Übersichtsarbeit Das Sjögren-Syndrom Sjögren’s Syndrome Institute 1 Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie, Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät der Universität Freiburg, Freiburg 2 Rheumatologie und Klinische Immunologie, Universität Freiburg, Freiburg Schlüsselwörter Sjögren-Syndrom, Diagnostik, Therapie Key words Sjögren’s syndrome, diagnostics, therapy Bibliografie DOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0042-124185 Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 0341-051X Korrespondenzadresse Mrs. Isabella Tröster Universitätsklinikum Freiburg Medizinische Fakultät der Universität Freiburg Klinik für Rheumatologie und Klinische Immunologie Hugstetterstraße 55 79106 Freiburg Tel.: + 49/761/270 34010, Fax: + 49/761/270 34211 [email protected] Zusa mmen fa ssun g Das Sjögren-Syndrom ist eine chronische Autoimmunerkrankung mit Beteiligung der Tränen- und Speicheldrüsen. Durch lymphozytäre Infiltration und sekundäre Destruktion des exokrinen Drüsengewebes kommt es zur Sicca-Symptomatik. Es handelt sich um eine der 3 häufigsten Autoimmunerkrankungen mit einer Prävalenz von 0,03–2,1 %, abhängig von Alters- und Populationsgruppen sowie der angewandten Diagnostik-Kriterien, und betrifft deutlich häufiger Frauen (ca. 10:1) [1–3]. Neben der charakteristischen Sicca-Symptomatik leiden viele Patienten unter systemischen Manifestationen wie z. B. Arthralgien, seltener Hautvaskulitis, interstitieller Lungenerkrankung oder Nierenbeteiligung. Tröster I et al. Das Sjögren-Syndrom. Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Autoren Isabella Tröster1, Maike Jülich1, Reinhard Edmund Voll1, Florian Kollert2 Nicht-steroidale Antirheumatika, Kortikosteroide und Immunsuppressiva werden zur Therapie dieser Komplikationen angewandt während die Sicca-Symptomatik meist lokal-symptomatisch behandelt wird. Das Risiko der Entwicklung eines malignen Lymphoms ist beim Sjögren-Syndrom erhöht. Ein Großteil der Patienten leidet außerdem unter einer ausgeprägten Abgeschlagenheit (Fatigue) [4], die das subjektiv schwerwiegendste Symptom darstellen kann. Die Prävalenz von depressiven Störungen ist ebenfalls erhöht [5]. Auch wenn neue therapeutische Angriffspunkte und B-Zell-gerichtete Therapien, die sich derzeit in klinischer Testung befinden, auf eine Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten hoffen lassen, bleibt die Heterogenität des Krankheitsbildes und der Symptome eine Herausforderung in Klinik und Forschung. Abs tr ac t Sjögren’s syndrome is a chronic autoimmune disease involving both lacrimal and salivary glands. Lymphocytic infiltration and secondary destruction of the exocrine gland tissue leads to sicca symptoms. It is one of the 3 most common autoimmune diseases with a prevalence of 0.03–2.1 %, depending on age and population groups as well as the diagnostic criteria used, and mostly affects women (ca. 10:1) [1–3]. Apart from the characteristic sicca symptoms many patients also suffer from systemic manifestations such as arthralgia or, less frequently, skin vasculitis, interstitial lung disease or kidney involvement. Sicca symptoms are usually treated locally whereas non-steroidal anti-inflammatory drugs (NSAIDs), corticosteroids and immunosuppressants are used for complications. Sjögren’s syndrome is associated with an increased risk of developing a malignant lymphoma. In addition, most patients suffer from severe fatigue [4], which may be the most severe subjective symptom. The prevalence of depressive disorders is increased as well [5]. Even though promising new therapeutic approaches and B-cell-targeted therapies are currently under clinical investigation, the heterogeneity of the disease and its symptoms continues to be challenging for researchers and physicians alike. 291 Die erste Beschreibung eines Patienten mit Sicca-Symptomatik, symmetrischer Schwellung der Parotiden und lymphozytären Infiltraten in der Histologie erfolgte 1892 durch Mikulicz [6]. Benannt ist die Erkrankung allerdings nach dem dänischen Ophthalmologen Henrik Sjögren, der mit einer Arbeit über „Keratokonjunktivitis sicca“ bei 19 Frauen im Jahr 1933 promoviert wurde [7]. Die Erkrankung tritt in 2 Manifestationsgipfeln auf. So erkranken die Patienten häufig zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr, sowie nach dem 50. Lebensjahr (peri- bzw. postmenopausal) [8]. In der Pädiatrie ist das Sjögren-Syndrom selten, zwischen 2000 und 2010 wurden lediglich 81 Fälle bei unter 16-Jährigen beschrieben [1]. Das Sjögren-Syndrom tritt auch im Zusammenhang mit anderen Autoimmun­erkrankungen wie z. B. der Rheumatoiden Arthritis (RA) oder dem Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) auf, und wird dann als sekundär klassifiziert. Die Bedeutung dieser Assoziation wird diskutiert, und die Bezeichnung „sekundär“ ist möglicherweise ungünstig, da sie einen temporalen Wert hinzufügt und suggerier t, dass das Sjögren-Syndrom als Folge einer anderen Autoimmun­erkrankung auftreten würde [9]. Im vorliegenden Artikel konzentrieren wir uns auf das „primäre“ Sjögren-Syndrom. Die Symptomatik des Sjögren-Syndroms ist mannigfaltig. Einige häufige der vielfältigen Manifestationen beschreiben wir in den folgenden Abschnitten. Zudem geben wir einen kurzen Überblick über Pathogenese, Diagnostik und Therapie des Sjögren-Syndroms. Pathogenese Entsprechend unserem derzeitigen Verständnis, geht man davon aus, dass ein genetischer Hintergrund, Umwelt- und Hormoneinflüsse (z. B. Östrogen/Androgen-Imbalancen) für die Entstehung eines SjögrenSyndroms prädisponieren. Ein initialer Trigger, wie bspw. eine Virusinfektion, könnte zum Zelltod (Nekrose oder Apoptose) von Drüsenzellen führen, woraufhin die Präsentation von nukleären und zytoplasmatischen Antigenen, unter der Vorausset zung eines Toleranzverlustes, zur Autoimmunität führt. Hyper­reaktive B-Zellen produzieren Autoantikörper gegen Ro/SSA, La/SSB oder auch muskarinerge Acetylcholinrezeptoren. Eine ­vermehrte Expression und Sekretion von Interferon (IFN) α und γ führt zur chronischen lymphozytären Infiltration und Entzündung der exokrinen Drüsen, die zu einer Zerstörung des Gewebes und schließlich zum Verlust der Sekretionsleistung mit klinisch manifester Sicca-Symptomatik führen kann. Lymphozytäre Infiltrationen und Autoantikörper führen zu weiteren extraglandulären Symptomen [8]. Sowohl bei diesen lokalen Veränderungen im Bereich der exokrinen Drüsen als auch bei der Beteiligung viszeraler Organe (wie Lunge, Leber oder Nieren) manifestieren sich die Läsionen als periepitheliale lymphozytäre Infiltrate. Hierauf beruhend e ­ ntstand die Hypothese der „Autoimmun-Epithelitis“ bei der ­Speicheldrüsenepithelzellen aufgrund ihrer Fähigkeit zur engen Kommunikation mit dem Immunsystem eine Schlüsselrolle in der Pathogenese einnehmen [10]. Symptomatik Glanduläre Manifestationen Es konnte gezeigt werden, dass ca. 84–98 % der Patienten an einer Xerostomie leiden [11]. Die Mundtrockenheit führt zu einer Ein- 292 schränkung der Kau- und Schluckfunktion und kann mitunter sogar zu Schwierigkeiten beim Sprechen führen. Häufig ist ein brennendes Gefühl auf Lippen oder Zunge. Ein vermehrter Kariesbefall, Parodontitis, Prothesenkomplikationen und orale Candidiasis können durch die fehlende Wirkung eines adäquaten Speichelflusses auftreten. Wichtige Differentialdiagnosen sind die Behandlung mit anticholinergen oder zentralnervös wirksamen Medikamenten (z. B. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Trizyklische Antidepressiva (TZA)), aber auch Antihypertensiva, Diuretika oder andere Speicheldrüsenerkrankungen und Mundatmung können zu oraler Sicca-Symptomatik führen. Die okuläre Sicca-Symptomatik bzw. Keratokonjunktivitis sicca manifestiert sich meist in Form eines „Fremdkörpergefühls“ (Sand im Auge) oder brennender Schmerzen. Es kann zu Komplikationen wie einer Blepharitis, Iridozyklitis, Hornhautkomplikationen oder lokalen Infektionen kommen. Nicht nur Mund und Augen sind betroffen, Patienten mit Sjögren-Syndrom leiden auch an Dyspareunie und lokalen Infektionen des Genitaltraktes. Des Weiteren kann eine Tracheobronchitis sicca ­auftreten. Bis zu zwei Drittel der Patienten mit Sjögren-Syndrom weisen Schwellungen der Parotiden oder anderer großer Speicheldrüsen auf (Gll. submandibulares und sublinguales). Diese Schwellungen sind meist asymptomatisch. Differenzialdiagnostisch müssen vor allem virale (z. B. Mumps, EBV, Coxsackievirus A, HIV, HCV) aber auch bakterielle (Streptokokken- oder Staphylokokken, Tuberkulose) Infektionen ausgeschlossen werden. Weiter sollte an mögliche metabolische Ursachen wie ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus oder eine Hyperlipoproteinämie, sowie an Essstörungen (Anorexia und Bulimia nervosa) gedacht werden. Insbesondere bei einer einseitigen Schwellung sollte dringend ein neoplastisches Geschehen ausgeschlossen werden. Auch eine im Verlauf meist äußerst schmerzhafte Sialolithiasis kann zu einer Schwellung der betroffenen Speicheldrüse führen. Ggf. können metabolische Veränderungen die Steinbildung begünstigen (z. B. Hyperkalzämie). Extraglanduläre Manifestationen Zwar sind die Patienten durch eine Sicca-Symptomatik der Schleimhäute gekennzeichnet, dennoch entwickeln viele Patienten systemische Komplikationen (ca. 20–40 %), die denen des Systemischen Lupus Erythematodes (SLE) ähneln können. Vaskulitischen Haut­ läsionen liegt histopathologisch meist eine leukozytoklastische Vaskulitis zugrunde. Sie treten bevorzugt an den unteren Extremitäten auf. Dringend sollte bei diesen Patienten eine Kryoglobulinämie ausgeschlossen werden. Auch eine polyklonale Hypergammaglobulinämie die bei Patienten mit Sjögren-Syndrom auftritt, kann zu Purpura-artigen Hautveränderungen führen, die meist nicht palpabel sind. Klinisch relevante pulmonale Befunde lassen sich bei 9–12 % der Patienten nachweisen, auch wenn weitaus mehr Patienten Auffälligkeiten in Lungenfunktionsuntersuchungen, Bildgebung oder bronchoalveolärer Lavage aufweisen [12]. Im Krankheitsaktivitätsscore, dem EULAR Sjögren Syndrom Disease Activity Index (ESSDAI), werden auch chronische respiratorische Symptome wie Husten ohne auffällige Diagnostik als pulmonale Manifestation gewertet [13]. Bei Anwendung dieser Kriterien kommen Ramos-Casals et al. [14] auf eine Lungenbeteiligung bei 16 % der Patienten [14]. Ein trockener Husten kann einerseits Ursache einer Beteiligung exokriner Drüsen in den unteren Atemwegen sein und auch zur bronchialen Hyperreagibilität führen, anderseits kann er Tröster I et al. Das Sjögren-Syndrom. Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Übersichtsarbeit Tröster I et al. Das Sjögren-Syndrom. Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 Verteilung der Rheumatoiden Arthritis, und treten oft als Arthralgien, aber auch in Form einer manifesten Arthritis auf. Häufiger zeigen die Patienten allerdings Myalgien und Arthralgien ohne Zeichen einer Arthritis. In 10–20 % der Fälle beginnt das Auftreten der Gelenkschmerzen vor, und in etwa der Hälfte gleichzeitig mit der Sicca-Symptomatik [19]. An chronischen generalisierten Schmerzen leiden circa 35–50 % der Patienten mit Sjögren-Syndrom [21]. Auch das Erfüllen der Diagnosekriterien einer Fibromyalgie ist bei Patienten mit Sjögren-Syndrom häufiger als bei anderen Auto­ immunerkrankungen. So zeigen ca. 20 % der Patienten typische ­Fibromyalgie-Symptome [22]. Neuropathische Schmerzen können häufig einer „small-fibre“ Neuropathie zugeschrieben werden, und führen zu Parästhesien und im weiteren Verlauf zu brennenden oder stechenden Schmerzen, die oft sockenartig im Bereich der Füße beginnen [19]. Neuropathische Schmerzen können spontan auftreten oder im Zusammenhang mit einer Vaskulitis (z. B. im Rahmen einer Kryoglobulinämie). Etwa 30–40 % der Patienten mit Sjögren-Syndrom leiden unter depressiven Störungen, auch Angststörungen treten vermehrt auf [5, 23, 24]. Ein Zusammenhang mit Fatigue, Schlafstörung und Schmerz ist naheliegend. Lymphom-Entwicklung Patienten mit Sjögren-Syndrom haben ein erhöhtes Risiko, an einem malignen Lymphom zu erkranken. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2013 zeigt ein 13-fach erhöhtes Risiko der Lymphomentwicklung im Vergleich zur Normalbevölkerung [25]. Besonders häufig treten MALT (mucosa associated lymphoid tissue)-Lymphome und das diffus großzellige B-Zell-Lymphom auf. Persistierende Speicheldrüsenschwellung, palpable Purpura, Kryoglobulinämie, monoklonale Gammopathie, Hypokomplementämie, CD4-Lymphozytopenie und der Nachweis von Keimzentrum-artigen Strukturen in der Lippenschleimhautbiopsie sind Merkmale eines schweren Krankheitsverlaufs und eines erhöhten Lymphomrisikos [26, 27]. Fragkioudaki und Kollegen haben in einer Fall-Kontroll-Studie das Auftreten von Non-Hodgkin-Lymphomen untersucht. Die Autoren identifizierten 7 Risikofaktoren (Speicheldrüsenschwellung, Lymphadenopathie, Raynaud, anti-Ro/SSA oder anti-La/SSB-Positivität, Rheumafaktor (RF)-Positivität, monoklonale Gammopathie und C4-Hypokomplementämie). Beim Vorhandensein von 3–6 Risikofaktoren stieg das Risiko der Lymphomentwicklung auf 39,9 % [28]. Leider gibt es bisher keinen klinisch breit etablierten Algorithmus für das Lymphomscreening beim Sjögren-Syndrom. In wieweit z. B. die Messung der freien Leichtketten zum Lymphomscreening eingesetzt werden kann muss weiter untersucht werden [29]. Diagnosestellung Die Diagnosestellung des Sjögren-Syndroms erfolgt aus der Zusammenschau von Klinik, Laborchemie, Immunserologie, Bildgebung und Histologie. Neben der Klinik sind die Objektivierung der SiccaSymptomatik, der immunserologische Befund und die Histopathologie zentrale Bausteine der Diagnostik. Die Sicca-Symptomatik kann mittels verschiedener Verfahren objektiviert werden. So kann zur Bestimmung der Menge der Tränenflüssigkeit der Schirmer-Test oder eine Spaltlampenuntersuchung nach Bengalrosafärbung durchgeführt werden. Der Speichelfluss kann mithilfe des SaxonTests objektiviert werden (Kauen eines Watte-Schwämmchens über 293 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. auch aufgrund einer interstitiellen Lungenerkrankung auftreten. Die häufigste histopathologische Veränderung ist die follikuläre Bronchiolitis [12]. Ca. 8 % der Patienten weisen Bronchiektasen auf [15], möglicherweise als Folge einer eingeschränkten mukoziliären Clearance aufgrund der Beteiligung exokriner Drüsen des Pulmonaltraktes. In der Lunge können sich auch Lymphome wie z. B. das bronchus-associated lymphoid tissue (BALT)-Lymphom manifestieren. Hinsichtlich der gastrointestinalen Symptome kommt es neben der bereits beschriebenen Dysphagie auch zu vermehrtem gastroösophagealem Reflux. Durch die verminderte Speichelproduktion ist die Pufferung der Magensäure im oberen Gastrointestinaltrakt reduziert [8]. Eine konsequente Therapie des Refluxes ist anzustreben. Bei chronischer gastrointestinaler Symptomatik sollte dringend auch eine Helicobacter pylori-Infektion ausgeschlossen werden, da diese der Entstehung eines MALT-Lymphoms Vorschub leistet. Häufig weisen Routine-Laboruntersuchungen auf eine milde Hepatitis oder Pankreatitis hin. In diesen Fällen muss eine Hepatitis C und eine Autoimmunhepatitis ausgeschlossen werden. Das Auftreten von Zöliakie und primär-biliärer Zirrhose wird bei Patienten mit Sjögren-Syndrom gehäuft beobachtet. Etwa 5 % der Patienten mit Sjögren-Syndrom entwickeln eine renale Beteiligung, der meist eine tubulointerstitielle Nephritis zugrunde liegt, während Glomerulonehpritiden, z. B. im Rahmen einer Kryoglobulinämie, seltener auftreten [11]. Nicht unerwähnt darf das Risiko für einen kongenitalen AV-Block beim Föten bleiben, das besteht, wenn Schwangere mit SjögrenSyndrom anti-Ro/SSA- oder anti-La/SSB-Antikörper aufweisen [16, 17]. Schwangere Sjögren-Patientinnen müssen daher engmaschig von einem erfahren Gynäkologen und Rheumatologen überwacht und betreut werden. Durch Antikörper-vermittelte Schädigung der an der Reizleitung beteiligten Kardiomyozyten besteht die Gefahr des Auftretens eines kongenitalen Leitungsblockes, der bei Erkennung in der Frühphase noch einer therapeutischen Intervention mit dem plazentagängigen Dexamethason zugänglich sein könnte. Manifestationen am zentralen Nervensystem (ZNS) können in verschiedenster Form auftreten. Es sind sowohl fokale bzw. multifokale, diffuse oder der Multiplen Sklerose ähnelnde Manifestationen beschrieben. Die Differenzierung zur MS ist nicht immer einfach. Hierbei hilft die Bestimmung der oligoklonalen Banden oder anti-Ro-Antikörper im Liquor [18]. Zur Abgrenzung gegenüber einer Neuromyelitis optica (NMO, bzw. Devic-Syndrom, transverse Myelitis) ist die Bestimmung von Aquaporin-4-Antikörper sinnvoll. Etwa 70 % der Patienten leiden unter einer ausgeprägten Abgeschlagenheit, die auch als Fatigue bezeichnet wird [4]. Diese Abgeschlagenheit wird von den Patienten häufig schwerwiegender als systemische Komplikationen oder die Sicca-Symptomatik empfunden. So konnte gezeigt werden, dass Fatigue und Schmerz, die Lebensqualität der Patienten am stärksten beeinträchtigen [19]. Schlafstörungen bis hin zum Schlafapnoe-Syndrom sind ebenfalls beim Sjögren-Syndrom beschrieben [20] und stehen bekanntermaßen im Zusammenhang mit Fatigue und Schmerzen. Schmerzen lassen sich beim Sjögren-Syndrom in artikuläre, muskuläre, generalisierte und neuropathische Schmerzen kategorisieren. Artikuläre Schmerzen kommen in etwa bei der Hälfte der SjögrenPatienten vor [14], betreffen meist periphere Gelenke, ähnlich der Übersichtsarbeit Klassifikationskriterien nach AECG 2002 ACR Klassifikationskriterien 2012 I. Okuläre Symptome — wenigstens 1 der folgenden Fragen wird mit Ja beantwortet: 1. Positive anti-Ro/SSA und/oder anti-La/SSB Antikörper bzw. positiver Rheumafaktor und ANA Titer ≥ 1:320 1. Haben Sie über einen Zeitraum von wenigstens 3 Monaten täglich anhaltende Probleme durch trockene Augen? 2. Sicca ocular staining score ≥ 3 (OSS – Methode mit unterschiedlichen Tests und Färbungen zur Beurteilung sowohl der Tränenproduktion, als auch kornealer und konjuktivaler Veränderungen [54]) 2. Haben Sie wiederholt auftretend ein Sand- oder Fremdkörpergefühl in den Augen? 3. Lymphozytäre Sialadenitis mit einem Fokusscore von ≥ 1 Focus/4 mm2 in der Lippenspeicheldrüsenbiopsie. 3. Benutzen Sie Tränenersatzflüssigkeit mehr als 3 mal täglich? II. Orale Symptome — wenigstens 1 der folgenden Fragen wird mit Ja beantwortet: 1. H aben Sie über einen Zeitraum von wenigstens 3 Monaten täglich das Gefühl eines trockenen Mundes? 2. S ind bei Ihnen wiederholt oder dauerhaft geschwollen Speicheldrüsen im Erwachsenenalter aufgetreten? 3. Müssen Sie häufig nachtrinken um trockene Speisen schlucken zu können? III. O kuläre Befunde — objektiver Nachweis der Augenbeteiligung durch den positiven Befund in wenigstens einem der folgenden Tests: 1. Schirmer I Test (unanästhesiert): ≤ 5 mm in 5 min 2. Bengalrosa-Score oder andere entsprechende Färbungsskalen: ≥ 4 Punkte entsprechend der van Bijsterveld Beurteilung (max. 9 Punkte) IV. Histopathologie — Biopsie der (kleinen) Lippenspeicheldrüse mit Nachweis von fokaler lymphozytärer Sialadenitis Fokusscore > 1 — der Fokusscore beschreibt die Anzahl lymphozytärer Foci pro 4 mm2 Drüsengewebe (Focus als Agglomerat von > 50 Lymphozyten) V. Speicheldrüsenmanifestation — objektiver Nachweis der Speicheldrüsenbeteiligung durch den positiven Befund in wenigstens einem der folgenden Tests: 1. u nstimulierter Speichelflussmessung (UWSF): ≤ 1,5 ml in 15 min 2. S ialografie der Parotis mit Nachweis von diffuser Sialektasie ohne Zeichen von Obstruktion des Ausführungsgangs 3. S peicheldrüsenszintigrafie mit Nachweis von verzögerter Aufnahme, verminderter Konzentration und oder verspäteter Exkretion des Tracers VI. Autoantikörper — Nachweis mindestens eines der folgenden Auto-AK im Serum: 1. Anti-Ro/SS-A AK 2. Anti-La/SS-B AK Klassifikationskriterien erfüllt: Klassifikationskriterien erfüllt: 4d er 6 Kategorien müssen erfüllt sein, wobei wenigstens eine der Kategorien IV (Histopathologie) oder VI (Autoantikörper) beinhaltet sein müssen und Zwei der drei Kriterien müssen erfüllt sein. 3 der 4 objektiven Kategorien (III-VI) gegeben sein müssen. 2 min und Messung des Gewichts vorher und nachher). Immer häufiger werden die Speicheldrüsensonografie und das MRT eingesetzt. Beide Verfahren können recht spezifische Zeichen des Speicheldrüsenbefalls beim Sjögren-Syndrom erkennen lassen, sind aber noch nicht Bestandteil aktueller Klassifikationskriterien [30]. Vor allem die Speicheldrüsensonografie dürfte jedoch dank ihrer relativ hohen Sensitivität und Spezifität bei geringem Aufwand zunehmend in die Routinediagnostik eingehen. Bei Hinzunahme der Speicheldrüsensonografie zu den in der Folge beschrieben AECG Kriterien von 2002 verbesserte sich die Sensitivität dieser auf 87 % bei unveränderter Spezifität [31]. Allerdings sind die sonografischen Auswertungskriterien noch nicht ausreichend definiert und bedürfen weiterer Standardisierung [32] . 294 In der Immunserologie zeigen sich typischerweise (in ca. 75 % der Patienten) positive Antinukleäre Antikörper (ANA), und in der Spezifizierung (ENA) anti-Ro/SSA (Ro52 und Ro60) und anti-La/SSB-Autoantikörper [33]. Weiterhin findet sich häufig eine RF-Positivität und eine Hypokomplementämie (erniedrigtes C3, C4) mit einem intravasalen Komplementumsatz (erhöhtes C3d). Insbesondere bei einem Komplementumsatz und positivem RF ist das Vorliegen einer Kryoglobulinämie häufig und muss ausgeschlossen werden. Weiterhin findet sich als Zeichen der B-Zellaktivität eine meist polyklonale Hypergammaglobulinämie. Aufgrund des Auftretens maligner Lymphome empfehlen wir eine Eiweißelektrophorese, die Bestimmung des freien Leichtketten-Quotienten und ggfs. eine Immunfixation in Serum und Urin. Als unspezifische Marker der LymphozytenaktivieTröster I et al. Das Sjögren-Syndrom. Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. ▶Tab. 1 Gegenüberstellung von AECG (2002) [38] und ACR (2012)-Kriterien [40]. Domäne (Gewichtung) Aktivitäts­level Beschreibung Allgemein­ zustand (3) 0 keines der folgenden Symptome 1 leichtes Fieber (37,5–38,5 °C)/Nachtschweiß (in den letzten 4 Wochen) und/oder ungewollter Gewichtsverlust von 5 bis 10 % des KG (innerhalb der letzten 12 Wochen) 2 starkes Fieber ( > 38,5 °C, ≥ 2 x pro Woche)/Nachtschweiß (in den letzten 4 Wochen) und/oder ungewollter Gewichtsverlust > 10 % des KG (innerhalb der letzten 12 Wochen) 0 keines der folgenden Symptome 1 Lymphadenopathie ≥ 2 cm inguinal oder ≥ 1 cm in jeder sonstigen Region 2 Lymphadenopathie ≥ 3 cm inguinal oder ≥ 2 cm in jeder sonstigen Region, und/oder Splenomegalie (klinische Untersuchung/Bildgebung) 3 maligne, B-Zell proliferative Erkrankung (nach WHO Kriterien 2011; jede Form außer > 6 Monate komplette Remission nach Therapieende/Multiples Myelom) 0 keine Speicheldrüsenschwellung (klinische Untersuchung) 1 geringe Speicheldrüsenschwellung mit vergrößerter Parotis ( ≤ 3 cm) oder begrenzter submandibulärer Speichel- ( ≤ 2 cm) oder Tränendrüsenschwellung ( ≤ 1 cm) 2 deutliche Speicheldrüsenschwellung mit vergrößerter Parotis ( ≥ 3 cm) oder deutlicher submandibulärer Speichel- ( > 2 cm) oder Tränendrüsenschwellung ( > 1 cm) 0 aktuell keine aktive Gelenkbeteiligung Lymphadenopathie und Lymphom (4) Speichel-/ Tränendrüsen (2) Gelenk­ beteiligung (2) Haut­ beteiligung (3) Lungen­ beteiligung (5) Nieren­ beteiligung (5) Muskel­ beteiligung (6) 1 Arthralgie (in den letzten 4 Wochen; Hände, Handgelenke Knöchel und Füße; begleitet von Morgensteifigkeit ( > 30 min)) 2 1–5 von Synovitis betroffen Gelenk (von insg. 28, entsprechend DAS28) Synovitis 3 ≥ 6 von Synovitis betroffen Gelenk (von insg. 28, entsprechend DAS28) Synovitis 0 aktuell keine aktive Hautbeteiligung 1 Erythema multiforme 2 limitierte Vaskulitis ( < 18 % der KO) oder auf Knöchel/Füße begrenzte Purpura oder subakuter kutaner Lupus erythematodes 3 Diffuse Hautvaskulitis ( ≥ 18 % der KO) oder diffuse Purpura oder durch Vaskulitis bedingte Ulcera 0 aktuell keine aktive Lungenbeteiligung 1 persistierender Husten durch bronchiale Beteiligung (obstruktive Symptome) ohne bildgebenden Hinweis (HRCT) auf interstitielle Lungenerkrankung mit normaler Lungenfunktionstestung und ohne Kurzatmigkeit 2 moderat aktive Lungenbeteiligung z. B. interstitielle Lungenerkrankung (HRCT) mit Kurzatmigkeit bei Belastung (NYHA II) oder veränderten Lungenfunktionstest (DLCO < 40 % oder FVC < 60 %) 3 hochgradig aktive Lungenbeteiligung z. B. interstitielle Lungenerkrankung (HRCT) mit Kurzatmigkeit bei geringer Belastung oder Ruhe (NYHA III/IV) oder veränderten Lungenfunktionstest (bis 70 % > DLCO ≥ 40 % oder 80 % > FVC ≥ 60 %) 0 aktuell keine aktive Nierenbeteiligung (Proteinurie < 0,5 g/d, keine Hämaturie, keine Leukozyturie, keine Azidose) oder langfristig bestehende Proteinurie aufgrund einer Nierenschädigung 1 milde aktive Nierenbeteiligung begrenzt auf eine tubuläre Azidose ohne Niereninsuffizienz oder glomeruläre Beteiligung mit Proteinurie (zwischen 0,5–1,0 g/d) ohne Hämaturie/Niereninsuffizienz (GFR ≥ 60 ml/min) 2 moderate aktive Nierenbeteiligung wie z. B. tubuläre Azidose mit Niereninsuffizienz (GFR < 60 ml/min) oder glomerulärer Beteiligung mit Proteinurie (zwischen 1,0–1,5 g/d) ohne Hämaturie/Niereninsuffizienz (GFR ≥ 60 ml/min)/ histologischem Nachweis einer membranösen Glomerulonephritis/deutlichen interstitiellen lymphoiden Infiltraten 3 hochgradig aktive Nierenbeteiligung z. B. glomerulärer Beteiligung mit Proteinurie ( > 1,5 g/d)/Hämaturie/ Niereninsuffizienz (GFR < 60 ml/min)/histologischem Nachweis von proliferativer Glomerulonephritis oder durch Kryoglobulinämie bedingte Nierenbeteiligung 0 aktuell keine aktive Myositis 1 milde aktive Myositis (abnormale EMG/MRT/Biopsie) ohne Muskelschwäche und max. um das 2-fache erhöhten Creatininkinase 2 moderate aktive Myositis (abnormale EMG/MRT/Biopsie) und Muskelschwäche (max. 4/5 Defizit) oder zwischen 2-fach und 4-fach erhöhter Creatininkinase 3 hochgradige aktive Myositis (abnormale EMG/MRT/Biopsie) und Muskelschwäche ( ≤ 3/5 Defizit) oder > 4-fach erhöhten Creatininkinase Ausschluss oder Vorliegen einer aktuellen peripheren Neuropathie oder Hirnnervenbeteiligung Tröster I et al. Das Sjögren-Syndrom. Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 295 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. ▶Tab. 2 Die 12 Domänen des EULAR Sjögren-Syndrom Disease Activity Index (ESSDAI) [13, 41]. Übersichtsarbeit Domäne (Gewichtung) Aktivitäts­level Beschreibung Peripheres Nervensystem (5) 0 aktuell keine aktive PNS-Beteiligung 1 milde aktive PNS-Beteiligung (nachgewiesen mittels NLG Messung) z. B. rein sensorische axonale Polyneuropathie, Trigeminus-Neuralgie oder Small fiber Neuropathie 2 moderate aktive PNS-Beteiligung (nachgewiesen mittels NLG Messung) z. B. sensorische-motorisch axonale Polyneuropathie ( ≥ 4/5 Motordefizit), rein sensorische axonale Polyneuropathie und Kryoglobulinämie Vaskulitis, Ganglionopathie mit lediglich milder/moderater Ataxie, chron. inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) mit milder Funktionsminderung ( ≥ 4/5 Motordefizit oder milde Ataxie), oder periphere Hirnnervenbeteiligung (außer Trigeminusneuralgie) 3 hochgradig aktive PNS-Beteiligung (nachgewiesen mittels NLG Messung) z. B. sensorische-motorisch axonale Polyneuropathie ( ≤ 3/5 Motordefizit), periphere Nervenbeteiligung bei Vaskulitis (Mononeuritis multiplex usw.), Ganglionopathie mit schwerer Ataxie, chron. inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) mit deutlicher Funktionsminderung (Motordefizit ≤ 3/5 oder starker Ataxie) 0 aktuell keine aktive ZNS-Beteiligung 1 moderat aktive ZNS Beteiligung z. B. zentrale Hirnnervenbeteiligung, Neuritis optica oder MS-artige Symptome (rein sensorische oder nachgewiesene kognitive Beeinträchtigung) 2 hochgradig aktive ZNS Beteiligung wie zerebrale Vaskulitis mit zerebrovaskulärem Insult oder TIA, epileptische Anfälle, transverse Myelitis, lymphozytäre Meningitis, MS-artiger Symptome mit motorischem Defizit 0 keine Autoimmunzytopenien (Neutropenie/Anämie/Thrombozytopenie) 1 Autoimmunzytopenie mit Neutropenie (1 000 < Neutrophile < 1 500/mm3) und/oder Anämie (10 < Hb < 12 g/dl) und/oder Thrombozytopenie (100,000 < Thrombozyten < 150,000/mm3) oder Lymphopenie (500 < Lymphozyten < 1 000/mm3) 2 Autoimmunzytopenie mit Neutropenie (500 ≤ Neutrophile ≤ 1 000/mm3) und/oder Anämie (8 ≤ Hb ≤ 10 g/dl) und/oder Thrombozytopenie (50,000 ≤ Thrombozyten ≤ 100,000/mm3) oder Lymphopenie ( ≤ 500/mm3) 3 Autoimmunzytopenie mit Neutropenie (Neutrophile < 500/mm3) und/oder Anämie (Hb < 8 g/dl) und/oder Thrombozytopenie (Thrombozyten < 50,000/mm3) 0 keine der folgenden immunologischen Eigenschaften 1 monoklonalen Gammopathie und/oder Komplementverminderung (C3, C4 oder CH50) und/oder Hypergammaglobulinämie/erhöhtes IgG (zwischen 16 und 20 g/l) 2 Kryoglobulinämie (auch asymptomatisch/bei niedrigem Kryokrit) und/oder Hypergammaglobulinämie/erhöhte IgG Level ( > 20 g/L) und/oder kürzlich aufgetretene Hypogammaglobulinämie/Abfall des IgG ( < 5 g/l) Zentrales Nervensystem (5) Hämatologie (2) Immunologie (1) – Anwendung des ESSDAI nur bei primärem Sjögren-Syndrom. – Symptome bedingt durch irreversible Schäden werden mit 0 bewertet ( ≥ 12 Monate andauernde, unveränderte Symptome) – andere Ursachen der Symptome müssen ausgeschlossen werden – Der ESSDAI-Score entspricht der Punktsumme aller Domänen (Punktsumme = Aktivitätslevel (0–3) x Gewichtung (1–6) pro Domäne); Maximalscore 123 0 = keine Aktivität 1 = niedriges Level 2 = moderates Level 3 = hohes Level KG = Körpergewicht; Disease Activity Score 28 bei Rheumatoider Arthritis; KO = Körperoberfläche; PNS = peripheres Nervensystem; NLG = Nervenleitgeschwindigkeit; ZNS = zentrales Nervensystem; TIA = transitorischer ischämischen Attacke; HRCT = high-resolution Computertomografie; DLCO = Kohlenmonoxid-Diffusionskapazität; FVC = forcierte exspiratorische Vitalkapazität; NHYA = New York Heart Association Klassifikation; GFR = glomeruläre Filtrationsrate; EMG = Elektromyogramm; Hb = Hämoglobin; IgG = Immunglobulin G; Neutrophile = Neutrophile Granulozyten rung zeigen sich β2-Mikroglobulin und die freien Leichtketten erhöht. Beide Serumparameter korrelieren mit der Krankheitsaktivität und dem ESSDAI [34, 35], und können möglicherweise helfen, eine Lymphomentwicklung frühzeitig zu erkennen. Neben der Klinik, der Objektivierung der Sicca-Symptomatik und der Immunserologie ist die Histopathologie ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik. Die gute Zugänglichkeit der kleinen Speicheldrüsen im Bereich der Lippen (Gll. labiales) erlaubt bei nahezu allen Patienten eine histopathologische Beurteilung der Autoimmun­ sialadenitis. Das Präparat kann mittels einer meist komplikations- 296 losen Lippenschleimhautbiopsie entnommen werden. Zur Beurteilung des pathohistologischen Schwergrades wird der Fokusscore bestimmt, welcher die Anzahl lymphozytärer Foci pro 4 mm 2 ­Drüsengewebe beschreibt. Als Focus wird ein Agglomerat von > 50 mononukleären Zellen (vorrangig Lymphozyten) in perivaskulärer oder periduktaler Lokalisation bezeichnet, welche sich üblicherweise neben normalen Acini finden. Die Biopsie wird als positiv ­gewertet, wenn sich eine fokale lymphozytäre Sialadenitis nachweisen lässt (Fokusscore > 1) [36]. Tröster I et al. Das Sjögren-Syndrom. Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. ▶Tab. 2 Die 12 Domänen des EULAR Sjögren-Syndrom Disease Activity Index (ESSDAI) [13, 41]. Fortzetzung. ▶Tab. 3 Verschiedene Therapiemaßnahmen des Sjögren-Syndroms [8, 11, 55]. Krankheitsmanifestation Allgemein- und Therapiemaßnahmen Bemerkungen Regelmäßige Zahnreinigung und engmaschige Vorstellung beim Zahnarzt (alle 3–6 Monate) Viel trinken; Kaugummi (zuckerfrei) Fluoridhaltige Zahncreme Speichelersatzflüssigkeit Ggfs. antimykotische Therapie bei oraler Candidosis Ggfs. Pilocarpin Vermeidung niedriger Luftfeuchtigkeit und heißer, windiger Umgebung Weiche Kontaktlinsen Tränenersatzflüssigkeit [44] Punctum-Plugs Lokale Kortikosteroid - Augentropfen/-salbe Lokale Cyclosporin A Augentropfen (nur über Internationale Apotheken zu erhalten) [45] Ggfs. Eigenserum-Augentropfen Ggfs. Pilocarpin [46] Getränke und Kaugummis sollten zuckerfrei sein Speicheldrüsenschwellung Anwendung von lokaler feuchter Wärme Ggfs. antibiotische Therapie bei bakterieller Superinfektion Ggfs. kurzzeitige immunsuppressive Therapie (Kortikosteroide) erwägen CAVE: Ausschluss Differentialdiagnosen -z. B. Virusinfekt (EVB, HCV, HIV) und malignes Lymphom, Sarkoidose, IgG4-assoziierte Erkrankung, Sialolithiasis Arthralgien/Arthritis NSAID Cox2-Hemmer Hydroxychloroquin [56] Je nach Ausprägung ggfs. immunsuppressive Therapie (z. B. Methotrexat) Systemische Manifestationen z.B. interstitielle Lungenerkrankung, schwere Hautvaskulitis, Kryoglobulinämie, ZNS-Manifestationen Kortikosteroide [56] Immunsuppressiva analog zum Lupus bzw. Kleingefäßvaskulitis (z. B. Azathioprin, Methotrexat, Cyclophosphamid) [48]; Natriumhydrogencarbonat bei interstitieller Nephritis; B-Zell-gerichtete Biologika-Therapie; Vermeidung von langem Stehen z. B. bei Hyperglobulinämischer Purpura Biologika-Therapie beim Sjögren-Syndrom ist nicht zugelassen, aber in klinischer Testung. CAVE: Bei Kryoglobulinämie und RF-Aktivität kann eine Therapie mit i. v. Immunglobulinen (z. B. Rituximab oder IVIG) zu einer Exazerbation der Immunkomplex-Vaskulitis führen. Dies gilt insbesondere bei niedrigem C4, hohem RF und hoher Kryoglobulin-Konzentration [57, 58] Fatigue Untersuchung im Schlaflabor Moderate körperliche Aktivität Ggfs. Behandlung eines vorhandenen Schlafapnoe-Syndroms; Randomisiert-kontrollierte Studien zeigen die Wirksamkeit von Rituximab [50–51]; Rituximab ist zur Behandlung des Sjögren-Syndroms nicht zugelassen. Depression und Angststörung Mitbetreuung durch einen Psychiater oder Psychologen und ggfs. medikamentöse oder psychotherapeutische Maßnahmen ▪▪ Stomatitis sicca ▪▪ Keratokonjunktivitis sicca Klassifikationskriterien Klassifikationskriterien dienen in erster Linie zur Homogenisierung von Studienpopulationen. Aktuell werden die 2002 von der amerikanisch-europäischen Konsensgruppe (AECG) vorgestellten Klassifikationskriterien am häufigsten angewandt [37]. Diese umfassen 6 Kategorien, von denen 2 die subjektive orale und okuläre Symptomatik beschreiben. Die anderen 4 beziehen sich auf die Objektivierung der oralen und okulären Sicca-Symptomatik, auf die Histopathologie und Immunserologie (▶ Tab. 1; [38]). Insbesondere die Ausschlusskriterien sind bei der Klassifikation zu berücksichtigen (z. B. Bestrahlungstherapie im Kopf- und Tröster I et al. Das Sjögren-Syndrom. Akt Rheumatol 2017; 42: 291–300 CAVE Nebenwirkungen bei Parasympathomimetika Halsbereich, HIV- oder HCV-Infektion, vorbestehendes Lymphom, Sarkoidose und Graft-versus-host Krankheit). Aktuellere Klassifikationskriterien des American College of Rheumatology (ACR) beinhalten nur noch drei Kategorien, von denen zwei erfüllt werden müssen. Die subjektive Sicca-Symptomatik und die Objektivierung des Speichelfluss sind kein Bestandteil dieser Kriterien (siehe Gegenüberstellung der Klassifikationskriterien in ▶Tab. 1; [39, 40]). Bestimmung der Krankheitsaktivität Zur standardisierten Erfassung der systemischen Krankheitsaktivität wurde im Jahr 2009 der ESSDAI entwickelt [41]. Er setzt sich aus 12 Domänen zusammen, die mit einem Punktwert bewertet und 297 Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages. Sicca-Symptomatik verschieden gewichtet werden (▶ Tab. 2). Symptome, die durch eine dauerhafte Schädigung seit mehr als 12 Monaten bestehen, werden nicht gewertet (z. B. Sicca-Symptomatik aufgrund einer irreversiblen Speicheldrüsenschädigung). Neben der systemischen Krankheitsaktivität können auch subjektive Symptome standardisiert festgehalten werden. Hierfür wurde der EULAR Sjögren Syndrom Patient-related Index (ESSPRI) entwickelt [42]. Mit diesem Score lassen sich relative einfach die wichtigen Symptome Sicca, Fatigue und Schmerz festhalten. Auf einer visuellen Analogskala beurteilt der Patient die jeweilige Symptomatik von 0–10. Interessanterweise korrelieren der ESSDAI und ESSPRI nicht miteinander [43]. Diese Aktivitätsbestimmungen sind vor allem wichtig zur Durchführung klinischer Studien. Die Aktivität assoziierter Erkrankungen wie Depression, Schlaf- oder Angststörungen werden mit diesen Scores natürlich nicht erfasst. Therapie So vielfältig wie die Symptomatik ist auch die Therapie. Sie führt von lokalen Maßnahmen, wie bspw. dem Ersatz von Tränenflüssigkeit, bis hin zur B-Zell-gerichteten Biologika-Therapien, die sich aktuell in klinischer Erprobung befinden. Eine kurative Therapie steht bisher nicht zur Verfügung. Daher zielen die Anstrengungen auf eine Linderung der Symptome, besonders der Sicca-Symptomatik, und eine Kontrolle der Krankheitsaktivität. Die Sicca-Symptomatik im Bereich der Augen und Atemwege ist während der kalten Jahreszeit, durch die trockene Heizungsluft bedingt, besonders ausgeprägt. Deshalb sollte auf eine ausreichende Raumluftbefeuchtung geachtet werden. Die okuläre Sicca-Symptomatik spricht meistens gut auf die Gabe von Tränenersatzflüssigkeit an, wobei die individuelle Verträglichkeit unterschiedlich ist. Bewährt haben sich v. a. Violen zur Einmaldosierungen, welche keine Konservierungsmittel enthalten. Der mechanische Verschluss des Punctum lacrimale mittels sogenannter Punctum Plugs kann ebenfalls anhaltende Linderung verschaffen [44]. Zur nächtlichen Therapie können Augensalben angewandt werden. Cyclosporin A-Augentropfen werden bei einigen Patienten mit unzureichendem Ansprechen erfolgreich eingesetzt [45]. In seltenen Fällen schwerer refraktärer Sicca-Symptomatik, bzw. Keratokonjunktivitis sicca mit z. B. Unverträglichkeiten von oder unzureichendem Ansprechen auf kommerzielle Produkte, erweist sich die Gabe von Eigenserum als hilfreich. Eigenserum wird nur von wenigen Blutbanken mit entsprechender Herstellungserlaubnis zur Verfügung gestellt [44]. Ist noch ausreichend Drüsengewebe vorhanden, kann die Gabe von Parasympathomimetika (z. B. Pilocarpin) die Sekre­ tionsleistung steigern [46]. Häufiges Trinken zuckerfreier Flüssigkeiten ist eine wirksame Maßnahme gegen die orale Sicca, aber auch zuckerfreie Kaugummis oder Mundsprays (z. B. Glandosane®) werden oft als angenehm empfunden. Gottenberg et al. konnten in einer randomisierten, placebokontrollierten Studie über 24 Wochen keinen Unterschied zwischen der Therapie mit Hydroxycholorquin und Placebo bezüglich Schmerzen, Ausprägung der Trockenheit und Müdigkeit feststellen [47]. Trotz dieser negativen Studienergebnisse kann ein frühzeitiger Einsatz, vor einer bereits stattgehabten Zerstörung von Speicheldrüsengewebe, nach unserer Erfahrung die Sicca-Symptomatik lindern. Darüberhinaus haben wir, vergleichbar zum Einsatz bei SLE, gute Erfahrungen mit Anti-Malaria-Medikamenten bei der 298 Behandlung von Polyarthralgien bzw. –arthritiden gemacht. Bei unzureichendem Ansprechen einer Arthritis auf Hydroxychloroquin kann Methotrexat eingesetzt werden. Leider gibt es zur Wirksamkeit von Methotrexat bei Arthritis bzw. Arthralgien und SjögrenSyndrom keine klinischen Studien. Allerdings zeigt sich hierfür zumindest ebenfalls eine gute Evidenzlage zum Einsatz beim SLE [48]. Eine B-Zell-Depletion mithilfe des Anti-CD20-Antikörpers Rituximab hat bisher zu uneinheitlichen, insgesamt noch nicht überzeugenden Ergebnissen geführt. In einer Studie konnte allerdings gezeigt werden, dass Rituximab im Vergleich zur DMARD-Therapie zu einem rascheren und deutlicheren Abfall des ESSDAIs führen kann. Des Weiteren war in Speicheldrüsenbiopsien ein Rückgang des entzündlichen Infiltrates bzw. Fokuscores zu beobachten [49]. Jedoch zeigten sich in weiteren vor kurzem erschienen Studien lediglich positive Effekte auf sekundäre Endpunkte wie bspw. Tränenfluss und Müdigkeit, während die primären Endpunkte nicht erreicht wurden [50, 51]. Eine niedrigdosierte systemische Glucocorticoidtherapie kann bei Arthritiden und Allgemeinsymptomen sowie weiteren systemischen Manifestationen vorübergehend erforderlich sein. Die möglichen therapeutischen Maßnahmen sollten je nach Organmanifestationen fächerübergreifend koordiniert werden. Aufgrund der hohen Prävalenz von Depression und Angststörung sollte mit dem Patienten besprochen werden, ob ein Psychologen bzw. Psychiater hinzugezogen werden sollte. Erschwert wird die Behandlung einer Depression durch die anticholinerge Wirkung vieler Antidepressiva, welche die Sicca-Symptomatik verstärken kann. Zur besseren Übersicht haben wir eine Tabelle mit den verschiedenen Krankheitsmanifestationen und den möglichen therapeutischen Maßnahmen erstellt (▶Tab. 3). Neue Medikamente, die hoffentlich auch eine spezifischere Beeinflussung der Autoimmunprozesse erlauben, befinden sich derzeit in der Entwicklung. Diese dürften jedoch nur bei relativ frühzeitigem Einsatz, d. h. vor einer weitgehenden Zerstörung des exokrinen Drüsengewebes, effektiv sein. Bspw. der BAFF-neutralisierenden Antikörper Belimumab und der Kostimulationsblocker Abatacept könnten erster Studienergebnisse nach einen therapeutischen Effekt beim Sjögren-Syndrom haben [52, 53]. Interessenkonflikt Nein. 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