Das Versteckspiel der AIDS-Viren

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Das Versteckspiel der AIDS-Viren
Die AIDS verursachenden HI-Viren werden bevorzugt in aktive Genbereiche der Wirtszelle
eingebaut, die sich in unmittelbarer Nähe der Kernporen befinden. Wie ein Forscherteam
des Universitätsklinikums Heidelberg in Zusammenarbeit mit Kollegen in Italien
nachgewiesen hat, wird dieser Einbau durch Komponenten der Kernporen dirigiert. Diese
Befunde sind ein wesentlicher Schritt zum Verständnis der Mechanismen, wie sich HI-Viren
im Zustand der Latenz im Zellkern verstecken und für Medikamente nicht angreifbar sind.
Dr. Marina Lusic (rechts) und ihr Team, Sektion Integrative Virologie, Zentrum für Infektiologie, Universitätsklinikum
Heidelberg. © Universitätsklinikum Heidelberg
Obwohl immer wieder große, entscheidende Durchbrüche im Kampf gegen die menschliche
Immunschwäche AIDS angekündigt werden, ist die Infektion mit dem AIDS verursachenden
humanen Immundefizienzvirus HIV bis heute nicht heilbar. Zwar kann durch wirksame
antiretrovirale Behandlungsmethoden die Krankheit kontrolliert werden, sodass keine Viren
mehr im Blut gefunden werden; dennoch verbleibt die Erbinformation des Erregers verborgen
im Erbgut des Patienten erhalten und kann nach Absetzen der Therapie wieder aktiv werden.
Es kommt zur Produktion und rasanten Vermehrung neuer HI-Viren, die den Körper
überschwemmen und einen neuen Krankheitsausbruch hervorrufen.
Man bezeichnet den inaktiven Zustand der Viren, in dem sie in den Wirtszellen versteckt sind
und weder durch Medikamente noch durch die eigenen zellulären Abwehrmechanismen
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erreichbar sind, als Latenz. "Erst, wenn wir die Mechanismen der HIV-Latenz kennen, werden
wir in der Lage sein, therapeutische Gegenmaßnahmen zu entwickeln", erklärt Dr. Marina
Lusic, Forschungsgruppenleiterin am Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums
Heidelberg.
Wechselspiel von Viren und Kernporen
Die renommierte Virologin Lusic war 2014 vom International Centre for Genetic Engineering
and Biotechnology in Triest, Italien, nach Heidelberg gekommen. Hier führt sie im Rahmen der
Thematischen Translationseinheit HIV des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung ihre
Forschungen zur Funktionsweise des HI-Virus in enger Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern
aus ganz Deutschland fort. Ergebnisse ihrer Arbeitsgruppe, die ein neues Licht auf den Einbau
der Viren in das Genom der Wirtszelle werfen, wurden jetzt in der angesehenen Fachzeitschrift
„Nature" publiziert.
Seit Langem ist bekannt, dass die für die
weltweite AIDS -Pandemie verantwortlichen HIViren Typ1 (HIV-1) nach der Infektion der als
Wirt dienenden CD4(+)- T-Zellen des
Immunsystems nicht wahllos in das
Wirtsgenom integriert werden. Nachdem die
ursprüngliche, als RNA vorliegende
Erbinformation des Virus zunächst im
Zytoplasma der Wirtszelle durch das virale
Enzym Reverse Transkriptase in DNA
umgeschrieben worden ist, wird sie durch die
Poren der Kernmembran in das Innere des
Zellkerns transportiert. Dort wird sie bevorzugt
in bestimmte aktive Gene eingebaut, die an
unterschiedlichen Zellfunktionen beteiligt sind.
Bisher war unklar, warum die Virus-DNA unter
all den vielen Genen gerade diese Auswahl
Erbinformation der HI-Viren (grün) am Innenrand des
Zellkerns in der Nähe der Kernporen (rot) in einer
bevorzugt. Lusic und ihre Mitarbeiterinnen
infizierten CD4(+)-T-Zelle des menschlichen
haben nun mit Markierungsversuchen
Immunsystems. © Universitätsklinikum Heidelberg
nachgewiesen, dass die Integration von HIV-1
im peripheren Bereich des Zellkerns erfolgt,
und zwar in unmittelbarer Nähe der Kernporen. In anderen aktiven DNA-Regionen der
Wirtszelle, die weiter im Zentrum des Kerns gelegen sind, wurde keine virale Erbinformation
gefunden.
Marina Lusic hat dafür eine zunächst banal scheinende Erklärung. Das Genmaterial der HIViren kommt nicht weiter als in den Eingangsbereich des Zellkerns, weil es gleich in die ersten
aktiven Gene eingebaut wird, auf die es nach dem Eintritt durch die Kernpore stößt: "Man kann
sich das in etwa vorstellen wie bei einem verspäteten Besucher einer Veranstaltung. Er kommt
durch die Tür und nimmt den erstbesten freien Sitzplatz." Der molekulare Mechanismus hinter
diesem Verhalten ist komplizierter.
Für den Einbau der Virus-DNA in die periphere Wirts-DNA sind die HIV-eigene Integrase sowie
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zwei zelluläre Kofaktoren dieses Enzyms unabdingbar. Demnach werden also schon vor der
Integration bestimmte virale Gene abgelesen und virale Proteine gebildet. Bei einem der
Kofaktoren, Nup153, handelt es sich um ein sogenanntes Nucleoporin; das ist eine Klasse von
Proteinen, aus denen der Kernporenkomplex aufgebaut ist. Wenn sich die HIV-1- DNA in der
Kernpore befindet, tritt sie mit verschiedenen Nucleoporinen in Kontakt, wie Lusic und ihr
Team zeigen konnten. Diese Assoziation ist für die Integration in das Wirtsgenom notwendig.
So bestimmt die Architektur des Zellkerns die Auswahl der Wirtsgene, in die das Virus-Erbgut
eingebaut werden.
Latenz: Warum HIV-Infektionen bisher unheilbar sind
Reife HI-Viren im Transmissionselektronenmikroskop. © Centers of Disease Control (CDC), Carey S. Callaway
Wenn sich die HIV-infizierte CD4(+)-T-Zellen im Ruhezustand befinden, sind die Viren nach
ihrem Einbau in das Zellgenom dem Angriff durch antivirale Medikamente oder das
Immunsystem entzogen, denn diese können nur freie Viren im Blut vernichten. Werden die
T-Zellen zum Beispiel im Rahmen einer anderen Infektion aktiviert, beginnen sie, Kopien des
Virus in großer Menge zu produzieren, die schließlich die Wirtszelle zerstören und neue Zellen
infizieren können. Ein Teil der Viren verbleibt jedoch, im Zellkern einer Subpopulation der
T-Zellen , den CD4(+)-T-Gedächtniszellen, auf lange Zeit im inaktiven Zustand erhalten. Dieses
Reservoir an latenten Viren ist der Grund, warum HIV-Infektionen bis heute unheilbar sind.
Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse stellen einen wichtigen Schritt hin zu einem besseren
Verständnis dar, wie HI-Viren ihre Erbinformation in der Zelle verstecken. Die Aufklärung der
zur Latenz führenden Mechanismen ist eine Voraussetzung dafür, um Wege zu finden, auf
denen die Latenz rückgängig und das versteckte Reservoir an Viren für eine Therapie
zugänglich gemacht werden kann. An diesem Ziel arbeiten gemeinsam mit Marina Lusic und
ihrem Team viele Forschergruppen, die sich in der Translationseinheit HIV des Deutschen
Zentrums für Infektionsforschung zusammengeschlossen haben. Koordiniert wird diese
deutschlandweite Zusammenarbeit von Professor Hans-Georg Kräusslich, einem der weltweit
führenden HIV-Forscher und Sprecher des Zentrums für Infektiologie des Universitätsklinikums
Heidelberg.
Originalpublikation:
Bruna Marini, Attila Kertesz-Farkas, Hashim Ali, Bojana Lucic, Kamil Lisek, Lara Manganaro, Sandor Pongor, Roberto Luzzati,
Alessandra Recchia, Fulvio Mavilio, Mauro Giacca & Marina Lusic. Nuclear architecture dictates HIV -1 integration site selection.
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Nature (2015) doi: 10.1038/nature14226
Fachbeitrag
22.04.2015
EJ
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Weitere Informationen
Dr. Marina Lusic
Sektion Integrative Virologie
Zentrum für Infektiologie, Universitätsklinikum Heidelberg
Tel.: 06221-56 5007
E-Mail: Marina.Lusic(at)med.uni-heidelberg.de
Dr. Marina Lusic, CellNetworks
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Retroviren: Vom Krankheitserreger zum Therapiehelfer
HIV
Virus
AIDS
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