Serie | Prävention Diabetes mellitus Typ 2 H. Hauner, W. A. Scherbaum Deutsches Diabetes- Forschungsinstitut an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Type 2 diabetes Type 2 diabetes represents the most common form of carbohydrate disorders affecting at least 5% of the population in the industrialized world. In addition to genetic predisposition obesity and a sedentary lifestyle are the main promoters. Recent data clearly suggest that li- 1003 disease. In overt type 2 diabetes, good glycaemic control and aggressive management of as- den, wenn eine entsprechende geneti- sociated cardiovascular risk factors may prevent its multiple and costly complications. sche Prädisposition besteht. Nur für 5– 10% aller Personen mit Typ-2-Diabetes wurden bislang umschriebene Gendefekte identifiziert. Da die Diabetesgene noch Epidemiologie wichts im Erwachsenenalter zu vermei- zum größten Teil unbekannt sind, ist eine den. molekulargenetische Analyse derzeit wenig hilfreich. Dafür kann eine einfache Der Diabetes mellitus Typ 2 ist die bei weitem häufigste Diabetesform. Ca. 90% Auch die Zusammensetzung der Ernäh- Familienanamnese aller Menschen mit Diabetes mellitus rung hat einen direkten Einfluss auf das Hinweise liefern. Bei einem Elternteil mit umso sind diesem Typ zuzuordnen. Nach Hoch- Diabetesrisiko. Vor allem eine kalorien- Typ-2-Diabetes rechnungen leiden derzeit etwa 5% aller reiche Kost mit einem hohen Anteil an Nachkommen mit der Manifestation der Bundesbürger an einem bekannten Typ- gesättigten Fettsäuren und einer niedri- Erkrankung im Laufe ihres Lebens rech- 2-Diabetes (ohne Dunkelziffer!) (Dtsch gen Zufuhr von Ballaststoffen, die für Mit- nen. Med Wochenschr 1998; 123: 777–782). teleuropa und Nordamerika typisch ist, Die Krankheit beginnt üblicherweise im scheint das Diabetesrisiko zu erhöhen. Obgleich die Pathomechanismen, die mittleren oder höheren Lebensalter. In Dagegen schützt eine Kost mit einfach zum Typ-2-Diabetes führen, längst nicht den letzten Jahren wurde beobachtet, und mehrfach ungesättigten Fettsäuren, aufgeklärt sind, zeigt sich, dass Überge- dass immer mehr junge Erwachsene und reichlich Ballaststoffen und Kohlenhyd- wicht, falsche Ernährung (hoher Anteil sogar Jugendliche betroffen sind (Diabe- raten mit niedrigem glykämischen Index gesättigter Fettsäuren, ballaststoffarm) tes Care 2000; 23: 381–389). vor Diabetes (J Amer Med Ass 1997; 277: und Bewegungsmangel die Entwicklung 472–477). einer Insulinresistenz fördern bzw. ver- müssen wertvollere 30–40% der stärken. Diese kann zunächst durch eine Pathophysiologie Daneben ist auch körperliche Bewegung reaktiv gesteigerte Insulinsekretion des Als Hauptursache für den weltweiten für die Verminderung des Diabetesrisikos Pankreas kompensiert werden, erkenn- Trend einer Zunahme des Typ-2-Diabe- von Bedeutung. Körperlich aktive Men- bar an erhöhten Seruminsulinkonzen- tes mellitus wird die Adipositas angese- schen haben ein etwa halb so hohes Dia- trationen. Wenn allerdings die hohe hen. Es besteht ein sehr enger Zusam- betesrisiko wie körperlich inaktive Men- Funktionsleistung vermutlich infolge menhang zwischen Körpergewicht und schen. genetischer Störungen nicht mehr auf- Diabetesrisiko. Das rechterhalten werden kann und sich er- Diabetesrisiko nimmt mit zunehmender Körperfett- Falsche Ernährung und Bewegungsman- schöpft, kommt es zur Manifestation der masse, Dauer der Adipositas sowie ab- gel können aber nur dann wirksam wer- chronischen Hyperglykämie (N Engl J dominellem Fettverteilungsmuster zu. Eine Gewichtszunahme erhöht das Diabetesrisiko, eine Gewichtsabnahme Info 1 Dtsch Med Wochenschr 2002; 127, Nr. 19 senkt sie (Ann Intern Med 1995; 122: 481–486). Vor allem eine Vermehrung Ein erhöhtes Risiko für Typ 2-Diabetes besteht bei folgenden Parametern (Diabetes Care der viszeralen Fettdepots ist eng mit 1997; 20: 1183–1198): Typ-2-Diabetes mellitus und anderen metabolischen Störungen assoziiert (Brit Med J 2001; 322: 716–720). Nach Schätzungen könnten zwei Drittel aller Diabetesfälle vermieden werden, wenn es gelänge, einen Anstieg des Körperge- – erstgradig Verwandte mit Typ 2-Diabetes mellitus – Übergewicht (BMI ≥ 27 kg/m²) – Hypertonie (RR ≥ 140/90 mmHg) – Dyslipoproteinämie (HDL-Cholesterin ≤ 35 mg/dl, Triglyzeride ≥ 200 mg/dl) – erhöhte Blutglukosewerte bei früheren Untersuchungen – Schwangerschaftsdiabetes oder Geburt eines makrosomen Kindes Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. festyle intervention in people at increased risk can potently reduce the incidence of the Serie | Prävention tesmanifestationsrate bei Personen mit gestörter Glukosetoleranz zu senken. Die aktuelle Datenlage reicht aber nicht aus, um den Einsatz von Medikamenten zur Primärprävention des Typ-2-Diabetes empfehlen zu können. Sekundärprävention Menschen mit manifestem Typ-2-Dia- 1004 gewicht Gewichtsstabilisierung und makroangiopathische Komplikatio- zess erstreckt sich in der Regel über ei- durch eine kalorisch angepasste, ausge- nen, die nicht nur die Lebensqualität, nen langen Zeitraum. wogene Ernährung und regelmäßige sondern auch die Lebenserwartung der körperliche Bewegung. In der kürzlich Betroffenen empfindlich beeinträchti- Der Diabetesmanifestation geht in der publizierten finnischen Diabetespräven- gen können. Besonders hervorzuheben Regel das Stadium der gestörten Gluko- tions-Studie konnte bei Personen mit ge- ist das erhöhte kardiovaskuläre Risiko setoleranz voraus, die mit Hilfe des ora- störter Glukosetoleranz (hauptsächlich von Typ-2-Diabetikern, das denen von len Glukosetoleranztests diagnostiziert erstgradig Verwandte von Typ-2-Diabe- Nichtdiabetikern nach vorangegange- werden kann und potenziell reversibel tikern) durch eine Änderung der Lebens- nem Myokardinfarkt entspricht (N Engl ist. Bei 3–8% der Personen mit gestörter gewohnheiten (verminderter Fettver- J Med 1998; 339: 229–234). Glukosetoleranz (je nach Population) zehr, Veränderung der Fettqualität, ver- kommt es jährlich zur endgültigen Dia- mehrter Gemüse- und Obstverzehr, ver- Bei betesmanifestation. minderter Konsum von Zucker, Salz und kommt es daher darauf an, die Blutglu- Alkohol sowie eine Steigerung der kör- kosewerte möglichst normnah einzu- perlichen Bewegung) eine Verringerung stellen, um Mikroangio- und Neuropa- der Diabetesinzidenz um 58% erreicht thie zu verhindern. Daneben müssen Maßnahmen zur Primärprävention des werden (kumulative Diabetesinzidenz aber auch assoziierte Risikofaktoren Typ-2-Diabetes mellitus auf Bevölke- nach 4 Jahren: 11% in der Interventions- wie Hypertonie oder Dyslipoproteinä- rungsebene sollten in erster Linie auf gruppe vs. 23% in der Kontrollgruppe). mie möglichst konsequent behandelt mehr körperliche Bewegung und die Ver- Wurde die Einhaltung der vorgeschlage- werden, meidung einer Gewichtszunahme bzw. nen Maßnahmen berücksichtigt, dann Komplikationen vorzubeugen. auf die Reduktion des Übergewichts zie- war dieser günstige Effekt sogar deutlich len. Bislang fehlt der klare Nachweis, dass stärker (N Engl J Med 2001; 344: 1343– Die United Kingdom Prospective Diabe- Präventionsprogramme Bevölke- 1350; Info 2). Ein ähnlich günstiges Er- tes Studie (UKPDS) ergab, dass durch rungsebene dies leisten können. Alle bis- gebnis wurde kürzlich für das Diabetes eine intensivierte blutglukosesenkende herigen Ansätze waren gerade im Hin- Prevention Program berichtet (N Engl J Therapie eine signifikante Reduktion blick auf die Vermeidung von Überge- Med 2002; 346: 393–403). der diabetes-assoziierten Komplikatio- Primärprävention auf bzw. wicht bzw. Gewichtszunahme ausgesprochen enttäuschend. Personen um mit Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. betes haben ein hohes Risiko für mikroMed 1996; 334: 777–783). Dieser Pro- Typ-2-Diabetes makroangiopathischen nen möglich ist (Lancet 1998; 352: 837– Neben Maßnahmen zur Lebensstilände- 853). Eine Senkung des HbA1c-Werts rung haben sich in jüngster Zeit auch Me- um 1% war mit einer Reduktion mikro- Dagegen scheinen Präventionsprogram- dikamente wie Metformin, Acarbose, vaskulärer Endpunkte um 37%, tödli- me bei Menschen mit erhöhtem Diabe- ACE-Hemmer, Statine und Orlistat als be- cher und nicht-tödlicher Herzinfarkte tesrisiko sinnvoll und effektiv zu sein. Be- grenzt wirksam erwiesen, um die Diabe- um 14% und tödlicher und nicht-tödli- sonders gefährdet sind Personen mit einer genetischen Belastung (Eltern oder gewicht (BMI ≥ 27 kg/m²) oder Personen Info 2 mit gestörter Glukosetoleranz (Info 1). Sinnvolle Empfehlungen zur Prävention des Typ-2-Diabetes bei Personen mit gestörter Adipöse Personen mit familiärer Diabe- Glukosetoleranz bzw. erhöhtem Diabetesrisiko (nach N Engl J Med 2001; 344: 1343–1350): tesbelastung entwickeln mit 60- bis 70%iger Wahrscheinlichkeit im Laufe ih- – Gewichtsreduktion > 5 kg res Lebens einen Diabetes. – Reduzierung der Fettaufnahme < 30 Energie % – Reduzierung der gesättigten Fette < 10 Energie % Die wichtigsten Präventionsmaßnah- – Steigerung der Ballaststoffaufnahme > 15 g/1000 kcal men sind Gewichtsreduktion bei Über- – körperliche Bewegung > 4 Stunden/Woche Dtsch Med Wochenschr 2002; 127, Nr. 19 Geschwister mit Typ-2-Diabetes), Über- Serie | Prävention cher Schlaganfälle um 12% verbunden (Brit Med J 2000; 321: 405–412). In der Hypertoniestudie der UKPDS ließ sich durch eine effektive Blutdrucksenkung mit dem ACE-Hemmer Captopril oder dem Betablocker Atenolol ebenfalls eine signifikante Senkung aller diabetesbezogenen Endpunkte um 24%, der diabetesbezogenen Todesfälle um der mikrovaskulären Komplikationen zum Teil auf strukturelle Defizite, zum handlungsprogramme bei weitem über- um 37% erzielen (Brit Med J 1998; 317: Teil aber auch auf ungenügende finanzi- steigen dürften, zumal sich damit auch 713–720). elle Resourcen in der Primärprävention andere begleitende Risikofaktoren bes- zurückzuführen sein. sern lassen. te als gesichert, dass eine möglichst Vor dem Hintergrund der heutigen Fi- Die derzeit von der Deutschen Diabe- normnahe und nanzierungsprobleme im Gesundheits- tes-Gesellschaft entwickelten evidenz- strikte Behandlung begleitender Risiko- wesen ist diese Situation unverständlich basierten Leitlinien sollen helfen, Präven- faktoren von erheblichem Nutzen für die und untragbar, da der Typ-2-Diabetes zu tion, Früherkennung und Behandlung des Betroffenen ist. Dies kommt auch in den den teuersten chronischen Erkrankun- Typ-2-Diabetes auf der Grundlage des neuesten Empfehlungen für die Behand- gen überhaupt zählt. Besonders kostspie- heutigen Kenntnisstandes zu optimieren lungsziele Einstellungskriterien lig sind dabei die vielfältigen Komplikati- (www.deutsche-diabetes- von Menschen mit Diabetes mellitus Typ onen eines unzureichend therapierten gesellschaft.de). 2 zum Ausdruck (Info 3). Auch der Nut- Diabetes. So verursachen Typ-2-Diabeti- zen von niedrig dosierter Acetylsalicyl- ker mit mikro- oder makroangiopathi- Korrespondenz: säure zur Prävention makroangiopathi- schen Komplikationen etwa 2,5-fach hö- Prof. Dr. H. Hauner scher Komplikationen ist für Menschen here Kosten als GKV-Versicherte ohne Di- Klinische Abteilung, Deutsches Diabetes- mit Typ 2-Diabetes belegt. abetes. Bei Typ-2-Diabetikern mit mikro- Forschungsinstitut an der Heinrich- und makroangiopathischen Komplikati- Heine-Universität Düsseldorf onen liegen die Ausgaben sogar 4-fach Auf’m Hennekamp 65 höher (Dtsch Med Wochenschr 2001; 40225 Düsseldorf Durch diese und andere Studien gilt heuDiabeteseinstellung bzw. Ausblick Betrachtet man den Stellenwert der Prä- 126: 585–589). E-Mail: [email protected] ventivmedizin im deutschen Gesundheitssystem, ist zweifellos festzuhalten, Bereits eine Verzögerung der Diabetes- dass die bereits heute verfügbaren Ansät- manifestation bzw. der Komplikationen ze zur Prävention des Typ-2-Diabetes um wenige Jahre würde vermutlich er- und seiner Komplikationen noch unzu- hebliche Kosten einsparen, die die Ausga- reichend genutzt werden. Dies dürfte ben für wirksame Präventions- und Be- Info 3 Einstellungskriterien bei Diabetes mellitus Typ 2 mit niedrigem Risiko für mikro- und makro- Dtsch Med Wochenschr 2002; 127, Nr. 19 vaskuläre Komplikationen (nach Diab Stoffw 2002; im Druck): Fachliche Betreuung der „Serie Prävention“: – Blutglukose nüchtern 90–120 mg/dl; postprandial 130–160 mg/dl Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba Medizinische Klinik / Klinikum Innenstadt der Universität München Ziemssenstr. 1 80336 München – HbA1c ≤ 6,5% – Gesamtcholesterin < 200 mg/dl (< 170 mg/dl)* – LDL-Cholesterin < 100 mg/dl (< 100 mg/dl)* – HDL-Cholesterin > 35 mg/dl (> 40 mg/dl)* – Triglyzeride < 150 mg/dl (< 150 mg/dl)* – Blutdruck < 140/85 mmHg; mit Nephropathie < 130/80 mmHg – Body Mass Index < 25 kg/m2 * in Klammern: Diabetes mellitus Typ 2 mit Komplikationen Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz Medizinische Hochschule Hannover Abteilung für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitsforschung Carl-Neuberg-Str. 1 30623 Hannover Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. 1005 32%, der zerebralen Insulte um 44% und