogar verhindern
könnte. Frankreich will zum Beispiel, dass
der gesamte Kulturbereich ausgenommen
wird. Man stelle sich vor, was dies für die
Filmindustrie bedeuten würde! Ein weiterer
Streitpunkt ist die Agrarindustrie.
Es lohnt sich auf jeden Fall, für Freihandelsabkommen zu kämpfen. Neben dem
Handel geht es auch darum, unsere demokratischen Werte zu sichern. Freihandelsabkommen führen immer zu mehr Wohlstand.
Euro an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.
Denn eines ist allen bewusst: Die Unterschiede in der Produktivität zwischen den Ländern
im Süden Europas und denen im Norden
müssen eingeebnet werden, um den Euro zu
retten. Griechenland wird produktiver werden. Deutschland, Finnland, Österreich und
die Niederlande werden an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Diese Länder werden sich
auf dem Niveau Frankreichs einpendeln. Mitunter ist das ein Grund, weshalb Frankreichs
Präsident François Hollande nichts tut.
Wie werden Schweizer Unternehmen in
Deutschland wahrgenommen? Das Image
der Schweiz ist bei deutschen Unternehmen
hervorragend. Die deutschen Unternehmen
blicken mit Bewunderung darauf, wie gut die
Schweizer Exportindustrie den hohen Schweizer Franken verkraftet hat. Die Industrie geriet
zwar unter Druck, aber die Unternehmen sind
effizienter und wettbewerbsfähiger geworden.
Welche Empfehlungen geben Sie
Schweizer Firmen, die international tätig
sind? Ich würde den Unternehmen raten, ihre
Abhängigkeit von der Eurozone zu reduzieren, indem sie vermehrt in Nicht-Euroländer
exportieren. Aber das tun sie ja bereits. Und
sich nie, aber auch wirklich nie auf das EuroExperiment einzulassen.
Interview Sibylle Zumstein
Ist eine Einheitswährung nicht ein Geschenk für den Handel innerhalb Europas?
Kaum. Wir schulden unseren Wohlstand
dem Binnenmarkt, den es schon seit 1992
gibt, lange vor der Einführung des Euro. Wir
brauchen den Euro nicht, um innerhalb von
Europa Handel zu betreiben.
Foto: zVg
Aussenwirtschaftsforum 2014
Hans-Olaf Henkel spricht im Keynote-Referat am
Aussenwirtschaftsforum vom 3. April 2014 über
Alternativen zum Euro und gibt Empfehlungen für
Schweizer Unternehmen ab.
www.s-ge.com/awf
27
Know-How Credit Suisse
China: mehr Markt,
mehr Konsum
Trotz schwächerem Wirtschaftswachstum bleibt China auch in den
kommenden Jahren ein wichtiger Treiber der globalen Nachfrage.
Der Wandel von der weltweit grössten Werkbank zum weltgrössten
Konsumenten dürfte auch durch kontinuierliche wirtschaftliche
Reformen ermöglicht werden. Das bietet Chancen für Unternehmen
und Investoren.
Text Thomas Herrmann und Nora Wassermann, Credit Suisse
28
I
n den letzten Jahren hat sich das Wachstum
der chinesischen Wirtschaft deutlich abgeschwächt. Von durchschnittlich noch rund
10 Prozent im letzten Jahrzehnt auf geschätzte
7,6 Prozent dieses Jahr. Auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wird sich dieser
Trend wohl fortsetzen. Dennoch bleibt China angesichts der gestiegenen Wirtschaftsleistung auch
mit schwächerem Wachstum ein wichtiger Treiber
der globalen Nachfrage. Zudem könnten weitere
Reformen höhere Produktivitätszuwächse ermöglichen, die demographischen Herausforderungen
abschwächen und das mittelfristige Wachstumspotenzial erhöhen. Die noch neue politische Führung
hat angedeutet, den Staatseinfluss auf die Wirtschaft
reduzieren und die Marktkräfte stärken zu wollen.
Ein wichtiges Thema ist sicherlich auch eine in vielerlei Hinsicht nachhaltige Entwicklung. Unter diesem Begriff lassen sich Aspekte wie die Ausweitung
der sozialen Absicherung, aber auch die Reduktion
der Umweltverschmutzung nennen. Zudem die Kredit- und Investitionsentwicklung, die wohl moderater ausfallen dürfte.
Von der weltgrössten Fabrik …
China wird nicht zu Unrecht als «Fabrik» der Welt
bezeichnet. Billige Arbeitskräfte, der Beitritt zur
Welthandelsorganisation im Jahr 2001 und die graduelle Öffnung für ausländische Direktinvestitionen,
gepaart mit Technologietransfer im verarbeitenden
Gewerbe, haben China zum weltweit grössten Exporteur von Industrieprodukten gemacht. Während
des letzten Jahrzehnts haben vor allem Investitionen
das Wachstum in China getrieben. Allerdings gibt es
schon länger Anzeichen eines gewissen Überangebots an industrieller Kapazität, vor allem in Anbetracht des schwächeren globalen Nachfragewachstums. Zudem haben steigende Produktionskosten
die Wettbewerbsfähigkeit von Chinas Industriegütern etwas geschwächt.
Beijing Business District. Foto: CS
… zum weltgrössten Konsumenten
Mit zunehmender Entwicklung und steigendem ProKopf-Einkommen wird Chinas Wirtschaft zunehmend von Dienstleistungen sowie höherwertigen
und weniger arbeitsintensiven Erzeugnissen dominiert werden. Bereits jetzt findet eine Produktionsverlagerung einfacher Industriegüter von China in
andere Länder Asiens oder sogar andere Regionen
wie beispielsweise Afrika statt. Chinas Rolle als globaler Konsument hat in den letzten Jahren deutlich
zugenommen. Nachdem China bereits 2008 die USA
als grössten Absatzmarkt für Autos überholt hatte,
wurde die Volkswirtschaft im September dieses Jahres nun auch zum weltweit grössten Nettoimporteur von Öl, also gemessen am Konsum abzüglich
der eigenen Produktion (siehe Abbildung). Auch
wenn die wirtschaftliche Grösse Chinas je nach Statistik unterschiedlich gemessen wird, dürfte sich
dank stärkerem Wachstum als in den USA der Aufholprozess zur grössten Volkswirtschaft fortsetzen.
Öl-Nettoimporte, Millionen Barrel pro Tag
(gleitender 3-Monats-durchschnitt)
China
USA
14
12
10
8
6
4
2
0
94
96
98
00
02
04
06
08
10
12
14
Das starke Kreditwachstum seit 2009 hat auch zu
einer erhöhten Sorge bezüglich Kreditqualität und
möglicher Kreditausfälle geführt. Derzeit werden
noch etwa 85 Prozent der Unternehmensfinanzierungen in China von Banken getragen, wobei diese
grösstenteils Staatsbanken sind, während sich Firmen in den USA zu 50 Prozent über Kapitalmärkte finanzieren. Chinas Wachstum der letzten Jahre wurde
zudem von einem Häusermarktboom und einer Zunahme der Staatsschulden, vor allem der Regionalregierungen, begleitet. Die Sorge um Finanzstabilität,
eine «harte Landung» der chinesischen Wirtschaft
oder die strukturellen Herausforderungen für die
Wachstumsentwicklung dürften weiterhin treibende
Faktoren für Reformen sein.
Kapitalmarktöffnung und Internationalisierung der Währung setzen sich fort
Umfangreiche Reformen in vielen Bereichen der
Wirtschaftspolitik werden derzeit diskutiert. Die Liberalisierung und Entwicklung der Kapitalmärkte
ist bereits angelaufen. Damit wurde eine Grundlage für die Konvertibilität und Internationalisierung
der chinesischen Währung zumindest in Angriff
genommen. Obwohl diese Entwicklung wohl noch
einige Jahre dauern wird, sind Verhandlungen über
zusätzliche «Renminbi-Hubs» in Europa, unter anderem auch in der Schweiz, interessant. Diese würden es ausländischen Investoren und Unternehmen
ermöglichen, ihre Währung direkt gegen Renminbi
zu tauschen und Offshore-Anleihen in Renminbi zu
kaufen, während der Markteintritt für chinesische
Banken möglicherweise erleichtert würde. Ein weiterer Schritt Richtung Liberalisierung ist die Freihandelszone in Shanghai. Diese dürfte es ausländischen
und inländischen Investoren ermöglichen, in bisher
regulierte Dienstleistungssektoren zu investieren
(z.B. Finanzsektor oder Logistik). Zudem sollen die
freie Umtauschbarkeit des Renminbi und die Liberalisierung von Zinsen getestet werden.
Mehr Informationen:
www.credit-suisse.com/research
29
Unausgeschöpftes
Schweizer Aussenhandelspotenzial
TEXT Gerhard Schwarz
Zur Person
Gerhard Schwarz ist
seit 2010 Direktor
des Think-Tanks
Avenir Suisse.
Gerhard Schwarz und
Urs Meister (Herausgeber): «Ideen für
die Schweiz – 44
Chancen, die Zukunft
zu gewinnen»,
NZZ Libro, 324 Seiten,
38 Franken.
30
Der Aussenhandel ist eine wichtige Quelle wirtschaftlicher Einnahmen vieler Länder, und er
ermöglicht es ihnen, Waren und Dienstleistungen
zu bekommen, die sie innerhalb ihrer Grenzen
nicht herstellen. Besonders in kleinen Ländern wie
der Schweiz eröffnet der Aussenhandel zudem
vielen Branchen ein beträchtliches Wachstumspotenzial ausserhalb der Landesgrenzen. Es ist somit
kein Zufall, dass die Schweiz zu den am stärksten
in die Weltwirtschaft integrierten Ländern gehört.
Das verdeutlicht auch die längerfristige Entwicklung des schweizerischen Aussenhandels: Seit
1980 hat sich der Wert der Importe auf rund 177
Milliarden Franken verdreifacht, jener der Exporte
sogar auf über 200 Milliarden Franken vervierfacht. Während in den 1980er-Jahren die Importe
die Exporte noch übertrafen, hat sich dieser
Trend in den frühen 1990er-Jahren umgekehrt.
Seit 1993 weist die schweizerische Aussenhandelsstatistik fast ausnahmslos Exportüberschüsse
aus. Ermöglicht hat dieses Wachstum nicht zuletzt
die 1995 gegründete World Trade Organization
(WTO), dank der die bis dahin weltweit bestehenden Zölle und anderen Handelshemmnisse
abgebaut werden konnten. Mit der steigenden Zahl
von Ländern, die der WTO beigetreten sind
(derzeit 159), hat jedoch auch die Komplexität der
WTO-Verhandlungsrunden zugenommen. So
konnte die 2001 initiierte Doha-Runde, die unter
anderem einen besseren Zugang der Entwicklungsländer zu den Agrarmärkten der Industrieländer hätte bringen sollen, bis heute nicht zum
Abschluss gebracht werden. Als Reaktion auf die
verfahrene Situation haben viele Länder – auch
Foto: Martin Guggisberg
Schwarz
auf
Weiss
die Schweiz – begonnen, auf bilaterale Freihandelsabkommen zu setzen. Die Schweiz verfügt heute,
abgesehen von der EFTA-Konvention und dem Freihandelsabkommen mit der EU, über ein Netz von
28 Freihandelsabkommen mit 38 Partnern ausserhalb der EU.
Die Gründung der WTO sowie die zunehmende
Zahl an Freihandelsabkommen dürfte Hauptgründe
für die starke regionale Diversifizierung des schweizerischen Aussenhandels sein: Wurden 1990 noch
rund 70 Prozent aller ausgeführten Waren nach
Europa – allen voran Deutschland – exportiert, hat
sich dieser Anteil bis 2010 um 14 Prozentpunkte
auf aktuell 56 Prozent reduziert. Und neu kamen
China und Hongkong zur Liste der 10 wichtigsten
Handelspartner der Schweiz hinzu – Destinationen,
die inzwischen bereits 7,2 Prozent der gesamten
schweizerischen Warenausfuhren ausmachen.
Die Schweiz könnte jedoch – letztlich zum Wohle
der Allgemeinheit – noch viel mehr vom Aussenhandel profitieren, als sie das tut. Sie schottet sich
nämlich im Agrarsektor, wie auch die WTO festhält, stark durch tarifäre und nichttarifäre Handelshürden ab. Während die Schweizer Einfuhrzölle
ausserhalb der Landwirtschaft bei durchschnittlich
2,3 Prozent liegen, bewegen sie sich im Agrarsektor um etwas über 30 Prozent. So klein die Bedeutung des Agrarsektors für die schweizerische
Wirtschaft ist, so gross sind die Konsequenzen dieses
Protektionismus auf der internationalen Ebene:
Man erinnere sich nur an den Versuch des Bundesrates im Jahre 2006, ein Freihandelsabkommen
mit den USA zustande zu bringen. Der Versuch
scheiterte kläglich an der Nichtbereitschaft, die Abschottung der Landwirtschaft zu überwinden.
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