Systemtheorie und Kommunikation

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Systemtheorie und Kommunikation
Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme in der Kommunikationswissenschaft
INHALT
1.
2.
3.
4.
5.
6.
EINLEITUNG ............................................................................................... 1
ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG.................................................................... 2
ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE............................................................. 4
3.1 Autopoiesis-Konzept in der Theorie selbstreferentieller Systeme nach Varela
und Maturana .............................................................................................. 4
3.2 Der Strukturell-Funktionale Ansatz nach Talcott Parsons .............................. 4
3.3 Der System-Funktionale Ansatz nach Buckley und Miller .............................. 5
3.4 Der Funktional-Strukturelle Ansatz nach Niklas Luhmann ............................. 5
NIKLAS LUHMANNS THEORIE SOZIALER SYSTEME............................................. 6
SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION......................... 7
5.1 Systemtheoretische Definition................................................................. 7
5.2 Kommunikation und Bewußtsein als voneinander getrennte Systeme ............. 7
5.3 Kommunikation als Handlung.................................................................. 8
5.4 Kommunikation als Ereignis .................................................................... 9
5.5 Selektionsverstärkungen der Kommunikation ............................................. 9
ANHANG .................................................................................................. 10
6.1 Personenverzeichnis ............................................................................ 10
6.2 Literaturverzeichnis............................................................................. 11
Systemtheorie und Kommunikation ...
EINLEITUNG, Seite 1
1. EINLEITUNG
Um Kommunikation in einem systemtheoretischen Zusammenhang verstehen zu können,
ist die Beschäftigung mit der Entwicklung heutiger Systemtheorie, be-sonders mit dem
Ansatz Niklas Luhmanns, unausweichlich. Daher wird im fol-genden zunächst eine
chronologische Darstellungsweise gewählt, so-dann der Schwerpunkt auf Luhmanns
Theorie
der
sozialen
Systeme
gesetzt,
um
anschlie-ßend
systemtheoretische
Vorstellungen von Kommunikation ver-ständlich machen zu können. Eine engere
Eingrenzung schien nicht möglich, da dies zu erhebli-chen Verständnisschwierigkeiten
führte, angesichts der Vielschichtigkeit des Themas. Vernachlässigt wurden allerdings
Themata frü-herer Systemtheorie, wie Geschlossenheit versus Offenheit eines Systems,
d.h. Black Box, Fließgleichgewicht u.ä. Auf Zitate wurde weitgehend ver-zichtet,
allerdings konnte eine gewisse sprachliche Ähnlichkeit zu den bearbei-teten Texten nicht
vermieden werden, da das der Systemtheorie eige-ne Vokabular vonnöten ist bei der
Beschäftigung mit diesem Thema.
Systemtheorie und Kommunikation ...
ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG, Seite 2
2. ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG
System (gr.) bedeutet so viel wie Zusammenstellung oder Ordnung, Methode, Prinzip.
Schon hieraus ist die antike Vorstellung zu erkennen, daß Gegen-stände und
Zusammenhänge nicht einfach, einheitlich und homogen sind, sondern daß ein "Ganzes"
immer aus seinen Teilen besteht. In der Antike war die Beschäfti-gung mit diesem Thema
auf die Diskussion kontroverser Mei-nungen begrenzt: "Unabhängigkeit versus Dialektik
von Ganzheit und Tei-len", "Primat der Ganz-heit versus Primat des Teils" (Holistisches
Prinzip [Plato/Plotin] versus atomistisches Prinzip [Demokrit/Empedokles]) bestimm-ten
jahrhundertelang die Diskussion, wobei gerade im Mittelalter das holisti-sche Prinzip
vorherrschte.
Die Wurzeln moderner Systemtheorie sind allgemein in der Komplexwerdung der Welt
(Funktionale
Differenzierung:
z.B.:
Arbeitsteilung,
Weiterdifferen-zie-rung
der
Wissenschaften etc.) während der Industrialisierung zu finden, die zu-nächst zur
Hinwendung zum atomistischen Prinzip führte. In der Nachkriegszeit wurden
systemtheoretische Ideen auf wissenschaftlicher Basis neu diskutiert. Man wollte
praktische Problemlösungen durch eine neue wis-senschaftliche Me-thodik belegen
können, da Probleme Ganzheiten betreffen und die Integration von Einzelerkenntnissen
erfordern. So forderte auch Ludwig von Bertalanffy in-terdisziplinäres Zusammenarbeiten
der Wissen-schaften und statuierte 1949 in seiner "Allgemeinen Systemlehre", daß "das
Ganze...mehr als die Summe seiner Teile, nämlich auch die Summe der Be-ziehungen
dieser Teile zueinander" sei. Mit dieser Theorie griff er auf die im 18.Jahrhundert
konzipierte "Kategorie des Allgemeinen" zurück, welche be-sagt, daß jeder Mensch
zentrale Regeln und Gesetze des gesellschaftlichen Zusammenlebens angeboren
beziehungsweise unbewußt verinnerlicht hat. Er war es auch, der erstmals das
Begriffspaar "System und Umwelt" verwandte und stärker gewichtete als das antike
"Ganzes und Teil". Weitere Einfluß-größe war das Entstehen der Kybernetik, einer
Steuerungs-lehre, die das Ver-hältnis zwischen Kontrolleur und Kontrolliertem, sowie die
Rückkopplungsef-fekte von dynamischen, sich selbst verstärkenden Prozessen untersucht.
Auch beeinflußte das Phänomen des strukturellen Denkens der mo-dernen Mathe-matik
die
Entwicklung
der
Systemtheorie.
Weitere
Einflußgröße
war
auch
der
Paradigmenwechsel innerhalb der Biologie, die mehr und mehr Systeme und Relationen
untersuchte, anstatt Einzelphänomene. Schon hier wird die Inter-disziplinarität der
Systemtheorie
deutlich
und
ihre
Vielzahl
an
Ansätzen
in
unterschiedlichen
Systemtheorie und Kommunikation ...
Wissenschaften
(auch
in
Ökonomie,
ZU BEGRIFF UND ENTWICKLUNG, Seite 3
Pädagogik,
Soziologie,
Politikwissenschaft,
Psychologie, Medizin, Neurologie, Metereologie, Astro-nomie etc.).
Ebenso setzte auch hier die Theorie selbstreferentieller Systeme der chileni-schen Biologen Humberto R.Maturana und Francisco Varela mit ihrem Konzept der Auto-poiesis an,
welches weiter unten erklärt werden wird.
Allgemein ist der heutige Systembegriff durch vier Eigenschaften definiert: Es müssen
unterschiedliche Teile vorhanden sein, die in einer bestimmten Art und Weise geordnet
sind (Struktur); außerdem sollen diese Teile nicht beliebig aufeinander einwirken
(Funktion) und das System sich gegenüber seiner Um-welt abgrenzen. Die Definition, was
System, was Umwelt ist, fällt manchmal schwer, da Systeme gleichzeitig Umwelten für
kleinere, weniger komplexe Subsysteme darstellen können.
Systemtheorie und Kommunikation ...
ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE, Seite 4
3. ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE
3.1 AUTOPOIESIS-KONZEPT IN DER THEORIE SELBSTREFERENTIELLER SYSTEME NACH
VARELA UND MATURANA
Autopoiesis meint zunächst die Selbsterzeugung, Selbstherstellung eines le-ben-den
Systems, das heißt, daß autopoietische Gebilde sich selbst erhalten durch die ständige
Herstellung ihrer Komponenten durch sich selbst (Rekursivität). Das System gibt sich
selbst Regeln, organisiert sich selbst, be-zieht sich auf sich selbst und differenziert sich
von seiner Umwelt. In dieser Selbststeuerung, der "Erzeugung der eigenen Organisation
durch Operation" (vgl.Willke, 1991, S.191) ist das System also selbstreferenziellgeschlossen und unabhängig von seiner Umwelt, also autonom. Gleichzeitig sind lebende
Systeme aber auch of-fen, da sie in einem gesteuerten Kontakt mit ihrer Um-welt stehen
(materieller und energetischer Austausch). In der Systemtheorie stehen sich also
Geschlos-senheit und Offenheit nicht entgegen, sondern be-dingen sich gegenseitig (nur
selbstreferentiell-geschlossene Systeme können in Abgrenzung zu ihrer Umwelt in
gesteuertem Kontakt zu dieser stehen). Zu-sammenfassend läßt sich sagen, daß
autopoietische Systeme sich also durch Selbstherstellung, Rekursivität, selbstreferentielle Geschlossenheit und gleichzeitige Offenheit charakterisieren. Betont sei schon
hier, daß autopoieti-sche Systeme nicht außerhalb ihrer Grenzen operie-ren können
(Geschlossenheit).
3.2 DER STRUKTURELL-FUNKTIONALE ANSATZ NACH TALCOTT PARSONS
Die Systemtheorie nach Talcott Parsons kennzeichnet sich durch die Bedeu-tung der
Begriffe Struktur und Funktion. Strukturen werden als gegeben und statisch
angenommen, Funktionen dienen zur Erhaltung dieser Struktur, und somit zur Erhaltung
des Systems. Der oberste Bezug liegt hier demnach in der Bestandser-haltung des
Systems, also systemintern. Insofern ist die Struktur der Funktion vorgeordnet. Systeme
sind also auf spezifische Leistungen an-gewiesen, wobei die zentrale Fragestellung ist:
"Welche funktionalen Lei-stungen müssen vom System erbracht werden, damit dieses
System mit seinen gegebenen Strukturen erhalten bleibt?" (Willke, 1991, S.3). In diesem
Sinne haben Systeme kollektive, verbindliche Werte oder Normen, denen sich die
Systemfunktionen angleichen müssen. Aufgrund der zwangsläufig notwendi-gen,
kausalen Zusammenhänge zwischen spezifischen Funktionen und Systemerhaltung spricht
man hier von Kausalfunktionalismus.
Systemtheorie und Kommunikation ...
ANSÄTZE MODERNER SYSTEMTHEORIE, Seite 5
3.3 DER SYSTEM-FUNKTIONALE ANSATZ NACH BUCKLEY UND MILLER
Der systemtheoretische Ansatz Buckleys und Millers sieht Systeme als "komple-xe,
anpassungsfähige und zielgerichtete Gesamtheiten" (Willke, 1991, S.3). In Abgrenzung
zu Parson wird hier die Systemstruktur als verän-derbar angenommen, also als Variable.
Die Struktur verändert sich bei verän-derten Umweltbedingungen, um die Leistungs- und
Überlebensfähigkeit des Systems zu garantieren. Allerdings ist auch hier die
Systemerhaltung oberstes Prinzip.
3.4 DER FUNKTIONAL-STRUKTURELLE ANSATZ NACH NIKLAS LUHMANN
In Abgrenzung zu Parsons entwickelte Luhmann den funktional-strukturellen An-satz, bei
dem die Funktion der Struktur vorgeordnet ist. Systeme sind hier nicht auf spezifische
Leistungen angewiesen, da ausfallende Leistungen durch andere ersetzt werden können.
Das beinhält, daß die Systemstruktur variabel ist und Systeme keine Werte oder Normen
haben. Die zentrale Fragestellung lautet hier: "Welche Funktionen haben bestimmte
Systemleistungen? Durch welche funktional-äquivalenten Möglichkeiten können diese
ersetzt werden?". Daher spricht man hier von Äquivalenzfunktionalismus (als Opposition
zu Par-sons Kau-salfunktionalismus). Schwerpunkt dieses Äquivalenzfunktionalis-mus' ist
die Abgrenzung zwischen System und Umwelt, sowie die Untersu-chung der Relatio-nen
zwischen System und Umwelt.
Zentraler Gedanke der Luhmannschen Systemtheorie ist das Konzept der Auto-poiesis, das
von Humberto R.Maturana und Francisco Varela in ihrer Theorie selbstreferentieller
Systeme entwickelt worden ist (s.o.).
Während Maturana und Varela den Begriff der Autopoiesis nur auf lebende Systeme (also
biologische Organismen) beziehen, generalisiert Luhmann die-sen, wobei er Differenzen
bei unterschiedlichen Systemarten einbezieht. So statuiert er zu-nächst, daß auch
psychische Systeme autopoietisch sind: Sie sind selbstreferen-tiell-geschlossen (keine
Abgabe oder Annahme von Bot-schaften, kein In-/Output), sie sind gleichzeitig offen
(gesteuerter Kontakt mit Umwelt), sie sind selbstherstellend und rekursiv (Produktion
von Gedanken durch Gedanken). Auch das psychische System kann nicht außerhalb seiner
Grenzen operieren; ein Gedanke kann nicht als solcher das Bewußtsein verlas-sen.
Weiterhin macht Luhmann deutlich, daß auch soziale Systeme autopoietisch sind: Sie
sind selbstreferentiell-geschlossen (Produktion aller zur Erhaltung nöti-ger Elemente,
kein In-/Output), gleichzeitig offen (gesteuerter Kontakt mit Um-welt), sie sind
selbstherstellend und rekursiv (Produktion von Kom-munikation durch Kommunikation).
Systemtheorie und Kommunikation ...
NIKLAS LUHMANNS THEORIE SOZIALER SYSTEME, Seite 6
4. NIKLAS LUHMANNS THEORIE SOZIALER SYSTEME
Im Sinne der Luhmannschen Systemtheorie ist jeder soziale Kontakt ein System, das sich
von seiner Umwelt abgrenzt. Untersucht wird stets die Rela-tion zwi-schen System und
Umwelt. In ihrer Differenzierung zwischen Innen und Außen, zwischen System und
Umwelt wirken Systeme als komplexitäts-regulierende In-stanzen.
Zur Erläuterung: In der Untersuchung der Relation zwischen System und Um-welt liegt
der Bezugspunkt immer außerhalb des Systems (nicht systemintern, wie bei Parsons),
nämlich in der Umwelt, beziehungsweise in der Welt als Ein-heit von Systemen und
Umwelten. Die Vielzahl dieser verschiedenen Systeme und Umwelten, macht die
Komplexität der Welt deutlich. Komplexi-tät ist hierbei als "Gesamtheit aller möglichen
Ereignisse und Zustände" (Kneer/Nassehi, 1993, S.40) zu verstehen. Sie bezeichnet den
"Grad der Vielschichtigkeit, Vernetzung und Folgelastigkeit eines Entscheidungsfeldes"
(Willke, 1991, S.192). Da die Weltkomplexität demnach ungeheuer groß ist, liegt der
Sinn
sozialer
Systeme
in
der
Komplexitätsreduzierung
für
die
menschliche
Wahrnehmungs- und Aufnah-mekapazität, die sehr begrenzt ist. Diese Verringerung von
Komplexität geschieht durch Selektion der Systeme, das heißt: Systeme schließen
Möglichkeiten aus, machen manche Möglichkei-ten wahrscheinlicher als andere und
machen Situa-tionen berechenbarer (Beispielsweise wäre die Möglichkeit eines
Gespräches über indische Eßkultur im sozialen System "Autokauf" so gut wie
ausgeschlos-sen). Daß Systeme ei-ne gewisse Eigenkomplexität benötigen, um die
Komplexi-tät der Welt zu er-fassen, aber stets weniger komplex als ihre Umwelt sind, sei
hier nur kurz erwähnt.
Ein soziales System ist nach Luhmann nicht durch Werte oder Normen defi-niert, sondern
durch mehrere sinnhaft verknüpfte, also aufeinander weisende, soziale Handlungen.
Niklas Luhmann erhebt für seine Theorie sozialer Systeme Universalitätsan-spruch: Sie ist
weitverzweigt,
heterogen
und
interdisziplinär
und
versucht,
den
gesamten
Gegenstandsbereich der Soziologie mit Hilfe des systemtheoretischen Vokabulars
beschreibbar machen. Die Systemtheorie soll eine "Theorie mit Auf-löse und
Rekombinationsvermögen sein, die hilft, die moderne Gesellschaft in den Blick zu
bekommen" (Vgl.: Kneer/Nassehi, 1993, S.9).
Kleinstes soziales System ist, so Luhmann, die Kommunikation.
Systemtheorie und Kommunikation ...SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION, Seite 7
5. SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION
5.1 SYSTEMTHEORETISCHE DEFINITION
In der Systemtheorie wird Kommunikation nicht als Übertragung einer Bot-schaft vom
Sender zum Empfänger verstanden, sondern als eigenständiger, dynami-scher Prozeß, der
von der organischen, neuronalen und psychischen Ebene aus-geschlossen ist.
Kommunikation ist ein soziales System, also auto-poietisch (Kommunikation produziert
sich selbst). Allerdings setzt Kommuni-kation min-destens zwei psychische Systeme
voraus. Luhmann beschreibt Kommunikation als dreistelligen Selektionsprozeß, das heißt
als Kombination von Information, Mitteilung und Verstehen: Jede Information, jede
Mitteilung und jedes Verstehen stellt jeweils eine Selektion aus verschiedenen Möglichkeiten dar. Kommunika-tion ist nur vorhanden, wenn es sich um eine Synthe-se aller drei
Selektionslei-stungen handelt. Dies macht deutlich, daß Kommu-nikation nicht auf ein
mono-logisches Subjekt zurückgehen kann, nicht auf ei-ne Person, da z.B. eine Informationsmitteilung allein nicht ausreicht, um von Kommunikation zu sprechen; ein
Verstehen (oder Mißverstehen) ist nötig. Diese Definition schließt sprach-freie
Kommunikation mit ein, wobei Sprache größere Unterscheidungsfähigkeit und
Auswahlfähigkeit bei gezielter An-schlußsuche für neue Kommunikation, also größere
Komplexität und somit bessere komplexitätsreduzierende Eigenschaften aufweist.
5.2 KOMMUNIKATION UND BEWUßTSEIN ALS VONEINANDER GETRENNTE SYSTEME
Information, Mitteilung und Verstehen sind Konstrukte sozialer Systeme, nicht
Operationen
der
beteiligten
psychischen
Systeme,
das
heißt
Kommuni-kation
kommuniziert und bewußtseinsinterne Operationen (z.B. Gedanken) gehen nicht in dieser
Form in die Kommunikation ein (Selbstreferentielle Ge-schlossenheit: Kein System kann
außerhalb seiner Grenzen operieren). Somit ist keine bewußte Herbeiführung von
Kommunikation durch den Menschen, keine kausale Steue-rung, keine Determination
möglich und "der Mensch ist nicht das Subjekt, nicht der Ur-heber, nicht die Ursache von
Kommunikation" (Kneer/Nassehi, 1993, S.90).
Allerdings muß festgestellt werden, daß Kommunikation menschlicher Systeme bedarf,
wobei der Mensch nicht als System, sondern als Vielzahl von Systemen (organisches
System, psychisches System, neuronales System etc.) verstanden wird. Der Mensch liefert
Beiträge für die Kommunikation, die al-lerdings Um-weltbeiträge, also außerhalb des
sozialen Systems Kommunika-tion, bleiben. Der Mensch kommt in der Umwelt sozialer
Systeme vor, nicht innerhalb sozialer Systeme. Dies bedeutet,daß psychische Systeme
Systemtheorie und Kommunikation ...SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION, Seite 8
irritieren, stören, reizen oder anregen, aber nicht direkten Einfluß auf die Kommunikation nehmen können. Mindestens zwei psychische Systeme sind beteiligt, die individuelle
Vorstellun-gen haben, so daß keines der beiden Bewußtseinssysteme direkt Einfluß
nehmen kann, keines kann außerhalb des eigenen Systems operieren. Die Irritationen der
psychischen Systeme bedin-gen sich aber gegenseitig und indirekt auch die Kommunikation. Hierbei spricht man von sog. struktureller Kopplung ("Systeme sind
aufeinander an-gewiesen, operieren aber zugleich autonom" (Jakubowski (1993):
Grundbe-griffe der Systemtheorie [Hand-Out])).
In diesem Sinne kommuniziert Kommunikation also alleine (kombiniert Infor-mation,
Mitteilung und Verstehen), kommuniziert aber über bewußtseinsinterne Operationen
(Gedanken,
Vorstellungen
bewußtseinsinterner,
etc.).
Betont
wird
bedeutungszuweisender
hier,
daß
Verstehen
nicht
als
Akt verstanden wird, son-dern als
Konstrukt der Kommunikation. Da Verstehen aber allgemein als Be-wußtseinsakt
verstanden wird, wird es selbst themati-siert oder problematisiert ("Hast du das
verstanden?" etc.). Dies ermöglicht Anschlüsse für neue Kommu-nikation und trägt zur
Autopoiese
bei,
da
das,
was
als
Verstehen
begriffen
wird,
nur
durch
Anschlußkommunikation festge-legt wird.
5.3 KOMMUNIKATION ALS HANDLUNG
Kommunikation ist in der Systemtheorie Niklas Luhmanns nicht nur (Mitteilungs-)
Handlung, wird aber allgemein stets als Handlung einer Person zugerechnet. Zweck
dieses Phänomens ist die Selbstherstellung, Autopoiese der Kommunikation. Wie schon
gesagt, braucht Kommunikation Anknüpfungspunkte für neue Kommunikation und diese
entstehen besonders dann, wenn das Gesche-hen personenorientiert aufgefaßt wird,
wenn also Kommunikation kommunikativ auf Handlung reduziert wird (z.B.: "Clemens
sagte mir,..." - Kommunikation wird kommunikativ auf eine Mitteilungshand-lung
Clemens´ reduziert. "Clemens war doch gar nicht da, außerdem sagte mir Margit,..." Anschlußkommunikati-on wird angeknüpft durch Perso-nenorientierung.). In diesem
Sinne nennt Luh-mann Personen nicht Systeme, sondern Identifikationspunkte der
Kommunika-tion. Obwohl die Sichtweise, Kommunikation sei Handlung, einen Sinn hat,
ist sie wissenschaftlich falsch: Die Eigenständigkeit und Komplexität des Systems
Kommunikation bleibt un-beachtet.
Weitere Erhaltungsprozesse von Kommunikation bestehen in der Kommuni-kation über
das Verstehen (s.o.), sowie in der Tatsache, daß man nicht nicht kommunizieren kann,
Systemtheorie und Kommunikation ...SYSTEMTHEORETISCHE VORSTELLUNGEN VON KOMMUNIKATION, Seite 9
sobald zwei psychische Systeme aufeinander treffen (nach Paul Watzlawick), sowie die
Funktion von Kommunikation als Ereig-nis.
5.4 KOMMUNIKATION ALS EREIGNIS
In der Systemtheorie ist die Kommunikation die kleinste Einheit des Sozialen, das letzte
unauflösbare Element sozialer Systeme. Diese kleinsten Elemente (also Kommunikation)
werden aufgrund ihrer extrem kurzen Dauer als Er-eignisse be-zeichnet. Diese
Kurzlebigkeit der Kleinstelemente macht deutlich, daß das System entweder ständig, von
Moment zu Moment neue Kommuni-kation reprodu-zieren muß oder die Operation
abschließt und selbst zerfällt. Dies beinhält, daß Bestandserhaltung nicht die Erhaltung
einer stabilen Struktur, sondern die stän-dige Reproduktion von Systemelementen
(Information, Mitteilung, Verstehen) meint, es geht also um die Erhaltung der
Geschlossenheit und der Unaufhörlich-keit der Elementreproduktion, nicht um die
Strukturerhaltung (Funktionalismus anstatt Strukturalismus). Der Begriff der Struktur wird
bei Luhmann dement-sprechend anders definiert.
5.5 SELEKTIONSVERSTÄRKUNGEN DER KOMMUNIKATION
Die Kommunikation hat als soziales System die Aufgabe, Komplexität durch Selektion zu
reduzieren. Hierzu bedient sie sich vor allem zweier selektions-ver-stärkender
Eigenschaften.
Die Struktur von Systemen ist, wie schon erwähnt, nicht stabil, sondern hat ih-ren Sinn
in der Einschränkung der im System zugelassenen Anschlußmög-lichkei-ten, das heißt:
sie
macht
einige
Möglichkeiten
wahrscheinlicher
als
andere.
Dies
wirkt
als
Selektionsverstärkung: Bestimmte, nicht beliebige Elemente setzen die Autopoiesis fort.
Strukturen sozialer Systeme sind Erwar-tungsstrukturen, die ei-ne "Vorauswahl" treffen
und somit Möglichkeiten ein-schränken (z.B.: s.o., Ab-satz 4). Die Selektionsverstärkung
besteht also in einer Vorauswahl durch Ex-klusion (Vgl.: Kneer/Nassehi, 1993, S.95).
Ein Prozeß wird von Luhmann als die selektive Verknüpfung von Einzeler-eignis-sen
definiert. Das bedeutet, daß vorangegangene Kommunikation die folgende beeinflußt, es
gibt also bestimmte, nicht beliebige Anschlußmöglich-keiten. Hier-bei handelt es sich
also um eine Selektionsverstärkung durch An-schlußsuche (Vgl.: Kneer/Nassehi, 1993,
S.95).
Systemtheorie und Kommunikation ...
ANHANG, Seite 10
6. ANHANG
6.1 PERSONENVERZEICHNIS
Ludwig von BERTALANFFY (Dr.phil.): geb.am 19-09-1901, gest. am 12-06-1972,
österreichischer Biologe (Studium in Innsbruck und Wien), zahlreiche Lehraufträge
(Innsbruck, Wien, London, McGill-University Montreal, Ottawa, Stanford-University
California, Topeka (USA), Al-berta), zahlreiche forschende/leitende Tätigkeiten (Leitung
des Zoolo-gischen Instituts Wien, Direktor der biologischen Forschungsabteilung des
Psychiatrischen/ Psychosomatischen Instituts in Los Angeles, Lei-tung des Centre for
Advanced Study in Theoretical Psychology). Werke (u.a.): "Theoretische Biologie"
(1932/42), "Vom Molekül zur Organismenwelt" (1949).
W.BUCKLEY: ?
Niklas LUHMANN (Prof.Dr.sc.pol.): geb. am 08-12-1927, deutscher So-ziologe (Studium
der Rechtswissenschaften in Freiburg, Soziologie in Harvard (Mass.) und Münster),
zunächst Beamter der öffentlichen Verwaltung, Oberregierungsrat und Landtagsreferent
des
Kultusministeriums
Niedersachsen,
Forschung
im
Forschungsinstitut
für
Verwaltungswesen in Speyer, Forschungsstelle in Dortmund, dann Lehrstuhl an der
Universität
Bielefeld,
heute
pensioniert.
Auszeich-nungen:
Hegel-Preis
(1988),
Ehrendoktorate in Gent, Bologna, Mac-cerata, Lecce, Recife. Werke (u.a.): "Soziale
Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie" (1984), "Wissenschaft und Gesellschaft"
(1991).
Humberto R.MATURANA (Dr.): geb.1928, chilenischer Biologe (Studium der Biologie und
Promotion in Harvard, Studium der Medizin in Santiago de Chile), Forschungsarbeiten in
England und den USA. Werke (u.a.): "Erkennen. Die Organisation und Verkörperung der
Wirklichkeit".
J.MILLER: ?
Talcott PARSONS (Prof.Dr.): geb. am 13-12-1902, gest. am 08-05-1979, amerikanischer
Soziologe, Prof. für Soziologie in Harvard (Mass.), Leitung des Department of Social
Relations Harvard. Werke (u.a.): "The Social System" (1951), "Sozialstruktur der
Persönlichkeit" (1964), "Das System moderner Gesellschaften" (1971).
Francisco J.VARELA : geb. 1946, chilenischer Biologe (Studium der Me-dizin in Santiago
de
Chile,
Studium
der
Biologie
in
Harvard),
For-schung
im
Bereich
der
biologischen/kybernetischen Grundlagen des Erkennens, Forschungs-auftrag am Max-
Systemtheorie und Kommunikation ...
Planck-Insitut
Frankfurt,
heute
ANHANG, Seite 11
an
der
Ecole
Polytechnique,
Paris.
Viele
Veröffentlichungen in Zu-sammenarbeit mit Maturana.
Paul
WATZLAWICK
Psychotherapeut
und
(Prof.Dr.phil.):
geb.
1921,
Kommunikationsforscher
amerikanisch-österreichi-scher
(Studium
der
Psychologie
und
Fremdsprachen in Venedig, Ausbildung zum Psycho-therapeut und Analytiker), Lehrstühle
in El Salvador und Stanford. Werke (u.a.): "Menschliche Kommunikation" (1969), "Wie
wirklich ist die Wirklichkeit?" (1976), "Anleitung zum Unglücklichsein" (1983).
6.2 LITERATURVERZEICHNIS
LUHMANN, Niklas (1988): Wie ist Bewußtsein an Kommunikation betei-ligt? In: Gumbrecht, Hans Ulrich/
Pfeiffer, K.Ludwig (Hrsg.)(1988): Materialität der Kommunikation. Frankfurt am Main. S.884-901.
KNEER, Georg/ NASSEHI, Armin (1993): Niklas Luhmanns Theorie so-zialer Systeme.
ROPOHL, Günter (1978): Einführung in die Allgemeine Systemtheorie. In Lenz, Hans/ Ropohl, Günter
(Hrsg.) (1978): Systemtheorie als Wis-senschaftsprogramm. S.9-49.
SCHOLL, Armin (1990): Systemtheorie: Eine kurze Einführung in ihre Ge-schichte und Probleme. In: Scholl,
Armin/ Krämer, Frank: Seminar-ordner Alternative Medien, Alternative Öffentlichkeit. Münster.
SILBERMANN, Alfons (1982): Handwörterbuch der Massenkommunikati-on und Medienforschung. Berlin.
WILLKE, Helmut (1991³): Systemtheorie. Eine Einführung in die Grund-probleme der Theorie sozialer
Systeme. Stuttgart/New York.
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