e b pro e s e L 17 ................................................................................................................................................................................................................ Aus dem Buch Roland Waibel/Michael Käppeli: Betriebswirtschaft für Führungskräfte – Die Erfolgslogik des unternehmerischen Denkens und Handelns. 2. Auflage. ISBN 978-3-03909-178-2, Versus Verlag, Zürich 2009 1 Unternehmerisches Denken und Handeln «Kein Unternehmen kann so schwach sein, dass es durch ein gutes Management nicht wiederbelebt werden könnte. Kein Unternehmen kann so stark sein, dass es durch ein schwaches Management nicht zerstört werden könnte.» Peter Wallenberg, schwedischer Unternehmer und Bankier Managementorientierung in der Unternehmensführung © 2009 Versus Verlag Das Umfeld der Unternehmen im 21. Jahrhundert ist geprägt durch Entwicklungen wie die zunehmende Globalisierung, die Beschleunigung der Informationsentstehung und -verarbeitung, wachsende Komplexität der Aufgabenstellungen und fortschreitende Dynamisierung der Unternehmen. Diese Rahmenbedingungen bedeuten für die Unternehmensführung wachsende Herausforderungen, die nur bewältigt werden können, wenn Führungskräfte zu unternehmerischem Denken und Handeln befähigt sind bzw. befähigt werden und dabei über zweierlei Kompetenzen verfügen. Es ist dies zum einen die Fähigkeit von Führungskräften zur ziel- und systemorientierten Gestaltung, Lenkung (Steuerung) und Entwicklung ihrer Organisation bzw. Organisationseinheit einschliesslich der Menschen- und Mitarbeiterführung (Managementorientierung in der Unternehmensführung). Zum anderen müssen Führungskräfte auch über ein fundiertes betriebswirtschaftliches Fachwissen wie zum Beispiel über Strategiekonzepte, Unternehmensbewertungsansätze, Marketinginstrumente oder Prozessmodellierungstechniken verfügen, um dieses Fachwissen in den Entscheidungs- bzw. Pla- e b pro e s e L 18 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Sachorientierung in der Unternehmensführung Nachhaltige Unternehmenswertsteigerung nungsprozessen sowie Steuerungs- und Kontrollprozessen kompetent zum Einsatz bringen zu können (Sachorientierung in der Unternehmensführung). Die erfolgreiche Kombination aus systemorientierter Management- und betriebswirtschaftlicher Fachkompetenz befähigt Führungskräfte zu unternehmerischem Denken und Handeln und macht Menschen und Organisationen wirksam. Entsprechend wichtig ist es, dass bei Führungskräften sowohl ein reflektiertes Management-, Organisations- und Führungsverständnis als auch ein fundiertes betriebswirtschaftliches Fachwissen gleichermassen gefördert und entwickelt wird. Erst dies ermöglicht es Führungskräften, in Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen bei der Bearbeitung komplexer betriebswirtschaftlicher Problemstellungen systemisch und vernetzt zu denken und durch sorgfältig entwickelte Lösungen eine nachhaltige Unternehmenswertsteigerung zu realisieren. 1.1 Was umfasst Management? Betriebswirtschaftslehre als Management- und Führungslehre 1.1.1 Handlungsebenen des Managements Ebene des normativen Managements Wertfragen unternehmerischen Handelns 1.1 Der Begriff Management – also das Führen eines Unternehmens bzw. einer NonProfit-Organisation, um bestimmte Ziele zu erreichen – ist uralt und hat sich in der betriebswirtschaftlichen Literatur unwiderruflich in den deutschen Wortschatz eingefügt. Im Zusammenhang mit der Beschreibung von Management sind verschiedene Aspekte von Bedeutung, wobei eine der wichtigsten und für das praktische Verständnis nützlichsten Ausprägungen der Betriebswirtschaftslehre als Management- und Führungslehre die Unterscheidung in drei von ihrer Ausrichtung her unterschiedliche Handlungsebenen ist: Die Ebene des normativen, strategischen und operativen Managements. Um die Vielschichtigkeit des Managements umfassend beschreiben zu können, ist es hilfreich, zunächst zwischen normativem, strategischem und operativem Management zu unterscheiden, da je nach Handlungsebene andere Herausforderungen und Aufgabenschwerpunkte im Zentrum des unternehmerischen Denkens und Handelns stehen (vgl. Abbildung 1-1). Ein Managementteam, das auch nur eine dieser drei Handlungsebenen vernachlässigt, wird langfristig den Erfolg des Unternehmens gefährden. Die Ebene des normativen Managements bezieht sich auf die ethische Legitimation der unternehmerischen Tätigkeit und beschäftigt sich mit den grundlegenden Wertfragen unternehmerischen Handelns, d.h. um die frühzeitige Auseinandersetzung mit unternehmenspolitischen Wert- und Interessenkonflikten (Unternehmensethik), bevor es aufgrund allfällig nicht zu Ende gedachter strategischer oder operativer Entscheidungen zu manifesten Konflikten mit ein- e b pro e s e L 1.1 Was umfasst Management? 19 ................................................................................................................................................................................................................ Herausforderung Handlungsebene Aufgabenschwerpunkt Normatives Management Konflikte zwischen Interessen- bzw. Anspruchsgruppen Konsensproblem (Legitimationsdruck) Aufbau unternehmenspolitischer Verständigungspotenziale Strategisches Management Komplexität und Ungewissheit der Markt- und Umweltbedingungen Steuerungsproblem (Innovationsdruck) Aufbau nachhaltiger Wettbewerbsvorteile und Wachstumspotenziale Operatives Management Knappheit der Ressourcen oder Produktionsfaktoren Abbildung 1-1 Aufbau unternehmenspolitischer Glaubwürdigkeits- und Verständigungspotenziale Effizienzproblem (Kostendruck) Aufbau betrieblicher Produktivitätspotenziale Handlungsebenen des Managements (in Anlehnung an Ulrich/Fluri 1995) zelnen Anspruchsgruppen kommt. Nicht strategische Ungewissheit, sondern Uneinigkeit über die normativen Grundsätze und dabei insbesondere über die Verteilung der (materiellen und immateriellen) Nutzen und Kosten des unternehmerischen Handelns auf die einzelnen Anspruchsgruppen ist auf der Ebene des normativen Managements das Grundproblem. Eine der Hauptzielsetzungen des normativen Managements muss entsprechend die ständige konsensorientierte Kontaktpflege mit den verschiedenen Anspruchsgruppen und der Aufbau unternehmenspolitischer Glaubwürdigkeits- und Verständigungspotenziale gegenüber diesen sein. Unter der Lupe: Konsens- und Optimierungsproblem auf der normativen Managementebene Wertorientierte Unternehmensführung erfordert die aktive Auseinandersetzung des Managements mit den divergierenden Wertvorstellungen und Interessen der verschiedenen Anspruchsgruppen. Die Aktionäre fordern mehr Gewinnausschüttung und die Steigerung des Unternehmenswertes. Die Kunden verlangen eine hohe Qualität und zuvorkommenden Service zu einem günstigen Preis. Die Bank fordert die zuverlässige Bedienung der Kredite und eine Minimierung des Risikos. Die Mitarbeiter und Gewerkschaften fordern attraktive Arbeitsbedingungen und sichere Arbeitsplätze. Der Staat fordert Steuern, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sowie die Schaffung von Arbeitsplätzen. Umweltschutzverbände fordern umweltschonende Produktion. © 2009 Versus Verlag e b pro e s e L 20 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Die Unternehmensleitung muss nun zwischen den verschiedenen Anspruchsgruppeninteressen einen Zielkompromiss finden. Dabei muss die Unternehmensführung in ihrem normativen Findungs- und Entscheidungsprozess beachten, dass die Mitarbeiter unzufrieden reagieren und ihren Unwillen zeigen können, wenn mitarbeiterorientierte Ziele und Anliegen vernachlässigt werden, Entrüstung in der Öffentlichkeit entstehen kann, wenn die ökonomische Zielerfüllung erheblich zu Lasten der ökologischen Zielerfüllung verfolgt wird, oder die Wirtschaftlichkeit sinkt, wenn die mitarbeiterorientierte und ökologische Zielerfüllung in hohem Masse zu Lasten der ökonomischen Zielerfüllung angestrebt wird. Die Unternehmensleitung hat im Rahmen des normativen Managements auf jeden Fall sorgsam abzuwägen, welche Vor- und Nachteile bzw. Folgen mit den jeweiligen Entscheidungen verbunden sind. Diesbezüglich hilfreich für Mitarbeitende und Führungskräfte aller Hierarchiestufen ist es, wenn eine Organisation ihre grundsätzlichen Ziele und Werthaltungen durch die Formulierung klarer Verhaltensgrundsätze (z.B. über ein unternehmensphilosophisches Leitbild) im Umgang mit den einzelnen Anspruchsgruppen schriftlich festhält und sich sodann sämtliche Mitarbeitenden konsequent daran ausrichten. Dabei ist zu beachten, dass es in einer Wettbewerbssituation, in welcher das ökonomische Prinzip den dominierenden Einfluss auf die Überlebensfähigkeit des Unternehmens ausübt, leichter ist, hohe moralisch-ethische Ziele und Grundsätze zu formulieren, als sich im praktischen Alltag danach zu verhalten. Nichtsdestoweniger ist und bleibt dies eine der Hauptzielsetzungen und -verantwortungen des Managements. Leitbild Ebene des strategischen Managements Erhalt bestehender sowie Aufbau zukünftiger Erfolgspotenziale Zu den Arbeiten der normativen Führung gehören auch die Klärung und Formulierung eines Leitbildes (Value Statement). Das Leitbild bildet die Grundlage der Unternehmensführung, indem es den Mitarbeitern die Hauptziele und die Rahmenbedingungen für das gesamte Unternehmensgeschehen aufzeigt. Ein klares Leitbild beantwortet die Frage: «Wer wollen wir sein?» Es ist schriftlicher Ausdruck der Unternehmensidentität (Corporate Identity). Entscheidend ist dabei, dass die Leitbildinhalte nicht nur dokumentiert, sondern von den obersten Führungskräften sichtbar vorgelebt werden. Die Ebene des strategischen Managements setzt sich mit dem Erhalt bestehender sowie dem Aufbau zukünftiger Erfolgspotenziale auseinander, um heute das Unternehmen in einer integrierten und zielorientierten Strategie- und Entwicklungsarbeit auf morgen vorzubereiten. Im Rahmen des strategischen Managements definiert eine Organisation Grundrichtungen und entwickelt Vorgehensweisen, um unter Berücksichtigung der im normativen Management definierten Leitsätze auf den ständigen Innovationsdruck und auf strategische Überraschungen seitens der Konkurrenz wie ein guter Schachspieler aus einer Position der Stärke heraus flexibel und wirksam agieren zu können. Dieses Steuerungsproblem, namentlich der Umgang mit Komplexität und Ungewissheit, kann ganz e b pro e s e L 1.1 Was umfasst Management? 21 ................................................................................................................................................................................................................ Fallbeispiel: Das Leitbild der Migrosbank Als Dienstleistungsunternehmen der Migros-Gemeinschaft sind wir die kompetente, unkomplizierte und zuverlässige Schweizer Bank, die mit Leidenschaft qualitativ gute Bankdienstleistungen zu attraktiven Konditionen erbringt. Wir sind die sympathische Alternative bei der Wahl der geeigneten Bankbeziehung. Unser Verhalten Werte Wir sind freundlich und setzen uns für die Anliegen unserer Kundinnen und Kunden ein. Wir handeln mutig, kreieren Neues und sind verantwortungs- und risikobewusst. Wir begegnen uns respektvoll, fair und mit Menschlichkeit. Wir sind leistungsfreudig und schaffen Werte. Wir handeln und kommunizieren ehrlich. Unser Engagement Kundinnen und Kunden Wir bieten privaten und kommerziellen Kunden die wichtigsten Bankdienstleistungen in guter Qualität zu attraktiven Konditionen an. Vertrauen, Sicherheit und Diskretion sind Schlüsselfaktoren einer guten Kundenbeziehung. Kooperationspartner Wo möglich und für uns vorteilhaft arbeiten wir in Produktion und Vertrieb mit Dritten zusammen. Dabei sind wir ein anspruchsvoller, fairer und verlässlicher Partner. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Als vorbildliche Arbeitgeberin schaffen wir Voraussetzungen für ein motivierendes und leistungsorientiertes Arbeitsklima, das die besten Kräfte anzieht und bindet. Aufgaben, Verantwortung und Entscheidungskompetenz delegieren wir so weit als möglich. Eigentümerin Wir leisten einen positiven, nachhaltigen Beitrag zum Image der Migros-Gemeinschaft und zum finanziellen Ergebnis des Konzerns. Wir verzichten auf kurzfristige und risikoreiche Ergebnismaximierung. Gesellschaft Wir fördern die freie, verantwortliche Entfaltung des Menschen. Wir treten ein für einen marktwirtschaftlich orientierten, fairen Wettbewerb, eine konsumentenfreundliche Politik und einen gesunden Finanzplatz Schweiz. Vision © 2009 Versus Verlag ähnlich wie im Schachspiel nur erfolgsbringend gelöst werden, wenn alle unternehmerischen Kräfte von Anfang an konsequent in den Dienst einer klaren Unternehmensstrategie gestellt werden. Eine klare strategische Vorstellung hatte beispielsweise Bill Gates, der Gründer von Microsoft. Mit seiner Vision «a computer on every desk and in every home» formulierte er Anfang der 1980er Jahre eine einprägsame Leitidee, an der sich alle Mitarbeitenden orientieren konnten. e b pro e s e L 22 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Unter der Lupe: Unternehmensstrategie Mittels der Unternehmensstrategie werden die vier Grundfragen eines Unternehmens beantwortet: 1. Wofür ist das Unternehmen da (Mission)? – Für welche ganz bestimmte Kundengruppe kann das Unternehmen der beste Problemlöser sein? 2. Warum ist das Unternehmen da (Differenzierung)? – Welches ist das einzigartige Erfolgspotenzial des Unternehmens? 3. Wohin will das Unternehmen (Vision)? – Welche qualitativen und quantitativen Ziele will das Unternehmen erreichen? 4. Wie erreicht das Unternehmen die gesetzten Ziele (Umsetzungsstrategie)? – Welcher Aktionsplan führt zur effektiven und effizienten Zielerreichung? Ebene des operativen Managements Aufbau und Ausschöpfung betrieblicher Produktivitätspotenziale Die Ebene des operativen Managements widmet sich der Gestaltung des laufenden betrieblichen Wertschöpfungsprozesses. Ausgangspunkt bzw. -problem ist die grundsätzliche Knappheit aller betriebswirtschaftlichen Ressourcen bzw. der durch die marktwirtschaftliche Konkurrenz ausgeübte Kostendruck (Effizienzproblem). Richtschnur für vernünftiges unternehmerisches Handeln im operativen Management ist das ökonomische Prinzip. Die Qualität bzw. Rationalität des unternehmerischen Denkens und Handelns wird daran gemessen, wie sinnvoll und effizient die begrenzten Mittel zur Zielerreichung eingesetzt werden. Im Mittelpunkt der operativen Managementtätigkeit steht deshalb auch der Aufbau und die Ausschöpfung der betrieblichen Produktivitätspotenziale durch die kosten- und leistungsoptimale Kombination aller erforderlichen Produktionsfaktoren (wie Finanzmittel, Anlagen und Maschinen, Rohstoffe, Betriebsstoffe und Energie, Information und Know-how, menschliche Arbeitsleistung etc.). Die einzelnen Handlungsebenen des Managements sind stets aufeinander bezogen zu sehen und lassen sich in der Praxis kaum trennscharf voneinander unterscheiden. Vielmehr sind die Grenzen zwischen den einzelnen Ebenen im Führungsalltag fliessend. Es handelt sich mit anderen Worten bei den drei Handlungsebenen lediglich um eine gedankliche Gliederung, die bewusst macht, auf welchen Ebenen die verschiedenen Managementaufgaben anzusiedeln sind. Untersuchungen zeigen immer wieder, dass Manager durch die operative Hektik des Tagesgeschäfts strategische und normative Managementaufgaben zugunsten der operativen Managementaufgaben zurückstellen bzw. vernachlässigen, was für den langfristigen Erfolg des Unternehmens fatale Konsequenzen haben kann. Unter der Lupe: Effizienzsteigerung im Wertschöpfungsprozess Pionier wissenschaftlicher Rationalisierung auf der operativen Ebene des industriellen Managements und damit bei der Gestaltung der Betriebs- und Produktionsorganisation ist der amerikanische Ingenieur Frederick W. Taylor mit seinem Werk e b pro e s e L 1.1 Was umfasst Management? 23 ................................................................................................................................................................................................................ «Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung» (The Principles of Scientific Management). Er hat ganz wesentlich zur Entwicklung der Methoden der Massenproduktion beigetragen. Ab 1882 liess Taylor grossangelegte Zeitstudien durchführen, führte Prämienlohnsysteme ein und entwickelte neue, wissenschaftlich begründete detaillierte und standardisierte Arbeits- und Bewegungsabläufe zur Steigerung der Leistung der Arbeiter. Dadurch kam es durch eine rigide Vermessung und Zerlegung der Produktionsprozesse zu einer stark zunehmenden Rationalisierung in der industriellen Massenproduktion. Am konsequentesten realisierte sich der Taylorismus bei Henry Ford, der 1913 die Fliessbandproduktion einführte und mit seinem Modell «Ford T» – «Tin Lizzy» – zeitweise mehr als 50% Marktanteil erreichte, weil er den Preis von anfänglich 1300 Dollar durch konsequente Rationalisierung auf 290 Dollar senken konnte. Unter den Arbeitern herrschte jedoch eine unzufriedene Haltung gegenüber dem Taylorismus, vor allem aufgrund der monotonen Arbeit, die kein eigenständiges Denken mehr abverlangte, sowie auch aufgrund der damit verbundenen Entfremdung vom Gesamtprozess der Produktion (jeder ist nur ein winziges Zahnrad in einem riesigen Mechanismus), der hohen Arbeitsintensität und nicht zuletzt der gesundheitlichen Folgen davon. Schliesslich bekamen auch die Betriebe die Konsequenzen dieser Missstände zu spüren: Die Arbeiter zeigten mangelnde Beteiligung, identifizierten sich weniger mit dem Betrieb und dem Produkt (Qualitätsverluste) und hatten mehr Fehlzeiten (aufgrund der gesundheitlichen Folgen). 1.1.2 Kernaufgaben bzw. -funktionen im Managementprozess Für Ziele sorgen, planen, organisieren, kontrollieren und Mitarbeitende führen sowie entwickeln © 2009 Versus Verlag Die von Führungskräften im normativen, strategischen und operativen Management zu erfüllenden Aufgaben können ein unterschiedliches Profil aufweisen, je nachdem, ob man zum Beispiel im Finanzbereich, im Marketingbereich oder im Personalbereich tätig ist. Die grundlegenden Fragestellungen sind jedoch sehr ähnlich und lassen sich in konzentrierter Form auf einen Fünferkanon von Managementfunktionen reduzieren. Die fünf «klassischen» Soll- bzw. Leitungsaufgaben des Managements stehen nicht separat nebeneinander, sondern in einer bestimmten Ordnung und Abfolge mit vielfältigen Rückkoppelungsprozessen und lassen sich entsprechend in Form eines Führungskreislaufes darstellen ( Abbildung 1-2). Unternehmerisch denkende und handelnde Führungskräfte zeichnen sich dadurch aus, dass sie – unabhängig davon, in welchem Leistungsbereich einer Organisation (Marketing, Forschung und Entwicklung, Produktion und Logistik, Vertrieb, Personal, Finanz- und Rechnungswesen etc.) sie tätig sind – für Ziele sorgen, planen, organisieren, kontrollieren sowie die Mitarbeitenden führen und entwickeln. Dabei handelt es sich bei den äusseren Elementen des Führungskreislaufes in Abbildung 1-2 um die stärker rationalen Aspekte der Unternehmensführung, während das Oval «Führung im engeren Sinne» im Inneren des Führungskreislaufs den stärker psychologisch geprägten Aspekt der Menschen- e b pro e s e L 24 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Planung («planning») Logischer Ausgangspunkt des klassischen Managementprozesses Nachdenken darüber, was erreicht werden soll und wie es am besten zu erreichen ist Festlegung von Zielen, Rahmenrichtlinien, Verfahrensweisen zur Programmrealisierung Steuerung («controlling») Organisation («organizing») Umsetzungsfunktion zur Festhalten der Ergebnisse Vergleich mit den Plandaten Abweichungsanalyse Ausgangspunkt für Neuplanung Planungsrealisierung Zuweisung von Kompetenzen Führung im engeren Sinn («directing») und Weisungsbefugnissen Koordination der Aufgaben Schaffung des Kommunika- tionssystems Personaleinsatz («staffing») Anforderungsgerechte Besetzung von Stellen Sicherstellung und Erhaltung der Humanressourcen Abbildung 1-2 Fünf klassische Managementfunktionen Planung («planning») Grundschema des Führungskreislaufes bzw. Mitarbeiterführung in Organisationen abdeckt. Management umfasst mit anderen Worten gleichermassen die systematische Gestaltung von Organisationen (äusserer Kreis) als auch die psychologisch geschickte Führung von Menschen in Organisationen (innerer Kern des Führungskreislaufs). Managementkompetenz ist eine Querschnittsfunktion und damit die universelle Fähigkeit, die in allen hierarchisch strukturierten Institutionen, seien es Unternehmen, öffentliche Verwaltungen oder Verbände, benötigt wird. Wo immer eine Organisation schlechte Leistungen erbringt, ist mit ihrem Management bzw. Managementsystem etwas nicht in Ordnung. Die fünf klassischen Managementfunktionen können wie folgt beschrieben werden: 1. Planung («planning»): Bei der Planung geht es im Wesentlichen um die Bestimmung der Zielrichtung, die Entfaltung zukünftiger Handlungsoptionen und die optimale Auswahl unter diesen. Ohne Ziel ist bekanntlich jeder Weg e b pro e s e L 1.1 Was umfasst Management? 25 ................................................................................................................................................................................................................ Persönlichkeit: Henry Mintzberg Einer der interessantesten (Quer-)Denker auf dem Gebiet der Managementtheorie ist zweifelsohne Henry Mintzberg. Er hat nicht nur grundlegende Beiträge zum Wesen des Managements geliefert, sondern sich zudem mit der Rolle von Managern in Unternehmen sowie in der Managementausbildung befasst. Das Charakteristische an den wissenschaftlichen Arbeiten von Mintzberg ist, dass er untersuchte, wie Manager arbeiten. Er fand heraus, dass sie selten das taten, was sie eigentlich zu tun glaubten. Es zeigte sich vielmehr, dass die meisten Manager ihre Zeit nicht darauf verwendeten, sich Gedanken über die langfristige Planung zu machen, sondern sozusagen Sklaven des Augenblicks waren, die von einer Aufgabe zur nächsten hetzten, stets von neuen Ablenkungen umgetrieben. Mintzberg identifizierte die wesentlichen Eckpunkte der praktischen Managementtätigkeit. Der durchschnittliche Manager bewältigt ein immenses Arbeitspensum, ohne in seiner Geschwindigkeit nachzulassen, erledigt Aufgaben, die durch Vielfalt, Kürze und Fragmentierung bestimmt sind, konzentriert sich auf Probleme, die aktuell und spezifisch sind sowie ausserhalb der täglichen Routine liegen, bevorzugt die mündliche vor der schriftlichen Kommunikation, agiert in einem Geflecht interner und externer Kontakte und ist starken Zwängen unterworfen, behält aber dennoch eine gewisse Kontrolle über seine Arbeit. Organisation («organizing») Personaleinsatz («staffing») © 2009 Versus Verlag der richtige. Das grundlegende Problem der Planung besteht dabei in der Unvollkommenheit der Informationen und damit in der mangelnden Vorbestimmbarkeit bzw. Vorhersagbarkeit der Ergebnisse. Gleichwohl ist das Festlegen von konkreten und messbaren Zielen, welche aus der Strategie abgeleitet werden, die wichtigste und zentrale Führungsaufgabe. 2. Organisation («organizing»): Die Planung alleine reicht nicht aus, sie muss auch organisatorisch durch geeignete (Geschäfts-)Prozesse und Strukturen umgesetzt werden. Organisation ist dabei kein Selbstzweck, sondern nötig, damit ein Unternehmen reibungslos funktioniert und die Umsetzung der strategischen Ziele sichergestellt ist. Dies erfüllt das Management am besten, wenn die Organisation so einfach wie möglich ist. Hinweise dafür sind zum Beispiel flache Hierarchien, schlanke Strukturen, klare Unterstellungsverhältnisse und genau definierte Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen für jeden. Innerhalb dieser festgelegten Leitplanken ist den Mitarbeitenden sodann ausreichend Freiraum bei der Aufgabenerfüllung zu gewähren. 3. Personaleinsatz («staffing»): Die geschaffenen organisatorischen Stellen müssen mit Personal besetzt werden, welches an der Umsetzung der unternehmerischen Ziele mitwirkt. Dabei kommt der sorgfältigen Personalauswahl und -einsatzplanung eine zentrale Bedeutung zu. Wird eine Stelle falsch be- e b pro e s e L 26 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Führung («directing») Steuerung («controlling») setzt bzw. ein Mitarbeiter mit einer Funktion oder Aufgabe betraut, der er nicht gewachsen ist, wird sowohl die Führungskraft als auch der Mitarbeitende selbst enttäuscht werden. Eine Führungskraft steht deshalb ständig vor der Herausforderung, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihren Kompetenzen richtig einzuschätzen und da einzusetzen, wo sie ihre Stärken haben. Nur dort werden sie gute Leistungen erbringen. 4. Führung («directing»): Durch die Planung, die Organisation und den Personaleinsatz sind die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Geschäftsabwicklung und Leistungserbringung geschaffen. Nun steht die operative Umsetzung und damit das Führungsverhalten im laufenden Tagesgeschäft im Vordergrund. Information, Kommunikation, Motivation, Konfliktmanagement sowie Personal- und Teamentwicklung sind dabei die zentralen Aufgaben einer wirkungsorientierten Mitarbeiterführung. Nur wer bereit und dazu fähig ist, Menschen für die Realisierung von Visionen und Strategien zu begeistern, Potenziale auszuschöpfen und Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen sinnvoll zu delegieren, ist für die Übernahme einer Managementfunktion geeignet. Wer jedoch über keine Leadership- und Führungsqualitäten verfügt, nicht delegieren kann und sich vor unangenehmen, teilweise auch unpopulären Entscheidungen scheut, sollte in einer Organisation keine Führungsverantwortung übernehmen bzw. nicht in eine Führungsfunktion befördert werden. 5. Steuerung («controlling»): Kontrollieren als letzter Schritt im Managementprozess ist zwar keine beliebte, jedoch eine weitere ganz zentrale Führungsaufgabe. Die erreichten Ergebnisse werden mit den Plan- bzw. Solldaten verglichen, Abweichungen analysiert und wenn nötig Korrekturmassnahmen eingeleitet. Dabei spielen in der betrieblichen Praxis monetäre (finanzielle) und nichtmonetäre Kennzahlen in Form von Mess- und Steuerungsgrössen eine bedeutende Rolle. Das Controlling bietet mit den erhobenen Informationen zugleich den Ausgangspunkt für eine Neuplanung. Unter der Lupe: Marketingplanung als klassischer Managementprozess Konzeptionell gesehen handelt es sich beim Marketingplanungsprozess um einen klassischen Managementprozess, der durch ein Planungssystem realisiert wird. Marketingplanung besteht aus einer strukturierten Vorgehensweise, um verschiedene Optionen der Marktbearbeitung für ein Unternehmen zu identifizieren, sie schriftlich festzuhalten, Marketingziele zu formulieren, die mit den Gesamtzielen des Unternehmens übereinstimmen, die einzelnen Aktivitäten mit ihren jeweiligen Kosten zu planen und umzusetzen sowie den Erfolg der einzelnen Marketingmassnahmen laufend zu überprüfen. e b pro e s e L 1.2 Management im Sinne einer systemorientierten Managementlehre 27 ................................................................................................................................................................................................................ Kreislaufsystem der Führung Wer mehr von den fünf Sollaufgaben des Managements versteht und das Kreislaufsystem der Führung besser beherrscht als andere, hat zwar noch keine Garantie für eine erfolgreiche Karriere, aber die besten Voraussetzungen dazu. Erfolg dürfte sich insbesondere dann einstellen, wenn es einer Führungskraft gelingt, diese Kernaufgaben des Managements mit den Grundsätzen und Erfolgslogiken wertorientierter Unternehmensführung zu verknüpfen. Dies bedarf der Fähigkeit von Führungskräften, sich des eigenen Managementverständnisses bewusst zu werden, mit Komplexität und Unsicherheit umzugehen und systemisch bzw. systemorientiert denken zu können. Persönlichkeit: Peter Drucker Peter Drucker wird von vielen Experten als einer der bedeutendsten Managementtheoretiker des 20. Jahrhunderts angesehen. Nach 70 Jahren intensiven Schaffens und mehr als drei Dutzend Büchern, welche Generationen von Managern und Beratern prägte, verstarb er Ende 2005 kurz vor seinem 96. Geburtstag. Es gibt kaum etwas, das Führungskräfte in Unternehmen heute tun, denken oder mit dem sie konfrontiert sind, womit er sich nicht auch schon beschäftigt hätte. Drucker prägte nicht nur zahlreiche Begrifflichkeiten der Managementtheorie, er entwickelte auch bahnbrechende, innovative Konzepte wie etwa das «Management by Objectives», die mittlerweile zum alltäglichen Vokabular im Wirtschaftsleben gehören. Er sah langlebige Trends voraus, oft Jahrzehnte bevor sie zum generellen Thema wurden: Integrität und Corporate Governance (1942), Dezentralisierung (1946), Führen per Zielvereinbarung (1954), Automation (1954) oder das Entstehen der Wissensgesellschaft (1966). Management ist nach Drucker eine in der menschlichen Natur angelegte Disziplin, weil es Menschen sind, die managen, und nicht bloss mechanische Kräfte oder Faktoren. Jede Leistung, die das Management vollbringt, ist zugleich auch die Leistung eines Managers. Jeder Fehlschlag des Managements ist zugleich auch der Fehlschlag eines Managers. Es sind also Visionen, die Hingabe und die Integrität der Manager als Menschen, welche über Erfolg oder Misserfolg im Management entscheiden. 1.2 Management im Sinne einer systemorientierten Managementlehre 1.2 Komplexe unternehmerische Problemstellungen © 2009 Versus Verlag Führungskräfte sehen sich heute oft mit schwierigen Zusammenhängen konfrontiert. Sie haben es sehr oft mit komplexen unternehmerischen Problemstellungen zu tun, in denen vieles mit vielem dynamisch verknüpft ist und zahlreiche Abhängigkeiten und Zielkonflikte bestehen. Erfolgreiche Führungskräfte betrachten deshalb unternehmerische Sachverhalte und komplexe Probleme sinnvollerweise e b pro e s e L 28 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Persönlichkeit: Hans Ulrich Als einer der Pioniere des Systemdenkens in der Betriebswirtschaftslehre gilt der St.Galler Professor Hans Ulrich, der zwischen 1964 und 1972 eine völlig neue Betrachtungsweise in betriebswirtschaftliche Fragestellungen eingeführt hat. Das von ihm entwickelte St. Galler Managementkonzept umfasst eine mehrdimensionale Analyse des Unternehmens durch Führungs-, Organisations- und Entwicklungsmodelle. Hierbei ging es Hans Ulrich einerseits um Systemorientierung und andererseits um den Aufbau eines gedanklichen Ordnungsrasters für sinnvolles Handeln in sozialen Organisationen. Hans Ulrich definierte Management als Führung zweckgerichteter sozialer Systeme, wobei es für ihn zunehmend darauf ankam, gesellschaftlich sinnvolle Entscheidungen zu treffen und zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse beizutragen. Systemdenken Management- und Unternehmensmodelle Grundlegende Orientierungsund Navigationssysteme Gestaltung, Lenkung und Entwicklung von Unternehmen als Systeme, d.h. als aus Komponenten aufgebaute Ganzheiten, die eine innere Ordnung oder Struktur aufweisen und ein bestimmtes äusseres Verhalten zeigen. Besonders hilfreich für ein derartiges Systemdenken ist die Arbeit mit Modellen, welche komplexe unternehmerische Zusammenhänge in ein Gesamtbild und -verständnis integrieren. Dieses Denken in Systemzusammenhängen und Modellen spielt in der modernen Betriebswirtschaftslehre und dabei insbesondere im Rahmen eines ganzheitlich-integrierten, systemorientierten Managementverständnisses eine besondere Rolle. Dabei ist zu beachten, dass Management- und Unternehmensmodelle typischerweise normative Denkmodelle sind, die etwas darüber aussagen, wie ein Unternehmen als komplexes, produktives und soziales System funktioniert und wie Führung im Unternehmen wahrgenommen werden sollte. Unternehmensmodelle vermitteln als grundlegende Orientierungs- und Navigationssysteme Handlungsempfehlungen, wobei sich diese Empfehlungen nicht auf konkrete Einzelheiten oder Detailfragen richten, sondern auf das Grundsätzliche fokussieren. Management- und Unternehmensmodelle, welche wie jedes Modell lediglich eine vereinfachte Abbildung der Realität darstellen, veranschaulichen unterschiedliche Aspekte wie zum Beispiel den organisatorischen Aspekt oder den Informationsfluss des gesamten Unternehmens oder einzelner Führungs- bzw. Leistungsbereiche. Ein Unternehmensmodell beschreibt, wie ein Unternehmen idealerweise gestaltet, gelenkt und entwickelt werden soll, um den Anforderungen gerecht zu werden, die an ein Unternehmen gestellt werden. Dabei ist heutzutage unbestritten, dass kein Management jemals in der Lage sein wird, alle Vorgänge des Unternehmens im Detail zu beherrschen. Keine Führungskraft wird – auch wenn sie dies gerade in jüngeren Jahren nur schwer akzeptieren kann – allzeit Herr ihrer Systeme sein: Eine Führungskraft kann und muss sich aber stets darum bemühen, durchdacht, absichtsvoll und zielorientiert zu handeln sowie die von ihr verantworteten Prozesse nach bestem Wissen und Gewissen zu lenken; sie muss sich aber immer bewusst sein, dass die Folgen des e b pro e s e L 1.2 Management im Sinne einer systemorientierten Managementlehre 29 ................................................................................................................................................................................................................ Handelns aufgrund der Komplexität und Dynamik unternehmerischer Systeme nicht exakt ihren Absichten und Plänen entsprechen. Es gibt in der Unternehmensführung zu viele gegenseitige Abhängigkeiten und nicht kontrollierbare und lenkbare Grössen. Eine erfolgreiche Führungskraft muss mit ihren Entscheidungen die Richtung angeben, die Kräfte der Selbstlenkung und Selbstorganisation begünstigen, den Willen zur Innovation und Entwicklung mobilisieren und möglichst vorausschauend planen und steuern. Unter der Lupe: Das St. Galler Management-Modell Eines der bekanntesten Modelle des systemorientierten Managements im deutschsprachigen Raum ist das (neue) St. Galler Management-Modell. Gesellschaft Natur Technologie Wirtschaft Kapitalgeber Konkurrenz ktu u Str ur lt Ku Managementprozesse Lieferanten eeu Ern ng ru timie Op ung r n re ie teg a Str Kunden Geschäftsprozesse Unterstützungsprozesse Ressourcen Normen und Werte Anliegen und Interessen Staat Mitarbeitende Öffentlichkeit NGOs © 2009 Versus Verlag Prozesse Anspruchsgruppen Ordnungsmomente Umweltsphären Entwicklungsmodi Interaktionsthemen e b pro e s e L 30 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Von vielen Führungskräften wird das St. Galler Management-Modell, welches auf wichtigen Forschungserkenntnissen der Systemtheorie und Kybernetik basiert, als nützliche «Landkarte» zur eigenen Orientierung geschätzt. Es hilft Studierenden, Wissenschaftlern und Führungskräften, Fragestellungen, Herausforderungen, Entscheidungs- und Handlungsfelder im Kontext des Managements systematisch einzuordnen und wichtige Begriffe und Konzepte im Gesamtzusammenhang des systemorientierten Managements zu verstehen. Es lohnt sich deshalb, sich im Hinblick auf ein ganzheitlich-integriertes Managementverständnis etwas ausführlicher mit einem solchen Unternehmensmodell zu beschäftigen. Zur vertieften Auseinandersetzung mit dem St. Galler Management-Modell ist folgende Lektüre empfehlenswert: Rüegg-Stürm, J. (2003). Das neue St. Galler Management-Modell. Grundkategorien einer integrierten Managementlehre. Bern: Haupt. St. Galler Management-Modell 1.2.1 Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder Primäre, marktbezogene Stakeholder Sekundäre, nichtmarktbezogene Stakeholder Zielkonflikte Unternehmensmodellen wie beispielsweise dem St. Galler ManagementModell ist typischerweise eigen, dass sie zwischen einem Insystem mit den dazugehörigen Management-, Leistungserstellungs- und Finanzierungsprozessen sowie einem Umsystem eines Unternehmens unterscheiden, wobei das Umsystem weiter in Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder und Umweltsphären unterteilt wird. Ein Unternehmen ist niemals Selbstzweck, sondern es erbringt seine Wertschöpfungstätigkeit in ständiger Interaktion mit verschiedenen Anspruchsgruppen bzw. Stakeholdern. Die Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder umfassen sämtliche organisierten und nichtorganisierten Gruppen von Menschen, Organisationen und Institutionen, die von den unternehmerischen Entscheidungen und Wertschöpfungsaktivitäten betroffen sind. Primäre, marktbezogene Stakeholder, wie etwa Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber oder Mitarbeitende, beeinflussen den Unternehmenszweck. Zu den sekundären, nichtmarktbezogenen Stakeholdern gehören etwa Staat, Medien, Interessenverbände etc. Diese erheben ebenfalls Ansprüche an das Unternehmen und dessen Management, wenn auch mit unterschiedlichen Einflussmöglichkeiten. Die Öffentlichkeit möchte ein seriöses und sozial verantwortungsvolles Unternehmen, das möglichst keine Umweltverschmutzung verursacht. Der Staat ist an guten Steuerzahlern interessiert und erwartet die Einhaltung der Gesetze. Die Kunden wünschen preiswerte Produkte und eine zuverlässige Versorgung. Die Lieferanten möchten ihrerseits gute Preise erzielen und streben eine möglichst langfristige und partnerschaftliche Geschäftsbeziehung an. Die Mitarbeiter erwarten sichere Arbeitsplätze und gute Löhne. Schliesslich sind da noch die Kapitalgeber, die eine hohe Rendite erzielen wollen. Nicht selten treten dabei – zumindest in der kurzen Frist – erhebliche Zielkonflikte zwischen den Anspruchsgruppen auf, zum Beispiel in Bezug auf die Entlöhnung, die Arbeits- und Anstellungsbedingungen, die getroffenen Um- e b pro e s e L 1.2 Management im Sinne einer systemorientierten Managementlehre 31 ................................................................................................................................................................................................................ weltschutzmassnahmen oder das soziale Engagement. Letztlich versucht jede Anspruchsgruppe, durch eine gezielte Beeinflussung des Unternehmens die eigenen Partikulärinteressen voranzutreiben. Alles in allem ist es keine leichte Aufgabe für ein zukunftsgerichtetes und verantwortungsvolles Management, diesen Anforderungen in ihrer Breite und teilweisen Widersprüchlichkeit gerecht zu werden. Gleichwohl sind die Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse im Unternehmen auf diese Ansprüche zu fokussieren, wobei im Rahmen eines interessenpluralistischen Unternehmensführungsverständnisses die Interessen der Eigentümer ebenso zu beachten sind wie diejenigen der anderen Anspruchsgruppen. Die wertorientierte Unternehmensführung ist entsprechend im Rahmen ihrer Entwicklungstätigkeit immer wieder herausgefordert, Sachlagen zu interpretieren und mit Sinn auszukleiden sowie die Abstimmung von Erwartungen und Leistungen mit den einzelnen Anspruchsgruppen zu bewerkstelligen. Abbildung 1-3 zeigt die wichtigsten Stakeholder mit ihren zentralen Ansprüchen auf. Anspruchsgruppen Interessenlage Verwaltungsrat (bei AG) und Management Erfolgsbeteiligung; Einkommensmaximierung; Streben nach Macht, Ansehen und Selbstverwirklichung; Arbeitsplatzsicherheit; Bestimmung der Unternehmenspolitik. Aktionäre Risikogerechte Verzinsung der investierten Mittel (Kapitalertrag und -zuwachs); Sicherheit der Kapitalanlage; Hilfe bei Anlageentscheidungen (Risiko-Rendite-Profil); Überwachung des Managements (Agency-Problematik); Einflussnahme auf die Unternehmenspolitik. Mitarbeitende Arbeitsplatzsicherheit und -zufriedenheit; leistungsgerechte Entlohnung; Erfolgsbeteiligung; Mitsprache bei der Unternehmenspolitik; Streben nach Anerkennung, Einfluss und Selbstverwirklichung; Aus- und Weiterbildung. Banken Risikogerechte Verzinsung und Rückzahlung der investierten Mittel; Bonitätsprüfung; Überwachung der Kreditbedingungen und Sicherheiten; Informationen über Mittelbedarf und -verwendung sowie eingegangene Risiken. Kunden und Lieferanten Informationen über Produkteigenschaften, Produktqualitäten, Sortiment und Preise; Lieferund Servicesicherheit; Investitionsschutz; faire Abnahmebedingungen; Zahlungsfähigkeit; langfristige Kooperation. Allgemeine Öffentlichkeit Ökonomische, ökologische und soziale Auswirkungen der Unternehmenspolitik; regionale Verankerung; Sponsoring. Finanzanalytiker und Medien Informationen über Geschäftsentwicklung und Zukunftsaussichten; Branchenvergleich; Bonitätsprüfung; Detailangaben zu Finanztransaktionen; Kommentierung der Unternehmenspolitik; Geschichten mit News-Effekten. Staatliche Behörden Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen; Einhaltung der Gesetze; Ermittlung und Gewährleistung der Steuerbasis. Abbildung 1-3 © 2009 Versus Verlag Die wichtigsten Anspruchsgruppen und ihre Interessen (Quelle: Hail 2001) e b pro e s e L 32 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Spannungsfeld Die einzelnen Gruppierungen haben nicht nur Einfluss auf das betroffene Unternehmen, sie stehen oft auch zueinander in einer konfliktären Beziehung (z.B. Eigenkapitalgeber versus Umweltschutzgruppen). Für ein Unternehmen und sein Management bedeutet dies, sich mit den unterschiedlichsten Ansprüchen sowie den konträren Interessenlagen auseinander setzen zu müssen. Allein von daher befinden sich Unternehmen immer in einem facettenreichen Spannungsfeld, im welchem sich ein erfolgreiches Managementteam dadurch auszeichnet, dass es in der Lage ist, sich in diesem anspruchsvollen Anspruchsgruppengefüge und den verschiedenen Arenen zurechtzufinden ( Abbildung 1-4). Finanz-Arena Markt-Arena Konkurrenz Kapitalgeber com rel pet ati ito on r s Lieferanten or est ns inv latio re supplier relations cal liti s po lation re customer relations public relations Staat Markt-Arena p rel eopl ati e on s Mitarbeitende Öffentliche Arena Abbildung 1-4 Kunden Öffentlichkeit NGOs Interne Arena Die Beziehung des Unternehmens zu seinen Anspruchsgruppen (Quelle: Wilbers 2004) e b pro e s e L 1.2 Management im Sinne einer systemorientierten Managementlehre 33 ................................................................................................................................................................................................................ Fallbeispiel: Brent Spar Das Unterschätzen oder Nichtberücksichtigen der Interessen bestimmter Anspruchsgruppen kann ein Unternehmen in eine schwierige Situation bringen. Ein klassisches Beispiel dafür sind die Schwierigkeiten, welche auf Royal Dutch/Shell im Jahre 1995 zukamen, weil sie die Versenkung der überflüssig gewordenen Ölplattform Brent Spar in der Nordsee planten. Dieses Entsorgungsvorhaben hatte man mit der Regierung im Detail durchdacht und abgestimmt. Doch Aktivisten der Umweltschutzorganisation Greenpeace besetzten die Ölplattform, da sie behaupteten, dass sie noch mindestens 5000 Tonnen Öl enthielte, die das Meer stark verschmutzen würden. Durch eine professionelle Öffentlichkeitsarbeit von Greenpeace stellte sich in kurzer Zeit ein Grossteil der Bevölkerung gegen Shell und in zahlreichen europäischen Ländern kam es zu Protesten und Boykotten von ShellTankstellen. Obwohl unabhängige Inspektoren später bestätigten, dass die Faktenlage der Greenpeace-Vorwürfe nicht gegeben war, da das verbleibende Öl tatsächlich deutlich weniger als die genannten 5000 Tonnen war, gab Shell nach, schleppte die Bohrinsel in einen norwegischen Fjord und demontierte sie dort. Die Festlegung des Umgangs mit den einzelnen Anspruchsgruppen und deren Interessenberücksichtigung bei unternehmerischen Entscheidungen ist Teil des normativen Managements. Wertsteigerung wird auf dieser normativen Grundlage durch zielführende strategische Entscheidungen und durch deren Umsetzen auf operativer Ebene bewirkt (1.1.1 «Handlungsebenen des Managements»). Eine wert- oder ethikfreie Unternehmensführung ist dabei nicht möglich, weil das Management bei all seinen strategischen und operativen Entscheidungen immer mehr oder weniger bewusst eine bestimmte normative Position gegenüber den einzelnen Stakeholdern einnimmt. 1.2.2 Umweltsphären Beobachtung der Konkurrenz und des wirtschaftlichen bzw. ökonomischen Umfelds Technologische, gesellschaftliche und ökologische Aspekte sowie rechtliche und politische Entwicklungen © 2009 Versus Verlag Im Zusammenhang mit der an langfristigen Werten orientierten Unternehmensführung wird im Allgemeinen als Grundprinzip und Richtschnur für rationales Handeln das ökonomische Prinzip herausgestellt. Das ökonomische Prinzip (auch als Effizienzpostulat bekannt) beschreibt den Koordinationsmechanismus, nach dem in der Unternehmensführung versucht wird, mit begrenzten Mitteln (Input) einen möglichst grossen Output zu erreichen. In einer Marktwirtschaft, in der die Gewinnerzielung bzw. der Unternehmenserfolg den dominierenden Einfluss auf die Wettbewerbs- und Überlebensfähigkeit des Unternehmens ausübt, kommt entsprechend der Beobachtung der Konkurrenz und des wirtschaftlichen bzw. ökonomischen Umfelds eine besondere Bedeutung zu. Neben dieser wirtschaftlichen Dimension der Unternehmensführung sind aber auch technologische, gesellschaftliche und ökologische Aspekte sowie rechtliche und politische (soziale) Entwicklungen laufend in die Beobachtung miteinzubeziehen, um lang- e b pro e s e L 34 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Abbildung 1-5 Umweltsphären Beobachtungsbereiche Ökonomische (wirtschaftliche) Umwelt Sie betrifft die (volks-)wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für ein Unternehmen (Entwicklung der Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Teuerung, Wirtschaftsbeziehungen zum Ausland etc.). Technologische Umwelt Sie umfasst alles, was in den Bereich Technik und Naturwissenschaften fällt (Produktionsverfahren, Materialien, Transport- und Kommunikationsmittel etc.). Soziale Umwelt Sie betrifft den Menschen mit seinen Wünschen und Vorstellungen (politische und gesellschaftliche Trends, Wohlbefinden der einzelnen Menschen etc.). Ökologische Umwelt Sie betrifft den Gesamthaushalt der Natur (Rohstoffe, Energie, Klima, Abfälle etc.). Umweltsphären eines Unternehmens fristig wettbewerbsfähig zu bleiben ( Abbildung 1-5). Dabei genügt jedoch in einem systemorientierten Managementverständnis eine rein additive Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte nicht. Es gilt vielmehr, diese zu einem kohärenten Gesamtbild zu integrieren. Ganzheitliches unternehmerisches Denken und Handeln verpflichtet das Management dazu, alle in Abbildung 1-5 beschriebenen Umweltsphären und deren Veränderungen laufend sorgfältig zu beobachten, um darauf aufbauend die Ziele des Unternehmens unter Berücksichtigung der Gegebenheiten des Unternehmens (Betriebsgrösse, verfügbare finanzielle und personelle Mittel etc.) festzulegen. Sind die Ziele definiert, so sind die Mittel und Verfahren zu bestimmen, die zur Zielerreichung nötig und geeignet sind. Die Entscheidungen darüber bestimmen schliesslich das konkrete Verhalten des Unternehmens, das seinerseits wiederum Rückwirkungen auf die Umweltsphären sowie die Gegebenheiten des Unternehmens hat und zu neuen Anpassungen der Ziele, der Mittel und der Verfahren zwingen kann. 1.2.3 Rahmenmodell des unternehmerischen Denkens und Handelns Zusammenhänge für den langfristigen Erfolg Auch im vorliegenden Lehrbuch spielt die unternehmerische Orientierung an Anspruchsgruppen und Umweltsphären eine zentrale Rolle. Diese ist allerdings nicht Fokus des übergreifenden Rahmenmodells. Stattdessen lautet die übergeordnete betriebswirtschaftliche Fragestellung in den einzelnen Kapiteln stets wie folgt: «Welche Zusammenhänge bestehen für den langfristigen Erfolg eines wertorientiert geführten Unternehmens?» Damit wird die zentrale Ausrichtung des Buches deutlich: Ausgangspunkt bildet der Ansatz des wertorientierten e b pro e s e L Finanzwirtschaftliche Perspektive Die Erzielung von Cashflows und Gewinnen ist davon abhängig, wie zufrieden die Kunden mit den angebotenen Produkten bzw. Dienstleistungen sind. Eine gute Strategie generiert hohe Cashflows und damit auch hohe Gewinne. Klare strategische Ausrichtung Kundenperspektive ve Ge rw wi en nn du ng 1.2 Management im Sinne einer systemorientierten Managementlehre 35 ................................................................................................................................................................................................................ Die Zufriedenheit der Kunden wird unternehmensintern durch schlanke, kundenorientierte Geschäftsprozesse sichergestellt. Ausschüttung (z.B. an Eigentümer) Ausschüttung an Mitarbeitende Mitarbeiterperspektive Die Umsetzung schlanker, kundenorientierter Geschäftsprozesse wird getragen von leistungsfähigen und motivierten Mitarbeitenden. Prozessperspektive Abbildung 1-6 Nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes Strategie-, Finanz-, Kunden-, Prozess- und Mitarbeiterperspektive Management-Cockpit © 2009 Versus Verlag Rahmenmodell des unternehmerischen Denkens und Handelns Managements, welches auf die nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes abzielt (2.1 «Wertorientiertes Management»). Damit verbunden ist der Grundgedanke einer konsequenten Ausrichtung der Unternehmensführung an den vorhandenen oder noch zu schaffenden Werten bzw. Nutzenpotenzialen eines Unternehmens. Die Sichtweisen, unter welchen die gestellte Ausgangsfrage in den weiteren Kapiteln beleuchtet wird, sind die Strategie-, Finanz-, Kunden-, Prozess- und Mitarbeiterperspektive. Der Grundzusammenhang zwischen den einzelnen Perspektiven lässt sich wie in Abbildung 1-6 dargestellt formulieren. Die Kapitel 2 bis 6 gehen ausführlich auf die einzelnen Perspektiven des system- und wertorientierten Rahmenmodells ein. Kapitel 7 integriert sodann die Strategie-, Finanz-, Kunden-, Prozess- und Mitarbeiterperspektive und die damit verbundene Erfolgslogik des unternehmerischen Denkens und Handelns zu einem Management-Cockpit für Führungskräfte. e b pro e s e L 36 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ 1.3 1.3 Zentrale Managementmethoden Bei der Erfüllung der vielfältigen Managementaufgaben müssen von Führungskräften aller Stufen weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Entscheiden ist eine der wichtigen, kritischen und immer wieder auch schwierigen Aufgaben von Führungskräften. Nicht selten wird deshalb Management mit der systematischen und weitsichtigen Abwicklung von Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen gleichgesetzt. 1.3.1 Problemlösungs- und Entscheidungsprozesse im Management Idealtypischerweise läuft ein Problemlösungs- und Entscheidungsprozess in fünf Phasen ab ( Abbildung 1-7). Wertvorstellungen: Einstellungen Erwartungen 1. Problemdefinition und -analyse 2. Erarbeitung von Alternativen Relevante Informationen: definieren sammeln verarbeiten 3. Bewertung von Alternativen und Entscheidung 4. Durchsetzung der gewählten Alternative Tatsachen: Daten, Fakten, Prognosen Abbildung 1-7 1.3.1.1 Problemdefinition und -analyse Gründliche Abklärung 5. Kontrolle der Zielerreichung Der idealtypische Ablauf eines Problemlösungs- und Entscheidungsprozesses Für die Qualität einer zu treffenden Entscheidung ist es von zentraler Bedeutung, dass ein Entscheidungsproblem zunächst einmal richtig erkannt, analysiert und definiert wird. Der erste Schritt jedes Entscheidungsprozesses muss deshalb die gründliche und umfassende Bestimmung des wirklichen Problems sein. Dabei darf sich eine Führungskraft weder mit Symptomen noch mit Meinungen zufrieden geben, sondern sie muss in der Phase der Problemanalyse zu den Tatsachen und Ursachen hinter Symptomen und Meinungen vorstossen und die Dinge sehr gründlich abklären. «Worum geht es hier wirklich?» muss die leitende Frage sein, und für ihre Beantwortung sollte man sich ausreichend Zeit nehmen. e b pro e s e L 1.3 Zentrale Managementmethoden 37 ................................................................................................................................................................................................................ Bestimmung und Formulierung der zu erreichenden Ziele 1.3.1.2 Erarbeitung von Alternativen Kreatives Denken 1.3.1.3 Bewertung von Alternativen und Entscheidung Nutzwertanalyse © 2009 Versus Verlag Ausgehend von einem falsch verstandenen Problem kann man nie zu einer richtigen Lösung kommen. Wenn das Problem aber richtig verstanden ist, dann können zwar in den Lösungen noch Fehlüberlegungen enthalten sein, aber man kann diese in der Regel verhältnismässig leicht und schnell finden und korrigieren. Jede Minute aufgewendete Zeit für die Problemdefinition und -analyse ist deshalb meist gut investiert und kommt einer Führungskraft in den späteren Phasen des Problemlösungs- und Entscheidungsprozesses zugute. Ist das Problem einmal sauber definiert und analysiert, ist die Bestimmung und Formulierung der zu erreichenden Ziele notwendig. Gleichzeitig ist so präzise wie möglich herauszuarbeiten, welche Anforderungen eine Entscheidung erfüllen muss. Wichtig ist dabei, dass man sich nicht am Maximum der zu erfüllenden Anforderungen orientiert, sondern sich auf die Minimalanforderungen und damit auf die Erfüllung des minimalen Zielzustandes ausrichtet, getreu dem Motto: «Wenn durch die Entscheidung nicht einmal das angestrebte Zielminimum erreicht werden kann, dann treffen wir sie lieber gar nicht.» In der zweiten Phase geht es um die Erarbeitung von alternativen Möglichkeiten zur Zielerreichung unter Beachtung der gegebenen Rahmenbedingungen. Kreatives Denken kann in dieser Phase wesentlich zu einer guten Problemlösung beitragen. Bei der Suche nach Alternativen machen Führungskräfte immer wieder zwei typische Fehler: Erstens begnügen sie sich gern mit den anfänglichen Alternativen, die ohne allzu grosse Anstrengungen gefunden werden. Und zweitens klammern sie oft die Nullvariante, sprich den Status quo, als Alternative aus. Der Status quo, die aktuelle Situation, ist aber auch eine Alternative, auch wenn sie natürlich selten die beste ist. Sie hat jedoch einen grossen Vorteil: Man kennt bereits die Schwierigkeiten. Eine neue Alternative hingegen mag den Eindruck erwecken, als würde sie alle Schwierigkeiten beseitigen. Sie tut dies vielleicht sogar, aber selbstverständlich muss man immer davon ausgehen, dass sie ihrerseits neue Schwierigkeiten und Probleme hervorrufen wird. Schwierigkeiten, die sich meist erst in der Realisierungsphase zeigen. Es lohnt sich deshalb immer, Alternativen daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht zu einer Verschlimmbesserung führen. Die dritte Phase im Problemlösungs- und Entscheidungsprozess ist wiederum ein arbeitsintensiver Schritt. Es gilt, die verschiedenen Handlungsalternativen beispielsweise mit Hilfe einer Nutzwertanalyse in Bezug auf Wirtschaftlichkeit, Zeitverhältnisse und anderer, subjektiver Kriterien zu beurteilen und die Folgen und Risiken jeder Alternative abzuwägen. Abbildung 1-8 zeigt eine Nutzwertanalyse zur strategischen Bewertung von Teilmärkten eines Unternehmens in der Informatikbranche. e b pro e s e L 38 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Unter der Lupe: Nutzwertanalyse Die Nutzwertanalyse ist ein systematisches Verfahren zur Bewertung von Lösungsalternativen. Die Durchführung einer Nutzwertanalyse umfasst folgende vier Arbeitsschritte: 1. Zielbestimmung und Zielgewichtung Zunächst muss ein Zielsystem mit den relevanten Beurteilungskriterien aufgestellt werden. Dazu werden Oberziele und dazugehörige Unterziele definiert und ihre Wichtigkeit in Relation zur Aufgabenstellung mittels Gewichtungsfaktoren bestimmt. 2. Bestimmung und Beschreibung der Lösungsalternativen In einem zweiten Schritt erfolgt die Bestimmung der denkbaren Lösungsalternativen. Anschliessend wird jede Lösungsalternative unter Beachtung der aufgestellten Beurteilungskriterien beschrieben. 3. Bewertung der Lösungsalternativen Im dritten Schritt werden die beschriebenen Lösungsalternativen hinsichtlich der Beurteilungskriterien beurteilt, d.h. es werden für jede Lösung entlang der Kriterien je nach Erfüllungsgrad Punktwerte verteilt (in der Regel mittels einer Skala von 5 oder 6 Punkten). Jede alternativ zur Wahl stehende Lösung wird jetzt anhand der festgelegten Beurteilungskriterien bewertet. Da eine derartige Bewertung nicht immer ganz einfach ist, kann jeweils eine pessimistische, eine bestmöglich mittlere sowie eine optimistische Bewertung vorgenommen werden (d.h. es werden unterschiedliche Einschätzungen simuliert). Auf diese Weise ist es möglich, den Bereich, in dem die Nutzwerte liegen können, abzugrenzen und so einen Einblick in das Entscheidungsrisiko zu erhalten. 4. Nutzwerte und Rangfolgenbildung Für die Nutzwerte und Rangfolgenbildung im vierten Schritt werden die Punkte mit den Gewichtungsfaktoren der Kriterien multipliziert und diese gewichteten Teilnutzwerte über alle Kriterien zum Nutzwert der jeweiligen Lösungsalternative summiert. Die Lösung mit dem höchsten Nutzwert erfüllt die Kriterien am besten. Die Nutzwertanalyse erlaubt durch die Punktbewertung einen direkten Vergleich der Lösungen entlang relevanter Kriterien. Allerdings sind die ermittelten Nutzwerte durch die Gewichtungen und Punktzuordnungen mit einem hohen Mass an Subjektivität verbunden. Wichtig ist deshalb, dass das Entscheidungsinstrument reflektiert und nicht schematisch eingesetzt wird. Entscheidung Nachdem man die verschiedenen Lösungsalternativen einander gegenübergestellt und systematisch, gründlich und sorgfältig durchdacht hat, muss man entscheiden. Man trifft eine Entscheidung jedoch nicht aufgrund einer mathematisch geordneten Rangliste von Alternativen, sondern weil man das Problem sauber definiert und die Alternativen und die Folgen gewissenhaft durchdacht und daraus eine klare Vorstellung von der Problemlösung entwickelt hat. Auch hier werden jedoch in der praktischen Umsetzung häufige und folgenschwere Fehler gemacht. Es gibt den Typ Manager, der sich schwer mit Entscheidungen e b pro e s e L Kriterien Gewicht 1.3 Zentrale Managementmethoden 39 ................................................................................................................................................................................................................ Potenzial 6 Anteil am Umsatz 2 Konkurrenz 3 Begründung Für Zukunft ausschlaggebend Teilmarkt 1 Teilmarkt 2 Teilmarkt 3 Teilmarkt 4 Teilmarkt 5 Internet Hardware, Beratung, Verkauf Service, Wartung, Support Netzwerke allgemein Netzwerke Schulen Shop, Verkauf Hosting, Design, E-Commerce Bew. Total 6 36 wachsender Markt Steht nicht im Vordergrund 8 16 Hauptgeschäft Stark umkämpfte Branche 2 6 enorm, v.a. Discounter Marktbearbeitung 1 Infrastruktur 4 Bedürfniskonformität 5 Nur für einen Discounter vordergründig Ressourcenintensität für Kleinbetriebe wichtig Für Erfolg von grösster Wichtigkeit Total Abbildung 1-8 4 4 Compaq-Partner, Passivität wird geschätzt 6 24 geringe Investitionen nötig 8 40 was gewünscht wird, Markenartikel 126 Bew. Total 6 36 wachsender Markt 4 8 zu wenig forciert, Synergien zu wenig genutzt 6 18 Konkurrenz vorhanden, Kundenbindung nutzen 6 6 Bew. Total 8 48 stark wachsender Markt 6 12 gut positioniert 4 12 hoch, viele Anbieter 4 4 wenig aufwendig, schwierig, KundenbezieReferenzen nötig hung nutzbar 4 16 Ausbildungslevel hoch und teuer 6 30 individuell 114 4 16 Ausbildungsbedarf hoch 8 40 hoch, da individuell 132 Bew. Total 8 48 kaum erschlossener Markt 6 12 gut, aber ausbaufähig 6 18 gering, da Nische 4 4 schwierig, da oft Offert- und Evaluationsverfahren 4 16 Bereitschaft und Ausbildung auf hohem Niveau nötig 8 40 Bew. Total 6 36 wachsender Markt 2 4 zu wenig genutzt 2 6 extrem starke Konkurrenz 2 2 extrem schwierig (Discounter) 2 8 Ladenmiete, Lager, Verkaufspersonal 6 30 Bew. Total 8 48 stark wachsender Markt 2 4 keine Bearbeitung bisher 2 6 sehr stark, viele Anbieter 4 4 schwierig, v.a. ohne Referenzen 2 8 extrem kapital-, knowhow- und personalintensiv 6 30 hoch, da individuell und eigene Software hoch, Markenprodukte verschiedener Hersteller relativ hoch, aufgrund Flexibilität der Mitarbeiter und Grösse Betrieb 138 86 100 Nutzwertanalyse zur strategischen Bewertung von Teilmärkten in der Informatikbranche tut und diese immer wieder hinausschiebt, bis es zu spät ist. Keine Entscheidung ist aber auch eine Entscheidung: Es passiert nichts und alles bleibt beim alten. Das kann fatale Folgen haben. Mangelnde Entschlusskraft ist eine der gefährlichsten Eigenschaften schwacher Führungskräfte. Das andere Extrem sind Führungskräfte, die zu viele, zu schnelle und unüberlegte Entscheidungen treffen. Solche Führungskräfte sind gut beraten, wenn sie sich jeweils als Faustregel beim Fällen weitreichender Entscheidungen dazu verpflichten, «noch einmal darüber zu schlafen». © 2009 Versus Verlag e b pro e s e L 40 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Unter der Lupe: Der soziale und psychologische Faktor im Management An den meisten Management- sowie Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen sind mehrere Menschen in unterschiedlichen Rollen beteiligt. Entsprechend ist zum Beispiel bereits der Zielbildungsprozess ganz zu Beginn eines Problemlösungs- und Entscheidungsprozesses als eine Folge von Verhandlungsprozessen zu verstehen, in den die einzelnen Teammitglieder ihre unterschiedlichen Interessen einbringen. Als Folge davon sind Entscheidungen das Resultat äusserst verwickelter, auf mehreren Ebenen ausgetragener politischer Prozesse (Spiele), an denen verschiedene Interessengruppen mit unterschiedlichen Zielen teilnehmen. Zudem sind Entscheidungen stark von Machtverhältnissen in der Organisation abhängig. Damit spielen natürlich in allen Problemlösungs- und Entscheidungsprozessen psychologische Aspekte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Kaum eine Entscheidung wird von Führungskräften streng rational gefällt. In jede Entscheidung fliessen auch persönliche Werthaltungen, subjektive Einstellungen etc. ein. 1.3.1.4 Durchsetzung der gewählten Alternative Aktionsplan Projektmanagement 1.3.1.5 Kontrolle der Zielerreichung Häufig werden Entscheidungen getroffen, aber dann nicht oder nur mangelhaft umgesetzt. Mit der Entscheidung allein ist es nicht getan, erst deren Realisierung bewirkt potenziell die Zielerfüllung. Gute Manager machen sich über die Realisierung bereits beim Entscheiden Gedanken und wägen ab, ob die allfällige Entscheidung überhaupt realisierbar ist. Zudem legen sie in einem Aktionsplan schriftlich fest, welche kritischen Massnahmen von wem und bis wann für die Realisierung des Entschlusses durchzuführen sind. Dies ist Chefsache und wird von einer guten Führungskraft nicht an nachgelagerte Organisationsebenen und untergebene Stellen delegiert. Diesen überlässt man die Detaillierung und den Feinschliff, nicht aber das Grundsätzliche und die Formulierung von «Milestones» im Projektmanagement. Ist einmal eine Entscheidung getroffen und sind die Massnahmen eingeleitet, darf man diese nicht mehr aus den Augen verlieren. Erfolgreiche Führungskräfte gehen der Umsetzung von Beschlüssen und Aufträgen ständig nach bzw. lassen sich in regelmässigen Abständen über die Realisierungsfortschritte und -schwierigkeiten berichten und informieren von Zeit zu Zeit alle Betroffenen und Beteiligten über den Stand der Dinge. Sinnvollerweise erfolgt deshalb die Kontrolle bereits in der Durchführungsphase und umfasst sowohl die Entwicklung der relevanten Rahmenbedingungen (die sich im Verlaufe eines Problemlösungsund Entscheidungsprozesses durchaus ändern und damit zu einer veränderten Ausgangslage führen können) als auch die Zielerreichung selbst. Damit wird die Zielerreichung auch bei geänderten bzw. bei ursprünglich falsch eingeschätzten Rahmenbedingungen rechtzeitig sichergestellt. e b pro e s e L 1.3 Zentrale Managementmethoden 41 ................................................................................................................................................................................................................ 1.3.2 Vernetztes Denken im Management Schlecht strukturierte, komplexe Problemstellungen hoch Vernetztes Denken Neben einer Vielzahl einfacher, strukturierter Probleme, die sich mittels Intuition und herkömmlicher Problemlösungsansätze gut strukturiert und verhältnismässig rasch lösen lassen, stehen Führungskräfte oft vor schlecht strukturierten, komplexen Problemstellungen ( Abbildung 1-9), die sich durch eine Vielzahl von Abhängigkeiten und Verknüpfungen auszeichnen und in ihrer Vernetztheit eine (Eigen-)Dynamik aufweisen, die nur beschränkt kontrollierbar ist. Komplexe Problemstellungen mit typischerweise mehreren, konkurrierenden Zielkriterien bzw. Einflussfaktoren und hoher (Eigen-)Dynamik lassen sich in der Regel nicht in Form eines einmaligen Durchgangs durch ein lineares Planungsschema bewältigen, sondern erfordern oft ein wiederholtes Zurückkommen auf vorangegangene Phasen. Zudem kommt im Umgang mit komplexen Problemen der sorgfältigen Problemdefinition und -analyse in Kombination mit vernetztem Denken eine noch stärkere Bedeutung zu. Denn Abhängigkeiten und Verknüpfungen zwischen den einzelnen Einflussfaktoren lassen sich nur über ein vernetztes Denken erfassen. Ein komplexes Problem zu lösen und damit handlungsfähig zu bleiben heisst, die Erkenntnisse mehrerer Disziplinen zu verwenden und möglichst viele Experten in die Problemlösung miteinzubeziehen. In diesem Sinne heisst vernetzt denken auch, in grösseren Zusammenhängen zu denken und auch andere Perspektiven im Problemlösungsprozess zu berücksichtigen und damit ein enges, disziplinäres Fachdenken zu überwinden. Werden hingegen komplexe Probleme mit unzulänglichen Mitteln angegangen, so treten oft Denkfehler auf, die zu schwerwiegenden Fehlentscheidungen führen können ( Abbildung 1-10). Dynamik/Interaktion komplexe Probleme komplizierte Probleme niedrig einfache Probleme wenige Abbildung 1-9 © 2009 Versus Verlag Anzahl Einflussfaktoren Die Komplexität einer Problemsituation (Quelle: Gomez/Probst 1999) viele e b pro e s e L 42 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Denkfehler bei linearem Lösen komplexer Probleme Grundregeln beim vernetzten Denken und systemischen Problemlösen 1. Denkfehler: Probleme sind objektiv vorhanden und müssen nur klar formuliert werden. Öffnung des Blickwinkels: Die Situation ist aus verschiedenen Blickwinkeln zu definieren und in einen ganzheitlichen Zusammenhang zu bringen. 2. Denkfehler: Jedes Problem hat eine Ursache (lineares Denken). Verständnis für Zusammenhänge und Vernetzungen: Zwischen den Elementen einer Problemsituation sind die Beziehungen zu erfassen und in ihrer Wirkung zu analysieren. 3. Denkfehler: Jedes Problem lässt sich aus der vorhandenen Ist-Situation verstehen. Verständnis für (Eigen-)Dynamik: Die Beziehungen und ihre Bedeutungen sind in einem Netzwerk zu erfassen. 4. Denkfehler: Verhalten ist bei ausreichender Informationsbasis prognostizierbar. Verständnis für Zeit und Verhaltensmöglichkeiten: Es sind künftige und alternative Entwicklungspfade zu erarbeiten und in ihren Möglichkeiten zu simulieren. 5. Denkfehler: Die Beherrschung von Problemsituationen ist eine Frage des Aufwandes und «Macher» setzen jede Lösung durch. Bereitschaft, Ungewissheit zu ertragen und Lenkungsmöglichkeiten zu nutzen: Entsprechend systematischer Regeln sind Lenkungseingriffe so zu bestimmen, dass situationsgerecht und mit optimalem Wirkungsgrad eingegriffen werden kann. 6. Denkfehler: Mit der Einführung einer Lösung kann das Problem als erledigt betrachtet werden. Offenheit und Bereitschaft für Weiterentwicklungen: Veränderungen in einer Situation sind in Form lernfähiger Lösungen vorzunehmen. Abbildung 1-10 Methodik des vernetzten Denkens Typische Denkfehler im Umgang mit komplexen Problemen (Quelle: Ulrich/Probst 1995) Damit nun ganzheitliches Denken nicht zu einem Schlagwort verkommt und Führungskräfte tatsächlich zu vernetztem Denken fähig sind, bedarf es der vertieften Kenntnis der bewährten Methodik des vernetzten Denkens, die das Denken aus unterschiedlichen Perspektiven und Standpunkten ermöglicht und komplexe Zusammenhänge sowie Dynamik beschreiben lässt. Mit dieser Vorgehensweise, die auch in den folgenden Kapiteln zum Verständnis der grundlegenden betriebswirtschaftlichen Zusammenhänge und zur Darstellung zentraler betriebswirtschaftlicher Erfolgslogiken angewendet wird, können Abhängigkeiten der einzelnen Problemelemente, ihre Wirkrichtung und deren Zeitverläufe abgebildet werden. Sie ist mit ihren Prozessschritten in Abbildung 1-11 dargestellt. e b pro e s e L 1.3 Zentrale Managementmethoden 43 ................................................................................................................................................................................................................ 1. Sichtweisen identifizieren Review 6. Aktionen ableiten 2. Schlüsselfaktoren herleiten Komplexe Problemstellung 3. Ersten Kreislauf erstellen 5. Netzwerk interpretieren 4. Netzwerk entwickeln Abbildung 1-11 Sechs Schritte 1.3.2.1 Problem abgrenzen und Sichtweisen identifizieren Wirklichkeit erfassen und charakterisieren © 2009 Versus Verlag Die Vorgehensweise der Methodik des vernetzten Denkens (Honegger 1993, in Anlehnung an Gomez/Probst 1987) Die sechs Schritte der Methodik des vernetzten Denkens werden im Folgenden in linearer Weise umschrieben. Sie sind jedoch als iterativer und in sich selbst vernetzter Prozess zu verstehen. Vernetztes Denken bedeutet zunächst, die Wirklichkeit aus unterschiedlichen Standpunkten zu erfassen und zu charakterisieren (2.4.1.1 «Stakeholderanalyse und Analyse strategischer Gruppen»), um so eine ganzheitliche Sicht auf ein Problem zu erreichen. Systemisch und vernetzt denkende Führungskräfte fragen sich deshalb bei der Analyse komplexer betriebswirtschaftlicher Problemstellungen zunächst immer, (a) mit welchem System sie es zu tun haben, (b) in welches grössere System dieses eingegliedert ist, (c) aus welchen Komponenten das System aufgebaut ist und (d) welche Beziehungen zwischen diesen Komponenten bestehen. Aus dieser systemischen, organischen Sichtweise und der ganzheitlichen Beantwortung dieser Kernfragen bei der Bearbeitung komplexer unternehmerischer Problemstellungen ergeben sich zum Teil völlig neue Einsichten in die Unternehmensführung als diejenigen, die aus einer mechanistischen Betrachtungsweise abgeleitet werden können. e b pro e s e L 44 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ 1.3.2.2 Schlüssel- bzw. Erfolgsfaktoren herleiten Sichtweisen und Schlüsselfaktoren Abbildung 1-12 1.3.2.3 Ersten Kreislauf erstellen Aufbau des Netzwerks Denken in Kreisläufen bzw. Wirkungsnetzen Nach einer ersten Problemeingrenzung und Nennung der potenziellen Zieldimensionen sind aus den verschiedenen Perspektiven heraus die Schlüssel- oder Erfolgsfaktoren bzw. besonders relevanten Teile des Systems zu erarbeiten. Schlüsselfaktoren sind dabei jene Systemelemente, deren Interaktion die Dynamik des Systems ausmacht bzw. sein Verhalten wesentlich prägt. Im vorliegenden Lehrbuch geht es darum, die zentralen Schlüsselfaktoren (Mess- und Steuerungsgrössen) der Strategie-, Finanz-, Kunden-, Prozess- und Mitarbeiterperspektive für den langfristigen unternehmerischen Erfolg herauszukristallisieren. Abbildung 1-12 zeigt Beispiele. Sichtweise bzw. Perspektive Schlüssel- bzw. Erfolgsfaktoren (Auswahl) Kapitel Strategieperspektive (Managementverantwortung) Kapitel 2 Finanzperspektive (Sicht der Kapitalgeber) Return on Investment Kosten Umsatzrendite Kapitel 3 Kundenperspektive (Sicht der Kunden) Kundenzufriedenheit Marktanteil Produkt- und Servicequalität Kapitel 4 Prozessperspektive (Management- und Mitarbeiterverantwortung) Prozessqualität Effektivität Effizienz- und Produktivitätssteigerung Kapitel 5 Mitarbeiterperspektive (Sicht der Mitarbeiter) Kapitel 6 Marktanteil Wertsteigerung Innovationen Differenzierungsvorteile Führungsqualität Motivation Mitarbeiterzufriedenheit Mitarbeiterproduktivität Schlüsselfaktoren für den langfristigen Unternehmenserfolg Die im Rahmen der Zielbestimmung und Problem- bzw. Systemabgrenzung identifizierten Schlüsselfaktoren werden durch den Aufbau eines Wirkungsnetzes zueinander in Beziehung gesetzt. Der Aufbau des Netzwerks erfolgt dabei typischerweise in zwei grundlegenden Stufen. Er startet mit der Beschreibung eines Kern- bzw. Grundkreislaufes («zentraler Motor»), dem sukzessive alle relevanten weiteren Teilnetzwerke (Wirkungskreisläufe) hinzugefügt werden. Vernetztes Denken ist mit anderen Worten primär Denken in Kreisläufen bzw. Wirkungsnetzen. Wirkungsnetzwerke visualisieren die Zusammenhänge und dienen als Grundlage der Kommunikation, Präsentation und Simulation. Wirkungsrichtun- e b pro e s e L 1.3 Zentrale Managementmethoden 45 ................................................................................................................................................................................................................ gen können dabei verstärkender Art sein, also in die gleiche Richtung zielen. Andererseits ist aber auch eine abschwächende oder entgegengesetzte Wirkungsbeziehung denkbar. So kann beispielsweise die Erhöhung der Innovationsfähigkeit zu einer grösseren Produktpalette und damit zu einer höheren Kundenzufriedenheit führen. Andererseits führt die Innovationstätigkeit auch zu höheren Kosten und damit ceteris paribus (d.h. unter Konstanthalten oder momentanem «Einfrieren» aller übrigen Einflussfaktoren) zu einem tieferen Gewinn, womit eine entgegengesetzte, so genannte negative Wirkungsbeziehung vorliegt. Im vorliegenden Lehrbuch wird in Kapitel 2 «Strategische Unternehmensführung» der Kernkreislauf hergeleitet, um anschliessend in den Kapiteln 3 bis 6 diesen schrittweise durch die Teilnetzwerke aus der Finanz-, Kunden-, Prozess- und Mitarbeiterperspektive und damit den zentralen Schlüssel- bzw. Erfolgsfaktoren dieser Betrachtungsweisen für erfolgreiches Management zu komplettieren. 1.3.2.4 Netzwerk entwickeln Teilnetzwerke verknüpfen und Schlüsselfaktoren in Ursache-WirkungsZusammenhängen abbilden 1.3.2.5 Netzwerk interpretieren Aktive Interpretation in dreierlei Hinsicht Rahmenbedingungen Hebel © 2009 Versus Verlag Durch das schrittweise Hinzufügen jeweils einer weiteren Betrachtungsweise für erfolgreiches Management entsteht mit der Zeit aus den einzelnen Gliedern ein komplexes Netzwerk, welches die einzelnen Teilnetzwerke miteinander verknüpft und die einzelnen Schlüsselfaktoren in ihren Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen abbildet. Im Falle dieses Lehrbuches wird das Netzwerk die generelle Erfolgslogik unternehmerischen Denkens und Handelns sein (7 «Systemisches Management»). Zur Steigerung der Aussagekraft können sodann in einem Netzwerk zur Unterscheidung des Zeitverhaltens (Reaktionszeiten) auch noch die einzelnen Wirkungsbeziehungen in kurz- (z.B. bis drei Monate), mittel- (z.B. bis ein Jahr) und langfristig (z.B. über ein Jahr) unterschieden werden. Zudem kann zum besseren Verständnis der unternehmerischen Erfolgslogik auch noch die Beziehungsintensität (Wirkungsstärke) zwischen den einzelnen Ursache-WirkungsZusammenhängen, zum Beispiel über die Klassifikation schwach, mittel und stark, festgehalten werden. Mit dem Vorliegen des fertiggestellten Netzwerks sind nun die Voraussetzungen geschaffen, um mögliche Umweltentwicklungen und Entwicklungspfade zu erfassen. Dabei sind insbesondere Antworten auf eine wesentliche Frage zu finden: «Wie reagiert das System auf Veränderungen bzw. Systemeingriffe?» Sehr wichtig ist folglich eine aktive Interpretation des Netzwerks in dreierlei Hinsicht: 1. Welche der Grössen sind Rahmenbedingungen, die man nicht ändern kann? Viel zu oft wird über Dinge diskutiert, die man nicht ändern kann. Diese Variablen stellen von aussen gegebene Rahmenbedingungen dar. 2. Welche der Grössen eignen sich als Hebel? Unter den veränderbaren Grössen werden die lenk- bzw. beeinflussbaren Hebel (Steuer- oder Stellgrössen) be- e b pro e s e L 46 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ Indikatoren Unsicherheit und Eigendynamik 1.3.2.6 Massnahmen und Aktionspläne ableiten stimmt. Ein Schlüsselfaktor ist lenkbar, wenn er direkt verändert werden kann. Nichtlenkbare Schlüsselfaktoren sind nur indirekt oder gar nicht veränderbar. Bei der Beurteilung der Schlüsselfaktoren ist es sinnvoll, genau zwischen direkter Lenkbarkeit und blosser Beeinflussbarkeit zu unterscheiden. Folgendes Beispiel macht den Unterschied deutlich: Bei einem Schiff kann man die Position der Segel und des Steuerruders lenken, nicht aber den Kurs des Schiffes. Diesen kann man über Segel und Ruder nur beeinflussen, er wird auch durch Wind und Strömung bestimmt. Die Hebel sind die Ansatzpunkte für Massnahmen, wobei sich direkt lenkbare Grössen einfacher für Eingriffe eignen als beeinflussbare Grössen. 3. Welche der anderen Grössen eignen sich als Indikatoren? Anhand welcher Erfolgsindikatoren lässt sich der Erfolg der getroffenen Massnahmen ableiten? Einige der nicht direkt lenk- oder beeinflussbaren Grössen können als Ziel- oder Messgrössen ausgewählt werden. Diese zeigen den Erfolg der getroffenen Massnahmen an. Ein Indikator kann dabei entweder selbst als Messgrösse dienen, oder es ist notwendig, zum Indikator eine Messgrösse festzulegen: Beispielsweise lässt sich der Umsatz direkt messen, während die Kundenzufriedenheit über die Anzahl wiederkehrender Kunden und die Anzahl Reklamationen operationalisiert werden könnte. Sofern diese drei Typen von Variablen nicht klar identifiziert werden, besteht die Gefahr, dass Massnahmen entwickelt werden, die ausserhalb des eigenen Einflussbereichs liegen bzw. sich an anderer Stelle als geplant niederschlagen. Es ist deshalb von zentraler Wichtigkeit, die vorhandenen direkten Lenkungsmöglichkeiten in einem System zu erkennen und die Ziel- und Messgrössen während der Massnahmenimplementation im Auge zu behalten. Auf diese Weise ist weitgehend sichergestellt, dass sich das Management auf diejenigen Aspekte konzentriert, bei denen es tatsächlich wirkungsvolle Massnahmen ergreifen kann. Dabei darf eine Führungskraft jedoch nie dem Irrglauben verfallen, komplexe Situationen würden sich nun aufgrund der sorgfältigen Problemdefinition und -analyse berechnen, vorhersagen und letztlich «beherrschen» lassen. Es bleibt immer ein Rest an Unsicherheit und Eigendynamik, welcher bei der Formulierung von Massnahmen und Aktionsplänen zu beachten ist. Je nach getroffenen Massnahmen ergeben sich zudem Rückkoppelungen zu den anderen Schritten (wie dies in Abbildung 1-11 durch die äussere, hellere Schlaufe dargestellt ist). Mit der Charakterisierung der einzelnen Grössen des Netzwerks liegen wichtige Anhaltspunkte für Erfolg versprechende Lenkungseingriffe vor. Es lassen sich nun nämlich für verschiedene Problemlösungsalternativen bzw. Lösungsszenarien (Massnahmenpakete) mögliche Entwicklungspfade im Netzwerk vorher- e b pro e s e L 1.3 Zentrale Managementmethoden 47 ................................................................................................................................................................................................................ Aktionsplan: Zielwerte Abbildung 1-13 Lenkungsmöglichkeiten nutzen Aktionsplan Reviews Massnahmen Verantwortlich Termine Raster für einen Massnahmenkatalog sehen. Bei der Umsetzung von konkreten Massnahmen ist wichtig, möglichst viele verfügbaren Lenkungsmöglichkeiten zu nutzen. Für jede ausgewählte Steuergrösse werden die – quantitativen und qualitativen – Ziele bzw. Zielwerte (Soll-Festlegung) ausgehend von den heutigen Stärken und Schwächen bestimmt (Ist-Analyse). Aus dem detaillierten Soll-Ist-Vergleich werden die zu treffenden Aktionen abgeleitet. Diese können unterschiedlich umfangreich sein: Das Spektrum reicht von einfachen Massnahmen über grössere Projekte bis zu umfangreichen komplexen Vorhaben. Schliesslich werden die Aktionen mit Verantwortlichkeiten und Umsetzungsterminen versehen. Abbildung 1-13 zeigt die Vorlage für einen solchen Aktionsplan. Periodisch stattfindende Reviews (vgl. Abbildung 1-11) dienen der Fortschrittskontrolle und der Modellpflege. Es wird überprüft, ob die beschlossenen Aktionen umgesetzt wurden und mit welchem Erfolg. Dabei stellen sich beispielsweise die folgenden Fragen: Wurden die Zielwerte erreicht? Wenn nicht, welches sind die Ursachen? Müssen neue Massnahmen ergriffen werden oder neue Zielwerte oder Zuständigkeiten definiert werden? Bildet das Netzwerk die Zusammenhänge noch korrekt ab oder haben sich Zusammenhänge verändert? Sind neue Elemente und/oder Beziehungen hinzugekommen? Haben sich das zeitliche Verhalten und die Intensitäten im System verändert? Die Methode des vernetzten Denkens und die Visualisierung miteinander verknüpfter Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge in Netzwerken liefert keine Patentrezepte zur Lösung von komplexen Problemstellungen. Vernetztes Denken hilft lediglich, systemgerechte und ganzheitliche Lösungen zu finden, die langfristig wirksam sind. Besonders wichtig ist dabei die Analyse positiver und negativer Neben- und Rückwirkungen einzelner Massnahmen im ökonomischen, sozialen oder auch ökologischen Bereich. © 2009 Versus Verlag e b pro e s e L 48 Kapitel 1 Unternehmerisches Denken und Handeln ................................................................................................................................................................................................................ 1.4 Weiterführende Literatur 1.4 Bleicher, K. (2004). Das Konzept Integriertes Management. Visionen – Missionen – Programme (6. Auflage). Frankfurt a.M.: Campus. Drucker, P. (1967). Die ideale Führungskraft. Die hohe Schule des Managers. Düsseldorf: Econ. Gomez, P. (1999). Wertmanagement. Düsseldorf: Econ. Gomez, P. (2002). Methode VI: Einführung in das vernetzte Denken. In: Dubs, R., Euler, D. & Rüegg-Stürm, J. (Hrsg.). Einführung in die Managementlehre (S. 1153–1175). Bern: Haupt. Gomez, P. & Probst, G. (1987). Vernetztes Denken im Management. Bern: Schweizerische Volksbank (Die Orientierung Nr. 89). Honegger, J. (1993). Vernetzt Denken und Handeln – Erfolgreiches Komplexitätsmanagement. Eine anwendungsorientierte Arbeitshilfe für Führungskräfte. Unveröffentlichtes und laufend überarbeitetes Skript, hrsg. von Netmap AG, Thalwil/Zürich, 1. Auflage 1993. Honegger, J. (2008). Vernetztes Denken und Handeln in der Praxis. Mit Netmapping und Erfolgslogik schrittweise von der Vision zur Aktion. Zürich: Versus. Honegger, J. & Vettiger, H. (2003). Ganzheitliches Management in der Praxis. Zürich: Versus Verlag. Malik, F. (2004). Führen, leisten, leben. Wirksames Management für eine neue Zeit. München: Deutsche Verlags-Anstalt. Mintzberg, H. (1991). Mintzberg über Management. Führung und Organisation, Mythos und Realität. Wiesbaden: Gabler Verlag. Rüegg-Stürm, J. (2003). Das neue St. Galler Management-Modell. Grundkategorien einer integrierten Managementlehre. Bern: Haupt. Ulrich, H. & Probst, G.J. (1995). Anleitung zum ganzheitlichen Denken und Handeln. Ein Brevier für Führungskräfte. Bern: Haupt. Waibel, R. (1994). Unterrichtsbeispiel: Einführung in das Unternehmungsmodell anhand der Methodik des vernetzten Denkens. Schweizerische Zeitschrift für kaufmännisches Bildungswesen, 88 (S. 207–216).