Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Sport und Bewegung – bei juveniler idiopathischer Arthritis sinnvoll? Univ.-Prof. Dr. med. Uwe Lange Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Universität Gießen Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Vortragsinhalte • Fakten; Was macht Sport an entzündeten Gelenken? • Prinzipien des Gelenkschutzes • Welche Sportarten kommen in Frage? Welche Sportarten eher meiden? • Was ist vor dem Sport zu beachten? • Tipps für das Training; Schulsport • positive Effekte von Sport und Bewegung; Evidenz zu Sport und Rheuma • Fazit Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Fakten • Etwa 15.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland leiden unter einer juvenilen idiopathischen Arthritis (Prävalenz 20/100.000) [J Rheumatol 1998;25:1837-43] • Limitationen von sportlicher Betätigung durch Funktionsdefizite und Organbeteiligung [Arthritis Care Res 1995;8(2):114-9] • Physiotherapie und sportliche Aktivitäten habe positive Auswirkungen auf die Lebensqualität, Ausdauer und Beweglichkeit ohne negativen Einfluss auf den Krankheitsverlauf [Rheumatol Int 1993;12(6):239-42, Arthritis Care Res 1999;12(1):52-60] Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen „Entzündliche Gelenke und die Folgen am Bewegungssystem • Beeinträchtigung der Gelenk- und Wirbelsäulenfunktion • schmerzbedingte Immobilität, Fehlbelastung, -haltung • Muskelatrophie, -verspannungen, -verkürzungen • Gefahr von Kontraktur(en), Achsenfehlstellungen • Einschränkung der funktionellen Selbständigkeit und des körperlichen Wohlbefindens Krankengymnastik und Bewegungstherapie essenziell! Akt Rheumatol 2008; 33:15-16 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen von der Arthritis zur komplexen Störung der Entwicklung Psychosoziale und emotionale Defizite motorische Handicaps Funktionsdefizit modifiziert nach Orthopädie & Rheuma 2010; 4: 2-7 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Was macht Sport an entzündeten Gelenken? • Bewegungsablauf → Verformung des Knorpels + notwendige Flüssigkeitsbewegung für die Knorpelernährung • Immobilität → Störung des Knorpelstoffwechsels • Gelenkbewegung – auch des rheumatischen Gelenkes – ist unabdingbar für die Knorpelintegrität • Parameter für eine tolerable biomechanische Belastung ist der Entzündungsschmerz • Sportliche Belastung sollte keine Schmerzinduktion im Gelenk auslösen bzw. verstärken Akt Rheumatol 2008; 33:15-16 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen „Vernünftige Bewegung - der Garmischer Therapieroller • Sattel trägt das Körpergewicht (Hüft-, Knie- und Sprunggelenke entlastet). • Fortbewegung wie beim normalen Gehen (aufrechte Körperhaltung, günstige Streckhaltung von Hüft- und Kniegelenken → der schmerzbedingten Beugestellung wird entgegengewirkt). • Sitzroller hilft die Arthritis zu überwinden und wirkt der Entstehung von Fehlstellungen entgegen. • Entzündungs- und schmerzbedingte abnorme Bewegungsmuster (Hinken und Humpeln in gebeugtem Knie,) werden überwunden und in eine flüssige physiologische Bewegung zurückgeführt. • Der Sitzroller erweitert den Bewegungsradius der rheumakranken Kinder („Bewegungsfreude ). Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen „Vernünftige Bewegung - der Garmischer Therapieroller • Normale Beweglichkeit ist Voraussetzung für eine altersgerechte körperliche, psychosoziale wie geistige Entwicklung. Kinder gewinnen durch den Sitzroller wieder mehr Eigenständigkeit und Selbstvertrauen. • Kinder können ohne fremde Hilfe den Schulweg wieder selbständig bewältigen oder während der Schule bei Unterrichtsgängen und Wanderungen mit dabei sein. • Kinder mit schweren Verlaufsformen können sich wieder besser bewegen und am Leben in der Gemeinschaft partizipieren. Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Was ist beim Sport bei entzündlichrheumatischen Erkrankungen zu beachten? • Gelenke möglichst viel bewegen, aber so wenig wie nötig belasten! • Stauch- und Stoßbewegungen, starke Kraftanstrengungen und zerrende Bewegungen vermeiden → belastend, Schmerzprovokation, Förderung von Fehlstellungen → zusätzliche Gelenkschädigung Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Prinzipien des Gelenkschutzes bei Bewegungsübungen und Sport 1. Schmerzen stets beachten! Übungen sollten keinen oder maximal einen erträglichen Schmerz verursachen. Hinweis: bei Überlastungsschmerzen Ruhephasen einbauen, treten bis zu 2 h nach den Übungen auf („two-hour-pain-role ) Dekonditionierte Kinder über möglichen initialen muskulär-ligamentär getriggerten Schmerz aufklären; Übungen schmerzangepasst fortführen. „Schmerz-Faktoren : Zeitdauer der Aktivität, Gewicht (überhöhtes Körpergewicht, erhöhtes Übungsgewicht auf die Gelenke), Anzahl der Wiederholungen Lange U et al. Monatsschr Kinderheilkund 2012; 160:764-8 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Prinzipien des Gelenkschutzes bei Bewegungsübungen und Sport 2. Überbelastung von Gelenkstrukturen und anhaltende Gelenkposition für längere Zeit vermeiden. Pressübungen / Bankdrücken eher vermeiden, Zugübungen / Extensionen bevorzugen. Immobilisation strikt vermeiden! (Gefahr: Muskelatrophie und Gelenkkontraktur) Lange U et al. Monatsschr Kinderheilkund 2012; 160:764-8 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Prinzipien des Gelenkschutzes bei Bewegungsübungen und Sport 3. Nutzung einer guten Körperhaltung („posture ) und adäquaten Gelenkmechanik. Einsatz stammnaher Gelenke (sind kräftiger!) Gegenstände körpernah tragen (beidhändig) Hebelgesetze beachten (langer Kraftarm, kurzer Lastarm) Bewegung der Gelenke im anatomischen und funktionellen Bewegungsbereich Vermeidung extremer Gelenkflexionen und –extensionen Lange U et al. Monatsschr Kinderheilkund 2012; 160:764-8 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Prinzipien des Gelenkschutzes bei Bewegungsübungen und Sport 4. Korrekte Lagerung der Gelenke im Schub und im Alltag (Neutralposition) 5. Ausschalten fehlerhafter Bewegungsmuster (statische Arbeit mit Hilfsmitteln, dynamische Arbeit bevorzugen) Lange U et al. Monatsschr Kinderheilkund 2012; 160:764-8 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Welche Sportarten sind geeignet? Gelenkschonend und gut für die Fitness: 1. Schwimmen 2. Nordic walking 3. Rad fahren (mit Griffverdickungen, kein Mountain biking!) 4. Skilanglauf 5. Wandern 6. Tanzen 7. Tischtennis 8. Gymnastik (Beüben von Gleichgewichtsgefühl, Körperhaltung und Gelenkmobilität) Akt Rheumatol 2008; 3:29-32, Arthritis + rheuma 2007; 2:5-6, Akt Rheumatol 2008; 33:33-40, Akt Rheumatol 2003; 28:196-198 Lange U et al. Monatsschr Kinderheilkund 2012; 160:764-8 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Welche Sportarten eher vermeiden? • Joggen • Rudern • Mannschaftssportarten (u. a. Fußball, Volleyball, Kampfsportarten) • Lauf- und Springübungen (u.a. Tennis, Squash, Skateboard, Inline-Skating, Snowboard, Ski Alpin, Eislaufen, Geräteturnen) Akt Rheumatol 2008; 3:29-32, Arthritis + rheuma 2007; 2:5-6, Akt Rheumatol 2008; 33:33-40, Akt Rheumatol 2003; 28:196-198 Lange U et al. Monatsschr Kinderheilkund 2012; 160:764-8 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Was vor dem Sportbeginn beachten? Bis dato keine Studien zum Einfluss unterschiedlicher Sportarten auf eine Aktivierung der Erkrankung und Beschleunigung der Gelenkdestruktion! Anforderungen an die gewählte Sportart: - gelenkschonend - kein erhöhtes Verletzungsrisiko (Infektionsgefahr!) - sollte Muskeln stärken - vorab Bestimmung der individuellen Funktionslast (Bewegungsanalysen) und körperlichen Fitness Lange U., Z Rheumatol 2010; 69: 292-4 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Was vor dem Sportbeginn beachten? Bei Defiziten der individuellen Funktionslast sollte diese gezielt durch differenzialindikative physikalische Therapiemaßnahmen vor Beginn der ausgewählten Sportart verbessert werden. Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Tipps für das Training • Initial die sportliche Betätigung vorsichtig und mit wenig anstrengenden Einheiten beginnen. • U.U. kann es sinnvoll sein wg. Schmerzen und körperlicher Schwäche die tägl. Übungen auf mehrere kleinere Einheiten aufzuteilen. • Wenn der körperl. Zustand intensivere Übungen nicht erlaubt, mind. leichte Aufwärm- und Dehnübungen machen. • Übungen die bis zu 2 h danach Schmerzen verursachen meiden oder modifizieren. Lange U., Z Rheumatol 2010; 69: 292-4 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Schulsport - Empfehlungen • In akuten Phasen zeitlich limitiert freistellen. • In subakuten/chronischen Stadien Möglichkeit zur Teilnahme (Absprache Arzt – Sportlehrer) „Sport als Bindeglied Alltag und Therapie . • Besser auf Benotung verzichten (individuell entscheiden) Gefahr vom Leistungsdruck mit Folge von Überlastung • Cave: oft Ball-, Laufspiele und Geräteturnen, was die Gelenke belastet! • Schulschwimmen: zusätzlichen Zeitaufwand bedenken (mehr Vor- und Nachbereitungszeit), Wassertemperatur oft zu kalt (indifferenter Bereich 28-30°C wählen)! Lange U et al. Monatsschr Kinderheilkund 2012; 160:764-8 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Positive Effekte von Sport und Bewegung • Auf physiologischer Ebene führt regelmäßige Bewegung zur Aufrechterhaltung der Knorpelernährung im Gelenk. • Die Lebensqualität, soziale Integration, allgemeine Beweglichkeit und Krankheitsaktivität können positiv beeinflusst werden. [1, 2] • Ausdauertraining bewirkt eine Abnahme proinflammatorischer Zytokine (TNF-α, IL-1β). [3] • Sportliche Betätigung ist notwendig zum Aufbau einer idealen Knochenspitzenmasse. • Vorhandenes Übergewicht kann mit behandelt werden, zusätzliche Entlastung des Herz-Kreislauf-Systems. [1] J Rheumatol 2004;31:390-2, [2] Arthritis Rheum 2003;49:428-34, [3] Curr Opin Rheumatol 2009;21(6):599-603 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Evidenz zu Sport + Rheuma • Krafttraining in Kombination mit Schwimmen, Rad fahren und Laufen → Verbesserung des ges. Krankheitsbildes ohne Verschlechterung. [1, 2, 3, 4] • Hämophilie-Patienten: Sport fördert Entwicklung von Koordination, Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer mit Gelenkprotektion und Verbesserung der Lebensqualität. [4] [1] Pediatric Health 2010; 4:499-507 [2] Akt Rheumatol 2008; 3:29-32 [3] J Rheumatol 2004; 31:390-2 [4] Arthritis Rheum 2007; 57:1202-10 [5] Haemophilia 2000; 6:537-546 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Evidenz zu Sport + Rheuma Studien zur Evidenz von zielgerichtetem Gelenkschutz im Hinblick auf Reduktion von Schmerzen, Reduktion der lokalen Entzündung, Protektion fragiler Gelenke und verbesserter Gelenkfunktion liegen vor! Christie A. et al. Phys Ther 2007;87:1697-715; Hammond A. et al. Ann Rheum Dis 2004;63:23-30; Hammond A. et al. Clin Rehabil 2004;18:520-28 Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Fazit • Sport ist unter Einhaltung der genannten Richtlinien ohne eine Verschlechterung des Krankheitsverlaufs möglich. • Gelenkschutz stets beachten! • Schmerzen stets beachten! („Warnsignal für drohende Überlastung ) • Kampf- und Mannschaftssportarten mit starken Stoßbewegungen eher meiden. • Bewegungen sollten ausgewogen zwischen Muskelstärkung, -dehnung und Gelenkmobilisation erfolgen. Professur für Internistische Rheumatologie, Osteologie, Physikalische Medizin Zentrum Innere Medizin, Justus-Liebig-Universität Gießen Danke für die Aufmerksamkeit!