Was ist eigentlich Diabetes Mellitus? 01_Diabetes.indd 19 15.09.2005 14:56:32 Uhr 20 ® Nach dem ersten Schock wollte ich dann möglichst viel über meine Krankheit wissen. ® Die Erkenntnis war nicht angenehm: Ich bin erblich vorbelastet, habe aber durch meine Lebensgewohnheiten selbst dazu beigetragen, dass ich jetzt Diabetes habe. 01_Diabetes.indd 20 Was ist eigentlich Diabetes mellitus? Nun, da ich weiß, dass ich Diabetes mellitus habe, will ich mehr wissen. Was ist eigentlich Diabetes? Woher kommt er? Warum gerade ich? Was kann ich dagegen tun? Als Erstes renne ich in die Apotheke, lasse mir alle Prospekte geben, in denen das Wörtchen Diabetes vorkommt, sogar die Werbeflyer der Pharmafirmen. Dann lese ich, lese jeden Tag und werde immer deprimierter. Im Internet finde ich ebenfalls eine Fülle von Informationen, mir raucht der Kopf. Ich bringe alles durcheinander: Typ 1, Typ 2, Tabletten, Spritzen … Insulin, Übergewicht, BMI, Glykämischer Index, Augen, Nerven, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Nieren, Füße … Je mehr ich erfahre, desto mehr regt sich mein schlechtes Gewissen, weil ich begreife, dass ich allein am Ausbruch meiner Erkrankung schuld bin. Zwar bin ich auch erblich stark belastet, aber meine Lebensführung hat dem Diabetes Tür und Tor geöffnet. Aber ich bin kein Einzelfall, Diabetes mellitus ist eine Volkskrankheit und nur wenige Menschen erkennen ihn rechtzeitig. Jährlich erkranken in Deutschland rund 350.000 Bundesbürger neu an Diabetes, ausgelöst vor allem durch Überernährung und Bewegungsmangel – und nun gehöre ich dazu. 15.09.2005 14:56:32 Uhr Was ist eigentlich Diabetes mellitus? 21 Definition: Diabetes mellitus Diabetes mellitus (»honigsüßer Durchfluss«) oder auch »Zuckerkrankheit« genannt, ist eine chronische Stoffwechselkrankheit. Er beruht auf einem absoluten oder relativen Mangel des Bauchspeicheldrüsenhormons Insulin. In Deutschland leben über fünf Millionen Menschen, deren Diabetes statistisch erfasst wurde. In Österreich sind etwa 500.000 statistisch gemeldet, in der Schweiz geht man von rund 200.000 Betroffenen aus, in allen Ländern ist die Dunkelziffer jedoch sehr hoch. Ein absoluter Insulinmangel liegt vor, wenn die Bauspeicheldrüse nicht mehr in der Lage ist, Insulin abzusondern (Diabetes Typ 1). Die Ursachen für die Erkrankung an Typ 1 sind noch nicht ausreichend geklärt. Als Hauptgrund wird eine Autoimmunreaktion angenommen, die beispielsweise nach einer abgelaufenen Virusinfektion wie Mumps ausgelöst wurde. Sie führt zu der Zerstörung der so genannten Inselzellen der Bauspeicheldrüse, in denen Insulin hergestellt wird. In Deutschland leben etwa 300.000 Typ-1Diabetiker. Sie sind lebenslang auf die Zufuhr von Insulin angewiesen. Diabetes Typ 2 dagegen ist eine Stoffwechselerkrankung. Er liegt dann vor, wenn zwar genügend Insulin produziert wird, es aber in den Zellen nicht mehr richtig wirksam wird (Insulinresistenz). Menschen mit Diabetes Typ 2 haben am Anfang der Krankheit einen normalen Insulinspiegel. Die Kohlenhydrate aus der Nahrung, die im Verdauungstrakt zu Glukose abgebaut und dann zum Weitertransport ins Blut abgegeben werden, führen zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Durch die verringerte Wirksamkeit des Insulins wird die Glukose (Blutzucker) nicht in normalem Umfang an die Zielzellen abgeben und »staut« sich im Blut. Die Bauchspeicheldrüse reagiert darauf zunächst mit einer erhöhten Insulinproduktion, anfänglich kann durch diese Mehrarbeit der Blutzuckerspiegel halbwegs reguliert werden und der Blutzuckerspiegel ist noch weitgehend stabil. Wenn die Resistenz aber weiter fortschreitet, können die Blutzuckerspitzen 01_Diabetes.indd 21 15.09.2005 14:56:33 Uhr Was ist eigentlich Diabetes mellitus? 22 nach dem Essen nicht mehr aufgefangen werden. Der Glukosespiegel ist dann zunächst nach dem Essen, irgendwann aber auch im nüchternen Zustand erhöht. Bei einer Untersuchung kann dann auch ein erhöhter Insulinspiegel festgestellt werden. Im späteren Stadium der Erkrankung erlahmt die Bauchspeicheldrüse durch die ständige hohe Insulinproduktion mehr und mehr und versagt irgendwann ganz. Dann sind auch Typ-2-Diabetiker auf die Zufuhr von Insulin angewiesen. Der überwiegende Teil der Diabetiker ist an Typ 2 erkrankt, in Deutschland etwa 4,8 Millionen Menschen. Schlüsselfunktion des Insulins Beim Typ-2-Diabetes ist die genetische Veranlagung eine der wichtigsten Ursachen, aber begünstigt wird die diabetische Stoffwechsellage durch Übergewicht, Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung. Jeder Mensch hat nach der Nahrungsaufnahme einen erhöhten Blutzuckerspiegel, da die Kohlenhydrate aus dem Essen, in Einzelbausteine zerlegt, aus dem Darm ins Blut abgegeben werden. Bei einem Gesunden sinkt der Blutzuckerspiegel aber sehr rasch wieder ab, da die Glukose (Blutzucker) an die Körperzellen zur Energieproduktion »weitergereicht« wird. Beim Diabetiker passiert dies nicht, weil das Insulin entweder nicht vorhanden (Typ 1) oder nicht wirksam ist (Typ 2) und die Glukose nicht aus dem Blut in die Zellen abgegeben wird. Diabetes hängt also mit Insulin zusammen und dies ist ein Hormon, das eine Schlüsselfunktion im Ernährungsstoffwechsel hat. Insulin sorgt dafür, dass die Zellen mit Kohlenhydraten, Fetten und Aminosäuren versorgt werden. Ohne Insulin nehmen die Muskel-, Leber- und Fettzellen keine Glukose aus dem Blut auf. Das Hormon wirkt an der Zelloberfläche als »Türöffner«: Insulin ist der passende Schlüssel zu speziellen Schlössern, die an den Eintrittsstellen der Körperzellen sitzen. Durch das Hormon machen die Zellen ihre »Türen« für die Glukose auf. So kann der Blutzucker dann dorthin verteilt werden, wo er benötigt wird. 01_Diabetes.indd 22 15.09.2005 14:56:33 Uhr Was ist eigentlich Diabetes mellitus? 23 Das Insulin wird an der Oberfläche der Zellen an spezielle Rezeptoren angelagert und gibt dort Signale ins Zellinnere ab. Daraufhin setzen sich spezielle Transporter-Moleküle in Bewegung, nehmen die Nährstoffe auf und schleusen sie ins Innere der Zellen. Bei Hunger oder körperlicher Aktivität steigt die Zahl der Rezeptoren (Up-Regulation). Ist durch Überernährung und mangelnde Bewegung viel Insulin im Blut vorhanden, sinkt dagegen die Zahl der Rezeptoren (Down-Regulation) und die »Anziehungskraft« nimmt ab. Da nun weniger Insulinrezeptoren an der Zelloberfläche sitzen und diese auch noch unempfindlicher (resistenter) sind, bleiben die Glukosemoleküle im Blut. Um den »Stau« wieder aufzulösen, produziert die Bauchspeicheldrüse ein Vielfaches an Insulin, mit fortschreitender Resistenz gelingt aber auch dadurch die Normalisierung des Blutzuckerspiegels immer weniger. Auch die Rezeptoren der Fettzellen werden durch Übergewicht immer unempfindlicher gegenüber Insulin. Fatalerweise hemmt Insulin außerdem die Freisetzung von Fettsäuren aus dem Fettgewebe. Das heißt, bei hohem Insulinspiegel ist es doppelt schwer, das Fett auch wieder loszuwerden. Wenn dieser »Teufelskreis« nicht irgendwann durchbrochen wird, wird die Bauchspeicheldrüse überlastet und kann mit der Zeit ganz versagen. Gewichtsreduzierung steht an erster Stelle, wenn es darum geht, Diabetes zu behandeln. Eine Reduzierung des Körperfetts führt zu einer besseren Insulinausnutzung und damit zu einer Regulation des Blutzuckerspiegels. Die überflüssigen Pfunde schwinden aber meist nur, wenn eine bewusste Ernährung auch mit regelmäßiger Bewegung kombiniert wird. Körperliche Aktivität hat außerdem eine positive Wirkung auf den Abtransport des Blutzuckers: Die Muskelarbeit führt dazu, dass die Insulinempfindlichkeit erhöht wird. Es wandern mehr »Transporter-Moleküle« an die Zelloberfläche und schleusen so Glukose aus dem Blut in die Zellen. 01_Diabetes.indd 23 15.09.2005 14:56:33 Uhr