Hintergrundinformationen zu den einzelnen Forderungen des Deutschen Hebammenverbandes e. V. Überführung und Modernisierung des § 195 der Reichsversicherungsordnung ins Sozialgesetzbuch Jeder Frau steht im Rahmen von Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit Hebammenhilfe zu. Als einziger Leistungsanspruch ist dieser noch in der Reichsversicherungsordnung (RVO) von 1911 festgelegt (§195), statt wie alle anderen Leistungen seit über 40 Jahren, im Sozialgesetzbuch. Somit sind Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit als gesundes, physiologisches Ereignis nicht im SGB benannt und finden daher bei Gesetzesänderungen, wie z.B. dem Präventionsgesetz, keine Berücksichtigung. Die gesetzlichen Regelungen im SGB V sind überwiegend auf krankhafte Zustände zugeschnitten. Die Mehrzahl der gesunden Mütter und ihre Neugeborenen bleiben dabei unberücksichtigt. Die in der RVO paragraphierte Regelung beinhaltet lediglich das Wort „ Hebammenhilfe“ , ohne hier weitere Ausführungen über den Umfang dieser Leistung zu machen. In der Folge wird insbesondere seit der „ Entlassung in die Selbstverwaltung“im Jahr 2006, der Umfang des Anspruchs der Frauen auf Hebammenhilfe durch die Krankenkassen auf gerichtlichem Wege bestritten. In Ermangelung konkretisierender Ausführungen, auf die sich Gerichte beziehen könnten, wird schrittweise der Anspruch auf Hebammenhilfe ausgehebelt oder muss durch Verzicht auf Honorarerhöhungen in den Verhandlungen der Hebammenverbände mit den Krankenkassen „ eingekauft“werden. Beispiele sind: • Hebammenhilfe nach Adoption, • Betreuung von Neugeborenen und Vater des Kindes im Wochenbett nach dem Tod der Mutter, • Hilfe durch eine zweite Hebamme bei außerklinischen Geburten, • Betreuung in der Schwangerschaft bei stationärem Aufenthalt der Frau, • Anspruch auf Wegegeld bei über 20 km Entfernung, • Präventionsleistungen werden allen Heilberufen bezahlt, nicht aber den Hebammen. Eine Überführung des §195 RVO ins SGB V scheiterte bisher trotz langjähriger Bemühungen der Hebammenverbände. Insbesondere bedarf es hier einer Abgrenzung von Leistungen der Gesellschaft (staatliche Leistungen) und Leistungen durch die Krankenkassen. Regressparagraf (§ 116 SGB X) führt zu juristisch sicherer Geburtshilfe, aber nicht zu einer sicheren und guten Geburtshilfe für Mutter und Kind Bis 1981 war das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren in etwa 25 verschiedenen Gesetzen geregelt, die dann schrittweise im Sozialgesetzbuch (SGB) zusammengefasst wurden. Das SGB X regelte ursprünglich nur das Sozialverwaltungsverfahren, wurde dann 1983 erweitert um das Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 1 von 9 Kapitel „ Zusammenarbeit der Leistungsträger und ihre Beziehungen zu Dritten“(§§86-119 SGB X). Durch die Einführung u.a. des §116 SGB X („ Regressparagraf“ ) sind die Krankenkassen in den letzten Jahren vermehrt dazu übergegangen, eigene Regressabteilungen damit zu beschäftigen teure Behandlungsfälle nach „ Schuldigen“zu durchsuchen, denen die Kosten angelastet werden können. Heute erzielen Sozialversicherungsträger einen Anteil von teilweise bis zu 10 % ihrer Einnahmen durch in Regressnahme von Schädigern1. Während vorher hauptsächlich Schmerzensgeld und Strafen bei schwerwiegenden Vergehen zugesprochen wurden, gibt es seit 1995 Urteile aus höheren Instanzen, die den Sozialversicherungsträgern Schadenersatzansprüche zusprechen. Die Summen sind seit-dem kontinuierlich gestiegen, da immer weiterreichende Versorgungsansprüche geltend gemacht werden. Fälle mit geburtshilflichem Zusammenhang gehören zu den teuersten Haftpflichtfällen überhaupt. Neben Schmerzensgeld und unmittelbaren Kosten, wie der Behandlung, wird inzwischen vom mutmaßlichen Verdienst des Kindes über die Betreuung durch die Mutter das Leben zweier Menschen komplett abgesichert. Da im Bereich des geburtshilflichen Schadensfalles die Beweislastumkehr gilt, müssen die Beschuldigten nachweisen, dass ein Schaden NICHT von ihnen verursacht wurde. Die Begründungen vieler Urteile bauen meist auf „ mangelhafter Dokumentation“und „ mangelhafter Aufklärung“auf. Dies hat die Geburtshilfe zu einem enormen Dokumentationsaufwand und einer allumfänglichen Aufklärung geführt, sowie zu einem defensiven, juristisch sicheren Verhalten, der das Maß des medizinisch Sinnvollen längst überschritten hat. Die juristische „ Sicherheit“für den Geburtshelfer/die Hebamme ist längst nicht mehr der „ sicherste Weg“für Mutter und Kind. Hebammen geraten in die Haftung auch durch Systemmängel Nicht nur die freiberuflich tätigen Hebammen leiden unter der gesetzlichen Haftungsregelung in der Geburtshilfe. Es finden sich vermehrt Fälle, in denen die angestellte Hebamme haftet, weil: • die Klinik eine zu niedrige Haftpflichtsumme abgeschlossen hat oder überhaupt keine Versicherung vorliegt • Ärzte überhaupt nicht, oder ebenfalls unzureichend haftpflichtversichert sind, • Der Schaden durch Überlastung entstanden ist, • Verantwortungsübernahme durch die Hebamme für ärztliche Tätigkeiten bei fehlendem und/oder überlastetem ärztlichen Personal (z.B. Delegation von PDA, Blutabnahmen, Ultraschall, Geburtseinleitungen, Intensivüberwachung), • zunehmende Komplikationen nach Sectio (vor allem nachgeburtliche Blutungen) statt gefunden haben. Die angestellte Hebamme haftet dabei entweder lebenslang mit ihrem Privatvermögen, oder sie muss von ihrem ohnehin kläglichen Gehalt noch eine eigene Haftpflichtversicherung finanzieren. Im freiberuflichen Bereich haftet die Hebamme für Systemmängel, wie z.B.: • Entlassung der Frauen und Neugeborenen in schlechtem Zustand und zu ungünstigen Zeiten aus der Klinik (z.B. zum Wochenende mit fehlender oder unzumutbarer Möglichkeit für notwendige Laboruntersuchungen), 1 Wikipedia Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 2 von 9 Problematisch ist auch die Weigerung von Kliniken den Frauen die Möglichkeit einer Spontangeburt zu bieten. So wird es zunehmend schwieriger Haftpflichtversicherungen zu finden, die bereit sind das unkalkulierbare Risiko finanziell abzusichern. Sollte es keinen Haftpflichtversicherer mehr geben, der die Geburtshilfe versichert, oder nur zu einer Prämie die die Hebammen endgültig nicht mehr bezahlen können, so hätte dies folgende Konsequenzen: • Verlust der ambulanten Versorgung durch professionelle Fachkräfte, • eingriffsreiche und komplikationsbehaftete Massenabfertigung in den Kliniken, • Geburten im Auto auf dem Weg in entfernte Entbindungskliniken, ohne fachliche Betreuung aus dem näheren Wohnumfeld der Frau. Es ist also dringend eine Lösung von Seiten der Politik gefragt, die über eine Bestandserhebung der Hebammen in Deutschland hinausgeht. In anderen Ländern existieren folgende Lösungen: • Übernahme der Haftpflichtkosten oder Zuschuss durch den Staat, • Andere gesetzliche Regelungen zum Regress, • Gleichstellung Kranker und Behinderter mit und ohne „ Schadensverursacher“ . Sicher ist: eine so kleine Berufsgruppe wie die der Hebammen, kann nicht für derartig große Summen aufkommen. Aktuell gibt es ca. 15.000 aktive. Der höchste Einzelfallschaden durch eine Hebamme liegt bei 4,5 Millionen Euro, der höchste Einzelschaden in der Geburtshilfe liegt bei ca. 14 Millionen Euro. Die hohe Haftpflichtversicherung und das geringe Einkommen der Hebammen Die derzeitige Entwicklung stellt die Versorgung von Mutter und Kind in Frage. Den Belegärzten ist die bestehende Haftpflichtversicherung gekündigt worden. Die neuen Prämien liegen für sie bei bis zu 80.000 Euro/Jahr. Dies verstärkt den bereits bestehenden Nachwuchsmangel bei Belegärzten. Eine ähnliche Situation haben wir bei den Hebammen. Die Steigerung der Haftpflichtprämie im Jahr 2009 hat zu einer Berufsaufgabe von 10% der geburtshilflich tätigen Hebammen geführt. Nach 2010 hat sich dieser Trend weiter fortgesetzt. Die Entwicklung der 1981 30 1993 175 2000 404 2005 1352 2009 2370 2010/7 3689 Haftpflichtprämien: Euro Euro Euro Euro Euro Euro Auch künftig werden die Haftpflichtprämien weiter steigen. Die lange Verjährungsfrist von 30 Jahren und die ständig steigenden Schadensfallsummen für die Versicherungen, die auch für lange zurück liegende Fälle Gültigkeit haben, sind schwer kalkulierbar. Hebammen müssen darüber hinaus mit der Unwägbarkeit leben, dass eine ursprünglich ausreichende Schadensdeckungssumme möglicherweise im Verlauf eines Schadensanspruches nicht mehr ausreichend Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 3 von 9 ist –sie dann sogar mit ihrem Privatvermögen haften müssen. Das heißt, weil die Hebamme für die Differenz haftet, kann dies ihren privaten finanziellen Ruin bedeuten. Bei einem Einkommen von ca. 14.000 Euro im Jahr können Hebammen jedoch nicht knapp 4000 Euro für die Haftpflicht aufbringen. Es zeigt sich zunehmend, dass die ohnehin wenigen geburtshilflich tätigen Hebammen nicht mehr bereit einen großen Teil ihrer Arbeitsleistung in die Zahlung der Haftpflichtprämien zu stecken. Die Folge ist, dass die Hebammen die Geburtshilfe aufgeben und nur noch Vorsorge und Wochenbettbetreuung anbieten. Die Geburtshilfe ist derjenige berufliche Sektor, der für Hebammen am wenigsten mit dem Privatleben vereinbar ist. Die Geburtshilfe ist sehr anstrengend und ausgesprochen schlecht bezahlt. Eine Beleghebamme bekommt 237,85 €Euro für die bis zu 11-stündige Betreuung einer Geburt. 2010 fand eine Steigerung von 224 Euro auf 237,85 Euro statt. Dies entspricht einer Erhöhung von 6,2%. Diese Erhöhung sollte einerseits ein Ausgleich für die seit Jahren fehlenden Einkommenssteigerungen sein, andererseits sollten damit die steigenden Haftpflichtprämien kompensiert werden. Allerdings müsste eine Beleghebamme pro Jahr 95 Geburten zusätzlich betreuen, um mit dieser geringen Erhöhung der pauschalen Vergütung die Steigerung der Haftpflichtprämie auszugleichen. Einen spürbaren „ Verdienstzuwachs“bietet diese Erhöhung nicht. Legt man eine Arbeitszeit von 11 Stunden für eine Beleggeburt im Krankenhaus zu Grunde, ergibt sich daraus eine Arbeitsstundenmehrbelastung von 1.047,2 Stunden (26 Wochen à 40 Stunden). 2009 Gebühr 224,-- 2011 Gebühr 237,85 Steigerung 6% Haftpflichtprämie 2370,48 Euro 10,6 Geburten / Haftpflichtprämie Haftpflichtprämie 3689,00 Euro 15,5 Geburten / Haftpflichtprämie 56% 46% Kaum besser ist die Situation der Hebammen, die Geburtshilfe im außerklinischen Bereich anbieten2: 2009 Gebühr 367,20 Haftpflichtprämie 2011 Gebühr 467,20 Haftpflichtprämie Steigerung 27% 2370,48 Euro 3689,00 Euro 56% 6,5 Geburten / Haftpflichtprämie 7,9 Geburten / Haftpflichtprämie 21,54% Die Krankenkassen waren nicht von der Notwendigkeit einer höheren Gebührensteigerung zu überzeugen. Längeres Verhandeln hätte keine höheren Abschlüsse ergeben, sondern eine Gebührensteigerung nur verzögert. Um den vollständigen Ausstieg der Hebammen aus der Geburtshilfe zu verhindern, wurde im Jahr 2010 einem Kompromiss der angerufenen Schlichtungsstelle der zugestimmt. Diese Zustimmung war der Tatsache geschuldet, dass die Schlichtungskommission die Bedürfnisse der Hebammen unter Verweis auf die Grundlohnsummensteigerung, nicht anerkannt hatte. Der 2 Gebühr für die Geburt in einer HgE unter Hebammenleitung Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 4 von 9 sich an einen Schlichtungsspruch zwangsläufig angeschlossene Klageweg hätte Monate, vielleicht sogar Jahre gedauert. In dieser Zeit hätten die Hebammen keinerlei Vergütungserhöhungen erwarten können. Vor dem Hintergrund der massiv gestiegenen Haftpflichtprämien hatten sich die Hebammenverbände unter Protest auf diesen Kompromiss eingelassen. Dadurch konnte die geringe Erhöhung wenigstens sofort in Kraft treten. Es bestand die Hoffnung, so wenigstens einem Teil der Hebammen die geburtshilfliche Arbeit zu erhalten. Diese Strategie konnte jedoch nur für diejenigen Hebammen Hilfe bringen, die sich in den Städten niedergelassen haben und die die niedrigen Gebühren durch ein hohes Arbeitsaufkommen kompensieren können. Die zunehmende Unterversorgung an Hebammenhilfe in der ländlichen Region konnte damit nicht aufgehalten werden. Die Steigerung der Geburtsgebühr musste jedoch teuer eingekauft werden. Sie bedeutete einen Verzicht auf weitere Erhöhung an anderer Stelle der Gebühren. So wurden die Pauschalen für einen Wochenbettbesuch von 26,52 gerade einmal um 1,8% auf 27 Euro erhöht. Der Zeitaufwand für einen Wochenbettbesuch liegt bei mindestens einer Stunde. Die Gebühr für die Schwangerenvorsorge wurde, wie viele andere Positionen auch, überhaupt nicht erhöht. Der Einkommensverzicht zu Gunsten der Geburtshilfe kann allenfalls eine kurzfristige Notlösung darstellen. Er kann als solidarischer Akt der Hebammen verstanden werden, um der Politik Zeit für die Umsetzung ihrer Willensbekundungen in gesetzliches Handeln zu verschaffen. Anhebung der Honorare und Gehälter entsprechend der hohen Verantwortung der Hebammen Die Vergütungssätze der Hebammen wurden bis 2007 vom Gesetzgeber auf dem Verordnungsweg festgesetzt. Dies erfolgte bis dahin in 20 Jahren lediglich drei Mal. Durch eine Gesetzesänderung (Neueinführung des §134 a SGB V)3, wurde festgelegt, dass die Hebammenvergütung ab 2007 direkt zwischen den Krankenkassen und den Hebammen-verbänden ausgehandelt wird. Auf dem niedrigen Vergütungsniveau, mit der die Entlassung in die Selbstverwaltung erfolgte, ist die Aufholung des in 20 Jahren entstandenen Rückstandes niemals möglich. Sowohl die Krankenkassen, als auch die Schiedsstelle sind lt. §134 a verpflichtet, Anpassungen gemäß Beitragssatzstabilitätsgesetz (§ 71 SGB V) prozentual - gemessen an der Grundlohnsummensteigerung - vorzunehmen. Gefangen in diesem gesetzlichen Reglement ist es unmöglich, die wirtschaftliche Situation der Hebammen zu verbessern, ohne dass der Gesetzgeber intervenierend tätig wird. Durchschnittlich erzielt eine freiberufliche Hebamme 23.300 Euro Umsatz im Jahr. Davon sind die Steuern, Betriebsausgaben und Sozialversicherungsbeiträge zu bestreiten (Hebammen sind trotz Freiberuflichkeit rentenversicherungspflichtig mit Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil)4. Eine Auswertung von realen Einkommenssteuerbescheiden aus den Jahren 2007 und 2008 zeigen, dass das zu versteuernde Einkommen in Vollzeit bei 14.150 Euro im Jahr, bzw. bei 1.180 Euro im Monat liegt, bei vollem unternehmerischem Risiko. Der Stundenlohn einer Hebamme liegt damit bei durchschnittlich 7,50 Euro. Aufgrund dieser Einkommenssituation sind viele Hebammen gezwungen neben ihrer freiberuflichen Hebammentätigkeit noch andere Tä- 3 4 Siehe hierzu folgenden Link: http://www.buzer.de/gesetz/2497/a149590.htm) http://www.sozialgesetzbuch.de/gesetze/06/index.php?norm_ID=0600200 Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 5 von 9 tigkeiten auszuüben. Nur noch ca. 30% aller freiberuflichen Hebammen üben ihren Beruf in Vollzeit aus. Weitere ca. 30% arbeiten sogar unterhalb der versicherungspflichtigen 400,-€Grenze, da über dieser Summe die Renten- und Krankenversicherungspflicht greift, die für selbstständige Hebammen ohne Ausnahmen verpflichtend ist. Die Gebührenerhöhung von 1,54% für 2010 wirkt sich aufgrund der allgemeinen Teuerungsrate und der Haftpflichtprämienerhöhung keineswegs einkommenssteigernd aus. Hinzu kommt, dass bei einem so niedrigen Einkommensniveau die Steigerung von 1,54% so gering ist, dass sich die Erhöhung lediglich buchhalterisch bemerkbar macht. Der Hebammenverband fordert nach wie vor eine Erhöhung der Gebühren um 30%. Auch dies würde eine Hebamme nicht reich machen, doch es würde eine Basis schaffen, auf Grund derer man über Erhöhungen im Bereich der gesetzlich vorgesehenen Grundlohnsummensteigerung sprechen könnte. Die Politik ist gefordert die jahrzehntelangen Versäumnisse des BMG auszugleichen und das Hebammeneinkommen auf ein Niveau zu stellen, von dem aus prozentuale Steigerungen überhaupt eine Wirkung entfalten können. Dies könnte umgesetzt werden durch: • einen zweckgebundenen Beitrag aus dem Gesundheitsfonds, • ein außer Kraft setzen des Beitragssatzstabilitätsgesetzes für Hebammen. Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung mit Geburtshilfe und Hebammenhilfe Schon heute kann die flächendeckende Versorgung durch Hebammenleistungen in vielen Regionen Deutschlands nicht mehr sichergestellt werden; dies gilt vor allem für ländliche Regionen, die neuen Bundesländer und grenznahe Gebiete. Bei einer Vollbetreuung in Schwangerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit betreut eine in Vollzeit arbeitende Heb-amme jährlich 30 bis 40 Frauen. Bei derzeit ca. 600.000 Geburten im Jahr in Deutschland würden hierfür 15.000 bis 20.000 Hebammen benötigt, die in Vollzeit arbeiten. Von den 15.706 freiberuflichen Hebammen sind nur noch ca. 25% in der Geburtshilfe tätig. Sie be-treuen 150.000 Beleggeburten jährlich und ca. 10.000 außerklinische Geburten. Nur ca. 30% der Hebammen sind in Vollzeit tätig. Dies ist u.a. auf die schlechte Verdienstsituation zurückzuführen, was Hebammen dazu zwingt neben ihrer Hebammentätigkeit noch anderen Beschäftigungen nachzugehen. Die von der Bundesregierung in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der FDP postulierte Zunahme der Anzahl der Hebammen, schlägt sich deshalb nicht in einer Verbesserung der Versorgung nieder. Nach wie vor ist die Datenlage unklar. Doch nur weil die Erhebung von Bedarfsdaten in Deutschland fehlt, darf nicht davon ausgegangen werden, dass die Versorgung gewährleistet sei. Die Bedarfsberechnungen aus anderen europäischen Ländern zu Grunde gelegt, lässt sich hier bereits heute eine Mangelversorgung erkennen, auch ohne Einbeziehung der geographischen Rahmendaten. Deshalb fordert und unterstützt der Deutsche Hebammenverband die Erhebung valider Daten zum Bedarf, unter Berücksichtigung der Interessen der Frauen und Kinder. Zudem fordert der Verband unverzügliche Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgung mit Hebammenhilfe in mangelversorgten Regionen. Folgende Maßnahmen könnten ergriffen werden: • Finanzielle Anreize zur Niederlassung, • Übernahme der Fahrtkosten für Schülerinnen aus mangelversorgten Gebieten, • angemessene Bezahlung, • Entbürokratisierung. Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 6 von 9 Zentralisierung vernachlässigt den Bedarf im Versorgungsprozess Seit einigen Jahren ist in der Geburtshilfe ein anhaltender Trend zur Zentralisierung zu beobachten. Unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit werden kleinere Abteilungen geschlossen, zusammengelegt, privatisiert oder ins Belegsystem umgestellt um Personalkosten einzusparen. In der vom Gemeinsamen Bundesausschuss herausgegebenen Strukturverein-barung zur Versorgung von Früh- und Neugeborenen werden insbesondere Frühgeborene und kranke Neugeborene berücksichtigt. Es wird davon ausgegangen, dass auch normale Geburten am Besten in Zentren stattfinden sollten. Die in der Planung unterstellte Qualitätsverbesserung durch eine hohe Fallzahl ist jedoch weder wissenschaftlich evaluiert noch von deutschen Gerichten anerkannt. In der Vereinbarung fehlt die Thematisierung der langen Wege der Mütter zum Geburtsort und die Thematisierung der notwendigen, Sektor übergreifenden Infrastruktur im ambulanten Bereich. Die Auswirkung der Zentralisierung der Geburtshilfe auf gesunde Schwangere und Neugeborene sind nicht Gegenstand von Untersuchungen. Zum Beispiel werden Geburten, die auf dem Weg in eine zu weit entfernte Klinik auf der Straße oder in einem Auto stattfinden, weder in der klinischen noch in der außerklinischen Perinatalerhebung erfasst. Eine Zusammenführung der Perinataldaten mit den Neonataldaten findet nicht statt. Auch fehlt die Ermittlung der Präferenzen der Mütter und deren Versorgungsbedarf im gesamten Prozess. Die Zentralisierung von Risikogeburten in Perinatalzentren benötigt ein Gegengewicht in Form einer wohnortnahen Versorgung der gesunden Schwangeren und Neugeborenen, sowie die Weiterbetreuung der Familien nach der heute üblichen Frühentlassung. Versicherte in strukturschwachen Gebieten zahlen die gleichen Krankenkassenbeiträge wie Versicherte in Ballungsgebieten. Ihnen steht jedoch nur ein weit geringerer Teil des Leistungsspektrums der Krankenkassen zur Verfügung. Wahlfreiheit der Frauen beim Geburtsort und der Versorgungsform Frauen haben das Recht auf die freie Wahl des Geburtsortes, sowie der Versorgung, die sie für sich und ihre Familie für angemessen halten. Diese Wahl wird immer stärker eingeschränkt. • Die Wahl einer kleinen wohnortnahen Klinik wird eingeschränkt durch das sinkende Angebot. • Die Wahl einer möglichst interventionsarmen Geburt wird eingeschränkt durch routinemäßig übliche Interventionen in den Kliniken (nur 10% der Geburten in Kliniken verlaufen interventionsfrei). Bei vielen Geburten, bei denen eine natürliche Geburt möglich wäre, wird aus forensischen und wirtschaftlichen Gründen ein Kaiserschnitt vorgenommen. • Die Kaiserschnittrate liegt heute in Deutschland über 30%, obwohl laut WHO nur ca. 15% medizinisch notwendig wären. Vor allem kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Geburt per Kaiserschnitt Einfluss hat auf die Zahl der Folgeschwangerschaften. • Die Wahl für eine Hausgeburt wird durch ein mangelndes Angebot an Hebammen eingeschränkt, die noch für Hausgeburten zur Verfügung stehen. Der Bedarf an Hebammen, die eine Frau individuell zur Geburt in die Klinik begleiten ist weit größer als das Angebot. Geburtshilfe zu leisten ist für individuell arbeitende Hebammen nicht mehr finanzierbar. Ein Blick in Elternforen im Internet zeigt, dass es einen Trend zur „ Alleingeburt“gibt. Außerdem bieten sogenannte Doulas (eine Frau, die einer werdenden Mutter vor, während und nach der Geburt als emotionale und physische Begleiterin zur Seite steht, ohne medizinisch tätig zu Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 7 von 9 werden) ihre Dienste an, um die Frau während der Geburt in der Klinik zu unterstützen. Für eine Doula bezahlen die Eltern ca. 500 Euro. Eine Hebamme verdient lediglich 237 Euro für eine Beleggeburt in 1:1 Betreuung, trotz voller Verantwortung und umfassender Ausbildung. Das Recht der Frauen auf eine der Situation angemessene Unterstützung bei der Geburt darf nicht weiter ausgehöhlt werden. Der berechtigte Wunsch der Frauen eine individuelle Geburtsbetreuung zu erhalten, muss durch ausgebildete Hebammen erfolgen können und darf nicht eine Leistung sein, die sich Frauen privat finanzieren müssen. Einsparungen im Gesundheitswesen dürfen nicht dazu führen, dass Schwangere und Gebärende finanziell belastet werden und den Hebammen die Berufsausübung unmöglich gemacht wird. Adäquate Betreuungsmöglichkeit durch Hebammen während der Geburt mit dem Ziel der 1:1 Betreuung Aufgrund der Sparzwänge der letzten Jahrzehnte haben mittlerweile etliche Krankenhäuser schließen müssen oder drastisch an Personal eingespart. Dies führt dazu, dass heute eine Hebamme im Krankenhaus regelmäßig mehrere Frauen gleichzeitig betreuen muss. Selbst die aus den 90er Jahren stammenden völlig überhöhten Stellenschlüssel werden regelmäßig überschritten. Die Konsequenzen für die Hebammenarbeit sind schwerwiegend: • Zunahme der Interventionen im Kreißsaal, • Burnout bei den Hebammen, • Steigende Haftpflichtprämien, • Frühzeitige Berufsaufgabe (durchschnittlich vier Jahre, Berufstätigkeit bis 65 sehr selten und kaum machbar), • Frauen „ kaufen sich weitere Betreuung ein“ . • In Belegkliniken und Geburtshäusern werden händeringend Kolleginnen gesucht. Insbesondere junge Hebammen sind nicht mehr bereit für 237 Euro freiberuflich 11 Stunden konzentriert und Rund-um-die-Uhr eine Beleggeburt zu begleiten. Geburtshilfe ist gleichzusetzen mit einer Intensiv-Betreuung. Deshalb ist eine 1:1 Betreuung dringend erforderlich! Der DHV fordert die dazu Politik auf, Rahmenbedingungen festzulegen, die eine 1:1 Betreuung zulassen. Vergleichsweise geringe finanzielle Belastung für Krankenkassen und Gesetzgeber Abschließend sind noch drei Zahlen anzufügen, die deutlich machen, welch geringen Anteil Hebammen an den Gesamtkosten im Gesundheitssektor haben. Die Zahlen zeigen, dass auch eine 30% Steigerung der Hebammenvergütung nur eine marginale Größe im Haushalt der gesetzlichen Krankenkassen bedeuten würde. Ausgaben der gesetzlichen KrankenAusgaben für Mutterschaft 5 kassen gesamt 2010 2.51759 Mio. Euro 848 Mio. Euro = 0,33% 2009 5 6 2.43937 Mio. Euro6,7 809 Mio. Euro = 0,33% http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Statistiken/GKV/Kennzahlen__Daten/Kennzahlen_Faustformeln_2000 http://www.bmg.bund.de/fileadmin/dateien/Downloads/Statistiken/GKV/Finanzergebnisse/KV45_4.Quartal_2010.pdf 7 http://www.gbe-bund.de/oowa921install/servlet/oowa/aw92/WS0100/_XWD_PROC?_XWD_2/1/XWD_CUBE.DRILL/_XWD_28/D.733/4438 Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 8 von 9 Hebammen haben den Wunsch für die Frauen und ihre Neugeborenen einzustehen. Sie haben aber auch den berechtigten Wunsch von ihrer Arbeit leben zu können. Die Zahlen belegen, dass an einer kleinen Berufsgruppe - allerdings mit großer sozialer Dimension - gespart wird. Diese Entwicklung gefährdet sowohl den Berufsstand der Hebammen als auch das Wohlergehen der Frauen mit ihren neugeborenen Kindern. Juni 2011 Katharina Jeschke Beirätin im Präsidium für den freiberuflichen Bereich Mail: [email protected] Hintergrundinformation DHV, Stand: Juni 2011, Seite 9 von 9