Neuro-Onkologie © Schattauer 2011 Hirnmetastasen Veränderte Therapieeinstellung M. Nadji-Ohl Neurozentrum, Neurochirurgische Klinik,Katharinenhospital, Stuttgart Schlüsselwörter Keywords Hirnmetastasen, Neurochirurgie, Strahlentherapie, Neuroradiologie Brain metastases, neurosurgery, radiotherapy, neuroradiology Zusammenfassung Summary Eine adäquate und zeitgerechte Behandlung von Hirnmetastasen setzt eine intensive interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen wie Onkologie, Strahlentherapie, Neurochirurgie und Neuroradiologie voraus. Nur so können individuelle Behandlungswege geplant und durchgeführt werden. Die Fortschritte in der Behandlung verschiedener Krebserkrankungen hat einerseits erfreulicherweise zu einer Zunahme der mittleren Überlebenszeit der Betroffenen geführt, konfrontiert uns aber zunehmend mit dem Problem einer zerebralen Metastasierung. Auch wenn es zum Routineprogramm der Krebsnachsorge gehört, in bestimmten Abständen eine Ganzkörperuntersuchung durchzuführen, ist die routinemäßige Untersuchung des Kopfes leider nicht in das Nachsorgeprogramm mit einbezogen. Diese Lücken müssen in naher Zukunft geschlossen werden, da moderne Therapieverfahren durchaus zu einer Verbesserung der Gesamtüberlebenszeit und Lebensqualität führen können. The appropriate and timely care for metastases of the brain presumes an intensive interdisciplinary collaboration of different fields like oncology, radiotherapy, neurosurgery and neuroradiology, thus only individual care plans can be planned and executed. Progress in care for different types of cancer has resulted in an increase of the mean survival time but is confronting us with an increasing problem of cerebral metastases. Even though whole body examination in a defined interval is a routine program in follow-up care in cancer treatment, a routine examination of the head is not part of this program. This gap must be closed in the near future, because new and modern therapies indeed enhance overall survival time and quality of life. Dies führt zu einer veränderten Therapieeinstellung gegenüber dieser gefürchteten Tumorkomplikation in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Häufigkeit Am häufigsten kommen Metastasen bei folgenden Primär-Tumoren vor ● Lungenkarzinom 40–60% ● Mammakarzinom 20% ● Malignes Melanom 10–15% ● Urogenital-Tumoren 5% ● Gastrointestinal-Tumoren 5% ● Gynäkologische Tumoren 5% ● Seltene Tumorarten wie Sarkome, Kopfund Halstumore, Schilddrüsen Karzinom und andere Mehr als 20% aller Patienten mit einem Malignom entwickeln im Verlauf Hirnmetastasen. In 10–20% aller Fälle ist zum Zeitpunkt der Diagnosestellung der Primär-Tumor nicht bekannt. Bei 5% der Patienten bleibt trotz intensiver diagnostischer Verfahren der Primär-Tumor unerkannt. Absiedlungsart Korrespondenzadresse OÄ Minou Nadji-Ohl Neurozentrum Neurochirurgische Klinik, Klinikum Stuttgart Katharinenhospital Haus E Kriegsbergstraße 60 70174 Stuttgart E-Mail: [email protected] Brain metastases – change in therapeutic views Onkologische Welt 2011; 2: 23–26 Metastasen machen zirka 30% aller Hirntumoren aus und sind somit die häufigste im Gehirn vorkommende Tumorart. In den vergangenen Jahrzehnten werden Hirnmetastasen mit zunehmender Häufigkeit diagnostiziert. Hierfür gibt es mehrere Gründe ● ● ● Verbesserte diagnostische Verfahren wie zum Beispiel die Kernspintomographie. Wirkungsvollere therapeutische Kontrolle des Primärtumors Veränderungen in der Alterspyramide mit Zunahme der Tumorerkrankungen im höheren Lebensalter Hirnmetastasen können einzeln oder multiple vorkommen. Wenn es sich bei einer einzelnen Hirnmetastase um die einzige Tumorabsiedlung der Grunderkrankung handelt, wird sie als „Solitär“ bezeichnet. Im Falle eines weiteren Organbefalls wird von einer „singulären“ Metastase gesprochen. Bei Befall der Hirnhäute entlang des Gehirns und/oder des Rückenmarkes handelt es sich um eine „Meningeosis carcinomatosa“. Auch der knöcherne Schädel kann von Metastasen befallen sein, häufig ist in diesen Fällen die harte Hirnhaut (Dura) mit betroffen (씰Abb. 1). Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 23 24 M. Nadji-Ohl: Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung Abb. 1 Multiple Metastasen (links); solitäre Metastase (Mitte); Metastase mit Infiltration des Knochens und der Dura (rechts) Symptomatik Therapieformen Je nach Lokalisation treten unterschiedliche klinische Bilder auf ● Kopfschmerzen 50% ● Fokal neurologische Ausfälle (Lähmungen, Sehstörungen, Sprachstörungen) 50% ● Psychische Veränderungen (Hirnorganisches Psychosyndrom) 30% ● Krampfanfälle 15–20% ● Gangstörungen, Schwindel, Doppelbilder ● Hirnnervenlähmungen ● Hirndruckzeichen Supportive Therapie Mediane Überlebenszeit Die mediane Überlebenszeit beträgt nach Diagnosestellung und ohne Therapie 1–3 Monate. Grund hierfür ist die besondere Situation des Gehirns welches vom knöchernen Schädel umgeben ist. Jeder zusätzliche raumfordernde Prozess im Schädelinneren führt unweigerlich zu einem Druckanstieg der letztlich lebensbedrohlich und limitierend wirken kann. Bei symptomatischer Behandlung mit Steroiden (Cortisonpräparate) beträgt die mediane Überlebenszeit etwa 2 Monate. Eine Ganzhirnbestrahlung führt in rund 70% der Fälle zu einer Verbesserung der neurologischen Symptomatik und einer medianen Lebensverlängerung von 3–6 Monaten. Durch die Resektion von singulären Metastasen mit anschließender Ganzhirnbestrahlung verbessert sich die mediane Überlebenszeit um weitere 6–9 Monate. Die wichtigste supportive Maßnahme ist die Bekämpfung des Hirnödems und des gesteigerten intrakraniellen Druckes, der letztlich limitierend werden kann sowie die Kontrolle symptomatischer epileptischer Anfälle. In der Umgebung eines raumfordernden Prozesses im Gehirn entwickelt sich häufig ein Ödem. Bedingt durch eine veränderte Durchlässigkeit der Gehirngefäße kommt es zu einer vermehrten Flüssigkeitsablagerung im Hirngewebe. Durch die Gabe von Dexamethason, einem Kortisonpräparat kann das Ödem wieder abnehmen. Schon durch diese Maßnahme bildet sich häufig die neurologische Symptomatik zurück, speziell dann wenn funktionell wichtige Hirnareale betroffen sind. Epileptische Anfälle werden mit krampfhemmenden Medikamenten (Antikonvulsiva) behandelt. Des weiteren gehört zur symptomatischen Therapie eine ausreichende Analgetikagabe bei Kopfschmerzen und Antiemetika zur Bekämpfung von Übelkeit und Erbrechen. Neurochirurgische Therapie Die Operation hat mittlerweile in der Therapie von Hirnmetastasen einen sicheren Stellenwert. Durch Resektion großer symptomatischer Metastasen kann eine Verbesserung der neurologischen Symptomatik und somit der Lebensqualität erreicht werden. 2 von 3 randomisierten Studien kommen zu dem Schluss ,dass die Resektion von singulären oder solitären Metastasen gefolgt von einer Ganzhirnbestrahlung der alleinigen Ganzhirnbestrahlung bezüglich der Überlebenszeit überlegen ist (1-3). Eine Indikation zur Operation kann gestellt werden ● Zur histologischen Diagnosesicherung ● Verbesserung der klinischen Symptomatik ● Verlängerung der medianen Überlebenszeit ● Als unterstützende Maßnahme um andere Therapien zu ermöglichen ● Abwendung einer akuten Lebensgefahr bei Liquoraufstau Da auch bei bekanntem Tumorleiden bei Nachweis einer singulären zerebralen Raumforderung es sich in 10% um Tumoren anderer Genese handeln kann, sollte die histologische Diagnosesicherung angestrebt werden, da andere therapeutische Konsequenzen sich ergeben können. Bei kleinen tief gelegenen Läsionen wird eine stereotaktische Gewebsentnahme indiziert. Bei oberflächennahen, kortikalen Prozessen kann die offene navigationsgestützte Biopsie durchgeführt werden. Eine Resektion sollte in folgenden Fällen angestrebt werden ● Singuläre oder solitäre Metastase ● Guter Allgemeinzustand (Karnofsky Performance Score >70%) ● Geringes neurologisches Defizit ● Keine oder stabile (>3Monate) extrakranielle Tumormanifestation ● Strahlenresistenter Tumor ● Unbekannter Primär-Tumor ● Operativ gut erreichbarer Tumor ● Raumfordernde Läsion (>3cm) Auch bei das Vorliegen von 3–4 Metastasen kann eine Operation indiziert sein, wenn die Läsionen operativ gut erreichbar und das Risiko einer postoperativen neurologischen Verschlechterung gering einzuschätzen ist. Die Neuronavigation erlaubt neben einer individuellen Zugangsplanung die Durchführung von sehr kleinen Kraniotomien, die somit eine rasche Wundheilung und eine zeitnahe adjuvante Weiterbehandlung ermöglichen. Das Wachstum von Hirnmetastasen in den Hirnkammern oder deren unmittelba- Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 25 ren Umgebung kann zu einer Ablaufbehinderung von Hirnwasser führen. In diesen Fällen sprechen wir von einem akuten Hydrocephalus. Hier kann mit minimal invasiven Techniken wie zum Beispiel einer endoskopischen Ventrikulostomie geholfen werden (씰Abb. 2). Mit dieser Methode wird endoskopisch ein Umgehungsweg für das Hirnwasser geschaffen. Die Implantation eines permanenten Ableitungssystems (ventrikulo-peritonealer Shunt) welcher mit dem Risiko einer Streuung und Absiedelung von Tumorzellen in die Bauchhöhle behaftet ist, kann somit umgangen werden. Die Implantation eines Reservoirs erlaubt die intrathekale Verabreichung von Chemotherapeutika. Hierbei wird ein kleiner kissenförmiger Kunststoffbehälter unter der Kopfhaut platziert, der über einen kleinen Katheter mit der Hirnkammer in Verbindung steht (씰Abb. 3). Bei einzelnen Patienten kommt auch eine Rezidivoperation infrage, dies wird hauptsächlich in Abhängigkeit von Allgemeinzustand und Gesamtprognose der Grunderkrankung sowie noch möglichen zu Verfügung stehenden therapeutischen Optionen indiziert. Bei Vorliegen eines kleinzelligen Bronchialkarzinoms, Lymphomen oder Germinomen ist eine Operation nicht indiziert, da es sich in diesen Fällen um Radio-und Chemosensitive Tumorarten handelt. Strahlentherapie Da der Nachweis einer singulären Hirnmetastase die grundsätzliche Fähigkeit des Primärtumors zu Metastasierung belegt, muss angenommen werden, dass bei Nachweis einer Hirnmetastase bereits eine Streuung in das Gehirn stattgefunden hat und mikroskopisch kleine Absiedlungen, die mittels der heutigen Verfahren nicht dargestellt werden können vorliegen. Daher etablierte sich die Ganzhirnbestrahlung als Standardtherapie (4). Insgesamt werden 30–40 Gy in unterschiedlicher Fraktionierung verabreicht. Kriterien für die primäre Strahlentherapie in Form einer Ganzhirnbestrahlung sind ● Schlechter Allgemeinzustand ● Alter >70 J ● Fortgeschrittenes Krankheitsstadium © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 26 M. Nadji-Ohl: Hirnmetastasen – veränderte Therapieeinstellung mit einer Strahlentherapie eingesetzt werden. Dies ist abhängig von der Tumorart. Behandlung im Rezidiv Die Therapie im Rezidiv oder bei Progress unter der laufenden Behandlung hängt im wesentlichen von dem Allgemeinzustand des Patienten und der Gesamtprognose der Grunderkrankung ab. Hierzu gibt es keine einheitliche Richtlinien und nur wenige Studien, sodass im Einzelfall individuell entschieden werden muss. Abb. 2 Endoskopischen Ventrikulostomie ● ● ● ● Multipler Organbefall Eingeschränkter Gesamtprognose, Lebenserwartung <3 Monaten Solitäre oder singuläre Metastase, die aufgrund der Lokalisation nicht reseziert werden kann Multiple Metastasen Radiochirurgie Mit der Einführung der Radiochirurgie (stereotaktische Einzelbestrahlung mit dem Gammaknife oder Linearbeschleuni- ger) haben sich die Behandlungsmöglichkeiten bei Hirnmetastasen erweitert. Sie eignet sich als minimalinvasive ambulante Therapie für Patienten mit kleinen solitärer oder multiplen Metastasen. Insbesondere beim multiplen Befall ist sie eine gute alternative zur mikrochirurgischen Resektion. Sie wirkt sowohl bei strahlensensitiven als auch strahlenresistenten Tumorarten (5). Die Radiochirurgie wird bei Läsionen mit einem Durchmesser <3cm angewandt, sie kann auch im Rezidivfall eingesetzt werden. Die lokale Kontrolle liegt bei 70–90%. Eine randomisierte Vergleichsstudie zeigt, dass das Ansprechen auf die Ganzhirnbestrahlung bei multiplen Metastasen kürzer andauert und das die lokale Kontrolle bei zusätzlicher Radiochirurgie besser war (6). Die Radiochirurgie ist die Therapie der Wahl bei Metastasen im Hirnstamm. Chemotherapie Abb. 3 Implantation eines Reservoirs – ein kleiner kissenförmiger Kunststoffbehälter wird unter der Kopfhaut platziert, der über einen kleinen Katheter mit der Hirnkammer in Verbindung steht. Die Chemotherapie spielt in Behandlung von cerebralen Metastasen eine untergeordnete Rolle unter anderem weil oft ein primär chemoresistenter Tumor vorliegt, wie zum Beispiel Nierenzellkarzinom, Melanom, Gastrointestinale Tumoren. Es werden die Chemotherapieprotokolle eingesetzt, die auch bei der Behandlung anderer Organmetastasen Anwendung finden. Die Chemotherapie kann als alleinige Therapiemodalität oder in Kombination Nachsorge MRT Verlaufskontrollen sollten alle 3 Monate erfolgen. Die Indikation zur Gabe von Steroiden und Antikonvulsiva sollte regelmäßig überprüft werden. Nach Strahlentherapie kann es zu einer Hypophyseninsuffizienz kommen, entsprechende Symptome müssen beachtet werden. Literatur 1. Patchell et al. A randomized trial of surgery in the treatment of single metastases to the brain. N Engl J Med 1990; 322: 494-500. 2. Vech et al. Postoperative radiotherapy in the treatment of single metastases to the brain JAMA 1999; 17: 1485-1489. 3. Vecht CJ et al. Treatment of single brain metastasis: Radiotherapy alone or combined with neurosurgery? Ann Neurol 1993; 33: 583-590. 4. Khunita D et al. Whole brain radiotherapy in the management of brain metastasis J Clin Oncol 2006; 24: 1295-1304. 5. Fuentes R, Bonfill X, Exposito J. Surgery versus radiosurgery for patients with a solitary metastasis from non small cell lung cancer. Cochrane Database Syst Rev 2006; 1 CD 004840. 6. Kondziolka D et al. Stereotactic radiosurgery plus whole brain radiotherapy versus radiotherapy alone for patients with multiple brain metastases. Int J Radiat Oncol Biol Phys 1999; 45: 427-434. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. Neuro-Onkologie © Schattauer 2011 Therapie maligner Gliome Aktuelle Konzepte F. Schmidt-Graf Neurologische Klinik, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München Schlüsselwörter Keywords Glioblastom, maligne Gliome, Therapie Glioblastoma, glioma, therapy Zusammenfassung Summary In der Behandlung maligner Gliome hat sich in den letzten Jahren viel getan, therapeutischer Nihilismus ist nicht mehr angesagt. Die Standardtherapie besteht aus Operation, gefolgt von kombinierter Radiochemotherapie und Chemotherapie bei WHO-Grad-IV-Gliomen, bei WHO-Grad-III-Tumoren kommen Strahlentherapie oder Chemotherapie bei der Erstdiagnose zum Einsatz. Eine besondere Situation stellt sich bei älteren Patienten, die eine schlechtere Prognose und Ansprechen auf die Therapie zeigen. Beim Rezidiv maligner Gliome sollte individuell entschieden werden, es stehen zunehmend mehr Therapiealternativen zur Verfügung. Auch die symptomatische und supportive Therapie sollten nicht vernachlässigt werden und, gleich in welchem Krankheitsstadium, antiepileptische Medikation, Ödembehandlung und Thrombosenprophylaxe bzw. -therapie überdacht und optimiert werden. Therapy of malignant glioma has changed and developed further in the last years. Standard therapy consists of operation with consecutively radiochemotherapy and chemotherapy in WHO grade IV glioma, and either radiotherapy or chemotherapy in grade III glioma. Older patients, who have a worse prognosis, should be considered separately. In case of recurrent disease, further therapy should be discussed individually with more and more therapeutically options. Symptomatic and supportive treatment must not be neglected and should be always reconsidered and optimized. Korrespondenzadresse Priv.-Doz. Dr. Friederike Schmidt-Graf Neurologische Klinik, Klinikum rechts der Isar Technische Universität München Ismaningerstr. 22, 81675 München Tel. 089/4140–4606, Fax –4867 [email protected] Management of malignant glioma – current concepts Onkologische Welt 2011; 2: 27–30 Nachdruck aus: Nervenheilkunde 2010; 29: 815–819 Glioblastome stellen mit Abstand den größten Anteil der primären Hirntumore dar (씰Abb. 1), gefolgt von den anaplastischen Gliomen (WHO III°). Die Prognose der malignen Gliome ist immer noch relativ schlecht und bewegt sich zwischen Monaten und Jahren, jedoch hat sich in den letzten Jahren aufgrund intensivierter Therapien und Studien viel verändert. Auch die Überlebensraten nach mehreren Jahren sind deutlich gestiegen. Zunehmend hat sich gezeigt, dass kein therapeutischer Nihilismus an den Tag gelegt werden sollte, sondern es sich meist lange lohnt, nach Therapiemöglichkeiten zu suchen und diese zu optimieren. Bei jeder bildgebend nachgewiesenen zerebralen Raumforderung mit Verdacht auf ein Gliom sollte unbedingt eine histologische Diagnosesicherung nach der aktuellen WHO-Klassifikation von 2007 (12) durch eine Biopsie oder Operation angestrebt wer- den. Nur so können Patient und Angehörige wirklich umfassend beraten und über das weitere Prozedere entschieden werden. Eine operative Intervention, insbesondere eine Biopsie, stellt heutzutage keinen großen Eingriff mit langem Krankenhausaufenthalt mehr dar. Weiterhin gilt jedoch bei Gliomen, dass die Vermeidung neuer permanenter neurologischer Defizite bei der Operationsplanung gegenüber operativer Radikalität Vorrang haben sollte. Hohes Alter und ein niedriger Karnofsky-Index sind negative prognostische Faktoren, weshalb bei diesen Patientengruppen meist nur eine Biopsie durchgeführt werden sollte. Nach einer Resektion oder Teilresektion wird innerhalb von 48 bis 72 Stunden eine Kernspintomografie mit Kontrastmittel durchgeführt, welche als Ausgangsbefund für weitere Kontrollen dient. Lange war die Frage des Nutzens der OPRadikalität – wenn ohne neues neurologisches Defizit machbar – umstritten. Spätestens seit der Studie von Stummer und Kollegen (18) mit fluoreszenzgestützter Operation mit 5-Aminolävulinsäure (5-ALA) ist nachgewiesen, dass durch 5-ALA die Rate kompletter Resektionen verbessert (65 vs. 36%) und damit die Rate der Progressionsfreiheit nach sechs Monaten erhöht werden kann (41 vs. 21%). Seitdem wird 5-ALA zur Operation bei Verdacht auf ein malignes Gliom regelmäßig eingesetzt. Nach der operativen Sicherung der histologischen Diagnose kommen bei der Therapie maligner Gliome Strahlentherapie und/oder Chemotherapie in Frage: Die Strahlentherapie erfolgt im Bereich der erweiterten Tumorregion mit normalerweise 60 Gy Gesamtdosis. Eine hypofraktionierte Bestrahlung kann eventuell bei älteren Patienten oder Patienten mit schlechtem Karnofsky-Index sinnvoll sein. Eine Chemotherapie ist meist recht gut verträglich und wird insbesondere bei jüngeren Patienten und gutem Karnofsky-Index (Patienten mit besserer Prognose, mit Risiko von kognitiven Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 27 28 F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome Langzeitnebenwirkungen nach Bestrahlung) diskutiert, zunehmend aber aufgrund der meist guten Verträglichkeit und der Möglichkeit der ambulanten Einnahme zu Hause auch bei älteren Patienten überlegt. Wichtig sind begleitend regelmäßige Blutbildkontrollen und meist der Einsatz einer antiemetischen Prophylaxe bzw. Therapie mit Metoclopramid oder bei nicht ausreichender Wirkung frühzeitig Umstellung auf einen 5-HT3-Rezeptorantagonisten. Therapeutisches Vorgehen Abb. 1 Kranielles MRT (T1 mit Kontrastmittel) einer Patientin mit Glioblastom. Glioblastom Die Standardtherapie beim Glioblastom besteht prinzipiell aus Operation (Resektion oder Biopsie), Strahlentherapie und Chemotherapie. Seit der EORTC-Studie 26981 (19) wird der Operation nachfolgend die Radiochemotherapie mit Temozolomid und anschließend die Chemotherapie mit Temozolomid in veränderter Dosierung durchgeführt. Wirkmechanismus von Temozolomid ist eine DNA-Methylierung. Temozolomid hat neben der nachgewiesenen Wirksamkeit die Vorteile einer guten Verträglichkeit, oraler Einnahmemöglichkeit, eine Bioverfügbarkeit von nahezu 100% mit nur geringer Proteinbindung, sodass die Beeinflussung der Pharmakokinetik anderer Medikamente unwahrscheinlich und zu vernachlässigen ist. Die Einnahme erfolgt analog der EORTCStudie während der Strahlentherapie in einer Dosierung von 75 mg/m2 durchgehend über ca. sechs Wochen und anschließend nach vier Wochen über sechs Zyklen an jeweils fünf von 28 Tagen in einer Dosierung von 150 mg/m2 bzw. bei guter Verträglichkeit und regelrechtem Blutbild 200 mg/m2. Im Rahmen der EORTC-Studie wurden ein medianes progressionsfreies Überleben von 6,9 Monaten gegenüber 5,0 Monaten bei alleiniger Strahlentherapie und ein medianes Gesamtüberleben von 14,6 Monaten gegenüber 12,1 Monaten erreicht. Dabei konnte erstmals bei Glioblastompatienten gezeigt werden, dass es aufgrund eines molekularen Markers unterschiedliche Prognosen gibt: MGMT (O6-Methylguanin-Methyltransferase), ein DNA-Reparaturenzym, das die Wirkung von Alkyl- anzien aufhebt bzw. abschwächt, wird durch Methylierung der Promotorregion „ausgeschaltet“. Vor allem Patienten mit Glioblastom, die eine Methylierung des MGMT-Gens im Tumor aufwiesen, profitierten von Temozolomid (8). Auch eine aktuelle Auswertung der verbliebenen Patienten (20) konnte den Vorteil der kombinierten Therapie mit Temozolomid weiter bekräftigen: Nach zwei Jahren lebten 27,2% (10,8% bei alleiniger Strahlentherapie), nach drei Jahren 16,4% (4,4%) und nach vier Jahren noch 12,1% (3,0%) der Glioblastom-Patienten. Zusätzlich zeigte sich, dass die älteren Patienten in der Studienpopulation (65 bis 70 Jahre) auch von der kombinierten Therapie profitieren, was bislang umstritten war; allerdings ohne Signifikanz, da die Patientenzahlen in der verbleibenden Population zu gering waren. Auch profitierten Patienten mit nicht methyliertem MGMT-Status von der kombinierten Therapie, was initial in Frage gestellt werden musste, sodass künftig bei (noch) fehlenden Alternativen außerhalb von Studien diesen Patienten die kombinierte Therapie nicht vorenthalten werden darf. Der genaue Hintergrund bei Patienten mit nicht methyliertem MGMTStatus bleibt letztendlich bislang unklar. Anaplastische Gliome (WHO III°) schließender Strahlentherapie der erweiterten Tumorregion (11). An der Wirksamkeit einer Chemotherapie bestand wenig Zweifel, jedoch blieb der optimale Zeitpunkt (Primär- oder Rezidivtherapie) ungewiss. Eine ähnlich gute Wirksamkeit von Chemotherapie und Strahlentherapie in der Primärsituation bei anaplastischen Tumoren mit oligodendroglialem Anteil wurde bereits vermutet, wobei den Tumoren mit oligodendroglialem Anteil ohnehin eine bessere Prognose zugeschrieben wird (21). Zur Untersuchung von Wirksamkeit und Sicherheit der primären Chemotherapie mit PCV (Procarbazin, CCNU, Vincristin) oder mit Temozolomid mit nachfolgender Strahlentherapie bei Progress im Vergleich mit primärer Strahlentherapie gefolgt von einer der beiden Chemotherapien bei Progress wurde die NOA-04-Studie bei Patienten mit anaplastischen Gliomen durchgeführt (24). Die mittlere Zeit bis zum Therapieversagen (Zeit bis zum Progress nach Einsatz beider Therapieformen), progressionsfreies Überleben mit der ersten Therapie und das Gesamtüberleben unterschieden sich bei beiden Therapiearmen nicht signifikant. Bei den Chemotherapien war bei gleicher Wirksamkeit Temozolomid besser verträglich. Auch in dieser Studie konnte gezeigt werden, dass bei Patienten mit methyliertem MGMT die Prognose günstiger ist, überraschenderweise auch bei den primär nur bestrahlten Patienten. Weitere prognostisch günstige Faktoren waren Mutationen des „neuen“ Markers IDH-1 (Isozitratdehydrogenase-1), 1p/19q-Deletion und Ausmaß der Resektion. Anaplastische Oligodendrogliome und Oligoastrozytome hatten die gleiche, deutlich günstigere Prognose als anaplastische Astrozytome. Bei anaplastischen Gliomen kann also in Zukunft als Standard primär nur die Strahlentherapie oder alternativ mit gleicher Wirksamkeit die Chemotherapie (wobei aufgrund der besseren Verträglichkeit Temozolomid gegenüber PCV der Vorzug zu geben ist) eingesetzt werden. Der Stellenwert kombinierter Radiochemotherapie ist bei anaplastischen Gliomen nicht gesichert und deshalb nicht indiziert, dies ist Gegenstand weiterer Studien. Die Standardtherapie bei anaplastischen Gliomen war bislang die Operation mit an- Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome Ältere Patienten (Gliome III° und IV°) Ältere Patienten machen einen besonders hohen Anteil bei Patienten mit malignen Gliomen aus und haben eine besonders schlechte Prognose, häufig nur im Bereich von Monaten. Bei älteren Patienten und Patienten mit schlechter Prognose wird häufiger eine hypofraktionierte Bestrahlung eingesetzt. Dass die Strahlentherapie wirksam ist, konnte gezeigt werden (9), jedoch wird sie insbesondere wegen kognitiver Nebenwirkungen im längeren Verlauf kontrovers diskutiert. In der NOA-08-Studie (Methusalem-Studie) wurde nun die konventionelle Strahlentherapie (60 Gy, 1,8 bis 2 GyFraktionen) mit Temozolomid-Chemotherapie in dosisintensiviertem Schema (7/14 Tage, wöchentlich alternierende Gabe) bei Patienten über 65 Jahren mit Glioblastom oder anaplastischem Astrozytom verglichen. Hierbei fand sich bei primärer Strahlentherapie eine signifikant bessere Einjahres-Überlebensrate mit 38% als bei der primären Temozolomid-Chemotherapie (30%) bei schlechterer Verträglichkeit der Chemotherapie (25). In einer anderen Studie (Nordic Brain Tumor Trial) wurde konventionell fraktionierte Strahlentherapie mit hypofraktionierter Bestrahlung (10 x 3,4 Gy) und mit Temozolomid im konventionellen Schema (5/28 Tage) bei Glioblastompatienten über 60 Jahre verglichen: Die medianen Überlebenszeiten betrugen sechs, 7,5 und acht Monate, ohne Signifikanz (13). Die ausführlichen Publikationen mit genaueren Analysen z. B. MGMT-Status oder Rezidivtherapie stehen noch aus. Rezidivtherapie Die Rezidivtherapie ist grundsätzlich abhängig von der erfolgten Primärtherapie (mittlerweile hatten nahezu alle Patienten in der Primärtherapie bereits Temozolomid im Standardschema), topografischem Muster des Rezidivs (lokal begrenzt, andere Lokalisation, multilokulär), bestehender Knochenmarksreserve, Allgemeinzustand des Patienten und natürlich dem Patienten- und Angehörigenwunsch. Mögliche Optionen der tumorspezifischen Therapie, die individuell diskutiert werden müssen, sind erneute Operation, (erneute) Bestrah- lung, (erneute) Chemotherapie mit Temozolomid oder den „klassischen“ Alkylanzien (ACNU, CCNU, PC), Einsatz von „experimentellen“ Substanzen oder die Palliation mit alleiniger symptomatischer und supportiver Therapie. Bei Einsatz von Temozolomid kommen dosisintensivierte Protokolle (z. B. 7/14 Tage, wöchentlich alternierend, Dosis 100 bis 150 mg/m2 (22); 21/28 Tage, Dosis 75 bis 100 mg/ m2 (3); durchgehend 50 mg/ m2 (15)) in Frage mit der Vorstellung einer länger anhaltenden MGMT-Depletion. Der Vergleich unterschiedlicher Temozolomid-Schemata ist derzeit Gegenstand von Studien. Zu beachten ist bei diesen Einnahmeschemata immer das erhöhte Risiko relevanter Myelosuppression und die eventuelle zusätzliche Einschränkung der Lebensqualität durch die häufigere Einnahme. Alternativ bzw. beim erneuten Rezidiv werden die Nitrosoharnstoffe CCNU oder ACNU eingesetzt, allerdings mit sehr eingeschränkter Wirksamkeit und ausgeprägter Hämatotoxizität (7), sodass diese Substanzen, zumal in Anbetracht wachsender Alternativen, vermutlich eine zunehmend geringere Rolle spielen werden. Bei den „experimentellen“ Substanzen kommen z. B. Bevacizumab (6, 10), Cediranib (2), Cilengitide (16), Enzastaurin und andere Kinaseinhibitoren (5) mit unterschiedlichem Erfolg zum Einsatz. Allerdings stellt die fehlende bzw. abgelehnte (Bevacizumab in Deutschland) Zulassung häufig eine Schwierigkeit dar. Auch werden einige dieser Substanzen derzeit in der Primärtherapie getestet, sodass sich bei Therapie-Erfolg eventuell wieder ganz neue Vorgehensweisen entwickeln werden. Inwieweit andere Behandlungsansätze z. B. die lokale Therapie oder immunologische Verfahren zum durchschlagenden Erfolg führen, bleibt abzuwarten. Symptomatische und supportive Therapie Antiepileptische Therapie Da epileptische Anfälle bei Patienten mit Gliomen häufig auftreten und zur zusätzlichen Verunsicherung von Patient und Angehörigen sowie oft zu (unnötigen) Kran- kenhausaufenthalten führen, ist die Frage der Therapie wichtig. Eine Primärprophylaxe ist aber dennoch nicht indiziert oder sinnvoll. Nach einem einzelnen präoperativen Anfall ist die pragmatische Empfehlung, keine antiepileptische Medikation zu beginnen oder eine begonnene perioperative Medikation nach makroskopischer Komplettresektion langsam auszuschleichen. Ansonsten sollte über die weitere antiepileptische Medikation in Abwägung von Anfallsrisiko und Nebenwirkungsrisiko entschieden werden. Bei mehreren stattgehabten Anfällen, insbesondere postoperativ, ist eine antiepileptische Therapie obligatorisch. Bei der Wahl des Antiepileptikums ist außer individuellen Gesichtspunkten und Verträglichkeit die Interaktion mit CYTP450-induzierenden Substanzen durch enzyminduzierende Antiepileptika (EIAEDs) (Carbamazepin, Phenytoin) zu beachten, da es hierdurch zu verminderten Plasmaspiegeln von Chemotherapeutika als auch zur verkürzten Halbwertszeit von Dexamethason kommen kann. Mittel der ersten Wahl ist meist Levetiracetam, da es verschiedene Vorteile besitzt: keine bekannten Interaktionen, gute Verträglichkeit (cave: psychische und psychiatrische Nebenwirkungen!), schnelle Aufdosierung, oral und intravenös einsetzbar. Antiödematöse Therapie Maligne Gliome werden im Gegensatz zu gutartigen zerebralen Raumforderungen häufig von einem Ödem begleitet, insbesondere bei zunehmendem Wachstum. Eine Rolle bei der Entstehung spielt vermutlich VEGF (vascular endothelial growth factor). Grundsätzlich sprechen zerebrale Ödeme gut auf Kortikosteroide an, weshalb meist Dexamethason eingesetzt wird. Dieses sollte je nach Dosis und Klinik 1– bis 4-mal täglich gegeben werden, bei einmal täglicher Gabe mit morgendlicher Einnahme. Hohe Dosen von Steroiden sollten in der Akutsituation bei drohender Einklemmung oder rascher klinischer Verschlechterung eingesetzt werden. Bei der häufig sinnvollen perioperativen Gabe sollte je nach klinischer Symptomatik zügig eine Reduktion bzw. Ausschleichen der Ste- © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. 29 30 F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome roiddosis postoperativ erfolgen. Allgemein sollte für die Steroidgabe der Satz „so wenig wie möglich, soviel wie nötig“ gelten, um eine optimale Wirkung bei möglichst wenig oder keinen Nebenwirkungen zu erzielen. Nebenwirkungen einer längerfristigen Steroidgabe mindern fast immer die Lebensqualität der Patienten und sollten bei der Betreuung von Gliompatienten stets beachtet und die Steroiddosis überdacht werden. Bei der regelmäßigen Betreuung der Patienten sollte die Steroiddosis aufgrund der klinischen Symptomatik und Ansprechen gewählt und nicht allein Ödeme auf MRT-Bildern (ohne klinisches Korrelat) behandelt werden. Ergänzend bzw. auf Wunsch mancher Patienten kommt selten der Einsatz von Boswelliasäuren in der antiödematösen Therapie in Frage (23). Dies kann manchmal einen Teil der Kortisondosis ersetzen, ist aber keine grundsätzliche Alternative zur Steroidgabe in der antiödematösen Therapie, insbesondere nicht im Akutfall. Passend zur pathophysiologischen Vorstellung, dass VEGF eine Rolle bei der Ödementstehung spielt, scheint auch Bevacizumab als VEGF-Antikörper eine gute antiödematöse Wirkung zu haben. Bei der tumorspezifischen Therapie mit Bevacizumab kann insofern häufig im Therapieverlauf die Kortisondosis reduziert werden. Der alleinige Einsatz von Bevacizumab mit dem Ziel der antiödematösen Therapie als Steroidalternative ist schon allein aus finanziellen Gesichtspunkten sicher nicht gerechtfertigt. Fazit für die Praxis Das therapeutische Vorgehen bei malignen Gliomen besteht aus Operation mit histologischer Diagnosesicherung, Strahlentherapie und/oder Chemotherapie. Radikalität der Operation ist mit einer besseren Prognose vergesellschaftet, sollte jedoch nicht auf Kosten neuer neurologischer Defizite ausgeweitet werden. Bei Glioblastomen ist die Standardtherapie nach Operation Radiochemotherapie und anschließende Chemotherapie mit Temozolomid. Bei anaplastischen Gliomen sollte nach der Operation die Strahlentherapie oder alternativ die Chemotherapie eingesetzt werden. Bei älteren Patienten (> 70 Jahre) sollte man sich auf eine Monotherapie beschränken, der Standard besteht aus der alleinigen Strahlentherapie. Im Rezidiv kommen zunehmend verschiedene therapeutische Alternativen in Frage, die individuell diskutiert werden müssen. Symptomatische und supportive Therapie sind zusätzlich in jedem Krankheitsstadium zu überdenken und optimieren. Thrombosen Die Inzidenz von tiefen Beinvenenthrombosen und Lungenembolien beträgt bei Patienten mit malignen Gliomen mindestens 20 bis 30% (14). Der genaue Zusammenhang zwischen malignen Gliomen und dem erhöhten Risiko für thrombotische Ereignisse im Einzelnen ist unklar, vermut- lich hängt dies mit der Ausschüttung von verschiedenen thrombogenen Faktoren durch die Gliomzellen zusammen und wird durch weitere Faktoren wie z. B. Immobilität oder eingeschränkte Mobilität, verschiedene Medikamente, Chemotherapien verstärkt. Trotz des bestehenden Einblutungsrisikos in den Tumor bzw. die Tumorhöhle konnte durch Antikoagulation bei Patienten mit Gliom und Thrombose kein erhöhtes Blutungsrisiko gefunden werden (1, 4). Insofern sind sowohl eine Primär- (perioperativ!) als auch Sekundärprophylaxe gegen thrombotische Geschehen bei Patienten mit malignen Gliomen möglich und sinnvoll. Zu beachten sind dabei zusätzliche Risiken für Blutungen wie eine chemotherapieinduzierte Thrombopenie bei gleichzeitiger Antikoagulation. Zur Therapie thrombotischer Ereignisse und Sekundärprophylaxe ist die Gabe von Marcumar möglich, jedoch die Verordnung von niedermolekularen Heparinen gleichwertig und eher zu empfehlen. Oft reicht die Therapie über drei Monate aus und kann nach einer Ultraschallkontrolle abgesetzt werden (17). Dies minimiert das Risiko der Therapie ebenso wie die Belastung der Lebensqualität durch tägliche Heparinspritzen oder Tabletteneinnahme mit Blutentnahmen. Literatur unter: www.onkologische-welt.de Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. F. Schmidt-Graf: Therapie maligner Gliome Literatur 1. Altschuler E, Moosa H, Selker RG, Vertosick FT Jr. The risk and efficacy of anticoagulant therapy in the treatment of thromboembolic complications in patients with primary malignant brain tumors. Neurosurgery 1990; 27(1): 74–76. 2. 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Neuroonkologischen Symposiums am Klinikum Stuttgart waren die Schädelbasis-Tumoren, ein Grenzgebiet zwischen Neurochirurgie, Hals-Nasen-Ohren- und Zahn-Mund-Kiefer-Gesichts-Chirurgie. Zu der mit 6 Weiterbildungspunkten von der Bezirksärztekammer Nord-Württemberg zertifizierten Veranstaltung luden die Organisatoren, Prof. Nikolai Hopf und Frau OÄ Minou Nadji-Ohl, Neurochirurgische Klinik Stuttgart, hochkarätige Referenten, um das spannende Thema rund um die „Wölfe im Schafspelz“ den rund 60 Teilnehmern transparent zu machen. Die optimale Behandlung der Schädelbasis-Tumore setzt neben genauen anatomischen Kenntnissen und chirurgischen Fähigkeiten der jeweiligen Fachrichtung eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus. Jüngste technische Entwicklungen der vergangenen Jahre – beispielsweise die HD-Endoskopie – erlauben ein minimal invasives schonendes Operieren mit hoher Präzision und Sicherheit für die Patienten. In der Vergangenheit wurde bei ausgedehnten Schädelbasis-Tumoren invasiv und z. T. sehr destruktiv operiert, was für den Patienten teilweise erhebliche funktionelle Ausfälle zur Folge hatte. Aktuell besteht eher die Tendenz bei ausgedehnten Prozessen ein mehrzeitiges Vorgehen zu favorisieren (씰Abb. 3–5), da durch ein minimal-invasives Vorgehen wichtige anatomische Strukturen in der Nähe des Tumors geschont werden können. Auch die radikale Resektion eines Tumors wird nicht immer um jeden Preis angestrebt, der Erhalt der Funktionalität geht vor die Radikalität. Moderne Verfahren in der Radiotherapie bieten in solchen Fällen zusätzliche Therapieoptionen. Zu den Tumoren der Schädelbasis zählen Tumore der vorderen, mittleren und hinteren Schädelgrube (씰Abb. 1-3), sowie Teile des Clivius. Sie stehen dort in enger Beziehung zum Knochen, Hirnhaut, Hirnnerven und hirnversorgenden Gefäßen. Tumore in dieser Region können die Schädelbasis infiltrieren. Sie können durch ihr Wachstum Hirnnerven und Gefäße ummauern oder verdrängen. All diese Aspekte sind bei der Operation zu berücksichtigen um Funktionsausfälle und Komplikationen zu vermeiden. Zu den häufigsten Schädelbasistumoren gehören ● Meningeom ● Neuriom ● Hypophysenadenom ● Kraniopharyngeom ● Neubildungen von Knochen und Knorpel Abb. 2 Tumor der vorderen (frontalen) Schädelgrube – Operation über interhemisphärellen Zugang (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) ner, Neurologische Klinik, Klinikum Stuttgart. Zur Diagnostik von Riechstörungen können sogenannte „Sniffing Sticks“ eingesetzt werden. Ebenso lassen sich olfaktorisch evozierte Potenziale messen. Mehr experimentellen Charakter hat die Diagnostik im funktionellen Kernspin in Kombination mit einem Olfaktometer, so Bäzner. Visusminderung und Gesichtsfeldeinschränkungen sowie Doppelbilder können infolge von Tumoren der Hypophyse oder Läsionen im Bereich des Sinus cavernosus auftreten, mittels Perimetrie und visuell evozierten Potenzialen können richtungsweisende Befunde erhoben werden. Die Mehrzahl der Tumore der Schädelbasis sind benigne, Metastasen und Plattenepithelkarzinome sind die häufigsten malignen Formen. Neben einer sorgfältigen OP-Planung sind grundsätzlich verschiedene OP-Zugänge möglich, die je nach Sitz des Tumors gewählt werden. Minimal invasive Zugänge gestatten hierbei ein schonendes Operieren vieler Entitäten. Als wichtige diagnostische und operative Hilfsmittel haben sich Bildgebung und das intraoperative Neuromonitoring etabliert, so das Fazit der Expertin. Neurologische Symptome bei Läsionen der Schädelbasis Abb. 1 Tumor der mittleren (temporalen) Schädelbasis – Operation über subtemporalen Zugang (Mit freundl. Genehmigung:Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) Die Symptomatik neurologischer Ausfallerscheinungen, die bei Tumoren der Schädelbasis beobachtet werden können, betreffen im Wesentlichen die Sinnesorgane, erläuterte Prof. Hansjörg Bäz- Abb. 3 Tumor der mittleren und hinteren Schädelgrube – zweizeitiges Vorgehen über a) retromastoidalen b) subtemporalen Zugang (Mit freundl. Genehmigung:Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. NeuroOnkologie 32 XII) betroffen sein. Entsprechend können neurologische Symptome wie z.B. eine Trigeminusneuralgie, Missempfindungen im Gesicht, Doppelbilder oder Schluckstörungen die Folge sein. Chirurgie der petroclivalen Meningeome Abb. 4 Post-OP-Kontrolle nach Entfernen des Tumors der hinteren Schädelgrube (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart) Die langsam wachsenden Akustikusneurinome im Bereich des Nervus vestibulocochlearis können sowohl einen langsam verlaufenden Hörverlust bedingen als auch zu einem plötzlich auftretenden Hörsturz führen. Tinnitus und Schwindel (Nystagmographie mit Kalorik) können auch ein Hinweis auf ein Akustikusneurinom sein. Bei sehr großen Kleinhirnbrückenwinkeltumoren können zusätzlich zum Gesichtsnerv (N. facialis) weitere Hirnnerven wie z.B. der N. trigeminus, N. trochlearis, N. abducens und die caudalen Hirnnervengruppe (IX- Abb. 5 Post-OP-Kontrolle nach Entfernen des temporalen Tumoranteils. Ein kleiner im Sinus cavernosus gelegener Tumorrest wird später mittels Gamma knife gehandelt werden (Mit freundl. Genehmigung: Neuroradiologie, Katharinenhospital, Stuttgart). Bis in die 1960- bis 1970er-Jahre galten die petroclivalen Meningeome als nicht operabel. Neue Zugänge in den 1980er-Jahren machten erst möglich, diese Entitäten zu operieren, gab Prof. Marcos Tatagiba vom Universitätsklinikum Tübingen, zu bedenken. Heute wird durch kleinere Zugänge operiert unter der Prämisse, vitale Strukturen zu schonen, den Hirnstamm zu entlasten, die Patienten ggf. im Anschluss einer Strahlenbehandlung zuzuführen und die Tumoren zu kontrollieren, so der Experte. Laut Tatagiba ergab eine klinische Studie (1) zum natürlichen Verlauf der petroclivalen Meningeome an 21 Patienten über einen Zeitraum zwischen 4 und 10 Jahren unter Kernspin-Kontrolle, dass davon 63% unter Tumorwachstum Ausfälle entwickelten. Diese Tumoren werden demnach langfristig behandlungsbedürftig, so das Fazit aus dieser Studie. Für die Resektion der petroclivalen Meningeome steht eine Reihe möglicher chirurgischer Zugänge zur Verfügung. Der am häufigsten verwendete Zugang ist heute der retromastoidal/lateral suboccipitale Zugang, hierin sind sich Tatagiba und Hopf einig. Als weitere Zugänge sind der anterosigmoidal-subtemporale (= petrosaler Zugang), der infratemporale, der anterosigmoidal-retrolabyrinthäre sowie der frontotemporal-transcavernöse Zugang zu nennen. Allerdings ist die Komplikationsrate bei diesen Zugängen höher. Zur Resektion sehr großer Tumoren hat sich der kombinierte temporale und suboccipitale Zugang bewährt. Die Wahl des chirurgischen Zugangs ist hauptsächlich von der Tumorlokalisation, vom Ausmaß seiner duralen Festigkeit und auch von den angestrebten Operationszielen abhängig. Natürlich spielt die Abwägung der Vor- und Nachteile eines jeden Zugangs eine wichtige Rolle, ebenso die Erfahrung des Operateurs. Die transpetrosalen Zugänge dauern sehr lange und können zu Hörverlust führen, so Tatagiba. Der retrosigmoidale Zugang dagegen ist relativ einfach und leicht zu erlernen. Tatagiba kombiniert ihn mit einer halb-sitzenden Lagerung des Patienten bei der OP. Bei Eingriffen im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkels kann es im Verlauf der OP vorkommen, dass die Vena petrosa koaguliert werden muss. In diesen Fällen kann es postoperativ auch noch nach einigen Tagen zu schweren und teilweise lebensbedrohlichen Komplikationen kommen. Gezeigt wurden Fälle mit massiven Kleinhirnschwellungen infolge des venösen Staus und zerebelläre Blutungen sowie akuter Verschlusshydrocephalus. Entsprechend sind hier intensivmedizinische Therapien und weitere Operationen zwecks Entlastung erforderlich. Bleibt die Vena petrosa unverletzt, so kommt es nicht zu diesen Komplikationen, erläuterte Tatagiba. Falls es im Verlauf der OP die V. petrosa koaguliert wird, so ist der Patient post-OP unbedingt zu beobachten. Tatagiba rät deshalb dazu, die V. petrosa nach Möglichkeit zu erhalten. Hopf ergänzte in diesem Zusammenhang, dass die petroclivialen Meningeome zu den absolut schwerst zu operierenden Entitäten gehören. Endoskop-assistierte Schädelbasis-Chirurgie Grundsätzlich wird zwischen den rein endoskopischen Eingriffen (Endoskopische Neurochirurgie im engeren Sinne: EN) und endoskop-assistieren Eingriffen (씰Abb. 6, 7) (Endoskop-assistierte Mikroneurochirurgie: EAM) unterschieden (2-4). Bei den endoskop-assistierten Eingriffen kommen sowohl das Endoskop als auch das Mikroskop und somit die mikrochirurgischen Techniken zur Anwendung. Die EAM, welche von dem 2009 verstorbenen Prof.Axel Perneczky, ganz wesentlich in die Neurochirurgie implementiert wurde, hat in seiner neuesten Entwicklung durch die High Definition Endoskopie zu einer besseren Detailauflösung und verbesserter Farbechtheit in der Darstellung geführt. Für die Zukunft erwartet Prof. Nikolai Hopf neue Entwicklungen in Richtung einer 3-D-Darstellung im endoskopischen Bild. Eine weitere Herausforderung ist der Parallaxenausgleich, um ein verzerrungsfreies Bild zu erzielen. Das PICO-Projekt – Paraendoscopic Intuitive Computer Assisted Operating System (http://www.pico-endoscopy.org), ist unter anderem mit dieser Fragestellung befasst, so Hopf. PICO wird durch die Europäische Union im 6. Forschungsrahmenprogramm gefördert. Zu dem Konsortium gehören unter anderem das Katharinenhospital, Stuttgart, die Universitäten Greifswald und Nijmegen, sowie das Fraunhofer Institut für Produktionstechnik undAutomatisierung sowie die RobertWolf GmbH. Onkologische Welt 1/2011 © Schattauer 2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved. NeuroOnkologie 33 Die Schädelbasis aus Sicht der Mund-KieferGesichts-Chirurgie Abb. 6 An Tumorentitäten im Kiefer- und Gesichtsbereich werden vom MKG-Chirurgen hauptsächlich Plattenepithelkarzinome in der unteren Gesichtsetage operiert, erläuterte Dr. Rolf Bublitz, Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie, Stuttgart. Sehr häufig ist ein Splitting des Unterkiefers erforderlich sowie die Rekonstruktion der resezierten Unterkieferanteile mit Titanplatten. In der oberen Gesichtsetage dominieren ebenfalls die Plattenepithelkarzinome. Endoskopische biportale transsphenoidale Hypophysenoperation Schema der endoskop-assistierten Mikroneurochirurgie (EAM). OM: Operationsmikroskop; E: Endoskop; M: Mikroinstrumente; AC: Arachnoidalzyste (Mit freundl. Genehmigung: Neurochirurgische Klinik, Stuttgart). Abb. 7 Bei der hier routinemäßig rein endoskopischen Operation von Hypophysentumoren erfolgt der Zugang über beide Nasenlöcher (biportal). Über das linke Nasenloch wird das Endoskop eingeführt; über das andere die Operationsinstrumente. Der Operateur gelangt so auf direktem Wege über die Nasenhöhle in die Keilbeinhöhle und kann dann über eine kleine Öffnung im Boden der Sella turcica den Tumor resezieren. Die Vorteile dieser Technik liegen, wie Dr. Holger Opitz, Neurochirurgische Klinik Stuttgart, erklärte, in dem minimal-invasiven Zugang und der exzellenten optischen Darstellung des Operationsgebiets. Radioonkologische Behandlung von Schädelbasis-Tumoren – IMRT, IGRT und Ionentherapie Alternative und additive Therapieoptionen der Chirurgie von Schädelbasis-Tumoren sind radioonkologische Behandlungsmöglichkeiten. Sie eignen sich z. B. bei komplexen Zielvolumina des Tumors, der komplexen anatomischen Situation und bei Nähe der Tumorlage zu empfindlichen Risikoorganen. Zu den Verfahren zählen ● die Fraktionierte Stereotaktische Strahlentherapie, FSRT, ● die Stereotaktische Radiochirurgie, SRS, ● die Intensitätsmodulierte Radiotherapie, IMRT, ● die Helikale Tomotherapie. Schema der endoskop-kontrollierten Mikroneurochirurgie (ECM). E: Endoskop; M: Mikroinstrument; AC: Arachnoidalzyste (Mit freundl. Genehmigung: Neurochirurgische Klinik, Stuttgart). wie Frau Priv.-Doz. Stephanie E. Combs, Radioonkologie und Strahlentherapie, Heidelberg, ausführte. Ein Vorteil der Ionentherapie ist, dass die Dosis auf das Normalgewebe weiter reduziert werden kann. Seit 2009 steht mit dem Heidelberger Ionenstrahl-Therapizentrum, HIT, ein weltweit einzigartige Therapieanlage in der modernen Krebstherapie zur Verfügung. Gamma Knife Radiochirurgie im Bereich der Schädelbasis Die Entwicklung des Gamma Knife begann 1968 durch den schwedischen Neurochirurgen Lars Leksell. Im Gamma Knife Zentrum Krefeld, so Dr. Gerhard A. Horstmann, werden heute in der Tumorbehandlung mit dem Gamma Knife Perfexion™ 192 niedrigdosierte Kobalt-60-Strahlen in einem Punkt fokussiert und somit eine therapeutisch wirksame Gesamtstrahlendosis im Zielgebiet des Tumors unter Schonung des umliegen- den Gewebes erreicht. Nach Abschluss der Behandlung vergrößert sich das Tumorvolumen zunächst und bildet sich dann im weiteren zeitlichen Verlauf zurück. Hirnmetastasen verringern ihr Volumen meist nach sechs Wochen, bei Angiomen kann es einige Jahre dauern, bis die Rückbildung signifikant wird. Demzufolge müssen die Kontrollintervalle angepasst erfolgen, so der Experte. Mittels Gamma Knife lassen sich Tumore bis zu einem Volumen von 3 ccm behandlen. Dr. Peter Henning, Stuttgart Literatur 1. Van Havenbergh T et al. Neurosurgery 2003; 52: 55–62; discussion 62–64. 2. Hopf NJ, Perneczky A. Neurosurgery 1998; 43: 1330-1337. 3. Hopf NJ et al. Neurosurgery 1999; 44: 795-806. 4. Hopf NJ. Minim Invasiv Neurosurg 1999; 42: 162. Quelle: 8. Neuroonkologisches Seminar „Schädelbasis-Tumore“ am 17. November 2010, Katharinenhospital Stuttgart. Veranstalter: OÄ Minou Nadji-Ohl, Leiterin Schwerpunkt Neuroonkologie. © Schattauer 2011 Onkologische Welt 1/2011 Downloaded from www.onkologische-welt.de on 2017-10-21 | IP: 88.99.70.242 For personal or educational use only. No other uses without permission. All rights reserved.