Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Der Präsident An den Vorsitzendes des Sachverständigenrates für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen Herrn Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Schwartz Am Probsthof 78a 53121 Bonn 14.04.2001 Betr.: Anfrage des Sachverständigenrates an die medizinischen Fachgesellschaften vom 3.4.2000 Sehr geehrter Herr Prof. Schwartz, wissenschaftlich exakte Daten zur Über-, Unter- und Fehlversorgung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde existieren, abgesehen von wenigen epidemiologischen Daten, bisher nicht. Ich habe in den einzelnen wissenschaftlichen Fachgesellschaften der DGZMK nachgefragt, aber -wie zu erwarten- wenig exakte Daten erhalten, die über die Angaben in der DMSIII Studie hinausgehen. Als Anlage finden Sie die eingegangenen ausführlicheren Antworten: 1. die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (Anlage 1) 2. die Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (Anlage 2). Die Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie und die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie haben sie ja direkt angeschrieben, so dass ich diesbezüglich auf deren Stellungnahme verweisen darf. Die Stellungnahmen der KZBV/BZÄK und das Gutachten von Prof. Staehle sind mir bekannt, so dass ich die dort gemachten Ausführungen nur punktuell ergänzen möchte. Die Frage der Über- und Unterversorgung ist in der Zahnmedizin ganz eng mit der Differenzierung der subjektiven und objektiven Behandlungsnotwendigkeit, insbesondere aber bezüglich des Umfangs einer Versorgung vor allem in der restaurativen konservierenden und prothetischen Therapie gekoppelt. Der wichtigen Differenzierung zwischen der subjektiven Nachfrage bzw. dem subjektiven Wunsch nach Leistung in der Bevölkerung (Nachfrage), d.h. dem subjektiven Bedarf steht gerade in der Zahnmedizin ein nicht deckungsgleicher oftmals ungleich niedrigerer objektiver Behandlungsbedarf entgegen, da gerade im restaurativen Bereich ästhetische und subjektiv angenehmere, zum Teil auch funktionell befriedigendere Behandlungsalternativen zur Verfügung stehen, die über das objektiv zur Beseitigung der Erkrankung auch präventiv notwendige Maß hinausreichen. Eine wesentliche Quelle möglicher Überversorgung in der ZMK-Heilkunde in der GKV besteht in einem zum Teil hohen subjektiven Behandlungswunsch (z.B: Austausch unschöner oder vermeintlich schädlicher Amalgamfüllungen), der nur teilweise einem objektiven Behandlungsbedarf entspricht. Hier fehlen aber stringente Grenzziehungen, die die objektive Behandlungsbedürftigkeit eines bestimmten Befundes in Relation zum Ausprägungsgrad (z.B: Kieferorthopädie) innerhalb der GKV festlegen, wobei auch bei geringer Ausprägung durchaus ein subjektiver und medizinisch durchaus gerechtfertigter, aber objektiv nicht notwendiger Behandlungsbedarf bestehen kann. Dabei kann es nicht gelingen, mit prozentualen Erstattungen mit einer Liste von Ausschlusskriterien oder Regelwerken ein ausreichendes Regulativ gegen Über- und Unterversorgung zu erreichen. Hier kann nur ein Festzuschusssystem, das sich am objektiv vorliegenden Befund orientiert, zu einer so für jeden finanzierbaren präventiven Basisleistung als eine flächendeckende und gerechtere und ausreichende Versorgung sichern. Dies kann dann entsprechend dem individuell unterschiedlichen subjektiven Bedarf durch Wahlleistungen mit privater Zuzahlung oder Zusatzversicherungen ergänzt werden. Dabei beinhaltet die präventive Basisleistung durchaus auch die Formen der Sekundär- und Tertiärprävention und darf nicht auf die Leistungen der Primärprävention im Sinne der Kariesprophylaxe reduziert verstanden werden. Sinnvoll könnten in diesem Zusammenhang durchaus auch unterschiedliche versicherungstechnische Grenzen, wie zum Beispiel das Alter des Patienten sein, so dass bei sozial fremdbestimmten Kindern und Jugendlichen ein höherer Kostenzuschuss oder auch ein breiteres Spektrum der präventiven Leistungen angeboten wird, während im Erwachsenenalter eine größere Eigenverantwortung durch Finanzierung der Wahlleistungen über die präventive Basisleistung hinaus zugemutet werden kann. Völlig ungeeignet erscheint dagegen die bisher praktizierte totale Ausgrenzung einzelner Therapiemöglichkeiten, da es in der Regel zu einer Unterversorgung in diesem Bereich führen muss. Ein typisches Beispiel für die nicht befriedigende Ausgrenzung von Leistungen stellt die Implantologie dar, da insbesondere für den stark atrophierten zahnlosen Kiefer keine objektiv zufriedenstellende Behandlungsalternative vorliegt, obwohl die Leistung pauschal aus der GKV ausgegrenzt ist. Dies führt zu einer zumindest partiellen Unterversorgung im Bereich der GKV für diese konventionell auch objektiv nicht zufriedenstellend therapierbare Patientengruppe. Geradezu unsozial wirkt es, wenn den häufig älteren Rentnern in der GKV bei diesen Situationen aber auch im Zusammenhang mit den Ausnahmeindikationen der Kostenzuschuss zur alternativen konventionell vorgesehenen Versorgung verwehrt wird, wenn der Patient die funktionell und auch objektiv bessere und wissenschaftlich gut belegte immer subjektiv befriedigendere Abstützung der Prothese mit enossalen Implantaten wählt. Im Statement der DGZMK (Anlage 3) wurde daher für diese Behandlungsformen eine Graduierung in 3 Stufen gewählt: I. für Situationen, die ohne Implantate praktisch nicht therapierbar sind, II. Situationen bei denen die Implantatversorgung objektive und subjektive Vorteile gegenüber der konventionellen Versorgung besitzt und III. letztlich in Situationen in denen gleichwertige konventionelle Alternativen bestehen, aber der subjektive Behandlungswunsch eine Implantatversorgung indiziert erscheinen lässt. Nur unvollkommen wurde in den Ausnahmeindikationen des Bundesausschusses versucht, die erste Gruppe zu definieren, bei denen insbesondere der stark atrophierte zahnlose Kiefer fehlt. Vor allem mit dem völligen Leistungsausschluss, wenn alternative Versorgungen möglich sind, ist ein Zwang zur zum Teil objektiv schlechteren und weniger präventiven Versorgung festgelegt, was ein Beschleifen und die Überkronung von gesunden Zähnen und damit eine objektive Fehlversorgung bedeuten kann. 2 Selbstverständlich muss das in der GKV zur Verfügung gestellte Geldvolumen entsprechend angepasst werden, wenn diese in der Gruppierung I objektiv zur Vermeidung von Unter- und Fehlversorgung sinnvolle Therapie zusätzlich integriert werden soll. Ein Festzuschuss zum objektiven Behandlungsbedarf, der sich am Ausgangsbefund orientiert, würde bei gleichzeitiger Wahlfreiheit des Patienten eine sachgerechtere Versorgung darstellen. Die subjektiv gewünschte Mehrleistung kann über Zuzahlungsregelungen zur gewährten, in der Regel konventionellen, d.h. ohne Implantate möglichen präventiven Basisversorgung ermöglicht werden. Dies bedeutet auch eine sozialgerechtere Lösung für die Patienten in der GKV und würde sich als solche nicht nur im Bereich der Implantologie anbieten. Gerade in der Prothetik wird immer eine Überversorgung insbesondere im Bereich der technischen Ausführung vermutet, ohne dass wirklich konkrete Daten hierzu vorliegen, da gerade in diesem Gebiet die Definition des objektiv Notwendigen vom subjektiv, ästhetisch oder funktionell Gewünschten erheblich abweicht. Die besondere Schwierigkeit entsteht bei erkennbar präventiven Aspekten in den gewünschten Zusatzleistungen, da deren völlige Ausgrenzung im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung problematisch erscheint, wenn sie nicht als Wahlleistung optional verfügbar bleiben. Es müssen insbesondere zu der Frage der unterschiedlichen technischen Ausführung des objektiv notwendigen Zahnersatzes wissenschaftliche Studien durchgeführt werden, die den notwendigen Leistungsumfang und damit den objektiven Behandlungsbedarf belegen und gegenüber aufwendigeren Versorgungsformen wissenschaftlich abgrenzen; Studien, die in Deutschland in dieser Zielsetzung bisher in einem nicht ausreichenden Maß vorliegen. Sicherlich ist mit dem zunehmenden Anteil älterer Menschen und den erfreulicherweise durch präventive Maßnahmen länger erhaltenen natürlichen Zähnen nicht mit einem wesentlichen Rückgang des objektiv notwendigen prothetischen Behandlungsbedarfes zu rechen, da vermehrt teilbezahnte Patienten auch das hohe Lebensalter erreichen, die in der Regel technisch aufwendiger zu therapieren sind als zahnlose Patienten. Es besteht ein echter Mangel an wissenschaftlich exakter, vergleichender Bewertung unterschiedlicher Behandlungsoptionen, wie sie heute als EBM gestützte Entscheidungsprozesse erwartet werden. Rasche, fast jährlich erfolgende Entwicklungen neuer Materialien (z.B.: Füllungsmaterialien) und neue Techniken in Wissenschaft und Industrie (z.B.: Laserapplikation) und die gleichzeitige Notwendigkeit von Langzeitbeobachtungen erschweren entsprechende Studien erheblich. Hier müssen zur Vermeidung vorschneller Fehlbeurteilungen und damit langfristiger Fehlversorgung entsprechende klinische Langzeitstudien auch finanziell gefördert werden, wie dies in der Medizin durchaus häufiger erfolgt. Ein zusätzliches Problem ergibt sich oft in der Zahnmedizin, das mehrere durchaus unterschiedlich aufwendige Alternativen, die bei paraleller statistischer Betrachtung auch gleich gut abschneiden, für einen Befund existieren, aber für den Patienten subjektiv durchaus in einem unterschiedlichen Grad akzeptiert werden. Dadurch wird eine Wertung im Sinne kassentechnischer Bevorzugung sehr erschwert, was aber durch Festzuschussregelung für eine objektiv notwendige Leistung erleichtert wird. Die Erfolge der Karies-Prävention, die auch künftig weiter intensiviert werden sollte, wurden bereits ebenso wie die Kariespolarisierung in den vorliegenden Ausführungen der KZBV/BZÄK beschrieben, so dass eine Unterversorgung eher in sozialen Randgruppen zu sehen ist. Diese Unterversorgung ist aber wesentlich durch die fehlende subjektive Präventions- und Therapienachfrage in diesen Patientengruppen bedingt. Intensive Motivationsaktionen der Körperschaften haben hier versucht entgegenzuwirken und es besteht sicher keine strukturelle Unterversorgung in der GKV. Die derzeitige Budgetierung muss aber 3 gerade bei der Behandlung dieser Patientengruppen mit hohem Sanierungsbedarf sehr problematisch gesehen werden. Noch unzureichend im Bewusstsein der Bevölkerung ist die Parodontalprophylaxe integriert und auch eine entsprechende finanzielle Anreizstruktur in der GKV zur PA-Prohylaxe im Erwachsenenalter fehlt bisher, so dass in diesem Bereich am ehesten von einer Unterversorgung innerhalb der GKV gesprochen werden kann. Gerade die PA-Prävention könnte als ein wesentliches Gesundheitsziel der künftigen Jahre im Bereich der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde angesehen werden, da einerseits die kariesfreien Zähne zum langfristigen Erhalt eines gesunden Zahnhalteapparates bedürfen und andererseits Hinweise auf Wechselwirkungen zu wichtigen Allgemeinerkrankungen (Myokardinfarkt; Apoplex, Diabetes mellitus und Frühgeburten) zunehmen. Dem gegenüber steht ein seit vielen Jahren überholter „PA-Vertrag“ , der in der GKV keineswegs die Behandlungsmöglichkeiten und den objektiven Behandlungs- und vor allem Therapieerhaltungsbedarf abbildet. Hier ist auch eine sozialpolitische und fachliche Diskussion zu führen, wie die Patienten oder Patientengruppen zu behandeln sind, bei denen objektiv auf Grund der Befunde eine Behandlungsnotwendigkeit besteht, bei denen aber die Behandlungsfähigkeit zum Beispiel durch mangelnde Mundhygiene nicht gegeben ist, da für diese Patienten eine regelrechte Behandlung ohne Erfolg bleiben muß und daher streng genommen eine Überversorgung oder Fehlversorgung darstellt. Ein wichtiger, ebenfalls nicht ausreichend versorgter objektiver Bedarf besteht in der Prävention und Früherkennung maligner Tumoren, da einerseits die Möglichkeiten der Früherkennung von den Risikogruppen bei fehlendem subjektiven Bedarf nicht wahrgenommen wird und andererseits systematische Vorsorgeprogramme analog der gynäkologischen Vorsorge für Risikopatienten nicht existieren. Immer noch kommt die überwiegende Patientenzahl mit fortgeschrittenen Tumorstadien mit weiterhin ungünstiger Prognose zur weiteren Behandlung, obwohl es sich um eine leicht inspizierbare und der klinischen Untersuchung gut zugängliche Region handelt. Hier müssen Pilotprojekte gefördert werden, die Wege zeigen, diese Unterversorgung in der GKV abzubauen, obwohl eher sozialmedizinische Ursachen als finanzielle Ursachen dafür verantwortlich sein dürften. Ebenfalls im Bereich des chronischen Gesichtsschmerzes und den ebenfalls häufig psychosomatisch mitverursachten Erkrankungen im myofunktionellen Beschwerdekreis besteht eine tendentielle Unterversorgung innerhalb der GKV, da entsprechende Ausbildungsangebote zur Therapie des chronischen Schmerzes und der psychosomatischen Diagnostik in der veralteten Aprobationsordnung fehlen und auch in der Gebührenordnung keine entsprechenden Leistungspositionen für Zahnärzte vorgesehen sind. Die wissenschaftliche Entwicklung ist auch in der ZMK-Heilkunde vergleichbar den Entwicklungen in der Medizin sehr schnell und kann nur durch eine möglichst rasch zu novellierende flexiblere Aprobationsordnung und intensive und regelmäßige Fortbildung auch in der GKV integriert werden. Die bisher trotz Vorarbeiten unterbliebene Novellierung der Approbationsordnung stellt dabei eine wesentliche Gefahr für eine Fehlversorgung durch eine ausbleibende Adaptierung der Ausbildungsinhalte dar, die in der gültigen Form den zunehmend medizinischen Anforderungen und der präventiven Orientierung der Behandlung nicht gerecht werden können. Im Bereich der Fortbildung ist ein hoher zeitlicher und finanzieller Aufwand von den Kolleginnen und Kollegen zu erbringen und wird in hohem Maße in der Kollegenschaft ohne finanziellen Ausgleich, wie er etwa in der Schweiz bei der Kostenkalkulation der Leistungen integriert wurde, aufgebracht. So nehmen seit über 25 Jahren eine Vielzahl von Kollegen regelmäßig an einer kontinuierlichen und strukturierten 4 Fortbildung im Bereich der Akademie Praxis und Wissenschaft (APW) der DGZMK teil, die in ähnlicher Form auch von den Kammern angeboten wird. Diese in regelmäßigen Abständen (alle 5 Jahre) zu erneuernde Fortbildungszertifikate stellen ein wichtiges Element der freiwilligen strukturellen Qualitätssicherung dar, um Fehlversorgungen zu vermeiden. Ergänzend wurden Kurrikula zu Fortbildungsschwerpunkten entwickelt, womit eine über das durchschnittliche Fortbildungsniveau hinausgehende, den eigenen Praxisschwerpunkt begleitende, intensivere Fortbildung strukturiert angeboten und in der Kollegenschaft auch angenommen wird. Ob diese Schwerpunktfortbildung zur Patienteninformation ausgewiesen werden soll, ist zur Zeit Gegenstand juristischer Auseinandersetzung und in berufspolitsicher Diskussion, weshalb ich diese Frage nicht bewerten möchte. Für die wissenschaftliche Fortentwicklung sind darüber hinaus Postgraduate-Programme und Diplome an den Hochschulen sinnvoll, die Kollegen länger an den Hochschulen wissenschaftlich und praktisch in Spezialgebieten weiterbilden und in die Forschung einführen, so dass sie an der Klinik aber auch als niedergelassene Kollegen für besonders schwere und ungewöhnliche Befunde als Ansprechpartner für Überweisungen auch in der Krankenversorgung innerhalb der GKV zur Vermeidung von Fehlversorgung später zur Verfügung stehen. Echte Weiterbildungsgebiete lassen sich wegen der fehlenden finanziellen Basis bei Begrenzung auf das Weiterbildungsgebiet - vielleicht abgesehen von der Parodontologie und Kinderzahnheilkunde - kaum zusätzlich zu den bestehenden Weiterbildungsfächer in die Versorgung integrieren. Zusammenfassend hoffe ich, dass vorbehaltlich der wirklich schwachen Datenlage meine Ausführungen Ihnen trotz des späten Termins Anregungen zur Situation in der ZMKHeilkunde geben konnten, die aber künftig gezielt durch entsprechende Studien und epidemiologische Erhebungen weiterentwickelt und wissenschaftlich abgesichert werden müssen. Die derzeitige Situation der Budgetierung und der gleichzeitigen Regulierung mit Leistungsbegrenzungen bzw. Ausgrenzungen ist nicht in der Lage, Fehl-, Unter- und Überversorgung in der GKV zu vermeiden. Wissenschaftliche Daten für eine gezielte Allokation der Mittel zur Stärkung der Prävention stehen nicht ausreichend zur Verfügung und würden möglicherweise falsche Signale durch unzureichende Berücksichtigung der sekundär und tertiär Prävention setzen. Aber ein primär am objektiven Befund bzw. Diagnose und nicht primär am eingesetzten Therapiemittel orientiertes Festzuschusssystem kombiniert mit frei zugänglichen Wahlleistungsbereichen könnte insbesondere in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde mit einem breiten Leistungsspektrum und einer wesentlich auch vom subjektiven Bedarf getragenen Behandlungsnachfrage eine wirklich sinnvolle Perspektive darstellen, die allerdings ebenfalls in ihren Auswirkungen wissenschaftlich durch sozialmedizinische, epidemiologische Studien begleitet werden sollte. Grundsätzlich möchten wir auch unsere Bereitschaft signalisieren, künftig längerfristig vorausplanend und wissenschaftlich fundierter an den Detailfragen zur zahnmedizinischen Versorgung in der GKV beratend beizutragen und stehen auch für persönliche Gespräche zu gezielten Problemen zur Verfügung. Es würde uns freuen, wenn wir ein Exemplar des Gutachtens oder der Ausführungen zur Zahnheilkunde nach Fertigstellung erhalten könnten und bedanken bereits an dieser Stelle mit freundlichen Grüßen Prof. Dr. Dr. W. Wagner Präsident der DGZMK 5 Anlage 1 DGZ DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR ZAHNERHALTUNG e.V. Der Präsident 29.08.2000 Zur Nachfrage des Sachverständigenrates nach Über-, Unter- und Fehlversorgung in der Zahnerhaltung EINLEITUNG Die Frage nach Über-, Unter- und Fehlversorgung im Bereich der Zahnerhaltung betrifft restaurative, präventive und endodontologische Maßnahmen. Es ergeben sich dabei zwangsläufig Berührungspunkte mit der Parodontologie und Kinderzahnheilkunde, die jedoch nicht überbetont werden sollen, da hierzu gesonderte Stellungnahmen der jeweiligen wissenschaftlichen Fachgesellschaften abgegeben werden. Es kann unterschieden werden zwischen Versorgungen, welche einzelne Zähne von Patienten betreffen (zum Beispiel Füllungen, Kronen u.a.) und Rehabilitations- oder Präventionsmaßnahmen für Patientengruppen (z.B. die Frage der Individual- vs. Gruppenprophylaxe). Grundsätzlich muss sich die Frage nach Über-, Unteroder Fehlversorgungen an den bisherigen Steuerungsinstrumenten wie zum Beispiel Abrechnungskatalogen (BEMA, GOZ) bzw. Finanzierungsmodellen (zum Beispiel Gruppen- oder Individualprophylaxe) orientieren. Die Frage nach Über-, Unter- oder Fehlversorgungen kann jedoch auch an nicht-adäquate Ausbildung von Zahnmedizinstudenten (hier sei das Beispiel der längst überfälligen neuen Approbationsordnung genannt) oder an allgemeingesellschaftliche Phänomene (zum Beispiel Zunahme des ästhetischen Bewusstseins) geknüpft sein. Es würde zu weit führen, hier sämtliche Faktoren aufzählen zu wollen, welche für die zahnmedizinische Versorgung relevant sind. Zwei wichtige Faktoren sollten jedoch (gerade endodontologischen Bereich) genannt werden: im restaurativen und 1) Technische und materialkundliche Fortschritte ermöglichen neuartige bzw. andere Versorgungsformen, als dies noch vor Jahren möglich war. Insofern drückt sich auch der Zuwachs zahnmedizinischen Wissens in der jeweiligen Versorgungsform aus. 2) Demografische Faktoren beeinflussen die Art und Menge nachgefragter zahnmedizinischer Leistungen. Medizinische Versorgungsformen orientieren sich zudem an politischen Vorgaben und nicht nur an objektiven Notwendigkeiten. Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum eine Einschätzung einer Über-, Unter- und Fehlversorgung extrem schwierig und nur in Teilbereichen möglich ist. Sie kann zudem nicht als statische Größe verstanden werden, die einmal fixiert für die Zukunft Gültigkeit hat. Grundsätzlich sollten für eine Einschätzung einer Über- und Unterversorgung epidemiologische Studien herangezogen werden können. Sie sollten stichhaltig und eine möglichst hohe Evidenz besitzen. Für viele Behandlungsmaßnahmen gibt es allerdings „nur“ eine klinische und keine wissenschaftliche Evidenz. Insofern hängt die Einschätzung, ob eine Behandlungsmaßnahme notwendig oder überflüssig ist, oft von den Erfahrungen des Zahnarztes und teilweise auch des Patienten ab. Die Entscheidung, ob eine Über-, Unter- und Fehlversorgung vorliegt, kann keinesfalls auf der Basis wirtschaftlicher Überlegungen von Kostenträgern, Berufsverbänden bzw. Gesundheitspolitikern abhängen. 1. BEURTEILUNG EINER ÜBER-, UNTER- UND FEHLVERSORGUNG IM RESTAURATIVEN UND PRÄVENTIVEN ZAHNERHALTENDEN BEREICH Zur Beurteilung einer Über- und Unterversorgung liegen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen epidemiologische Daten aus der DAJ-Studie (1997) und aus der dritten deutschen Mundgesundheitsstudie (1997) vor. 1.1 Zahnmedizinische Versorgung von Kindern In der DAJ-Studie zeigt sich, dass der Sanierungsgrad der Milchzähne von 6- bis 7jährigen im Jahre 1997 mehr als zu wünschen übrig lässt. Hier ist klar eine Unterversorgung zu erkennen. Waren bei Schulanfängern in Thüringen 49% der kariösen Milchzähne mit einer intakten Füllung versorgt, so lag der entsprechende Prozentsatz in Bremen bei 23,8%. Dies bedeutet im Prinzip, dass je nach Bundesland zwischen 43,9 und 68,3% der kariösen Milchzähne nicht gefüllt sind. Nach wie vor sind bei den 6- bis 7jährigen in der Bundesrepublik weit mehr als die Hälfte der kariösen Defekte an Milchzähnen nicht saniert. Dies ist sowohl aus kieferorthopädischer Sicht problematisch als auch unter dem Blickwinkel der Prävention, da unversorgte kariöse Läsionen Biotope für kariogene Keime bilden. Bei den 9jährigen waren zwischen 14,0 und 46,4% der kariösen Zähne nicht mit einer intakten Füllung versorgt. 1.2 Zahnmedizinische Versorgung von Jugendlichen Bei den 12jährigen war der Sanierungsgrad besser, hier waren 10,6 bis 36,4% der bleibenden kariösen Zähne nicht mit einer entsprechenden Restauration versorgt. Bei der DAJ-Studie wurden aber nur die restaurativ anzugehenden offen kariösen Läsionen berücksichtigt. Die DMS-III-Studie ergibt für die 12jährigen, dass zusätzlich 3 initialkariöse Läsionen (beginnende Schmelzkaries) vorhanden sind. Diese müssen zwar nicht primär restaurativ angegangen werden, könnten sich jedoch in Zukunft zu offenen kariösen Läsionen entwickeln. Hier ist also ein zusätzlicher Präventionsbedarf vorhanden. So lässt sich neben einer restaurativen Unterversorgung bei Kindern und Jugendlichen außerdem noch ein präventiver Behandlungsbedarf konstatieren. Bei Kindern und Jugendlichen kann man zudem davon ausgehen, dass es zu einer Polarisierung des Kariesbefalls gekommen ist. Gleichzeitig lässt sich den Schlussfolgerungen der DAJ-Studie entnehmen, dass sich zwar insgesamt ein positiver Trend der Mundgesundheit feststellen lässt, dass jedoch die Anstrengungen in der Gruppenprophylaxe besonders die gesundheitserzieherischen Komponenten und der Einsatz spezieller Prophylaxehelferinnen und Lokalfluoridierungsmaßnahmen verstärkt werden sollten. Weiterhin sollte insbesondere bei Kindern mit erhöhtem Kariesrisiko die Intensivprophylaxe verbessert werden. So kann bei 12jährigen festgestellt werden, dass 21,5% der Untersuchten (DMS-III-Studie) 61,2% aller DMF-Zähne aufweisen. Als Hochrisikogruppe konnten diejenigen 7,9% der Jugendlichen ausgemacht werden, welche mehr als 4 DMF-Zähne aufweisen. Sie haben mit 29,6% fast ein Drittel aller erkrankten Zähne. Ähnlich ist es bei sanierungsbedürftigen Zähnen. Hier haben 19,4% der Jugendlichen sämtliche zu sanierenden Zähne. Im Gegensatz zu der starken Polarisierung bei den DMFZähnen und bei sanierungsbedürftigen Zähnen sind Zähne mit Initial- und Schmelzkaries gleichmäßig unter den Jugendlichen verteilt. Nur 25,6% der Untersuchten haben keinen Zahn mit dieser frühen Form der Karies. Die DMS-IIIStudie geht davon aus, dass ohne Präventionsmaßnahmen die initialen Defekte zu einer manifesten, bis in das Dentin reichenden Karies fortschreiten werden. Eine bedarfsgerechte Kariesprophylaxe ist also weiterhin unverzichtbar. Dies gilt umso mehr, da nur ein Viertel der Jugendlichen keine Initial- oder Schmelzkaries aufzeigen. Für diese Jugendlichen bedeuten die bisherigen Präventionsmaßnahmen im Prinzip eine Überversorgung, die jedoch in Kauf genommen werden sollte. Durch die frühzeitige Adaptation an zahnärztliche Untersuchungen, Beratungen und Aufklärungen bedeutet eine derartige primärpräventive Behandlung für die Betroffenen nämlich eine langfristige Investition in ihre orale Gesundheit. Große Bedeutung kommt nach Meinung der Autoren die Fissurenversiegelung zu. Sie gehen davon aus, dass diese individualpräventive Maßnahme eine Erklärung dafür sein kann, warum bislang den Kariesbefall bestimmende soziale Variablen an Gewicht verloren haben. Grundsätzlich sollten Versiegelungsmaßnahmen weiter ausgeweitet werden. Die Analysen der DMS-III-Studie zeigen nämlich, dass insbesondere bei Jugendlichen mit eher beschwerdeorientiertem Inanspruchnahmeverhalten zahnärztlicher Leistungen von Versiegelung profitieren können, wenn im Rahmen einer solchen Konsultation zugleich Okklusalflächen versiegelt werden würden. Es zeigt sich auch, dass die Anzahl der kariösen Initialläsionen bei den Jugendlichen, die keine Versiegelungen an den Zähnen aufweisen, höher ist. Man kann also davon ausgehen, dass im Bereich der Versiegelungen und damit verbunden weiterer individualprophylaktischer Maßnahmen eine Unterversorgung bei den meisten Jugendlichen vorhanden ist. Eine Unterscheidung in Jugendliche mit und ohne präventiven Behandlungsbedarf wäre wünschenswert, um eine Überversorgung zu vermeiden. Der Einsatz entsprechender Maßnahmen (Kariesrisikobestimmung) ist allerdings sehr aufwendig. 1.3 Zahnmedizinische Versorgung von Erwachsenen Bei Erwachsenen zwischen 35 und 44 Jahren zeigt die DMS-III-Studie, dass nach wie vor ein hoher DMFT-Wert (16,1) zu verzeichnen ist. Insgesamt lässt sich feststellen, dass nur 0,8% der Erwachsenen ein naturgesundes Gebiss besitzen. Es gibt nur sehr wenige unversorgte kariöse Zähne, aber immer noch 3,9 fehlende Zähne. Besonders auffällig ist allerdings bei Erwachsenen, dass auch hier durchschnittlich 2,3 Zähne initialkariöse Läsionen aufweisen, die eventuell zu manifester Karies progredieren können, wenn sie nicht präventiv angegangen werden. Es lässt sich also konstatieren, dass eine präventive Unterversorgung vorliegt. Ein augenfälliger Befund der DMS-III-Studie ist, dass ein kontrolliertes Aufsuchen der zahnärztlichen Praxen mit einer geringeren Anzahl fehlender oder kariöser Zähne einhergeht, die Anzahl gefüllter Zähne jedoch ansteigt. Hier stehen dem Betrachter zwei mögliche Interpretationen offen. Zum einen könnte dies bedeuteten, dass mit dem regelmäßigen Aufsuchen einer Zahnarztpraxis eine übermäßige Restaurationstätigkeit des Zahnarztes verbunden ist. Dies würde einer Überversorgung entsprechen. Wenn aber gleichzeitig eine geringere Anzahl fehlender Zähne und kariöser Zähne festzustellen ist, so deuten die Zahlen andererseits darauf hin, dass durch eine frühe Diagnose und eine frühzeitige Intervention Zahnverlust durch Karies vermieden werden kann. Für eine weitere Verbesserung der Mundgesundheit wäre dann erforderlich, durch entsprechende Maßnahmen ein besseres Inanspruchnahmeverhalten von erwachsenen Personen zu fördern. In diesem Zusammenhang wird diskutiert, dass heutzutage zu häufig und zu früh Füllungen ausgetauscht und Überkronungen zu schnell vorgenommen werden. Nach wie vor gibt es jedoch keine Beweise für eine derartige Vermutung. Sollte sich eine solche Feststellung bewahrheiten, so könnte dies in erster Linie auf eine stark restaurativ ausgerichtete Ausbildung (siehe Inhalte der Approbationsordnung) zurückzuführen sein. Es wäre möglich, dass sich hier durch eine entsprechende Umgestaltung des Curriculums eine derartige Fehlsteuerung vermeiden ließe. Es sei jedoch hier noch einmal betont, dass es für derartige Vermutungen in Deutschland keine evidenz-basierten Studien gibt. Grundsätzlich lässt sich zudem noch festhalten, dass bei Erwachsenen mit mehr als 20 DMF-Zähnen ein statistisch signifikant höherer Plaquebefall festzustellen ist als bei den übrigen Untersuchten. Allgemein kann man also formulieren, dass eine Unterversorgung im Bereich der Individualprophylaxe (lokale Fluoridierungsmaßnahmen, professionelle Zahnreinigung, Motivation und Instruktion zur häuslichen Mundhygiene) vorliegt. Zum Wurzelkariesbefall lässt sich feststellen, dass immerhin 11,8% der untersuchten Erwachsenen mindestens eine kariöse oder gefüllte Wurzelfläche haben. Dabei haben Personen mit hohem DMFT-Wert auch einen höheren Wurzelkariesbefall. Erneut lässt sich dies vermutlich auf unzureichendes Präventionsverhalten zurückführen. Insgesamt waren 9,9% aller freiliegenden Wurzelflächen nicht mehr gesund. Wenn dies auch eine geringe Anzahl ist, so sollte der Behandlungsbedarf, der zukünftig aufgrund einer derartigen Karies auf die Zahnmedizin zukommt, nicht unterschätzt werden, da eventuell aufgrund der Prophylaxe im jugendlichen Alter noch mehr Zähne erhalten werden können und somit die Anzahl der Risikoflächen steigen dürfte. Das gilt in ähnlicher Form für nicht kariöse Zahnhartsubstanzdefekte (Erosionen, Abrasionen). Hier wäre also zukünftig auch eine präventive und möglicherweise restaurative Unterversorgung zu konstatieren. Bei Senioren zeigt sich seit zwei Jahrzehnten keine Änderung beim DMFT-Wert. Allerdings ist die Anzahl kariöser Zähne zurückgegangen und die Anzahl gefüllter Zähne ist gestiegen. Der Sanierungsgrad ist mit über 93% gut. Eine Unterversorgung ist weiter im präventiven Bereich festzustellen, da immerhin 10% der vorhandenen Zähne Initialläsionen aufweisen. 2. BEURTEILUNG EINER ÜBER-, ENDODONTOLOGISCHEN BEREICH UNTER- UND FEHLVERSORGUNG IM Zur Güte und zur Häufigkeit endodontologischer Behandlungen in Deutschland gibt es vereinzelte (regional begrenzte) Studien, die aber zumindest einen groben Überblick über die heutige Situation ermöglichen, auch wenn sie nicht repräsentativ sind und daher möglicherweise nicht auf die gesamte Bevölkerung übertragen werden können. Bei diesen Untersuchungen zeigen sich klare Tendenzen. Zum einen lassen sich nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten erhebliche Qualitätsmängel, die als Fehlversorgung interpretiert werden können, feststellen. So sind nur etwa 50% der Wurzelkanalfüllungen korrekt. Zwischen 14 und 45% der Wurzelfüllungen führen nicht zu einem Erfolg. Zu einer Überversorgung im endodontologischen Bereich lassen sich wiederum keine Aussagen machen. Hier wäre daran zu denken, dass beispielsweise intentionelle Wurzelkanalbehandlungen vor prothetischen Maßnahmen in einem Umfang durchgeführt werden, der sich nicht rechtfertigen ließe. So gibt es Lehrmeinungen, dass jeder Zahn grundsätzlich vor einer Überkronung zu devitalisieren und mit einer Wurzelkanalfüllung zu versehen sei. Inwieweit derartige Lehrmeinungen heute noch Gültigkeit haben und tatsächlich später in der zahnärztlichen Praxis umgesetzt werden, ist nicht nachzuweisen. Eventuell lassen sich zudem mit entsprechenden tertiärpräventiven Maßnahmen (zum Beispiel schrittweiser Kariesentfernung) Wurzelkanalbehandlungen vermeiden. Damit könnte ein Beitrag zu einer relevanten Verminderung von Wurzelkanalbehandlungen geleistet werden. Man kann also konstatieren, dass im endodontologischen Bereich eher eine Fehlversorgung und möglicherweise eine Überversorgung und gleichzeitig eine Unterversorgung (siehe Anzahl extrahierter Zähne bei Erwachsenen und Senioren) nebeneinander existieren. Es wäre in diesem Zusammenhang wünschenswert, die Leistungskataloge so zu verändern, dass dem Zahnarzt eine ausreichende Vergütung für eine langwierige, lege artis durchgeführte WKBehandlung überhaupt ermöglicht wird. 3. ZUSAMMENFASSUNG Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass im zahnerhaltenden Bereich bisher eine präventive und teilweise restaurative Unterversorgung, im endodontologischen Bereich eher eine Fehlversorgung vorliegt. Neue Techniken, und veränderte Materialien könnten allerdings in Zukunft eine neue Beurteilung notwendig machen. Die Ausbildung der Zahnmedizinstudenten sollte zudem grundsätzlich überholt und neu gestaltet werden. Inwieweit Unterversorgungen bei behinderten und schwer erkrankten Patienten (HIV, Hepatitis C usw.) vorliegen, lässt sich nicht mit Zahlen beweisen. Es kann aber die Vermutung geäußert werden, dass die Betreuung dieser Patienten zu wünschen übrig lässt, da sie häufig mit einem desolaten Gebisszustand in Universitätszahnkliniken bzw. speziell eingerichtete Praxen überwiesen werden. In den Kliniken, deren Personal-, Sach- und Investitionsmittel überwiegend entsprechend der Kapazitätsverordnung für die Lehre gedacht sind, wird quasi „freiwillig“ eine spezielle Versorgung, die mit einer Personalüberbelastung einhergeht, geleistet. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob der Status der Universitätszahnkliniken nicht geändert werden müsste, um eine adäquate Versorgung dieser Patientengruppen zu gewährleisten. Bis auf die MKG-Chirurgie haben die Zahnkliniken bisher nämlich keinen Versorgungsauftrag. Dieser liegt ausschließlich bei den Landeszahnärztekammern. Es sollte zumindest daran gedacht werden, die bisherigen pauschalen Abschläge bei der Leistungsvergütung (wegen Lehre ca. 20-30%) zukünftig wegfallen zu lassen. Da es in Zukunft aufgrund der Altersstrukturen der Bevölkerung vermehrt Problempatienten - häufig mit schwerwiegenden Erkrankungen - geben wird, müssen im Sinne einer Ermächtigung oder eines Versorgungsauftrages Strukturen geschaffen werden, die eine adäquate Versorgung dieser Menschen garantieren. LITERATUR Bjørndal L, Larsen T, Thylstrup A: A Clinical and Microbiological Study of Deep Carious Lesions during Stepwise Excavation Using Long Treatment Intervals. Caries Res 31, 411-417 (1997) Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege: Epidemiologische Begleituntersuchungen zur Gruppenprophylaxe 1997. ISBN 3-926-22/-13-x Micheelis W, Reich E: Dritte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS III). Deutscher Ärzte-Verlag, Köln 1999 Schulte A, Pieper K, Charalabidou O, Stoll R, Stachniss V: Prevalence and quality of root canal fillings in a German adult population. Clin Oral Invest 2, 67-72 (1998) Med. Zentrum für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Schlangenzahl 14, D-35392 Gießen Anlage 2 MED. ZENTRUM FÜR ZAHN-, MUND- UND KIEFERHEILKUNDE POLIKLINIK FÜR PARODONTOLOGIE Prof. Dr. J. Meyle Herrn Prof. Dr. Dr. Wagner Präsident der DGZMK Augustus-Platz 2 Schlangenzahl 14 D-35392 Gießen Telefon: 0641/99-46191 Telefax: 0641/99-46189 55131 Mainz Gießen, den 25.05.00 Az.: MEY/sch/2973-00 Betr.: Frage der Über-/Unterversorgung im Bereich Zahnmedizin Stellungnahme zur Frage der Über-/Unter- bzw. Fehlversorgung auf dem Gebiet der Parodontologie/Zahnbetterkrankungen Add. 2.1: Indikationsbezogene Befragung 1. Problembeschreibung: Neben der Karies bilden Zahnbettentzündungen die häufigste Erkrankungsform in unserer Bevölkerung. So leiden nach der jüngsten IDZ-Erhebung ca. 10-15 % der Erwachsenen (35-44-jährige) an einer schweren generalisierten Form der marginalen Parodontitis, die unbehandelt zur Zahnlockerung und zum Zahnverlust führt. Geht man von einer Gesamtbevölkerungszahl von 80 Millionen aus bedeutet dies, dass in dieser Altersgruppe bei mindestens 8 Millionen Einwohnern eine komplexe und umfassende Therapie erforderlich ist. Dem steht gegenüber, dass in den letzten 8 Jahren (1991-1998) nach dem Jahrbuch 1999 der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV) insgesamt im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung in den neuen und alten Bundesländern nur 5,28 Millionen Behandlungen abgerechnet wurden. Nach Zahlen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Hessen wurde auch in den Jahren 1998 bzw. 1999 nur in 39 % aller Zahnarztpraxen überhaupt Parodontalbehandlungen durchgeführt und abgerechnet. Für diese Diskrepanz zwischen der Prävalenz der Erkrankung und der tatsächlich durchgeführten Anzahl der Behandlungen gibt es eine Reihe von Faktoren, die unmittelbar bzw. mittelbar dafür verantwortlich sind: 1. Ausbildungsdefizit Im Unterschied zu allen anderen Fächern im Studiengang Zahnmedizin sind die Fächer “Prävention und Prophylaxe“ und “Parodontologie“ im Curriculum hinsichtlich ihrer Stundenzahl und der Intensität der Lehrvermittlung nicht eindeutig verankert. Ausserdem ist dieses Fach an den meisten deutschen Zentren für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nicht als selbständiges Fach mit eigenem Lehrstuhl vertreten, sondern wird im Rahmen des Faches Zahnerhaltungskunde mit vertreten. Hier unterscheidet sich die Fächerstruktur der deutschen Universitäten deutlich von unseren skandinavischen Nachbarländern und von der Fächerstruktur in den Vereinigten Staaten. 1 In der derzeit noch gültigen Approbationsordnung dominieren mechanistische restaurative Ansätze, d.h. präventive Aspekte und die Zahnerhaltung durch Behandlung des erkrankten Parodontiums kommt vielfach zu kurz. 2. Fachzahnärztemangel: Obwohl von der wissenschaftlichen Fachgesellschaft (Deutsche Gesellschaft für Parodontologie, DGP) seit mehr als 20 Jahren, ausser der Etablierung dieses Faches als eines der Hauptstudienfächer im Gesamtcurriculum die Etablierung einer Weiterbildung auf diesem Fachgebiet in Form einer Fachzahnarztanerkennung gefordert wird, ist dies bislang nur im Kammerbereich Westfalen-Lippe realisiert worden. Vielfach sind die Zahnärzte aufgrund der zuvor aufgezeigten Ausbildungssituation mit der Diagnostik und Therapie derartiger Erkrankungsformen überfordert. 3. Diagnosedefizite: Da es sich bei der marginalen Parodontitis um eine primär chronisch verlaufende bakteriogene Infektion des Zahnhalteapparates handelt, die nur in den wenigsten Fällen zu akuten Beschwerden führt, wird diese Erkrankung, sofern keine spezielle lokale Diagnostik erfolgt, in vielen Fällen zu spät oder überhaupt nicht erkannt und führt in vielen Fällen zu einem irreversiblen Verlust des Alveolarknochens. Nach den derzeit gültigen Gebührenordnungen in den gesetzlichen Krankenversicherungen ist es nicht zwingend vorgeschrieben, dass bei einer Patientenerstuntersuchung eine spezielle Diagnostik des Zahnhalteapparates des Patienten erfolgen muss. Daher ist es verständlich, dass diese Erkrankung zumindest in den Anfangsstadien z.T. übersehen wird und die später durchgeführte Therapie auch bei einem erheblichen Aufwand nicht mehr in der Lage ist die entstandenen Schäden und Defekte völlig zu beseitigen. 4. Veraltetes Behandlungskonzept: Der in der gesetzlichen Krankenversorgung zur Zeit gültige Behandlungsvertrag auf diesem Fachgebiet besteht seit mehr als 30 Jahren in nahezu unveränderter Form, d.h. alle neueren wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten 2 Jahrzehnte blieben bislang weitgehend unberücksichtigt, dazu gehören: - die Einbeziehung der initialen Behandlungsphasen zur Erzielung einer weitgehenden klinischen Entzündungsfreiheit - die adäquate Berücksichtigung der verschiedenen modernen Behandlungsverfahren zur Regeneration des Halteapparates - sowie die regelmässige Nachsorge zur Verhinderung von Rezidiven. Empfehlungen: Die Frühdiagnostik einer marginalen Parodontitis gehört zu den wichtigsten Elementen einer präventionsorientierten Zahnheilkunde! Bei einer frühzeitigen Diagnose und adäquaten Intervention von Seiten des Zahnarztes ist es möglich das Auftreten von Folgeschäden, d.h. durch Abbau von Alveolarknochen und des Zahnverlustes zu vermeiden und unter normalen Voraussetzungen dem Patienten lebenslang seine Zähne zu erhalten. Die dafür erforderlichen therapeutischen Strategien sind seit Jahrzehnten durch international publizierte klinisch-kontrollierte randomisierte Studien belegt. Die o.g. 2 Zahlen verdeutlichen, dass auch im Jahr 2000 in Deutschland auf diesem Gebiet ein erheblicher Nachholbedarf besteht, der uns bei einer flächendeckenden und konsequenten Umsetzung in die Lage versetzen würde, nicht nur den Zahngesundheitszustand unserer Bevölkerung erheblich zu verbessern, sondern auch die Kosten für restaurative Massnahmen zu senken. Leider sind bis heute die dafür erforderlichen Schritte nicht konsequent getan worden, d.h. zu allererst muss die Ausbildung im Studiengang Zahnmedizin auf diesem Gebiet verbessert und intensiviert werden. Dies kann nur durch eine rasche Novellierung der derzeit gültigen Approbationsordnung erfolgen. Ausserdem ist die Novellierung des derzeit gültigen Behandlungsvertrages im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung dringend erforderlich, um den Zahnärzten die Möglichkeit zu geben die Behandlung nach derzeit gültigen wissenschaftlichen Grundsätzen durchzuführen und Frührezidive zu vermeiden. Dazu gehört auch die Etablierung neuer Verfahrensweisen in der zahnärztlichen Diagnostik und die Einbeziehung der parodontologischen Untersuchung als obligatorischen Bestandteil der klinischen Erstuntersuchung. Mit diesem Bündel an Massnahmen würde es gelingen, innerhalb von wenigen Jahren den restaurativen Behandlungsbedarf deutlich zu senken und die Zahngesundheit unserer Bevölkerung erheblich zu verbessern. 3 DGZMK - Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde DGZMK Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- & Kieferheilkunde Implantologie in der Zahnheilkunde Quelle: DZZ 1998 Allgemeines: Die enossale Implantologie ist als wissenschaftlich anerkannte Therapie integraler Bestandteil der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Implantate sind künstliche Pfeiler, die zur Verankerung von Zahnersatz, Epithesen und kieferorthopädischen Behandlungsmitteln etc. eingesetzt werden. Neben der hohen Funktionalität liegen die Vorteile dieser Therapieform in der stabilen und langfristig knochenerhaltenden Verankerung. Implantatversorgungen sind zu einem hohen Prozentsatz klinisch erfolgreich, da sie die vorgesehene Funktion langfristig ohne pathologische Befunde und ohne Schäden am Lagergewebe erfüllen können. Zusätzlich können Behandlungsmaßnahmen an Nachbarstrukturen (z.B. Nachbarzähnen) vermieden werden. Das personelle, instrumentelle und hygienische Umfeld entspricht dem bei vergleichbaren elektiven Eingriffen. Die besonderen Kenntnisse über die implantologische Therapie sollten durch entsprechende Aus- oder Fortbildung erworben werden. Die heute verwendeten Implantate bestehen in der Regel aus Titan mit unterschiedlichen Oberflächenstrukturierungen. Eine reizlose knöcherne Einheilung und langfristige Funktion sind klinisch und histologisch belegt. Daneben können Titanimplantate mit unterschiedlichen Beschichtungen aus Hydroxylapatitikeramik klinisch zur Anwendung kommen. Überwiegend werden rotationssymmetrische Formen als Zylinder und Schrauben mit kongruentem Implantationsinstrumentarium eingesetzt, daneben sind blattförmige Extensionsimplantate bei speziellen knöchernen Ausgangssituationen (z.B. schmaler Kieferkamm) gebräuchlich. Indikation: Es besteht bei ausreichend vorhandenem oder aufgebauten ortsständigen Hart- und Weichgewebeangebot eine medizinische Indikation für enossale Implantate bei Patienten: die ohne Implantate funktionell nicht befriedigend versorgt werden können (z.B. extreme Kieferatrophie, angeborene und unfallbedingte oder nach Tumorresektion angefallene Defekte) bei denen die Implantatversorgung gegenüber der konventionellen Versorgung funktionelle Vorteile bietet (z.B. zahnloser Kiefer, Freiendsituation, Schaltlücke, kieferorthopädische Behandlungsmittel) bei denen auch durch alternative Behandlungsmaßnahmen vergleichbare funktionelle Ergebnisse nicht zu erzielen sind. Besondere lokale Befunde und auch subjektive Gründe können für eine Implantation sprechen. Indikationseinschränkungen: 1 von 2 18.07.01 13:59 DGZMK - Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde Für die Implantologie gelten dieselben Indikationseinschränkungen wie für elektive operative Eingriffe in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde. Sie können allgemeinmedizinisch bedingt oder lokal auf das Implantationsgebiet begrenzt sein. Weitere Indikationseinschränkungen bestehen bei mangelnder Bereitschaft zur Mundhygiene und bei unzureichender Kooperation der Patienten. Diagnostik und Planung: Die präimplantologische Diagnostik umfaßt neben der klinischen Untersuchung die funktionelle Analyse und die Beurteilung der lokalen Hart- und Weichgewebe. Planungsmodelle sind hilfreich bei der Festlegung der Implantatposition und ermöglichen unter Berücksichtigung des geplanten Zahnersatzes die Herstellung von Röntgen- und Operationsschablonen. Zur Diagnostik des Knochenangebotes durch bildgebende Verfahren ist die Panoramaschichtaufnahme mit Meßreferenz als Basisdokumentation anzusehen. Als ergänzende Maßnahmen können zusätzliche Projektionen wie z.B. enorale Zahnfilme, Fernröntgenseitenaufnahmen, Aufbißaufnahmen oder Aufnahmen der Nasennebenhöhle notwendig werden. Die Computertomographie ermöglicht vor allem in Kombination mit Planungsschablonen eine dreidimensionale Beurteilung des Knochenlagers. Wegen der Strahlenbelastung ist die Computertomographie keine Routineuntersuchung und sollte auf besondere Indikationen beschränkt werden. Die Anzahl der erforderlichen Implantate, sowie deren Länge und Durchmesser wird bestimmt durch das verfügbare knöcherne Implantatlager sowie deren spätere Nutzung. Beim Zahnersatz muß zwischen abnehmbaren, bedingt abnehmbaren und festsitzenden Versorgungen unterschieden werden. Herausnehmbarer implantatgestützter Zahnersatz beim zahnlosen Kiefer wird standardmäßig auf 4 Implantaten abgestützt. Diese Form der Versorgung ermöglicht eine höhere Stabilisierung der Prothese mit weniger Knochenresorption des Kiefers als die ebenfalls mögliche Stabilisierung mit 2 Implantaten. Rein implantatgetragener Zahnersatz beim zahnlosen Kiefer ist standardmäßig auf 6 Implantaten abgestützt, wobei im Oberkiefer auch mehr als 6 Implantate, im Unterkiefer in Ausnahmefällen auch lediglich 4 Implantate notwendig sein können. Bei Freiendindikationen und großen Schaltlücken werden in Abhängigkeit von ihrer Größe bei Verbundbrücken (Verbindung von Implantaten mit natürlichen Zähnen) 1 oder 2 Implantate und bei rein implantatgetragenen Konstruktionen standardmäßig 2 oder 3 Implantate angewandt. [Kopf der Seite] • [zurück] 2 von 2 18.07.01 13:59