2 Das Konzept Topologischer Raum - Beck-Shop

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Das Konzept
Topologischer Raum
Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
was ich bin, will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne, will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.
Thomas Brasch
Wie bereits erwähnt, befassen wir uns in der Allgemeinen Topologie mit Begriffen wie
Konvergenz, Stetigkeit und daraus abgeleiteten Konstruktionen. Was meint nun aber
ein Begriff wie Konvergenz? Nun, bei der Konvergenz von Folgen in der reellen oder
komplexen Analysis stellen wir uns darunter vor, daß die fraglichen Folgen immer näher,
ja recht eigentlich sogar beliebig nah an einen Punkt des betrachteten Raumes heran”
kommen“, d.h. daß in jeder beliebig kleinen Nähe dieses Punktes alle bis auf endlich
viele Folgenglieder liegen. Was aber ist denn nah? Betrachten wir etwa die Menge aller
seit 1600 publizierten Musikstücke – wie nah ist denn dann Alice Coopers Poison“
”
bei Mozarts Requiem“? Seltsame Frage ... und wollten wir darauf beharren, nur die
”
Menge der Musikstücke und gar nichts sonst ins Blickfeld zu nehmen, bliebe sie schlicht
nicht zu beantworten. Wir könnten uns aber auf irgendein Kriterium einigen, daß es
uns gestatten würde, einen Abstand zwischen Musikstücken anzugeben – dann reden wir
freilich nicht mehr nur über die gegebene Menge, sondern zusätzlich eben über unser
Kriterium.
2.1
Metrische Räume
Metrische Räume gehen nun auf nichts anderes, als den naheliegenden Versuch zurück,
beliebige Mengen sozusagen als vermeßbar“ aufzufassen, Abstände zwischen ihren Ele”
menten angeben zu können. Dabei sollen möglichst ein paar der uns vom ganz alltäglichen Abstandsbegriff vertrauten Eigenheiten mitübertragen werden:
(1) Die Entfernung von mir selbst zu irgendeinem Ort ist stets eine positive reelle
Zahl – mit genau einer Ausnahme: der Abstand von mir selbst zu mir selbst ist
null.
René Bartsch. Allgemeine Topologie I. ISBN 978-3-486-58158-4. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2007
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2 Das Konzept Topologischer Raum
(2) Von Rostock nach Berlin ist es nicht wesentlich weiter als von Berlin nach Rostock.
(3) Wenn ich auf dem Weg von Rostock nach Berlin einen Umweg über Greifswald
mache, darf ich mich nicht wundern, daß der Gesamtweg nicht gerade kürzer
wird.
Das modellieren wir jetzt einfach formal nach.
Definition 2.1.1
Ein metrischer Raum ist ein geordnetes Paar (X, d) aus einer Menge X und einer
Funktion d : X × X → IR mit folgenden Eigenschaften:
(1) ∀x, y ∈ X : d(x, y) ≥ 0, d(x, y) = 0 ⇔ x = y
(2) ∀x, y ∈ X : d(x, y) = d(y, x), (Symmetrie)
(3) ∀x, y, z ∈ X : d(x, y) + d(y, z) ≥ d(x, z) (Dreiecksungleichung)
Die Funktion d heißt dann eine Metrik auf X.
Gilt statt (1) nur
(0) ∀x ∈ X : d(x, x) = 0
so heißt d eine Pseudometrik auf X und das Paar (X, d) dementsprechend ein pseudometrischer Raum.
Offensichtlich ist jeder metrische Raum auch ein pseudometrischer.
Bemerkung: Auch im pseudometrischen Fall folgt natürlich aus d(x, y) + d(y, x) ≥
d(x, x) und d(x, y) = d(y, x) sofort ∀x, y ∈ X : d(x, y) ≥ 0, nur können wir aus
d(x, y) = 0 nicht mehr auf x = y schließen.
Beispiele:
(1) diskrete Metrik: Sei X eine beliebige Menge, dann ist die durch
d(x, y) :=
0 ; x=y
1 ; x = y
definerte Funktion d : X ×X → IR eine Metrik auf X, wie man leicht nachrechnen
kann. Sie heißt die diskrete Metrik auf X.
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2.1 Metrische Räume
67
(2) euklidische Metrik: Sei X = IRn := {(x1 , ..., xn )| ∀i = 1, ..., n : xi ∈ IR}. Dann
heißt die durch
n
d(x, y) := (xi − yi )2
i=1
definierte Funktion d : IRn × IRn → IR euklidische Metrik des IRn .
(3) Maximumsmetrik: Sei X = IRn . Dann bezeichnen wir die durch
d(x, y) := max |xi − yi |
i=1,...,n
definierte Funktion d : IRn × IRn → IR als Maximumsmetrik des IRn .
Eine solche kann freilich auch auf der Menge C([0, 1], IR) der stetigen reellen Abbildungen des abgeschlossenen Intervalles [0, 1] := {x ∈ IR| 0 ≤ x ≤ 1} betrachtet
werden:
d(f, g) := max{|f (x) − g(x)| : x ∈ [0, 1]}
und heißt dort ebenfalls Maximumsmetrik.
(4) Selbst eine Art Übertragung der euklidischen Metrik auf die Menge X := C([0, 1], IR)
ist möglich. Die durch
1
d(f, g) :=
(f (x) − g(x))2 dx
0
definierte Funktion d : X × X → IR ist eine Metrik auf X.
Nun, mit einem Abstandsbegriff ausgerüstet, sind wir in der Lage, zunächst die Konvergenz von Folgen in metrischen Räumen zu erklären:
Definition 2.1.2
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum, (xn )n∈IN eine Folge in X und y ∈ X. Dann
sagen wir, die Folge (xn )n∈IN konvergiert gegen y (in Zeichen: xn → y) genau dann,
wenn
∀ε > 0 : ∃nε ∈ IN : ∀k ≥ nε : d(xk , y) < ε .
Das entspricht völlig dem Gebrauch, den wir aus der Analysis gewöhnt sind.
Bemerkung: Ist (X, d) ein pseudometrischer, aber kein metrischer Raum, so existieren
x = y ∈ X mit d(x, y) = 0. Dann konvergiert die konstante Folge (xn = x)n∈IN gegen y
d
und die konstante Folge (yn = y)n∈IN gegen x. Umgekehrt folgt aus (xn = x)n∈IN → y
stets d(x, y) = 0.
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2 Das Konzept Topologischer Raum
Definition 2.1.3
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum.
(1) Sei x ∈ X und ε > 0 eine reelle Zahl. Dann heißt
U (x, ε) := {y ∈ X| d(x, y) < ε}
die ε-Umgebung von x in X.
(2) Eine Teilmenge O ⊆ X heißt offen (bezüglich der (Pseudo-)Metrik d) genau
dann, wenn gilt:
∀x ∈ O : ∃εx > 0 : U (x, εx ) ⊆ O ,
d.h. wenn sie zu jedem ihrer Punkte auch noch irgendeine komplette ε-Umgebung dieses Punktes umfaßt.
Proposition 2.1.4
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum, x0 ∈ X und ε > 0 eine reelle Zahl. Dann
ist U (x0 , ε) offen bezüglich d.
Beweis: Sei x ∈ U (x0 , ε), d.h. d(x0 , x) < ε. Dann ist δ := ε − d(x0 , x) > 0 und
es gilt U (x, δ) ⊆ U (x0 , ε), denn aus y ∈ U (x, δ) folgt ja d(x, y) < δ und somit
d(x0 , y) ≤ d(x0 , x) + d(x, y) < d(x0 , x) + δ = d(x0 , x) + (ε − d(xo , x)) = ε, also
y ∈ U (x0 , ε).
Proposition 2.1.5
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum und sei O ⊆ X. Dann sind äquivalent:
(1) O ist offen bezüglich d.
(2) Für jede Folge (xn )n∈IN aus X, die gegen einen Punkt von O konvergiert, gilt:
∃n0 ∈ IN : ∀k ≥ n0 : xk ∈ O.
Beweis: (1)⇒(2)“: Sei eine Folge (xn )n∈IN gegeben, die gegen y ∈ O konvergiert.
”
Dann existiert εy > 0 mit U (y, εy ) ⊆ O und wegen der Konvergenzdefinition folglich
n0 ∈ IN mit ∀k ≥ n0 : xk ∈ U (y, εy ), also auch xk ∈ O.
(2)⇒(1)“: Es gelte (2). Angenommen, O wäre nicht offen. Dann gäbe es also einen
”
Punkt y ∈ O derart, daß keine ε-Umgebung von y komplett in O enthalten wäre. Insbesondere können wir folglich für alle n ∈ IN, n > 0 ein Element xn aus U (y, n1 ) \ O
auswählen. Nun ist offensichtlich, daß die so entstehende Folge (xn )n∈IN gegen y konvergiert, aber keines ihrer Glieder in O liegt – im Widerspruch dazu, daß ja (2) gelten
sollte.
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2.1 Metrische Räume
69
Lemma 2.1.6
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum und sei τd := {O ⊆ X| O offen bezgl. d}
die Familie aller offenen Teilmengen von X. Dann gelten:
(1) ∅ ∈ τd und X ∈ τd ,
(2) ∀O1 , O2 ∈ τd : O1 ∩ O2 ∈ τd und
(3) ∀A ⊆ τd : O∈A O ∈ τd .
Beweis: (1) gilt trivialerweise nach Definition der offenen Mengen, da ∅ keine Punkte
enthält, mithin auch keine Umgebungen zu umfassen braucht, während X natürlich alle
Umgebungen umfaßt.
(2): Sei x ∈ O1 ∩ O2 . Dann existieren also positive reelle Zahlen ε1 , ε2 mit U (x, ε1 ) ⊆ O1
und U (x, ε2 ) ⊆ O2 . Wählen wir ε := min(ε1 , ε2 ) so folgt sofort U (x, ε) ⊆ O1 ∩ O2 , mithin ist dieser
Durchschnitt offen.
(3) Ist x ∈ O∈A O, so ist x Element mindestens eines der Elemente
von A, sagen wir
x ∈ Ox ∈ A. Dann existiert also ein ε > 0 mit U (x, ε) ⊆ Ox ⊆ O∈A O.
Definition 2.1.7
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum, x ∈ X und U ⊆ X. Dann heißt U eine
Umgebung von x genau dann, wenn es eine offene Teilmenge O ⊆ X derart gibt, daß
x ∈ O ⊆ U gilt. Die Familie
U (x) := {U ⊆ X| ∃O ∈ τd : x ∈ O ⊆ U }
aller Umgebungen, die wegen Lemma 2.1.6 ein Filter auf X ist, heißt Umgebungsfilter
von x (bezüglich τd ).
Da jede offene Umgebung von x insbesondere eine ε-Umgebung von x umfassen muß,
ist es klar, daß die ε-Umgebungen von x eine Basis des Umgebungsfilters U (x) bilden.
Proposition 2.1.8
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum. Eine Folge (xn )n∈IN in X konvergiert genau
dann gegen y ∈ X, wenn ihr zugehöriger Elementarfilter den Umgebungsfilter U (y)
enthält.
Beweis: Das ist genau die Sache, mit der wir zu Beginn von Abschnitt 1.4 das Filterkonzept etwas motivieren wollten!
Konvergiert (xn )n∈IN gegen y, so heißt das ja nach Definition: ∀ε > 0 : ∃nε ∈ IN : ∀n ≥
nε : xn ∈ U (y, ε). Setzen wir also allgemein
Ak := {xn | n ∈ IN, n ≥ k}
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2 Das Konzept Topologischer Raum
so folgt ∀ε > 0 : ∃nε ∈ IN : Anε ⊆ U (y, ε). Nun wird der zur Folge gehörige Elementarfilter – nennen wir ihn ϕ – gerade von den Ak , k ∈ IN erzeugt, d.h. wir finden
∀ε > 0 : U (y, ε) ∈ ϕ, also auch U (y) ⊆ ϕ, weil ja U (y) just von den U (y, ε) erzeugt wird.
Gilt umgekehrt ϕ ⊇ U (y) heißt das insbesondere für alle Elemente U (y, ε) von U (y),
daß es jeweils ein Basiselement Anε von ϕ geben muß, das unterhalb von U (y, ε) liegt,
so daß also für alle n ≥ nε eben xn ∈ U (y, ε) gelten muß. Dies für alle ε > 0 liefert die
Konvergenz unserer Folge gegen y.
Proposition 2.1.9
In jedem (pseudo-)metrischen Raum (X, d) besitzt jeder Umgebungsfilter eine abzählbare Filterbasis.
Beweis: Sei x ∈ X. Betrachte die Familie B := {U (x, n1 )| n ∈ IN, n > 0}, die offensichtlich abzählbar ist. Daß B eine Basis von U (x) ist, folgt nun einfach deshalb, weil
jedes Element von U (x) eine offene Umgebung von x umfaßt, diese eine ε-Umgebung
und diese schließlich eine n1 -Umgebung von x.∗
An dieser Stelle können wir schon mal die im vorigen Kapitel angedeutete Idee ausprobieren, auch Filtern eine Konvergenz zuzuschreiben. Dazu lassen wir uns von Proposition 2.1.8 leiten und definieren:
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum, x ∈ X und ϕ ∈ F(X).
ϕ heiße konvergent gegen x genau dann, wenn ϕ ⊇ U (x) gilt.
In Zeichen: ϕ → x,
Äquivalente Formulierung: ϕ konvergiert gegen x
Mal gucken, was passiert. Wir versuchen eine Übertragung von Proposition 2.1.5.
Proposition 2.1.10
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum und O ⊆ X. Dann sind äquivalent:
(1) O ist offen bezüglich d.
(2) Jeder Filter ϕ auf X, der gegen ein Element von O konvergiert, enthält O als
Element.
∗
Hier profitieren wir von einer archimedischen Eigenschaft der reellen Zahlen:
∀ε > 0 : ∃n ∈ IN : n1 < ε.
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2.1 Metrische Räume
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Beweis: (1)⇒(2)“: Aus ϕ → o ∈ O folgt per Definition der Filterkonvergenz ϕ ⊇
”
U (o) O.
(2)⇒(1)“: Insbesondere haben wir natürlich ∀o ∈ O : U (o) → o und folglich wegen (2)
”
∀o ∈ O : O ∈ U (o). Da nun die ε-Umgebungen jedes o ∈ O eine Basis von U (o) bilden,
muß O zu jedem seiner Elemente folglich auch eine εUmgebung ganz umfassen und ist
somit offen.
Wir wollen uns nun noch kurz um den Begriff der Stetigkeit von Funktionen kümmern.
Ganz wie wir es aus der Analysis kennen, definieren wir diesen Begriff auch hier:
Definition 2.1.11
Seien (X1 , d1 ) und (X2 , d2 ) (pseudo-)metrische Räume. Eine Funktion f : X1 → X2
heißt stetig genau dann, wenn
∀x ∈ X1 : ∀ε > 0 : ∃δx,ε > 0 : ∀y ∈ X1 : d1 (x, y) < δx,ε ⇒ d2 (f (x), f (y)) < ε
gilt.
Etwas kürzer ausgedrückt: f ist stetig genau dann, wenn
∀x ∈ X1 : ∀ε > 0 : ∃δx,ε > 0 : f (U (x, δx,ε )) ⊆ U (f (x), ε) .
Lemma 2.1.12
Seien (X1 , d1 ) und (X2 , d2 ) (pseudo-)metrische Räume. Eine Funktion f : X1 → X2
ist genau dann stetig, wenn das Urbild f −1 (O) jeder bezüglich d2 offenen Teilmenge
O von X2 wieder offen in X1 bezüglich d1 ist.
Beweis: Sei zunächst f stetig und O ∈ τd2 . Ist dann x ∈ f −1 (O), so haben wir folglich
y = f (x) ∈ O, daher eine Umgebung U (f (x), ε) ⊆ O, weil ja O offen ist. Nun liefert die
Stetigkeit die Existenz einer Umgebung U (x, δx,ε ) mit f (U (x, δx,ε )) ⊆ U (f (x), ε) ⊆ O
und folglich U (x, δx,ε ) ⊆ f −1 (O).
Sei nun f eine Funktion derart, daß das Urbild jeder bezüglich d2 offenen Teilmenge
von X2 wieder offen bezüglich d1 in X1 ist. Sind x ∈ X1 und ε > 0 gegeben, so ist ja
insbesondere U (f (x), ε) offen bezüglich d2 , mithin laut Voraussetzung f −1 (U (f (x), ε))
offen bezüglich d1 und natürlich gilt x ∈ f −1 (U (f (x), ε)). Folglich muß ein δ > 0 existieren mit U (x, δ) ⊆ f −1 (U (f (x), ε)), woraus sofort f (U (x, δ)) ⊆ U (f (x), ε) folgt. Da
dies für alle x ∈ X1 und ε > 0 gilt, ist f nach Definition stetig.
Lemma 2.1.13
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum und ∅ = A ⊆ X. Dann ist die Funktion
dA : X → IR : dA (x) := inf d(x, a)
a∈A
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2 Das Konzept Topologischer Raum
(wobei IR mit euklidischer Metrik ausgerüstet sei) stetig.
Beweis: Aufgabe1
Bemerkung: Insbesondere gilt das natürlich für einpunktige Teilmengen A := {p}.
So weit, so schön.
Wir wollen jetzt ein Beispiel dafür angeben, warum metrische und selbst pseudometrische Räume und Folgenkonvergenz einen in mancherlei Hinsicht dennoch unbefriedigenden Rahmen zur Behandlung von Konvergenz- und Stetigkeitsfragen bilden. Dazu
betrachten wir die Menge IRIR aller Funktionen von IR nach IR und erinnern uns an eine
der einfachsten Formen von Konvergenz in Räumen von Funktionen – die punktweise
Konvergenz:
Wir sagen, eine Folge (fn )n∈IN aus IRIR konvergiert punktweise gegen eine Funktion
f ∈ IRIR genau dann, wenn
∀x ∈ IR : (fn (x))n∈IN → f (x)
gilt, d.h. wenn für jede reelle Zahl x ∈ IR die Folge der Bilder, die unsre Funktionenfolge
(fn ) an der Stelle x liefert, gegen das Bild f (x) von f an dieser Stelle konvergiert.
Entsprechend sagen wir, daß ein Filter F auf IRIR punktweise gegen eine Funktion
f ∈ IRIR konvergiert genau dann, wenn
∀x ∈ IR : F (x) → f (x)
gilt, wobei natürlich F (x) := [{F (x)| F ∈ F}]F(IR) mit F (x) := {g(x)| g ∈ F } gemeint
ist. (Dabei legen wir der Konvergenz im Bildraum IR die übliche euklidische Metrik
zugrunde, d.h. den aus der Analysis bekannten Differenzenbetrag als Abstand.)
Lemma 2.1.14
Es gibt keine Pseudometrik auf IRIR , die der punktweisen Konvergenz zugrundeliegt.
Beweis: Wir werden wieder einmal indirekt vorgehen.
Annahme: Es gibt eine Pseudometrik d auf IRIR derart, daß Konvergenz bezüglich d
gleich der punktweisen Konvergenz ist.
Nun werden wir in 3 Schritten einen Widerspruch aus unsrer Annahme ableiten. Dabei halten wir uns vor Augen, daß unsre Annahme ja die Anwendbarkeit der bereits
gewonnenen Erkenntnisse über offene Mengen in pseudometrischen Räumen impliziert.
Die ersten beiden Schritte betreffen die Gestalt offener Umgebungen einer beliebigen,
aber fest gewählten Funktion f0 ∈ IRIR . Sei also f0 ∈ IRIR gegeben.
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2.1 Metrische Räume
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(1) Alle Mengen der Gestalt
HE,ε := {f ∈ IRIR | ∀x ∈ E : f (x) ∈ U (f0 (x), ε)}
mit endlicher Menge E ⊆ IR und reellem ε > 0 sind offen bezüglich
punktweiser Konvergenz, denn:
Seien E = {x1 , ..., xk } ⊆ IR, k ∈ IN , ε > 0 gegeben und sei (gn )n∈IN eine beliebige
Folge in IRIR , die punktweise gegen ein Element g von HE,ε konvergiert. Das
bedeutet insbesondere
∀i = 1, ...k : ∀IR δi > 0 : ∃ni ∈ IN : ∀n ≥ ni : gn (xi ) ∈ U (g(xi ), δi )
Wählen wir nun jeweils δi := ε − |f0 (xi ) − g(xi )|, so erhalten wir
∀i = 1, ...k : ∃ni ∈ IN : ∀n ≥ ni : gn (xi ) ∈ U (f0 (xi ), ε)
so daß wir jetzt nur noch n0 := max{n1 , ..., nk } setzen müssen, um
∀i = 1, ...k : ∀n ≥ n0 : gn (xi ) ∈ U (f0 (xi ), ε)
zu erhalten, was freilich nichts anderes als ∀n ≥ n0 : gn ∈ HE,ε bedeutet. Da
solches für beliebige gegen ein beliebiges Element g von HE,ε konvergierende
Folgen gilt, können wir mit Proposition 2.1.5 schließen, daß HE,ε offen bezüglich
unsrer angenommenen Pseudometrik d ist.
(2) Ist M eine beliebige offene Umgebung von f0 , so existiert eine endliche
Teilmenge E ⊆ IR und ein ε > 0 derart, daß HE,ε ⊆ M gilt, denn:
Angenommen, dies wäre nicht so. Das würde bedeuten, daß für alle endlichen
Teilmengen E ⊆ IR und alle ε > 0 stets HE,ε \ M = ∅, also HE,ε ∩ (IRIR \ M)
gilt. Nun ist freilich die Familie B := {HE,ε | E ⊆ IR endlich, ε > 0} wegen
HE1 ,ε1 ∩ HE2 ,ε2 ⊇ HE1 ∪E2 ,ε mit ε := min{ε1 , ε2 } eine Filterbasis. Somit ist
wegen der nichtleeren Durchschnitte mit (IRIR \ M) die Familie B ∪ {IRIR \ M}
immerhin noch eine Filtersubbasis. Sei F der davon erzeugte Filter auf IRIR .
Nun haben wir für jedes x ∈ IR und jedes ε > 0 stets H{x},ε ∈ F und daher
U (f0 (x), ε) = H{x},ε (x) ∈ F(x), mithin F(x) ⊇ U (f0 (x)). Das ergibt ∀x ∈ IR :
F (x) → f0 (x), also die punktweise Konvergenz von F gegen f0 . Weiterhin haben
wir IRIR \ M ∈ F, also M ∈ F, was wegen Proposition 2.1.10 der Offenheit von
M widerspricht. Die Annahme, keines der HE,ε sei Teilmenge von M, muß also
falsch sein.
(3) Da (X, d) ein pseudometrischer Raum sein soll, muß auch f0 laut Proposition 2.1.9
eine abzählbare Umgebungsbasis haben. Sei dies etwa A := {An | n ∈ IN }. Da
jede Umgebung Obermenge einer offenen Umgebung ist, können wir dann auch
eine abzählbare Umgebungsbasis A := {An | n ∈ IN } aus offenen Umgebungen
von f0 finden. Wegen (2) gibt es dann aber auch eine abzählbare Umgebungsbasis
der Art E := {HEn ,εn | n ∈ IN } aus offenen Umgebungen
vom beschriebenen Typ
HE,ε . Wir bilden jetzt die Vereinigung S := n∈IN En mit den Mengen En , die
unsrer Umgebungsbasis E zugrundeliegen. Nun ist eine abzählbare Vereinigung
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2 Das Konzept Topologischer Raum
endlicher Mengen stets abzählbar, IR ist aber überabzählbar. Somit ist IR \ S
nicht leer und wir können eine reelle Zahl r ∈ IR \ S auswählen. Damit ist nun
aber offenbar keines unserer Basiselemente aus E Teilmenge von H{r},1 , obwohl
H{r},1 wegen (1) Umgebung von f0 ist – Widerspruch.
2.2
Topologische Räume
Geburtsakt der Philosophie
Erschrocken staunt der Heide Schaf mich an,
als säh’s in mir den ersten Menschenmann.
Sein Blick steckt an, wir stehen wie im Schlaf:
Mir ist, ich säh’ zum ersten Mal ein Schaf!
Christian Morgenstern
Wir haben im letzten Abschnitt bemerkt, daß sich wichtige Eigenschaften metrischer
Räume bereits durch die offenen Mengen darin beschreiben lassen. Um nun zu Strukturen zu gelangen, die den zuletzt erwähnten Makel und einige andere Mängel nicht aufweisen, lassen wir uns von Lemma 2.1.6, Proposition 2.1.8 und Proposition 2.1.10 leiten,
denn wir haben zwar gesehen, daß man die punktweise Konvergenz in IRIR nicht durch
eine Metrik beschreiben kann – doch gegen eine Beschreibung durch Systeme offener
Mengen spricht bislang nichts. Nur dagegen, zur Beschaffung der (zur Konvergenzbeschreibung immerhin ausreichenden!) offenen Mengen stets eine Metrik heranziehen zu
wollen, sprach unser Beispiel.
Immerhin haben wir just am Beispiel der punktweisen Konvergenz in IRIR die offenen
Mengen im Prinzip ohne Metrik (nämlich nur mit Bezug auf offene Mengen des Bildraumes) konstruiert. Es bietet sich also geradezu an, statt einer Metrik offene Mengen als
Ausgangspunkt der Betrachtung zu wählen. Wir ziehen Lemma 2.1.6 als Definition heran:
Definition 2.2.1
Sei X eine Menge und τ ⊆ P(X). Die Familie τ heißt eine Topologie auf X genau
dann, wenn
(1) ∅ ∈ τ, X ∈ τ ,
(2) ∀A, B ∈ τ : A ∩ B ∈ τ und
(3) ∀A ⊆ τ :
A∈A A ∈ τ
gelten. Das geordnete Paar (X, τ ) heißt dann topologischer Raum. Die Elemente von
τ werden offene Mengen (bezüglich τ ) genannt.
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2.2 Topologische Räume
75
Beispiele:
(1) Sei X eine Menge, dann ist die Familie τ := {∅, X} eine Topologie auf X. Man
nennt sie die triviale oder auch indiskrete Topologie auf X.
(2) Für jede Menge X ist τ := P(X) eine Topologie auf X. Sie heißt diskrete Topologie auf X.
(3) Sei X := {0, 1}. Dann ist τ := {∅, X, {0}} eine Topologie auf X. (X, τ ) heißt in
diesem Fall Sierpinski-Raum.
(4) Ist X eine Menge und ϕ ein Filter auf X, so ist die Familie τ := ϕ ∪ {∅} offensichtlich eine Topologie auf X – sozusagen die erweiterte und im allgemeinen
noch viel abgefahrenere Variante des Sierpinski-Raumes∗ ...
(5) Ist (X, d) ein metrischer Raum, so ist die Menge τd aller bezüglich d offenen
Mengen laut Lemma 2.1.6 eine Topologie auf X.
(6) Ist insbesondere X = IRn und d die übliche euklidische Metrik, so nennen wir die
erzeugte Topologie τe auch euklidische Topologie.
(7) Sei X eine unendliche Menge. Dann bildet die Familie
τ := {∅} ∪ {M ⊆ X| (X \ M ) endlich}
eine Topologie auf X – die sogenannte kofinite Topologie.†
Proposition 2.2.2
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und O ⊆ X. Dann sind äquivalent:
(1) O ∈ τ
(2) ∀x ∈ O : ∃Ux ∈ τ : x ∈ Ux ⊆ O
Beweis: (1)⇒(2)“: trivial mit Ux := O für alle x.
”
(2)⇒(1)“: gilt (2), so ist O gleich der Vereinigung aller Ux ∈ τ, x ∈ O, also selbst offen.
”
∗
†
Den Sierpinski-Raum .kann man sich auf ebensolche Weise auf der zweipunktigen Menge
{0, 1} mit dem Filter 0 erklärt vorstellen
Für endliches X würden wir natürlich auch eine Topologie herausbekommen, nämlich die
diskrete.
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2 Das Konzept Topologischer Raum
Definition 2.2.3
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, x ∈ X und ϕ ∈ F(X). Wir sagen ϕ konvergiert
τ
gegen x bezüglich τ (in Zeichen: ϕ → x) genau dann, wenn
.
ϕ⊇x∩τ ,
d.h. genau dann, wenn ϕ alle diejenigen τ -offenen Mengen als Elemente enthält, die
x als Element enthalten.
.
Der von x ∩ τ erzeugte Filter U τ (x) := {B ⊆ X| ∃O ∈ τ : x ∈ O ⊆ B} heißt
Umgebungsfilter von x bezüglich τ .
Besteht über die zugrundeliegende Topologie kein Zweifel, läßt man den Buchstaben τ
überm Konvergenzpfeil und an U (x) auch gern weg. Der Umgebungsfilter, wie er hier
definiert ist, stimmt natürlich im Falle einer durch eine Metrik d erzeugten Topologie τd
mit dem für den entsprechenden metrischen Raum definierten Umgebungsfilter überein.
Die Elemente von U(x) heißen auch hier Umgebungen von x.
τ
Offensichtlich gilt ϕ → x genau dann, wenn ϕ ⊇ U (x), ganz wie in metrischen Räumen.
Lemma 2.2.4
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und O ⊆ X. Dann sind äquivalent:
(1) O ∈ τ
(2) ∀x ∈ O, ϕ ∈ F(X) : (ϕ → x) ⇒ (O ∈ ϕ), d.h. jeder Filter, der gegen ein
Element von O konvergiert, enthält O.
.
Beweis: (1)⇒(2)“: Aus x ∈ O folgt O ∈ x und somit aus ϕ → x nach Definition 2.2.3
”
auch O ∈ ϕ.
(2)⇒(1)“: Gelte (2). Insbesondere konvergiert ja stets U (x) gegen x, d.h. wir haben
”
∀x ∈ O : U (x) → x, folglich wegen (2) auch ∀x ∈ O : O ∈ U (x) und somit wegen
der Definition
der Umgebungsfilter
∀x ∈ O : ∃A
x ∈ τ : x ∈ Ax ⊆ O. Das liefert aber
O = x∈O {x} ⊆ x∈O Ax ⊆ O und damit x∈O Ax = O. Als Vereinigung offener
Mengen ist O folglich offen.
Die Umgebungsfilter eines topologischen Raumes (X, τ ) bilden eine (durch τ eindeutig
bestimmte!) Familie von den Punkten von X zugeordneten Filtern (U(x))x∈X . Man
kann sich nun fragen, ob irgendein solches den Punkten zugeordnetes System (ϕx )x∈X
von Filtern auch eindeutig eine Topologie definiert. Nun, die Eindeutigkeit wäre durch
Lemma 2.2.4 geklärt, wenn überhaupt eine Topologie zum fraglichen Filtersystem existierte.
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2.2 Topologische Räume
77
Satz 2.2.5
Sei X = ∅ eine Menge. Jedem x ∈ X sei ein Filter ϕx ∈ F(X) zugeordnet. Genau
dann existiert auf X eine Topologie τ mit der Eigenschaft ∀x ∈ X : U τ (x) = ϕx ,
wenn
(1) ∀x ∈ X : P ∈ ϕx ⇒ x ∈ P und
(2) ∀x ∈ X, U ∈ ϕx : ∃V ∈ ϕx : ∀y ∈ V : U ∈ ϕy
gelten.
Beweis: Existiere eine Topologie τ auf X mit ∀x ∈ X : U(x) = ϕx . Dann folgt (1)
trivial nach Definition der Umgebungsfilter und (2) erhalten wir auch ganz einfach:
U ∈ ϕx = U(x) ⇒ ∃V ∈ τ : x ∈ V ⊆ U ⇒ ∀y ∈ V : y ∈ V ⊆ U ⇒ U ∈ U (y) = ϕy .
Mögen nun also (1) und (2) gelten. Dann definieren wir uns ein Mengensystem τ :=
{O ⊆ X| ∀x ∈ O : O ∈ ϕx }. Wir prüfen zunächst, daß wir so tatsächlich eine Topologie
erhalten: ∅, X ∈ τ gilt trivialerweise; sind O1 , O2 ∈ τ und x ∈ O1 ∩ O2 , so finden wir
O1 ∈ ϕx und O2 ∈ ϕx , also wegen der Filtereigenschaft
auch O1 ∩ O2 ∈ ϕx , so daß
O1 ∩ O2 ∈ τ folgt; für A ⊆τ und x ∈ A∈A A folgt ∃Ax ∈ A ⊆ τ : x ∈ Ax , also
ϕx Ax ⊆ A∈A A, folglich A∈A A ∈ ϕx .
Seien nun x ∈ X, U ∈ U (x) gegeben. Nach Definition der Umgebungsfilter haben wir
folglich ∃V ∈ τ : x ∈ V ⊆ U , nach Konstruktion unsrer Topologie τ folgt aus x ∈ V
stets V ∈ ϕx , hier also auch U ∈ ϕx . Das ergibt U(x) ⊆ ϕx .
Sei andrerseits x ∈ X, P ∈ ϕx . Wir betrachten Mx := {y ∈ P | P ∈ ϕy }. Wir wollen
zeigen, daß Mx offen bezüglich unsrer Topologie τ ist. Sei also y ∈ Mx . Wegen P ∈ ϕy
folgt nach (2) sogleich ∃V ∈ ϕy : ∀z ∈ V : P ∈ ϕz , also z ∈ Mx . Das ergibt V ⊆ Mx ,
also Mx ∈ ϕy . Dies für alle y ∈ Mx bedeutet, daß Mx offen bezüglich τ ist und somit
Mx ⊆ P ∈ U (x). Das wiederum führt, da es für alle P ∈ ϕx gilt, zu ϕx ⊆ U (x).
Definition 2.2.6
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und A ⊆ X. Dann heißt A abgeschlossen genau
dann, wenn X \ A ∈ τ , d.h. wenn das Komplement von A offen ist.
Offensichtlich folgen aus den definierenden Eigenschaften einer Topologie sofort folgende
Aussagen über abgeschlossene Mengen:
(1) ∅ und der ganze Raum X sind abgeschlossen.
(2) Sind A und B abgeschlossen, so ist auch A ∪ B abgeschlossen.
(3) Sind alle Ai , i ∈ I abgeschlossen, so ist auch
i∈I
Ai abgeschlossen.
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78
2 Das Konzept Topologischer Raum
Proposition 2.2.7
Eine Teilmenge A eines topologischen Raumes (X, τ ) ist genau dann abgeschlossen,
wenn
∀x ∈ X : (∀U ∈ U (x) : A ∩ U = ∅) ⇒ x ∈ A ,
(2.1)
d.h. wenn jeder Punkt, dessen sämtliche Umgebungen die Menge A nichtleer schneiden, bereits zu A gehört.
Beweis: Ist A abgeschlossen, so ist X \A offen, folglich Umgebung jedes seiner Punkte,
von denen mithin keiner die geforderte Eigenschaft (2.1) erfüllt, während alle Elemente
von A dies trivialerweise tun.
Gelte (2.1). Dann besteht X \ A ausschließlich aus Punkten, die eine zu A disjunkte,
folglich ganz in X \ A liegende Umgebung haben. Somit ist X \ A offen.
2.2.1
Offener Kern und abgeschlossene Hülle
Definition 2.2.8
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und ϕ ∈ F(X). Ein Punkt x ∈ X heißt Berührungspunkt (oder Adhärenzpunkt) von ϕ genau dann, wenn es einen Oberfilter von ϕ gibt,
der gegen x konvergiert. Die Menge aller Adhärenzpunkte von ϕ bezeichnen wir mit
adh(ϕ).
Ist A eine Teilmenge von X, so heißt ein Punkt x ∈ X genau dann Berührungspunkt
der Menge A, wenn er Berührungspunkt des Hauptfilters [A] ist, d.h. wenn es einen
Filter gibt, der A enthält und gegen x konvergiert. Die Menge aller Berührungspunkte von A heißt der Abschluß oder die abgeschlossene Hülle von A und wird mit
A bezeichnet.
Bemerkung: Wenn ein Filter ϕ einen Oberfilter ψ hat, der gegen einen Punkt x
konvergiert, so konvergiert erst recht jeder Oberultrafilter von ψ gegen x. Daher ist
ein Punkt x genau dann Berührungspunkt von ϕ, wenn ϕ einen Oberultrafilter hat, der
gegen x konvergiert. Zuweilen ist es bequemer, mit dieser Eigenschaft zu argumentieren.
Proposition 2.2.9
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und A eine Teilmenge von X. Es gilt für alle
x ∈ X:
.
x ∈ A ⇐⇒ ∀U ∈ x ∩ τ : A ∩ U = ∅ ,
d.h. ein Punkt x gehört genau dann zur abgeschlossenen Hülle von A, wenn jede
offene Umgebung (und damit automatisch jedes Element des Umgebungsfilters) die
Menge A nichtleer schneidet.
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2.2 Topologische Räume
79
.
Beweis: Gilt x ∈ A, so existiert also ein Filter ϕ, der x ∩ τ umfaßt und A enthält,
.
mithin folgt A ∩ U = ∅ für alle U ∈ x ∩ τ aus der Filtereigenschaft von ϕ.
.
.
Gilt umgekehrt A ∩ U = ∅ für alle U ∈ x ∩ τ , so ist die Familie (x ∩ τ ) ∪ {A} eine
Filtersubbasis, deren erzeugter Filter ϕ offenbar gegen x konvergiert und A enthält.
Folglich gilt x ∈ A nach Definition.
Aufgabe2 Kann ein konvergenter Filter auf einem topologischen Raum auch Berührungspunkte haben, gegen die er nicht konvergiert?
Definition 2.2.10
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und A ⊆ X. Ein Punkt x ∈ A heißt innerer Punkt
von A genau dann, wenn es eine offene Menge U ∈ τ mit x ∈ U ⊆ A gibt, d.h. wenn
A Umgebung von x ist.
Die Menge aller inneren Punkte von A heißt das Innere oder auch offener Kern von
A. (In Zeichen: int(A).)
Proposition 2.2.11
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und A eine Teilmenge von X. Dann gelten
(1) X \ int(A) = X \ A und
(2) X \ A = int(X \ A).
Beweis: (1) Nach Definition liegt ein Punkt x ∈ X genau dann in X \ A, wenn es
einen Filter ϕ gibt, der X \ A enthält und gegen x konvergiert. Ist dies der Fall, kann
x keine offene Umgebung haben, die ganz in A enthalten wäre, denn eine solche wäre
disjunkt zu X \ A, müßte aber wegen der Konvergenz dennoch Element von ϕ sein – im
Widerspruch zur Filtereigenschaft von ϕ. Das liefert X \ A ⊆ X \ int(A).
Gilt andererseits x ∈ X \ int(A), so heißt das ja, daß keine offene Umgebung von x
ganz in A enthalten ist, daß also jede offene Umgebung von x die Menge X \ A nichtleer
schneidet. Damit folgt x ∈ X \ A nach 2.2.9. Dies liefert X \ int(A) ⊆ X \ A.
(2) Wir setzen in (1) einfach X \ A anstelle von A ein und erhalten
X \ int(X \ A) = X \ (X \ A) = A .
Komplementbildung liefert dann int(X \ A) = X \ A.
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80
2 Das Konzept Topologischer Raum
Proposition 2.2.12
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, n ∈ IN eine natürliche Zahl, I irgendeine Indexmenge und A, B, A1 , ..., An sowie Ai für alle i ∈ I Teilmengen von X. Dann
gelten
(1) int(A) ⊆ A
(2) int(A) ist die größte offene Teilmenge von A, d.h.
int(A) =
G.
G∈τ,G⊆A
(3) int(A) ∈ τ und int(int(A)) = int(A)
(4) int(A) = A ⇐⇒ A ∈ τ
(5) Aus A ⊆ B folgt stets int(A) ⊆ int(B).
(6) Es gilt
int(Ai ) ⊆ int
i∈I
Ai
i∈I
für beliebige Vereinigungen.∗
(7) Es gilt
int(Ai ) ⊇ int
i∈I
Ai
i∈I
für beliebige Durchschnitte† (Ai )i∈I .
(8) Für endliche Durchschnitte‡ gilt sogar Gleichheit:
n
n
Ai =
int(Ai ) .
int
i=1
i=1
(9) int(∅) = ∅ und int(X) = X
∗
†
‡
Es gilt keineswegs unbedingt Gleichheit! Man kann sich das anhand von IR mit euklidischer
Topologie leicht überlegen, indem man etwa I = IR und ∀i ∈ IR : Ai := {i} wählt.
Man mache sich wiederum klar, daß nicht notwendig Gleichheit gilt, z.B. anhand der euklidischen Topologie auf IR, indem man z.B. I = IN + , An := U (0, n1 ) wählt.
Daß selbst im endlichen Fall die Gleichheit nicht für die Vereinigungen gelten muß, kann
man sich z.B. am Sierpinski-Raum klarmachen.
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2.2 Topologische Räume
81
Beweis: (1) Alle Elemente von int(A) sind laut Definition 2.2.10 bereits Elemente von
A.
(2) Ist G eine offene Teilmenge von A, so ist G eine offene Umgebung
jedes Elementes von
G, d.h. jedes Element von G ⊆ A liegt auch in int(A). Das ergibt G∈τ,G⊆A G ⊆ int(A).
Gilt andererseits x ∈ int(A), so existiert laut Definition 2.2.10 eine offene Menge U
mit x ∈ U ⊆ A, die also in der Vereinigung G∈τ,G⊆A G enthalten ist. Das liefert
G∈τ,G⊇A G ⊆ int(A).
(3) Nach (2) ist int(A) eine Vereinigung offener Mengen, also selbst offen, d.h. int(A) ∈
τ . Daher ist int(A) eine offene Teilmenge von sich selbst, woraus
G = int(int(A))
int(A) =
G∈τ,G⊆int(A)
wiederum wegen (2) folgt.
(4) Gilt A ∈ τ , so ist A offene Teilmenge von sich selbst und es folgt wiederum
A=
G = int(A)
G∈τ,G⊆A
nach (2).
Gilt andrerseits A = int(A), so ist A offen, weil laut (3) ja int(A) offen ist.
(5) Gilt A ⊆ B, so folgt mit (1) sogleich int(A) ⊆ B und laut (3) ist int(A) offen,
woraus mit (2) wiederum int(A) ⊆ int(B) folgt.
(6) Sei x ∈ i∈I int(Ai ), dann gibt es mindestens
ein i0 ∈ I mit x ∈ int(Ai0 ), d.h.
∃U ∈ τ : x ∈ U ⊆ Ai0 ⊆ i∈I Ai , also x ∈ int i∈I Ai .
(7) Sei x ∈ int i∈I Ai , d.h. ∃U ∈ τ : x ∈U ⊆ i∈I Ai , also ∀i ∈ I : x ∈ U ⊆ Ai ,
mithin ∀i ∈ I : x ∈ int(Ai ) und folglich x ∈ i∈I int(Ai ).
n
(8) Wegen (7) müssen wir hier nur noch eine Inklusion nachweisen: Sei x ∈ i=1
nint(Ai ),
n
also
∀i
=
1,
...,
n
:
∃U
∈
τ
:
x
∈
U
⊆
A
,
folglich
U
∈
τ
und
x
∈
i
i
i
i=1 i
i=1 Ui ⊆
n
A
.
i=1 i
(9) Sowohl X als auch ∅ ist offen, so daß aus (4) sofort die Behauptung int(X) = X
und int(∅) = ∅ folgt.
Beispiele:
• Sei X = IR mit euklidischer Topologie τe . Dann haben wir unter anderem
int([a, b]) = int((a, b)) = (a, b)
/ ) = ∅.
und int(Q
• Im Sierpinski-Raum X = {0, 1}, τ := {∅, {0}, {0, 1}} haben wir int({0}) = {0},
int({1}) = ∅, int({0, 1}) = {0, 1}.
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82
2 Das Konzept Topologischer Raum
Proposition 2.2.13
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, n ∈ IN eine natürliche Zahl, I irgendeine Indexmenge und A, B, A1 , ..., An sowie Ai für alle i ∈ I Teilmengen von X. Dann
gelten
(1) A ⊆ A
(2) A ist die kleinste abgeschlossene Menge, die größer oder gleich A ist, d.h.
A=
M .
M⊇A,X\M∈τ
(3) A ist abgeschlossen und A = A.
(4) A = A ⇔ (X \ A) ∈ τ .
(5) Aus A ⊆ B folgt stets A ⊆ B.
(6) Es gilt
Ai ⊆
i∈I
Ai
i∈I
für beliebige Durchschnitte.
(7) Es gilt
Ai ⊆
i∈I
Ai
i∈I
für beliebige Vereinigungen.
(8) Für endliche Vereinigungen gilt sogar Gleichheit
n
Ak =
k=1
n
Ak .
k=1
(9) X = X und ∅ = ∅.
.
.
Beweis: (1) Für alle a ∈ A gilt A ∈ a und a konvergiert gegen a, so daß ∀a ∈ A : a ∈ A
und damit A ⊆ A folgt.
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2.2 Topologische Räume
83
(2) Aus 2.2.11(2) folgt
A = X \ int(X \ A) , mit 2.2.12(2) also
A = X\
G
G∈τ,G⊆X\A
A =
(X \ G) und mit M := X \ G haben wir
G∈τ,G⊆X\A
A =
M .
X\M∈τ,M⊇A
(3) Nach 2.2.11(2) haben wir A = X \ int(X \ A) und nach 2.2.12(3) ist int(X \ A)
offen, also ist A als Komplement davon abgeschlossen.
Wiederum nach 2.2.11(2) gilt A = X \int(X \A), wegen der Abgeschlossenheit von A ist
X \A offen und darum nach 2.2.12(4) gleich int(X \A), so daß A = X \(X \A) = A folgt.
(4) A = A gilt genau dann, wenn X \ A = X \ A gilt, also nach 2.2.11(2) genau dann,
wenn X \ A = int(X \ A) gilt, was laut 2.2.12(4) genau dann der Fall ist, wenn X \ A
offen, d.h. A abgeschlossen ist.
(5) Gilt A ⊆ B, so enthlt jeder Filter, der A enthält, auch B und seine Konvergenzpunkte liegen folglich ebenfalls in B.
(6) Aus x ∈ i∈I Ai folgt die Existenz eines Filters ϕ mit ϕ → x und i∈I Ai ∈ ϕ, also
∀i ∈ I : Ai ∈ ϕ und folglich ∀i ∈ I : x ∈ Ai .
(7) Aus x ∈ i∈I Ai folgt
∃i0 ∈ I : x ∈ Ai0 und somit die Existenz eines Filters ϕ mit
ϕ → x und ϕ Ai0 ⊆ i∈I Ai .
n
(8) Wegen (7) brauchen wir wieder nur eine Inklusion nachzuweisen.
Sei x ∈ k=1 Ak .
n
Dann existiert also ein Filter, der gegen x konvergiert und k=1 Ak als Element enthält.
Sei ϕ irgendein Oberultrafilter einessolchen Filters. Dann konvergiert ϕ natürlich erst
n
recht gegen x und enthält ebenfalls k=1 Ak . Nach 1.4.5 enthält ϕ dann aber auch minn
destens eines der Ak , nennen wir es Ak0 , woraus x ∈ Ak0 ⊆ k=1 Ak folgt. Wir haben
n
n
also k=1 Ak ⊆ k=1 Ak .
(9) Folgt aus (4) und der Tatsache, daß sowohl ∅ als auch X offen sind.
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84
2 Das Konzept Topologischer Raum
Lemma 2.2.14
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und ϕ ∈ F(X). Mit ϕ bezeichnen wir den von der
Menge {P | P ∈ ϕ} der Abschlüsse aller Elemente von ϕ erzeugten Filter.
Dann gilt adh(ϕ) = adh(ϕ).
Beweis: Wegen P ⊆ P gilt offenbar ϕ ⊆ ϕ, daher F0 (ϕ) ⊆ F0 (ϕ) und darum adh(ϕ) ⊆
adh(ϕ).
Andrerseits folgt aus x ∈ adh(ϕ) zunächst die Existenz eines Ultrafilters ψ ⊇ ϕ mit
ψ → x und daraus wegen der Abgeschlossenheit der P sogleich ∀P ∈ ϕ : x ∈ P . Mit
2.2.9 ergibt das ∀P ∈ ϕ, U ∈ U (x) : P ∩ U = ∅, so daß ϕ ∪ U (x) eine Filtersubbasis ist,
deren erzeugter Filter einerseits ϕ umfaßt und andrerseits gegen x konvergiert. Daraus
folgt nun x ∈ adh(ϕ), so daß wir insgesamt adh(ϕ) ⊆ adh(ϕ) erhalten.
Aufgabe3 Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und hτ : P(X) → P(X) : hτ (M ) := M
der Operator, der jeder Teilmenge von X ihre abgeschlossene Hülle bezüglich τ zuordnet.
Es ist klar, daß h durch τ eindeutig bestimmt ist. Zeige, daß umgekehrt jeder Operator
k : P(X) → P(X), der die Bedingungen
(1) k(∅) = ∅
(2) ∀M ⊆ X : M ⊆ k(M )
(3) ∀A, B ∈ P(X) : k(A ∪ B) = k(A) ∪ k(B)
(4) ∀M ∈ P(X) : k(k(M )) = k(M )
erfüllt, auch eindeutig eine Topologie τ auf X derart definiert, daß hτ = k gilt.
Aufgabe4 Kann man durch sukzessive Bildung der abgeschlossenen Hülle bzw. des
Komplementes aus einer Teilmenge M eines topologischen Raumes (X, τ ) beliebig viele
verschiedene Teilmengen erzeugen?
2.2.2
Vergleich und Erzeugung von Topologien
Definition 2.2.15
Seien τ1 , τ2 Topologien auf einer Menge X.
τ1 heißt feiner als τ2 (bzw. τ2 gröber als τ1 ) genau dann, wenn τ1 ⊇ τ2 gilt. In
Zeichen: τ2 ≤ τ1
Die so definierte feiner“-Beziehung zwischen den Topologien auf einer Menge X ist
”
natürlich eine reflexive Halbordnung.
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2.2 Topologische Räume
85
Definition 2.2.16
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. Eine Teilmenge B ⊆ τ heißt Basis für τ genau
dann, wenn
∀O ∈ τ : ∃A ⊆ B : O =
A
A∈A
gilt∗ , d.h. wenn jede offene Menge als Vereinigung von Elementen aus B dargestellt
werden kann.
Lemma 2.2.17
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und B ⊆ τ . Dann sind äquivalent:
(1) B ist Basis für τ
(2) ∀O ∈ τ : ∀x ∈ O : ∃Bx ∈ B : x ∈ Bx ⊆ O.
Beweis: (1)⇒(2)“: Wenn B Basis für τ ist, muß jede offene Menge O Vereinigung von
”
Elementen aus B sein, womit (2) trivialerweise folgt.
(2)⇒(1)“: Gilt (2), so ist jedes O ∈ τ offensichtlich die Vereinigung aller gemäß (2)
”
existenten Bx ∈ B, x ∈ O mit x ∈ Bx ⊆ O. Damit ist B laut Definition eine Basis von
τ.
Korollar 2.2.18
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und B ⊆ τ eine Basis von τ . Dann gilt für jede
Teilmenge M ⊆ X:
M ∈ τ ⇐⇒ ∀x ∈ M : ∃B ∈ B : x ∈ B ⊆ M .
Dies bedeutet unter anderem, daß eine Topologie τ durch eine Basis von τ eindeutig
bestimmt ist.
Satz 2.2.19
Sei X eine Menge, ∅ = B ⊆ P(X) und ∅ ∈ B. Dann sind äquivalent:
(1) Es gibt eine Topologie τB auf X derart, daß B Basis für τB ist.
(2) Es gelten
(a) B∈B B = X
∗
Wir beachten dabei, daß die leere Menge hier für A = ∅ erhalten wird.
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86
2 Das Konzept Topologischer Raum
(b) ∀U, V ∈ B : ∀x ∈ U ∩ V : ∃W ∈ B : x ∈ W ⊆ U ∩ V
Beweis: (1)⇒(2)“: folgt sofort aus Lemma 2.2.17.
”
(2)⇒(1)“: Setze
”
τB := {
B | A ⊆ B} .
B∈A
von
Dann ist für A := ∅ die leere Menge Element von τB , für A := B ist X Element
τB laut (a); sind Oi := B∈Ai B, i ∈ I, Ai ⊆ B Elemente
von
τ
so
auch
O
B
i =
i∈I
B∈A B mit A :=
i∈I Ai und sind schließlich O1 :=
B∈A1 B und O2 :=
B∈A2 mit
A1 , A2 ⊆ B Elemente von τB , so haben wir
∀x ∈ O1 ∩ O2 : ∃B1 (x) ∈ A1 , B2 (x) ∈ A2 : x ∈ B1 (x) ∩ B2 (x)
und folglich wegen (b)
auch ∃Bx ∈ B : x ∈ Bx ⊆ B1 (x) ∩ B2 (x) ⊆ O1 ∩ O2 . Das ergibt
freilich O1 ∩ O2 = x∈O1 ∩O2 Bx ∈ B. Somit ist τB tatsächlich eine Topologie auf X,
die aufgrund ihrer Konstruktion B als eine Basis hat.
Beispiele:
• Betrachten wir IR mit euklidischer Topologie τe , so ist die Familie
B := {(a, b)| a, b ∈ IR, a < b}
der offenen Intervalle eine Basis für τe .
• Wir betrachten wieder IR und definieren eine Topologie τ1 , indem wir die Familie
B := {[a, b)| a, b ∈ IR, a < b}
als Basis festlegen. (Gemäß Satz 2.2.19 ist leicht zusehen, daß es tatsächlich eine
Topologie gibt, die B als Basis hat, während die Eindeutigkeit dieser Topologie
durch Korollar 2.2.18 geklärt ist.) Dieser Raum (IR, τ1 ) heißt auch SorgenfreyGerade.
Offensichtlich ist τ1 echt feiner als τe , weil z.B. die halboffenen Intervalle [a, b)
selbst in τ1 offene Mengen
sind, in τe aber nicht, während jedes offene Intervall
(a, b) auch als (a, b) := n∈IN + [a + n1 , b) geschrieben werden kann und daher auch
in τ1 offen ist.
Die Sorgenfrey-Gerade ist ein Beispiel für einen nicht trivialen Raum, in dem es
außer ∅ und dem ganzen Raum selbst weitere Mengen gibt, die zugleich offen
und abgeschlossensind, so etwa die halboffenen Intervalle [a, b), denn IR \ [a, b) =
n∈IN [−n, a) ∪
n∈IN [b, n).
• Ist X eine beliebige Menge und τd die diskrete Topologie auf X, so ist B :=
{ {x} | x ∈ X} eine Basis für τd .
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2.2 Topologische Räume
87
Definition 2.2.20
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum, S ⊆ P(X) eine Familie von Teilmengen von X.
Dann heißt S eine Subbasis für τ genau dann, wenn die Familie
B := {
n
Si | n ∈ IN, Si ∈ S}
i=1
aller endlichen Durchschnitte von Elementen aus S eine Basis für τ ist.
Satz 2.2.21
Sei X eine nichtleere Menge und S ⊆ P(X) eine Familie von Teilmengen von X.
Genau
dann gibt es eine Topologie τS auf X, für die S eine Subbasis ist, wenn
S
= X gilt.
S∈S
Beweis: Daß S∈S S = X gilt, sollten die endlichen Durchschnitte von Elementen aus
S Basis einer Topologie sein, ist unmittelbar klar.
Sei also S∈S S = X erfüllt. Dann haben wir nur zu zeigen, daß
B := {
n
Si | n ∈ IN, Si ∈ S}
i=1
Basis einer Topologie ist, die wir dann getrost τS taufen können. Dazu ziehen wir Satz
2.2.19 heran und haben nur noch zu überprüfen, daß
∀U, V ∈ B : ∀x ∈ U ∩ V : ∃W ∈ B : x ∈ W ⊆ U ∩ V
gilt. Doch das ist klar, denn sind U, V endliche Durchschnitte von Elementen aus S, so
ist auch U ∩ V einer und liegt daher selbst in B.
Offensichtlich ist jede Topologie τ bereits durch jede Subbasis von τ eindeutig bestimmt – einfach, weil die Menge aller endlichen Durchschnitte eindeutig bestimmt und
Basis von τ ist. Infolge der Abgeschlossenheit von Topologien gegenüber endlichen Vereinigungen kann man die durch eine Subbasis S bestimmte Topologie τS auch als die
kleinste Topologie, die S enthält, beschreiben.
Weil das so ist, existiert zu einer Familie (τi )i∈I von Topologien auf einer Menge X
stets ein Supremum, d.h. eine kleinste Topologie τ , die alle τi , i ∈ I umfaßt. (Zwar ist
nämlich im allgemeinen die Vereinigung aller τi , i ∈ I selbst keine Topologie auf X,
doch ist sie selbstverständlich Subbasis einer durch sie eindeutig bestimmten kleinsten
Topologie, in der diese Vereinigung enthalten ist.)
Da andrerseits der Durchschnitt beliebig vieler Topologien τi , i ∈ I auf einer Menge X
selbst wiederum eine Topologie auf X und offensichtlich die größte in allen τi , i ∈ I
enthaltene Topologie auf X ist, wissen wir jetzt, daß die Familie aller Topologien auf
einer Menge X bezüglich Inklusion ein vollständiger Verband ist.
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88
2 Das Konzept Topologischer Raum
2.2.3
Abzählbarkeitseigenschaften
Definition 2.2.22
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum.
(1) Wir nennen (X, τ ) einen A1 -Raum genau dann, wenn die Umgebungsfilter
aller Punkte x ∈ X jeweils abzählbare Filterbasen besitzen.∗
(2) Wir nennen (X, τ ) einen A2 -Raum genau dann, wenn τ eine abzählbare Basis
besitzt.†
Da die endlichen Durchschnitte von Subbasiselementen eine Basis bilden, folgt mit
Korollar 1.3.11 offenbar sofort:
Proposition 2.2.23
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. Es gelten
(1) (X, τ ) ist genau dann eine A1 -Raum, wenn für alle x ∈ X der Umgebungsfilter
U (x) eine abzählbare Filtersubbasis besitzt.
(2) (X, τ ) ist genau dann ein A2 -Raum, wenn τ eine abzählbare Subbasis besitzt.
Beispielhaft, ja geradezu mustergültig genügen alle (pseudo-)metrischen Räume mit der
von ihrer (Pseudo-)Metrik erzeugten Topologie dem ersten Abzählbarkeitsaxiom (man
nehme einfach die n1 -Umgebungen als Basen der Umgebungsfilter). Sie können sich jedoch hinsichtlich des zweiten Abzählbarkeitsaxioms deutlich quer legen.
Generell gilt jedoch
Proposition 2.2.24
Jeder A2 -Raum (X, τ ) ist auch ein A1 -Raum.
Beweis: Sei B eine abzählbare Basis von τ . Umgebungsfilter U (x) sind durch Basen aus
offenen Umgebungen definiert; jedes von deren Elementen muß wegen der Basiseigen.
schaft von B ein Element von B ∩ x ganz umfassen, somit hat jeder Umgebungsfilter in
einem A2 -Raum eine Basis, die Teilmenge der abzählbaren Menge B und folglich selbst
abzählbar ist.
∗
†
Man sagt dann auch, der Raum genügt dem ersten Abzählbarkeitsaxiom.
Entsprechend sagt man hier, der Raum genügt dem zweiten Abzählbarkeitsaxiom.
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2.2 Topologische Räume
89
Definition 2.2.25
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und sei A ⊆ X. Die Teilmenge A heißt dicht in
X genau dann, wenn A = X gilt.
Der Raum (X, τ ) heißt separabel genau dann, wenn er eine abzählbare Teilmenge
hat, die dicht in X liegt.
Lemma 2.2.26
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. Eine Teilmenge D ⊆ X ist dicht in (X, τ ) genau
dann, wenn für jede nichtleere offene Teilmenge O ∈ τ gilt O ∩ D = ∅.
Beweis: Sei D dicht in (X, τ ) und x ∈ O ∈ τ gegeben. Gälte nun O ∩ D = ∅, so folgte
nach Proposition 2.2.13 x ∈ D, also D = X. Umgekehrt folgt wieder wegen Proposition
2.2.13 aus ∀∅ = O ∈ τ : D ∩ τ = ∅ sogleich ∀x ∈ X : x ∈ D.
Korollar 2.2.27
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und B eine Basis von τ . Eine Teilmenge D ⊆ X
ist dicht in (X, τ ) genau dann, wenn für jede nichtleere offene Teilmenge O ∈ B gilt
O ∩ D = ∅.
Beweis: Ist D dicht, folgt O ∩ D = ∅ wegen B ⊆ τ sofort aus Lemma 2.2.26. Gilt
hingegen ∀∅ = O ∈ B : B ∩ D = ∅, so folgt sofort ∀∅ = O ∈ τ : O ∩ D = ∅, da jede
offene Menge Vereinigung von Basiselementen ist, und damit die Dichtheit von D.
Aufgabe5 Gib ein Beispiel für einen topologischen Raum (X, τ ), eine Subbasis S von
τ und eine Teilmenge G ⊆ X an, die nicht dicht in (X, τ ) ist, aber ∀S ∈ S : S ∩ G = ∅
erfüllt.
/
Die Menge Q
der rationalen Zahlen ist bezüglich euklidischer Topologie z.B. dicht in
IR – bezüglich beispielsweise der diskreten Topologie ist sie das natürlich nicht.
Proposition 2.2.28
Jeder A2 -Raum ist separabel.
Beweis: Sei B eine abzählbare Basis des topologischen Raumes (X, τ ). Wir können
dann aus jedem (nichtleeren) Element von B einen Punkt xB auswählen und die abzählbare Menge A := {xB |B ∈ B} bilden. Ist nun x ∈ X beliebig und U ∈ U (x) so muß es
ein B ∈ B mit x ∈ B ⊆ U geben. Wegen xB ∈ A ∩ B ⊆ A ∩ U liefert das insbesondere
A∩U = ∅. Somit folgt nach Proposition 2.2.13(1) sogleich x ∈ A, insgesamt also A = X.
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90
2 Das Konzept Topologischer Raum
Lemma 2.2.29
Sei (X, d) ein (pseudo-)metrischer Raum und sei τd die von der (Pseudo-)Metrik
erzeugte Topologie. Der topologische Raum (X, τd ) ist genau dann ein A2 -Raum,
wenn er separabel ist.
Beweis: Daß jeder A2 -Raum separabel ist, sichert die vorige Proposition.
Sei also (X, τd ) separabel und sei A ⊆ X eine abzählbare dichte Teilmenge von X. Dann
wählen wir
B := {U (a,
1
)| n ∈ IN + , a ∈ A}
n
und sehen leicht ein, daß es sich hierbei um eine Basis von τd handelt, die als Vereinigung abzählbar vieler abzählbarer Mengen aufgefaßt werden kann und folglich selbst
abzählbar ist.
Man könnte auf die Idee kommen, daß aus A1 zusammen mit Separabilität stets A2
folgen würde. Dem ist aber nicht so.
Aufgabe6 Gib ein Beispiel für einen separablen A1 -Raum (X, τ ) an, der nicht das zweite Abzählbarkeitsaxiom erfüllt.
Ist X eine Menge und A ⊆ P(X) eine Familie von
Teilmengen von X, so nennen
wir A eine Überdeckung von X genau dann, wenn A∈A A ⊇ X gilt. Sofern B ⊆ A
ebenfalls eine Überdeckung von X ist, nennen wir B auch eine Teilüberdeckung von A.
Ist insbesondere (X, τ ) ein topologischer Raum, so heißt eine Überdeckung A von X
offene Überdeckung genau dann, wenn A ⊆ τ gilt.
Definition 2.2.30
Ein topologischer Raum (X, τ ) heißt Lindelöf-Raum genau dann, wenn jede offene
Überdeckung von X eine abzählbare Teilüberdeckung von X enthält.
Lemma 2.2.31
Jeder A2 -Raum ist ein Lindelöf-Raum.
Beweis: Sei (X, τ ) ein A2 -Raum und A ⊆ τ eine offene Überdeckung von X. Ist ferner
B eine abzählbare
Basis von τ , so existiert ja zu
jedem O ∈ A eine Teilmenge BO ⊆ B
mit O = B∈BO B. Setzen wir nun noch C := O∈A BO , so ergibt das zusammen mit
der Überdeckungseigenschaft von A sogleich
B∈C
B=
O∈A B∈BO
B=
O=X .
O∈A
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2.2 Topologische Räume
91
Wählen wir jetzt noch zu jedem B ∈ C genau ein OB ∈ A mit B ⊆ OB aus, so ist die
Menge A := {OB | B ∈ C} höchstens gleichmächtig zu C ⊆ B, also abzählbar. Andrerseits ist sie offensichtlich eine Überdeckung von X.
Eine interessante Ergänzung zum Thema nicht ganz dichte“ Teilmengen soll hier auch
”
noch kurz erwähnt werden.
Definition 2.2.32
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum. Eine Teilmenge A ⊆ X heißt nirgends dicht in
X genau dann, wenn sie bezüglich keiner nichtleeren offenen Teilmenge von X dicht
ist, d.h. wenn ∀O ∈ τ \ {∅} : A ⊇ O gilt.
Offenbar ist z.B. jede endliche Teilmenge des IRn nirgends dicht in IRn mit euklidischer
Topologie. Genau wie z.B. IR1 aufgefaßt als Teilraum des IR2 mit euklidischer Topologie
u.s.w. ... Anders verhält es sich, wenn wir IRn mit z.B. der diskreten Topologie ausrüsten:
dann ist jede Teilmenge offen, selbstverständlich dicht in sich selbst und somit haben
wir dann gar keine nirgends dichten Teilmengen mehr außer der trivialen leeren Menge.
Wir sehen also, daß nirgends dicht etwas mehr bedeutet als einfach nur nicht dicht,
denn natürlich ist gerade in diskreten topologischen Räumen jede echte Teilmenge nicht
dicht, aber außer ∅ eben keine nirgends dicht.
Lemma 2.2.33
Sei (X, τ ) ein topologischer Raum und A ⊆ X. Die Teilmenge A ist genau dann
nirgends dicht in X, wenn int( A ) = ∅ gilt.
Beweis: Sei zunächst A nirgends dicht in X, d.h. für alle ∅ = O ∈ τ gilt O ⊆ A, also
hat A keine inneren Punkte, was int(A) = ∅ liefert.
Gilt andrerseits int(A) = ∅ und ist ∅ = O ∈ τ gegeben, so folgt O ⊆ A einfach daraus,
daß A andernfalls ja innere Punkte hätte, nämlich mindestens alle Elemente von O.
2.2.4
Stetigkeit
Wie schon bei der Konvergenzdefinition in topologischen Räumen, lassen wir uns auch
hier wieder von einer entsprechenden Eigenschaft in metrischen Räumen leiten: von
Lemma 2.1.12.
Definition 2.2.34
Sind (X1 , τ1 ) und (X2 , τ2 ) topologische Räume, so heißt eine Funktion f : X1 → X2
stetig genau dann, wenn
∀O ∈ τ2 : f −1 (O) ∈ τ1
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92
2 Das Konzept Topologischer Raum
gilt, d.h. wenn das vollständige Urbild jeder offenen Menge offen ist.
Die Menge aller stetigen Funktionen von (X1 , τ1 ) nach (X2 , τ2 ) bezeichnen wir mit
C( (X1 , τ1 ), (X2 , τ2 ) ) – oder kurz mit C(X1 , X2 ), wenn über die jeweils betrachteten
Topologien kein Zweifel besteht.
Proposition 2.2.35
Sind (X1 , τ1 ) und (X2 , τ2 ) topologische Räume und S eine Subbasis von τ2 so ist
eine Funktion f : X1 → X2 genau dann stetig, wenn ∀S ∈ S : f −1 (S) ∈ τ1 gilt.
Beweis: Da jede offene Teilmenge von X2 Vereinigung endlicher Durchschnitte von
Elementen aus S ist, folgt mit Proposition 1.1.5, daß die Urbilder aller offenen Teilmengen von X2 offen sind.
Satz 2.2.36
Seien (X, τ ), (Y, σ) topologische Räume und f : X → Y eine Funktion. Dann sind
äquivalent:
(1) f ist stetig
(2) Für jede abgeschlossene Teilmenge B ⊆ Y ist f −1 (B) abgeschlossen in X
(3) Für jede Teilmenge M ⊆ Y gilt f −1 (int(M )) ⊆ int(f −1 (M ))
(4) Für jede Teilmenge A ⊆ X gilt f (A) ⊆ f (A)
(5) Für jeden Filter ϕ auf X, der gegen einen Punkt x ∈ X konvergiert, konτ
vergiert der Bildfilter f (ϕ) gegen f (x), d.h. ∀ϕ ∈ F(X), x ∈ X : ϕ → x ⇒
σ
f (ϕ) → f (x).
Beweis: (1)⇒(2)“: Ist B ⊆ Y abgeschlossen, heißt das ja, daß Y \ B offen ist, folglich
”
ist wegen der Stetigkeit von f auch f −1 (Y \B) offen und somit f −1 (B) = X \f −1(Y \B)
abgeschlossen.
(2)⇒(3)“: Es gilt ja int(M ) ⊆ M und folglich f −1 (int(M )) ⊆ f −1 (M ). Nun ist freilich
” −1
f (int(M )) = X \ f −1 (Y \ int(M )) und damit offen, weil f −1 (Y \ int(M )) laut (2)
abgeschlossen ist. Als offene Teilmenge von f −1 (M ) ist f −1 (int(M )) laut Proposition
2.2.12(7) aber auch Teilmenge von int(f −1 (M )).
(3)⇒(4)“: Setzen wir M := Y \ f (A), so liefert (3) gerade
”
f −1 (int(Y \ f (A))) ⊆ int(f −1 (Y \ f (A))) .
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2.2 Topologische Räume
93
Nach Proposition 2.2.13(3) gilt nun int(Y \ f (A)) = Y \ f (A). Das ergibt
f −1 (Y \ f (A)) ⊆ int(f −1 (Y \ f (A))) ,
wegen f −1 (Y \ f (A)) ⊆ X \ A also auch f −1 (Y \ f (A)) ⊆ int(X \ A). Mit Proposition
2.2.13(3) haben wir ferner int(X \ A) = X \ A, woraus nun f −1 (Y \ f (A)) ⊆ X \ A
folgt. Komplementbildung liefert X \ f −1 (Y \ f (A)) ⊇ A und folglich
f (X \ f −1 (Y \ f (A))) ⊇ f (A) .
Nun müssen wir uns nur noch vor Augen führen, daß ja X \ f −1 (Y \ f (A)) aus genau
denjenigen Elementen von X besteht, deren Bild unter f nicht außerhalb von f (A) liegt,
woraus f (A) ⊇ f (X \ f −1 (Y \ f (A))) ⊇ f (A) folgt.
(4)⇒(5)“: Sei ϕ → x gegeben. Angenommen nun, es gälte f (ϕ) → f (x). Da f (ϕ) gleich
”
dem Durchschnitt aller seiner Oberultrafilter ist, kann dann nicht jeder Oberultrafilter
von f (ϕ) den Umgebungsfilter von f (x) enthalten (andernfalls enthielte auch f (ϕ) ihn).
Daher gibt es einen Oberultrafilter ψ von f (ϕ), der nicht gegen f (x) konvergiert. Nun
existiert nach Lemma 1.4.14 ein Oberultrafilter ϕ0 von ϕ mit f (ϕ0 ) = ψ. Selbstverständlich konvergiert ϕ0 ebenso wie ϕ gegen x. Insbesondere bedeutet das ∀P ∈ ϕ0 : x ∈ P ,
woraus mit (4) sofort ∀P ∈ ϕ0 : f (x) ∈ f (P ) ⊆ f (P ), also ∀P ∈ ϕ0 : f (x) ∈ f (P )
folgt. Nach Proposition 2.2.13(1) gilt dann ∀P ∈ ϕ0 : ∀V ∈ U (f (x)) : V ∩ f (P ) = ∅.
Andrerseits sollte ja ψ = f (ϕ0 ) nicht gegen f (x) konvergieren, so daß es eine Umgebung V0 ∈ U (f (x)) geben müßte mit Y \ V0 ∈ f (ϕ0 ) = ψ und daher ein P0 ∈ ϕ0 mit
f (P0 ) ∩ V0 = ∅ – ein Widerspruch.
(5)⇒(1)“: Angenommen, f sei nicht stetig.
”
Dann existierte ein V ∈ σ mit f −1 (V ) ∈ τ , insbesondere also f −1 (V ) = int(f −1 (V )), so
daß also ein Punkt x0 ∈ f −1 (V ) \ int(f −1 (V )) existiert. Da x0 nicht zum Inneren von
.
.
f −1 (V ) gehört, gilt ∀U ∈ x0 ∩ τ : U ⊆ f −1 (V ), also auch ∀U ∈ x0 ∩ τ : f (U ) ⊆ V . Daraus folgt V ∈ f (U (x0 )). Andrerseits gilt natürlich f (x0 ) ∈ V und damit V ∈ U (f (x0 )),
da V ja offen ist. Folglich haben wir U (f (x0 )) ⊆ f (U (x0 )) im Widerspruch zur Konvergenz von f (U (x0 )) gegen f (x0 ), die laut (5) gelten müßte.
Aus der reellen Analysis kennen wir einen sozusagen eingeschränkten, weil auf einzelne
Punkte fokussierten Stetigkeitsbegriff. Den haben wir hier natürlich auch parat.
Definition 2.2.37
Sind (X, τ ), (Y, σ) topologische Räume, x0 ∈ X und f : X → Y gegeben. Dann
heißt f stetig im Punkte x0 genau dann, wenn f (U (x0 )) → f (x0 ) gilt.
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94
2 Das Konzept Topologischer Raum
Korollar 2.2.38
Eine Funktion f zwischen zwei topologischen Räumen ist genau dann stetig, wenn
sie in jedem Punkt des Urbildraumes stetig ist.
Beweis: Folgt direkt aus Satz 2.2.36(5).
Beispiele für stetige Funktionen:
• Jede Abbildung irgendeines topologischen Raumes in einen indiskreten topologischen Raum ist stetig.
• Jede Abbildung eines diskreten topologischen Raumes in irgendeinen topologischen Raum ist stetig.
• Die identische Abbildung 11X einer Menge X auf sich selbst ist stetig genau dann,
wenn X als Urbildraum eine feinere Topologie trägt als im Bildraum.
• Die stetigen Abbildungen irgendeines topologischen Raumes (X, τ ) in den SierpinskiRaum ({0, 1}, {∅, {0}, {0, 1}}) sind genau die charakteristischen Funktionen
1 ; x∈A
χA : X → {0, 1} : χA (x) :=
0 ; x ∈ A
der abgeschlossenen Teilmengen A von X bezüglich τ .
• Alle konstanten Abbildungen sind stetig, unabhängig davon, mit welchen Topologien Bild- und Urbildraum versehen sind.
• Wie wir bereits gesehen hatten, sind die stetigen Abbildungen zwischen topologischen Räumen, deren Topologien von Metriken induziert sind, genau die im
metrischen Sinne stetigen Abbildungen. Damit sind auch alle aus der klassischen
Analysis als stetig bekannten Abbildungen im topologischen Sinne stetig.
Lemma 2.2.39
Seien (X, τ ), (Y, σ), (Z, ξ) topologische Räume, f : X → Y sei im Punkte x0 ∈ X
stetig und g : Y → Z sei im Punkte f (x0 ) ∈ Y stetig. Dann ist g ◦ f : X → Z im
Punkte x0 stetig.
Beweis: Wegen der Stetigkeit von f in x0 gilt f (U (x0 )) ⊇ U (f (x0 )), folglich auch
g(f (U (x0 ))) ⊇ g(U (f (x0 ))), wobei aus der Stetigkeit von g in f (x0 ) ja
g(U (f (x0 ))) ⊇ U (g(f (x0 )))
folgt, insgesamt also g ◦ f (U (x0 )) → g ◦ f (x0 ).
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2.2 Topologische Räume
95
Korollar 2.2.40
Seien (X, τ ), (Y, σ), (Z, ξ) topologische Räume, f : X → Y und g : Y → Z stetige
Abbildungen. Dann ist auch g ◦ f : X → Z stetig.
Beweis: Kombiniere Lemma 2.2.39 mit Korollar 2.2.38.
Definition 2.2.41
Sind (X, τ ), (Y, σ) topologische Räume und f : X → Y eine Funktion, so heißt f
ein Homöomorphismus zwischen (X, τ ) und (Y, σ) genau dann, wenn f bijektiv und
stetig, sowie die inverse Abbildung f −1 ebenfalls stetig ist.
Sofern ein Homöomorphismus zwischen zwei topologischen Räumen existiert, werden
diese Räume homöomorph (oder auch topologisch äquivalent) genannt.
Beispiele:
• Der Sierpinski-Raum (X, τ1 ) mit X = {0, 1} und τ1 = {∅, {0}, X} ist offensichtlich
homöomorph zum Raum (X, τ2 ) mit τ2 = {∅, {1}, X}, der daher mit gleichem
Recht ebenfalls Sierpinski-Raum genannt werden kann.∗
• Zwei diskrete (indiskrete) topologische Räume (X, τ ) und (Y, σ) sind genau dann
homöomorph, wenn X und Y gleichmächtig sind.
• Der Raum (IR\{0}, τe ) der von null verschiedenen reellen Zahlen mit euklidischer
Topologie ist homöomorph zum Raum (IR \ [0, 1], τe ) derjenigen reellen Zahlen,
die kleiner als 0 oder größer als 1 sind mit euklidischer Topologie.† Mit dem
Satz 2.2.36 sieht man nämlich leicht ein, daß die offensichtlich bijektive Abbildung
x ; x<0
f : IR \ {0} → IR \ [0, 1] : f (x) :=
x+1 ; x> 0
nebst ihrer inversen Abbildung stetig ist.‡
∗
†
‡
Um genau anzugeben, welchen man nun meint, spricht man daher auch vom SierpinskiRaum mit offener Null“ bzw. mit offener Eins“.
”
”
Wir denken uns τe und τe hier einfach als die von der euklidischen Metrik auf der jeweiligen
Teilmenge von IR erzeugte Topologie – zum Begriff der Spurtopologie kommen wir ja erst
später.
Natürlich ist ferner IR homöomorph zu sich selbst, während {0} keineswegs homöomorph
zu [0, 1] ist. Das führt hier zu der paradoxen Situation, daß wir von ein und demselben
Raum zwei nicht äquivalente Räume abziehen“ und dennoch äquivalente Reste erhalten.
”
Man kann das als strukturellen Mangel topologischer Räume empfinden (der übrigens bei
den in [24] beschriebenen Semiuniformen Konvergenzräumen, aber auch bei den in [31]
entwickelten Multifilterräumen behoben ist), doch möchte ich immerhin zu bedenken geben,
daß dieser Effekt hier lediglich auf den analogen mengentheoretischen Effekt zurückgeht:
{0} und [0, 1] sind einfach nicht gleichmächtig, IR \ {0} und IR \ [0, 1] aber sehr wohl.
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2 Das Konzept Topologischer Raum
• Im Sinne der jeweiligen euklidischen Topologie sind je zwei offene (resp. abgeschlossene) Intervalle (a1 , b1 ) und (a2 , b2 ) (resp. [a1 , b1 ] und [a2 , b2 ]) mit ai < bi
homöomorph.
• Im Sinne der euklidischen Topologie ist IR homöomorph zum offenen Intervall
(−1, 1), wie man sich z.B. anhand der Abbildung
f : IR → (−1, 1) : f (x) :=
x
1 + |x|
klarmachen kann.
Topologisch relevante Unterschiede zwischen topologisch äquivalenten Räumen (X, τ )
und (Y, σ) reduzieren sich kraft des Vorhandenseins einer in beide Richtungen stetigen
Bijektion offenbar auf Unterschiede hinsichtlich der konkreten Bezeichnung der Elemente von X und Y – doch Namen sind ja Schall & Rauch.∗ Konkret: jede Eigenschaft,
die durch eine Topologie, d.h. durch offene Mengen beschrieben ist, gilt genau dann
in (X, τ ), wenn sie in (Y, σ) gilt, ja mehr noch: eine Teilmenge von X hat solche Eigenschaften genau dann, wenn die via Homöomorphismus korrespondierende Teilmenge
von Y sie hat. Just solche Eigenschaften sind folglich Gegenstand der Untersuchung,
wenn man sich mit topologischen Räumen beschäftigt.
Definition 2.2.42
Sind (X, τ ) und (Y, σ) topologische Räume, so heißt eine Abbildung f : X → Y
offen genau dann, wenn ∀O ∈ τ : f (O) ∈ σ gilt, d.h. wenn die Bilder offener Mengen
unter f wieder offen sind.
Eine Abbildung f heißt abgeschlossen genau dann, wenn das Bild jeder abgeschlossenen Teilmenge von X unter f abgeschlossen in Y ist.
Die Homöomorphismen lassen sich somit auch als stetige und offene Bijektionen charakterisieren.
Anders als bei B.v.Querenburg (in [25], Seite 32) verlautbart, können wir uns bei der
Überprüfung der Offenheit einer Abbildung im allgemeinen nicht auf eine Subbasis beschränken:
Beispiel: Wir wählen X := {1, 2, 3}, τ := {∅, {1, 2}, {2, 3}, {2}, X} mit der Subbasis
S := {{1, 2}, {2, 3}} und Y := {0, 1} mit indiskreter Topologie σ := {∅, Y }. Dann ist
die Abbildung
0 ; x=1∨x=3
f : X → Y : f (x) :=
1 ; x=2
∗
Nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Restaurant, in dem ich zuweilen anzutreffen
bin, wenn ich mich in Berlin aufhalte ...
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2.2 Topologische Räume
97
nicht offen, denn das Bild der in X offenen Menge {2} ist ja nicht offen in Y . Allerdings
ist das Bild beider Elemente von S jeweils ganz Y , also offen.
Lemma 2.2.43
Seien (X, τ ), (Y, σ) topologische Räume und f : X → Y eine Funktion. Dann sind
äquivalent:
(1) f ist offen
(2) ∀M ⊆ X : f (int(M )) ⊆ int(f (M ))
(3) ∀x ∈ X : ∀U ∈ U (x) : ∃W ∈ U (f (x)) : W ⊆ f (U )
Beweis: (1)⇒(2)“: Sei M ⊆ X. Dann haben wir int(M ) ⊆ M und int(M ) ∈ τ . Das
”
ergibt f (int(M )) ⊆ f (M ) und wegen der Offenheit von f auch f (int(M )) ∈ σ, also
nach Proposition 2.2.12(2) auch f (int(M )) ⊆ int(f (M )).
(2)⇒(3)“: Sei x ∈ X und U ∈ U (x). Dann gilt x ∈ int(U ) und folglich f (x) ∈
”
f (int(U )) ⊆ int(f (U )) nach (2). Damit ist W := int(f (U )) ∈ U (f (x)) und natürlich
gilt W ⊆ f (U ) nach Proposition 2.2.12(1).
(3)⇒(1)“: Sei O ∈ τ , dann haben wir ∀y ∈ f (O) : ∃x ∈ O : y = f (x), dabei ist
”
dann O ∈ U (x) und so liefert (3) sogleich ∀y ∈ f (O) : ∃W ∈ U (y) : W ⊆ f (O), nach
.
Definition des Umgebungsfilters also auch ∀y ∈ f (O) : ∃Wy ∈ y ∩ σ : y ∈ Wy ⊆ f (O).
Damit ist f (O) laut Proposition 2.2.2 offen.
Lemma 2.2.44
Seien (X, τ ), (Y, σ) topologische Räume und f : X → Y eine Funktion. Dann sind
äquivalent:
(1) f ist abgeschlossen
(2) ∀M ⊆ X : f (M ) ⊆ f (M ).
Beweis: (1)⇒(2)“: Sei M ⊆ X. Dann haben wir M ⊆ M und folglich f (M ) ⊆ f (M ).
”
Wegen (1) ist freilich f (M ) abgeschlossen, so daß mit Proposition 2.2.13(2) sogleich
f (M ) ⊆ f (M ) folgt.
(2)⇒(1)“: Sei M ⊆ X abgeschlossen. Dann gilt nach Proposition 2.2.13(4) M = M und
”
folglich f (M ) = f (M ), mit (2) also f (M ) ⊇ f (M ), während andrerseits f (M ) ⊆ f (M )
nach Proposition 2.2.13(4) sowieso gilt. Das ergibt f (M ) = f (M ), so daß f (M ) wiederum laut Proposition 2.2.13(4) abgeschlossen ist.
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