Zellen auf Wanderschaft

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BLICK 04 - 2009
Antje Gohla in ihrem Labor im Institut für Pharmakologie und Toxikologie. (Foto Gunnar Bartsch)
Zellen auf Wanderschaft
Antje Gohla ist neue Professorin am Institut für Pharmakologie und Toxikologie. Schon früh
während ihres Pharmaziestudiums war ihr klar, dass ihre Karriere nicht zwischen den Regalen
einer Apotheke enden sollte. Jetzt erforscht sie, wie Zellen ihre Form verändern.
E
ine Krebsgeschwulst allein stellt
selten eine tödliche Bedrohung
dar. Frühzeitig erkannt, ließe sie sich
unter günstigen Bedingungen in einer
Operation entfernen – der Patient wäre
wieder gesund. Was Krebs zu einer tödlichen Bedrohung macht, ist seine Eigenschaft, Zellen zu streuen und damit
Metastasen an weit entfernten Stellen
zu bilden.
Die Vorstellung, dass diese Zellen sich
mit Hilfe des Blutkreislaufs im Körper
verbreiten wie Blätter, die in einen Bach
fallen und in einer ruhigen Bucht stranden, ist allerdings falsch. Zellen bewegen sich aktiv, suchen gezielt bestimmte Orte auf und quetschen sich dafür
auch durch Engstellen, wenn es unbedingt sein muss. Wie sie das machen,
dafür interessiert sich Antje Gohla. Die
40-Jährige ist seit Kurzem Professorin
am Institut für Pharmakologie und
Toxikologie der Universität Würzburg;
darüber hinaus forscht sie als Gruppenleiterin am Rudolf-Virchow-Zentrum für experimentelle Biomedizin.
Im Zentrum ihres Interesses steht das
Skelett dieser Zellen.
Zellen erschnuppern sich
ihren Weg durch den Körper
„Das Zellskelett setzt sich aus unterschiedlichen Fasern zusammen und
befindet sich in einem ständigen Aufund Abbau. Je nach äußerem Einfluss
kann es seine Form ändern“, sagt Antje
Gohla. Beispielsweise können Hormone die Zelle dazu animieren, sich zu
teilen – ein Prozess, bei dem das Skelett
eine im wahrsten Sinne des Wortes tragende Rolle übernimmt und der bei der
Organentwicklung ebenso wichtig ist
wie beim Tumorwachstum.
Zellen können aber auch bestimmte
Signalstoffe „erschnuppern“ und sich
dann auf den Weg an den Ursprungs-
ort dieser Substanzen machen. „Um
wandern zu können, müssen diese Zellen ihre Form verändern“, sagt Gohla.
Dann konzentrieren sie beispielsweise
bestimmte Rezeptoren an ihrer Stirnseite oder bilden winzige Füße aus.
Mehr als 100 Proteine, so schätzen
Wissenschaftler heute, sind in der Lage,
das Zellskelett zu beeinflussen. Einige
von ihnen sind so genannte Schlüsselproteine, auf denen zahlreiche Signalwege zusammenlaufen. „Wir haben
zwei dieser Schlüsselkomponenten,
zwei Phosphatasen, identifiziert und
wollen sie jetzt genauer untersuchen“,
sagt Gohla.
Die herausragende Bedeutung einer
dieser Komponenten konnten Forscher
inzwischen im Fall einer bestimmten
Form eines Hirntumors aufzeigen:
„Ein genetischer Defekt ist dafür verantwortlich, dass die Phosphatase dort
nicht richtig arbeitet“, erklärt Antje
Gohla. Die Folge: „Die Zellen teilen
sich sehr schnell, sie wandern mit gro­
ßer Aggressivität und bilden Tochtergeschwulste.“ Und die Patienten haben
nur äußerst geringe Überlebenschancen.
Dass Zellen ihre Form verändern und
sich an andere Zellen anheften können,
hat für den Menschen aber auch positive Seiten: Ohne diese Eigenschaften
wäre jede noch so kleine Verletzung lebensbedrohlich, weil dann der Organismus nicht mehr in der Lage wäre, eine
Blutung zu stoppen. „Die Regulation
des Zellskeletts ist bei Blutplättchen,
den so genannten Thrombozyten, essentiell für ihre Funktion“, sagt Antje
Gohla. Wenn es darum geht, bei einer
Gefäßverletzung zu verklumpen und
die offene Stelle abzudichten, würden
diese Zellen „dramatische Formveränderungen“ durchlaufen.
Und auch hier könnten die beiden
Phosphatasen eine wichtige Rolle spielen: „Sie sind wahrscheinlich zuständig
für den wichtigen letzten Schritt beim
Abdichten der Wunde, sozusagen den
letzten Klebeschritt“, erklärt Gohla.
Warum sich die Wissenschaftlerin für
diesen Prozess interessiert? „Thrombozyten können auch fälschlicherweise
verklumpen“, sagt Gohla. Die Folge
sind Herzinfarkt oder Schlaganfall.
Zwar kennt die moderne Medizin mittlerweile etliche Mittel, mit denen sich
das unerwünschte Verklumpen verhindern lässt. Die Medikamente, die dabei
zum Einsatz kommen, sind allerdings
nicht frei von Nebenwirkungen. „Wenn
wir also die Signalwege besser verstehen, die Thrombozyten dazu bringen,
ihre Form zu verändern und Klumpen
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zu bilden, sind wir möglicherweise in
der Lage, bessere Medikamente zu entwickeln“, hofft Gohla.
Antje Gohla kommt aus Lippstadt in
Westfalen und hat nach dem Abitur
Pharmazie in Regensburg studiert.
Anders als viele ihrer Kommilitonen
und Kommilitoninnen hat sie schnell
gemerkt, dass die Arbeit in einer Apotheke nichts für sie ist. Ihr Ziel stand
frühzeitig fest: Forschung – auch wenn
das für Pharmazeuten bislang noch ein
ungewöhnlicher Weg ist; weniger als
zehn Prozent von ihnen schlagen diese
Richtung ein.
Dabei würde ihre Ausbildung sie dafür
hervorragend vorbereiten, findet zumindest Antje Gohla: „Pharmazeuten
besitzen ein breites chemisches und
ein fundiertes analytisches Wissen. Sie
sind ein Bindeglied zwischen Biologie
und Medizin“, sagt sie. Und das sei
doch eine gute Grundlage für die Forschung.
Ideale Bedingungen an der
Universität Würzburg
In den USA, am Scripps Research Institute in La Jolla und am Health Science
Center in New Orleans, und danach an
der Universität Düsseldorf hat Antje
Gohla bereits an den beiden Phosphatasen geforscht. Und dabei gemerkt: „Das
ist ein Riesengebiet. Das kann ich nicht
alleine machen.“ Da kam der Ruf aus
Würzburg gerade recht: Als Professorin
am Lehrstuhl für Pharmakologie und als
Gruppenleiterin am Rudolf-VirchowZentrum hat sie jetzt viele Mitarbeiter
und Kollegen. Ihre eigene Gruppe, die
gerade im Aufbau ist, wird bald schon
mehr als zehn Personen umfassen. Was
16.09.2009
11:35 Uhr
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für sie aber mindestens ebenso wichtig
ist, das ist die Technik, die sie in Würzburg vorgefunden hat. „Hier gibt es
erstklassige Mikroskope, die für meine
Arbeit wichtig sind“, sagt sie.
Auch wenn im Rudolf-Virchow-Zentrum Frauen längst nicht mehr in der
Minderheit sind – 51 Prozent der Promovierenden dort sind weiblich, 57
Prozent der Postdoc-Stellen sind mit
Frauen besetzt – ist das nicht der Alltag an deutschen Hochschulen. Da sind
Frauen in Professuren und auf Lehrstühlen noch immer deutlich in der
Minderheit. Trotzdem hat sich Antje
Gohla in ihrer Karriere nie behindert
gefühlt. Und trotzdem hat das Thema
immer eine Rolle gespielt. „Natürlich
haben wir Frauen uns schon während
der Promotion gefragt, ob man als Wissenschaftler eigentlich noch normal leben kann und nicht tagein, tagaus rund
um die Uhr im Labor stehen muss“,
sagt sie.
Dass dem nicht so sein muss, davon ist
Antje Gohla überzeugt. Aber: „Es fehlt
an Beispielen“, sagt sie. Umso wichtiger findet sie es, dass mehr Frauen
in der Forschung verantwortungsvolle
Posten bekommen, schon allein, um
dem weiblichen Nachwuchs als Vorbild
zu dienen.
Hat sie es denn geschafft, diesen Spagat
zwischen Karriere in der Wissenschaft
und dem Wunsch nach einem Privatleben? Die Antwort fällt ein wenig vage
aus: „Ich lebe ausgeglichen“, sagt sie.
Und was macht sie in ihrer Freizeit?
„Ich wünschte, es wäre mehr Sport,
mehr Lesen und mehr Musik.“ Aber
das kommt ja vielleicht noch.
Gunnar Bartsch
Spaß und helle Augen blicke wünscht
augenblick
Michael Dauber Optik
Theaterstraße 1 (Nähe Barbarossplatz)
97070 Würzburg
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