Tages Anzeiger 14.11.2016

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TagesAnzeiger
FranzundEnglischsindbesserals
ihrRuf
KonservativePolitikerwolleninderPrimarschuleeineFremdsprachestreichen.Der
Aufwandlohnesichnicht.WissenschaftlersindandererAnsicht.
SinddieZürcherPrimarschülermitdemLernenvonzweiFremdsprachenüberfordert?Foto:Gabi
Vogt
NachfastexaktzehnJahrenisteswiedersoweit:DasZürcherVolkmussdarüber
entscheiden,obinderPrimarschuleeineFremdspracheausdemStundenplan
gestrichenwerdensoll.Derzeitwirdabder2.KlasseEnglischundabder5.Klasse
Französischunterrichtet.
Damals,am26.November2006,lehntendieZürcherdieVolksinitiativemitüber58
ProzentNein-StimmenabundsagtenJazumdoppeltenFremdsprachenunterrichtin
derPrimarschule.DieArgumente,dieKinderwürdennichtmehrrichtigDeutsch
lernenundseienimPrimarschulaltermitzweiFremdsprachenüberfordert,warenfür
dieStimmberechtigtennichtstichhaltiggenug.Siegewichtetendiesteigende
BedeutungderSpracheninBerufundGesellschaftstärkeralsangeblicheProbleme
imUnterricht.Zudemglaubtensie,eineSprachelernesichleichter,jefrüherman
beginne.
Sprachenkonzeptgescheitert?
NundoppelndieInitiantenvondamalsnach.«DieErfolgesindausgeblieben,das
Sprachenkonzeptistgescheitert»,sagtetwaderehemaligeBildungsratund
inzwischenpensionierteSeklehrerHans-PeterAmstutz.FürihnundseineMitstreiter
sinddieBedingungenfürsFremdsprachenlerneninderPrimarschulesoschlecht,dass
derUnterrichtnutzlossei.DieKlassenseienzugrossunddieZahlderLektionenzu
klein.
ImUnterschiedzumletztenMalhabendieInitiantendiesmaldievolleUnterstützung
derkantonalenLehrerverbände.IneinerUmfragedesZürcherLehrerinnen-und
Lehrerverbandes(ZLV)habensichfast80ProzentfürdieneueVolksinitiative
ausgesprochen.SupportgibtsdiesmalauchausderForschung.DieZürcher
SprachwissenschaftlerinSimonePfenningerhatimHerbst2014ineiner
Langzeitstudieherausgefunden,dassZürcherGymnasiasten,dieerstinder
SekundarschuleEnglischhatten,ihrenRückstandaufdieFrühenglischlernerunter
ihrenKameradeninsechsMonatenaufgeholthatten.
KeineÜberforderung
Pfenningerhatzwarwiederholtbetont,sieversteheihrStudienergebnisnichtals
AufforderungzurAbschaffungderzweitenFremdspracheinderPrimarschule.
DennochwüsstendieStimmberechtigtengern,wiegutoderebenwieschlechtder
FremdsprachenunterrichtinderPrimarschuletatsächlichist.
AussagendazumachteineArbeitausdemInstitutfürMehrsprachigkeitder
UniversitätFreiburg.DorthabenForscherdieErkenntnisseaus25kantonalenStudien
zumFremdsprachenunterrichtanalysiert.Dabeizeigtesich:Primarschülersindmit
demErlernenvonzweiSprachennichtgenerellüberfordert,wiedieInitianten
behaupten.ÜberfordertseiennurKinder,dieinanderenFächernauchMühehätten.
Interessantistauch,dassjeneElternundLehrpersonen,diegegeneinezweite
FremdspracheanderPrimarschulesind,ihreeigenenKindernichtalsüberfordert
einschätzen.
ZudemhatÜberforderungnichtsmitderMuttersprachezutun.Zwarerreichenjene
Kinder,diezuHauseDeutschsprechen,leichtbessereNotenindenFremdsprachen
alsKindermiteinemMigrationshintergrund.DieForscherführendiesaberaufdie
privilegiertereHerkunftvoneinheimischenKindernzurück.
MotivationalsErfolgsfaktor
AlsgrösstenErfolgsfaktorimSprachunterrichthabendieForscherdieMotivation
eruiert.Kinder,dieeinepositiveEinstellungzuFranzösischundEnglischhaben,
erreichenauchdiesignifikantbesserenLeistungen.UnddieMotivationderSchüler
wirdwesentlichdurchdieMotivationderLehrpersonbeeinflusst.Dasheisst:Wenn
einKindeinemotivierteFranzlehrerinhat,wirdesmehrlernenundbessereNoten
schreiben.
ZudenLeistungenimFremdsprachenunterrichtmachtdieAnalysenurvageAngaben.
MankönnedieResultatederverschiedenenStudiennurschwervergleichen.
Allerdingswirdnichtgesagt,dassdieKinderdieLernzielenichterreichenkönnen.Im
Gegenteil.UrsMoservomInstitutfürBildungsevaluationanderUniversitätZürich
misstseitzehnJahrendieLeistungenbeimFrühenglischimKantonAargauundsieht
dorteinenähnlichenLernerfolg,wieerinanderenSchulfächernzusehenist:«Der
früheEnglischunterrichtzeigtWirkung,unddieLernzielewerdenvoneinemGrossteil
derSchülererreicht.»
FürdenFranzösischunterrichtkannerkeineeigenenMessresultatevorweisen.Eine
aktuelleStudieausderInnerschweizzeigeaber,dassderLernerfolgimFach
Französischleichtschlechtersei.
MoserrelativiertauchdieErkenntnissevonSimonePfenninger,weilsie
ausschliesslichdieLeistungenvonGymnasiastenuntersuchthat:«ClevereSchüler
habenverpasstesPrimarschulwissenebengenerellschnellaufgeholt.»Darauszu
schliessen,manmüsseEnglisch(oderFranzösisch)inderPrimarschulestreichen,sei
falsch.DennähnlicheEffekteliessensichwohlauchinMathematikoderDeutsch
nachweisen.«NiemandwürdeaufdieIdeekommen,einsolchesFachdeswegenzu
streichen.»
ÄhnlichargumentiertSprachdidaktikerinChristineLePapeRacinevonder
PädagogischenHochschulederFachhochschuleNordwestschweiz:«Dassnachdem
FremdsprachenunterrichtderPrimarschulewiederbeinullbegonnenwerdenmuss,
isteinewigwiederkehrendesArgument,dasinersterLiniedieArbeitder
Lehrpersonenabwertet.»AbgesehendavonseiensolcheAussagendemotivierendfür
SchülerundLehrer.
Älterelernenschneller
IneinemPunkthatsichderwissenschaftlicheStandpunktindenletztenzehnJahren
geändert.DieAussage,wonachkleineKindereineSpracheschnellerlernenals
grosse,hatsichalsfalscherwiesen–wenigstensinBezugaufdasschulische
Sprachenlernen.DasGegenteilistrichtig,ältereKinderlernenschneller.Dennoch
bleibenMoserundLePapeRacinedabei:InderPrimarschulesollsowohlEnglischwie
Französischunterrichtetwerden.Moser:«WennmanfrühermitdemLernenbeginnt,
weissmanamEndederVolksschulemehr.»
Zusammengefasstkannmansagen:DieBildungsforschungistinder
FremdsprachenfragekeinezuverlässigePartnerin–wederfürGegnernoch
Befürworter.OderwieStefanWolter,LeiterderSchweizerischenKoordinationsstelle
fürBildungsforschung,inderNZZsagte:«WerdenUnterrichteinerzweiten
FremdspracheausderPrimarschuleverbannenwill,kanndiesmitSicherheitnicht
wissenschaftlichbegründen.»EinesolcheEntscheidungseireinpolitischmotiviert.
ElterngegendieInitiative
ZuredengibtdieVolksinitiativeauchunterdenEltern.DeshalbhatderVerbandder
ElterngremienimKantonZürichKEO(KantonaleElternmitwirkungs-Organisation)
eineUmfragedurchgeführt.60ProzentderBefragtensprachensichfürdenStatus
quoaus,alsozweiFremdspracheninderPrimarschule.UndalsersteFremdsprache
wünschtsichdieMehrheitEnglisch.
(Tages-Anzeiger)
Erstellt:14.11.2016,12:33Uhr
DenSprachfriedennichtmitder«Abrissbirne»
zerstören
DerKantonsrathatdieInitiativezurStreichungderzweitenFremdspracheinder
Primarschuleklarabgelehnt.
VielhatsichimKantonsratindenletztenzehnJahrennichtgeändert.ImJuli2006
hattedasKantonsparlamentdieVolksinitiativezurStreichungderzweiten
FremdspracheanderPrimarschulemit90:65Stimmenabgelehnt.Gesternfielder
gleicheEntscheidmit96:68Stimmen.AuchdieMeinungeninnerhalbderParteien
habensichkaumverändert–miteinererstaunlichenAusnahme.
DieEVP,vorzehnJahrennochanvordersterFrontbeidenInitiantendabei,stimmte
gesterngegendasVolksbegehren.«Wirtreteneinfüreinezukunftsorientierte
Bildung»,sagteHans-peterHugentobler(EVP,Pfäffikon).EinJazurInitiativekäme
seinerMeinungnacheinerKapitulationgleich.ParteipräsidentJohannesZollinger
bestätigtegesternamRandederDebatte,dassdieWendeinderFraktionmitdem
RücktrittdesdamaligenMeinungsmachersHans-PeterAmstutzzusammenhänge.
GeschlossenfürdieInitiative«MehrQualität–eineFremdspracheander
Primarschule»votiertedieSVP.FürFraktionssprecherinAnitaBorer(Uster)istdies
einelogischeForderung.«DasfrüheFremdsprachenlernenistwissenschaftlich
umstritten.»AuchwiessieaufdieÜberlastungdesSchulpersonalshinundauf
möglichesSparpotenzialinderLehrerausbildung.RochusBurtscher(Dietikon)redete
von«Zwängerei»,wennmananderzweitenFremdsprachefesthalte.«Mitdiesem
UnterrichtproduzierenwirfrustrierteSchüler.»NebenderEDUstimmteauchdie
MehrheitderGrünliberalenfürdieInitiative.ChristophZiegler(GLP,Elgg)sprachvon
«Symbolunterricht».MitderStreichungeinerFremdsprachekönneerals
SekundarlehrernachhaltigenErfolggarantieren.
DieGegnerderInitiativeräumtenein,dassesimUnterrichtSchwächengebe.Doch
daraufmüssemanmitVerbesserungundnichtmitStreichungreagieren.FDPSprecherinCäciliaHänni(Zürich)sprachvoneinem«Saltorückwärts».Mitder
InitiativewerdederLernwillenderKindermissachtet.FranzösischundEnglischseien
einMust,wennmanberuflichetwaserreichenwolle.DieCVPbefürchtet,dassbei
einemJaEnglischaufdieOberstufeverschobenwürde,wasfürCorinneThomet
(Kloten)«nichtakzeptabel»wäre.
BennoScherrer(GLP-Minderheit,Uster)betonte,derKantonZürichkönnemiteinem
NeinzurInitiativeeinZeichensetzen–fürdieinternationaleAusrichtungZürichsund
fürdieMehrsprachigkeitderSchweiz.BeidenLinkenwurdediepolitischeDimension
derVorlageebenfallsstarkgewichtet.SofürchteteetwaKarinFehrThoma(Grüne,
Uster)IrritationeninderRomandie.RuediLais(SP,Wallisellen)warntedavor,den
SprachenfriedeninderSchweizmitder«Abrissbirne»zuzerstören.Erwieszudem
aufdiezunehmendeBenachteiligungsprachlicherMinderheiteninOsteuropahin,die
manmitderInitiativeauchinderSchweizfördere.
UnterdenBuh-rufenausderSVPfragteLais:«Sindwireigentlichblöd,künstlichdas
ProblemdesSprachennationalismuszuimportieren?»BeidenSozialdemokratenhat
dieInitiativeallerdingsaucheinigeSympathisanten.Fünfvonihnenhabensichbei
derAbstimmungenthalten.
BildungsdirektorinSilviaSteiner(CVP)betonte,inderSchulegebeesmindestensso
vieleUnter-wieÜberforderte.DarumdürfemandasNiveauanderPrimarschule
nichtsenken.SiewiesauchaufdenfinanziellenSchadeneinerStreichunghin.Bisher
hatderKanton41MillionenFrankenandieAus-undWeiterbildungder
Lehrpersonenbezahlt.DazukommenInvestitioneninLehrmittel,dieüberflüssig
würden.DieVolksabstimmungfindetvoraussichtlichimerstenHalbjahr2017statt.
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Primarschueler-sollen-weiterhinFranzoesisch-und-Englisch-lernen/story/28951955
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