1 Die Pyramiden im Altertum: Bewunderung und Verachtung 1 Die Pyramiden im Altertum Im Jahre 332 v. Chr. eroberte Alexander der Große das durch die Kriege mit den Persern geschwächte Ägypten der Pharaonen. Nach seinem Tod übernahm sein Feldherr Ptolemaios die Verwaltung der ägyptischen Provinz und begründete das Herrscherhaus der Ptolemäer, das Ägypten fast 300 Jahre lang regierte. Nach dem Tod Kleopatras, der letzten Herrscherin des Ptolemäerhauses, wurde Ägypten 30 v. Chr. unter Kaiser Augustus zur römischen Provinz. Mit der Teilung des Römischen Reiches 395 n. Chr. kam dann das Land unter oströmisch-byzantinische Herrschaft. Wenn man die gesamte griechisch-römische Überlieferung über die Cheopspyramide aus dieser Zeit überschaut, dann stellt man fest, dass in den griechischen und lateinischen Texten zwar die Bewunderung über die mathematischen und astronomischen Kenntnisse, welche den Bau der Cheopspyramide erst ermöglichten, groß war, dass aber die Errichtung dieses Riesenbaues als ein Werkzeug der Unterdrückung des ägyptischen Volkes angesehen wurde, und das nur, um die Eitelkeit des Pharaos zu befriedigen. Cheops der Tyrann: Herodot und Diodor Cheops der Tyrann: Herodot und Diodor Bei den alten Griechen gab es zwei zeitlich weit auseinanderliegende Berichte, welche die Cheopspyramide als das Werk eines rücksichtslosen Tyrannen ansahen. Der eine Bericht stammt von Herodot (490 / 480 v. Chr.– 424 v. Chr.), der andere von Diodor von Sizilien, der zur Zeit von Caesar und Augustus lebte. Herodot, den man seit jeher den Vater der Geschichte nannte, stammte aus Halikarnass in Kleinasien. Es gab zwar schon vor ihm eine Reihe von Geschichtsschreibern, die Ägypten und einige Gegenden in Asien bereist hatten, aber keiner von ihnen hatte damals einen so großen Teil der Erde mit solcher Wissbegierde, Genauigkeit und Sorgfalt untersucht und beschrieben wie er. Der Wahrheitswert seiner Darstellung der historischen Ereignisse ist zwar umstritten. Doch bemüht sich Herodot besonders in den Berichten 20 1 Die Pyramiden im Altertum über die Pyramiden, seine Quellen anzugeben und sich eines Urteils über die Wahrheit dieser Aussagen zu enthalten. Bei seinen Reiseunternehmungen beschränkte er sich zunächst nur auf Griechenland. Erst dann ging er nach Ägypten, wo er sich lange Zeit aufhielt. Nach Griechenland zurückgekehrt lieferte Herodot nicht nur die ersten Nachrichten über die Cheopspyramide, die uns aus der Antike erhalten sind, sondern er gibt auch jene Erzählungen der ägyptischen Priester wieder, die Cheops als einen lasterhaften und tyrannischen Herrscher schildern. Denn auch zu dieser Zeit konnte man sich nicht vorstellen, dass dieses ungeheure Bauwerk vom ägyptischen Volk freiwillig und ohne Zwang errichtet worden ist: „Bis zur Regierungszeit des Rhampsinitos hat in Ägypten die vollkommenste Ordnung und großer Wohlstand geherrscht. Aber sein Nachfolger Cheops hat das Land ins tiefste Unglück gestürzt. Zunächst hat er alle Heiligtümer zuschließen lassen und dem Volk verboten, darin zu opfern. Dann hat er alle Ägypter gezwungen, für ihn zu arbeiten. Die einen mussten aus den Steinbrüchen im arabischen Gebirge Steinblöcke bis an den Nil schleifen. Über den Strom wurden sie auf Schiffe gesetzt, und andere mussten die Steine weiterziehen. 100 000 Menschen waren es, die daran arbeiteten und alle drei Monate abgelöst wurden. Auf diese Weise wurde das Volk unterdrückt, und es dauerte zehn Jahre, ehe nur die Straße gebaut war, auf der die Steine fortgebracht wurden“ (Herodot II, 122). Nach Herodots Meinung war das eine Arbeit, die dem Bau der Pyramide selbst nur wenig nachsteht. Denn die Straße war fünf Stadien lang, zehn Klafter breit, an der höchsten Stelle acht Klafter hoch und aus geglätteten Steinen hergestellt, in die Tiergestalten eingemeißelt sind. In dieser Zeit des Wegbaus wurden auch die unterirdischen Gemächer angelegt, die der Pharao zu seinem Begräbnis bestimmt hatte. Die Bemerkung Herodots, dass das Grab selbst „auf einer Insel lag, die der Pharao durch einen herbeigeleiteten Kanal des Nil schaffte“, führte dazu, dass man jahrhundertelang nach diesem geheimnisvollen See unter der Cheopspyramide suchte. An der Pyramide selbst wurde 20 Jahre gearbeitet. Sie ist nach Angaben von Herodot „auf jeder Seite acht Plethra [800 Fuß] lang und ebenso hoch. Die Steine, aus der sie besteht, sind poliert, alle dreißig Fuß lang und sehr genau zusammengefügt“ (Herodot II, 124). In der Beantwortung der Frage, wie diese riesigen Steine auf die immer höher aufgebauten Stufen der Pyramide hinaufgebracht worden sind, waren sich schon damals die ägyptischen Priester nicht einig. Herodot gibt zwei Möglichkeiten an, wie man sie ihm erzählt hat: „War die erste Stufe fertig, so hob man die folgenden Steine mit kurzen Hebebäumen auf dieselbe, und zwar geschah dieses von der Erde bis zum untersten Absatz der Stufe. War der Stein so weit, so brachte ihn ein auf dem ersten Absatz stehendes Hebezeug bis zu dem zweiten Absatz; denn so Cheops der Tyrann: Herodot und Diodor 21 viele Absätze an den Stufen übereinander waren, ebenso viele waren auch Hebezeuge; oder man brachte dasselbe Hebezeug, wenn es leicht war, auf jeden Absatz, um den Stein weiter in die Höhe zu bringen“ (Herodot II, 125). Auch über den Kostenaufwand für den Bau der Pyramide kann Herodot Angaben machen: „An der Pyramide zeigt eine Inschrift mit ägyptischen Buchstaben die Kosten an, welche bloß auf Rettiche, Zwiebeln und Knoblauch für die Arbeiter verwendet wurden. Wenn ich mich recht an die Summe erinnere, die mir der Dolmetscher nannte, der die Inschriften entzifferte, so waren es eintausendsechshundert Talente Silbers. Wenn das richtig ist, wie viel müssen dann andere Dinge wie die eisernen Werkzeuge, das Brot und die Kleidung für Arbeiter gekostet haben, wenn, so lange, wie ich sagte, daran gebaut wurde?“ (Herodot II, 125). Der andere griechische Geschichtsschreiber, der sich Jahrhunderte später mit den ägyptischen Pyramiden beschäftigte, war Diodor. Er war nach eigenen Angaben aus Sizilien gebürtig und wurde deswegen Siculus genannt. Die Grundidee seines Geschichtswerkes war, die Schilderung der historischen Ereignisse, die sich in vielen Werken verschiedener Verfasser zerstreut finden, in eine zusammenhängende Darstellung zu bringen. Entstanden ist sein Werk in Rom, wo er die von den Römern seit langer Zeit gesammelten historischen Denkschriften einsehen konnte. „Denn die Macht dieser Stadt“, sagt er, „welche sich bis an die Grenzen der Erde erstreckt, gewährte mir dort während eines längeren Aufenthaltes Gelegenheit und Mittel in bequemster und reichlichster Weise“ (Diodor 1, sect. I, Art. 4). Doch Diodor war ebenfalls kein Schreibtischgelehrter, sondern hatte 30 Jahre lang unter vielen Mühseligkeiten und Gefahren einen großen Teil Asiens und Europas bereist, um von den meisten und wichtigsten Gegenden, von denen er in seinem Sammelwerk berichtet, selbst einen eigenen Eindruck zu gewinnen. Über die ärmlichen Behausungen und die großartigen Gräber der Ägypter macht Diodor eine bis heute in der Ägyptologie gültige Bemerkung: „Die Einheimischen nämlich legen auf die Zeit dieses Lebens nur ganz geringen Wert, dagegen den allerhöchsten auf die Fortdauer des Ruhmes ihrer Tugenden nach dem Tod, und darum nennen sie auch die Wohnungen der Lebenden nur ,Herbergen‘, weil wir in ihnen nur kurze Zeit verweilen. Die Gräber der Gestorbenen aber nennen sie ,ewige Häuser‘, da sie ja in der Unterwelt dort die ganze Ewigkeit hindurch wohnen. Darum denken sie auch weniger an die Ausschmückung ihrer Häuser, auf die Gräber aber verwenden sie die übertriebenste Sorgfalt“ (Diodor 1, sect. II, Art. 51). Von der Cheopspyramide berichtet er: „Sie besteht ganz und gar aus hartem Stein, welcher zwar schwer zu bearbeiten, aber auch von ewiger Dauer ist. Denn nicht weniger als tausend Jahre, wie man sagt, sind bis auf unsere Tage seitdem verflossen, 22 1 Die Pyramiden im Altertum wie aber einige schreiben, sogar mehr als dreitausend und vierhundert, und doch verharren die Steine noch jetzt in ihrer anfänglichen Zusammenfügung und haben den Bau unversehrt erhalten“ (Diodor 1, sect. II, Art. 63). Im Unterschied zu Herodot liefert Diodor aber eine andere Version über die Art und Weise der Errichtung der Cheopspyramide. Hatte Herodot von Hebebäumen berichtet, mit denen die schweren Steine von einer Stufe der Pyramide zur anderen emporgehoben worden sein sollen, so meint Diodor, dass „um jene Zeiten Maschinen noch nicht erfunden waren“, und spricht von Dämmen, die zur Errichtung der Pyramide dienten. Und was das Wunderbarste für ihn ist: „Obgleich hier Werke von solcher Größe erbaut wurden und die umliegende Gegend nur aus Sand besteht, ist doch weder eine Spur von einem Damm noch vom Behauen der Steine übrig geblieben, sodass es den Eindruck macht, als sei das Werk nicht allmählich durch Menschenhände entstanden, sondern auf ein Mal wie von einem Gott fertig in die Sandwüste hineingestellt worden. Zwar versuchen einige Ägypter hiervon wunderbare Erklärungen zu geben, als hätten nämlich die Dämme aus Salz und Salpeter bestanden, und der hierher geleitete Fluss hätte sie dann aufgelöst und gänzlich weggeschwemmt ohne weitere Menschenarbeit. Aber die Sache verhält sich in Wahrheit nicht so, sondern durch die zahllose Menge Hände, welche die Dämme aufgeschüttet, ist dann alles auch wieder in den früheren Stand zurückversetzt worden. Es haben nämlich, wie erzählt wird, sechsunddreißigtausend Mann im Frondienst an den Werken mitgearbeitet, und der ganze Bau ist kaum in zwanzig Jahren zu Ende gebracht worden“ (Diodor 1, sect. II, Art. 63). Was aber die Namen der Erbauer der Pyramiden betrifft, stimmen weder die Einheimischen noch die Geschichtsschreiber überein. Diodor gibt den Namen des Erbauers der Großen Pyramide mit Chemmis wieder, während er den Erbauer der zweitgrößten ebenso wie Herodot Kephren nennt. Für ihn sind die Pyramiden „unbestritten die bedeutendsten Bauwerke in ganz Ägypten, und zwar nicht nur wegen ihrer Massenhaftigkeit und Kostspieligkeit, sondern auch wegen der Kunstfertigkeit ihrer Erbauer. Und man behauptet, die Baumeister verdienen sogar noch mehr Bewunderung als die Könige, welche nur die Kosten dazu bestritten haben; denn jene hätten durch ihren eigenen Geist und Ehrgeiz, diese nur mit ihrem ererbten Reichtum und durch die Mühen und Plagen anderer den gefassten Plan durchgeführt“ (Diodor 1, sect. II, Art. 64). Doch wie Herodot sieht auch er in dem Bau der Pyramiden nur ein Werkzeug der Unterdrückung des ägyptischen Volkes, das sich aber an den beiden Königen bitter rächte: „Der Zufall hat es gewollt, dass keiner der beiden Könige, welche sich diese Pyramiden als Grabmäler erbaut hatten, in ihnen begraben wurde. Das Volk Der verborgene Eingang in die Pyramide: Strabon 23 war nämlich wegen der harten Arbeit an den Bauwerken sowie wegen vieler Grausamkeiten und Bedrückungen dieser Könige so erbittert, dass es drohte, ihre Leichen zu zerreißen und mit Beschimpfung aus den Gräbern zu werfen. Daher gaben beide vor ihrem Tode ihren Angehörigen den Befehl, sie an einem unbekannten Ort heimlich zu begraben“ (Diodor 1, sect. II, Art. 64). Der verborgene Eingang in die Pyramide: Strabon Der verborgene Eingang in die Pyramide: Strabon Der griechische Geschichtsschreiber und Geograph Strabon (63 v. Chr.– 20 n. Chr.) verfasste, nachdem er einen großen Teil der damals bewohnten Erde und darunter auch Ägypten bereist hatte, ein großes Werk über die Geographie. Aus seinem Bericht über Ägypten in diesem Werk geht hervor, dass zu Beginn der christlichen Zeit das Innere der Cheopspyramide durch einen verborgenen Eingang zugänglich war: „Diese hat in mäßiger Höhe auf einer der Seiten einen Stein, der herausgenommen werden kann. Wird er herausgehoben, so führt ein gekrümmter Gang bis zur Gruft hinab“ (Strabon 15. Buch, 3. Kap., 33). Diese Bemerkung hat bei den modernen Archäologen Anlass zu Spekulationen gegeben. Flinders Petrie verstand diese Aussage so, dass die Pyramide eine Schwingtür aus einem einzigen Steinblock hatte, welche sich um Stifte am oberen Ende beider Seiten drehte. Zur Unterstützung dieser Theorie konnte er darauf hinweisen, dass sowohl im nördlichen Gang der Knickpyramide als auch an der Pyramide von Medum in den Seitenwänden beim Eingang Sockel gefunden wurden, die offenbar zur Aufnahme von Türstiften bestimmt waren. Da die Außenverkleidung fehlt, ist es unmöglich zu sagen, ob auch der Eingang der Großen Pyramide mit ähnlichen Sockeln versehen war. Nach Ansicht heutiger Ägyptologen „fällt es jedoch schwer zu glauben, dass die von Strabon beschriebene Türe – sofern seine Worte überhaupt richtig interpretiert wurden – aus der Erbauungszeit der Pyramide stammt. Man hätte sicherlich keine Sperrblöcke und Fallsteine zum Verschließen der Pyramidengänge verwendet, wenn die Pyramide auch später noch zugänglich sein sollte. Eine Schwingtüre würde aber eine solche Zugänglichkeit voraussetzen. Möglicherweise war der Eingang zur Großen Pyramide wie der westliche Eingang zur Knickpyramide ursprünglich durch eine Lage von Verkleidungsblöcken verdeckt, wodurch er von der übrigen Außenfläche nicht zu unterscheiden war. Als man zum ersten Mal in die Pyramide eindrang – wahrscheinlich in der Zeit der Wirren, die auf das