Der Systemwettbewerb als Innovationsmotor Dr. Volker Leienbach, Dr. Anne-Dorothee Köster Die Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt ist eines der wesentlichen Kriterien für die Qualität der medizinischen Versorgung. Gesundheitssysteme bemessen sich daher auch daran, wie schnell sie in der Lage sind, Innovationen in die Regelversorgung zu überführen. Gemeint sind dabei hauptsächlich Produktinnovationen wie beispielsweise neue Diagnosemethoden oder Arzneimittel. Sie sammeln sich gemeinhin unter dem Begriff „medizin-technischer-Fortschritt“. Mit ihnen ist die Erwartung verbunden, bislang nicht-therapierbare Krankheiten zu heilen oder bestehende Therapieansätze zu verbessern. Aber auch in allen anderen Bereichen des Gesundheitssystems kommt es zu Innovationen. Auch hier wird „etwas neu geschaffen“, wenn man den lateinischen Ursprung des Wortes „innovatio“ als Definition zugrunde legt. Beispiele sind alternative Versorgungsformen, das nach dem Betriebsablauf neu organisierte Krankenhausmanagement oder auch Sicherungssysteme wie die Pflegeversicherung zur Absicherung des Risikos „Pflegebedürftigkeit“. International betrachtet steht Deutschland beim Zugang zu Innovationen sehr gut da. Versicherte und Patienten haben einen schnellen und umfassenden Zugang zu Innovationen. Dass dies so ist, ist vor allem dem Systemwettbewerb aus gesetzlicher (GKV) und privater Krankenversicherung (PKV) zu verdanken. Der zwischen den Systemen bestehende Wettbewerbsdruck führt dazu, dass bei Innovationen, bei denen ein System die Vorreiterrolle übernimmt, das andere System nachziehen bzw. sich zumindest mit der Innovation auseinandersetzen muss. Die von der Vorsitzenden des GKVSpitzenverbandes getätigte Aussage, „ohne die Konkurrenz [der PKV] wäre die Gefahr, dass der Leistungskatalog auf eine minimale Grundversorgung reduziert wird, größer“ 1, gilt für alle Innovationen im besonderem Maße. Zugang zum medizinischen Fortschritt Dass es zu dem genannten Wettbewerbsdruck überhaupt kommt, ist unter anderem dem Umstand geschuldet, dass mit GKV und PKV zwei getrennte Finanzierungssysteme - ein sozial-staatliches und ein privat-wirtschaftliches - ein gemeinsames Versorgungssystem finanzieren, in dem die medizinische Leistung erbracht wird. Es kommt also nicht zur exklusiven Anwendung von Innovationen in intransparenten Parallelsystemen. In einem gemeinsamen Versorgungssystem wie in Deutschland werden Versorgungsunterschiede sichtbar. Und nur durch diese Transparenz werden Versorgungsunterschiede begründungspflichtig. Dies erhöht die Chance, dass Innovationen mit Mehrnutzen am Ende allen Versicherten zugutekommen. Transparenz und Begründungspflicht erschweren Rationierung erheblich. Und aus Sicht des innovativen Herstellers ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass sich ihm eine Art „Zwischenfinanzierung“ eröffnet, bis sein Produkt gegebenenfalls von der GKV übernommen wird. Der Systemwettbewerb begünstigt so eine strukturelle Offenheit des deutschen Versorgungssystems für Innovationen. In der Regel erfolgt tatsächlich zuerst der Zugang einer Innovation 2 über die PKV. Hier sind die Hürden für eine Innovation deutlich geringer als in der GKV. Geringere Hürden in der PKV bedeuten 1 Pfeiffer, Doris im Tagespiegel vom 1. Juli 2008. Im Folgenden wird der Einfachheit halber von Produktinnovationen wie zum Beispiel neue Arzneimittel, Medizinprodukte oder Diagnostik- und Behandlungsverfahren ausgegangen. 2 1 aber nicht, dass die PKV alle Innovationen ungeprüft bezahlt, die auf den Markt kommen. Der Sicherheitsaspekt steht an erster Stelle. So müssen auch für die PKV alle gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt werden, wie zum Beispiel die erfolgreich abgeschlossenen Zulassungsstudien bei Arzneimitteln oder die CE-Kennzeichnung bei Medizinprodukten3. Daneben bedarf es zur Anwendung einer Innovation im konkreten Einzelfall der medizinischen Notwendigkeit und die Innovation muss den anerkannten wissenschaftlichen Standards entsprechen. Abbildung: Zugang von (Produkt-)Innovationen in das System der PKV Im Gegensatz dazu sind die Regelungen in der GKV restriktiver und sektoral zergliedert. Jeder Leistungssektor hat seine eigenen Bestimmungen, wie und wann Innovationen zu Lasten der GKV eingeführt und abgerechnet werden können. Neben Sicherheitsaspekten spielen vor allem Fragen des (Mehr-)Nutzens und der Wirtschaftlichkeit eine wichtige Rolle. Eine zentrale Stellung nimmt dabei der Gemeinsame Bundesaussschuss (G-BA) ein. Er bewertet Innovationen hinsichtlich ihres Nutzens und der Wirtschaftlichkeit und kann letztendlich mit seiner Richtlinienkompetenz bestimmen, welche neuen Verfahren Leistungen der GKV werden und welche nicht. Der G-BA kann zudem festlegen, unter welchen Bedingungen und von welchem Leistungserbringer mit welcher Qualifikation eine Innovation zu Lasten der GKV erbracht werden kann. Abbildung: Zugang von (Produkt-)Innovationen in das System der GKV 3 Die CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten sieht das Medizinproduktegesetz vor, das die europäischen Richtlinien 90/385/EWF (aktive Implantate), 93/42/EWG (Medizinprodukte) und 98/79/EG (in-Vitro-Diagnostik) in deutsches Recht umsetzt. Die geforderten Qualitäts- und Sicherheitsnachweise sind deutlich umfassender als bei anderen Produkten. So ist die CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten mit der z. B. von Bügeleisen nicht vergleichbar. 2 Neben unterschiedlichen Marktzutrittsbarrieren liegt gerade in der Bewertung von Innovationen ein entscheidender Unterschied zwischen GKV und PKV. Die Gründe dafür liegen im Selbstverständnis beider Systeme begründet. Innovationen sind ja zunächst wertfrei und bedeuten nur „etwas neu Geschaffenes“. „Neu“ bedeutet aber nicht immer automatisch auch „gut“ oder „fortschrittlich“. Die Debatten um „Scheininnovationen“ verdeutlichen dies exemplarisch. Eine Bewertung von Innovationen ist also zwingend notwendig. Im System der PKV, das auf dem Individualprinzip basiert, übernehmen diese gemeinsam der behandelnde Arzt und das einzelne Individuum. Ärztliche Kompetenz und die subjektiven Bedürfnisse des Patienten sind richtungsweisend. Es gilt das Prinzip der Therapiefreiheit. Anders dagegen die GKV. Hier gilt das Sozial- bzw. Solidarprinzip. Werte wie Wirtschaftlichkeit und Vorgaben durch übergeordnete Instanzen sichern zwar eine finanzielle Kontrolle, bedeuten aber auch ein höheres Maß der Patientensteuerung und Einschränkung der Therapiefreiheit. Welchen Nutzen hat also das Gesundheitssystem von dieser Dualität und welche Rolle spielt die PKV dabei? Vorreiterrolle der PKV im ambulant-ärztlichen Bereich und der Diagnostik Im ambulanten Sektor wird die Innovationsstärke der PKV besonders deutlich. Anders als in der GKV ist die Einführung von Innovationen in der PKV nicht sektorenabhängig. Innovationen können dort erbracht werden, wo sie als medizinisch sinnvoll belegt sind. Insofern gilt auch nicht der sog. Erlaubnisvorbehalt wie in der GKV (d. h. es dürfen nur Innovationen zu Lasten der GKV abgerechnet werden, die der G-BA vorher ausdrücklich beschlossen hat). Es fehlen damit die langen Aufnahmeverfahren (von bis zu 10 Jahre und länger) für eine neue Behandlungsmethode. Das Konkurrenzdenken und die Eigeninteressen der Sektoren, die sich im G-BA immer wieder gegenseitig blockieren, spielen in der PKV keine Rolle. Ebenso können Bedenken hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit den Zugang zu einem neuen Behandlungsverfahren nicht versperren. Flexibel im Umgang mit Innovationen ist auch die Vergütung innerhalb der PKV. Durch die in der Gebührenordnung für Ärzte mögliche Analogabrechnung (§ 6 Abs. 2 GOÄ) können Ärzte und medizinische Leistungserbringer neue Verfahren abrechnen, auch wenn sie noch nicht explizit in der Gebührenordnung aufgenommen sind. Im Gegensatz hierzu kennen der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) und die Euro-Gebührenordnung in der GKV keine Analogabrechnung. 4 Innovationen bedürfen der expliziten Aufnahme in den Katalog des EBM. Dies kann nach Zulassung durch den G-BA nochmals mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Entsprechend lange dauert es noch einmal, bis die Leistungserbringer eine Innovation - die zu diesem Zeitpunkt zumeist schon gar keine mehr ist - regulär abrechnen können. Dauert der Aufnahmeprozess zu lange, sind die Kostenerstattung und eine Abrechnung nach der GOÄ möglich. Der GOÄ kommt also eine Überbrückungsfunktion zu, ohne die die GKV ein Abwicklungsproblem hätte. Insgesamt profitiert das Gesamtsystem damit in zweierlei Hinsicht von der PKV bzw. der GOÄ. Gerade im Bereich der Diagnostik bzw. bei diagnostischen Methoden ist die Sektorenunabhängigkeit - ambulant oder stationär - der PKV von großer Bedeutung. Denn diagnostische Verfahren können meist sowohl ambulant als auch stationär durchgeführt werden, sie nehmen quasi eine „Querschnittsfunktion“ über die Sektoren hinweg wahr. Davon kann v. a. die Pathologie berichten, die weit mehr als nur Obduktion ist. Gerade in der Krebsdiagnostik gibt es so gut wie keinen Befund ohne die durch den Pathologen durchgeführte histologische Untersuchung. Und im Bereich der Gewebs-/Zelluntersuchung sind in den letzten Jahren viele innovative Ansätze entwickelt worden, v. a. bezogen auf gentechnische Analysemethoden. Inzwischen übernimmt die PKV beispielsweise wissenschaftlich fundierte gentechnische Untersuchungen bei Brustkrebs, die die 4 Eine Ausnahme hiervon - allerdings für nur ein kleines Leistungssegment - existiert bei Laborleistungen. Die sog. „Ähnlichkeitsuntersuchungen“ sind mit der Analogbewertung vergleichbar. 3 Ansprechwahrscheinlichkeit des Tumors auf eine Chemotherapie bzw. überhaupt deren Notwendigkeit ermittelt. Insgesamt finden sich bei diagnostischen Verfahren die größten Unterschiede. Anders als die GKV zahlt die PKV nämlich u. a. für die Herz-Computertomographie (CT), die Positronen-EmissionsTomographie-CT indikationsunabhängig (Einzelheiten siehe Beispielbox) und die Optische Kohärenztomografie (OTC). Generell ist die Haltung der GKV zur innovativen Diagnostik eher kritisch bis ablehnend und eine Einführung wird fast immer ausschließlich im Rahmen des Gebotsvorbehalts angestrebt. Wenn im Krankenhaus dann keine ausreichende Vergütung gegeben ist, besteht das Risiko für den GKV-Versicherten, die Innovation nicht zu erhalten. Die restriktive Haltung muss aber nicht nur negativ sein, da hierdurch die Hersteller zur Durchführung entsprechender Nutzenstudien gezwungen werden. Insofern profitiert die GKV von der frühen und umfassenden Innovationseinführung der PKV, die PKV wiederum von Nachweisen zur Evidenz einer neuen Diagnosemethode. Letztendlich: Ein Wettbewerb zum Vorteil aller Versicherten. Beispielbox: Positronen-Emissions-Tomographie-CT (PET-CT) Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) bzw. die weiterentwickelte PET-CT als neues diagnostisches Verfahren zur genauen Darstellung von Tumoren zeigt in der Zusammenfassung sehr deutlich die Einführungsprobleme in den ambulanten Bereich der GKV und die Unterschiede zur PKV. So weist die PET eine lange Beratungs- und Beschlusszeit im G-BA auf: - 1998: erstmalige Beantragung der Zulassung durch den AOK-Bundesverband - 2002: Ablehnung (Begründung: Fehlen von aussagefähigen wissenschaftlichen Unterlagen zur Nutzenbewertung bei dem an sich „vielversprechenden Verfahren“ 5) Und nun wurde es kompliziert: - 2003: Beantragung eines Ausschlussverfahrens im stationären Sektor durch die Krankenkassen als Folge der ambulanten Entscheidung - 2005: Ausschluss bestimmter Teilindikationen (u. a. beim kleinzelligen Lungenkarzinom) aus dem Leistungskatalog der GKV bei gleichzeitiger Bestätigung der Leistungspflicht der GKV bei anderen Indikationen (u. a. beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom) - 2006: Beantragung eines erneuten Aufnahmeverfahrens durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) für genau jene Indikationen mit positiver Leistungspflicht im Krankenhaus - 2007: Aufnahme der PET für bestimmte Indikationsgebiete in die ambulante Versorgung bei gleichzeitigem Erlass restriktiver Qualitätsanforderungen - 2008-2013: Aufnahme weiterer Indikationen zu Lasten der GKV mit Auflagen zu konkreten Qualitäts- und Anwendungsvoraussetzungen (u. a. im Bereich Lunge bzw. Lungenkarzinom, malignes Lymphom). Gleichzeitig Ausschluss bzw. Verfahrensaussetzungen bei Subindikationen der genehmigten Krankheitsbilder. Generell leistet die GKV - trotz der nunmehr seit 15 Jahren dauernden Beratungszeit im G-BA nur bei wenigen Indikationen ambulant (v. a. bei Lungen-Karzinom, nicht-kleinzellig, Rundherden). Anders die PKV: Sie leistet unabhängig vom Ort der Leistungserbringung, also sowohl in der Klinik als auch im ambulanten Krebszentrum. Ebenfalls kann die Diagnostik bei allen Tumoren angewendet werden, bei denen sie medizinisch gerechtfertigt erscheint. Die PKV steht damit im Einklang mit internationalen Standards, wonach die PET-CT bei mindestens acht Tumorarten als Goldstandard definiert wurde. 6 5 Vgl. Beschluss vom 26.02.2002, Aufnahme in Anlage B („nicht anerkannte Methoden“) in der BUB-Richtlinie. U. a. zu den zukünftigen Potentialen der PET-CT siehe Muhammad Wasif Saif et. al., Role and Cost Effectiveness of PET/CT in Management of Patients with Cancer, in: Yale Journal of Biology and Medicine, Juni 2010, 83(2), S. 53–65. 6 4 Die Präzisierung und Einschränkung des potentiell in Frage kommenden Patientenkreises für eine PET-CT durch den G-BA hatte aber nicht nur wirtschaftliche und nutzenbasierte Gründe. Die PET-CT zeigt auch beispielhaft die Interessenskonflikte zwischen den Sektoren, die bei der Beratung im G-BA auftreten können. Denn wann zu Lasten der GKV abgerechnet werden darf, ist auch Frage von nicht immer ganz interessensfreien Interpretationen der vorliegenden Studienergebnisse. Die Konfliktlinie verläuft aber nicht nur entlang der klassischen Trennlinie „Leistungserbringer“ – „Kostenträger“, sondern auch innerhalb der Ärzteschaft zwischen „ambulant“ und „stationär“. Beispielsweise wurde der Beschluss zur Aufnahme der PET beim Hodgkin-Lymphom in die ambulante Versorgung – die gleichzeitig mit dem Ausschluss bestimmter Teilindikationen für die stationäre Versorgung einherging – nicht einstimmig getroffen. Es überstimmten per Mehrheitsentscheid die Kassenseite und ambulanten Ärzte die Krankenhäuser. 7 Der wirtschaftliche Hintergrund und die teilweise ungünstigen Kosten-Nutzenbilanzen im Beratungsprozess des G-BA sind bei der PET-CT schnell dargestellt. Es geht um viel Geld: Als eines der teuersten bildgebenden Verfahren in der modernen Medizin kostet eine PET-CTUntersuchung zwischen 1.100 und 2.200 € (Ganzkörper). 8 Dies entspricht fast dem Vierfachen einer Ganzkörper-MRT (ca. 575 €). Insofern erstaunt es nicht, dass sich die Kosten der PET-CT in der ambulanten Versorgung über die GKV nur schwer abrechnen lassen. Eine routinemäßige Abrechnungssituation ist nicht gegeben. Bis heute fehlen entsprechende EBMAbrechnungspositionen für eine PET-Untersuchung. Die PKV und der Selbstzahler als alleinige Stütze der innovativen Zahnmedizin In der Zahnheilkunde, v. a. beim innovativen Zahnersatz, kommt der PKV nicht nur eine Vorreiterrolle zu. Hier ist die PKV zusammen mit dem Selbstzahler alleinige Stütze und Nachfragemarkt von Innovationen. Denn mit den 2005 in der GKV eingeführten (befundorientierten) Festzuschüssen bei Zahnersatz dominiert dort das Gebot der Wirtschaftlichkeit. Gezahlt wird für bestimmte Befunde nur ein fixer Betrag (in der Regel 50%), der sich an der einfachsten und preiswertesten Behandlungsform orientiert - unabhängig vom konkret gewählten Zahnersatz. Bei nicht gelisteten Befunden oder einer nicht vorliegenden „Ausnahmeindikation“ zahlt die GKV sogar überhaupt keinen Zuschuss. Infolgedessen ist der von GKV-Versicherten gezahlte Privatkostenanteil bei Zahnersatz hoch, inzwischen liegt er bei durchschnittlich 62%. Bei teuren innovativen zahnmedizinischen Verfahren und Zahnersatz kann er aber auch bei über 90% liegen. Die GKV zahlt dann „fast nichts“. Der Marktzugang über die GKV ist damit weitgehend versperrt. Die Nachfrage resultiert durch die PKV (einschließlich Zusatzversicherungen) und Selbstzahler. Die PKV erstattet je nach Versicherungsvertrag bis zu 100% der anfallenden Kosten - auch bei innovativen Verfahren. Die konkrete Höhe ist vertragsabhängig. Zudem leistet die PKV befundunabhängig und auch nicht nach „Ausnahmeindikationen“. Ausschlaggebendes Kriterium ist allein die medizinische Notwendigkeit. Die Kosten werden über die Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) abgerechnet, die ebenso wie die GOÄ die Möglichkeit zur Analogbewertung bei Innovationen bietet. Die Unterschiede beim Zahnersatz werden am Beispiel der Zahnimplantate deutlich: Die Implantate (also die Schrauben bzw. künstlichen Zahnwurzeln im Kieferknochen) werden in der GKV überhaupt 7 Die Vorsitzende des GKV-Spitzenverbands Doris Pfeiffer begrüßte damals, dass der GBA eine Erstattung von PET-Untersuchungen durch die Kassen für die bösartigen Tumore des lymphatischen Systems nur in den Anwendungsbereichen erlaube, in denen ein Nutzen belegt sei. Heftige Kritik löste dabei ihre Äußerung bei Nuklearmedizinern aus „es gebe Hinweise auf die Schädigung von Patienten“. Dies sei eine "politische Äußerung", betonte der Ärztevertreter Manfred Gaillard. Frau Pfeiffer wolle „Angst vor einer vermeintlich teuren Methode erzeugen.“… [dagegen] „sei in der Ärzteschaft einhellige Meinung, dass es nur wenige diagnostische Methoden gebe, die bei geringster Belastung und Gefährdung des Patienten […] so aussagekräftige Informationen zu liefern vermag.“ Vgl. Öffentliche Stellungnahme und Gegendarstellung des BDN vom 26.10.2010; ÄrzteZeitung vom 25.10.2010. 8 Die Kosten für den stationären Bereich werden mit ca. 1.500 € angegeben, was in den entsprechenden DRGs einkalkuliert sei, vgl. Baum (DKG) in ÄrzteZeitung (2010). 5 nicht erstattet. Was erstattet, bzw. mit Festzuschuss bezuschusst wird, ist die Suprakonstruktion (der Zahnersatz auf dem Implantat). Dies aber auch nur dann, wenn bestimmte „Ausnahmeindikationen“ vorliegen. 9 Gezahlt werden beispielsweise im Falle der Einzelzahnlücke eine Brücke und im Falle eines reduzierten Kiefers eine Totalprothese (jeweiliger Festzuschuss für die Regelversorgung). Die PKV zahlt dagegen bei medizinischer Notwendigkeit und orientiert sich bei der Erstattung an den tatsächlich entstandenen Kosten (zahnärztliches Honorar und Material- und Laborkosten). Der Privatpatient, der beispielsweise eine Lücke von zwei Zähnen hat, bekommt anteilig (je nach Tarif) zwei Implantate zuzüglich der Suprakonstruktion erstattet. Der GKV-Patient bekommt dagegen – egal welche Versorgung geplant ist – „nur“ den Festzuschuss (je nach Situation mit oder ohne Bonus) für eine Brücke erstattet. Tabelle: Kostenerstattung von (innovativen) Zahnimplantaten Befund: Zahn 15 fehlt, Nachbarzähne sind kariesfrei, keine parodontale Behandlungsbedürftigkeit GKV PKV GKV Kosten (zahnärztliches Honorar und Material- und Laborkosten): ca. 1.545 Euro (bei Verwendung einer Edelmetalllegierung) PKV Kosten (zahnärztliches Honorar und Material- und Laborkosten): ca. 1751 Euro (bei Verwendung einer Edelmetalllegierung) Erstattung (ohne Bonus) ca. 390 Euro Erstattung je nach Tarif z. B. 100% zahnärztliches Honorar, 80 % Material- und Laborkosten ca. 1521 Euro Eigenanteil 1155 Euro Eigenanteil 230 Euro Deutliche Unterschiede zwischen GKV und PKV zeigen sich auch bei innovativen zahnärztlichen Leistungen. Bei der Behandlung eines gesetzlich Versicherten sind die Zahnärzte an die Richtlinien des G-BA gebunden. Sind innovative Verfahren dort nicht gelistet, dürfen sie auch nicht zu Lasten der GKV erbracht werden. In der PKV zählt wieder die medizinische Notwendigkeit. Es werden zum Beispiel von der GKV überhaupt keine innovativen Behandlungsansätze bei komplizierten Wurzelkanalbehandlungen zur besseren und sicheren Entfernung des Zahnnervs und damit zum Erhalt des Zahnes erstattet. Die GKV übernimmt nur etablierte Behandlungsweisen und dies auch nur bei wenigen Befundlagen. In allen anderen Fällen wird der Zahn als nicht erhaltungswürdig eingestuft. Anders dagegen die PKV: Ist der Behandlungsansatz medizinisch gerechtfertigt, dann werden bei allen Verfahren und dies befundunabhängig die Kosten vertragsabhängig übernommen. 9 Laut den Richtlinien des G-BA gehört die Suprakonstruktion in folgenden Ausnahmefällen zur Regelversorgung: a.) bei zahnbegrenzten Einzelzahnlücken, wenn keine parodontale Behandlungsbedürftigkeit besteht, die Nachbarzähne kariesfrei und nicht überkronungsbedürftig bzw. überkront sind sowie b.) bei stark reduziertem Kieferknochen + zahnlosem Kiefer. 6 Die PKV als Förderer von Innovationen im stationären Bereich Der stationäre Sektor ist der innovationsfreundlichste Bereich in der GKV. Innovationen dürfen nach ihrer Zulassung sofort zu Lasten der GKV erbracht werden. 10 Es gilt ein sog. Verbotsvorbehalt (d. h. Innovationen dürfen solange zu Lasten der GKV abgerechnet werden, bis der G-BA sie ausdrücklich ausgeschlossen hat). Die Krankenhäuser sind also so etwas wie ein „Einfallstor“ für Innovationen, und zwar solange bis das Tor gegebenenfalls wieder verschlossen wird. Mit den Entgelten für neue Untersuchungsund Behandlungsmethoden (NUB-Entgelte) existiert sogar eine Überbrückungsfinanzierung bis zur regulären Aufnahme in die DRG-Fallpauschalen. Infolge des innovationsfreundlichen Umfelds im stationären Bereich sind die Unterschiede zwischen GKV und PKV gering. Aber es gibt sie auch dort. So erstattet die PKV auch neue Behandlungsmethoden bei Ausschluss durch den G-BA und zwar dann, wenn in der Begründung nicht grundsätzlich der medizinische Nutzen bzw. die medizinische Notwendigkeit in Abrede gestellt wird (also wenn wirtschaftliche Gründe vorliegen oder eine unklare Studienlage). Ebenso übernimmt die PKV innovative diagnostische Verfahren, die ambulant im Krankenhaus erbracht werden. Sie fallen in der GKV unter den sog. Gebotsvorbehalt (s. o.). Ein wesentlicher Unterschied ist aber, dass die Krankenhäuser für Privat-Versicherte mehr abrechnen können (Ärztliche Wahlleistungen nach GOÄ und Zimmerzuschläge für die Unterkunft in Ein-/Zweibettzimmern). Der Mehrumsatz durch PKVVersicherte im stationären Sektor betrug 2011 500 Mio. Euro. Insofern verbessert die PKV die finanzielle Grundlage der Kliniken für zukünftige Investitionen in Innovationen, die dann wiederum allen Versicherten zu Gute kommen. Die PKV als Nachfragealternative bei innovativen Arzneimitteln Mit dem Arzneimittelneuordnungsgesetz (AMNOG) wurden für innovative Arzneimittel erstmals Preisverhandlungen auf Basis einer Nutzenbewertung eingeführt, deren Ergebnis für GKV- und PKVVersicherte gleichermaßen gilt. 11 Aber es gibt weiterhin große Unterschiede auch in diesem Leistungssegment. Sie sind v. a. im nachgelagerten Verordnungsbereich zu finden. Denn anders als die GKV kennt die PKV keine Mengenbegrenzungen über Budgets, Richtgrößen und Verordnungsbeschränkungen bei Arzneimitteln. Dies zeigt sich konkret in der Marktdurchdringung von innovativen Arzneimitteln. Sie werden verhältnismäßig häufiger bei Privat-Versicherten verordnet als bei gesetzlich Versicherten.12 Beispielsweise erhielten 2012 47,2% aller privatversicherten Patienten, denen Mittel zur Blutverdünnung verschrieben wurden, moderne Blutverdünner (Antikoagulanzien) verordnet. Im Vergleich dazu erhielten nur 18,9% der gesetzlich versicherten Patienten solche verschrieben. Das Verordnungsverhalten der Ärzte führt so zu einem sichereren Absatzmarkt in der PKV für Innovationen als in der GKV. Und er ist lukrativer als der der GKV. 2011 betrug der Mehrumsatz durch die PKV bei Arzneimitteln insgesamt 1,2 Mrd. Euro. 13 Gelder, die die Hersteller wiederum in Forschung und Entwicklung investieren können - zum Nutzen aller. Die Bedeutung für den Absatz von innovativen Arzneimitteln kann sogar soweit gehen, dass PKVVersicherte der einzige Absatzmarkt sind. Dies ist der Fall, wenn eine neue Substanz in der GKV als 10 Forderungen des GKV-Spitzenverbandes, wonach Innovationen zunächst nur in bestimmten Innovationszentren angewendet werden dürfen, bis ihr positiver Nutzen nachgewiesen ist, haben sich bislang politisch nicht durchgesetzt; vgl. GKV-Spitzenverband (2011), Innovationszentren in der GKV-Versorgung. 11 Die Forderung des PKV-Verbands nach einem eigenen Verhandlungsmandat konnte sich im Gesetzgebungsverfahren politisch nicht durchsetzen. Durch Einbezug der PKV in die Verhandlungen des GKV-Spitzenverbandes ist der Systemwettbewerb um Innovationen bzw. die Korrektivfunktion der PKV an dieser Stelle geschwächt worden. Arzneimittelhersteller haben in Konsequenz auf den § 130b SGB V gewarnt, bestimmte neue Präparate nicht mehr auf dem deutschen Markt anzubieten. 12 Vgl. Wild, Frank, Arzneimittelversorgung der Privatversicherten 2011, Köln, 2013. 13 Vgl. Niehaus, Frank, Der überproportionale Finanzierungsbeitrag privat versicherter Patienten, Köln, 2013. „Mehrumsatz“ meint die Differenz zwischen den tatsächlichen Ausgaben der PKV-Versicherten und ihren hypothetischen Ausgaben in der GKV, wären sie GKV versichert (unterstellt sind gleiche Versichertenbestände). Es ist also der Betrag, den die PKV-Versicherten mehr ins Gesundheitssystem gezahlt haben, dadurch, dass sie nicht in der GKV, sondern privat versichert waren. 7 „Scheininnovation“ eingestuft und einer zugehörigen Festbetragsgruppe zugewiesen wird, der Hersteller aber nicht bereit ist, den Verkaufspreis auf das Festbetragsniveau zu senken. In diesem Zusammenhang ist die Konkurrenzsituation zur PKV im Kampf um die freiwillig Versicherten nicht zu unterschätzen. Es schloss 2006 als eine der ersten die Techniker Krankenkasse (mit einem hohen Anteil an freiwillig Versicherten) gesonderte Vergütungsverträge mit den Herstellern von kurzwirksamen Insulinanaloga ab. Zuvor hatte der G-BA den kurz-wirksamen Insulinanaloga keinen innovativen Mehrwert zugesprochen. Letztendlich haben fast alle Krankenkassen nachgezogen, so dass unabhängig vom G-BA-Beschluss kurz-wirksame Insulinanaloga wieder von der GKV erstattet werden. Die PKV als Innovationsmotor und Ideengeber in der Pflege Soziale (SPV) und Private Pflegepflichtversicherung (PPV) beinhalten bekanntlich identische Leistungen. Ein innovativer Leistungswettbewerb findet dagegen im Segment der freiwilligen Privaten Pflegeversicherung innerhalb der PKV statt. Die PKV hat im Übrigen die Pflegeversicherung „erfunden“ und das Risiko „Pflegebedürftigkeit“ abgesichert. Bereits Mitte der 1970er-Jahre wurden Vorläufer der Privaten Pflegeversicherung angeboten. 14 1984 verabschiedete die PKV die Musterbedingungen zur Pflegeversicherung (MB/PV) und rief die freiwillige Pflegeversicherung als eigene von der Krankenversicherung unabhängige Versicherungslösung ins Leben. Hierauf und auf die Erfahrungen der nächsten zehn Jahre konnte der Gesetzgeber 1995 aufbauen, als die Pflegepflichtversicherung als letzter Zweig der Sozialversicherung eingeführt wurde. 20 Jahre Pflegeversicherung in der GKV stehen somit mehr als 30 Jahre Pflegeversicherung in der PKV gegenüber. Der Mehrwert der PKV für das Gesamtsystem liegt darüber hinaus in der Finanzierung. Diese ist durch die enthaltenen Alterungsrückstellungen demographiesicherer und generationengerecht. Die Innovationskraft der PKV in der Pflege beschränkt sich aber nicht nur auf die klassischen Versicherungsprodukte. Sie umfasst auch die Qualität der Pflege selbst. Beispielsweise entwickelte die PKV einen anderen Ansatz in der Pflegeberatung. Sie hat nicht zusammen mit der GKV Pflegestützpunkte eröffnet, sondern mit dem Unternehmen „COMPASS Private Pflegeberatung“ sich seit 2009 für einen eigenen Ansatz entschieden, der die aufsuchende Pflegeberatung in den Vordergrund stellt. Inzwischen hat der Gesetzgeber nachgezogen und mit dem PflegeNeuausrichtungsgesetz den Hausbesuch als Standardangebot in das Sozialgesetzbuch aufgenommen. Ebenfalls 2009 hat die PKV das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) gegründet. Es soll als Think Tank innovative Ansätze fördern - finanzierungsübergreifend. Es werden gezielt wissenschaftliche Untersuchungen initiiert. Die Ergebnisse werden kostenlos der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und die Vernetzung mit den Erfahrungen des praktischen Pflegealltags organisiert. Auch die seit 2011 vom Prüfdienst der PKV durchgeführten Qualitätsprüfungen in Pflegeheimen und bei Pflegedienstleistungen setzen neue Standards. Im Unterschied zu den regional begrenzt tätigen Medizinischen Diensten der Pflegekassen macht der PKV-Prüfdienst durch sein bundesweit einheitliches Vorgehen den direkten Qualitätsvergleich möglich und setzt positive Leistungsanreize für alle Prüfdienste. Auch im Bereich der Pflege wird also sichtbar, dass der Systemwettbewerb auf verschiedenen Ebenen starke Ergebnisse hervorbringt - zum Nutzen aller Patienten und Versicherten. Fazit: Innovationsstarker Systemwettbewerb als Mehrwert für alle! Das innovationsfreundliche Umfeld der PKV für (Produkt-)Innovationen hat strukturelle Gründe: Es gibt keine sektoral zersplitterten Regelungen, geringere Markteintrittsbarrieren und -kosten sowie 14 Die erste Krankenversicherung, die ein Modul „private Pflegeversicherung“ (in Kombination mit der Krankenvollversicherung) anbot, war 1976 die Bayerische Beamtenkrankenkasse. 8 ein flexibles Vergütungssystem. Die PKV ist damit ein zentraler Wettbewerbsfaktor für einen schnellen und umfassenden Zugang zu Innovationen in Deutschland - für alle. Der Fokus der GKV auf Wirtschaftlichkeit und Evidenz wiederum setzt starke Anreize für Qualitätsnachweise sowie Prozess- und Organisationsinnovationen. Hiervon profitieren auch Privatversicherte. Beide Systeme korrigieren sich also in bestimmten Gebieten gegenseitig und profitieren davon. Der Systemwettbewerb innerhalb einer gemeinsamen Versorgungsstruktur führt zu einem Mehrwert für das deutsche Gesundheitswesen, den es ohne die Dualität nicht gäbe, und macht es zu einem der besten der Welt. Literaturverzeichnis Gaillard, Manfred, Stellungnahme und Gegendarstellung zur Ärzte Zeitung vom 25. Oktober 2010 des Berufsverband Deutscher Neurologen e. V. (BDN), Meine, 26.10.2010. Gemeinsamer Bundesausschuss, Begründung des Beschlusses des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen zur Positronen-Emissions-Tomographie, 26.02.2002. GKV-Spitzenverband, Innovationszentren Wettbewerbsvorteil, Berlin, März 2011. in der GKV-Versorgung - Patientenwohl als Muhammad Wasif Saif et. al., Role and Cost Effectiveness of PET/CT in Management of Patients with Cancer, in: Yale Journal of Biology and Medicine, Juni 2010, 83(2), S. 53–65. Niehaus, Frank, Der überproportionale Finanzierungsbeitrag privat versicherter Patienten - Die Entwicklung von 2006 bis 2011, Köln, März 2013. o. V., Kassen zahlen PET nur noch in Ausnahmefällen, in: Ärztezeitung vom 25.10.2010. Wild, Frank, Arzneimittelversorgung der Privatversicherten 2011 - Zahlen, Analysen, PKV-GKVVergleich, Köln, Februar 2013. 9