Diakonisches Werk Würzburg Jahrgang 10 • Juni 2006 Vernetzung der Streetwork Würzburg Träge beruflicher Förder- und Qualifizierungsmaßnahmen Haus Antonie Werr Jugend- und Drogenberatung Landesarbeitsgemeinschaft Streetwork Stadt Würzburg Fachbereiche: Soziales und Jugend und Familie Aktionsgemeinschaft Sozialisation Bahnhofsmission Don Bosco Berufsschule Wärmestube Drogen Schule/Beruf Kriminalität Familie Wohnungslosigkeit ARGE Würzburg Mittellosigkeit Gewalt Arbeitskreis ‚Menschen ohne Wohnung’ Deutsche Bahn AG/ Bahnhof Würzburg Schuldnerberatung Landkreis Würzburg Fachbereiche: Soziales und Jugend und Familie Bundesarbeitsgemeinschaft Streetwork Fachforum Streetwork Johann-Weber-Haus Zentrale Beratungsstelle für Wohnungslose und Strafentlassene Fachbereich ‚Soziale Arbeit’ der Fachhochschule Würzburg/Schweinfurt Impressum Streetwork Würzburg Jahresbericht 2005 Herausgegeben vom Diakonischen Werk Würzburg im Juni 2006 Spendenkonto: Diakonisches Werk HypoVereinsbank Würzburg BLZ 790 200 76 · Kto.-Nr. 11 120 23 Stichwort: Streetwork Redaktion: Katja Bühler, Stefan Müller und Jürgen Keller (Streetwork) Bildnachweis: Titelbild: Timo Keitel, Foto auf S.6: Pat Christ, alle anderen: Streetwork Satz und Layout: Xpose Mediaservice GmbH Druck: Handelsdruckerei, Würzburg Kontakt: Jürgen Keller, Lindleinstraße 7, 97080 Würzburg Fon: 0931/2508012 Fax: 0931/2508025 e-mail: [email protected] Die Streetwork Würzburg stellt sich vor… Das Team: Teamleiter Jürgen Keller, Diplom-Sozialpädagoge (FH), war 8 Jahre lang selbst auf der Straße aktiv Sonja Huber, Fachhochschulpraktikantin, in der Streetwork von März 2005 bis Januar 2006 Streetwork: Die Streetwork leistet aufsuchende Sozialarbeit. Ziel ist es, zu gefährdeten jungen Menschen, die sich an den sozialen Brennpunkten aufhalten, Kontakt herzustellen und eine Beziehung aufzubauen, um ihnen dann adäquate und weiterführende Hilfeangebote machen zu können. Das Hilfeangebot: ¾ Kontakte herstellen und Beziehungsarbeit, aktiv auf die Jugendlichen zugehen, als Gesprächspartner zur Verfügung stehen ¾ Vermittlung an weiterführende Hilfeangebote (beispielsweise Suchtberatung, Kinder- und Jugendhilfe) Katja Bühler, Diplom-Sozialpädagogin (FH), seit Januar 2005 als Streetworkerin tätig Der Einsatzort: Die Streetworker sind von Montag bis Freitag zwischen 16-18 Uhr am Bahnhof unterwegs und einmal wöchentlich in der Innenstadt. Die Anlaufstelle „Underground“ ist von Montag bis Freitag von ¾ Informationsweitergabe (z. B. über Ansprüche auf Sozialleistungen) ¾ Beratung und Begleitung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, um Perspektiven zu entwickeln und weitere Gefährdung zu verhindern ¾ Krisenintervention bei seelischen und persönlichen Krisen der Adressaten ¾ Zur Überbrückung von wirtschaftlichen Notlagen kann im Einzelfall materielle Hilfe gewährt werden (Übernahme der Praxisgebühr) ¾ Freizeit- und Erlebnispädagogik, um alternatives Freizeitverhalten zu vermitteln ¾ Öffentlichkeitsarbeit, um auf die Problemlagen unserer Klienten aufmerksam zu machen Stefan Müller, Diplom-Pädagoge (Univ.), seit Juli 2004 im Streetwork-Team 14-16 uhr geöffnet, samstags von 12-15 Uhr. Die Öffnungszeiten werden von einem engagierten Team ehrenamtlicher Mitarbeiter geleistet, die Sozialpädagogen sind während dieser Zeit für Fragen, Probleme und Krisen erreichbar. Die Arbeitsprinzipien: Mit einer akzeptierenden Haltung gegenüber unseren Klienten sind wir Gast in der Szene. Wir arbeiten transparent und die Verschwiegenheit gegenüber Dritten ist ein hohes Gut. In unserer Arbeit. Unser Hilfeangebot ist freiwillig, d.h. keiner muss mit uns reden. Wir arbeiten ressourcenorientiert, sind für unsere Jugendlichen ein verlässlicher und konstanter Partner, wenn es darum geht, Perspektiven zu entwickeln, die die Lebenssituation des Jugendlichen verbessern. 3 ‚Underground’ – die Anlaufstelle der Das Underground – bis 2001 der Fahrradkeller der Deutschen Bahn, nun die etablierte Anlaufstelle der Streetwork in Würzburg – befindet sich in unmittelbarer Bahnhofsnähe und ist an 6 Tagen in der Woche geöffnet: Montag-Freitag von 14-16 Uhr und samstags zum Brunch von 12-15 Uhr. In diesen Zeiten ist es unseren Leuten möglich, sich eine Brotzeit oder ein kleines warmes Essen zu bereiten, zu duschen und ihre Wäsche zu waschen – die Grundbedürfnisse zu stillen. Dank der Unterstützung des Tierheims können wir auch die Hunde der Besucher verköstigen. Ein kleiner Fundus an Kleidung ermöglicht die Ausgabe z.B. von frischer Unterwäsche oder – im Winter – von warmen Sachen. Dazu stehen Telefon, Fax, PC und Internet zu Verfügung, um mit Ämtern oder Angehörigen zu kommunizieren, Bewerbungen zu erstellen oder nach Arbeit und Wohnung zu suchen. In der Anlaufstelle stehen zahlreiche Informationen zu relevanten Themen und Einrichtungen wie z.B. Beratungsstellen für die Besucher bereit. Die Anlaufstelle ist ein Ort, an dem die jungen Menschen (Altersgrenze: 27 Jahre) in ihren Lebenslagen ernst genommen werden. Im Underground können sie eine Auszeit vom Leben auf der Straße nehmen. Sie finden dort Mitarbeiter, die ihnen zuhören, die sich für ihr Leben interessieren und ihnen Hilfe bei der Bewältigung ihres oft schwierigen Alltags anbieten. Wie in den Jahren zuvor schwankte die Zahl der Besucher zwischen 35 und 60 pro Woche. Das bürgerschaftliche Engagement ist nicht alleine auf Spenden beschränkt, es wird in der Anlaufstelle gelebt. Im Jahr 2002 haben die ersten „Ehrenamtlichen“ im Underground Menschen in Not geholfen. Inzwischen engagiert sich ein Team von 10 bis 12 Bürgerinnen und Bürgern regelmäßig ehrenamtlich in der Anlaufstelle, so dass die Öffnungszeiten an 6 Tagen in der Woche sicher durch dieses Team abgedeckt werden können. Statistik Underground Die Anlaufstelle Underground ist für unsere Klienten ein wichtiger Anlaufpunkt am Bahnhof. Insgesamt wurde die Anlaufstelle 1394 Mal von jungen Menschen in Notlagen aufgesucht, um etwas zu essen, zu duschen, Wäsche zu waschen, nach Wohnung und Arbeit zu suchen oder Bewerbungen zu schreiben. Den Schwerpunkt der in Anspruch genommenen Hilfen in der Anlaufstelle bilden die materiellen Hilfen – daran zeigt sich, dass ein Angebot zur Grundversorgung für junge Menschen in schweren Lebenslagen am Bahnhof unerlässlich ist. Die Hilfeleistungen der Anlaufstelle im Schaubild: 4 Streetwork Doch auch die Nutzer der Anlaufstelle legen selbst mit Hand an wenn es nötig ist. So wurde an einigen Tagen gemeinsam mit unseren Leuten die Anlaufstelle geputzt, umgeräumt und bekam einen neuen Anstrich. Im Jahr 2006 soll in Zusammenarbeit mit der Don Bosco Berufschule mit dem Projekt ‚Brainstorming’ ein unkonventionelles Lernangebot in den Räumen des Underground entstehen und Ansporn zur schulischen Integration leisten. Bruder Tobias Franziskaner-Minorit, Würzburger Straßenambulanz Ehrenamtlich im Underground seit Sept. 2003 Dagmar Fischer SozialpädagogikStudentin Ehrenamtliche Mitarbeiterin von Dez. 2003 – März 2006 Oktober 2005: Klienten und Mitarbeiter bei der gemeinsamen Renovierungsaktion Lisa Newrzella SozialpädagogikStudentin Ehrenamtlich im Underground seit Nov. 2004 Juliane Meißner SozialpädagogikStudentin Ehrenamtliche Mitarbeiterin von April 2004 – Dez. 2005 Christian Zacherl Student, Lehramt Ehrenamtlich im Underground seit Nov. 2004 Maria Gerner Hauswirtschaftliche Mitarbeiterin im Bildungshaus Ehrenamtlich in der Anlaufstelle seit Sept. 2004 Melanie Heinrich Diplom-Sozialpädagogin (FH) Ehrenamtlich im Underground von Nov. 2005 – März 2006 Ohne Foto: Corinna Sporer, SozialpädagogikStudentin, Ehrenamtliche Mitarbeiterin von Okt. 2004 – Jan. 2006 Oliver Seidel, Diplom-Psychologe, Ehrenamtlicher Mitarbeiter seit März 2005 Kathrin Böhme Diplom-Sozial-pädagogin (FH) Ehrenamtlich im Underground von Nov. 2005 – März 2006 5 Rückblick auf 2005 Im Jahr 2005 trug, nach dem Rückzug des Caritasverbandes für die Diözese Würzburg e.V. aus der Straßensozialarbeit, erstmals das Diakonische Werk Würzburg die alleinige Verantwortung für die Streetwork in Würzburg. Die vielgestaltigen Herausforderungen und Arbeitsfelder der Streetwork - von der Krisenintervention bis zum Weihnachtsbrunch - sollen auf den folgenden beiden Seiten herausgestellt werden. Die Streetworker im Gespräch 6 ausgewählte2004 Leistungen der Streetwork im Vergleich 2005 667 716 und 2005 2004 237 354 Leistungsangebot Informationen Beratungen materielle Hilfen Kontakte zur Familie 800 Erstkontakte 108 46 222 700 600 500 400 300 200 100 0 91 88 298 te nt ak Er st ko nt ak te at er ie zu lle rF am H ilf en n Ko m Be ra tu n ge ne at io ilie 2004 2005 n Jahresgesamtzahlen Nebenstehende Grafik zeigt einen Vergleich ausgewählter Leistungen der Streetwork in den vergangenen Jahren 2004 und 2005. Im Jahr 2005, das Jahr des Inkrafttretens des SGB II und des SGB XII („Hartz IV“), nimmt es nicht Wunder, wenn die Anzahl der statistisch erfassten Informationsweitergaben zunahm. Zu Beginn des letzten Jahres stellte die Information unserer Klienten vor allem bezüglich des so genannten Arbeitslosengeldes II eine große Aufgabe für uns dar. In absoluten Zahlen: Im vergangen Jahr führten die Mitarbeiter der Streetwork 716 Informationsgespräche. Einen Schwerpunkt der Arbeit der Streetwork, welcher im vergangen Jahr noch mehr fokussiert wurde, bildet die intensive Beratung von Einzelpersonen in unterschiedlichen Problemlagen. Wurden 2004 237 solcher intensiver Beratungsge- Leistungen der Streetwork im Vergleich - Veränderungen zwischen 2004 und 2005 In fo rm Sozialarbeit auf Würzburgs Straßen – in Zahlen spräche erfasst, sind es 2005 354. Die Anzahl der von den Mitarbeitern der Streetwork gewährten materiellen Hilfen, unabhängig vom Angebot der Anlaufstelle Underground, nahm unerheblich von 108 2004 auf 91 im Jahr 2005 ab. Im letzten Jahr vermittelten wir in 88 Fällen oft intensiv zwischen Klienten und ihrer Herkunftsfamilie. Bezogen auf das Jahr 2004 entspricht dies einer Zunahme um fast 50%. Augenfällig nahm auch im vergangen Jahr die Zahl der Erst- kontakte zu. Knüpften wir im Jahr 2004 222 neue Kontakte, zählten wir 2005 298 neue Kontaktaufnahmen. Auch die Anzahl der Klientenkontakte, welche in der Streetwork unter der Rubrik ‚Beziehungsarbeit’ statistisch erfasst werden, konnten wir auf 3531 im Jahr 2005 erhöhen. Jedes solcher Gespräche dient als Grundlage für weiterführende Hilfe. So stieg auch die Anzahl der Vermittlungen der Streetwork an weiterführende Hilfeangebote im vergangen Jahr leicht an (nicht in der Grafik erfasst). Im Hinblick auf die Problematiken unsere Klienten, liegen die Problemfelder ‚Drogen’, ‚Schule bzw. Arbeit’ und ‚familiäre Probleme’ oder deren Kombination, am häufigsten vor. Betrachtet man die Altersstruktur fällt auf, dass über 40 % der weiblichen Klienten der Streetwork zwischen 14 und 17 Jahre sind. Bei den männlichen Klienten, mit denen wir intensiv arbeiten, liegt der Altersschwerpunkt breiter gefächert bei den 18- bis unter 27-Jährigen. Öffentlichkeitsund Lobbyarbeit Mit unserer Arbeit wollen wir auch eine breite Öffentlichkeit für die Bedürfnisse und Problemlagen unserer Klienten sensibilisieren. Indem wir unsere Aufgabenbereiche und Arbeitsprinzipien beispielsweise im Dienstunterricht der Polizei, vor Studenten an der Fachhochschule Würzburg, vor Kirchengemeinden, Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres oder anderen interessierten Gruppen darstellen wollen wir Verständnis wecken, Vorurteilen entgegenwirken und um Unterstützung unserer Arbeit werben. Auch luden wir 2005 Journalisten in die Anlaufstelle ein, so dass unsere Klienten eine Stimme in der Öffentlichkeit bekamen und ihre Sicht der Dinge zum Beispiel hinsichtlich der Änderung der Fußgängerzonensatzung darlegen und zur Diskussion stellen konnten. Um Berührungsängste zu (Lokal-)Politikern abzubauen und die Möglichkeit zu bieten, sich mit Vertretern der Würzburger Öffentlichkeit auszutauschen, regten wir einen Besuch des Stadtrats Antonio Pecoraro im Underground an. Dieser und die Besucher der Anlaufstelle zeigten sich begeistert. Bei Pasta und italienischer Lektüre fand an 2 Wochenenden ein reger Austausch statt. Im Jahr 2005 gestaltete die Streetwork unter großer Beteiligung ihrer Klienten eine Andacht in der Marienkappelle im Rahmen der Friedensdekade. Auch konnten die Streetwork ihre Arbeit exemplarisch in einigen Filmprojekten zum Beispiel von Studierenden der Fachhochschule Würzburg vorstellen. Umsonst & Draußen 2005 Inzwischen ist es schon Tradition und als einer der alljährlichen Höhepunkte unserer Arbeit nicht mehr weg zu denken: Unser Streetwork-Stand, mit dem wir 2005 bereits zum 7. Mal beim U&D-Festival auf den Mainwiesen vertreten waren. Die Idee hat voll eingeschlagen. Junge Menschen in Not können das Festival tatsächlich umsonst besuchen, d.h. sie müssen sich nicht an den Essens- und Getränkeständen verpflegen, deren Preise sie nicht bezahlen können. Sie haben während der Festivaltage die Möglichkeit, sich mit „lecker Chilli“ und alkoholfreien Gertränken umsonst zu versorgen. Nicht nur für unsere Klienten ist dieses Festival etwas Besonderes, auch die Würzburger „Prominenz“ hat jedes Jahr den Streetwork-Stand beim U&D fest in ihrem Terminkalender eingeplant. Was hier Jahr für Jahr geschieht ist vorbildliches Bürgerschaftliches Engagement. Neben prominenten Kommunalund Landespolitikern waren alle gesellschaftlich relevanten Gruppen vertreten. Vertreter von Kirchen, Geschäftführer von Wohlfahrtsverbänden, Jugendamtsleiter, Richter, Polizisten, Staatsanwälte und viele andere waren für einige Stunden am Stand und halfen mit bei der Versorgung der Straßenkids. Zum ersten Mal durften Punks gegen Promis antreten. Beim Tischkicker waren die gesellschaftlichen Barrieren schnell überwunden und es entwickelten sich neben spannenden Spielen auch viele interessante Gespräche an unserem Stand, bei dem beide Seiten viel über die unterschiedlichen Lebenswelten ihrer Gegenüber erfahren konnten. Punks gegen Promis: Kickern beim U&D 2005 7 24 Stunden in Würzburg Aus dem Leben einer Klientin (24 Jahre) E s ist 4:30 Uhr morgens. Schon oft bin ich aufgewacht heute Nacht, aber jetzt ist endgültig Schluss. In letzter Zeit ist es mit meinem Schlaf nicht besonders gut bestellt, warum weiß ich auch nicht. Vielleicht ist es der viele Stress sowohl physisch als auch psychisch. Ich schalte den Fernseher ein, wenigstens der funktioniert, wenn auch nur auf vier Programmen rieselig. In meiner Wohnung hat es nur teilweise Strom und nur kaltes Wasser, Schimmel an den Wänden, es ist zugig und wegen dem uralten Kohlofen hatte ich im Winter ständig Nasenbluten. Nun gut, vorerst bedeutet das im Dunkeln aufs Klo tappen zu müssen. Innig kuschel ich mich in meine heiß geliebte Lamafelldecke, die liebe ich sehr, eine Frau von der Caritas hat sie mir geschenkt. Schon seit einem halben Jahr möchte ich ihr deswegen eine Blume vorbeibringen, man sollte meinen ich würde es endlich mal auf die Reihe kriegen. Aber diese Sache mit dem „ auf die Reihe kriegen“ fordert mir im Moment mehr ab als ich bewältigen kann. Nicht das ich nicht kämpfen würde, ich kämpfe jeden Tag aufs Neue – seit Jahren einen Kampf der nie zu Ende zu gehen scheint. Erst seit einem Jahr wohne ich in Würzburg. Zuvor erfüllte ich sämtliche Kriterien eines Straßenkinder-, Drogenproblemklischees. Mutter tot , prügelnder Vater, mit zwölf nach Berlin StraßenDrogen- Strich. Mit 16 wurde ich wegen einer Vergewaltigung mit HIV infiziert, Hepatitis C durch einen Ex-Freund, aber wenigstens bin ich seitdem substituiert, dass heißt, ich bekomme Methadon, was mich zumindest davon abhält rückfällig zu werden. Außerdem bekomme ich Medikamen- te gegen Depressionen und gegen die Angst, ich habe oft Angst wegen vieler Dinge. Vor allem wegen der vielen, unendlichen Bildern der Vergangenheit die mich einholen und der endlosen jede Nacht wiederkehrenden Albträume. Manchmal hilft dagegen der Alkohol – aber nicht immer. Doch es gibt auch Freunde, doch auch die haben Probleme und immer wieder Alkohol. Schon oft hab ich davon entzogen, im Moment halte ich es so, nur noch jeden zweiten Tag zu trinken, damit wenigstens mein Körper nicht wieder abhängig wird. Schön langsam, nach nunmehr acht Jahren, machen auch meine Krankheiten sich bemerkbar, das HIV, aber sehr viel schlimmer die Hepatitis C, meine Leber beginnt bereites zirrhotisch zu werden. Ich habe eine sehr liebe Ärztin im Missio, die meint, ich solle eine Interferon- Therapie machen, wegen der Leber und ich will es probieren, obwohl ich eine solche schon vor einigen Jahren machte, und es nichts genützt hat. Außer den Depressionen, die ich hatte – so sehr, dass ich mir eine Pistole auf die Brust gesetzt und abgedrückt hatte. Trotzdem lebe ich noch. Nun ist es jeden Tag ein Kampf aufzustehen, Methadon zu nehmen, den Briefkasten zu öffnen, und den nächsten Schock zu bekommen. Gegen 12: 00 Uhr mache ich mich endgültig fertig um ins Underground zum Duschen zu gehen- ich habe ja nur kaltes Wasser. Wenn ich dann meine ewig keifende und besoffene Vermieterin abgewimmelt habe gehe ich los. Zurzeit kostet es mich sehr viel Kraft überhaupt aufzustehen. Körperlich bin ich einfach am Ende, nur noch fertig müde und fiebrig. Doch ständig bin ich zwischen zwei, drei oder sogar vier Terminen am Tag, Ärzte, Psychologen etc. im Stress. Meine Zähne sind kaputt und kein Arzt will mich behandeln, ich muss Schulden zahlen und bald einen neuen Offenbarungseid leisten und immer wieder neue Briefe, neue Katastrophen die mich verzweifeln lassen. Aber wenn ich frisch geduscht bin kann ich immer eine Tasse Kaffee, etwas zu essen und ein Telefon haben um meine Termine jeden Tag aufs Neue zu regeln. Und wenn ich nun gar nicht mehr kann, oder mein Körper wieder mal streikt, kommen die Leute vom Underground mit zu Terminen, oder telefonieren mit sturen Ämtern. Auf jeden Fall ist immer jemand zum Reden da, und ich hätte die Hoffnung wahrscheinlich einige Male öfter aufgegeben wenn es nicht so wäre. Sogar bei meiner Wohnungssuche wird mir geholfen, damit ich zwischen dem Schutthaufen meines Lebens nicht kaputtgehe. Es ist verdammt wichtig solche Einrichtungen zu haben, denn sie sehen die Leute die anderen Menschen verborgen bleiben, denn sie sehen hinter die Fassade, direkt dahin wo Hilfe gebraucht wird, auch wenn der eine oder andere Mitarbeiter keinen leichten Start mit mir hatte. Und wenn ich abends am Ende mit meinen Nerven ins Bett gehe, und genauso wieder aufwache ist es oftmals der Grund nicht alles hinzuschmeißen und wenigstens aufzustehen, denn immerhin möchte ich frisch geduscht sein und daraus ergibt sich dann oft so manche Lösung.... Bei dieser Gelegenheit: Vielen Dank Underground Wenn es mir wieder besser geht, möchte ich meinen Abschluss nachholen und Journalismus studieren.