und Jugendmedizin 3/2008 "Immunerkrankungen"

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125
© 2008
Angeborene Immundefekte
W
arum werden Kinder beim Kinderarzt vorgestellt? Entwicklungsdiagnostik, Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen und viele andere
Gründe. Für Eltern immer wieder bedrohlich sind fieberhafte Infektionen, zu deren
Abklärung und Behandlung der Kinderarzt
aufgesucht wird. Zumeist sind diese Infektionen aus Sicht des Kinderarztes banal, und
dann auch immer einfach, oft nur symptomatisch und abwartend zu behandeln. Sie
heilen vollständig aus, ein Aufenthalt im
Krankenhaus ist nicht erforderlich. Solche
Infektionen betrachten wir als physiologisch. Das Immunsystem lernt dabei und
bildet sein Antikörperspektrum gegen viele
verschiedene, vorwiegend virale Erreger
aus.
In Einzelfällen aber sieht das bei Kindern mit wiederholten Infektionen anders
aus: Banale Infektionen häufen sich, es treten schwerwiegende viszerale Infektionen
auf, die dann z. T. nicht wie erwartet ausheilen, sondern chronisch werden. Stationäre
Behandlungen werden erforderlich. Selten
findet man bei der Erregerdiagnostik opportunistische Erreger. Hier kann man nicht
mehr von physiologischer Anfälligkeit gegenüber Infektionen sprechen, sondern solche Befunde können ein Hinweis auf angeborene Immundefekte sein. Tabelle 1 fasst
die Unterschiede noch einmal zusammen.
Neben dieser allgemein gehaltenen Unterscheidung physiologisch/pathologisch
können bestimmte Warnzeichen, die in diesem Themenheft durch erfahrene Autoren
Tab. 1
Schattauer GmbH
Editorial
illustriert und diskutiert werden, auf einen
Immundefekt hinweisen.
Die landläufige Meinung, Immundefekte seien selten, vielleicht so selten, dass man
nicht daran denken muss, ist inzwischen widerlegt. Selbst wenn man den selektiven
IgA-Mangel nicht mit zählt, sind angeborene Störungen etwa in den USA mit einer
Prävalenz von 1:2000 (!) zu erwarten (1).
Das würde für Deutschland bedeuten, dass
weit mehr als 50% der Fälle mit angeborenen Immundefekten nicht erkannt werden.
Offenbar besteht Handlungsbedarf. Nur
wenn das Thema „Angeborene Abwehrschwäche“ oder „Primärer Immundefekt“
fest in der Pädiatrie, aber auch in der Inneren
Medizin, verankert ist, jeder Kinderarzt/Internist bei seinen Patienten daran denkt, werden wir in der Lage sein, alle Betroffenen
rechtzeitig über eine korrekte Diagnose mit
einer sinnvollen Therapie zu versorgen, bevor sie durch destruierende Infektionen Lebensqualität oder ihr Leben verlieren. Wer
sich an dieser Zielsetzung beteiligen möchte, dem sei von Herausgebern und Autoren
dieses Themenheft sehr ans Herz gelegt.
Prof. Dr. med.
Volker Wahn
Prof. Dr. med.
Michael Weiß
Literatur
1. Boyle JM, Buckley RH. Population prevalence of
diagnosed primary immunodeficiency diseases in
the United States. J Clin Immunol 2007; 27: (5):
497–502.
Berlin/Köln, im März 2008
Prof. Dr. med. Volker Wahn
Prof. Dr. med. Michael Weiß
Gastschriftleiter
Unterschiede zwischen physiologischer und pathologischer Infektanfälligkeit
Eigenschaft der Infektionen
physiologische Infektanfälligkeit
pathologische Infektanfälligkeit
Häufigkeit
max. 8 Minor-Infektionen/Jahr bis zum
Kleinkindesalter, danach seltener
>8 Minor-Infektionen/Jahr bis zum
Kleinkindesalter und darüber hinaus
Schweregrad
leicht, Minor-Infektionen
teilweise schwer, Major-Infektionen*
Verlauf
akut
chronisch, rezidivierend
Residuen
nein
ja
Rezidiv mit demselben Erreger
nein
ja
opportunistische Infektion
nein
ja
*Pneumonie, Sepsis, Meningitis, Enzephalitis, Osteomyelitis, septische Arthritis, Empyem, tiefe Viszeralabszesse (nicht zervikale Lymphknoten)
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
127
© 2008
Schattauer GmbH
Inhalt–Contents
Editorial
Immundefekte – Immunodeficiencies
Abstracts
Verbandsnachrichten
Verschiedenes
Titelbild
3/2008
V. Wahn, M. Weiß
Angeborene Immundefekte
125
Zertifizierte Fortbildung
V. Wahn, T. Niehues, M. Weiß
Definition der „Infektanfälligkeit“ und Klassifikation angeborener Immundefekte – Stand 2007
Definition of susceptibility to infections and classification of primary immunodeficiencies
129
W. Mannhardt-Laakmann, P. Habermehl, F. Zepp
T-zelluläre und kombinierte T- und B-Zell-Immundefekte
T-cellular and combined T- and B-cell immunodeficiencies
137
S. Ehl, B. Grimbacher, K. Warnatz, H. M. Wolf
Angeborene Antikörpermangelsyndrome („B-Zell-Defekte“)
Primary antibody deficiency syndromes
151
U. Wintergerst, A. Rack, J. G. Liese, B. H. Belohradsky
Granulozytendefekte
Defects of granulocytes
160
J. Reichenbach, H. von Bernuth
Genetisch bedingte Defekte der angeborenen Immunität – Erhöhte Anfälligkeit für mykobakterielle
Infektionen, für invasive bakterielle Infektionen und für Herpes-simplex-Enzephalitis
Genetic defects of the innate immunity that cause an increased susceptibility for mycobacterial
infections, invasive pyogenic infections and herpes simplex encephalitis
171
V. Wahn, P. Späth
Komplementdefekte
Complement deficiencies
179
CME-Fragebogen
185
Jahrestagung der Sächsisch-Thüringischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
und Kinderchirurgie am 04. und 05. April 2008 in Chemnitz
A1
Deutsche Akademie für Entwicklungs-Rehabilitation e. V.
188
Forum Proteinurie
Forum Parasitose
Aus Forschung und Industrie
Termine
Impressum
191
192
194
198
198
Foto: Jose Manuel Gelpi Diaz/Fotolia.com
Die zehn CME-Fragen, die Sie auf Seite 185 finden,
beziehen sich auf alle Beiträge dieser Ausgabe.
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Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 125–198
Immundefekte
129
© 2008
Schattauer GmbH
Definition der „Infektanfälligkeit“
und Klassifikation angeborener
Immundefekte – Stand 2007
Volker Wahn1, Tim Niehues2, Michael Weiß3
Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum, Klinik für Pädiatrie m. S. Pneumologie und Immunologie
(Direktor: Prof. Dr. med. U. Wahn)
2
Kinderklinik Krefeld
(Chefarzt: PD Dr. med. T. Niehues)
3
Kinderkrankenhaus Amsterdamer Straße Köln, Kinder- und Jugendmedizin
(Leiter: Prof. Dr. med. M. Weiß)
1
Schlüsselwörter
Keywords
Zusammenfassung
Summary
Infektanfälligkeit, primäre Immundefekte
Susceptibility to infections, primary immunodeficiencies
(PID)
Bei gesunden Kindern verlaufen Infektionen in der Regel
akut und ohne Residuen und lassen sich, falls bakteriell
verursacht, gut antibiotisch behandeln. Bei einzelnen Kindern weichen die Verläufe von Infektionen jedoch deutlich
von diesen Kriterien ab, sodass ein primärer oder erworbener Immundefekt vermutet werden muss. Wir versuchen
mit diesem Beitrag, Anfälligkeit gegenüber Infektionen zu
definieren und die aktuell gültige Klassifikation für primäre Immundefekte zusammenzufassen.
In healthy children infections occur but are usually acute
without sequelae and, if of bacterial origin, responsive to
antibiotic treatment. In some children, however, the clinical
corse does not meet these criteria, and a primary or acquired immunodeficiency must be suspected. We try to define susceptibility to infections and summarize the current
classification of PID.
Definition of susceptibility to infections and classification of primary immunodeficiencies
Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 129–135
E
iner der Arbeitsschwerpunkte der
pädiatrischen Immunologen ist die
Analyse des infektanfälligen Kindes mit der Frage, ob der Infektanfälligkeit
eine angeborene oder erworbene Störung
des Immunsystems zugrunde liegt, bei der
mehr unternommen werden muss als nur die
manifesten Infektionen zu behandeln. Bevor somit Immundefekte klassifiziert werden, ist es notwendig, bereits aus klinischer
Sicht diejenigen Kinder auszuwählen, bei
denen ein Immundefekt denkbar ist. Viele
Informationen finden sich zu dieser Thematik z. B. unter www.immundefekt.de.
Bereits im Editorial wurde eine allgemeine Definition der „Infektanfälligkeit“
gegeben. Sie soll hier nicht wiederholt wer-
den. Sie kann physiologisch, aber auch pathologisch sein.
Infektanfälligkeit per se ist also nichts
Krankhaftes, sondern Ausdruck fehlender
Immunität, die ja erst im Laufe des kindlichen Lebens erworben wird. An Art und
Verlauf von Infektionen kann aber abgelesen werden, ob möglicherweise eine angeborene Störung vorliegen könnte.
Neben diesen Kriterien wurden von der
Jeffrey Modell Foundation (JMF) vor vielen
Jahren zehn Warnzeichen definiert, die auf
angeborene Immundefekte hinweisen können.Aufbauend auf dieser Mitteilung wurden
vom Erstautor im Jahr 2000 folgende zwölf
Warnzeichen definiert, die inzwischen von
vielen Zentren verwendet werden:
1. positive Familienanamnese für angeborene Immundefekte
2. acht oder mehr eitrige Otitiden pro Jahr
3. zwei oder mehr schwere Sinusitiden pro
Jahr
4. zwei oder mehr Pneumonien innerhalb
eines Jahres
5. indizierte antibiotische Therapie über
zwei oder mehr Monate ohne Effekt
6. Impfkomplikationen bei Lebendimpfungen (insbesondere Bacille CalmetteGuérin [BCG] und Polio nach Sabin)
7. Gedeihstörung im Säuglingsalter, mit
oder ohne chronische Durchfälle
8. rezidivierende tiefe Haut- und Organabszesse
9. zwei oder mehr viszerale Infektionen
(Meningitis, Osteomyelitis, septische Arthritis, Empyem, Sepsis)
Tab. 1 Lokale Ursachen für rezidivierende, aber monotope Infektionen
Infektionsort
mögliche Ursache
Haut
Ekzem, Verbrennungen
Atemwege
cystische Fibrose
Ziliendyskinesie-Syndrom
bronchopulmonale Dysplasie
Asthma bronchiale
ösophagotracheale Fistel
Bronchialfehlbildungen
Fremdkörperaspiration
Ohren
Adenoide
Meningen
Neuroporus, Liquorfistel
Harnwege
Reflux, Fehlbildungen
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Dezember
2007
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
130
Wahn, Niehues, Weiß
Tab. 2 Kombinierte Defekte (SCID=schwerer kombinierter Immundefekt, XL=X-chromosomal-rezessive Vererbung, JAK=Janus-assoziierte Kinase, IL-7Rα=IL-7-Rezeptor α, AR=autosomal-rezessiveVererbung,NK=natürlicheKillerzellen,dATP=Desoxyadenosintriphosphat,dGTP=Desoxyguanosindiphosphat,ZAP-70=Zeta-assoziiertesProteinmit70kd,TAP=transporterassociatedwithantigenprocessing,TAPBP=TAP-bindendesProtein,DCLRE=DNAcrosslinkrepairprotein,RMRP=RNAofmitochondrialRNA-processingendoribonuclease,XLF=XRCC4-likefactor)
Bezeichnung
Pathogenese/Gendefekt
Vererbung besondere Merkmale
1. SCID (T-B+)*
(a) X-chromosomal (γc-Defekt)
Mutationen in γ-Kette der IL-2, 4, 7, 9, 15, 21-Rezeptoren
stark verminderte Anzahl an NK-Zellen
(b) autosomal-rezessiv Jak3-Defekt
Mutationen im Jak3-Gen
stark verminderte Anzahl an NK-Zellen
(c) IL-7Rα-Defekt
Mutationen im IL-7Rα-Gen
normale Anzahl an NK-Zellen
(d) CD45-Defekt
Mutationen im CD45-Gen
AR
normale Anzahl an γδ-T-Zellen
(e) CD3δ/CD3ε/CD3ζ-Defekt
Mutationen im CD3δ-, CD3ε- oder CD3ζ-Gen
AR
normale NK-Zellen
(a) RAG-1/RAG-2-Defekt
Mutationen im RAG1/2-Gen
AR
(b) DCLREIC(Artemis)-Defekt
Mutationen im Artemis-DNA-Rekombinase-Reparatur-Protein,
defekte VDJ-Rekombination
AR
(c) Adenosindesaminase(ADA)-Mangel
T- und B-Zell-Defekte aufgrund von toxischen Metaboliten
(z. B. dATP, S-adenosylhomocystein) infolge eines Enzymmangels
AR
(d) retikuläre Dysgenesie
defekte Reifung von T- und B-Zellen und myeloischen Zellen
(Stammzell-Defekt)
AR
3. Omenn-Syndrom
Missense-Mutationen im RAG1/2-Gen, bei IL-7Rα, Artemis oder RMRP AR
2. SCID (T-B-)*
4. DNA-Ligase IV
Mutationen in der DNA-Ligase IV: defekte VDJ-Rekombination
5. Cernunnos/XLF-Mangel
Mutation bei Cernunnos
AR
radiosensitiv: erhöhte Sensitivität gegenüber ionisierenden Strahlen
Granulozytopenie, Thrombozytopenie
Erythrodermie, Eosinophilie, hohe IgE, Hepatosplenomegalie
radiosensitiv, Mikrozephalie, faziale Dystrophie
Mikrozephalie, intrauterine Wachstumsretardierung, Radiosensitivität
6. CD40-Ligand-Mangel
Mutationen im CD40-Ligand-Gen, gestörte Signalübertragung in B(X-chromosomales Hyper-IgM-Syndrom) und dendritischen Zellen
XL
Neutropenie, Thrombozytopenie, hämolytische Anämie, Gastrointestinal- und Leberbeteiligung, opportunistische Infektionen
7. CD40-Mangel
AR
Neutropenie, Gastrointestinal- und Leberbeteiligung, opportunistische
Infektionen
Mutationen im CD40-Gen, gestörte Signalübertragung in B- und
dendritischen Zellen
8. Purin-Nucleosid-Phosphorylase(PNP)- T-Zell-Defekt aufgrund von toxischen Metaboliten (z. B. dGTP) infolge ei- AR
Mangel
nes Enzymmangels
9. CD3γ-Defekt
Defekte bei CD3γ
AR
10. CD8-Mangel
Mutationen im CD8α-Gen
AR
11. ZAP-70-Defekt
Mutationen im ZAP-70-Kinase-Gen
AR
autoimmunhämolytische Anämie, neurologische Symptome
12. Defekt des CRAC-Kanals (Ca-Kanals) Mutation bei Orai-1, einer Komponente des Ca-Kanals
AR
Autoimmunität, anhidrotische Ektodermaldysplasie, nicht progressive
Myopathie
13. MHC-Klasse-I-Defekt
Mutationen im TAP-1-, TAP-2- oder TAPBP(Tapasin)-Gen
AR
CD4 normal, CD8 vermindert, Vaskulitis
14. MHC-Klasse-II-Defekt
Mutationen in Transkriptionsfaktorgenen für MHC-Klasse-II-Moleküle
(CIITA oder RFX5, RFXAP, RFXANK)
AR
CD4 normal oder vermindert
15. Winged-Helix-Nude(WHN)-Defekt
Mutationen im FOXN1-Gen, das für den Forkhead-N1-Transkriptionsfaktor kodiert
AR
Alopezie, abnormes Thymusepithel (menschliche Nacktmaus)
16. CD25-Mangel
Defekt der IL-2Rα-Kette
AR
CD4 normal oder leicht vermindert
17. STAT5b-Mangel
Defekt im STAT5b-Gen, Störung der Entwicklung von γ/δ-Zellen und
regulatorischen T- und NK-Zellen, gestörte T-Zell-Proliferation
AR
STH-refraktärer Minderwuchs, Dysmorphie, Ekzem, LIP
* Atypische Fälle von SCID können bei sogenannten hypomorphen somatischen Mutationen oder bei einer angeborenen GvHD maternale T-Zellen haben.
10. persistierende Candida-Infektionen an
Haut oder Schleimhaut jenseits des 1.
Lebensjahres
11. chronische Graft-versus-Host-Reaktion
(z. B. unklare Erytheme bei kleinen
Säuglingen)
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
12. rezidivierende systemische Infektionen
mit atypischen Mykobakterien
Warum werden nun nicht zehn
(www.jmfworld.com), sondern diese zwölf
Warnzeichen vorgeschlagen? Bei der JMF sind
die Warnzeichen 3 und 8 sehr ähnlich und können zusammengefasst werden. Auch die Kriterien 6 und 9 sind sehr ähnlich. Dagegen fehlen
Hinweise auf die chronische Graft-versus-HostReaktion sowie die Hinweise auf disseminierte
Infektionen mit atypischen Mykobakterien.
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131
Klassifikation angeborener Immundefekte
Tab. 3 Immundefekte, bei denen der Antikörpermangel im Vordergrund steht (XL = X-chromosomal-rezessiv, AR = autosomal-rezessiv, AD = autosomal-dominanter Erbgang,
BLNK = B-Zell-Linker-Protein, ICOS = inducible costimulator, TACI = transmembrane activator, calcium modulator and cyclophilin ligand interactor, BAFF = B-cell activating factor,
AID = Aktivierungs-induzierte Cytidin-Desaminase, UNG = Uracil-DNA N-Glykosylase, Ig(κ) = Immunglobulin mit kappa-Leichtkette, btk = Bruton’s Tyrosinkinase)
Bezeichnung
Pathogenese/Gendefekt
Konstellationen der Immunglobuline
Vererbung
besondere Merkmale
1. starke Reduktion aller Immunglobulin-Isotypen
(a) X-chromosomale
Agammaglobulinämie
Mutationen im btk-Gen
alle Isotypen erniedrigt
XL
schwere bakterielle Infektionen
(b) µ-Schwerketten-Mangel
Mutationen bei der µ-Schwerkette
alle Isotypen erniedrigt
AR
schwere bakterielle Infektionen
(c) λ5-Mangel
Mutationen bei λ5
alle Isotypen erniedrigt
AR
schwere bakterielle Infektionen
(d) Igα-Mangel
Mutationen bei Igα
alle Isotypen erniedrigt
AR
schwere bakterielle Infektionen
(e) Igβ-Mangel
Mutationen im Igβ
alle Isotypen erniedrigt
AR
schwere bakterielle Infektionen, normale Anzahl
von Pro-B-Zellen
(f) BLNK-Mangel
Mutationen bei BLNK
alle Isotypen erniedrigt
AR
schwere bakterielle Infektionen
(g) Good-Syndrom
unbekannt
alle Isotypen erniedrigt
sporadisch
Infektionen, verminderte Anzahl von Pro-B-Zellen
(h) Myelodysplasie
Einzelfälle mit Monosomie 7, Trisomie 8
oder Dyskeratosis congenita
alle Isotypen erniedrigt
variabel
Infektionen, verminderte Anzahl von Pro-B-Zellen
2. starke Reduktion von mindestens zwei Ig-Isotypen (IgG und IgA), B-Zellzahl variabel
CVID*
Alterationen bei TACI, BAFFR, Msh5 fungieren als relevante Polymorphismen
IgG und IgA erniedrigt, IgM kann normal sein
variabel, 10 % Infektionen; autoimmune, granulomatöse und
mit positiver Fa- lymphoproliferative Komplikationen
milienanamnese
(a) ICOS-Mangel
Mutationen bei ICOS
IgG und IgA erniedrigt, IgM kann normal sein
AR
schwere bakterielle Infektionen
(b) CD19-Mangel
Mutationen bei CD19
IgG und IgA erniedrigt, IgM kann normal sein
AR
schwere bakterielle Infektionen
(c) X-chromosomales
lymphoproliferatives Syndrom
Mutationen im SH2D1A-Gen
alle Isotypen können vermindert sein
XL
einige Patienten haben Antikörpermangel, die
meisten eine fulminante EBV-Infektion oder ein
Lymphom
3. Verminderung von IgG und IgA bei normalem oder erhöhtem IgM
(a) CD40-Ligand-Mangel
Mutationen im CD40L, = CD154
IgG und IgA erniedrigt, IgM normal oder erhöht,
B-Zellen normal oder erhöht
XL
opportunistische Infektionen, Neutropenie, Autoimmunität
(b) CD40-Mangel
Mutationen bei CD40
IgG und IgA erniedrigt, IgM normal oder erhöht,
B-Zellen normal oder erhöht
AR
opportunistische Infektionen, Neutropenie
(c) AID-Mangel (activationinduced Cytidin deaminase)
Mutationen im AID-Gen
IgG und IgA erniedrigt
AR
vergrößerte Lymphknoten und Keimzentren
(d) UNG-Mangel (Uracil-NGlykosylase)
Mutationen im UNG-Gen
IgG und IgA erniedrigt
AR
vergrößerte Lymphknoten und Keimzentren
4. Isotyp- oder Leichtkettenmangel mit normalen B-Zellen
(a) Defekt der schweren
Immunoglobulinkette
chromosomaler Defekt bei 14q32
IgG1 oder IgG2 und IgG4 nicht vorhanden und
in einigen Fällen IgE und IgA1 oder IgA2 nicht
vorhanden
AR
nicht immer symptomatisch
(b) κ-Ketten-Defekt
Punktmutationen bei Chromosom 2p11
bei einigen Patienten
Ig(κ) erniedrigt: Antikörper-Reaktion normal
oder erniedrigt
AR
teilweise asymptomatisch
(c) IgG-Subklassen-Defekt
unbekannt
Verminderung einer oder mehrerer Subklassen
variabel
rezidivierende Infektionen
(d) IgA- plus IgG-SubklassenMangel
unbekannt
Verminderung von IgA und einer oder mehrerer
Subklassen
variabel
teilweise asymptomatisch
(e) selektiver IgA-Mangel
sehr wenige mit TACI-Mutation
IgA stark vermindert oder fehlend
variabel
meist asymptomatisch, teilweise schlechte Antwort
auf Polysaccharid-Ag; einige entwickeln sich zum
CVID, andere sind damit familiär koexistent
5. Antikörpermangel mit
normalen Immunglobulinen
und B-Zellen
unbekannt
normal
unbekannt
selektive Unfähigkeit zur Bildung von spezifischen
Antikörpern, z. B. Polysaccharid-Antikörpern
6. transitorische Hypogammaglobulinämie des Säuglings
Differenzierungsdefekt: verspätete
Reifung der Helferzell-Funktion
IgG und IgA erniedrigt
unbekannt
häufig in Familien mit anderen Immundefekten
* unterschiedliche klinische Phänotypen
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
132
Wahn, Niehues, Weiß
Tab. 4 Andere gut definierte Immundefekt-Syndrome (XL = X-chromosomal-rezessiv, AR = autosomal-rezessiv, AD = autosomal-dominant, WASP = Wiskott-Aldrich-Syndrom-Protein,
MRE11 = meiotische Rekombination 11, NK = natürliche Killerzellen, CTL = zytotoxische T-Zellen, EBV = Epstein-Barr-Virus, RMPR = RNA component of mitochondrial RNA-processing endoribonuclease, SMARCALI = SWI/SNF-related, matrix-associated, actin-dependent regulator of chromatin, subfamily alpha-like 1, AP3B1 = adaptor-related protein complex 3, β1-subunit)
Bezeichnung
genetischer Defekt
Vererbung
besondere Merkmale
1. Wiskott-Aldrich-Syndrom
Mutationen im WASP-Gen, zytoskelettaler Defekt,
der die Hämatopoese betrifft
XL
Thrombozytopenie, kleine defekte Plättchen, Ekzeme, Lymphome, Autoimmunerkrankungen, IgA-Nephropathie, bakterielle und virale Infektionen, selten
X-chromosomale Neutropenie
(a) Ataxia teleangiectatica
(Louis-Bar-Syndrom)
Mutation im A-T-Gen (ATM), Störung des
Zellzyklus, führt zu chromosomaler Instabilität
AR
Ataxie, Teleangiektasien, variable Störungen bei IgG-Subklassen, IgA und IgE,
spezifischen Antikörpern, Vermehrung des monomeren IgM, erhöhtes alpha 1-Fetoprotein, lymphoretikuläre und andere Malignome, Radiosensitivität
(b) Ataxia-ähnliches-Syndrom
Mutationen im Mre 11-Gen (kodiert für DNAReparaturenzym)
AR
mäßig ausgeprägte Ataxie, stark radiosensitiv
(c) Nijmegen breakage syndrome
Defekt in NBS1 (Nibrin), Störung des Zellzyklus
und DNA-Reparatur
AR
Mikrozephalie, Vogel-ähnliches Gesicht, Lymphome, radiosensitiv, chromosomale
Instabilität
(d) Bloom-Syndrom
Mutation bei Helikase
AR
chromosomale Instabilität, radiosensitiv, Knochenmarkinsuffizienz, Leukämie, Lymphome, Minderwuchs, Vogelkopfgesicht, Lichtempfindlichkeit, Teleangiektasien
De-novo-Defekt
oder AD
Hypoparathyroidismus: conotrunkale Missbildungen, auffällige Facies, partielle
Monosomie von 22q11-pter oder 10p bei einigen Patienten
2. DNA-Reparatur-Defekte
3. Thymusdefekte: DiGeorge-Anomalie Defekt, der zu 90 % die Thymus-Entwicklung betrifft, Mutation beim Transkriptionsfaktor TBX1
4. Immunoossäre Dysplasien
(a) Knorpel-Haar-Hypoplasie
Mutation bei RMRP
AR
kurzgliedriger Zwergenwuchs, Dysostosen, wenig Haare, Anämie, Neutropenie,
erhöhte Anfälligkeit für maligne Erkrankungen
(b) Schimke-Syndrom
Mutation bei SMARCALI
AR
Minderwuchs, spondyloepiphysäre Knochendysplasien, Nephropathie
(a) Hiob-Syndrom
Mutationen bei STAT3
AD
Candidiasis der Nägel u. a., kalte Staphylokokken-Abszesse, Ekzeme, Pneumatocelen, typische Facies, Osteoporose, Skoliose, Dentitionsanomalien, Hypermobilität
(b) AR HIES
Mutationen bei Tyk2
AR
Anfälligkeit gegenüber intrazellulären Bakterien, keine skelettalen Auffälligkeiten
(c) AR HIES mit Virusinfektion und
ZNS-Vaskulitis/Blutung
unbekannt
6. chronisch-mukokutane Candidiasis
unbekannt
AR, AD, sporadisch
chronisch-mukokutane Candidiasis, gestörte zelluläre Immunität gegenüber
Candida, Autoimmunität, keine Ektodermaldysplasie
7. Immundefekt mit venookklusiver
Erkrankung der Leber
Mutation bei SP110
AR
venookklusive Erkrankung der Leber, Hepatosplenomegalie, PCP, Thrombopenie
8. Hoyerall-Hreidarsson-Syndrom
Mutationen beim Dyskerin
XL
I. u. Minderwuchs, Mikrozephalie, Panzytopenie, Reduktion von NK-Zellen und
-Funktion
5. Hyper-IgE-Syndrome
Man könnte diese Warnzeichen um weitere ergänzen, so z. B. invasive Infektionen
mit Pneumokokken, Staphylokokken oder
Salmonellen, oder aber auch die Herpesenzephalitis. Man befürchtet aber, dass dann
die „Griffigkeit“ verloren geht und damit
die einfache Anwendung. Zum jetzigen
Zeitpunkt sollen daher die zwölf Warnzeichen beibehalten werden, die Formulierungen werden aber immer wieder überdacht
und präzisiert.
Differenzialdiagnostisch ist, inbesondere bei monotopen Infektionen, immer an lokale Ursachen für Infektionen zu denken,
wofür Tabelle 1 Beispiele liefert.
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Anfälligkeit gegenüber Bakterien, Viren und Pilzen, Vaskulitis, ZNS-Blutung, keine
skelettalen Auffälligkeiten
Bereits in der Praxis können einfache
Untersuchungen gemacht werden, die circa
zwei Drittel aller primären Immundefekte
erfassen:
● Blutbild mit Differenzialblutbild
● quantitative Bestimmung der Immunglobuline IgG, IgA und IgM (nicht Eiweißelektrophorese)
Die Untersuchungen sollten nicht bei aktuell vorliegender Infektion durchgeführt
werden. Eine routinemäßige Untersuchung
von IgG-Subklassen als Screening wird
nicht empfohlen, zum einen wegen der Kosten, zum anderen wegen der notwendigen
Erfahrung für die richtige Interpretation der
Ergebnisse.
Auf der Basis o. g. Untersuchungen können verschiedene Ergebnisse auf Immundefekte hinweisen:
● Leukopenie
● Leukozytose
● Lymphopenie
● Neutropenie
● Neutrophilie
● Eosinophilie
● Thrombozytopenie
● niedrige
Serum-Immunglobulin-Konzentrationen
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Klassifikation angeborener Immundefekte
Tab. 5 Erkrankungen bei Immundysregulation (NK = natürliche Killerzelle, CTL = zytotoxische T-Zelle, XL = X-chromosomal-rezessiv, AR = autosomal-rezessiv, AD = autosomal-dominant, LYST = lysosomal trafficking regulator, RAB27A = Rab-Protein 27A, PRF1 = Perforin 1, SH2D1A = SH2 domain protein 1A, APECED = autoimmune polyendocrinopathy-candidiasis-ectodermal dystrophy, AIRE = autoimmune regulator, IPEX = immune dysregulation-polyendocrinopathy-enteropathy-X-linked, FOXP3 = Forkhead box protein 3)
Bezeichnung
genetischer Defekt
Vererbung
besondere Merkmale
(a) Chediak-Higashi-Syndrom
Defekt im LYST-Gen, gestörter lysosomaler
Transport
AR
partieller Albinismus, Akutphase-Reaktion, niedrige NK- und CTL-Aktivitäten,
stark vergrößerte Lysosomen, enzephalopathische akzelerierte Phase
(b) Griscelli-Syndrom Typ 2
Defekt im RAB27A-Gen, kodiert für GTPase in
sekretorischen Vesikeln
AR
partieller Albinismus, Akutphase-Reaktion, niedrige NK- und CTL-Aktivitäten,
progressive Enzephalopathie in schweren Fällen
(c) Hermansky-Pudlak-Syndrom Typ 2
Mutationen im AP3B1-Gen, kodiert für β-Untereinheit im AP-3-Komplex
AR
partieller Albinismus, Neutropenie, erniedrigte NK-Zellen und CTL, Blutungsneigung
1. Immundefekte mit Hypopigmentierung
2. familiäre hämophagozytierende Lymphohistiozytosen
(a) Perforinmangel
Mutationen im PRF1(Perforin)-Gen
AR
schwere Entzündungszustände, erniedrigte NK- und CTL-Aktivitäten
(b) MUNC 13-D-Defekt
Mutationen im MUNC 13-D-Gen
AR
schwere Entzündungszustände, erniedrigte NK- und CTL-Aktivitäten
(c) Syntaxis 11-Defekt
Mutation im STX11-Gen
AR
schwere Entzündungszustände, erniedrigte NK- und CTL-Aktivitäten
3. X-chromosomales lymphoproliferatives Syndrom
(a) XLP1
Defekt bei SH2D1A, einem Adapterprotein zur
Regulation intrazellulärer Signale
XL
klinische und immunologische Manifestationen, getriggert durch EBV-Infektion,
Hepatitis, aplastische Anämie, Lymphome
(b) XLP2
Defekt bei XIAP, einem Inhibitor der Apoptose
XL
klinische und immunologische Manifestationen, getriggert durch EBV-Infektion,
Splenomegalie, Hepatitis, aplastische Anämie, Lymphome, Hämophagozytose
4. Syndrome mit Autoimmunität
(a) autoimmune lymphoproliferative
Syndrome (ALPS)
nur teilweise als „Immundefekt“ anzusehen
(I) CD95-Mangel
Mutationen im TNFRSF6, dem Apoptose-Rezeptor
AD, selten schwere Adenopathie, Splenomegalie, Autoimmunzytopenien, gestörte Apoptose,
Fälle AR
gesteigertes Lymphomrisiko, doppelt-negative T-Zellen vermehrt
(II) CD95-Ligand-Mangel
Mutationen im TNFSF6, dem Liganden für den
Apoptose-Rezeptor CD95
AR
Adenopathie, Splenomegalie, Autoimmunität, Lupus, gestörte Apoptose,
doppelt-negative T-Zellen vermehrt
(III) Caspase 10-Defekt
Mutationen im CASP10 (beteiligt am apoptotischen Signalweg)
AR
Adenopathie, Splenomegalie, vermehrt dendritische Zellen, Autoimmunität,
gestörte Apoptose
(IV) Caspase 8-Defekt
Mutationen im CASP8 (beteiligt am apoptotischen AD
und Aktivierungs-Signalweg)
Lymphadenopathie, Splenomegalie, gestörte Lymphozyten-Apoptose und
Aktivierung, rezidivierende bakterielle und virale Infekte
(V) aktivierender N-Ras-Defekt
Defekt bei einem NRas kodierenden GTP-bindenden Protein mit Signalfunktion
AD
Lymphadenopathie, Splenomgealie, Leukämie, Lymphom, gestörte Lymphozyten-Apoptose nach IL-2-Entzug
(b) APECED = Autoimmunpolyenodrinopathie mit Candidiasis und ektodermaler
Dystrophie
Defekt bei AIRE, einem Transkriptionsfaktor nötig
für Ausbildung von „Selbst“-Toleranz im Thymus
AR
Autoimmunerkrankungen von Nebenschilddrüsen, NEbennieren und anderen
endokrinen Organen, plus Candidiasis, Zahn- und Schmelzhypoplasie
(c) IPEX, Immundysregulation, Polyendo- Defekt bei FOXp3, einem Transkriptionsfaktor für
krinopathie, Enteropathie, X-chromosomal regulatorische T-Zellen
XL
Autoimmundiarrhö, früh Diabetes, Thyreoiditis, hämolytische Anämie,
Thrombopenie, Ekzem, Mangel an FOXp3-pos. CD4+/CD25+-Zellen
Sind darüber hinaus labordiagnostische
Schritte indiziert, so kann man bei http://
www.immundefekt.de/idef.shtml
nachlesen, welche erweiterten Screening-Methoden aussagekräftig sind. Am besten wird
die Labordiagnostik im einem gut ausgestatteten pädiatrisch-immunologischen Labor durchgeführt. Ist danach das
Ergebnis „Kein Hinweis auf Immundefekt“,
so kann man es bei relativ milder Klinik zunächst dabei bewenden lassen. Bei schwerwiegender klinischer Symptomatik sollte
aber immer ein Zentrum kontaktiert werden, da die Entwicklung der letzten Jahre
eindeutig hat erkennen lassen, dass bestimmte Infektionen, die in der Vergangenheit einfach hingenommen wurden, Hinweise auf Immundefekte sein können. Wird
aufgrund der Screening-Verfahren dann ein
Immundefekt nachgewiesen, wird man immer versuchen, die genetische Basis zu verstehen. Daran orientiert sich die folgende,
zuletzt 2007 aktualisierte, Klassifikation
der IUIS (1):
1. T- und B-Zell-Immundefekte
2. Immundefekte, bei denen der Antikörpermangel im Vordergrund steht
3. andere gut definierte ImmundefektSyndrome
4. Störungen der Immunregulation
5. Defekte der Phagozytenzahl und -funktion
6. Defekte der natürlichen Immunität (innate immunity)
7. Komplementdefekte
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
134
Wahn, Niehues, Weiß
Tab. 6 Defekte der Granulozyten und Makrophagen (XL = X-chromosomal-rezessiv, AR = autosomal-rezessiv, AD = autosomal-dominant, NK = natürliche Killerzellen, WASP = Wiskott-Aldrich-Syndrom-Protein, IFN = Interferon, LAD = Leukozytenadhäsions-Mangel, FUCT1 = Fucose-Transporter 1, GDP = Guanosindiphosphat, SBDS = Shwachman-Bodan-Diamond-Syndrom, STAT1 = signal transducer and activator of transcription 1); die AD-Form des IFN-R1- oder des STAT1-Mangels wird durch dominant negative Mutationen verursacht
Krankheit
1.–3. schwere angeborene Neutropenien
Gendefekt
Vererbung
Merkmale
bei einigen Patienten ELA2-Defekt, Fehltransport der Elastase AD
gestörte myeloide Differenzierung, Subgruppe mit Myelodysplasie
Mutation bei GFI1, gestörte Repression der Elastase
AD
gestörte myeloide Differenzierung, B-/T-Lymphopenie
Mutation im GCSF-Rezeptor
AD
gestörte myeloide Differenzierung, refraktär gegenüber G-CSF
4. Kostmann-Syndrom
HAX-1: Kontrolle der Apoptose
AR
gestörte myeloide Differenzierung
5. zyklische Neutropenie
Elastase 2
AD
zyklische Schwankungen von Retikulozyten, Thrombozyten und Leukozyten
6. X-chromosomale Neutropenie
Mutation im WASP-Gen: Verlust der Autoinhibition
XL
Monozytopenie
7. P14-Mangel
Mutationen bei MAPBPIP, dem endosomalen Adapterprotein 14
AR
partieller Albinismus, Hypogammaglobulinämie, CD8-Zytotoxizität vermindert, Minderwuchs
8. Leukozyten Adhäsions-Defekt 1
Mutation bei INTG2: Beta-Kette (CD18) von LFA-1, Mac 1,
p150,95
AR
verspäteter Abfall des Nabels, chronische Hautulzera, Peridontitis,
Leukozytose, defekte T- und NK-Zell-Zytotoxizität
9. Leukozyten Adhäsions-Defekt 2
GDP-Fucose-Transporter
AR
verzögerte Wundheilung, chronische Hautulzera, geistige Retardierung,
Leukozytose, Bombay-Blutgruppe (hh)
10. Leukozyten Adhäsions-Defekt 3
Mutation im Cal DAG-GEF1, gestörte Rap1-Aktivierung der
Integrine
AR
wie LAD1 + Blutungsneigung
11. RAC-2-Defekt
Mutation der GTPase RAC-2, keine Regulation des
Aktinskeletts
AD
verzögerte Wundheilung, Leukozytose
12. β-Aktin-Defekt
Mutation von ACTB (kodiert zytoplasmatisches Aktin)
AD
mentale Retardierung, Minderwuchs
13. lokalisierte juvenile Peridontitis
Mutation bei FPR1 (Chemokin-Rezeptor)
AR
Peridontitis, gestörte Chemotaxis
14. Papillon-Lefèvre-Syndrome
Störung im CTSC-Gen: Störung der Kathepsin-Aktivierung
von Serinproteasen
AR
Peridontitis, palmoplantare Hyperkeratose
15. spezifischer Granula-Mangel
CCAAT/Enhancer-bindendes Protein ε, myeloider
Transkriptionsfaktor
AR
Neutrophile mit doppelt gelappten Kernen
16. Shwachman-Diamond-Syndrom
Mutation bei SBDS
AR
Panzytopenie, Pankreasinsuffizienz, Chondrodysplasie
17. X-chromosomale septische Granulomatose
gp 91 phox (CYBB), macht Elektronentransport
XL
keine O2-Bildung, Blutgruppe: McLeod Phänotyp möglich
18.–20. autosomal-rezessive septische
Granulomatosen
P22 phox (CYBA-Elektronentransportprotein), p47 phox
(NCF1-Adapterprotein), p67 phox (NCF2-aktivierendes Protein)
AR
keine O2-Bildung, kein intrazelluläres Killing
21. Neutrophilen-Glukose-6-PhosphatDehydrogenase-Defekt
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase
XL
hämolytische Anämie, gestörte O2-Bildung und Killing
22. Interleukin-12- und IL-23-RezeptorDefekt
Störungen bei IL-12Rβ1 und IL-23Tβ1
AR
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Mykobakterien und Salmonellen
23. Interleukin-12p40
IL-12p40
AR
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Mykobakterien und Salmonellen
24. IFN-γ Rezeptor 1-Defekt
IFN-γ Rezeptor 1 (Zytokin-bindende Kette)
AR/AD
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Mykobakterien und Salmonellen,
keine Bindung von IFN-γ
25. IFN-γ Rezeptor 2-Defekt
IFN-γ Rezeptor 2 (Signalkette)
AR
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Mykobakterien und Salmonellen,
kein Signal durch IFN-γ
26. STAT-2-Defekte
STAT-1*
AR
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Viren, Mykobakterien und Salmonellen,
gestörtes IFN-α/β/γ-Signalling
STAT-1*
AD
erhöhte Anfälligkeit gegenüber Mykobakterien und Salmonellen, gestörtes
IFN-γ-Signalling
* Transkriptionsfaktor, der über den IFN-γ-Rezeptor aktiviert wird
Autoinflammatorische Syndrome präsentieren sich klinisch nicht unter dem Leitsymptom der vermehrten Infektanfälligkeit
und sind daher an dieser Stelle nicht erwähnt.
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Die Komplementdefekte sind in einem
eigenen Beitrag tabellarisch dargestellt.
Die in den Tabellen 2 bis 7 wiedergegebene Klassifikation ist sicher nicht perfekt. Sie sollte aber verwendet werden, um
die internationale Kommunikation zu erleichtern. Weitere Updates sind zu erwarten.
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135
Klassifikation angeborener Immundefekte
Tab. 7 Defekte der angeborenen Immunität (XR = X-chromosomal-rezessiv, NEMO = NF-kB essenzieller Modulator, AD = autosomal-dominant, AR = autosomal-rezessiv, NFkB = nukleärer Faktor kB, IRAK4 = IL-1-Rezeptor-assoziierte Kinase 4, SDF-1 = von Stroma-Zellen gebildeter Faktor 1, EVER = Epidermodysplasia verruciformis, TIR = Toll- und IL-1-Rezeptor, HPV = humanes Papillomavirus)
Krankheit
Gendefekt
Vererbung
Merkmale
anhidrotische Ektodermaldysplasie mit Immundefekt (EDA-ID)
NEMO
XR
reduzierte Schweißproduktion, Ektodermaldysplasie*, Fehlen
polysaccharidspezifischer Antikörper, gesteigerte Infektneigung, erhöhte
Anfälligkeit gegenüber Mykobakterien und Salmonellen
anhidrotische Ektodermaldysplasie mit Immundefekt (EDA-ID)
IκBα, gain-of-function Mutation bewirkt Störung der
NFκB-Aktivierung
AD
reduzierte Schweißproduktion, Ektodermaldysplasie*, T-Zell-Defekt,
gesteigerte Infektneigung, erhöhte Anfälligkeit gegenüber Mykobakterien und Salmonellen
IL-1-Rezeptor-assoziierte Kinase 4(IRAK4)-Mangel
IRAK-4
AR
bakterielle Infektionen, Störung des TLR-Signalweges
WHIM(Warzen, Hypogammaglobulinämie,
Infektionen, Myelokathexis)-Syndrom
CXCR4, Rezeptor für CXCL12
AD
Neutropenie, reduzierte B-Zellen, Warzen/HPV-Infektionen, Rezeptor
reagiert zu stark auf Triggerung
Epidermodysplasia verruciformis
EVER1, EVER2
AR
HPV(Gruppe B1)-Infektionen und Hautkrebs
Herpes-simplex-Enzephalitis
UNC93B1, beteiligt an Bildung von IFN-α, -β und -γ AR
HSV-Meningoenzephalitis
Herpes-simplex-Enzephalitis
TLR, beteiligt and Bildung von IFN-α, -β und -γ
HSV-Meningoenzephalitis
AD
* Anmerkung der Autoren: NEMO-Defekte sind auch ohne ektodermale Dysplasie beschrieben worden.
Literatur
1. Geha RS, Notarangelo LD, Casanova JL, Chapel
H, Conley ME, Fischer A, Hammarström L, Nonoyama S, Ochs HD, Puck JM, Roifman C, Seger
R, Wedgwood J. International Union of Immunological Societies Primary Immunodeficiency
Diseases Classification Committee. Primary im-
munodeficiency diseases: an update from the International Union of Immunological Societies Primary Immunodeficiency Diseases Classification
Committee. J Allergy Clin Immunol 2007; 120:
776–794.
2. Wahn V. Das infektanfällige Kind. HNO 2000; 48:
231–234.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Volker Wahn
Klinik für Pädiatrie
mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie
Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Tel.: 0 30/4 50 56 66 93
Fax: 0 30/4 50 56 69 31
E-Mail: [email protected]
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Immundefekte
© 2008
137
Schattauer GmbH
T-zelluläre und kombinierte
T- und B-Zell-Immundefekte
Wilma Mannhardt-Laakmann, Pirmin Habermehl, Fred Zepp
Zentrum Kinder und Jugendmedizin, Johannes Gutenberg Universität, Mainz
(Direktor: Prof. Dr. med. F. Zepp)
Schlüsselwörter
Keywords
Zusammenfassung
Summary
Eingeschränkte T-Zell-Reifung und -Differenzierung, Immunregulationsstörung, kombinierter Immundefekt, Lymphozytenphänotypen, Indikation Stammzelltransplantation
Primäre T-zelluläre Immundefekte umfassen eine Gruppe
seltener Erkrankungen, die Folge genetisch bedingter Störungen der Reifung und Differenzierung bzw. der Aktivierung und Funktion des T-zellulären Immunsystems sind.
Wegen der zentralen immunregulatorischen Funktion der
T-Zellen besteht sekundär häufig auch ein humoraler Immundefekt, sodass es sich funktionell meist um kombinierte Immundefekte handelt, auch wenn B-Lymphozyten prinzipiell vorhanden sind.
Die klinische Einteilung T-zellulärer und kombinierter Immundefekte beruht einerseits auf klinischen Befunden und
darüber hinaus auf immunologisch krankheitsspezifischen
Auffälligkeiten, die sich aus morphologischen, funktionellen und phänotypischen Untersuchungen des lymphatischen Systems ergeben. Die Möglichkeit, die zugrunde liegenden Defekte zunehmend molekulargenetisch zu definieren, erlaubt eine Einteilung nach pathogenetischen Gesichtspunkten. Dies hat bedeutende therapeutische Konsequenzen. Mit dem wachsenden Verständnis der molekularen Pathogenese einer Immundefekterkrankung erweitern sich die Therapiemöglichkeiten, insbesondere die
Stammzelltherapie, um die Option einer Gentherapie. Die
folgende Übersichtsarbeit hat zum Ziel, die klinischen Charakteristika der wichtigsten T-zellulären und kombinierten
Immundefekte darzustellen und einen Einblick in das diagnostische und therapeutische Vorgehen zu geben.
E
in funktionsfähiges Immunsystems
befähigt den Organismus, Infektionserreger zu erkennen und abzuwehren. Dazu reifen lymphatische Vorläuferzellen (hämatopoetische Progenitorzellen) zunächst im Knochenmark heran, verlassen es als unreife Prä-T-Stammzellen und
erfahren im Thymus die genetisch gesteuerte polyklonale Diversifikation, Proliferation
und Differenzierung zur reifen T-Zelle mit
Impaired T-cell maturation, differentiation and immunoregulation, combined immunodeficiency, lymphocyte phenotyping, transplantation of stem cells
Primary T-cell immunodeficiencies consist of a group of rare
genetically determined abnormalities during T-cell maturation and differentiation as well as T-cell activation and
function. Although B-lymphocytes may arise a humoral
deficiency is often associated because the immunoregulatory T-cell-function is impaired.
For years the classification of the “T-cell” as well as of the
“combined T- and B-cell immunodeficiencies” has followed clinical aspects and has been influenced by immunological, phenotypical and functional laboratory results. The
increasing knowledge about gene mutations being the
cause of many different T-cell immunodeficiencies helps to
understand the molecular basis of each single defect and
has an important impact on therapeutic strategies: stem
cell transplantation will be supported by gene replacement
therapy.
In this review the clinical characteristics of the main T-cellular and combined T- and B-cell deficiencies as well as the
current diagnostic and therapeutic approaches are described.
T-cellular and combined T- and B-cell immunodeficiencies
Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 137–149
der Fähigkeit zur spezifischen Antigenerkennung bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber dem Selbst. Die intrathymischen
Reifungsvorgänge finden unter dem Einfluss von T-Zell-spezifischen Wachstumsfaktoren statt, die über ein sich differenzierendes Rezeptorsystem die Funktionsfähigkeit etablieren: Die Immun-Effektorfunktionen werden mittels eines fein abgestimmten Antigen-(Ligand-)Rezeptorsystems und
Signalübertragungsprozessen eingeleitet.
Die resultierende Antigen-spezifische Immunantwort setzt das Zusammenspiel aller
Lymphozyten-Subpopulationen (T-Helfer-,
T-Regulator-, T-Suppressor-, zytotoxische
T-Zellen) voraus. Dieses wird über ein komplexes Geflecht aus Zell-Interaktionen zwischen Erkennungsrezeptoren mit regulativem Austausch von Botenstoffen (Zytokinen) vermittelt.
Wie sich aus der Physiologie der T-ZellMaturation ergibt, führen Störungen in diesem Prozess zu Immundefekten auf unterschiedlichem Niveau: Wird die Ausreifung
der Lymphozyten-Vorläuferzellen bereits
im Knochenmark komplett gehemmt, resultiert ein schwerer kombinierter Immundefekt (severe combined immunodeficiency,
SCID), der aufgrund der fehlenden Infektionsabwehr unbehandelt zum Tode führt. Bei
T-Zell-Differenzierungsstörungen intraoder postthymisch resultiert ein partieller
Immundefekt. Da T-Lymphozyten auch regulative Funktionen ausüben, beziehen
schwerwiegende Störungen immer auch die
humorale Antwort mit ein und auch Autoimmunität ist eine mögliche klinische Komplikation. Der Übergang zu kombinierten
Immundefekten ist fließend.
Die folgende Übersichtsarbeit hat zum
Ziel, die klinischen Charakteristika der
wichtigsten T-zellulären und kombinierten
Immundefekte darzustellen und einen Einblick in das diagnostische und therapeutische Vorgehen zu geben. Bei Verdacht auf
Immundefekt sollte an eine pädiatrisch-immunologische Spezialambulanz oder ein
Immundefektzentrum verwiesen und unverzüglich die spezielle immunologische Labordiagnostik veranlasst werden. Sie erfolgt in spezialisierten Laboratorien für Immunologische Diagnostik, die an verschiedenen Standorten über die Bundesrepublik
verteilt an großen Universitäts-Kinderklini-
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Eingegangen: 10. Dezember 2007; angenommen:For17.personal
Dezember
2007
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
138
Mannhardt-Laakmann, Habermehl, Zepp
ken mit zugehörigen Immundefektambulanzen etabliert sind (Addressen über die
„Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Immunologie“ (API): www.kinderimmunologie.
de und das „Immundefektzentrum der Charité Berlin“: www.immundefekt.de).
1 Klinische Besonderheiten
bei T-zellulären und kombinierten Immundefekten
Patienten mit lymphatischen Immundefekten zeigen klinisch generell eine signifikante Infektionsanfälligkeit mit Neigung
zu schweren polytop auftretenden bakteriellen und viralen Infektionen sowie PilzInfektionen und dem Auftreten ungewöhnlicher infektiöser Komplikationen. Rezidivierende Infektionen mit opportunistischen
Erregern sind charakteristisch. Wenn die
Krankheitsverläufe im frühen Säuglingsalter beginnen, komplizieren Herpes-VirusInfektionen den Verlauf. Klassischerweise
entwickeln sich opportunistische Infektionen (Pilze, Pneumocystis carinii) mit unbeeinflussbarer Gedeihstörung und Infektionen der Atemwege und führen fast durchweg zum Tode. Die BCG(Bacille CalmetteGuérin)-Lebendimpfung (seit einigen Jahren nicht mehr im Impfplan der STIKO
empfohlen) mit Entwicklung einer generalisierten BCG-Infektion ist lebensgefährlich. Fallen Neugeborene mit einem morbilliformen Exanthem oder einer ekzematoiden Dermatitis auf, kann es sich um eine
abortive chronische Graft-versus-Host-Reaktion (GvHR) handeln, die durch mütterliche, diaplazentar übertragene Lymphozyten induziert wurde und meist unkompliziert verläuft. Hingegen ist die Transfusion
unbestrahlter Blutprodukte häufig tödlich.
Die allogen mit transfundierten Lymphozyten induzieren eine akute GvHR, die zu einer fulminanten Entzündungsreaktion im
Bereich von Haut, Abdominalorganen und
Knochenmark führt. Zur Vermeidung dieser fast immer tödlichen Komplikation
müssen Blutprodukte vor Transfusion im
ersten Lebensjahr unbedingt bestrahlt werden.
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Selten manifestieren sich primäre T-ZellDefekte im späteren Kindes- und Adoleszentenalter, meist dann, wenn es sich um
isolierte Störungen T-zellulärer Teilfunktionen handelt. Bei partiellen Immundefekten
können Inflammationsreaktionen undAutoimmunreaktionen das klinische Bild dominieren, Patienten weisen aber ebenfalls eine
erhöhte Infektanfälligkeit auf. Diese Formen der T-Zell-Defekte sind darüber hinaus
durch ein erhöhtes Malignomrisiko charakterisiert.
2 Molekulare Diagnostik
von Immundefekten
Bis heute wurde bei weit über hundert Immundefekten die molekulargenetische Basis geklärt, die Zahl erhöht sich weiterhin.
Hieraus haben sich zahlreiche praktische
Fortschritte ergeben: Die Diagnostik ist präziser und Erkrankungen lassen sich frühzeitig erkennen (bei bekannter Prädisposition
pränatal), was eine fundierte genetische Beratung ermöglicht. Therapieansätze können
an gut definierten Krankheitsentitäten geprüft und verglichen werden. Prognostische
Aussagen werden verbessert, wenn die genaue Mutation bekannt ist und sie eventuell
den Schweregrad der Erkrankung beeinflusst (z. B. beim X-chromosomal vererbten
Wiskott-Aldrich-Syndrom). Die präzise
Diagnose erleichtert die Entwicklung therapeutischer Maßnahmen, beispielsweise Verfahren zur Gentherapie.
Den Immundefekterkrankungen liegen
meistens monogene Störungen zugrunde,
sehr häufig X-chromosomal determiniert.
In diesem Fall führt eine einzige Mutation
zur Manifestation der Erkrankung. Bei den
autosomal-rezessiven Erkrankungen dagegen müssen Funktionsverluste auf beiden
Kopien des auf homologen Chromosomen
lokalisierten Gens vorliegen, damit es zur
Erkrankung kommt. Sie kommen daher seltener vor, wenngleich die Vielzahl autosomal-rezessiver Immundefekte deutlich
größer ist als die der X-chromosomalen Defekte. Seltener sind monogene, autosomaldominant vererbte Erkrankungen, bei denen
die Krankheitsmanifestationen z. B. als Folge einer sogenannten Haploinsuffizienz
(beim DiGeorge Syndrom vermutet) auftritt
oder wenn es als Folge einer dominanten
Mutation zur Bildung eines veränderten
Proteins mit toxischer Wirkung kommt.
ImVergleich zu den reinenT-Zell-Defekten führen beim schweren kombinierten Immundefekt sehr viele verschiedene Genmutationen zu einem klinisch und labordiagnostisch nicht unterscheidbaren Krankheitsbild.
Die global gestörte Ausreifung des lymphatischen Systems kann also Folge unterschiedlicher genetischer Defekte sein, die
sowohl X-chromosomal als auch autosomal-rezessiv mit heterogener Pathogenese vererbt werden. Neben den speziellen immunologischen Methoden sind dementsprechend molekulargenetische Methoden zentraler Bestandteil in der medizinischen Diagnostik von Patienten mit angeborenen Immundefekterkrankungen. Letztere ermöglichen zudem eine tiefgehende Erforschung
immunologischer Zusammenhänge. Darüber hinaus unterliegt die Klassifikation der
primären Immundefekte einer stetigen Anpassung an die Aufklärung der genetischen
Ursachen (8). Sie wird von einer wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der WHO gepflegt (32, 34).
3 Klinisch bedeutsame
Krankheitsbilder T- und
B-zellulärer Immundefekte
3.1 Kombinierte
T- und B-Zell-Immundefekte
3.1.1 Schwere kombinierte Immundefekte
(SCID) (Störung der Reifung
und Differenzierung)
Ist die Lymphopoese im Bereich der Vorläuferzellen tiefgreifend gestört, entwickelt
sich ein Immundefekt, der sowohl das
T-Zell- als auch das B-Zell-System betrifft
und klinisch zu einer schweren generalisierten Infektionsanfälligkeit gegenüber viralen, bakteriellen und Pilz-Antigenen bereits
im frühen Säuglingsalter führt. Ohne
Stammzellersatztherapie ist ein Überleben
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139
T-zelluläre und kombinierte T- und B-Zell-Immundefekte
nicht möglich. Die Häufigkeit kombinierter
Immundefekte wird mit 4/100 000 Neugeborene (42) aufgrund der hohen Frühmortalität wahrscheinlich unterschätzt.
Die angelegten lymphatischen Organe
sind dysplastisch, da eine lymphatische Besiedlung fehlt. Ursächlich lassen sich Differenzierungsdefekte von Funktionsdefekten abgrenzen, die zugrunde liegenden
Gendefekte sind weitgehend aufgeklärt (7,
37; Tab. 1).
SCID (T-B+)
Bei dieser SCID-Form sind B-Zellen vorhanden, aber funktionslos. Der Vererbungsmodus ist zumeist X-chromosomal, insbesondere bei Vorliegen einer Genmutation,
die für die γ-Kette kodiert, die zahlreichen
Interleukin-Rezeptoren (IL-2- [33], IL-4-,
IL-7-, IL-9-, IL-15-, IL-21-Rezeptoren)
gemeinsam ist und auf allen Lymphozyten
exprimiert wird. Seltener liegen autosomalrezessive Erbgänge vor (Mutationen im
JAK3-Gen [23], IL-7α-Gen [16],
CD45-Gen, CD3δ-Gen [10]).
Die häufigste SCID-Form mit 50–60 %
der Fälle ist der X-chromosomal vererbte
B+-SCID. Während T-Lymphozyten und
NK-Zellen fehlen, sind B-Zellen nachweisbar, die jedoch ohne Funktion sind. Da die
B-Zell-Zahl sogar erhöht sein kann, weisen
die betroffenen Patienten meist keine ausgeprägte Lymphozytopenie auf. Der Erkrankung liegen Mutationen des Gens, das
die „common γ-chain“ kodiert, zugrunde.
Diese Rezeptor-Kette ist Bestandteil zahlreicher Interleukin-Rezeptoren, so u. a. für
IL-7, das für die Ausreifung von T- und NKZellen von zentraler Bedeutung ist. Eine andere Form des B+-SCID wird autosomal-rezessiv vererbt und betrifft damit auch Mädchen. Dieser Erkrankung liegen Mutationen
des JAK-3-Kinase-Gens zugrunde.
SCID (T-B-)
Bei Störungen der Ausbildung Antigen-spezifischer Rezeptoren in lymphatischen Vorläuferzellen durch Genmutation (RAG-1,
RAG-2,Artemis-Gen; autosomal-rezessiv)
resultiert ein kompletter Ausfall lymphatischer Zellen: weder T- noch B-Lymphozyten sind nachweisbar. Eine Sonderform der
RAG-Mutationen (Missense-Mutation) findet sich beim Omenn-Syndrom (2), das
Tab. 1 Wichtige Krankheitsbilder kombinierter Immundefekte
schwere kombinierte Immundefekte (SCID)
(Störung der Reifung und Differenzierung)
●
●
●
●
SCID (T-B+)
SCID (T-B+)
retikuläre Dysgenesie
Adenosindeaminase(ADA)-/
Purinnucleosidphosphorylase(PNP)-Mangel
kombinierte Immundefekte (CID) mit T- und B-Zellen
(Störungen der T-Zell-Aktivierung)
●
●
●
●
MHC-Klasse-I- und MHC-Klasse-II-Defekt
CD3γ- bzw. CD3ε-Defekt
CD8α-Gendefekt
ZAP-70-Defekt
auch klinische Charakteristika wie Erythrodermie, Hepatosplenomegalie und Eosinophilie aufweist, wobei die Symptome Ausdruck einer autoaggressiven Reaktion pathologisch aktivierter autologer T-Zellen
sind.
Sonst fehlen bei dieser Form der Erkrankung T- und B-Zellen vollständig, sodass eine ausgeprägte Lymphozytopenie bzw.
Alymphozytose besteht. Die wenigen zirkulierenden lymphatischen Zellen sind funktionstüchtige NK-Zellen. Die Vererbung ist
autosomal-rezessiv, sehr häufig sind die Eltern konsanguin. Die hochgradig gestörte
Ausreifung der Lymphozyten ist Folge einer
defekten V(D)J-Rekombination des T-ZellRezeptors und der Immunglobulin-Gene.
Es wurden Mutationen im Bereich der für
die Enzyme RAG-1 und RAG-2 kodierenden Gene gefunden.
Retikuläre Dysgenesie
Die extremste Form einer angeborenen Immunfunktionsstörung ist die retikuläre Dysgenesie. Hier ist die Reifungsdefizienz vonTund B-Lymphozyten mit einem myeloischen
Stammzelldefekt (Agranulozytose) gepaart.
Vererbungsanalysen zeigen einen autosomalrezessivenVerlauf ohne Kenntnis der zugrunde liegenden Genmutation. Klinisch besteht
bei der Geburt bereits eine signifikante Leuko- und Thrombopenie.
Adenosindeaminase(ADA)-/Purinnucleosidphosphorylase(PNP)-Mangel
Enzymdefekte im Purinstoffwechsel führen
zur Akkumulation toxischer Stoffwechsel-
metabolite (Deoxyadenosin/Deoxy-ATP/
DeoxyGTP) in Lymphozyten mit Hemmung
ihrer Proliferation und somit Ausreifungsstörung. Sekundär entwickelt sich ein kombinierter Immundefekt, dessen Ausmaß mit
dem Schweregrad des Enzymmangels korreliert. Insbesondere beim PNP-Defekt kann
die humorale Immunfunktion erhalten sein.
Entsprechend einer Immunregulationsstörung können Autoimmunphänomene wie eine hämolytische Anämie auftreten (25).
Bei etwa 10% der SCID-Patienten ist eine
Störung des Purinstoffwechsels, am häufigsten ein Mangel der Adenosindeaminase
(ADA), sehr viel seltener der Purinnukleosidphosphorylase (PNP), Ursache des Immundefektes. Als Folge des Enzymmangels
kommt es zu einem extra- und intrazellulären
Aufstau toxischer Stoffwechselmetaboliten,
vor allem von Deoxyadenosin und DeoxyATP bei ADA-Mangel und von Deoxy-GTP
bei PNP-Mangel. Lymphatische Zellen, die
physiologischerweise über besonders hohe
Aktivitäten dieser Enzyme verfügen, werden
bevorzugt geschädigt, die Proliferation dieser
Zellen wird gehemmt. Die Ausprägung der
Immundefizienz bei ADA-Mangel ist uneinheitlich. Während bei der Mehrzahl der Patienten schon bei Geburt das Vollbild des
SCID besteht, beobachtet man bei einzelnen
Patienten zunächst nur abgeschwächte Immunfunktionen, die innerhalb von Jahren eine progrediente Verschlechterung erfahren.
Diese Variabilität beruht auf unterschiedlichen Mutationen des für das ADA-Enzym
kodierenden Gens, die nicht immer mit einem vollständigen Enzymmangel einhergehen. Bei Patienten mit PNP-Mangel sind,
im Gegensatz zum schweren ADA-Mangel,
humorale Immunfunktionen in der Regel erhalten. Betroffene Patienten zeigen zusätzlich häufig psychomotorische Auffälligkeiten und autoimmunologische Störungen wie
hämolytische Anämie.
3.1.2 Kombinierte Immundefekte (CID)
mit T- und B-Zellen (Störungen
der T-Zell-Aktivierung)
Es handelt sich hierbei um funktionelle Defekte reifer, postthymischer T-Zellen. Allerdings ist eine Immunantwort durch die gestörte Signalaufnahme und/oder Verarbeitung nicht möglich, sekundär resultiert ein
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
140
Mannhardt-Laakmann, Habermehl, Zepp
Tab. 2
Untersuchungsbefunde bei kombinierten Immundefekten
Blutbild
Lymphozytopenie (nicht obligat), häufig Eosinophilie, Thrombozytose
Agranulozytose bei retikulärer Dysgenesie
Röntgen/Sono Mediastinum
fehlender Thymus (Mediastinum schmal, Retrosternalraum leer)
Immunglobuline im Serum
IgG niedrig/abfallend, IgA/IgM meist fehlend, selten normale Werte
Lymphozyten-Oberflächenmarker
T-Zellen meist niedrig/fehlend, falls vorhanden, oft abnorme Verteilung der
T-Zell-Subpopulationen (CD4, CD8)
B-Zellen variabel, auch erhöht, evtl. fehlende HLA-DR Expression
Hauttestung
Anergie, nur verwertbar bei gesicherter Antigenexposition, z. B. bei geimpften Patienten (Diphterie, Tetanus) oder bei Infektionen (Candidiasis, BCG-Impftuberkulose)
Lymphozyten-Proliferation (in vitro)
Stimulation mit Mitogen-/T-Zell-Antikörper meist deutlich erniedrigt oder fehlend,
negativ mit spezifischen Antigenen
Antikörper-Antwort
Isoagglutinine niedrig/fehlend (bei Gesunden erst ab 6. Lebensmonat Anstieg!)
Impfantwort immer fehlend
(cave: mütterliche Antikörper, IgG-Substitution)
HLA-Typisierung
Nachweis mütterlicher bzw. fremder Lymphozyten
ADA-/PNP-Aktivität (Erythrozyten)
fehlende Enzymaktivität beweisend (nach Transfusion falsch positive Werte!)
Histologie
Lymphknoten
Lymphozytendepletion, keine Lymphfollikel
Darmschleimhaut
kein lymphatisches Gewebe
Haut
Zeichen einer GvHD
Knochenmark
fehlende Plasmazellen
humoraler Immundefekt aufgrund der fehlenden Steuerung der B-Zellen durch T-Zellen.
Das durch den T-Zell-Antigen-Rezeptor(TCR)-CD3-Komplex vermittelte Signal
ist nicht nur für die T-Zell-Aktivierung und
die Einleitung spezifischer T-Zell-Funktionen von grundsätzlicher Bedeutung, sondern auch für die intrathymische Ausreifung und Differenzierung entscheidend.
Die intrazelluläre Signalübermittlung von
Lymphozyten kann durch genetische Defekte an verschiedenen Stellen gestört werden. Störungen der Expression eines funktionsfähigen TCR-CD3-Komplexes oder
Defekte nachgeordneter Signalübertragungsschritte bis hin zur Expression von
Zytokin- und Rezeptor-Genen führen daher
nicht nur zu T-Zell-Funktionsausfällen,
sondern können die komplette Entwicklung
des T-Zell-Systems negativ beeinflussen.
Die wichtigsten Funktionsdefekte finden
sich beim MHC-Klasse-II- und MHCKlasse-I-Defekt, beim CD3γ- bzw.
CD3ε-Defekt sowie bei den Signaltransduktionsstörungen
(CD8α-Gendefekt,
ZAP-70-Defekt), deren Genmutationen
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
weitgehend aufgeklärt sind (7). Der Vererbungsmodus ist autosomal-rezessiv.
SCID als Folge einer gestörten Expression von MHC wird besonders bei Patienten
nordafrikanischer Abstammung beobachtet. Die Erkrankung manifestiert sich meist
im späteren Säuglingsalter durch eine nicht
beherrschbare Gedeihstörung sowie durch
rezidivierende Atemwegsinfekte. Bei meist
normaler Anzahl von T- und B- Lymphozyten bestehen deutliche Funktionseinschränkungen. Bei der HLA-Typisierung fällt die
fehlende Expression von MHC-Klasse-IIAntigenen auf, während MHC-KlasseI-Antigene unterschiedlich stark exprimiert
sein können. Der Erkrankung liegen unterschiedliche Gendefekte zugrunde, die zu
Störungen der Regulation der MHC-Antigenexpression führen.
3.1.3 Klinik der kombinierten
Immundefekte
Zelluläre und kombinierte Immundefekte
manifestieren sich durch das frühzeitige
Auftreten ungewöhnlicher infektiöser
Komplikationen. Die Krankheitsverläufe
beginnen im Alter von wenigen Wochen mit
postnatal progredienter Gedeihstörung aufgrund einer chronischen Enteritis, chronisch mukokutaner Candidiasis, persistierender Pneumonitis mit trockenem Husten
und pulmonaler Obstruktion. Störungen der
zellulären Immunität prädisponieren zu Infektionen durch Viren, Pilze, Parasiten und
intrazellulären Bakterien (oft opportunistische Erreger). Die Infektionen treten rezidivierend auf und heilen weder spontan noch
unter antibakterieller Therapie vollständig
aus. Schwerste virale Infektionen, insbesondere Varizellen-, Herpes-Typ-I-/II- und
CMV(Zytomegalievirus)-Infektionen komplizieren den Verlauf und führen fast durchweg zum Tode. Im weiteren Verlauf kommt
es zu therapieresistenten Pilzinfektionen
der Schleimhäute, chronischen intestinalen
Infektionen, Infektionen der Atemwege mit
interstitieller Pneumonie, häufig ausgelöst
durch opportunistische Erreger (Pneumocystis carinii). Die BCG-Impfung kann zu
einer generalisierten BCG-Infektion unbehandelt mit tödlichem Ausgang führen. Vereinzelt fallen die Patienten schon im Verlauf
der ersten Lebenstage durch die Entwicklung eines morbilliformen Exanthems oder
einer ekzematoiden Dermatitis mit Pruritus
und Bluteosinophilie auf. Hierbei handelt es
sich um das Korrelat einer durch mütterliche, diaplazentar übertragene Lymphozyten
induzierten, abortiven chronischen Graftversus-Host-Reaktion (GvHR).
Untersuchungsbefunde: (Tab. 2) Nicht
tastbare Lymphknoten, fehlendes tonsilläres Gewebe und röntgenologische oder sonografische Nichtdarstellbarkeit eines Thymus sind nahezu pathognomonisch für
SCID. Bei Patienten mit ADA-Defekt kann
eine Auftreibung im Bereich der kostochondralen Übergänge ähnlich wie bei rachitischem „Rosenkranz“ auffallen. Betroffene Säuglinge sind nur in den ersten Lebenswochen klinisch unauffällig. Während
bei vollgestillten Säuglingen auch ein längeres symptomfreies Intervall bestehen
kann, wird die große Mehrzahl im 2. oder 3.
Lebensmonat durch schwere Infektionen
symptomatisch. Einige Infektkomplikationen treten mit so großer Regelmäßigkeit
auf, dass ein fast stereotypes Krankheitsbild, bestehend aus schwerer Gedeihstörung
als Folge rezidivierender bzw. chronischer
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Mannhardt-Laakmann, Habermehl, Zepp
Tab. 3
Wichtige Krankheitsbilder T-zellulärer Immundefekte
Andere, gut definierte Immundefekt-Syndro- Wiskott-Aldrich-Syndrom
me mit T-Zell-Defekt
DNA-Reparatur-Defekte
Thymusdefekte
●
Ataxia teleangiektatika
Nijmegen-Chromosomeninstabilitäts-Syndrom
●
DiGeorge-Syndrom
●
Chediak-Higashi-Syndrom
Griscelli-Syndrom
●
chronisch mukokutane Candidiasis
Hyper-IgE-Syndrom
Erkrankungen bei Immundysregulation
Immundefekte mit Albinismus
●
familiäre hämophagozytierende
Lymphohistiozytose (HLH)
autoimmunes lymphoproliferatives
Syndrom (ALPS)
Immundefekte als Begleitsymptom bei anderen genetisch determinierten Erkrankungen
intestinaler Infektionen, Zeichen der respiratorischen Insuffizienz als Folge persistierender viraler Infekte sowie ausgedehnter
Candidiasis, besonders im Bereich des Oropharynx, resultiert. Eine häufige und akut
lebensbedrohliche Komplikation ist die
durch Pneumocystis carinii ausgelöste
Pneumonie. Die wirksame Prophylaxe und
Behandlung dieser Komplikation ist einer
der Gründe für die inzwischen deutlich
niedrigere Rate früher Todesfälle bei SCID.
Bakterielle Infektionen sind vor allem rezidivierende Mittelohrentzündungen, nicht
selten kompliziert durch Mastoiditis, lokalisierte Hautabszesse sowie bakterielle Septikämien und Lobärpneumonien.
Fatale Komplikationen einer generalisierten BCG-Infektion nach Impfung zeigen sich klinisch als infiltrative, später ulzerative Veränderungen im Bereich der Impfstelle und der regionalen Lymphknoten mit
Entwicklung von multiplen papulopustulösen Hauteffloreszenzen als Ausdruck der
systemischen Streuung der Mykobakterien.
Häufig sind das Skelettsystem in Form lokalisierter, osteolytischer Herde sowie Leber, Milz, Lymphknoten und Lungen betroffen. Differenzialdiagnostisch kann u. a. der
Verdacht auf eine Histiozytosis X aufkommen, vor allem wenn ausgedehnte Infiltrationen betroffener Organe durch Histiozyten bestehen. Der Nachweis säurefester Mykobakterien ist entscheidend für die DiagKinder- und Jugendmedizin 3/2008
nose der BCG-Histiozytose. Die tuberkulostatische Behandlung verzögert lediglich
das weitere Fortschreiten, die Überwindung
der Infektion ist nur im Rahmen einer Immunrekonstitution durch Stammzelltransplantation möglich.
Infolge des kompletten Ausfalls der immunologischen Abwehrfunktionen kommt
es bei SCID zu spezifischen Komplikationen, die diagnostisch wegweisend sein können. Durch eine transplazentare maternofetale Transfusion immunkompetenter
mütterlicher Lymphozyten wird eine Graftversus-Host-Reaktion im Säugling ausgelöst (s. o.). Die Patienten fallen durchVeränderungen im Bereich der Haut auf, ähnlich einer Neurodermitis. Im Extremfall besteht eine generalisierte Dermatitis mit nässenden, desquamativen oder chronisch-entzündlichen, ekzematösen Veränderungen,
meist begleitet von einer auffallenden
Bluteosinophilie und einem quälenden Pruritus. Diese Manifestationen sind mit denen
bei Omenn-Syndrom identisch, hier jedoch
Ausdruck der primären, durch mütterliche
T-Lymphozyten ausgelösten, GvHR. Man
findet mütterliche T-Zellen bei über der
Hälfte der Patienten, meist in sehr niedriger
Zahl. Ausprägung und Schweregrad klinischer Zeichen der GvHD, überwiegend im
Bereich der Haut, sind variabel (31). Demgegenüber kommt es nach Bluttransfusionen charakteristischerweise zu einer akuten
GvHD mit schwerer Dermatitis, Enteropathie bis hin zum Ileus, Hepatitis mit Leberversagen und einer irreversiblen Panzytopenie mit tödlichem Ausgang durch fehlende Therapieoptionen. Die Prophylaxe
durch generelle Bestrahlung von Blutprodukten vor jeglicher Transfusion im Säuglings- und Kindesalter stellt die einzige
Möglichkeit dar, eine solche lebensbedrohliche Komplikation zu vermeiden.
Diagnose: Familienanamnese mit engem
Verwandtschaftsgrad der Eltern sowie bei
körperlicher Untersuchung fehlende tastbare Lymphknoten und nicht sichtbaren Tonsillen können bereits die Grundlage einer
Verdachtsdiagnose bilden. Fehlt sonografisch und/oder röntgenologisch der normalerweise ausgeprägt sichtbare Säuglingsthymus, sollte unverzüglich die spezielle immunologische Labordiagnostik angeschlossen werden.
Lymphopenie mit Werten unter 1 000 µl,
Eosinophilie und Thrombozytose in Kombination mit fehlenden T-Lymphozyten sind
klassische Befunde bei SCID. Die SerumImmunglobulinspiegel (insbesondere auch
Isohämagglutinine) fehlen, bei jungen gestillten Säuglingen können IgG-Immunglobuline von der Mutter jedoch diagnostisch
verwirren.
Lymphozytenphänotypisierung der T- und
B-Lymphozyten-Subpopulationen sowie
Lymphozyten-Proliferationstests auf Stimulation mit polyklonalen und spezifischen
T-Zell-Antigenen zeigen die Funktionsunfähigkeit des Immunsystems. Sind T-Zellen
nachweisbar, kann die HLA-Typisierung
klären, ob maternale Lymphozyten im Kind
proliferieren. Von zentraler Bedeutung für
die Diagnostik sind weiterhin Untersuchungen, welche die Fähigkeit zur Ausbildung
spezifischer Immunantworten prüfen.
Inzwischen ermöglicht dieVerfügbarkeit
spezieller immunologischer Messmethoden
(besondere Zytokinassays) eine genauere
funktionelle Charakterisierung des zugrunde liegenden Defektes, welcher dann molekulargenetisch bestätigt werden kann. Die
molekulare Aufklärung im Einzelfall hat
auch für eine zukünftige genetische Beratung und Pränataldiagnostik für die betroffene Familie eine wichtige Bedeutung.
Therapie: Die Stammzelltransplantation ist
die einzige kurative Therapieoption. Alle üb-
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T-zelluläre und kombinierte T- und B-Zell-Immundefekte
rigen Behandlungsmaßnahmen dienen der
Infektvorbeugung und -bekämpfung und
sind im günstigsten Fall geeignet, eineVerzögerung weiterer Komplikationen bzw. eine
vorübergehende Stabilisierung zu erreichen.
Bei Infektionsverdacht wird nach mikrobiologischer Diagnostik unverzüglich mit einer
breiten antimikrobiellen Therapie begonnen.
Zum Erregernachweis müssen auch invasive
diagnostische Eingriffe, wie z.B. die bronchoalveoläre Lavage, erwogen werden. Bei
akuter Pneumonie sollte wegen der hohen
Wahrscheinlichkeit einer Pneumocystis carinii-Infektion sofort eine entsprechende antimikrobielle Therapie begonnen werden. Bei
BCG-geimpften Patienten ist eine Kombinationstherapie mit INH (Isonicotinsäurehydrazid) und Rifampicin notwendig, auch
wenn die klinischen Zeichen einer systemischen Infektion fehlen, um eine weitere systemische Streuung zu verhindern. Die betroffenen Kinder müssen streng isoliert und
praktisch keimfrei gepflegt werden. In jedem
Fall werden eine Pneumocysti carinii- und
Pilz-Prophylaxe initiiert. Immunglobuline
werden regelmäßig in hoher Dosierung substituiert. Blutprodukte sollten CMV-frei getestet sein und müssen vor Transfusion bestrahlt werden. Lebendimpfungen sind
streng kontraindiziert (24). Die Ernährung
der dystrophen Kinder muss in der Regel parenteral ergänzt werden und erfordert einen
zentralen Zugang.
Die Stammzelltransplantation lymphohämatopoetischer Spenderzellen muss so
früh wie möglich erfolgen; ein guter Allgemeinzustand des Patienten begünstigt den
Transplantationserfolg. Durch Vorbehandlung des Stammzelltransplantats mit dem
Ziel der T-Zell-Depletion kommen auch Eltern mit einem haploidentischen genetischen Hintergrund als Spender infrage (3,
4). Bei rechtzeitiger Diagnosestellung ist
die Stammzelltransplantation bei der Mehrzahl der Patienten erfolgreich.
Für SCID mitADA-Mangel lässt sich die
Immunfunktion auch durch Enzymsubstitution verbessern. Darüber hinaus sind erste
gentherapeutische Ansätze zur Substitution
des defekten Gens in Erprobung (1).
Prognose: Ohne Stammzelltransplantation
versterben alle Patienten während des ersten
Lebensjahres. Bei allogener Empfänger-/
Spender-Konstellation kann sich im im-
mundefekten Empfänger eine „Graft-versus-host-Disease“ entwickeln, die je nach
medikamentösem Behandlungserfolg die
Prognose mitbestimmt. Häufig müssen die
Patienten trotz erfolgreicher Rekonstitution
des T-Zell-Systems lebenslang mit Immunglobulinen substituiert werden.
3.2 Andere gut definierte Immundefekt-Syndrome mit T-Zell-Defekt
Im Vergleich zu den kombinierten Immundefekten, bei welchen die T-Zell-Entwicklung bereits auf Ebene der Stammzelle gestört ist, handelt es sich bei den Immundefektsyndromen mit T-Zell-Defekt um Störungen im Bereich der Zelldifferenzierung
und Aktivierung (Tab. 3). Wegen der zentralen immunregulatorischen Funktion der
T-Zellen kommt es neben der Infektanfälligkeit zu Autoimmunphänomenen und Autoimmunerkrankungen.
3.2.1 Wiskott-Aldrich-Syndrom
Bei diesem X-chromosomal vererbten
Krankheitsbild treten klinisch die Symptome der Trias Thrombozytopenie, chronisches Ekzem und Anfälligkeit für rezidivierende opportunistische Infektionen auf.
Die Ursache liegt in der Mutation des
WASP-Gens, was in letzter Konsequenz
lymphozytäre Tyrosinkinasen, die für Rezeptor-vermittelte Signaltransduktionsprozesse bei der Aktivierung der Immunantwort (T- und B-Zellen) eine Rolle spielen, in
ihrer Funktion beeinträchtigt (20). Bei der
Differenzierung der Thrombozyten bewirkt
das WASP-Protein die Polymerisation von
Actinfilamenten. Die Thrombozytopenie
entsteht durch vermehrten Abbau in der
Milz.
Klinik: Die Thrombozytopenie führt bereits bei Neugeborenen zu schweren petechialen und im weiteren Verlauf gastrointestinalen und zerebralen Blutungen. Nach
dem ersten Lebenshalbjahr treten rezidivierende Infektionen wie Otitiden, Pneumonien, Septikämien und Meningitiden meist
durch Pneumokokken, Meningokokken,
Haemophilus influenzae (Kapsel-tragenden
Bakterien) sowie opportunistische Infektionen (Pneumocystis carinii) auf. Virale In-
fektionen (z. B. Herpes, Varizellen) verlaufen schwer. Ein Ekzem wie bei atopischer
Dermatitis tritt bereits während der ersten
Lebensmonate auf. Charakteristisch ist die
Entwicklung von Autoimmunphänomenen (Arthritis, Vasculitis, hämolytische
Anämie, Neutro-/Thrombopenie) (12).
Diagnostik: Thrombozyten sind sowohl in
Anzahl (unter 100000/µl) als auch Funktion
beeinträchtigt (Größe halbiert, Aggregationsfähigkeit vermindert). Bei der immunologischen Phänotypisierung sind B-Zellen vorhanden, IgA und IgE erhöht, Paraproteine im
IgG-Bereich zuweilen nachweisbar. Demgegenüber sind IgM immer vermindert, Isoagglutinine fehlen, die IgM-Polysaccharidantwort versagt.Antigen-spezifischeAntikörper werden unzureichend gebildet. DieT-ZellImmunität ist anfänglich normal und nimmt
im Verlauf mehrerer Jahre progredient ab. In
T-Zell-Proliferations-untersuchungen fallen
vor allem Einschränkungen auf spezifische
Antigene (z.B.Tetanus,Allo-AG) auf. Schwere Lymphopenien werden nach dem sechsten
Lebensjahr beobachtet. In den Lymphknoten
und der Milz entsteht eine Zellverarmung der
T-Zell-abhängigen Regionen. Die Hautreaktion vom verzögerten Typ ist reduziert oder
fehlt. Den Monozyten fehlt in etwa 50% der
Fälle der Fc-Rezeptor für IgG.
Die molekulargenetisch nachweisbare
Mutation im WASP-Gen (auf dem kurzen
Arm von Chromosom Xp11.22–11.3) beweist die Diagnose im Verdachtsfall; eine
positive Familienanamnese ist möglich.
Therapie und Prognose: Die Erkrankung
kann durch HLA-identische Stammzelltransplantation erfolgreich therapiert werden (14). Bis zum Zeitpunkt der Intervention sollten eine antimikrobielle Prophylaxe
sowie regelmäßige Immunglobulingaben
i. v. durchgeführt werden (22). Das Ekzem
kann durch Kuhmilch- und Ei-freie Diät behandelt werden. Die Langzeitprognose ist
durch das besondere Risiko der Malignomentwicklung (lymphoretikulär, myeloische
Leukämie) getrübt.
3.2.2 DNA-Reparaturdefekte
Die Ataxia teleangiektatika (Louis-BarSyndrom) beruht auf einem großen Gendefekt des ATM-Gens mit autosomal-rezessiver Vererbung. In der Folge treten klinisch
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
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Mannhardt-Laakmann, Habermehl, Zepp
eine progrediente zerebelläre Ataxie, geistige Retardierung, okulokutane Teleangiektasien, endokrine Störungen (Diabetes mellitus, Hypogonadismus) sowie Symptome
eines kombinierten Immundefektes auf
(bronchopulmonale Infektionen).
Pathogenese: Es handelt sich um eine
durch einen singulären Gendefekt ausgelöste Multisystemkrankheit. Das für das
Krankheitsbild verantwortliche Gen (ATMGen) kodiert ein Homolog einer Phosphatidylinositol-3-Kinase. Dieses Enzym ist in
die Signalübertragungskette eingebunden
und spielt generell bei der meiotischen Rekombination und der Zellzyklus-Kontrolle
eine Rolle. Dies erklärt die erhöhte Empfindlichkeit der AT-Zellen nach DNA-Schädigung (Radiosensitivität) (43, 47). Interessanterweise treten bei derAtaxia teleangiektatika Chromosomenbrüche und Translokationen 40-fach häufiger als erwartet an den
Chromosomen 7 und 14 auf. Die betroffenen Regionen sind für die Entwicklung des
Immunsystems (14q11.2 – α-Kette des
T-Zell-Antigen-Rezeptors, 7q35 – β-Kette
des TCR, 7q15 – γ-Kette des TCR, 14q32 –
schwere Immunglobulin-Ketten = Gene der
Immunglobulin-Gen-Superfamilie) von essenzieller Bedeutung. Der Immundefekt mit
funktionellen immunologischen Störungen
erklärt sich dementsprechend durch die
ATM-bedingte Störung der Signalübertragung zwischen Zytoplasma und Zellkern.
Die neurologischen Symptome (kortikale
zerebelläre Degeneration) könnten durch
eine ungenügende Signalverarbeitung in
neuronalen Zellen bedingt sein.
Das ATM-Genprodukt scheint für zwei
unabhängige Funktionen verantwortlich zu
sein: als Sensors für eine DNA-Schädigung
im Zellkern sowie als Regulator für die zytoplasmatische Signaltransduktion von der
Membran zum Nukleus.
Klinische Symptomatik: Die klinische
Symptomatik mit Ataxie, Teleangiektasien
und progeroidem Habitus entwickelt sich etwa ab dem 2. Lebensjahr progredient, wobei
die zerebelläre Ataxie initial zunächst als
motorische Ungeschicklichkeit („Clownsgang“) fehlinterpretiert werden kann. Störungen wie Choreoathetose, extrapyramidale Symptome und geistige Retardierung treten im Verlauf hinzu. Ab dem 3. bis 5 Lebensjahr entwickeln sich Teleangiektasien
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im Bereich der Konjunktiven, später an den
Ohren, im Schulter-Hals-Bereich sowie an
den Beugeseiten der Arme. Lichtexponierte
Hautregionen sind bevorzugt betroffen. Weitere Symptome sind Depigmentierung der
Haare, Vitiligo, Café-au-lait-Flecken, Sklerodermie-ähnliche Hautveränderungen und
ein progeroider Habitus.
Diagnose: Bei voll ausgeprägtem Krankheitsbild ist die Zahl αβ-TCR-tragender
T-Zellen im peripheren Blut vermindert,
der Anteil γδ-positiver Zellen dagegen erhöht. T-Helferzellen zeigen eine verminderte Proliferation sowie eine eingeschränkte Lymphokin-Produktion. Auch
die Aktivität zytotoxischer T-Zellen gegenüber viralen Antigenen ist reduziert. Das
CD4/CD8-Verhältnis ist erniedrigt. Die
Funktion der natürlichen Killerzellen und
der T-Suppressor-Zellen sind in der Regel
normal. Der Thymus ist dysplastisch mit
embryonalen Strukturelementen. Die humorale Immunfunktion ist durch erhöhte
Serum-IgM-Spiegel bei eingeschränkter
Produktion der übrigen Antikörperklassen
gekennzeichnet. Es werden keine spezifischen Antikörper gegenüber den Polysaccharid-Antigenen von bekapselten
Bakterien gebildet. In 70 % der Fälle besteht ein selektiver IgA-Defekt, bei 80 %
der Patienten sind die IgE-Spiegel vermindert. Etwa die Hälfte der Betroffenen hat
einen IgG2- und IgG4-Mangel. Kinder mit
einem kombinierten IgG2- und IgA-Mangel tragen ein besonders hohes Infektionsrisiko. Im Verlauf der Erkrankung können
Autoantikörper gegen Hirn- und Thymusgewebe nachweisbar werden sowie autoimmun bedingte hämolytische Anämien,
Thrombozytopenien sowie ein Diabetes
mellitus auftreten. Diagnostisch hilfreich
ist der Nachweis erhöhter Konzentrationen
von α-1-Fetoprotein und des karzinoembryonalen Antigens. Bei Verdacht ist
die molekulargenetische Untersuchung
des ATM-Gens indiziert und kann auch in
der pränatalen Diagnostik genutzt werden.
Therapie: Bei der Therapie des Immundefektes stehen symptomatische Maßnahmen
im Vordergrund, da aufgrund des DNA-Reparaturdefektes hohe Risiken bezüglich der
myeloablativen Konditionierung vor einer
eventuellen Stammzelltransplantation stehen. Die Stammzelltranplantation beein-
flusst ohnehin lediglich den immunologischen Defekt ohne die Progredienz der neurologischen Symptome aufhalten zu können.
Die immunologische Dysbalance führt
zu einer Neigung zur Anti-IgA-Antikörperbildung. Daher müssen für die regelmäßig
notwendige Immunglobulinsubstitution (alle 3–4 Wochen 0,4 g/kg KG) IgA-arme Präparate ausgewählt werden. Eine antiinfektiöse Dauerprophylaxe (z. B. Cotrimoxazol), die Verwendung von bestrahlten
CMV-freien Blutprodukten sowie die Vermeidung von Lebendimpfungen sind weitere wichtige Behandlungsstrategien. Die
Prognose wird durch die schwere Behinderung mit Infektionsanfälligkeit besonders
pulmonal sowie die gesteigerte Malignomentwicklung bestimmt (18).
Das Nijmegen-Chromosomeninstabilitäts-Syndrom ist ein autosomal-rezessiv
vererbter Symptomenkomplex aus Minderwuchs, Mikrozephalie, mentaler Retardierung, Café-au-lait-Flecken und gesteigerter
Infektionsanfälligkeit. Die Patienten fallen
klinisch durch ihr besonderes Gesicht (Mikro-/Retro- oder Agnathie, große Nase, Hypotelorismus, tiefsitzende Ohren), Klinodaktylie des 5. Fingers, Vitiligo, exzessive
Sommersprossenbildung und Fehlbildungen des Harntraktes (Hydronephrose, Reflux) auf. Der Gendefekt betrifft das
NBS1-Gen auf Chromosom 8q21, welches
fürAnteile eines DNA-Reparaturkomplexes
kodiert und klar vom ATM-Gen abzugrenzen ist (49). Spontane Chromosomenbrüche
betreffen allerdings wie bei der Ataxia teleangiektatika Gene der Immunglobulin-Superfamilie (gehäuft an den Chromosomen 7
und 14) mit einem resultierenden Immundefekt insbesondere der T-Helferzellen sowie
eingeschränkter zytotoxischer T-Zell-Funktion, humoraler Defizienz mit Mangel an
Antigen-spezifischen Antikörpern, gesteigerter Radiosensitivität sowie einem erhöhten Malignomrisiko.
Die Therapie ist in Analogie zur Ataxia
teleangiektatika supportiv. Autoimmunphänomene sind bislang nicht berichtet worden.
Molekularbiologisch lassen sich bislang
mindestens zwei weitere DNA-Reparaturdefekte (LIG4-Syndrom, Bloom-Syndrom)
mit ähnlichem z. T. aber sehr variabel ausgeprägtem Immundefekt abgrenzen (35).
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T-zelluläre und kombinierte T- und B-Zell-Immundefekte
Das ICF-Syndrom wird durch die
Hauptsymptome Immundefekt, zentromere
Heterochromatin-Instabilität und faziale
Dysmorphien definiert und autosomal-rezessiv vererbt. Es besteht eine vermehrte
Brüchigkeit der Zentromer-Heterochromatinregionen, vor allem an den Chromosomen 1, 9 und 16, seltener auch an Chromosom 2. Die auffälligsten Anomalien sind
vielarmige Konfigurationen, welche durch
Duplikation oder Deletion entstehen. Wahrscheinlich ist eine Mutation im DNA-Methyltransferase-3B-Gen, die zu einer Methylierungsstörung von DNA-Satelliten der
Zentromerregion der Chromosomen 1, 9
und 16 führt und die vermehrte Chromosomen-Brüchigkeit begünstigt, für das Syndrom verantwortlich. Da Methylierungsvorgänge auch für das V(D)J-Rearrangement
von Rezeptorstrukturen bei T- und B-Zellen
von Bedeutung sind, ergibt sich hier ein pathogenetischer Zusammenhang zu den Immunfunktionsstörungen des Syndroms.
Klinische Symptome: Die klinischen
Symptome sind durch Gesichtsanomalien,
makrozephale Kopfkonfiguration, postnatalen Kleinwuchs, Hepatosplenomegalie,
die Entwicklung eines Hydrozephalus und
eine verzögerte mentale Entwicklung gekennzeichnet.
Schon innerhalb der ersten Lebensmonate entwickeln die Kinder schwerste, therapieresistente Diarrhöen und rezidivierende
Infektionen des Respirationstraktes. Überzufällig wird das Auftreten einer Chorioretinitis nachgewiesen.
Immunologie: Immunologisch besteht eine
T-Zell-Lymphopenie mit defizienter Funktion (Hauttest, Proliferation) bei normaler
bis leicht erhöhter B-Zell-Zahl. Das Thymusorgan ist verkleinert. Es besteht eine
Hypogammaglobulinämie mit Verminderung aller Immunglobulinklassen, spezifische Antikörper nach Infektion oder Impfung können nicht gebildet werden. Die
chromosomalen Anomalien werden zytogenetisch in kultivierten Lymphozyten nachgewiesen.
Therapie: Die Therapie schließt eine Langzeit-parenterale Ernährung sowie eine supportive regelmäßige Immunglobulinsubstitution
und eine antiinfektiöse Prophylaxe mit ein.
Bei schwerem T-Zell-Defekt kann eine
Knochenmarktransplantation erfolgreich sein.
Prognose: Es sind sowohl Knaben wie
Mädchen gleichermaßen betroffen. Die
Prognose ist unklar, die Mehrzahl der bekannten Patienten ist im Säuglings- und
Kleinkindalter verstorben. Ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung von Malignomen
besteht offensichtlich nicht (18).
3.2.3 Thymusdefekte
DiGeorge-Sequenz
Es handelt sich um einen Defekt der Entwicklungsfelder der 3. und 4. entodermalen
Schlundtasche mit den korrespondierenden
ektodermalen Kiemenbögen, der einen
Symptomenkomplex mit Hypo- bis Aplasie
des Thymus und konsekutiver T-Zell-Defizienz, Hypoparathyreoidismus, Vitium cordis und Gesichtsdysmorphie beschreibt.
Der Phänotyp ist ausgesprochen variabel,
auch der T-Zell-Defekt variiert von einer
partiellen Defizienz ohne wesentliche klinische Ausprägung über die Entwicklung von
Autoimmunphänomenen (15) bis hin zur
Thymusaplasie mit vollständiger T-Zell-Defizienz (komplette DiGeorge-Sequenz)
(41).
Pathogenese: Die Morphogenese der 3. und
4. entodermalen Schlundtaschen sowie der
korrespondierenden ektodermalen Kiemenbögen ist gestört, was etwa in der 4. Embryonalwoche zur Entwicklungshemmung
von Thymus und Nebenschilddrüse führt.
Da während dieser Embryonalperiode die
Differenzierung von Philtrum, Ohrhöckern,
Herzscheidewänden und embryonalen Aortenbögen ebenfalls erfolgt, kann es zu entsprechenden assoziierten Fehlbildungen
kommen. Die Mehrzahl der Patienten mit
DiGeorge-Sequenz weist strukturelle Chromosomenaberrationen (partielle Trisomie
20 oder partielle Monosomie 22) auf. Fast
95 % der betroffenen Kinder tragen eine Mikrodeletion in der Region 22q11.2 (21). Die
für die DiGeorge-Sequenz bedeutende kritische Region (MDGCR: minimal DiGeorge
critical region) auf Chromosom 22q11.2
umfasst 250 Basenpaare. In der Region kodiert ein dem murinen Catenin (p120CAS)
homologes Protein, dem eine Rolle bei Protein-Protein-Interaktionen zugeschrieben
wird. Die DiGeorge-Sequenz wird zu einer
Gruppe von Krankheitsbildern gerechnet,
die unter dem Akronym „CATCH22“ zu-
sammengefasst werden. CATCH22 steht für
Cardiac,Abnormal facies,Thymic hypoplasia, Cleft palate, Hypocalcemia, 22nd Chromosome. Andere Krankheitsbilder mit einer
22q11-Monosomie sind das velokardiofaziale (Shprintzen-)Syndrom, das konotrunkale Gesichtsanomalie-Syndrom, das Cayler-Syndrom und Patienten mit BBB-/
G-Syndrom (Opitz-Syndrom), die ohne
Störung der Thymusentwicklung einhergehen. Deletionen am Chromosom 22q11
können heute mittels „Fluoreszenz-in-situHybridisierung“ (FISH-Technik) zuverlässig nachgewiesen werden. Ähnliche klinische Symptome wurden auch bei Deletionen am Chromosom 10p13 berichtet.
Klinik: Die auffällige Gesichtsmorphe
(dysplastische Ohren, Hypertelorismus,
Mikrogenie, Gaumenspalte, kurzes Lippenphiltrum, Fischmund, antimongoloide Augenfalte) in Verbindung mit hypokalziämischen Krampfanfällen sowie kardialen
Fehlbildungen (rechter Aortenbogen, Aortenatresien, Truncus arteriosus communis,
Ventrikelseptumdefekte, Fallot'sche Tetralogie) und pulmonalen Komplikationen
häufig bereits während der ersten Lebenstage fallen nach der Geburt auf und werden
von frühzeitig auftretenden generalisierten
und opportunistischen Infektionen (viral,
mykotisch, bakteriell) begleitet. Insbesondere therapieresistente Diarrhö, Gedeihstörung und Pneumonie sind charakteristisch.
Die weitere Entwicklung kann von einer
psychomotorischen Entwicklungsverzögerung begleitet sein (41). Bei partiellem
T-Zell-Defekt können sich aufgrund regulativer Funktionsstörungen Autoimmunphänomene entwickeln (15).
Diagnostik: Bei persistierender Hypokalziämie, Mangel an Parathormon und eventuellen Herzgeräuschen erhärten Echokardiografie und Sonografie des Mediastinums
zur Darstellung desThymus (fehlender Thymusschatten im Röntgenbild des Thorax)
die klinische Verdachtsdiagnose. Immunologische Untersuchungen des T-Zell-Phänotyps und der Funktionsanalyse ergeben je
nach Ausmaß der Thymusdysplasie verminderte T-Zell-Zahlen bis zum völligen Fehlen. Auch lassen sich häufig unreife T-ZellVorstufen (CD1, CD38, gesteigerte γ/δ-Rezeptor-positive T-Zellen), eingeschränkte
Zytokinproduktion, verminderte prolifera-
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tive Antwort auf polyklonale und antigene/
allogene Stimulation nachweisen. B-Lymphozyten und Immunglobulinspiegel finden sich häufig normal, bei mangelnder
T-Zell-Hilfe können Antigen-spezifische
Antikörper (z. B. gegenüber Tetanus-Antigen) fehlen. Zur ursächlichen Differenzierung sollte eine molekulargenetische Untersuchung auf CATCH22 mittels FISH-Technik (kann auch pränatal eingesetzt werden)
erfolgen.
Therapie: Die Transplantation von fetalem
humanem Thymusgewebe kann bei kompletter Thymusaplasie die T-Zell-Funktion
rekonstituieren (26).
Bei entsprechender Indikation (Therapiemöglichkeiten der Begleiterkrankungen)
ist aber die HLA-identische Stammzelltransplantation heute vorzuziehen. Bei partiellen T-Zell-Defekten hängt die Therapie
vom Ausmaß des Immundefektes ab und
schließt die Cotrimoxazol-Prohylaxe (Pneumocystis carinii) sowie die Immunglobulinsubstitution bei entsprechender Indikation
mit ein. Bei Bluttransfusionen (z. B. kardiochirurgische Eingriffe) müssen unbedingt
bestrahlte Blutprodukte verwendet werden,
um eine Graft-versus-Host-Reaktion zu vermeiden. Lebendimpfungen entsprechend
den STIKO-Empfehlungen sind nicht generell indiziert, können nach individueller
Prüfung derT-Zell-Funktion bei guter Funktion (36) in Zusammenarbeit mit pädiatrischen Immunologen gegebenenfalls durchgeführt werden.
Prognose: Bei kompletter DiGeorge-Sequenz sterben mehr als 80 % aller Kinder
auch aufgrund assoziierter z. B. kardialer
Fehlbildungen. Kinder mit Thymushypoplasie und Restfunktion können demgegenüber im Zeitverlauf ein funktionsfähiges
Immunsystem entwickeln.
Winged-Helix-Nude(WHN)-Defekt
Die Mutation im WHN-Gen (autosomal-rezessiv) führt klinisch zu Alopezie und einer
abnormen Entwicklung desThymusepithels
mit einer konsekutiven T-Zell-Störung und
immunologisch vergleichbarer Klinik wie
beim DiGeorge-Syndrom (37). Allerdings
scheint die alleinige Stammzelltransplantation nicht für eine anhaltende Immunrekonstitution auszureichen.
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3.2.4 Chronisch mukokutane Candidiasis
Die Erkrankung setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, wobei einerseits die rezidivierenden Pilz-Infektionen
(überwiegend Candida-Infektionen) von
Haut und Schleimhäuten, andererseits die
Endokrinopathie mit Beteiligung multipler
Organsysteme gepaart mit einem partiellen
T-Zelldefekt (immunregulatorische T-ZellFunktionen, Zytokinproduktion) insbesondere gegenüber Pilz-Antigenen auffallen.
Antikörpertiter gegenüber Pilz-Antigenen
sind demgegenüber mit hohen Titern nachweisbar.
Bei der autosomal-rezessiven Polyendokrinopathie-Candidiasis-Ectodermale-Dysplasie (APECED) liegt die Mutation im
AIRE-Gen und führt klinisch zur Entwicklung der Autoimmunendokrinopathie.
Klinischer Verlauf: Die Candida-Infektionen beginnen im ersten Lebensjahr und betreffen Nägel, Haut und Schleimhäute; das
Risiko einer systemischen Candida-Infektion ist hingegen nur selten zu beobachten.
Aufgrund des selektiven T-Zell-Defektes
gegenüber Candida verläuft die Erkrankung
benigne; ist ein IgG-Subklassen-Defekt assoziiert, besteht eine zusätzliche Anfälligkeit für kapseltragende Bakterien sowie ein
erhöhtes Risiko für die Entwicklung von
Bronchiektasien.
Die Endokrinopathien (etwa 20 %) betreffen hauptsächlich Schilddrüse (Hypothyreose) und Nebenschilddrüse (Hypoparathyreoidismus mit hypokalziämischen
Krampfanfällen), Pankreas (Diabetes mellitus) und Nebennierenrinde (M. Addison).
Eine begleitende Alopezie ist häufig.
Es wird vermutet, dass der chronisch
mukokutanen Candidiasis mit Endokrinopathie und dem Krankheitsbild der autoimmunen Endokrinopathien ähnliche immunologische Störungen zugrunde liegen.
Diagnostik: Diagnostisch fällt eine selektive Einschränkung der T-Zell-Antwort auf
Candida-Antigen auf, während die Mitogenantwort auf polyklonale Antigene und
andere spezifische Antigene nicht eingeschränkt ist. In vitro werden nach Stimulation mit Candida zu wenigT-Helfer-2-Zytokine (Interleukin-2 [IL-2] und kein Interferon-gamma [INF-γ]) gebildet. Im Gegensatz dazu werden vermehrt T-Helfer-2-Zy-
tokine (IL-4, IL-5, IL-10) sezerniert. Die
Zahl zirkulierender Helfer-Inducer-T-Zellen ist vermindert, was möglicherweise zur
defekten T-Helfer-1-Antwort und zur mangelnden Entwicklung einer Candida-spezifischen Gedächtnisantwort führt. Das
B-Zell-System ist in der Regel intakt. Die
Immunglobulin-Spiegel liegen im Normbereich, die Produktion spezifischer Antikörper ist nicht beeinträchtigt. Häufig finden
sich exzessiv hohe Antikörpertiter gegen
Candida-Antigene. Bei Kindern wurde allerdings auch über eine verzögerte
IgG2-Produktion gegenüber Candida-Antigen oder Pneumokokken-Polysacchariden
berichtet. Ein selektiver IgA-Defekt oder/
und ein IgG2-IgG4-Mangel sowie Störungen
der Makrophagenfunktion (Chemotaxis,
Phagozytose) und des Komplementsystems
sind beschrieben worden (18).
Therapie: Therapeutisch kommen Antimykotika (z.B. Itraconazol) erfolgreich zum
Einsatz; bei IgG-Subklassenmangel ist eine
regelmäßige Immunglobulinsubstitution indiziert. Die endokrinen Störungen müssen
entsprechend hormonell substituiert werden.
3.2.5 Hyper-IgE-Syndrom
Das Hyper-IgE-Syndrom (Buckley- oder
Hiob-Syndrom) ist durch die klinische Trias
Ekzem, rezidivierende abszedierende Staphylokokken-Infektionen der Haut und
Luftwege, Eosinophilie mit sehr hohen Serum-IgE-Konzentrationen und Pneumonien
mit Pneumatozelenbildung gekennzeichnet
(33). Es wird ein autosomal-rezessiver Erbgang vermutet, Mädchen und Knaben sind
gleichermaßen betroffen.
Klinik/Pathogenese: Die molekularen Ursachen konnten in den letzten zwei Jahren
aufgeklärt werden. Bei der dominanten
Form finden sich Mutationen im
STAT3-Gen (29), bei einem Patienten mit
autosomal-rezessiver Erkrankung wurde eine Mutation bei Tyk2 gefunden (30), die
beide eine erhöhte IgE-Bildung und Eosinophilie zur Folge haben.
Schon in den ersten Lebenswochen entwickelt sich eine chronische Dermatitis mit
abszedierenden Staphylokokken-Infektionen im Gesicht und im Bereich der Extensoren, gefolgt von eitrigen Infektionen der
Atemwege mit eventueller Pneumatozelen-
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T-zelluläre und kombinierte T- und B-Zell-Immundefekte
bildung. Systemische Infektionen sind selten. Häufigste Infektionserreger sind S. aureus und bekapselte Bakterien (H. influenzae, Pneumokokken). Eine chronische Konjunktivitis kann zu massiver Hypertrophie
der Oberlid-Konjunktiven und zu Hornhautulzera führen.
In der weiteren Entwicklung auffällig
sind vergröberte Gesichtszüge mit breitem
Nasenrücken und dysproportioniertem Gesichtsschädel. Durch die vermehrte Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren und
eine verstärkte Knochenresorption durch
Monozyten leiden ältere Kinder unter einer
Osteoporose, die pathologische Frakturen
begünstigen kann.
Neben der Eosinophilie (bis zu 50 %) fallen massiv erhöhte IgE-Konzentrationen auf (Werte > 2 500 U/ml, z. T. bis
> 50 000 U/ml). Die übrigen Immunglobulinklassen sind normal oder leicht erniedrigt. Beim Hyper-IgE-Syndrom werden hohe anti-S. aureus- und anti-C. albicans-IgEAntikörperspiegel nachgewiesen. Die zelluläre Immunität ist eingeschränkt, Hautteste
fallen immer negativ aus. Nur bei wenigen
Patienten besteht ein zusätzlicher, meist
transitorischer, Chemotaxisdefekt.
Therapie: Die Behandlung besteht in einer
Staphylokokken-wirksamen Infektionsprophylaxe. Bei hoher Infektanfälligkeit ist in
Einzelfällen eine Immunglobulinsubstitution sinnvoll. Weitere Therapieansätze sind
experimentell.
3.3 Erkrankungen
bei Immundysregulation
Im Folgenden werden charakteristische Erkrankungen mit Störungen der Zytotoxizität
dargestellt. Genetisch unterschieden werden die Unfähigkeit zytotoxische Lysosomen intrazellulär zu transportieren (Chediak-Higashi-Syndrom, Griscelli-Syndrom ),
zur Ausschleusung zu bringen (MUNC-Defekt) oder funktionell unwirksame Zytolysine (Perforin-Defekt) zu bilden. Die Betroffenen erkranken überwiegend während des
ersten Lebensjahres mit Fieber, Hepatosplenomegalie und ZNS-Symptomen. Insbesondere nach Virus-Infektionen entwickelt sich eine unregulierte Proliferation
ineffektiver zytotoxischer Zellen mit über-
schießender Zytokinfreisetzung (IFN). Somit wird eine schwere Inflammationsreaktion mit Multiorganbeteiligung und entsprechender Histologie einer Hämophagozytose
provoziert (44).
3.3.1 Immundefekte mit Albinismus
Beim autosomal-rezessiv vererbten Chediak-Higashi-Syndrom führt die Mutation
im Lyst-Gen zur Verschmelzung der azurophilen Granula der Neutrophilen zu Riesengranula (diagnostisch mikroskopisch
hinweisend im peripheren Differenzialblutbild) mit der Folge von Chemotaxis-Defekt
und Störung der antimikrobiellen Toxizität
(5). Die Zytotoxizität von T- und NK-Zellen
ist ebenfalls eingeschränkt, woraus ein
kombinierter Immundefekt resultiert mit
histiozytärer Proliferation und Makrophagenaktivierung („HLH“) in der Terminalphase. Einzige erfolgreiche Therapieoption besteht in der Stammzelltransplantation.
Die dem Syndrom vergesellschaftete Neurodegeneration und der okulokutane Albinismus bleiben unbeeinflusst.
Das Griscelli-Syndrom (Mutation im
RAB27α-Gen, autosomal-rezessiv; [28])
lässt sich aus dem Haarschaft durch die mikroskopisch erkennbare Verplumpung des
Pigments bei infektanfälligen Patienten mit
Hypopigmentierung von Haut und Haar
diagnostizieren. Die Zytotoxizität von Tund NK-Zellen ist ebenfalls eingeschränkt
mit der Folge einer dysbalancierten Lymphoproliferation (HLH). Eine progressive
Enzephalopathie entwickelt sich in schweren Fällen.
3.3.2 Familiäre hämophagozytierende
Lymphohistiozytose (HLH)
Beim Perforin-Mangel (autosomal-rezessiv) liegt eine Mutationen im PRF1(Perforin)-Gen vor, was zu einer funktionell erniedrigten NK- und CTL(zytotoxische
Lymphozytenreaktion)-Aktivität führt (45).
Die T-Zellen selbst sind stark aktiviert
(CD25+, HLADr+). Beim Munc-Defekt
(Mutation im MUNC13–4, autosomal-rezessiv) ist die Exkretion des Perforins in den
synaptischen Spalt gestört mit der klinischen Folge einer erniedrigten NK- und
CTL-Aktivität (13). Das X-chromosomale
lymphoproliferative Syndrom (XLP)
(„Purtilo-Syndrom“) wird durch eine inadäquate Lymphoproliferation auf EBV (18)
klinisch gekennzeichnet und beruht auf einer Mutation im SAP-Gen. Neben der Hepatitis kann eine aplastische Anämie induziert werden und die Entwicklung von Lymphomen ist gehäuft. Die familiäre HLA ist
nur durch Stammzelltransplantation heilbar
(19).
3.3.3 Autoimmunes lymphoproliferatives
Syndrom (ALPS)
Dem ALPS, autosomal-rezessiv vererbt,
liegt ursächlich eine gestörte Apoptose
(„programmierter Zelltod“) zugrunde, was
zu einer Fehlsteuerung des Immunsystems
mit dem klinischen Bild einer chronischen
nicht malignen Lymphoproliferation, Hepatosplenomegalie, Autoimmunphänomenen
und, diagnostisch hinweisend, dem Nachweis einer erhöhten Anzahl sogenannter
doppelt negativer T-Lymphozyten (CD3+,
CD4–, CD8–) führt. Für die Dysregulation
bezeichnend sind auch die nachweisbare
Hypergammaglobulinämie (IgG, IgA, IgM)
sowie die Coombs-Test-positive autoimmun-hämolytische Anämie. Entsprechend der verschiedenen zugrunde liegenden Mutationen lassen sich mehrere ALPSSubtypen abgrenzen: Typ-Ia/b, -IIa/b, -III
(40). Die klinische Manifestation kann zwischen dem frühen Säuglingsalter bis ins Erwachsenenalter hinein beginnen (38). Ein
assoziierter Immundefekt liegt nur ausnahmsweise
vor.
Beim
Typ-Ia
(CD95-Mangel) liegt die Mutation im Fas/
APO1-Gen und begünstigt klinisch die Entwicklung von Adenopathie, Splenomegalie
und Autoimmunzytopenien (17, 27). Ein
gesteigertes Lymphomrisiko wird beschrieben (46). Beim sehr seltenen Typ-Ib liegt
demgegenüber ein Mangel an CD95-Ligand vor. Weitere Mutationen, die zur eingeschränkten Apoptose führen, betreffen
Gene für intrazelluläre Proteasen (Typ-IIa:
Caspase 10-Defekt, Typ-IIb: Caspase
8-Defekt), die an der Signalübertragung der
FAS-induzierten Apoptose beteiligt sind (9,
48). Dem Typ-III-ALPS werden alle heterogenen klinischen Erscheinungsbilder ohne klare molekulare Mutation zugeordnet
(11). Therapeutisch kommen je nach Typ
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Kombinationen von Immunsuppressiva,
aber auch die Stammzelltransplantation infrage (6).
3.4 Immundefekte als Begleitsymptom bei anderen genetisch
determinierten Erkrankungen
Bei einer Vielzahl von seltenen, genetisch
determinierten Erkrankungen spielen Störungen der Immunität eine Rolle. Dies gilt
insbesondere für Erkrankungen mit dysproportioniertem Kleinwuchs („short limb
dwarfism“ und kombiniertem Immundefekt), anderen ossären Dysplasien, Stoffwechselstörungen und chromosomalen
Aberrationen. In Abhängigkeit von der Lokalisation der immunologischen Störung
können partielle bis hin zu kombinierten Immundefekten auftreten, die einen Einfluss
auf die Prognose haben. Auch aus diesem
Grunde ist es daher wichtig, bei unklaren
Symptomenkomplexen oder syndromalen
Erkrankungen eine Diagnose anzustreben.
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Korrespondenzadresse:
Priv.-Doz. Dr. med. Wilma Mannhardt-Laakmann
Pädiatrische Immunologie und Rheumatologie
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
Johannes Gutenberg Universität
Langenbeckstr.1
55131 Mainz
Tel.: 0 61 31/17 74 25
Fax: 0 61 31/17 66 93
E-Mail: [email protected]
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Immundefekte
© 2008
151
Schattauer GmbH
Angeborene Antikörpermangelsyndrome
(„B-Zell-Defekte“)
Stephan Ehl1, Bodo Grimbacher2, Klaus Warnatz2, Hermann M. Wolf3
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinik Freiburg
(Direktor: Prof. Dr. med. Andrea Superti-Furga)
2
Abteilung Rheumatologie und Klinische Immunologie, Medizinische Universitätsklinik Freiburg
(Direktor: Prof. Dr. med. Hans-Hartmut Peter)
3
Immunologische Tagesklinik und Biomedizinisches Institut Wien, Österreich
(Leitung: Univ.-Prof. Dr. med. Martha Eibl)
1
Schlüsselwörter
Keywords
Antikörpermangelsyndrom, Antikörperdefizienz, Hypogammaglobulinämie
Immunodeficiency, antibody deficiency, hypogammaglobulinemia
Zusammenfassung
Summary
Patienten jedweden Alters sollten bei Vorliegen einer pathologischen Infektanfälligkeit (z. B. häufige bakterielle
Infektionen des Respirationstraktes) auf das Vorliegen eines angeborenen Antikörpermangelsyndroms untersucht
werden. Die frühe Diagnose einer primären Antikörperdefizienz ist entscheidend für die Prognose der betroffenen Patienten, da nur durch frühzeitigen Beginn einer adäquat
dosierten Immunglobulin-Substitutionstherapie die Häufigkeit infektiöser Episoden reduziert und damit eine annähernd normale Lebensqualität ermöglicht wird. Durch frühe
Diagnose und Therapie wird insbesondere die Entwicklung
von Langzeitfolgen wie chronisch-obstruktiven Lungenerkrankungen verhindert.
Patients at any age with undue susceptibility to infections
(e. g. recurrent bacterial infections of the upper and lower
respiratory tract) should be investigated for possible primary antibody deficiency syndrome. Early diagnosis of inborn defects of antibody production is pivotal for the prognosis of the patients, as the frequency and severity of infectious episodes and their complications can only be reduced
by early initiation and sufficient dosage of immunoglobulin
substitution therapy. Therapy can be provided by intravenous infusions or subcutaneous home treatment. Late diagnosis and delayed treatment of the severe antibody deficiency syndromes such as CVID results in substantial morbidity and considerable mortality.
Primary antibody deficiency syndromes
Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 151–158
U
nter angeborenen Antikörpermangelsyndromen („B-Zell-Defekten“) versteht man genetisch
bedingte (primäre) Immundefektsyndrome
mit klinisch und immunologisch überwiegender Störung der Antikörperproduktion
(11). Von diesen primären Immundefekten
abzugrenzen sind sekundäre Immundefekte, die durch eine Grunderkrankung oder
durch externe Faktoren wie z. B. eine immunsuppresive Therapie verursacht werden. Obgleich jedes Jahr neue genetische
Ursachen für eine angeborene Antikörperdefizienz entdeckt werden, ist bei der Mehrzahl der Patienten die genaue molekulare
Pathophysiologie inklusive des genetischen
Defektes noch immer unbekannt. Angeborene Antikörpermangelsyndrome dürften
häufiger vorkommen als bisher angenommen und zählen zu den klinisch am meisten
anzutreffenden primären Immundefekten.
So wurde in einer rezenten Studie eine Inzidenz für primäre Immundefekte von 1/1200
ermittelt, wobei rund 80% der Patienten einen überwiegenden Defekt der Antikörperbildung aufweisen (1). Im Gegensatz zu
kombinierten Immundefekten, bei denen
die Antikörperbildung auch als Folge eines
Defekts der zellulären Immunität (z. B. bei
schwerem kombiniertem Immundefekt wie
XL-SCID, bei kombinierten Immundefekten wie DiGeorge-Syndrom etc.) gestört ist,
ist bei primären Antikörpermangelsyndromen die zellmediierte Immunität weitgehend oder völlig intakt. Antikörperbildungsstörungen bei kombinierten Immundefekten sowie Krankheitsbilder, bei denen
der B-Zelldefekt als Teil eines weiterreichenden Syndroms auftritt, z. B. WHIMSyndrom, Netherton-Syndrom, Chromosomeninstabilitätsdsyndrome wie BloomSyndrom, numerische und strukturelle
Chromosomenaberrationen wie Trisomie
21, Deletion oder Ring des Chromosoms
18, sind nicht Gegenstand dieser Übersichtsarbeit.
Pathogenese und Einteilung
der primären
Antikörperdefizienz
Angeborene Störungen der frühen
B-Zellentwicklung
In der B-Zellentwicklung unterscheidet
man die Antigen-unabhängige B-Zell-Entwicklung im Knochenmark und die Antigen-abhängige B-Zell-Reifung in den sekundären lymphoiden Organen wie den
Lymphknoten, Peyerschen-Plaques, der
Milz und den Tonsillen. Entsprechend dieser Unterscheidung kennt man primäre Antikörperbildungsstörungen, denen ein Defekt der Antigen-unabhängigen frühen
B-Zell-Entwicklung im Knochenmark zugrunde liegt (Tab. 1). Das Fehlen reifer
B-Zellen in der Peripherie ist verbunden mit
einer Agammaglobulinämie, d. h. dem völligen Fehlen von Immunglobulinen aller
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Januar 2008
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
152
Ehl et al.
Isotypen z. B. im Serum. Beispiele hierfür
sind die X-chromosomal-gekoppelte
Agammaglobulinämie (M. Bruton, XLA)
oder autosomal-rezessive Agammaglobulinämien. Diese Patienten werden typischerweise bereits im frühen Kindesalter mani-
fest, Ausnahmen mit einer Manifestation im
(jungen) Erwachsenenalter verbunden mit
einem weniger schweren Phänotyp wurden
aber beschrieben. Verschiedene Defekte der
B-Zelldifferenzierung im Knochenmark
führen zu Agammaglobulinämie (Tab. 1).
X-chromosomal vererbte
Agammaglobulinämie
Als Prototyp einer angeborenen Störung der
frühen B-Zellentwicklung und als häufigste
Ursache einer Agammaglobulinämie mit
Tab. 1 Einteilung der primären Antikörpermangelsyndrome (XLA = X-chromosomal vererbte Agammaglobulinämie, ARA = autosomal-rezessive Agammaglobulinämie, CVID = variables
Immundefektsyndrom, HIGM = Hyper-IgM-Syndrom, AK = Antikörper, AR = autosomal-rezessiv, AD = autosomal-dominant, SPAD = selective polysaccharide specific antibody deficiency)
angeborene Antikörpermangelsyndrome
Serumimmunglobuline IgG-Antikörperproduk- B-Zellen
tion
Pathogenese
Vererbung
klinische Auffälligkeiten
Antikörperdefizienz mit fehlender früher B-Zellentwicklung im Knochenmark
XLA (MIM #300300)
alle Isotypen massiv
erniedrigt (Agammaglobulinämie)
massiv vermindert bis
fehlend
sehr niedrig bis fehlend
(<<1%)
Btk-Mutation
X-chromosomal
schwere bakterielle Infektionen, chronische Meningoenzephalitiden (ECHO-Viren)
ARA (MIM #601495)
alle Isotypen massiv
erniedrigt (Agammaglobulinämie)
massiv vermindert bis
fehlend
fehlend (<<1%)
Mutation von Igα, λ5,
µ, BLNK oder LRRC8
AR
schwere bakterielle Infektionen
Thymom mit Antikörperdefizienz
alle Isotypen massiv
erniedrigt (Agammaglobulinämie)
massiv vermindert bis
fehlend
sehr niedrig bis fehlend
(<<1%)
unbekannt
unbekannt
Thymom
Antikörperdefizienz mit normaler oder quantitativ reduzierter Zahl der B-Zellen
CVID
IgG und IgA stark erniederigt, IgM erniederigt,
normal oder erhöht
massiv vermindert bis
fehlend
normal oder reduziert
überwiegend unbekannt;
Mutationen in ICOS,
CD19, TACI, Msh5,
BAFFR beschrieben
AR, AD, sporadisch
invariabel schwere bakterielle
Infektionen, ev. Autoimmunität, lymphoproliferative/granulomatöse Erkrankung
IgA-Defizienz
IgG und IgM normal,
IgA fehlend
IgG- und IgM-Antikörper
normal
normal
unbekannt
variabel
pathologische Infektanfälligkeit
möglich z. B: bei begleitender
IgG-Subklassendefizienz
IgG-Subklassendefizienz
eine oder mehrere IgGSubklassen reduziert
normale IgG-Antikörperbildung oder SPAD
normal
unbekannt
HIGM1
IgM normal oder erhöht, massiv vermindert bis
IgG und IgA stark ernied- fehlend
rigt oder fehlend
normal
CD40L-Mutation
X-chromosomal
massive Infektanfälligkeit,
kombinierter Immundefekt!
HIGM3
IgM normal oder erhöht,
IgG und IgA stark erniedrigt oder fehlend
massiv vermindert bis
fehlend
normal
CD40-Mutation
AR
massive Infektanfälligkeit;
kombinierter Immundefekt!
passageres Antikörpermangelsyndrom des
Kleinkindesalters
variable bis starke
vorübergehende Erniedrigung von IgG oder
mehrerer Ig-Isotypen
IgG-Antikörperbildung
auf Impfantigene intakt
normal
unbekannt
unbekannt
variable pathologische Infektanfälligkeit, asymptomatisch
möglich
AID-Defizienz (HIGM2),
MIM #605258
IgM normal oder erhöht,
andere Isotypen deutlich
erniedrigt oder fehlend
massiv vermindert bis
fehlend
B-Zellzahl normal, nur
Mutation von AID (activa- AR
IgM- und IgD-exprimie- tion-induced cytidine dearende B-Zellen vorhanden minase, AICDA)
bakterielle Infektionen, lymphoide Hyperplasie mit vergrößerten Keimzentren
UNG-Defizienz (HIGM5),
MIM #608106
IgM normal oder erhöht,
andere Isotypen deutlich
erniedrigt oder fehlend
massiv vermindert bis
fehlend
B-Zellzahl normal, nur
Mutation der UracilIgM- und IgD-exprimie- DNA-N-Glykosylase
rende B-Zellen vorhanden (UNG)
bakterielle Infektionen, lymphoide Hyperplasie
Gendeletion der konstanten
Region der schweren
Immunglobulinkette
Immunglobuline der
jeweiligen Klasse oder
Subklasse fehlend
normale Produktion
anderer IgG-Subklassen
normal oder reduziert
Deletion(en) der schweren AR
Immunglobulin-KettenGene bei 14q32
Immunglobulin-KappaDefizienz
Kappa-positive Immunglobuline stark erniedrigt
bzw. fehlend
normale Produktion
Lambda-positiver
IgG-AK
Kappa-B-Zellen erniedrigt/fehlend
Punktmutation Immunglobulin-kappa 2p11
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
pathologische Infektanfälligkeit
z. B: bei zusätzlicher SPAD,
asymptomatisch möglich
AR
AR
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meist keine wesentliche Infektanfälligkeit
keine Infektanfälligkeit
153
Angeborene Antikörpermangelsyndrome
fehlenden B-Zellen gilt die Anfang der
50er-Jahre des vorigen Jahrhunderts erstmals beschriebene X-chromosomal vererbte Agammaglobulinämie (XLA) (2,
17).
Der Defekt der frühen B-Zelldifferenzierung wird dabei durch eine Mutation des
Btk-Gens (X-chromomal vererbte Agammaglobulinämie) verursacht (5). Bedingt
durch den X-chromosomal-rezessiven Erbgang erkranken nur die Knaben, während
die Mädchen klinisch gesunde Überträgerinnen sind (33). Bei den bisher bekannten über 800 Patienten fanden sich fast
ebenso viele verschiedene Mutationen die
ohne Phänotyp-Genotyp-Korrelation über
das ganze Gen verteilt sind (19). Als Folge
eines Fehlens der Btk in der B-Zelle und damit defekter Signalübertragung über den
Prä-BCR (B-Zell-Rezeptor) kommt es zu
einer mehr oder weniger vollständigen Unterbrechung der Ausreifung der Pro-B- zu
Prä-B-Lymphozyten (26) und entsprechenden weiteren Reifungsstufen der B-Zellen
inklusive der ausdifferenzierten, Antikörper-bildenden Plasmazellen. Im Gegensatz
zu gesunden Jugendlichen und Erwachsenen (zwischen 6 und 16% der Lymphozyten
sind B-Zellen), findet man bei XLA-Patienten weniger als 1% der Lymphozyten als
B-Zellen, typischerweise sogar nur um
0,1% oder weniger, was der durchschnittlichen Nachweisgrenze bei der üblicherweise angewandten Methode der Durchflusszytometrie entspricht.
Autosomal-rezessive Agammaglobulinämie
Bei ca. 15% der (vor allem pädiatrischen)
Patienten mit fehlenden peripheren B-Zellen liegt eine autosomal-rezessive Agammaglobulinämie (ARA) vor (20). Sie manifestiert sich meist früher als die X-chromosomale Form, verläuft schwerer, und sowohl Mädchen als auch Jungen sind betroffen. Bei der Mehrzahl dieser Patienten
(20–30%) werden Mutationen im Gen für
die schwere µ-Kette beschrieben (36, 22,
20). Bei einzelnen Patienten führen Mutationen in den Genen für BLNK (B-Zell-Zinkerprotein), einem in der Signalübertragung
des B-Zell-Rezeptors (BCR) wirksamen
Adaptorprotein (23), für Igα (CD79a), einem signalübertragenden Transmembran-
protein, das wie µ Bestandteil des Prä-BCR
ist (24), für λ5/14.1 (IGLL1), der Vorläuferleichten Kette des Prä-BCR (25) oder für
LRRC8, einem neu entdeckten Transmembranprotein auf B-Zellen (28), zu einem
kompletten Stop der B-Zellentwicklung
beim Übergang von pro-B- zu prä-B-Zellen
(6). Bei über der Hälfte der Patienten mit
Agammaglobulinämie, fehlenden B-Zellen
und intaktem Btk-Gen ist die genetische Ursache weiterhin unbekannt (6).
Angeborene Störungen
der Antigen-abhängigen
B-Zellfunktion und -entwicklung
Patienten, die einen Entwicklungsblock in
der Antigen-abhängigen B-Zellreifung haben, haben meist eine normale B-Zellzahl in
der Peripherie; eine variable Reduktion der
B-Zellzahl auf mehr als 1% der Blutlymphozyten ist jedoch auch möglich (Tab. 1).
Zu diesen primären Antikörpermangelsyndromen gehören die häufigsten Formen einer angeborenen Antikörperdefizienz wie
das variable Immundefektsyndrom (CVID)
und Defekte der Antikörperbildung, die
durch das Fehlen von einzelnen Immunglobulin-Isotypen, Immunglobulin G (IgG)Subklassen oder einen selektiven Defekt der
Bildung von Antikörpern gegen bestimmte
Antigene oder Typen von Antigenen, z. B.
bakterielle Polysaccharide, charakterisiert
sind.
Variables Immundefektsyndrom
Das variable Immundefektsyndrom
(Common variable immunodeficiency,
CVID) ist der Oberbegriff für eine pathogenetisch heterogene Gruppe von Antikörpermangelsyndromen. Neben der deutlichen
Verminderung von Immunglobulinen im
Serum umfassen die diagnostischen Kriterien der europäischen Gesellschaft für Immundefekte (www.esid.org) einen Erkrankungsbeginn jenseits des 2. Lebensjahres,
reduzierteAntikörperbildung nach Impfung
und den Ausschluss anderer Ursachen einer
Hypogammaglobulinämie. Beim CVID
handelt es sich um die häufigste klinisch relevante primäre Immundefizienz mit inva-
riabel massiver Symptomatik. Bei der
CVID-Erkrankung können die klinischen
Symptome in jedem Lebensalter beginnen,
es gibt aber zwei wesentliche Manifestationszeitpunkte: Der erste liegt in der Kindheit zwischen 5 und 10 Jahren und der zweite bei jungen Erwachsenen zwischen 20 und
30 Jahren. Die Symptome der Erkrankung
sind unspezifisch, weshalb immer noch teilweise eine beträchtliche Verzögerung zwischen dem Beginn der Symptome und der
Diagnose und der adäquaten Behandlung
der primären Immundefizienz mit entsprechenden Folgen für die Prognose besteht.
CVID tritt in der Regel sporadisch auf,
aber 10–20% der Fälle sind familiär, wobei
sowohl autosomal-rezessive als auch autosomal-dominante Erbgänge auftreten.
CVID und selektiver IgA-Mangel können in
einer Familie auftreten, was eine gemeinsame genetische Basis für diese beiden Erkrankungen in manchen Fällen nahelegt. In
den letzten Jahren sind Mutationen in 4
Genen (ICOS, TACI, CD19, BAFF-Rezeptor) bei CVID-Patienten identifiziert
worden (3, 13, 29, 32, 34). Diese Mutationen zeigen die genetische Heterogenität der
Erkrankung. Mutationen in einem dieser 4
Gene wurden in einzelnen Familien mit
CVID oder – wie im Fall heterozygoter TACI-Mutationen – bei etwa 8% der untersuchten CVID-Patienten und bei wenigen
Prozent der parallel untersuchten gesunden
Kontrollgruppe gefunden. Der induzierbare
Kostimulator (ICOS) ist ein Mitglied der
Familie von kostimulatorischen Molekülen,
die ausschließlich auf aktivierten T-Zellen
exponiert werden und wesentlich sind für
T-Zell-abhängige B-Zell-Antworten. Der
Ligand wird auf der Oberfläche von B-Zellen und anderen antigenpräsentierenden
Zellen exprimiert und die Bindung an ICOS
auf aktivierten T-Zellen induziert eine
T-Zell-Aktivierung, die eine notwendige
Voraussetzung für den Klassenwechsel von
B-Zellen ist. Bisher wurden 9 Patienten mit
ICOS-Defizienz (13) identifiziert, von denen 3 Kinder imAlter von 4, 5 und 15 Jahren
waren. Die klinische Manifestation der
ICOS-Defizienz scheint aber überwiegend
im Erwachsenenalter zu liegen. Das Molekül Transmembranaktivator und kalziummodulierender Cyclofenil-Ligand-Interaktor (TACI) gehört zur Familie der TNF-
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
154
Ehl et al.
ähnlichen Rezeptoren und Liganden und
wird auf der Oberfläche von B-Zellen exprimiert. Zu dem komplexen System, das das
Überleben und die Differenzierung von
B-Zellen reguliert, gehört außer TACI der
B-Zell-aktivierende Faktor (BAFF) und
sein Rezeptor (BAFF-R), das B-Zell-Reifungsantigen (BCMA) und ein proliferationsinduzierender Ligand (APRIL). Sowohl
homozygote als auch heterozygote Mutationen in TACI wurden in Assoziation mit
CVID beschrieben (4, 29). Ebenso konnte
eine BAFF-Rezeptor-Defizienz im Zusammenhang mit CVID identifiziert werden (34). Das CD19-Molekül wird ausschließlich auf B-Zellen exprimiert, homozygote Mutationen im CD19-Gen wurden
kürzlich als Ursache der CVID-Erkrankung
bei 4 Patienten beschrieben. Der Beginn der
Erkrankung bei diesen Patienten lag in der
frühen Kindheit. CD19 ist wichtig für die
Aktivierung von B-Zellen, sodass ein Fehlen dieses Moleküls zu einer erheblich reduzierten Antikörperbildung führt (32).
Hyper-IgM-Syndrom
Unter Hyper-IgM-Syndrom versteht man
eine massive Störung der Bildung von hochaffinen, isotyp-gewechselten Antikörpern
(IgG, IgA, IgE) bei gleichzeitig normalen
oder sogar erhöhten Spiegeln von IgM. Bei
der Mehrzahl der Patienten ist der genetische Defekt geklärt. Die meisten Patienten
sind Knaben und haben eine Mutation im
Gen für den CD40-Ligand (X-chromosomal vererbt), einem für die T-B-Zell-Interaktion und die Aktivierung von antigen-präsentierenden Zellen (APC) wie dendritischen Zellen unentbehrlichen Oberflächenrezeptor (HIGM1). Verschiedene Gendefekte führen zur autosomal-rezessiven Form
von HIGM, wobei die CD40-Mutation einen von HIGM-1 nicht zu unterscheidenden
Phänotyp zu Folge hat (HIGM3). Bei beiden
Erkrankungen führt die defekte APC-Aktivierung und damit gestörte T-Zellimmunität
zu einem klinisch und immunologisch über
eine bloße Einschränkung der Antikörperproduktion hinausreichenden kombinierten
Immundefekt (12).
Neben diesen HIGM-Syndromen mit
kombiniertem Immundefekt und gestörter
T-B-Interaktion kommen verschiedene ForKinder- und Jugendmedizin 3/2008
men des AR-HIGM mit B-Zell-intrinsischen Defekten vor. Mutationen in der Aktivitäts-induzierten Cytidin-Deaminase AID
(HIGM2) oder der Uracil-N- (DNA)-Glycosylase (UNG, HIGM5) führen zu einer
Störung des Immunglobulin-Isotypwechsels und der Hypermutation der Gene für die
variable Region der Immunglobuline (9).
Diese Defekte führen zum typischen Bild
einer schweren Antikörperbildungsstörung.
Bei Mutation von NEMO, einer Komponente des NF-kappaB-Aktivierungsweges,
wurde ein X-chromosomal vererbter Immundefekt mit einer Störung der Antikörperproduktion (Defekt der Bildung von Isotyp-gewechselten Antikörpern, d. h. HIGMPhänotyp, oder aber nur eine gestörte IgGAntikörperbildung gegen Polysaccharidantigene) beschrieben (XL-EDA-ID), wobei
Patienten mit und ohne Assoziation mit anhydrotischer ektodermaler Dysplasie bekannt sind (30).
Während eine Mutation des Gens für die
konstante Region der schweren Immunglobulinkette µ zu einem Stopp der frühen
B-Zellentwicklung führt, kommt es bei homozygoten Deletionen im Bereich eines
oder mehrerer Gene für konstante Regionen der schweren Immunglobulinketten
anderer Isotypen (gamma γ1 bis 4, α1
und 2, ε) zu einem Defekt der Bildung der
betroffenen Immunglobulinklasse(n) oder
-subklasse(n). Die überwiegende Mehrheit
der betroffenen Personen ist klinisch gesund, was durch die nachweisbare Produktion von Antikörpern anderer Immunglobulinsubklassen erklärt werden kann. Der
überwiegenden Mehrheit der IgG-Subklassendefizienz mit und ohne IgA-Defizienz
sowie der IgA-Defizienz liegt hingegen ein
bislang ungeklärter regulatorischer Defekt
und keine Gendeletion der entsprechenden
schweren Immunglobulinketten zugrunde
(27).
Eine homozygote Mutation des Gens auf
Chromosom 2 für die konstante Region der
leichten Immunglobulin (kappa)-Kette
führt zu einem völligen Fehlen von Immunglobulin-κ-enthaltenden Antikörpern aller Klassen und Subklassen, während Immunglobulin-λ (lambda)-enthaltende Antikörper normal gebildet werden. Das
erklärt das Fehlen einer Infektanfälligkeit
bei dem beschriebenen Patienten (31).
Selektiver Immunglobulin-A-Mangel
Der selektive Immunglobulin-A-Mangel
(IgA-Defizienz, IgAD) ist durch deutlich
erniedrigte (<0,07 g/l) oder nicht nachweisbare Serum-IgA-Spiegel, verbunden mit
normalen IgG und IgM-Spiegeln, definiert.
Ein Teil der Patienten weist zusätzlich eine
IgG-Subklassendefizienz auf (z. B:
IgG2-IgG4-Defizienz, [3]), was dann zum
Entstehen einer Infektanfälligkeit beiträgt
(14). Die IgA-Defizienz ist häufig (Inzidenz ca. 1:700 bis 1:1000), und die meisten
Personen mit IgAD sind asymptomatisch.
IgG-Subklassendefizienz
Von einer IgG-Subklassendefizienz spricht
man bei normalen Gesamt-IgG-Serumspiegeln, aber erniedrigter Konzentration einer
oder mehrerer IgG-Subklassen. IgG-Subklassendefekte können isoliert oder assoziiert mit anderen definierten primären Immundefekten vorkommen. Bei der Ataxia
teleangiectatica findet sich zum Beispiel
häufig ein IgG2-und IgG4-Mangel. Die klinische Relevanz eines IgG-Subklassendefektes ist individuell zu beurteilen und unterliegt einer großen Variation, wobei bes.
eine zusätzliche Störung der Antikörperbildung, z. B. selektiver Defekt der IgG-Antikörperbildung gegen bakterielle Polysaccharidantigene, zur Infektanfälligkeit
führen kann.
Bei Vorliegen einer selektiven Antikörperbildungsstörung werden Antikörper
gegen bestimmte Antigene (z. B. Non- oder
Low-Responder gegen Hepatitis B-SurfaceAntigen) oder bestimmte Antigentypen (z.
B. selektive Antikörperbildungsstörung gegen bakterielle Polysaccharidantigene) gar
nicht oder signifikant vermindert gebildet.
Dieser partielle Defekt der Antikörperbildung kann von anderen Auffälligkeiten der
humoralen Immunität begleitet sein. Beispiele sind hier eine IgG-Subklassendefizienz oder die Defizienz bestimmter Immunglobulin-Isotypen wie z. B. die IgADefizienz. Dabei handelt es sich um eine
überwiegende Störung der humoralen Immunität, d. h. die zell-mediierte Immunität
ist prinzipiell intakt.
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155
Angeborene Antikörpermangelsyndrome
Passageres Antikörpermangelsyndrom
des Kleinkindesalters
Ab dem sechsten Lebensmonat steigen bei
den meisten Säuglingen die IgG-Spiegel
kontinuierlich an, begleitet von einem Anstieg der IgA- und IgM-Spiegel. Unterbleibt
ein zeitgerechter Anstieg v. a. von IgG, aber
auch anderer Immunglobulin-Klassen, so
spricht man von einem passageren Antikörpermangelsyndrom des Kleinkindesalters, wobei definitionsgemäß die Fähigkeit, Antikörper gegen Proteinantigen, z. B.
Impfantigene, zu bilden, intakt ist (8). Die
Ursache dieser Erkrankung ist bislang nicht
geklärt und eine heterogene Ätiologie wahrscheinlich.
Klinische Symptomatik
einer angeborenen
Antikörperdefizienz
Angeborener Antikörpermangel kann in jedem Alter manifest werden. Das klinische
Bild ist dabei vor allem charakterisiert
durch wiederholte bakterielle Infektionen
des Respirations- und Gastrointestinaltraktes und/oder einzelne schwere „tiefe“ überwiegend bakterielle Infektionen wie Osteomyelitis, Sepsis, Meningitis ([35], Tab. 2).
Bei bestimmte Erkrankungen, wie z. B.
CVID, kann die durch die verminderte Antikörperbildung bedingte pathologische InTab. 2
fektanfälligkeit auch von Symptomen einer
immunologischen Regulationsstörung begleitet werden, z. B. durch granulomatöse
Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen,
Lymphoproliferation, oder aber auch durch
maligne vor allem hämatologische Erkrankungen kompliziert werden.
Die häufigste klinische Präsentation bei
signifikantem Antikörpermangel sind wiederholte bakterielle Infektionen des Atemwegstraktes (Otitits, Sinusitis, Bronchitis,
Pneumonie), insbesondere durch bekapselte Bakterien wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Moraxella catharralis. Diese rezidivierenden Infektionen können zu irreversiblen Schäden des
Lungengewebes im Sinne von Bronchiektasen, Lungenfibrose, Emphysem und letztlich zum Lungenversagen führen. Eine frühe Diagnose und engmaschige Betreuung
sind daher notwendig, um erhebliche Langzeitfolgen zu verhindern. Bei Infektionen
des Gastrointestinaltraktes handelt es sich
z. B. bei CVID-Patienten vor allem um Giardia lamblia, Salmonellen oder Campylobacter jejuni, die zu chronischem Durchfall
und Malabsorbtion führen können.
Im Gegensatz zu bakteriellen Infektionen werden Virusinfektionen bei Patienten
mit Antikörpermangel in der Regel ohne
wesentliche Komplikationen eliminiert, es
bleibt jedoch keine humorale Immunität zurück. Bei einzelnen Patienten, z. B. mit
XLA, wurden chronische Enterovirus-Infektionen des ZNS beschrieben, und eine
Anfälligkeit einzelner CVID-Patienten für
Reaktivierungen von Infektionen mit Viren
der Herpesfamilie (HSV, VZV, CMV) wird
berichtet. Besonders bei CVID-Patienten
können autoimmune, nicht-infektiöse inflammatorische und lymphoproliferative
Komplikationen auftreten.
Bei den autoimmunen Manifestationen
handelt es sich vor allem um Autoimmunthrombopenie oder autoimmun-hämolytischeAnämie. Bei manchen CVID-Patienten
steht dieser Autoimmunphänotyp im Vordergrund und kann der Suszeptibilität gegen
bakterielle Infektionen vorangehen. CVID
kann auch mit organspezifischer Autoimmunität (Thyreoiditis, perniziöser Anämie, Vitiligo) assoziiert sein. Im Fall einer
Arthritis bei CVID muss differenzialdiagnostisch eine Erreger-assoziierte Arthritis,
z. B. durch Mykoplasmen, ausgeschlossen
werden. Patienten mit XLA können auch
unter Arthritis der großen Gelenke leiden,
die sich unter Immunglobulin-Substitution
zurückbildet. Die Ätiologie der XLA-assoziierten Arthritiden ist unklar, denn in der
Regel gelingt im Gelenkspunktat kein Erregernachweis.
Bis zu 10% der CVID-Patienten entwickeln eine granulomatöse Entzündung
mit Sarkoidose-ähnlichen Läsionen in der
Lunge, Haut, Leber, im ZNS, Knochenmark
und in den Lymphknoten. Vor allem ein Befall des ZNS, der Leber und der Lunge können die Prognose wesentlich beeinflussen
und sind oft schwierig zu behandeln.
Im Bereich des Darms bestehen bei
CVID-Patienten Sprue-ähnliche Symptome
Klinik eines variablen Immundefektsyndroms: männlicher Patient, geboren 1975 (IVIG = intravenös verabreichte Immunglobuline)
stationärer Aufenthalt
Erkrankungen
03/1994 (18a)
IgA (mg/dl)
IgM (mg/dl)
inadäquate Therapieversuche
Anamnese: rezidivierende Pneumonie (im vergangenen <158
Jahr etwa alle drei Monate), Gewichtsabnahme
Diagnose: Pneumonie, Giardia lamblia Enteritis,
Verdacht auf Abwehrschwäche
<7
<27
einmalig IVIG 140 mg/kg Körpergewicht
02/1998 (22a)
Diagnose: Pneumonie
<195
<33
<30
IVIG 100 mg/kg Körpergewicht alle
4–6 Wochen
08/1999 (24a)
Diagnose: Pneumonie rechter Oberlappen;
Leberabszess; abdominale Lymphadenopathie;
Zustand nach Splenektomie wegen multipler
Milzabszesse; Abszess des M. psoas, Operation eines
Leberabszesses, Osteomyelitis
<251
<8
<7
IVIG 140 mg/kg Körpergewicht als Therapie
bei Infektion
<195
<33
<30
IVIG-Substitutionstherapie nicht indiziert
11/1999
01/2000, 03/2000 (25a)
05/2000
06/2000
08/2000
09/2000 (26a)
IgG (mg/dl)
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
156
Ehl et al.
und Crohn-ähnliche entzündliche Darmerkrankungen, die von infektiöser Genese
abgegrenzt werden müssen. Außerdem liegt
ein erhöhtes Risiko für Magenkarzinome
vor.
Nicht-maligne Lymphoproliferationen,
wie Splenomegalie, Lymphadenopathie und
noduläre lymphatische Hyperplasie des
Gastrointestinaltraktes, sind bei CVID-Patienten relativ häufig. Aufgrund eines höheren Risikos für Lymphome müssen Lymphknoten regelmäßig kontrolliert werden und
bei Verdacht auf maligne Entartung entnommen werden. Lymphome bei CVID
sind in der Regel extranodal und vom
B-Zell-Typ.
Bei Patienten mit XLA oder autosomalrezessiver Agammaglobulinämie treten erste klinischen Symptome typischerweise
früh, unter Umständen schon ab einem Alter
von 6–12 Monaten, auf, wobei die meisten
Patienten mit XLA mit mehr oder weniger
langer Verzögerung im Alter von 1–4 Jahren
diagnostiziert werden. Ein späteres Auftreten von klinischen Symptomen, wie z. B. bei
etwa 10% der XLA-Patienten, deren Symptome erst im Volksschulalter oder später beginnen (15), schließt jedoch eine XLA keineswegs aus. Im ersten Lebenshalbjahr ist
die Erkrankung durch die passiv übertragenen mütterlichen Antikörper maskiert. Die
hervorstechende klinische Manifestation ist
wie bei allen anderen Formen einer schweren Antikörperbildungsstörung, das Auftreten von wiederkehrenden und/oder therapieresistenten bakteriellen Infektionen der
Atemwege (Otitis media, Sinusitis, Bronchitis, Pneumonie) und/oder schwer verlaufenden systemischen bakteriellen Infektionen (Sepsis, Meningitis, Osteomyelitis), vor
allem mit kapselbildenden grampositiven
Bakterien. Die häufigsten Erreger sind dabei Pneumokokken, Haemophilus spp., Meningokokken (7, 15, 18), in geringerer Häufigkeit kommen auch andere Erreger wie
Staphylokokken oder Pseudomonas aeruginosa vor. Hautinfektionen wie Pyoderma
gangraenosum, Abszesse oder Zellulitis
können erste Symptome besonders im ersten Lebensjahr sein. Systemische Infektionen durch Mykoplasmen wurden beschrieben. Daneben besteht eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber Infektionen mit Enteroviren
(Echo-, Coxsackie- und Polioviren), wobei
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
neben einer Infektion des Gastrointestinaltraktes sekundär über hämatogene Streuung
persistierende Infektionen des ZNS, der
Haut, der Muskulatur und anderer Organe
vorkommen können (21).
Diagnose einer angeborenen
Antikörperdefizienz
Hinsichtlich der diagnostischen Abklärung
einer angeborenen Antikörperdefizienz
sollten die für die adäquate Behandlung und
Betreuung der Patienten unbedingt notwendigen Untersuchungen von dem großen
Spektrum an weiterführenden Untersuchungen abgegrenzt werden, die überwiegend auch wissenschaftliche Fragestellungen beantworten. Wie bei allen primären
Immundefektsyndromen ist auch hier die
Durchführung mehr oder weniger spezieller
Laboruntersuchungen notwendig, sodass
eine enge Kooperation zwischen dem behandelndenArzt (z. B. dem Pädiater) und einem klinisch-immunologisch spezialisierten Zentrums einschließlich Speziallabor
erforderlich ist.
Eine angeborene Antikörperdefizienz
sollte bei jedem Kind ausgeschlossen werden, bei dem eine über die Altersnorm erhöhte Frequenz an Atemwegsinfektionen
(Otitis, Sinusitis, Bronchititis, Pneumonie)
vorliegt. Wesentlich ist die Anamnese der
Infektneigung mit den typischen bakteriellen Infektionen der Schleimhäute des Atemund Verdauungstraktes. Die Anamnese
muss außerdem eine sorgfältige Familienanamnese zum Ausschluss einer familären
Häufung enthalten. Eine positive Familienanamnese (ein erkrankter Onkel mütterlicherseits, ein Cousin oder Bruder mit derselben Erkrankung) unterstützt z. B. dieVerdachtsdiagnose einer XLA. Allerdings findet sich bei einem erheblichen Teil der primären Immundefekte mit bekannter Vererbung eine Neumutation mit entsprechend
unauffälliger Familienanamnese (18).
Die entscheidende, primäre und kostengünstige Laboruntersuchung ist die quantitative Bestimmung der Serumimmunglobuline; so haben z. B. CVID-Patienten erniedrigte IgG- und meist auch IgA-Serumspiegel. Ungefähr 85% zeigen eine zusätzliche
Reduktion des IgM. Hierbei ist es wichtig,
altersentsprechende Normwerte zu berücksichtigen und sekundäre Ursachen (z. B. Eiweißverlust, immunsuppressive Behandlung) für eine Hypogammaglobulinämie
auszuschließen. Die Bestimmung der IgGSubklassen ist keine Routineuntersuchung
und sollte gezielt bei Kindern mit typischer
Klinik und grenzwertig normalen IgG-Serumwerten durchgeführt werden. Dagegen
gibt es keinen Grund IgG-Subklassen bei
bereits deutlich erniedrigtem Gesamt-IgG
zu bestimmen. Neben der quantitativen Untersuchung der Serumimmunglobuline ist
es wichtig, nach einer eingeschränkten Fähigkeit zur Bildung spezifischer Antikörper
nach Impfungen oder Infektionen zu suchen. Hierbei sollten sowohl Impfantworten
auf T-Zell-abhängige, meist Proteinantigene, als auch T-Zell-unabhängige, z. B. Polysaccharidantigen, untersucht werden. In
entsprechend spezialisierten Zentren wird
mithilfe weiterführender immunologischer
Untersuchungen von B- und T-Zellen, funktioneller Untersuchungen, z. B. des Klassenwechsels, und genetischer Untersuchungen eine weitere Zuordnung des Immundefekts erfolgen. Soweit bekannt, erfolgt die
weiterführende Diagnose der angeborenen
Antikörperdefizienz durch Untersuchung
der Expression des defekten Proteins (z. B.
Btk-Expression auf Proteinebene mittels
Western-Blot [10]) sowie durch den Nachweis der Genmutation. Nur in wenigen Fällen führt derzeit die genetische Diagnostik
zu einer Änderung der Therapieoptionen,
sie ist aber wann immer möglich als endgültige Diagnosesicherung sowie zur weiteren
Betreuung der Familie anzustreben.
Für die Kontrolle sekundärer Komplikationen sind regelmäßige Untersuchungen
des Blutbildes, des Erregerspektrums, der
Milzgröße durch klinische Untersuchung
und ggfs. Ultraschall sowie der Lungenfunktion bei Verdacht auf Einschränkung
notwendig. Zum Ausschluss von Bronchiektasen und beginnender Lungenfibrose
muss bei entsprechender Symptomatik eine
Computertomographie desThorax durchgeführt werden. Die Abklärung der gastrointestinalen Symptomatik umfasst Stuhlkulturen, und bei beginnend chronischen Verläufen auch die Endoskopie des oberen und
unteren Gastrointestinaltraktes.
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157
Angeborene Antikörpermangelsyndrome
Differenzialdiagnose
Das infektanfällige Kind ist eines der häufigsten Probleme in der Pädiatrie und hat eine breite Differenzialdiagnose. Sie schließt
die Anwesenheit von Risikofaktoren, wie
ältere Geschwister, Betreuung in Tagesstätten, Rauchen in der Familie, sowie die Anwesenheit von prädisponierenden Erkrankungen, wie Asthma, Herz- oder Lungenerkrankungen, genetische Erkrankungen,
wie Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, zystische
Fibrose oder Kartagener-Syndrome, HIVInfektionen oder onkologische Erkrankungen ein. Wichtig ist der Ausschluss einer
Reihe von Erkrankungen, die zu einer sekundären Antikörperdefizienz führen können (16).
Behandlung der angeborenen
Antikörperdefizienz
Es gibt derzeit keine kurative Behandlung
für Patienten mit primärer Antikörperdefizienz. Der lebenslange Ersatz von Immunglobulinen stellt jedoch eine effektive Behandlung dar, der bei den meisten Patienten
zu einer Reduktion der klinischen Symptomatologie, z. B. der Infektanfälligkeit, führt.
Immunglobuline können intravenös (IVIG)
in 3- bis 4-wöchentlichen Abständen in Dosen von 200–600 mg/kg KG verabreicht
werden. Die IgG-Talspiegel vor der nächsten Infusion müssen bei dieser Behandlung
regelmäßig überwacht werden, und sollen
nach heutigen Maßstäben 600–900 mg/dl
nicht unterschreiten. Eine individuelle Dosierung, entsprechend dem klinischen Bedarf des Patienten zur Infektkontrolle, ist in
Betracht zu ziehen, die genannte Mindestdosierung sollte jedoch nicht unterschritten
werden. Intravenöse Immunglobuline werden in der Regel gut vertragen; bei 1–10%
der Patienten führen jedoch interkurrente
Infektionen, schnelle Infusionsraten sowie
die Temperatur des infundierten Präparates
zum Auftreten von Nebenwirkungen wie
Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Anaphylaktische Reaktionen sind
selten, sollten aber insbesondere bei Patienten mit komplettem IgA-Defekt bedacht
werden. Es empfiehlt sich daher, die ersten
Infusionen unter Überwachungsbedingungen mit Reanimationsbereitschaft durchzuführen. Für das IVIG konnte überzeugend
gezeigt werden, dass die Infektionsrate
deutlich gesenkt werden kann und weniger
Krankenhausaufenthalte oder antibiotische
Therapien notwendig sind. Eine mindestens
genauso effektive Therapie ist die subkutane Verabreichung der Immunglobuline
(SCIG), die wöchentlich durch die Patienten selbst durchgeführt wird. Die Immundefektzentren bieten eine entsprechende
Schulung für Patienten und Angehörige an.
Auch unter dieser Therapie sollten die Patienten alle drei Monate kontrolliert werden.
Neben der Immunglobulin-Ersatztherapie müssen bakterielle Infektionen rasch, in
ausreichender Dosierung und ausreichender
Therapiedauer behandelt werden. Eine Erregerisolation und Resistenztestungen sollten angestrebt werden. Bei manchen Patienten ist eine antimikrobielle Prophylaxe sinnvoll, die dem Keimspektrum des individuellen Patienten angepasst werden sollte. Cotrimoxazol oder Amoxicillin sind in der Regel dafür geeignete Medikamente.
Die Therapie der Autoimmunmanifestationen der CVID-Erkrankung einschließlich Autoimmunzytopenie und entzündlicher Darmerkrankungen stellt oft eine Herausforderung dar, die nur in Zusammenarbeit mit Immundefektzentren durchgeführt werden sollte. Für keine der Therapien besteht eine ausreichende Evidenz.
Meist werden zunächst Steroide systemisch
oder lokal eingesetzt.
All diese Therapiemaßnahmen müssen
von einer intensiven Aufklärungs- und Beratungstätigkeit einschließlich psychosozialer Betreuung dieser chronisch kranken Kinder begleitet werden. Hier müssen
der Kinderarzt in der Praxis und im Immundefektzentrum eng zusammenarbeiten.
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Stephan Ehl
Universitätsklinikum Freiburg
Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Mathildenstr. 1
79106 Freiburg
Tel.: 07 61/2 70–4309
Fax: 07 61/2 70–4599
E-Mail: [email protected]
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160
Immundefekte
© 2008
Schattauer GmbH
Granulozytendefekte
Uwe Wintergerst, Anita Rack, Johannes G. Liese, Bernd H. Belohradsky
Kinderklinik der Ludwig-Maximilians-Universität im Dr. von Haunerschen Kinderspital, München
(Direktor: Prof. Dr. med. D. Reinhardt)
Schlüsselwörter
Granulozyten, Phagozyten primäre Immundefekte, angeborenes Immunsystem
Zusammenfassung
Hereditäre Störungen der Granulozyten betreffen das angeborene Immunsystem („innate immunity“). Sie lassen sich
in Erkrankungen mit quantitativer Reduktion und funktionellen Störungen der Granulozyten/Phagozyten einteilen.
Sie können ferner isoliert oder als Begleitsymptom weiterer
Störungen auftreten. Pathogenetisch sind Mutationen in so
unterschiedlichen Molekülen wie Enzymen, Transkriptionsfaktoren, Adhäsionsproteinen und Strukturproteinen ursächlich beteiligt. Der folgende Übersichtsartikel stellt die
Krankheitsbilder schwere kongenitale Neutropenie, zyklische Neutropenie, Shwachman-Diamond-Syndrom, Glykogenose Ib, Chediak-Higashi-Syndrom, Dyskeratosis congenita, Knorpel-Haar-Hypoplasie, Leukozytenadhäsionsdefekte I-III, ß-Actin-Defizienz, RAC-2-Defizienz, spezifischer Granula-Defekt, Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase sowie chronische Granulomatose vor.
Granulocytes, Phagocytes, prim immunodeficiencies, innate immune system
Summary
Hereditary defects of granulocytes are defects of the innate
immune system. They can be classified as quantitative or
qualitative deficiencies and can present as a single defect or
as part of a syndrome. Pathogenetically mutations in such
different molecules like enzymes, transcriptional factors,
adhesion proteines or structural proteins are involved. This
review deals with severe congenital neutropenia, cyclic
neutropenia, Shwachman-Diamond syndrome, glycogenosis Ib, Chediak-Higashi syndrome, dyskeratosis congenita,
Cartilage-hair hypoplasia, leukocyte adhesion deficiency
I-III, ß-actin deficiency, RAC-2 deficiency, specific granule
deficiency, glucose-6-phosphate dehydrogenase deficiency, and chronic granulomatous disease.
Defects of granulocytes
Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 160–170
sches Syndrom bzw. eine akute myeloische
Leukämie entwickelt (98). Ca. 80% entwickeln zuvor eine Mutation im G-CSF-Rezeptor.
Diagnose
SCN-Patienten haben eine persistierende
schwere Neutropenie (<500 Zellen/µl).
Beim diagnostischen Vorgehen sollte zunächst die wesentlich häufigere Autoimmunneutropenie durch Bestimmung von
antineutrophilen Antikörpern ausgeschlossen werden. Finden sich keine neutrophilen
Antikörper, ist eine Knochenmarkuntersuchung angezeigt. Bei SCN wird ein Maturationsarrest auf Ebene der Promyelozyten
gefunden. Die molekulargenetische Analyse kann denTyp genauer einordnen (109).
Therapie
S
törungen der Granulozyten betreffen das angeborene Immunsystem
(„innate immunity“). Sie lassen sich
in Erkrankungen mit quantitativer Reduktion und funktionellen Störungen der Granulozyten/Phagozyten einteilen (Tab. 1).
Schwere kongenitale
Neutropenie
Die schwere kongenitale Neutropenie (SCN)
ist ein angeborener Immundefekt mit einer
Häufigkeit von 1–2 Fällen pro
1 000 000/Jahr. Diese Erkrankung ist charakterisiert durch früh einsetzende, bakterielle
Infektionen bei persistierender schwerer
Neutropenie (<200 Zellen/µl) (98, 109). Bisher wurden mehrere Gendefekte gefunden.
Etwa die Hälfte der autosomal-dominanten
und sporadischen Formen sind durch MutaKinder- und Jugendmedizin 3/2008
Keywords
tionen im Neutrophilen-Elastase-Gen (Ela2)
bedingt (109). Bei der autosomal-rezessiven
Form wurden Mutationen im HAX1-Gen (52)
gefunden. Eine X-gebundene Form ist durch
eine konstitutive Überaktivierung im Wiskott-Aldrich-Gen (WAS) verursacht (22). Die
Neutrophilen-Elastase ist an der Synthese der
Promyelozyten und das HAX1 an der Kontrolle der Apoptose beteiligt
Klinische Manifestation
Die Patienten leiden von Geburt an an
schweren, rezidivierenden bakteriellen Infektionen. Es handelt sich meistens um Abszesse, orale Ulzera, Pneumonien und Omphalitis. Unbehandelt versterben die meisten Kinder in den ersten Lebensjahren. SCN
wird auch als ein präleukämisches Syndrom
angesehen, weil ein größererTeil der Patienten im weiteren Verlauf ein myelodysplasti-
Therapie der Wahl ist die Gabe von rekombinantem granulozytenstimulierendem Faktor (G-CSF). Die Dosis sollte so gewählt
werden, dass 24 h nach Gabe die Granulozytenzahl >1500 bis 5000 Zellen/µl beträgt.
Man beginnt mit 5µg/kg KG/Tag. Unter
G-CSF reduziert sich die Zahl neuer Infektionen signifikant (109).
Eine Stammzelltransplantation ist bei
Patienten mit Mutationen im G-CSF-Rezeptor angezeigt, die nicht auf G-CSF ansprechen oder unter G-CSF ein myelodysplastisches Syndrom bzw. eine akute Leukämie entwickeln (56). Alle Patienten mit
SCN sollten mindestens alle 6 Monate klinisch untersucht und alle 3 Monate sollte
ein komplettes Blutbild durchgeführt werden (109).
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Eingegangen: 10. Dezember 2007; angenommen: 17. Dezember 2007
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Granulozytendefekte
Tab. 1
Zyklische Neutropenie
Angeborene Störungen der Granulozytenzahl und -funktion
Erkrankung
pathophysiologische Störung
Gendefekt
schwere kongenitale Neutropenie
(Kostmann-Syndrom)
Ausreifungsstörung der Granulozyten
Ela-2, HAX-1
zyklische Neutropenie
zyklische Ausreifungsstörung
Ela-2
Shwachman-Diamond-Syndrom
Pankreasinsuffizienz, Neutropenie
SBDS-Gen
Glykogenose Ib
Glykogenspeicherung, Neutropenie
Glukose-6-Phosphatase
Chediak-Higashi-Syndrom
fehlende NK-, T-Zellzytotoxizität aufgrund einer Sekretionsstörung von
Granula
LYST
Dyskeratosis congenita
Dyskerin, Telomerase
DKC1, TERC
Knorpel-Haar-Hypoplasie
RNA-Verdauung
RMRP
Leukozytenadhäsionsdefekte I-III
Adhäsionsmolekül CD18 (LAD-I),
Fucosylierungsstörung (LAD-II), Aktivierungsstörung der Integrine (LAD-III)
CD18-Molekül, GDP-Transporter (LAD-II)
ß-Actin-Defizienz
Actinpolymerisation, Migration
ß-Actin-Gen
RAC-2-Defizienz
Migration, fehlende Sauerstoffradikalproduktion
RAC-2
spezifischer Granula-Defekt
fehlende Bildung von Granula
CEBPe
Diagnose
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase
Um den zyklischen Verlauf der Neutrophilenzahl zu erfassen, muss über 6 Wochen
zweimal wöchentlich ein Differenzialblutbild angefertigt werden. Die Knochenmarkuntersuchung zeigt in Phasen der Neutropenie einen Reifungsstop auf der Ebene früher
Vorläuferzellen (Promyelozyten) (26).
fehlender respiratorischer Burst,
Hämolyse
Glukose-6-Phosphat-Dehydrogenase,
NADPH-Oxidase intakt
chronische Granulomatose
fehlende Sauerstoffradikalproduktion
Defekt der NADPH-Oxidase 4 Formen:
CYBB, CYBA, NCF-1, NCF-2
Die zyklische Neutropenie (CN) ist ein seltener Immundefekt mit einer Frequenz von
1/1 000 000/Jahr, charakterisiert durch eine
alle 3 Wochen wiederkehrende und für 3–6
Tage dauernde Neutropenie (18). Die zyklische Neutropenie ist durch eine abnorme
Regulation früher hämatopoetischer Vorläuferzellen bedingt. Häufig werden Mutationen im Ela2-Gen nachgewiesen (19).
Klinische Manifestation
quantitative Defekte
qualitative Defekte
Die Patienten sind normalerweise in der
Phase zwischen den Neutropenien symptomfrei, leiden aber während der Neutropenie häufig an Fieber, oralen Ulzera, Gingivitis, Abszessen oder Sepsis (26, 87).
Therapie
Ca. 10% der Patienten mit zyklischer Neutropenie erleiden lebensbedrohliche Infektionen. Bei schwerem klinischem Verlauf ist
eine Therapie mit G-CSF angezeigt (18).
Shwachman-DiamondSyndrom
Das
Shwachman-Diamond-Syndrom
(SDS) umfasst eine exokrine Pankreasinsuffizienz, eine Knochenmarkhypoplasie
und eine metaphysäre Chondrodysplasie
(97). Die Erkrankung ist durch Mutationen im SBDS-Gen bedingt (96), dessen
Funktion derzeit noch nicht genügend
verstanden wird. Vermutlich ist das ent-
sprechende Protein an der Regulation der
Ribosomen, der Chromatintranskription
und der Modulation von Apoptose beteiligt (83, 102).
Klinische Manifestation
Patienten mit Shwachman-Diamond-Syndrom leiden aufgrund der Pankreasinsuffizienz an Gedeihstörungen mit übelriechenden Stühlen, Wachstumsretardierung und
einer persistierenden bzw. intermittierenden
Neutropenie mit rezidivierender Otitis media, Sepsis und Pneumonie. Während sich
die Pankreasinsuffizienz im Verlauf bessern
kann, entwickeln die Patienten etwa nach
dem 4. Lebensjahr häufig eine Anämie und/
oder Thrombozytopenie. Bei ca. 10% der
Patienten treten ein myelodysplastisches
Syndrom und/oder eine akute myeloische
Leukämie auf (36, 97).
Diagnose
Der Verdacht auf ein Shwachman-DiamondSyndrom sollte sich ergeben bei der Kombination einer Pankreasinsuffizenz, Minderwuchs und Knochenmarkversagen wie z. B.
einer Neutropenie oder Thrombozytopenie.
Im abdominellen Ultraschall zeigt sich das
Pankreas echoreich („weißes Pankreas“). Für
die Bestätigung der Pankreasinsuffizienz
sollte eine 72-Stunden-Stuhlsammlung mit
Fettbestimmung und Messung von Serumtrypsinogen durchgeführt werden.
Die Chemotaxis der Neutrophilen ist reduziert. Wegen der Blutbildveränderungen ist eine Knochenmarkuntersuchung mit Zytogenetik indiziert (Ausschluss von Fanconi-Anämie
und Chromosomenbruchsyndromen). Die Diagnose kann durch eine molekulargenetische
Analyse des SBDS-Gens gesichert werden.
Ein fehlender Nachweis einer Mutation
schließt die Diagnose jedoch nicht aus.
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
162
Wintergerst et al.
Therapie
Bei Vorliegen einer Pankreasinsuffizienz
sollten zunächst Pankreasenzyme substituiert und die Neutropenie im Falle rezidivierender Infektionen mit G-CSF behandelt
werden. Patienten mit Panzytopenie, myelodysplastischem Syndrom (MDS) oder akuter myeloischer Leukämie sollten einer
Knochenmarktransplantation
zugeführt
werden. Die akute Überlebensrate nach
Transplantation beträgt allerdings derzeit
nur ca. 60–70% (14, 97).
Glykogenose Ib
Die Glykogenose 1b ist bedingt durch einen
Defekt in der Glukose-6-Phosphat-Translokase, die für den Transport von Glukose6-Phosphat in das endoplasmatische Retikulum essenziell ist. Hierdurch ist, ähnlich der
Glykogenose Ia, die Freisetzung von Glukose
aus der Zelle gestört. DiesesTransportsystem
ist besonders für Neutrophile wichtig.
Klinische Manifestation
Die Glykogenose 1b ist gekennzeichnet
durch Hypoglykämien, Hepatomegalie,
Wachstumsretardierung und Neutropenie mit
rezidivierenden bakteriellen Infektionen.
Diagnose
Die Diagnose kann beiVorliegen einer Hepatomegalie, Hypoglykämie, die sich nicht auf
Glukagon bessert, Hyperlipidämie, erhöhtem Laktat und Neutropenie vermutet werden. Eine definitive Diagnose kann einerseits
durch die fehlende Aktivität der Glukose6-Phosphat-Translokase im Lebergewebe
oder molekulargenetisch durch eine Mutationsanalyse des Gens gestellt werden.
Therapie
Die Hypoglykämien müssen durch intermittierende oder kontinuierliche Zufuhr ungekochter Stärke behandelt werden. Je nach
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Schwere der Neutropenie ist eine Therapie
mit G-CSF indiziert.
Chediak-Higashi-Syndrom
Das Chediak-Higashi-Syndrom (CHS) ist
eine seltene autosomal-rezessive Krankheitsentität, bestehend aus Hypopigmentierung, schwerem Immundefekt besonders
der NK-Zellen, Blutungsneigung und neurologischen Störungen mit Riesengranula in
allen granulierten Körperzellen. (15, 44).
Das bei CHS defekte CHS-Protein ist vermutlich an der Steuerung intrazellulärer
Membranfusionen beteiligt und wird von
dem auf Chromosom 1q42-q43 gelegenen
Gen LYST kodiert (75).
Klinische Manifestation
Aufgrund des ubiquitärenVorkommens dieser
lysosomalen Störung in vielen unterschiedlichen Körperzellen tritt eine Vielzahl von
Symptomen auf. Kennzeichnend ist eine Hypopigmentierung von Haut und Haaren mit
Variabilität zwischen milder Ausprägung und
totalem Albinismus (99). Ist auch die Iris betroffen, können damit Lichtempfindlichkeit,
Nystagmus und Sehschwäche einhergehen
(86).DieKinderleidenanhäufigen,oftschweren Infektionen v. a. der Haut und des Zahnfleisches, mit Staphylo- und Streptokokken, Blutungs- und Hämatomneigung aufgrund gestörter Plättchenfunktion (13) und neurologischen
Symptomen wie Krampfanfällen, mentaler
Retardierung, Hirnnervenparesen und progressiver peripherer Neuropathie mit Muskelschwäche (71). Bei 85% der Patienten tritt im
Verlauf eine sogenannte akzelerierte lymphoproliferative Phase mit Panzytopenie, Blutungsneigung, lymphohistiozytären Infiltraten
(Knochenmark, Lymphknoten, Milz, Leber,
Lunge), Fieber, Ikterus, Lymphadenopathie,
Hepatosplenomegalie und Gingivitis ein (9).
Liegt eine mildere Verlaufsform vor
(10–15%), kann das Erwachsenenalter erreicht werden, viele Patienten sterben jedoch
im ersten Lebensjahrzehnt.
Diagnose
Die Leukozyten, teilweise auch die Thrombozyten, in peripherem Blut und Knochenmark enthalten typischerweise PAS-positive
Riesengranula, die rote Reihe ist meist ausgenommen. Während die Phagozytose intakt
ist, sind die NK- und T-Zell-Zytotoxizität
durch reduzierte intrazelluläre Lyse aufgrund
von gestörter Enzymsekretion aus den Riesengranula herabgesetzt und die Chemotaxis
ist vermindert (101). Die Mikroskopie von
Haut oder Haarschaft zeigt Riesenmelanozyten mit Reifungsstörung und Fibroblasten mit
großen Granula. Im CT oder MRT können eine diffuse Hirn- und Rückenmarksatrophie
auffallen (6), weiterhin kann es zu verminderter Nervenleitgeschwindigkeit und neurogener Muskelatrophie sowie zu Riesengranula
in Schwann- und Muskelzellen kommen.
Aufgrund seiner enormen Größe ist die
Analyse des LYST-Gens bisher nur im Rahmen von Forschungsprojekten möglich, erlaubt jedoch eine grobe Genotyp-PhänotypKorrelation mit Null-Mutationen, die meist zu
schwerer, und Missense-Mutationen, die zu
milderer klinischer Ausprägung führen (49).
Zur Pränataldiagnostik kann die Diagnose
aus fetalen Blut- , Haarzellen oder Amnionzellen mikroskopiert gestellt werden (25).
Therapie
Bisher gibt es keine spezifische Therapie
und die Langzeitprognose unbehandelter
Patienten ist schlecht. Die einzige kurative
Möglichkeit hinsichtlich des Immundefekts
und der Verhinderung der akzelerierten
Phase bietet die Knochenmarktransplantation (41). Letztere ist auch noch in der akzelerierten Phase wirksam, während eine Chemotherapie nur temporär wirksam ist.
Die Haut- und neurologischen Symptome werden von einer Knochenmarktransplantation allerdings nicht beeinflusst. Letztere können eventuell durch Kortikosteroide
aufgehalten werden (33).
Bei akuten Infektionen kann die Neutropenie durch die Substitution von Granulozytenstimulierendem Faktor (G-CSF) positiv beeinflusst werden (5). Akute Infektionen müssen
aggressiv und frühzeitig behandelt werden. Eine Gentherapie ist bisher nicht verfügbar.
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Granulozytendefekte
Dyskeratosis congenita
Die Dyskeratosis congenita (DC) ist eine Multisystemerkrankung mit einer Prävalenz von
1:1 000 000/Jahr. Es besteht eine ausgeprägte
klinische und genetische Heterogenität. Die
X-chromosomale Form beruht auf Mutationen
im DKC1-Gen (Xq28), das für das Protein
Dyskerin kodiert und in den Nukleoli aller
Körperzellen vorliegt (42). Bei Patienten mit
autosomal-dominantem Erbgang und milderem Verlauf wurden Mutationen im TERCGen (Chromosom 3q) gefunden (105), die in
reduzierter Telomerase-Aktivität resultieren
und in folgenden Generationen durch progressive Verkürzung der Telomere zu erschwerter
Krankheitsausprägung führen.
Klinische Manifestation
DC ist charakterisiert durch die mukokutane Symptomtrias aus abnormaler Hautpigmentierung, Nageldystrophie und Leukoplakie. Daneben wurden Veränderungen der
Zähne, der Augen, des Gastrointestinal-,
Genitourinal- und Skelettsystems sowie
neurologische Störungen beschrieben (24).
Limitierend sind pulmonale Komplikationen aufgrund eines schweren T-, B- und
NK-Immundefekts und eines Knochenmarkversagens sowie maligner Entartung.
Dies sind Kennzeichen der neonatalen
Form, die Hoyeraal-Hreidarsson-Syndrom
genannt wird (46, 47).
Diagnose
Die Diagnose wird klinisch gestellt. Bei Verdacht ist eine molekulargenetische Untersuchung indiziert (Mutation im DKC-TERC1-Gen). Differenzialdiagnostisch zum Knochenmarksversagen sind eine aplastische
Anämie, ein myelodysplastisches Syndrom
und eine Fanconi-Anämie auszuschließen.
Eine Pränataldiagnose ist möglich.
Therapie
Hautpflege, Sonnenschutz und Mundhygiene sowie die Vermeidung von Zigaretten-
rauch undAlkohol sind die Grundpfeiler der
Therapie. Die Blutbildung kann durch
Oxymetholon, G-CSF und Erythropoetin
angeregt werden. Durch Stammzelltransplantation kann zwar das Knochenmarkversagen behandelt werden, die Patienten sterben aber häufig wenige Jahre später an Gefäßkomlikationen und Infektionen (53, 112,
115-118).
Knorpel-Haar-Hypoplasie
Die Knorpel-Haar-Hypoplasie (CHH) ist eine autosomal-rezessive Chondrodysplasie
mit Immundefekt. Zugrunde liegt der Defekt
einer Endoribonuklease, kodiert vom RMRPGen auf Chromosom 9p12. Das Enzym verdaut RNA in der mitochondrialen DNA-Synthese und prä-rRNA im Nukleolus (88).
Klinische Manifestation
Die Erkrankung umfasst Kleinwuchs
(70%), Haarhypoplasie, Immundefekt mit
Anfälligkeit für virale, bakterielle und Pilzinfektionen mit rezidivierenden Atemwegsinfektionen (ca. 60%), chronischer Sinusitis
und Diarrhö, hypoplastische Anämie
(80%), Assoziation mit M. Hirschsprung
(7%), gestörte Spermatogenese, dysproportionierte, kurze Extremitäten, Skoliose
(21%), Lendenlordose (85%), dünnes, lichtes Haar sowie Gelenklaxizität oder -streckhemmung (65, 63). Neben pulmonalen Infektionen sind Non-Hodgkin-Lymphome
lebenslimitierend (64).
Diagnose
Die Diagnose basiert auf dem klinischen
Phänotyp. Daneben finden sich eine moderate Lymphopenie und bei ca. 60% der
Patienten eine eingeschränkte Lymphozytenantwort auf Mitogenstimulation bei zugrunde liegendem T-Zelldefekt. Die Immunglobulinspiegel sind normal. Die Mutationsanalyse des RMRP-Gens sichert die
Diagnose und ermöglicht eine Pränataldiagnose.
Therapie
In den ersten Lebensjahren können bei mildem Phänotyp zunächst symptomatisch antibiotische und antivirale Medikamente sowie Erythrozytenkonzentrate eingesetzt
werden. Aufgrund des 90-fach erhöhten Risikos für ein Non-Hodgkin-Lymphom sollte
eine Stammzelltransplantation erwogen
werden. Diese behebt allerdings nicht die
skelettalen Veränderungen und die Aganglionose (10). Erythropoetin und Wachstumshormon sind wirkungslos, Lebendimpfungen kontraindiziert. Die Aganglionose
muss operativ behandelt werden.
ß-Actin-Defizienz
Die β-Actin-Defizienz ist wie die RAG2-Defizienz eine Leukozytenmigrationsstörung. Sie führt zu einer gestörten Actinpolymerisation von Neutrophilen durch eine Mutation im nicht-myofibrillären
β-Actin-Gen (ACTB) (78).
Klinische Manifestation
Die Patienten leiden an wiederkehrenden
bakteriellen und mykotischen Infektionen,
an mentaler Retardierung und Photosensitivität (77).
Diagnose
Die Chemotaxis und Phagozytose sind erheblich eingeschränkt, ebenso die Polymerisation von Actinmonomeren; die
CD18- und CD15A-Expression sind normal. Die Diagnose kann durch eine Mutationsanalyse desACTB-Gens gestellt werden.
Therapie
Die Knochenmarktransplantation ist die
derzeit einzige Form der kurativen Therapie. Bei Fehlen eines geeigneten Spenders
sollte eine Antibiotika-Dauerprophylaxe
(z. B. Cotrimoxazol) verabreicht werden.
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
164
Wintergerst et al.
pisch ist die Anzahl spezifischer Granula signifikantreduziert.WährendimSpeichelnormale Mengen Laktoferrin und Transcobalamin-1
vorkommen, fehlen diese beiden Moleküle im
Plasma und in den Neutrophilen. Die Erkrankung kann durch eine molekulargenetische
Analyse des CEBPε-Gens bestätigt werden.
Therapie
Abb. 1
Funktion der NADPHOxidase
RAC-2-Defizienz
Therapie
Die RAC-2-Defizienz bedingt eine Leukozytenmigrationsstörung. Ähnlich den Leukozytenadhäsionsproteindefekten (LAD I-III)
und der β-Actin-Defizienz kommt es am Ort
der Infektion nicht zur Eiterbildung (1).
RAC-2 ist einerseits eine Komponente der
granulozytären NADPH-Oxidase (Abb. 1),
weshalb bei Fehlen von RAC-2 die Bildung
reaktiver Sauerstoffradikale gestört ist (2).
Andererseits ist RAC-2 als Rho-GTPase
wichtig für die Expression von L-Selektin
und F-Actin. Mutationen in RAC-2 führen
zur Störung der Actinpolymerisation und der
Chemotaxis (77).
Klinische Manifestation
Das klinische Erscheinungsbild ähnelt Patienten mit LAD-I (89).
Diagnose
Die CD18-Expression ist normal, die Chemotaxis gegen das Peptid FMLP oder den
Komplementfaktor C5A ist vermindert,
ebenso die Bildung von Sauerstoffradikalen
nach Stimulierung mit FMLP (89). Die Diagnose erfordert den Nachweis der Wiederherstellung der Oxidaseaktivität in einem
zellfreien System nach Hinzugabe von gereinigtem RAC-2.
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Schwere Infektionen müssen frühzeitig mit
Antibiotika und eventuell mit Granulozytentransfusionen behandelt werden. Eine
Heilung ist nur durch Stammzelltransplantation möglich (89).
Spezifischer Granuladefekt
Der spezifische Granuladefekt ist eine äußerst seltene Erkrankung, die zu einer gestörten Chemotaxis und verminderten
Hochregulierung von Toll-like-Rezeptoren
führt. Hierdurch kommt es zu einer erhöhten Empfänglichkeit für bakterielle Infektionen. Die Erkrankung ist bedingt durch eine Mutation in einem myelopoetischen
Transkriptionsfaktor (CEBPε) (54).
Klinische Manifestation
Die Patienten leiden an ulzerativen und nekrotischen Läsionen der Haut- und Schleimhäute bedingt durch Staphylococcus aureus
und/oder Pseudomonas aeruginosa.
Diagnose
Durch eine Antibiotika-Dauerprophylaxe
kann die Infektionsfrequenz deutlich gesenkt werden. Bei akuten Infektionen solltenAntibiotika gegeben werden, die Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa
und Klebsiella-Spezies umfassen.
Leukozytenadhäsionsproteindefekte (LAD I–III)
Leukozytenadhäsionsproteindefekte sind
seltene Immundefekte mit einer Inzidenz von
ca. 1/1 000 000 Einwohner/Jahr. Sie sind gekennzeichnet durch Defekte der neutrophilen
Adhäsion an der Gefäßwand, wodurch neutrophile Granulozyten nicht an den Ort der
Infektion wandern können (67). Ätiologisch
werden sie in drei Formen eingeteilt (79):
● LAD-I ist gekennzeichnet durch eine defekte β-Kette (CD18) eines Integrins,
das an die endothelialen Rezptoren
ICAM-1 bzw. ICAM-2 bindet, um das
Gefäßsystem verlassen zu können.
● LAD Typ II ist durch eine fehlende Fucosylierung von Selektinen, die für das
„Rolling“ der Granulozyten an der Gefäßwand wichtig sind, gekennzeichnet
(27). Aufgrund dieses Fucosylierungsdefektes wird LAD-II auch als „Congenital Disorders of Glycosylation“ (CDG
Typ IIc) klassifiziert (59, 61, 110).
● LAD Typ III wurde kürzlich beschrieben
als Aktivierungsdefekt von Integrinen. Im
Gegensatz zu LAD-I ist die Expression
von CD18 normal. LAD-III ist durch eine
Fehlfunktion des Moleküls RAP-1, einer
regulatorischen GPTase, bedingt (51).
Im Blutausstrich sind zweigelappte Granulozyten pathognomonisch. Die Chemotaxis ist deutlich eingeschränkt und elektronenmikrosko-
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Granulozytendefekte
Klinische Manifestation
Therapie
Diagnose
LAD-I und LAD-III sind häufig durch eine
verzögerte Ablösung des Nabelstumpfes
mit gleichzeitig bestehender Omphalitis
charakterisiert. Normalerweise fällt der Nabelstumpf zwischen dem 3. und 45. Tag, im
Mittel nach 10 Tagen, ab. Ferner sind wiederkehrende bakterielle Infektionen der
Haut, Periodontitis und Abszesse mit fehlender Eiterformation charakteristisch (26).
Bei LAD-II sind die Infektionen im Allgemeinen weniger schwer als bei LAD-I.
Die Eiterbildung ist beeinträchtigt, aber
nicht fehlend und die Infektionen sind in der
Regel nicht lebensbedrohlich. Allerdings
entwickelt sich bei Patienten mit LAD II
rasch eine schwere psychomentale Retardierung mit Mikrozephalie und kortikaler
Atrophie, wenn die Therapie (s. u.) nicht
frühzeitig eingeleitet wird (29).
Bei allen LADs sollten Infektionen sofort und
adäquat mit Antibiotika behandelt werden.
Die Transfusion G-CSF-stimulierter Granulozyten kann im Akutfall lebensrettend sein.
Für die schwere Form von LAD-I und -III ist
die einzige kurative Therapie derzeit die
Stammzelltransplantation (103). Hierbei legen neue Daten nahe, dass mit non-myeloablativen Konditionierungsregimen die Überlebensrate gesteigert werden kann (85). Die
Genersatztherapie ist derzeit noch keine klinische Option, aber im Tierversuch durchaus
Erfolg versprechend (7, 8). Bei leichteren Formen (CD18 >2%) reichen oft eine antibiotische Dauerprophylaxe mit z. B. Cotrimoxazol
und gute Zahnhygiene aus.
Bei LAD-II ist eine antibiotische Dauerprophylaxe zur Verhinderung von Infektionen oft ausreichend. Bei einigen Patienten
konnte durch frühzeitige Supplementierung
von L-Fucose (Kaden Biochemicals GmbH,
Hamburg) eine dramatische Verbesserung
erzielt werden (28, 29, 69).
Die Kombination einer hämolytischen Anämie mit einem pathologischen Dihydrorhodamin-Test unter 1% ist richtungsgweisend.
Die Bestimmung der Glukose-6-PhosphatDehydrogenaseaktivität in Erythrozyten
und Leukozyten bestätigt die Diagnose
(11).
Diagnose
Frühe bakterielle Infektionen, besonders
Omphalitis mit fehlender Eiterbildung und
ausgeprägter Neutrophilie (zwischen
10 000–50 000- bis 100 000/µl), sollten zu
der Verdachtsdiagnose LAD führen.
LAD-I ist gekennzeichnet durch ein Fehlen oder eine signifikante Verminderung
von CD18 und CD11. In der schweren Form
ist CD18 auf 1–2% verglichen zu normalen
Tageskontrollen vermindert. Patienten mit
einem CD18-Gehalt von 2–30% zeigen einen milderen Phänotyp (67).
LAD-II kann bei Patienten mit mentaler
Retardierung, Neutrophilie und Infektionsneigung vermutet werden. Hinweise geben
die sogenannte Bombay-Blutgruppe (Hämoglobin H) und die fehlende Expression
von SLEX (CD15A). Eine Bestätigung der
Diagnose gelingt durch die molekulare
Analyse des GDP-Fucose-TransporterGens (32, 59).
LAD-III benötigt den Nachweis einer
gestörten Integrinaktivierung in einem Speziallabor.
Glukose-6-PhosphatDehydrogenase-Defizienz
(G6PD)
Die Glukose-6-Phosphat-DehydrogenaseDefizienz ist bedingt durch Mutationen im
G6-PD-Gen (12). Normalerweise führt die
Defizienz dieses Enzyms zu intermittierenden Hämolysen, da Erythrozyten aufgrund
ihrer fehlenden Mitochondrien am meisten
auf dieses Enzym angewiesen sind. Ist die
Mutation so schwer, dass die Restaktivität
unter 5% liegt, kann auch die Sauerstoffradikalproduktion beeinträchtigt sein (4, 17,
37, 104).
Klinische Manifestation
Bei Beeinträchtigung des respiratorischen
Burst ist die klinische Symptomatik ähnlich
der chronischen Granulomatose mit rezidivierenden Abszessen innerer Organe,
schweren Pneumonien zusätzlich zu den
Zeichen einer hämolytischenAnämie (37).
Therapie
Die Infektionen erfordern eine symptomatische Behandlung von Infektionen und Hämolyse. Als ultima ratio kommt eine
Stammzelltransplantation in Betracht.
Chronische Granulomatose
Die chronische Granulomatose ist eine genetisch bedingte Störung der Sauerstoffradikalbildung von Phagozyten (89) mit einer Häufigkeit von ca. 1:250 000 Geburten.
Den Phagozyten fehlt die Fähigkeit insbesondere Katalase-positive Bakterien (z.
B. Staphylococcus aureus) und Pilze (z. B.
Aspergillus spp.) abzutöten (89). Katalasenegative Mikroorganismen hingegen, die
eine Netto-Produktion reaktiver Sauerstoffradikale haben, tragen nach Phagozytose zu
ihrem eigenen Absterben bei. Infektionen
mit diesen Erregern treten bei Patienten mit
CGD nicht gehäuft auf. Neben der gesteigerten Empfänglichkeit gegenüber Infektionen leiden Patienten mit CGD häufig
auch an inflammatorischen Erkrankungen
wie chronischen Darmentzündungen
(Crohn-like disease), Lupus-ähnlichen Syndromen, Lungenfibrose sowie Erkrankungen durch die Bildung von Granulomen in
lumenhaltigen Organen (z. B. Bronchien,
Magenausgang, Ureteren) (55).
Ätiologie
Der Enzym-Defekt liegt in der NADPHOxidase, die den „respiratory burst“, d. h.
die Bildung reaktiver Sauerstoffradikale, katalysiert. Dieses Enzym ist ein Komplex aus
mindestens 7 Proteinen (Abb. 1). Das En-
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
166
Wintergerst et al.
Tab. 2
Klassifikation der chronischen Granulomatose (89)
Komponente
Genlocus
Benennung
NBT-Score
O2-Produktion
(% von normal)
Cytochrom b (%
von normal)
gp91phox
Xp21.1
X91o
X91X91X91+
00%
80–100%
(schwach gefärbt)
05–10%
00%
0%
3–30%
5–10%
0%
000%
003–30%
005–10%
100%
p22phox
16p24
A22o
A22+
00%
00%
0%
0%
000%
100%
p47phox
07q11.23
A47o
00–1%
0–1%
100%
p67phox
01q25
A67o
00–1%
0–1%
100%
Molekulargewicht und dem Suffix „phox“
(Phagozyten-Oxidase) bezeichnet werden
(gp91phox, p22phox, p47phox, p67phox),
konnten bisher mit dem Krankheitsbild der
CGD assoziiert werden (Tab. 2). Wenn eines
dieser 4 Proteine nicht korrekt gebildet wird,
kommt es zu einem Funktionsverlust der
NADPH-Oxidase. Mutationen in gp91phox
verursachen die X-gebundene Form und betreffen etwa 65% aller Erkrankten. Etwa
25% werden durch Mutationen in p47phox
und je 5% in p67phox und p22phox beobachtet (89, 111).
Pathogenese
Abb. 2
Röntgen-ThoraxAufnahme eines Patienten
mit invasiver Aspergillose
(mit freundlicher
Genehmigung
von Prof. Schneider,
Universität München)
zym wird über Bindung von Bakterien oder
Pilzen an Toll-like-Rezeptoren aktiviert
(114), wobei die zytosolischen Komponenten p47phox, p67phox und GTPase Rac und
RapA1 nach Phosphorylierung an das membranständige Flavocytochrom gp91phox
und p22phox transloziert werden. Dieser
Komplex überträgt Elektronen von NADPH
auf der zytoplasmatischen Seite auf 02-Moleküle auf der Phagosomen-Seite. Die
NADPH-Bindungsseite liegt dabei zunächst
im Innern der Zellmembran. Wenn ein Granulozyt einen Erreger phagozytiert, kommt
diese Bindungsseite an der Außenseite des
Phagosomes zu liegen und die katalytische
Seite für die Generierung von 02 im Innern
des Phagosoms (Abb. 1). Der Krankheitserreger wird durch die entstehenden SauerKinder- und Jugendmedizin 3/2008
stoffradikale und weitere dadurch generierte
Moleküle, wie z. B. hypochlorige Säure, abgetötet (3, 20, 93). Mutationen in 4 Komponenten der NADPH-Oxidase, die mit dem
Abb. 3 Computertomografisches Bild eines Leberabszesses (mit freundlicher Genehmigung von Dr. Leinsinger,
Universität München)
Die Granulozyten und Makrophagen von
Patienten mit CGD sind morphologisch intakt und können Bakterien und Pilze normal
phagozytieren. Durch die fehlende bzw.
stark verminderte Bildung reaktiver Sauerstoffradikale können Katalase-positive Mikroorganismen nicht abgetötet werden.
Durch die ungestörte Vermehrung der Erreger gehen die Granulozyten zugrunde und
die Erreger werden erneut frei, um von weiteren Granulozyten phagozytiert zu werden.
Um diese zerfallenden Granulozyten bildet
sich sekundär ein Wall von Lymphozyten
und Histiozyten, die Granulome bilden und
der Erkrankung ihren Namen geben. Die
Bildung von Granulomen scheint im Alter
zuzunehmen (57).
Klinische Manifestation
Pneumonien (Abb. 2) sind die häufigste Erkrankung bei CGD und werden gewöhnlich
von Staphylococcus aureus, Burkholderia
cepacia und Aspergillus-Spezies ausgelöst,
gefolgt von Lymphknotenabszessen, Hautabszessen und Leberabszessen (Abb. 3). Seltenere Infektionen sind Osteomyelitiden
durch z. B. Aspergillen, ausgehend von einer
invasiven Aspergillose der Lunge. Bei ca.
60% der Patienten – besonders bei der X-gebundenen Form – treten die ersten Symptome schon während des ersten Lebensjahres
auf (55). Diese Kinder sind oft dystroph,
anämisch, mit Ekzem und Hepatosplenomegalie. Die Tabellen 3–5 geben die relativen
Häufigkeiten von Infektionsort und Erreger
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167
Granulozytendefekte
an. Durchschnittlich erleiden Patienten mit
X-chromosomalem Defekt ohne antibiotische Prophylaxe ca. 2 schwere Infektionen/
Jahr (30). Das klinische Bild ist sehr variabel
und ein kleiner Teil der Patienten wird erst
im Erwachsenenalter auffällig (58). Diese
Patienten haben meist eine geringe Restaktivität (2–5%) der NADPH-Oxidase. Neben
schweren Infektionen treten auch gehäuft
granulomatöse und autoimmunologische
Komplikationen auf (Tab. 6). Granulome
entstehen dadurch, dass phagozytierte Erreger zwar einerseits nicht abgetötet, andererseits durch einen makrozytären/histiozytären Randwall an der Ausbreitung und Abszessentstehung gehindert werden. Dies ist
ein „Gleichgewichtsprozess“, sodass Granulome und Abszesse nebeneinander vorkommen können. Die häufigsten autoimmunologischen Manifestationen sind Crohn-like-artige Erkrankungen des Dünndarms und restriktive Lungenerkrankungen.
Diagnose
Zum diagnostischen Screening werden
Substanzen verwendet, die im reduzierten
Zustand farblos sind und frei über die Plasmamembran diffundieren können. Nach
maximaler Stimulation mit dem Phorbolester PMA oxidieren die gebildeten reaktiven Sauerstoffradikale diese Indikatorsubstanzen, die sich hierunter färben und
wegen ihrer Ladung nicht mehr die Zelle
verlassen können. Der älteste heute z. T.
noch gebräuchliche Test ist der Nitroblautetrazoliumtest (NBT). Die Granulozyten
werden hierbei mikroskopisch ausgewertet. Der Nachteil dieses Tests besteht darin,
dass keine quantitative Bewertung möglich ist und somit CGD-Formen mit Restaktivität als falsch normal befundet werden können. Dihydrorhodamin (DHR) ist
ein Farbstoff, der sich aufgrund seiner
Fluoreszenz für die automatische Detektion in einem Fluoreszenz-aktivierten Cell
Sorter (FACS) eignet. Die Farbintensität
sollte nach Stimulation mindestens um den
Faktor 200 ansteigen. Dieser Test hat den
weiteren Vorteil, dass Überträgerinnen
durch die Detektion zweier Populationen
mit unterschiedlicher Farbintensität erkannt werden können.
Tab. 3 Infektionslokalisation und Häufigkeit bei Patienten mit chronischer Granulomatose (55, 89, 111)
Infektionstyp
Häufigkeit
Pneumonie
30–80%
Abszesse
● Haut
● Lymphknoten
● Lunge
● Leber
● Gehirn
● perirektal
20–40%
60–80%
15%
30–40%
<5%
10–15%
Osteomyelitis
03–30%
Meningitis
<5%
Perikarditis
01%
Tab. 4 Erreger und Häufigkeit bei Infektionen von Patienten mit chronischer Granulomatose (89)
infektiöses Agens
Häufigkeit
Staphylococcus aureus
30–50%
E. coli
5–10%
Aspergillus spp.
10–20%
Salmonella spp.
5–10%
Bei pathologischem DHR-Test sollte die
O2-Produktion (Ferrocytochrom-Reduktion) als unabhängiger Bestätigungstest
durchgeführt werden.
Ist auch diese negativ oder erheblich eingeschränkt, sollte der zugrunde liegende
Defekt näher charakterisiert werden. Mit
dem Antikörper 7D5 (113) kann im FACS
bei gesunden Kontrollen der membranständige gp91/p22phox (Cytochrom B)-Komplex nachgewiesen werden. Bei der X-gebundenen Form findet man normalerweise
kein Cytochrom B, während bei p47-Mangel oder p67-Mangel alle Phagozyten Cytochrom B tragen (Tab. 2). Bei p22-Defizienz
kann der Komplex nicht in der Membran
verankert werden, weshalb auch hier in der
FACS-Analyse kein oder nur deutlich vermindert Cytochrom B nachgewiesen werden kann.
Wenn aufgrund des Stammbaums, des
Geschlechts des Patienten und der Labortests eine Verdachtsdiagnose für die Unterform gestellt werden kann, kann die zugrunde liegende Mutation molekulargenetisch
geklärt werden.
Klebsiella spp.
5–10%
Burkholderia cepacia
5–10%
Serratia marcescens
5–10%
Überträgerinnen
Enterobacter spp.
<5%
Nocardia spp.
<5%
Proteus spp.
<5%
Haemophilus influenzae
<5%
Streptococcus spp.
<5%
Candida spp.
<5%
Granulibacter bethesdensis*
?
Bei der X-chromosomalen Form kann im
DHR-Test durch Nachweis von zwei Populationen (mit und ohne oxidative Reaktivität) rasch und sicher der Überträgerstatus
der Mutter diagnostiziert werden. Diese
Untersuchung sollte allen Familienmitgliedern der „mütterlichen Linie“ angeboten werden. Bei den autosomal-rezessiven
*(38)
Tab. 5 Beziehung von Infektionsort und Häufigkeit der
isolierten Erreger von Patienten mit chronischer Granulomatose (111)
Infektionsort
häufigste Erreger
Pneumonie
Aspergillus (40%) > Staphylococcus (10%) > Burkholderia
(7%)
Tab. 6 Typische nicht-infektiöse Erkrankungen bei Patienten mit chronischer Granulomatose (ITP = idiopathisch-thrombozytopenische Purpura) (111)
Erkrankung
Häufigkeit
Colitis/Crohn-like-Erkrankung
17%
Magenausgangsstenose
15%
Lungenrestriktion
05–10%
10%
Lymphknotenabszesse
Staphylococcus (30%) > Serratia > Candida > Klebsiellen
Ureterstenose
systemischer Lupus erythematodes
03%
Osteomyelitis
Serratien (32%) > Aspergillen
(25%) > Paecilomyces (4%)
> Staphylococcus (3%)
Chorioretinitis
02%
ITP
01%
Myasthenia gravis
00,3%
Meningitis
Candida spp., Burkholderia
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
168
Wintergerst et al.
Formen ist die Bildung von Sauerstoffradikalen in den Phagozyten beider Eltern normal. Der Subtyp der chronischen Granulomatose sollte molekulargenetisch bestätigt
werden.
Klinischer Verlauf bei Überträgerinnnen: Überträgerinnen sind meist asymptomatisch. Ca. 50% der Überträgerinnen der
X-gebundenen Form leiden allerdings an
wiederkehrender, meist milder Stomatitis
und Gingivitis. Bei ungewöhnlich ungünstiger X-Inaktivierung (<10% normale Granulozyten) können gehäuft Infektionen
auftreten (89). Die ungünstige X-Inaktivierung und damit die Verminderung gesunder Granulozyten kann mit dem Alter
zunehmen und mitunter zu einem schweren Krankheitsverlauf führen (62). Wenn
der Anteil gesunder Zellen unter 10% fällt,
sollte eine Dauer-Prophylaxe mit Cotrimoxazol eingeleitet werden. Bei ca. 25% der
Überträgerinnen mit X-gebundener Form
wird zudem ein diskoider Lupus erythematodes (90) des Gesichts, der Arme und des
oberen Thorax beobachtet. SonnenlichtExposition verstärkt die Symptomatik. In
schweren Fällen kann der Einsatz von Hydroxychloroquin helfen (89). Bei den autosomal-rezessiven Formen werden keine
spezifischen oder gehäuften Erkrankungen bei Überträgern/Überträgerinnen beobachtet.
Therapie (etablierte Therapien)
Konservative Therapie/Prophylaxe der
Grundkrankheit
Mitte der 80er-Jahre wurde gezeigt, dass
die lebenslange prophylaktische Gabe von
Cotrimoxazol zu einer signifikanten Reduktion von bakteriellen Infektionen führt.
Hiermit gelingt es, die Zahl schwerer Infektionen auf ca. 0,4/Jahr zu senken (68,
73). Bei Unverträglichkeit (Allergie)
kommt Dicloxacillin (25–50 mg/kg KG/
Tag) in Betracht (89), dessen Wirksamkeit
allerdings nicht gut dokumentiert ist. Es
zeigte sich rasch, dass unter der antibakteriellen Prophylaxe die bakteriellen Infektionen zurückgingen, die mykotischen Infektionen, und allen voran Aspergillus spp.
aber nun die Haupttodesursache bildeten.
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
In einer 1991 veröffentlichten randomisierten, US-amerikanisch-europäischen
Studie zum Einsatz von Interferon-gamma
bei CGD wurde eine signifikante Verbesserung der Überlebenszeit beobachtet (34,
35, 89). Interessanterweise lagen die Letalitätsraten amerikanischer Kinder in der
Verum-Gruppe höher als in der Placebogruppe der europäischen Kinder. Ob hier
ethnische Gründe für den günstigeren
Krankheitsverlauf europäischer Kinder eine Rolle spielen, konnte nicht geklärt werden. In Europa hat sich die Routine-Prophylaxe mit gamma-Interferon aufgrund
des eher geringen klinischen Effekts und
der hohen Nebenwirkungsrate nicht durchgesetzt. Da zur gleichen Zeit das erste orale Antimykotikum mit Wirkung gegen Aspergillen verfügbar wurde und sich durch
prophylaktische Gabe die Rate von Aspergillus-Infektionen (74, 84) signifikant senken ließ, wird in den europäischen Zentren
Patienten mit CGD üblicherweise die Prophylaxe mit Cotrimoxazol (3–5 mg/kg KG
TMP-Anteil/Tag) und Itraconazol (5–10
mg/kg KG/Tag) empfohlen.
Therapie der Komplikationen
Grundsätzlich sollen Infektionen sofort und
aggressiv therapiert werden. Es muss darauf
geachtet werden, dass die Antibiotika ausreichende intrazelluläre Wirkspiegel aufbauen. Günstig sind bei grampositiven Erregern Clindamycin, Makrolide und Rifampicin, sowie Teicoplanin/Vancomycin und
Fosfomycin; bei gramnegativen Erregern
Fosfomycin und Gyrase-Hemmer. Penicilline und Cephalosporine sind im Allgemeinen nur wenig wirksam (45).
Pneumonie: Pneumonien sind die häufigste Manifestation der CGD. Verursachende Erreger sind Staphylococcus aureus, Burkholderia cepacia, Aspergillus
spp. und andere gramnegative Erreger. Die
klinische und radiologische Rückbildung
ist meist sehr verzögert und eine Ausheilung benötigt oft eine prolongierte Antibiotika/Antimykotika-Therapie über Wochen bis Monate (Aspergillus spp., s. unten). Bei Staphylococcus aureus sind Antibiotika der Wahl Clindamycin, Fosfomycin
und Rifampicin. Mittel der 2. Wahl sind
Vancomycin/Teicoplanin. Gegen Burkhol-
deria und andere gramnegative ist Meropenem oder Ciprofloxacin wirksam.
Lymphadenitis: Erreger sind meist Staphylokokken. Im Frühstadium kann eine Therapie mit Antibiotika, die sich intrazellulär anreichern, erfolgreich sein. Mittel der Wahl
ist Clindamycin. Bei Einschmelzung muss
der Lymphknoten entfernt werden. Abszesse sollte frühzeitig chirurgisch drainiert
werden.
Leberabszess: Erreger sind ebenfalls meist
Staphylokokken. Neben der antibiotischen
Therapie mit z. B. Clindamycin plus Rifampicin sollte frühzeitig eine Drainage zur Erregergewinnung und Entlastung in Erwägung gezogen werden (60). Steroide wirken
der Granulombildung und dadurch der verschlechterten Durchblutung des Infektionsortes entgegen und sind deshalb bei fehlender Besserung trotz der Immundefizienz
unter Antibiose indiziert.
Invasive Aspergillose: Mittel der Wahl ist
Voriconazol (43, 106). Alternativ stehen liposomales Amphotericin B, Caspofungin
und Posaconazol (letzteres ist im Kindesalter noch nicht zugelassen) zur Verfügung. Konventionelles Amphotericin B
war in einer großen randomisierten Studie
von Herbrecht et al. Voriconazol signifikant unterlegen. Zu beachten ist ferner,
dass Aspergillus terreus gegen Amphotericin B/Ambisome primär resistent ist. Bei
den Azolen sind – v. a. bei Voriconazol –
Interaktionen mit Medikamenten, die über
das Cytochrom-P-450-System abgebaut
werden (z. B. Ciclosporin, Tacrolimus,
Vincristin. HIV-Protease-Inhibitoren etc.),
zu beachten.
Dosis für Voriconazol bei Kindern: initial 6 mg/kg KG, dann schrittweise Steigerung auf 2-mal 7–8 mg/kg KG/d (100,
108). Die wichtigsten Nebenwirkungen
sind Erhöhung der Transaminasen, Photosensibilität, Bauchschmerzen, Erbrechen,
und Verlängerung der QT-Zeit. Posaconazol ist das derzeit jüngste für Erwachsene
zugelassene Azol-Derivat. Die Effektivität
bei Ambisome- oder Voriconazol-resistenten Aspergillus-Infektionen liegt bei ca.
40–50% (50). Die Dosis beträgt für Erwachsene 2-mal 400 mg bzw. 4-mal 200 mg
p. o./d. Die Substanz sollte zur besseren
Resorption mit einer kleinen fettreichen
Mahlzeit eingenommen werden. Posacona-
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169
Granulozytendefekte
zol ist auch für die Therapie der ZNS-Aspergillose geeignet. Erste Fallbeschreibungen bei Kindern legen nahe, dass diese Dosis auch für Kinder geeignet ist (76, 92).
Als ultima ratio kann die antimykotische
Effektivität versuchsweise durch eine Kombination von Caspofungin mit einem Azol
(Voriconazol bzw. Posaconazol) erhöht werden. Die Dosis für Caspofungin beträgt: initial 70 mg/m2/d, ab Tag 2 dann 50 mg/m2/d,
bei Säuglingen 2 mg/kg KG/d (sehr begrenzte Erfahrung). Die wichtigsten Nebenwirkungen sind Anämie, Kopfschmerzen,
Phlebitis und Übelkeit; keine Hemmung
von Cytochrom P450 (100, 108). Für die generelle Anwendung einer Kombinationstherapie liegen noch zu wenige Daten vor (70,
94, 108).
In therapieresistenten Fällen können
Granulozytentransfusionen, die Gabe von
gamma-Interferon und eine Knochenmarktransplantation (48, 82) lebensrettend sein.
Nicht-infektiöse Komplikationen
Ein wesentlicher Baustein der Therapie der
nicht-infektiösen granulombedingten Komplikationen (Granulome, „Crohn-like disease“) ist ein Kortikosteroid (16, 21).
Magenausgangsstenose: Die Stenose wird
durch Granulome verursacht, die gut auf
Steroide ansprechen. Die Häufigkeit beträgt
ca. 10–15% (89, 111). Das Hauptsymptom
ist zunehmendes nicht-galliges Erbrechen.
Die Symptome bilden sich unter Steroiden
rasch zurück. Hierbei sollte bis zur Rückbildung der Symptome eine hohe Dosis (2 mg/
kg KG Prednisonäquivalent) eingesetzt
werden. Nach klinischer Besserung sollte
die Dosis über Wochen langsam bis auf
0,1–0,2 mg/kg KG reduziert und diese Erhaltungsdosis über einige Wochen fortgeführt werden
Weitere gastrointestinale Manifestationen: Patienten mit CGD haben überproportional häufig gastrointestinale Manifestationen. In bis zu 30% findet man ulzerative Stomatitiden, in 5% eine chronische
Gingivitis (55), in bis zu 20% perirektale
Abszesse (31), in 15% entzündliche Darmerkrankungen, die dem M. Crohn ähneln
(Crohn-like disease) und Kolitiden (55,
111). Klinisch herrschen abdominelle
Schmerzen, Diarrhö mit Eiweißverlust und
blutige Stühle vor. Histologisch findet man
Zellinfiltrationen mit eosinophilen Granulozyten, teilweise Kryptenabszesse und
selten Granulome (91). Hervorzuheben ist,
dass man auffallend wenig neutrophile
Granulozyten im histologischen Präparat
findet. Die chronisch-entzündlichen
Darmerkrankungen sprechen gut auf
Kortikosteroide an und können die Erstsymptome einer CGD sein.
Harnleiterstenosen: Wie bei der Magenausgangsstenose handelt es sich um „steroidsensible“ Granulome. Hauptsymptome
sind Flankenschmerzen und Harnwegsinfektionen und Erweiterung des Nierenbeckenkelchsystems. Die Therapie ist identisch zur Magenausgangsstenose. Auch Interferon-gamma kann hilfreich sein (107).
Lungenfibrose: Auch die Lungenfibrose
spricht auf Steroide an. Aufgrund der Langzeitkomplikationen (Cor pulmonale) sollte
Patienten mit dieser Komplikation eine
Knochenmarktransplantation angeboten
werden. Bei fehlendem Spender kommt die
Fremdspende in Betracht. Interessanterweise bilden sich nach der Transplantation die
restriktiven Veränderungen zurück.
Knochenmarktransplantation (KMT)
Seger et al. (95) berichten, dass sich bei Verfügbarkeit eines HLA-identischen Geschwisters durch immunsuppressive Konditionierung die Erkrankung durch KMT
mit vertretbarem Risiko heilen lässt (40). Im
Transplantationsregister für CGD sind die
Daten von 22 Patienten verfügbar. 19 Patienten wurden geheilt, 3 verstarben. Die
drei verstorbenen Patienten hatten alle zum
Zeitpunkt der Transplantation eine nichtkontrollierbare Pilzinfektion (95). Bei Erwachsenen mit CGD zeigte ein gegenüber
dem Standard-Protokoll reduziertes Konditionierungsregime ermutigende Ergebnisse (40), die noch der weiteren Bestätigung
bedürfen.
Die HLA-identische Fremdspende wird
aufgrund der relativ günstigen Prognose unter konservativer Antibiotika- und Antimykotika-Prophylaxe derzeit als zu risikoreich
angesehen. Allerdings ist die Fremdspendertransplantation bei Auftreten von Komplikationen wie einer nicht-konservativ
kontrollierbaren, invasiven Aspergillen-
infektion und bei pulmonaler Restriktion eine therapeutische Option (82).
Therapie (experimentelle Ansätze)
Gen-Ersatztherapie
In den letzten Jahren wurden sowohl im
Tierversuch (23) als auch mit humanen
Stammzellen Fortschritte in der Transfektion des gp91phox-Gens erzielt (39). Ein
schwieriges Problem ist dabei, dass transfizierte Zellen in vivo keinen Selektionsvorteil haben und somit die Menge an ex
vivo transfizierten und reinfundierten Zellen bisher nicht ausreicht um die Infektionsanfälligkeit zu senken. Dieses Problem
konnte durch eine milde Konditionierung
überwunden werden. Ott et al. (80) gelang
es erstmals bei 2 erwachsenen Patienten
Stammzellen mit einem gp91phox-tragenden retroviralen Vektor zu transfizieren.
Die Patienten erholten sich von ihren
schweren Infektionen und hatten über 20
Monate bis zu 40% funktionierende Granulozyten im peripheren Blut. Ein Patient
verstarb nach 27 Monaten an einer Darmperforation, die wohl nicht mit der Gentherapie assoziiert war (81). Bei dem anderen Patienten entwickelte sich ein myelodysplastisches Syndrom mit Verlust der
korrigierten Granulozyten. Ein Münchner
Kind mit schwerster invasiver Aspergillose und Tetraparese aufgrund einer Pilzinfektion der Myelons erholte sich vollständig nach Gentherapie, obwohl schon 4
Wochen nach Gabe der gentransfizierten
Zellen nur noch 2% korrigierte Zellen im
peripheren Blut nachweisbar waren
(durchgeführt bei R. Seger, Zürich). Aufgrund der Probleme mit der Transaktivierung von Onkogenen ist derzeit die Gentherapie nur als Ultima ratio anzusehen
und bedarf einer grundsätzlichen Verbesserung der verwendeten Vektoren. Bei
p47phox-CGD wurden gentherapeutische
Versuche von Malech et al. berichtet (66),
die aber klinisch nicht erfolgreich verliefen. Bei den anderen Formen der CGD ist
derzeit keine funktionierende Gentherapie in Sicht.
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
170
Wintergerst et al.
Fazit für die Praxis
Prognose
Finn et al. (30) beobachteten bei Patienten,
die in der Zeit von 1955–1987 geboren wurden, eine Letalität von 50% bis zum 20. Lebensjahr. In einer Untersuchung von Mouy
et al. (72) betrug die Letalität in der Zeit von
1969–1985 50% bis zum 10. Lebensjahr. In
einer eigenen Untersuchung war die Überlebensrate bei 39 Patienten, die zwischen
1952 und 1992 geboren wurden, bis zum
10., 20. und 40. Lebensjahr 91%, 86% und
54% (55).
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Die chronische Granulomatose ist eine
zwar seltene, aber wichtige Erkrankung des
Kindesalters, da bei frühzeitiger Diagnose
eine wirksame Prophylaxe eingeleitet und
– bei Vorhandensein eines HLA-identischen Geschwisters – die Erkrankung
durch eine Knochenmarktransplantation
geheilt werden kann, bevor schwere Komplikationen auftreten. Vor allem Abszesse
innerer Organe (Leber, Lunge, Knochenmark) und rezidivierende Abszesse von
Lymphknoten, Haut und Perineum sowie
schwere Pneumonien sollten an dieses
Krankheitsbild denken lassen.
Das Literaturverzeichnis finden Sie online unter
www.kinder-und-jugendmedizin-online.de.
Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Uwe Wintergerst
Dr. von Haunersches Kinderspital
Lindwurmstr. 4
80337 München
Tel.: 0 89/51 60 39 31
Fax: 0 89/51 60 39 64
E-Mail: [email protected]
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Immundefekte
© 2008
171
Schattauer GmbH
Genetisch bedingte Defekte
der angeborenen Immunität
Erhöhte Anfälligkeit für mykobakterielle Infektionen,
für invasive bakterielle Infektionen
und für Herpes-simplex-Enzephalitis
Janine Reichenbach1, Horst von Bernuth2
1
Universitäts-Kinderspital Zürich, Abteilung Immunologie/Hämatologie/KMT
(Leiter: Prof. Dr. med. R. A. Seger)
2
Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum, Klinik für Pädiatrie m. S. Pneumologie und Immunologie
(Leiter: Prof. Dr. med. U. Wahn)
Schlüsselwörter
Keywords
Zusammenfassung
Summary
Mykobakterielle Infektionen, invasive bakterielle Infektionen, Herpes-simplex-Enzephalitis, IFN-γ-/Interleukin12-System, Toll-ähnliche/Interleukin-1-Rezeptoren
Bei Patienten mit wenigen Infektionen, mit Infektionen
durch nicht opportunistische Erreger und mit Infektionen
durch nur einen bestimmten Erreger muss auch an einen
Immundefekt gedacht werden. In diesem Beitrag werden
Immundefekte vorgestellt, die durch Störungen in Signalwegen der angeborenen Immunität zu einer spezifischen
Anfälligkeit gegen eine bestimmte Erregergruppe oder nur
einen Erreger führen. Eine besondere Anfälligkeit für Mykobakterien kann ein Hinweis für Defekte in den Signalwegen
von Interferon-γ und Interleukin-12 sein. Defekte der
MyD88- und IRAK-4-abhängigen Signalwege, der Tollähnlichen und Interleukin-1-ähnlichen Rezeptoren prädisponieren zu invasiven bakteriellen Infektionen durch insbesondere Staphylococcus aureus und Streptococcus pneumoniae. Patienten mit sporadischer Enzephalitis durch
Herpes-simplex-Virus-1 sollten auf Defekte der
TLR3/UNC93B abhängigen Signalwege untersucht werden.
Mycobacterial disease, invasive pyogenic bacteria, herpes
simplex encephalitis, IFN-γ/Interleukin-12 system, Tolllike/Interleukin-1 receptors
In patients with few infections, infections caused by nonopportunistic pathogens and infections caused by only a
single pathogen an immunodeficiency must also be considered. We here present immunodeficiencies that are
caused by impaired signalling in pathways of the innate
immune system. These defects predispose to a specific susceptibility to one group of pathogens or only one pathogen.
An increased susceptibility to mycobacterial infections can
indicate a defect in the Interferon-γ and Interleukin-12 dependent pathways. Defects in MyD88 and IRAK-4-dependent pathways of Toll-like and Interleukin-1 receptors predispose to invasive pyogenic infections, in particular by Staphylococcus aureus and Streptococcus pneumoniae. In
patients with herpes simplex encephalitis defects of
TLR3/UNC93B-dependent signalling should be suspected.
Genetic defects of the innate immunity that cause an
increased susceptibility for mycobacterial infections,
invasive pyogenic infections and herpes simplex encephalitis
Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 171–178
A
ls Warnzeichen für einen angeborenen „klassischen Immundefekt“ gelten wiederkehrende
schwere Infektionen, verursacht durch eine
Vielzahl verschiedener Erreger oder Infektionen durch seltene, nicht obligat pathoge-
ne, opportunistische Erreger. Mit den Antikörpermangelsyndromen, den schweren
kombinierten Immundefekten und der septischen Granulomatose sind in den vorhergehenden Beiträgen Beispiele für Immundefekte besprochen worden, die dieser klas-
sischen Definition eines Immundefektes
entsprechen. In den letzten zehn Jahren ist
jedoch zunehmend deutlich geworden, dass
auch bei Patienten mit wenigen Infektionen,
mit Infektionen durch nicht opportunistische Erreger und selbst mit Infektionen
durch nur einen bestimmten Erreger auch an
einen Immundefekt gedacht werden muss.
Im folgenden Beitrag werden drei Gruppen
neuer Immundefekte vorgestellt, die durch
Störungen in Signalwegen der angeborenen
Immunität verursacht werden. Defekte in
den Signalwegen von Interferon-γ und Interleukin-12 gehen mit einer vornehmlichen
Anfälligkeit für Mykobakterien einher. Defekte der MyD88- und IRAK-4-abhängigen
Signalwege der Toll-ähnlichen und Interleukin-1-Rezeptoren (TLR und IL-1Rs) prädisponieren zu einer Anfälligkeit für invasive Infektionen durch Staphylococcus aureus und Streptococcus pneumoniae und
Defekte der TLR3/UNC93B-abhängigen
Signalwege zu einer erhöhten Anfälligkeit
für Enzephalitis durch Herpes-simplex-Virus-1. Im weiteren Gegensatz zu den meisten klassischen Immundefekten, die mit zumindest an Universitätskliniken verfügbaren diagnostischen Verfahren erkannt
werden können, verlangt die Diagnostik
dieser Immundefekte der angeborenen Immunität Tests, die bisher nur von spezialisierten Labors angeboten werden. Die Diagnostik der Erkrankungen umfasst dabei
funktionelle Tests und eine molekulargenetische Untersuchung, um die Diagnose zu
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Eingegangen: 10. Dezember 2007; angenommen:For18.personal
Dezember
2007
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
172
Reichenbach, von Bernuth
sichern. Die so gewonnene diagnostische
Sicherheit ist unabdingbare Voraussetzung
für die korrekte individuelle prognostische
Einschätzung und darauf aufbauend zielgerichtete und risikoadaptierte Therapie. Klinisches Bild, Pathogenese, Diagnostik und
Therapie sowie Differenzialdiagnosen dieser Defekte der angeborenen Immunität
werden im folgenden Beitrag vorgestellt.
Störungen in den Signalwegen von Interferon-γ
und Interleukin-12
Die Familie der Mykobakterien umfasst
über 85 unterschiedliche Arten, vom hoch
virulenten Mycobacterium tuberculosis,
dem Erreger der Tuberkulose, über zahlreiche weniger virulente Arten, wie nicht tuberkulöse atypische Mykobakterien (z. B.
Mycobacterium avium, M. smegmatis, M.
peregrinum, M. marinum), bis zu den attenuierten M. bovis-Stämmen, die seit 1921
als BCG(Bacille Calmette-Guérin)-Impfstoff über Jahrzehnte zur Prophylaxe der Tuberkulose eingesetzt wurden und in einigen
Staaten auch noch heute eingesetzt werden
(6, 60). Nicht tuberkulöse Mykobakterien
(NTM) leben überwiegend saprophytär im
Erdreich, in Gewässern, im Trinkwasser
und alsAerosole in der Luft; M. tuberculosis
hingegen ist obligat humanpathogen und
wird typischerweise aerogen als Tröpfcheninfektion durch Kontakt mit einem Infizierten übertragen.
Bei immunkompetenten Personen resultiert der Kontakt mit den meisten Mykobakterien selten in einer Infektion und einer klinisch apparenten Erkrankung. Invasive, disseminierte und/oder rezidivierende Infektionen mit niedrig virulenten BCG oder
NTM sind meist Hinweis auf eine gestörte
Immunabwehr (36, 61). Neben einem klassischen primären Immundefekt (PID) muss
an das Vorliegen von MSMD (Mendelian
Susceptibility to Mycobacterial Disease,
MIM 209950) gedacht werden. MSMD ist
ein seltenes angeborenes Syndrom, das definiert wird durch eine schwere disseminierte oder rezidivierend lokalisierte Erkrankung durch schwach virulente MykobakteKinder- und Jugendmedizin 3/2008
rien-Spezies, wie den BCG-Impfstoff oder
NTM, bei ansonsten immunkompetenten
Individuen (13, 34). Patienten mit MSMD
haben im Allgemeinen keinerlei andere assoziierte Infektionen, bis auf Salmonellosen
in etwas weniger als der Hälfte der Fälle. Es
wurden aber bei einigen wenigen Patienten
auch schwere, disseminierte Infektionen
mit dem virulenteren M. tuberculosis beschrieben (34).
Klinisch und genetisch ist dieses Syndrom heterogen. Bei einigen sporadischen
und bei den meisten familiären Fällen liegt
ein autosomal-rezessiver Erbgang vor, in einigen Familien kommen aber auch autosomal-dominante oder X-chromosomal-rezessive Erbgänge vor. Mutationen in fünf
autosomalen Genen sind für MSMD verantwortlich: IFNGR1 und IFNGR2, die für beide Ketten des Interferon(IFN)-γ-Rezeptors
kodieren; STAT1, das ein essenzielles Protein der Signaltransduktion im IFN-γ-Aktivierungsweg kodiert; IL12B, das die
p40-Untereinheit von Interleukin(IL)-12
und IL-23 kodiert; sowie IL12RB1, das die
β1-Kette des IL-12- und IL-23-Rezeptors
kodiert.
Gemeinsam ist diesen Erkrankungen eine gestörte IL-12-/23-IFN-γ-vermittelte
Immunität. Bei Patienten mit Mutation von
IL12B und IL12RB1 ist die IFN-γ-Sekretion
gestört, wogegen bei Patienten mit Mutation
von IFNGR1, IFNGR2 und STAT1 die zelluläre Antwort auf IFN-γ gestört ist. Ein hoher
Grad allelischer Heterogenität an diesen
fünf autosomalen Loci bedingt das Vorkommen mindestens zwölf bekannter unterschiedlicher genetischer Defekte (13, 34).
Bisher wurden über 220 Patienten aus über
43 Ländern weltweit beschrieben. Die häufigste genetische Ursache für MSMD ist mit
40 % der IL-12Rβ1-Defekt, gefolgt vom
IFN-γR1-Defekt mit 39 %; ein IL12p40-Defekt wurde in 9 %, ein STAT1-Defekt in 5 % und ein IFN-γR2-Defekt in 4 %
aller Fälle gefunden (34).
IFN-γR1- und IFN-γR2-Defekte
Der vollständige Mangel der IFN-γ-Rezeptor-Liganden-Bindungs-Kette (IFN-γR1)
und der vollständige Mangel der IFN-γ-Rezeptor-Signaltransduktions-Kette
(IFN-
γR2) durch Nullmutationen der entsprechenden Gene führen zu einem Fehlen der
Zellantwort auf IFN-γ. Loss-of-function
Mutationen verhindern bei normaler Expression von IFN-γR-Molekülen auf der
Zelloberfläche die Bindung des natürlichen
Liganden IFN-γ an seinen Rezeptor (IFNγR1-Defekt) bzw. die IFN-γR-Signaltransduktion (IFN-γR2-Defekt) (2, 39). Bei allen
Formen des kompletten IFN-γR-Defekts
finden sich erhöhte Spiegel von zirkulierendem IFN-γ im peripheren Blut der Patienten
(33).
Die betroffenen Kinder fallen typischerweise innerhalb der ersten Lebensjahre durch eine disseminierte Erkrankung
nach BCG-Impfung oder nach Infektion
mit niedrig virulenten NTM auf (23). Typischerweise können keine reifen mykobakteriellen Granulome gebildet werden; die
histologischen Läsionen sind schlecht abgegrenzt, lepromatös und bakterienreich.
Die Mortalität der Erkrankung ist mit 75 %
an mykobakteriellen Infektionen Verstorbenen hoch (23). Einzelfälle schwerer Infektionen durch weitere Erreger (Zytomegalie-Virus, Humanes Herpes-Virus-8
[Kaposi-Sarkom], Listerien) sind bei Kindern mit komplettem IFN-γ-Rezeptor-Defekt beschrieben worden (8, 13, 23, 65).
Die üblichen (meist viralen) Infektionskrankheiten des Kindesalters werden gut
überstanden.
Der klinische Phänotyp von Patienten
mit partiellen IFN-γ-Rezeptor-Defekten,
die meist autosomal-rezessiv vererbt werden, ist deutlich milder (21, 40) und korreliert zur Zellantwort auf IFN-γ (27). Auch
bei Patienten mit partiellem, autosomal-rezessiv vererbtem IFN-γ-Rezeptor-Defekt
kann oft ein erhöhter Spiegel von zirkulierendem IFN-γ im peripheren Blut festgestellt werden. Die Spiegel liegen jedoch
niedriger als bei den kompletten Defekten
des IFN-γ-Rezeptors. Histologisch finden
sich gut abgegrenzte, bakterienarme, tuberkuloide Granulome. Das Alter bei Manifestation liegt im Mittel bei 13,4 Jahren (Range
1,5–57 Jahre) und die Prognose ist mit nur
zwei Verstorbenen von 38 Patienten im Vergleich zu kompletten IFN-γR-Defekten relativ gut (23, 34). Bei Patienten mit partiell
dominantem IFN-γR1-Defekt wurde außerdem in 5 % der Fälle eine Salmonellose be-
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173
Genetisch bedingte Immundefekte
schrieben. Typisch scheint bei partiell dominantem IFN-γR1-Defekt besonders das Vorkommen mykobakterieller Osteomyelitiden
(23, 34).
STAT1-Defekte
STAT1 (Signal Transducer and Activator of
Transcription) ist eine wichtige Komponente in der Transduktion IFN-vermittelter Signale. Nach Bindung von IFN-α/β und IFN-γ
an die jeweiligen Rezeptoren kommt es zur
Bildung von mindestens zwei Komplexen
von Transkriptionsfaktoren: STAT1 bildet
mit STAT2 und p48/IRF-9 ein Trimer, das
als ISGF3 (Interferon-stimulated Gamma
Factor 3) bezeichnet wird. STAT1-Homodimere bilden GAF (gamma-activated factor).
ISGF3 wird bevorzugt von IFN-α/β induziert, während GAF eher von IFN-γ induziert wird. Mutationen des STAT1-Gens bedingen eine gestörte Signaltransduktion in
der Zellantwort auf IFN. Bei bisher zehn Patienten mit MSMD wurden STAT1-Mutationen identifiziert (26). Zelllinien der Patienten mit homozygoten autosomal-rezessiven
STAT1-Mutationen (kompletter STAT1-Defekt) können unter experimentellen Bedingungen eine Infektion mit VSV (Vesicular
Stomatitis Virus), EMCV (Enzephalomyocarditis-Virus), und HSV-1 (Herpes-simplex-Virus) nicht kontrollieren. Auch durch
die exogene Zugabe von IFN-α und IFN-β
kann die Replikation der Viren nicht eingedämmt werden. Klinisch ähneln die Betroffenen mit heterozygoter STAT1-Mutation
(partieller STAT1-Defekt) Patienten mit
partiellem IFN-γR-Defekt. Es kommt zu
disseminierten Infektionen mit BCG und
NTM und zu keinerlei viralen Infektionen
(26). Patienten mit komplettem STAT1-Defekt sind zusätzlich zu Infektionen mit Mykobakterien für schwere virale Infektionen
hoch anfällig, was in fünf beschriebenen
Fällen zum frühen Tod der Betroffenen geführt hat (28). Einer der Patienten verstarb
an einer generalisierten Infektion im Rahmen rezidivierender HSV-1-Enzephalitiden, ein weiterer Patient an einer nicht näher
identifizierten Virus-ähnlichen Erkrankung.
IL-12p40-Defekt
IL-12 ist ein heterodimeres Zytokin, das
von Makrophagen und dendritischen Zellen
sezerniert wird und die Bildung und Freisetzung von IFN-γ induziert. Die biologisch
aktive Form IL-12p70 besteht aus zwei Untereinheiten, IL-12p40 und IL-12p35. Fünf
unterschiedliche rezessive Loss-of-function-Mutationen im IL12B-Gen, das die
p40-Untereinheit von IL-12 und IL-23 kodiert, wurden bisher bei 20 Patienten identifiziert (5, 55). Bei Patienten mit klinisch
milder Form des MSMD-Syndroms sollte
an einen IL-12p40-Defekt gedacht werden.
PBMC (mononukleäre Zellen aus dem peripheren Blut) der Patienten produzieren in
vitro nach Aktivierung mit PHA oder BCG
nur ein Zehntel bis ein Hundertstel der normalen IFN-γ-Menge. PBMC- oder EBVtransformierte B-Zellen der Patienten bilden kein IL-12p40 (5, 55). Durch Stimulation mit IL-12 kann die gestörte IFN-γ-Produktion in vitro wiederhergestellt werden.
Alle Patienten mit IL-12p40-Defekt leiden,
falls geimpft, an BCG-Infektionen, bei der
Hälfte der Betroffenen kommt es zusätzlich
zu Salmonella-Infektionen. In wenigen Fällen wurden Infektionen mit NTM und M. tuberculosis beschrieben. Die Prognose der
Erkrankung ist relativ gut.
IL-12Rβ1-Defekt
Das IL12RB1-Gen kodiert die β1-Untereinheit des IL-12-Rezeptors, die auch am
IL-23-Rezeptorkomplex beteiligt ist. Bisher
wurden 89 Patienten mit IL-12Rβ1-Defekt
beschrieben (34). In den meisten Fällen verhindern homozygot-rezessive Mutationen
die Expression von IL-12Rβ1 und führen zu
einer verminderten IFN-γ-Sekretion durch
die ansonsten funktionellen NK- und T-Zellen (1, 3, 4, 12, 13, 32, 45). Nur in zwei Familien wurde eine 12 165 Nukleotide große
Deletion gefunden, die zur Expression nicht
funktioneller IL-12Rβ1 führt (31). Da im
Gegensatz zum IFN-γR-Defekt keine Korrelation von Genotyp und Phänotyp besteht
und die Penetranz der Erkrankung nur ca.
40 % beträgt, sollten auch gesunde Familienmitglieder untersucht werden (32). Patienten mit IL-12Rβ1-Defekt leiden an
schweren, aber gut ausheilenden BCG-Infektionen, Erkrankungen durch NTM kommen nur bei ca. einem Fünftel der Patienten
nach dem dritten Lebensjahr bzw. in einigen
Fällen sogar erst im Erwachsenenalter vor.
In wenigen Fällen wurde eine schwere Tuberkulose beschrieben (4, 9, 32). Die Hälfte
der Patienten leidet außerdem an disseminierten und rezidivierenden Salmonella-Infektionen, wobei einige wenige Patienten
ausschließlich an Salmonella-Infektionen
leiden (34). Andere schwere Infektionen
kommen bei IL-12Rβ1-Defekt nicht vor.
Histologisch finden sich gut begrenzte und
differenzierte BCG-Granulome; NTM-Granulome sind etwas unreifer und bakterienreicher.
Diagnostik
Entscheidend für die Diagnostik sind funktionelle Tests aus heparinisiertem Vollblut
der Patienten: Die IFN-γ- und IL-12-Produktion werden nachAktivierung mit lebendem BCG, BCG plus IFN-γ und BCG plus
Il-12 im ELISA (enzyme-linked immunosorbent assay) gemessen. Maximale IL12-Spiegel können nach 12–18 StundenAktivierung gemessen werden, maximale IFNγ-Spiegel finden sich nach 48 Stunden Aktivierung (30). Es sollte zum Vergleich immer
eine gesunde Kontrolle mit untersucht werden, v. a. beim Versand der Proben als Reisekontrolle. Bei auffälligen Befunden sollte
dann zur Bestätigung eine Bestimmung von
IFN-γ im Serum sowie in spezialisierten Labors eine weitere Untersuchung des jeweiligen Signaltransduktionsweges mittels sogenannter electrophoretic mobility shift assays (EMSA) erfolgen. Die Diagnostik
kann durch Untersuchung der IFN-γR-Moleküle auf der Zelloberfläche von frischen
peripheren mononukleären Zellen (PBMC)
oder kultivierten EBV-transformierten
B-Zellen mittels monoklonaler Antikörper
in der Durchflusszytometrie ergänzt werden: Fehlen von IFN-γR-/IL-12R-Molekülen bestätigt die Diagnose, während das
Vorhandensein von IFN-γR-/IL-12R-Molekülen sie nicht ausschließt, da einige Mutationen nicht die Expression der Moleküle,
sondern die Bindung von IFN-γ an seinen
Rezeptor und die resultierende Signaltrans-
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
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Reichenbach, von Bernuth
duktion verhindern. Die endgültige Diagnose muss über genetische Untersuchungen
gestellt werden.
Therapie
Das für die Erkrankung verantwortliche
Mykobakterium sollte bei allen Fällen von
MSMD unbedingt identifiziert und entsprechend Antibiogramm aggressiv mit mindestens vier Antituberkulotika therapiert werden. Neben einer konsequenten antibiotischen Therapie der Infektionen stellt aufgrund der Schwere der mykobakteriellen
Erkrankungen und der Wirkungslosigkeit
einer Therapie mit IFN-γ eine KMT
(Knochenmarktransplantation) bei Patienten mit komplettem IFN-γR- und komplettem STAT1-Defekt die einzige Möglichkeit
zur kurativen Therapie dar. Die KMT ist jedoch bei Kindern mit komplettem IFN-γRDefekt nach wie vor mit erheblicher Morbidität und Mortalität verknüpft. Die Abstoßungsrate der Transplantate ist selbst bei
HLA-identer Transplantation vom verwandten Spender hoch (63, 64).
Patienten mit komplettem IL-12- und IL12Rβ1-Defekt oder partiellem IFN-γR-Defekt sollten bei relativ guter allgemeiner
Prognose zunächst konservativ behandelt
werden, wobei die tuberkulostatische Therapie über mindestens zwei Jahre durchgeführt werden sollte. Zusätzlich sollte mindestens bis zur klinischen Remission humanes rekombinantes IFN-γ gegeben werden.
Bei IL-12Rβ1-Defekt kann die Behandlung
abdomineller Läsionen schwierig sein, mit
schlechtem Ansprechen auch auf hohe Dosen von IFN-γ. Die chirurgische Entfernung
einer vergrößerten Milz oder abdomineller
Lymphknoten kann in Einzelfällen hilfreich
sein (34). Möglicherweise reagieren Kinder
mit IL-12p40-Defekt auf eine Behandlung
mit IL-12, es gibt dazu jedoch derzeit noch
keine ausreichend gesicherten Daten (34).
Bei Patienten mit IFN-γR-, IL-12- oder
IL-12Rβ1-Defekt sollten alle von der ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen Regelimpfungen (Stand 2007) durchgeführt werden. Bei Patienten mit STAT1-Defekt sollten Impfungen mit Lebendimpfstoffen (z. B. Masern-, Mumps-, RötelnImpfung) äußerst sorgfältig durch einen auf
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Immundefekte spezialisierten Arzt abgewogen werden. Auf keinen Fall darf bei Patienten mit MSMD eine BCG-Impfung durchgeführt werden. Diese Impfung wird in
Deutschland nicht mehr generell empfohlen. Sie gehört jedoch in anderen Ländern
noch zum Regelimpfplan, sodass in diesen
Ländern Impfkomplikationen vorkommen
und die impfenden Ärzte auf die Grunderkrankung des Kindes hingewiesen werden
müssen.
Differenzialdiagnosen
Die meisten Fälle schwerer NTM-Erkrankungen sowie ein kleiner Teil der schweren
Tuberkulosefälle weltweit sind durch einen
erworbenen Immundefekt im Rahmen einer
HIV-Infektion bedingt.Andere Risikofaktoren für eine schwere Erkrankung an Mykobakterien sind erworben (Hautläsionen, maligne Erkrankungen, Diabetes) oder angeboren (Mukoviszidose oder PID). Nur in
wenigen Fällen einer NTM-Infektion und in
noch selteneren Fällen einer M. tuberculosis-Infektion kann jedoch ein zugrunde liegender PID diagnostiziert werden. Hingegen sind die meisten Fälle einer schweren
BCG-Infektion (BCGitis) mit einem PID
assoziiert. Vor allem weil das Mykobakterium früh in der Kindheit inokuliert wird, fallen Patienten mit schwerem kombiniertem
Immundefekt (SCID) und (OL)-EDA-ID
(Osteopetrose-Lymphödem-Ektodermale
Dysplasie mit Immundefekt) im ersten Lebensjahr mit disseminierter BCG- oder
NTM-Infektion auf. Patienten mit septischer Granulomatose (CGD) und etwas seltener auch Patienten mit Hyper-IgM-Syndrom (X-HIGM) und Hyper-IgE-Syndrom
(HIES) sind anfällig für klinisch mildere
BCG-Infektionen und NTM-Erkrankungen
mit etwas späterer Manifestation. Patienten
mit diesen klassischen PID leiden im Gegensatz zu Patienten mit MSMD fast immer
auch an schweren Infektionen mit anderen
Keimen. Daneben finden sich in einigen
wenigen Fällen bei Patienten mit mykobakterieller Infektion Autoantikörper gegen
IFN-γ, die die Bindung von IFN-γ an den
Rezeptor hemmen (20, 41, 54).
Defekte der MyD88und IRAK-4-abhängigen
Signalwege der Toll-ähnlichen
und Interleukin-1-Rezeptoren
Obwohl Staphylokokken auf der Haut der
meisten Kinder und Pneumokokken und
Staphylokokken im oberen Respirationstrakt vieler Kinder nachweisbar sind (7, 46),
betreffen invasive Pneumokokkeninfektionen und Staphylokokkeninfektionen nur eine kleine Minderheit der besiedelten Kinder
(10, 15). Die Empfänglichkeit für invasive
Pneumokokken- und Staphylokokkenerkrankungen wird durch angeborene und
erworbene Faktoren bestimmt. Die intakte
Haut ist ein wesentlicher Schutz gegen Staphylokokkeninfektionen (46). Intakte
Schleimhäute des Respirationstraktes sind
ein wesentlicher Schutz gegen Pneumokokkeninfektionen (57). Nach dem Überwinden der Haut- und/oder Schleimhautbarriere haben phagozytierende Zellen wie neutrophile Granulozyten, Monozyten und Makrophagen die wohl wichtigste Abwehrfunktion gegen Staphylokokken (46), wohingegen opsonisierende Antikörper und
Komplement sowie milzständige Makrophagen insbesondere für die Abwehr von
Pneumokokken wichtig sind (57). Die erfolgreiche antibakterielle Immunantwort
von Phagozyten setzt eine ausreichende Anzahl, die Funktionsfähigkeit dieser Zellen
sowie ihre rasche und nachhaltige Aktivierung voraus. Phagozyten erkennen mikrobielle Strukturen über Toll-ähnliche-Rezeptoren (toll like receptors, TLR), die über intrazelluläre Signalwege die rasche Synthese
proinflammatorischer Zytokine wie IL-1β,
IL-6, IL-8, IL-12 und TNF-α vermitteln.
Die Synthese dieser Zytokine wird auch
durch IL-1β-vermittelt, das über den IL1-Rezeptor und den gleichen Signalweg wie
die TLRs die Bildung proinflammatorischer
Zytokine weiter verstärkt. Diese Zytokine
vermitteln einerseits systemische Effekte
wie Fieber, die Hemmung der Bildung von
Erythrozyten und die Induktion von AkutPhase-Proteinen, andererseits aktivieren sie
das Endothel, erhöhen die vaskuläre Permeabilität und wirken chemotaktisch auf ei-
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Genetisch bedingte Immundefekte
ne Reihe von Immunzellen. Hierdurch werden zahlreiche weitere phagozytierende
Zellen an den Ort der Infektion rekrutiert.
Eine gestörte Signalübermittlung der
Toll-like- und Interleukin-1-Rezeptoren
(TLRs und IL-Rs = TIRs) führt zu einer eingeschränkten Expression proinflammatorischer Zytokine und einer verminderten Phagozytenaktivierung. Autosomal-rezessiv
vererbte vollständige IRAK-4-Defekte und
MyD88-Defekte gehen dabei mit isolierten
Störungen der TIR-Signalübermittlung einher (44, 56, 73) (von Bernuth, unpublizierte
Daten), während X-chromosomal-rezessiv
vererbte hypomorphe NEMO-Defekte und
autosomal-dominant vererbte IκBα-Defekte zu Einschränkungen in weiteren immunologischen (TNF-Rezeptoren und B-ZellRezeptor) und nicht immunologischen Signalwegen führen und daher oft als syndromale Erkrankungen imponieren (18, 22, 38,
76). Patienten mit vollständigem
MyD88-Defekt und IRAK-4-Defekt fallen
früh mit Meningitiden, Arthritiden, Osteomyelitiden und tiefen Organabszessen, hervorgerufen vor allem durch S. pneumoniae
und S. aureus, aber auch durch Infektionen
mit weiteren grampositiven und gramnegativen Bakterien auf. Die Patienten erkranken auch an bakteriellen Hautinfektionen
(10, 16, 19, 29, 43, 44, 48–50, 56, 68, 73).
Die Signalübermittlung durch den TLR3 ist
bei Patienten mit MyD88-Defekt und mit
IRAK-4-Defekt normal und die Patienten
zeigen keine besondere Anfälligkeit für Infektionen durch Viren, Pilze und Parasiten
(44, 73).
Patienten mit NEMO-Defizienz und Iκ−
Bα-Defekt fallen meist durch konische
Zähne (42), fehlendeAugenbrauen, schütteres, dünnes Haar, („Ektodermale Dysplasie“, ED), trockene Haut und fehlende
Schweißbildung („Anhidrosis“, A) und einen Immundefekt (ID) auf (18, 22, 38, 76).
Einige Patienten zeigen auch eine Osteopetrose (25, 67) und Lymphödeme (25). Patienten mit einem Immundefekt durch Mutationen in NEMO können neben Infektionen durch die oben genannten bakteriellen
Erreger (43) auch eine erhöhte Anfälligkeit
für Viren der Herpesgruppe (Herpes-Enzephalitis) (53, 59) und für Mykobakterien
(Lymphadenitis, BCGitis, Pneumonie) (35,
53, 59) aufweisen. Oft präsentieren sich die-
se Patienten früh mit schwer behandelbaren
Durchfällen und Gedeihstörung. Hinweisend auf eine Störung der Phagozytenaktivierung
durch
MyD88-Defekt,
IRAK-4-Defekt, NEMO-Defizienz oder
IκBα-Defekt können gering ausgeprägte
Akut-Phase-Reaktionen (Fieber, CRP) trotz
schwerer invasiver Infektion sein (25, 29,
71). Patienten mit EDA-ID zeigen v. a. als
Säuglinge häufig eine persistierende neutrophile Granulozytose. Bei einigen Patienten mit IRAK-4-Defekt fällt ein verzögerter
Nabelschnurabfall (> 30 Tage) auf (68).
Zur Diagnose eines MyD88- und eines
IRAK-4-Defektes muss Vollblut durch Bakterienbestandteile und Interleukin-1β aktiviert werden. Bestimmt wird die
CD62L-Expression auf Granulozyten und
die Produktion von TNF-α oder IL-6 im
Kulturüberstand von Vollblut nach 24 oder
48 Stunden. Bei Gesunden löst eine so
durchgeführte Aktivierung das Abscheren
von CD62L auf Granulozyten und eine
deutliche Produktion von TNF-α, IL-6 und
anderen Zytokinen im Vollblut aus. Bei den
bisher bekannten Patienten mit vollständigem MyD88-Defekt oder mit IRAK-4-Defekt ist sowohl das Abscheren von CD62L
als auch die Zytokinproduktion deutlich
vermindert (16, 43, 70). Zum Ausschluss einer NEMO-Defizienz oder eines IκBα-Defekts gibt es keine hinreichend sensitiven
funktionellen Tests. Daher muss bei Verdacht auf die beiden Erkrankungen der direkte Proteinnachweis der beiden Moleküle,
die Sequenzierung der Gene NEMO und
IκBα und eine umfassende biochemische
Untersuchung der NEMO- und IκBα-abhängigen Signalwege in Fibroblasten der
Patienten angestrebt werden.
Die Prognose der vier in diesem Abschnitt vorgestellten Erkrankungen ist sehr
unterschiedlich. Patienten mit vollständigem
MyD88- und IRAK-4-Defekt sind bis zur
Adoleszenz in besonderem Maße durch lebensbedrohliche invasive bakterielle Infektionen bedroht, nach dem 14. Lebensjahr erscheint die Prognose beider Erkrankungen
deutlich verbessert (44). Nach der Adoleszenz traten invasive bakterielle Infektionen
nicht mehr, Hautinfektionen insbesondere
durch S. aureus jedoch weiter auf (Picard
und von Bernuth, unpublizierte Daten). Aus
diesem Grund wird für Patienten mit
MyD88- und IRAK-4-Defekt mindestens
bis zum 16. Lebensjahr eine antibiotische
Prophylaxe mit Wirksamkeit gegen Pneumokokken, Staphylokokken und Pseudomonaden empfohlen. Die Patienten müssen gegen Pneumokokken geimpft und der Impferfolg muss kontrolliert werden. Die zusätzliche Gabe von Immunglobulinen kann
ebenfalls bis zum 16. Lebensjahr sinnvoll
sein, besonders dann, wenn die Patienten unzureichend Antikörper gegen Polysaccharide bilden können.
Da die Infektionsanfälligkeit bei Patienten
mit NEMO-Defizienz und IκBα-Defekt sehr
unterschiedlich ausgeprägt sein kann, können für Patienten mit diesen Defekten keine
allgemeingültigen Empfehlungen gegeben
werden. Das Spektrum der möglichen Behandlungsoptionen reicht hier von einer alleinigen antibiotischen Prophylaxe (35) bis zur
Knochenmarktransplantation (24, 69). Die
Therapie orientiert sich dabei individuell an
den gegebenenfalls bereits vorliegenden Erfahrungen bei Patienten mit der gleichen oder
einer verwandten Mutation, dem Schweregrad der in vitro messbaren Funktionseinschränkung der NEMO-abhängigen Signalwege und dem klinischen Verlauf des einzelnen Patienten. Die Standardtherapie im Falle
einer Herpes-Enzephalitis muss bei Patienten
mit NEMO-Defekt um die Gabe von IFN-α
erweitert werden (53). Patienten mit NEMODefizienz und IκBα-Defekt, die eine Hypogammaglobulinämie aufweisen, wird eine
Substitution mit Immunglobulinen empfohlen. Bei allen vier Defekten müssen Patienten, Eltern und Ärzte darauf hingewiesen
werden, dass invasive Infektionen ohne den
sonst erwartetenTemperaturanstieg und ohne
die sonst gewohnte Akut-Phase-Reaktion
verlaufen können (29, 71). Für Patienten mit
MyD88- und IRAK-4-Defekt gelten keinerlei Impfeinschränkungen. Patienten mit NEMO-Defekt und IκBα-Defekt können mit allen Totimpfstoffen geimpft werden, über
Impfungen mit Lebendimpfstoffen muss mit
einem auf Immundefekte spezialisierten Kollegen im Einzelfall entschieden werden.
Differenzialdiagnosen
Nicht immunologische Grunderkrankungen, die zu invasiven Pneumokokkeninfek-
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
176
Reichenbach, von Bernuth
tionen oder Staphylokokkeninfektionen
prädisponieren, sind Niereninsuffizienz,
Lebereinsuffizienz, Herzinsuffizienz, Sichelzellanämie, Leukämie und Liquorfistel
(46, 47). Die HIV-Infektion mit einem Immundefekt der T-Zellen ist ein erworbener
Risikofaktor für invasive Pneumokokkeninfektionen (47). Angeborene Immundefekte, die durch die eingeschränkte Abtötung
opsonisierter Bakterien durch milzständige
Makrophagen hervorgerufen werden (Komplementdefekte, Antikörpermangelsyndrome, Asplenie), sind mit einer erhöhten Anfälligkeit für invasive Pneumokokkeninfektionen verbunden (11, 57). Angeborene Immundefekte, die mit einer eingeschränkten
Phagozytose oder einem eingeschränkten
Abtöten phagozytierter Erreger einhergehen (Neutropenien, Leukozytenadhäsionsdefekte, Defekte der spezifischen Granula, Papillon-Lefèvre-Syndrom, septische
Granulomatose), sind mit einer erhöhten
Anfälligkeit für Staphylokokkeninfektionen vergesellschaftet (11). Ebenso zeigen
Patienten mit Hyper-IgE-Syndromen eine
erhöhte Anfälligkeit für invasive Staphylokokkeninfektionen (37, 51, 52, 62). Eine
Assoziation von invasiven Staphylokokkeninfektionen mit der Bildung von Autoantikörpern gegen IL-6 ist beschrieben worden
(58). Bei Patienten mit Antikörpermangelsyndromen (CVID, XLA) kommen Infektionen mit S. aureus selten vor. Beim Wiskott-Aldrich-Syndrom sowie beim IPEXSyndrom sind häufiger Staphylokokkeninfektionen beschrieben, sie gehören aber
nicht zu den charakteristischen Manifestationen dieser Erkrankungen (11).
Defekte der TLR3/UNC93B1abhängigen Signalwege
Die
durch
Herpes-simplex-Virus-1
(HSV-1) verursachte Enzephalitis ist eine
Erkrankung, die mit akuten, nekrotisierenden Läsionen im Gehirn einhergeht. Unbehandelt ist die Erkrankung in etwa zwei
Dritteln der Fälle tödlich, doch auch unter
Behandlung mit Aciclovir kommen tödliche
Verläufe vor und ein Drittel bis die Hälfte
der überlebenden Patienten leiden unter
neurologischen Folgeschäden. Mit einer InKinder- und Jugendmedizin 3/2008
zidenz von 2–4/100 000/Jahr ist die HerpesEnzephalitis zwar selten, jedoch der häufigste Grund für akute, sporadische Virusenzephalitiden in der westlichen Hemisphäre (72). Da die Erkrankung überwiegend
sporadisch und bei anderweitig „gesunden“
Kindern auftritt, wird bisher die systematische Diagnostik hinsichtlich angeborener
Immundefekte unterlassen. HSV-1 ist ein
neurotropes Virus, das das Gehirn über den
Bulbus olfactorius infiziert. Nach Eintritt in
die Nervenzellen entsteht intrazellulär im
Replikationszyklus von Herpes-simplexTyp-1 doppelsträngige RNA, die vom endosomal lokalisierten Rezeptor TLR3 erkannt
wird. Ein mit diesem Rezeptor assoziiertes,
für die Signaltransduktion essenzielles Protein ist UNC93B. Der mit UNC93B assoziierte TLR3 aktiviert zwei Hauptsignalwege,
die über IKKε/TBK1 und den aus NEMO/
IKKα/IKKβ bestehenden IKK-Komplex,
die zurTranslokation derTranskriptionsfaktoren IRF3, IRF7 und NF-κB in den Zellkern führen und die Produktion von IFN-α
bewirken. IFN-α wird vom IFN-α-Rezeptor
erkannt, der für die weitere Signaltransduktion STAT1 benötigt (66, 74).
Eine gestörte Signalübermittlung des
TLR3 führt bei Patienten mit autosomal-rezessivem UNC93B1-Defekt und bei Patienten mit autosomal-dominantem TLR3-Defekt zu einer eingeschränkten Expression
antiviral wirksamer Interferone, insbesondere von Interferon-α (14, 75). Die beiden
bisher beschriebenen Patienten mit
UNC93B1-Defekt erkrankten im Alter von
elf Monaten bis 17 Jahren ausschließlich an
rezidivierenden Enzephalitiden durch
HSV-1 (14). Die beiden bisher identifizierten Patienten mit TLR3-Defekt erkrankten
im Alter von fünf Monaten bis sechs Jahren
ebenfalls ausschließlich an rezidivierenden
Enzephalitiden durch HSV-1 (75).Trotz Exposition sind diese Patienten resistent gegen
Infektionen durch weitereViren, durch Bakterien, durch Parasiten und durch Pilze. Mit
dem UNC93B1-Defekt und dem TLR3-Defekt sind damit angeborene Immundefekte
mit erhöhter Anfälligkeit für einen einzigen
Erreger identifiziert worden.
Für die Diagnose beider Immundefekte
gibt es keinen einfachen Suchtest, der zur
Identifizierung von beiden Defekten anwendbar ist. Der TLR3-Defekt und der
UNC93B1-Defekt können bei einer verminderten Produktion von IFN-β oder
IFN-λ in Fibroblasten nach Stimulation mit
TLR3-Agonisten vermutet werden. Ein
recht einfacher Test auf UNC93B1-Defekt
ist die Aktivierung von Vollblut mit Agonisten von TLR7 und TLR8 mit nachfolgender
durchflusszytometrischer Messung der Expression von CD62L auf Granulozyten, dessen Herunterregulation vermindert ist (s.
oben) (70). Zur Prognose beider Immundefekte kann wegen der geringen Patientenzahl bisher keine Aussage getroffen werden.
Eine routinemäßige Chemoprophylaxe wird
nicht empfohlen, jedoch eine vermehrte
Wachsamkeit gegenüber den Symptomen
einer Enzephalitis und eine entsprechend
frühzeitige aggressive Diagnostik und Therapie. Die Standardtherapie einer HerpesEnzephalitis muss bei Patienten mit
UNC93B- und TLR3-Defekt um die Gabe
von IFN-α erweitert werden. Differenzialdiagnostisch muss insbesondere an den bereits
besprochenen
vollständigen
STAT1-Defekt, an NEMO-Defekte und an
ein Hyper-IgE-Syndrom durch Tyk-2-Defekt gedacht werden (17, 51, 53, 66). Für Patienten mit UNC93B- und TLR3-Defekt
gelten keinerlei Impfeinschränkungen.
Schlussfolgerungen/Fazit
für die Praxis
Bei Kindern und Jugendlichen mit erhöhter
Anfälligkeit für Infektionen durch atypische Mykobakterien und/oder für disseminierte, komplizierte Infektionen durch Tuberkuloseerreger muss an Erkrankungen im
IFN-γ-/IL-12-System gedacht werden. Die
genaue Diagnose dieser Defekte ist notwendig, da bei IL-12, IL-12-Rezeptor-Defekten
sowie partiellen IFN-γ- und STAT1-Defekten die antituberkulöse Therapie durch Gabe von IFN-γ ergänzt werden muss. Bei
kompletten
IFN-γ-Rezeptorund
STAT1-Defekten ist eine Knochenmarktransplantation die einzige kurative Therapieoption.
Bei jedem Säugling oder Kleinkind mit
Meningitis, septischer Arthritis, Osteomyelitis und Abszessbildung durch S. pneumoniae und/oder S. aureus muss auch an eine
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Genetisch bedingte Immundefekte
gestörte Signalübermittlung der Toll-likeund Interleukin-1-Rezeptoren wie bei
MyD88-, IRAK-4-, NEMO- und IκBα-Defekt gedacht werden. Kinder mit diesen
Diagnosen müssen eine antibiotische Dauerprophylaxe erhalten. Die Therapie eines
NEMO-Defekts muss dem Einzelfall angepasst werden.
Bei jedem Patienten mit Enzephalitis
durch Herpes-simplex-Virus-Typ-1 muss
eine gestörte Signalübermittlung des
TLR3-Rezeptors wie bei UNC93B1-Defekt
und TLR3-Defekt ausgeschlossen werden.
Bei beiden Defekten stellt die Ergänzung
der Therapie einer Herpes-Enzephalitis um
IFN-α gegebenenfalls eine entscheidende
weitere Therapieoption dar.
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Korrespondenzadressen:
Dr. med. Janine Reichenbach
Abteilung Immunologie/Hämatologie/KMT
Universitäts-Kinderspital Zürich
Steinwiesstraße 75
CH-8032 Zürich
Tel.: +41/44/2 66 73 41
Fax: +41/44/2 66 79 14
E-Mail: [email protected]
Dr. med. Horst von Bernuth
Klinik für Pädiatrie
mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie
Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Tel.: 0 30/4 50 56 61 31
Fax: 0 30/4 50 56 69 31
E-Mail: [email protected], [email protected]
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Immundefekte
© 2008
179
Schattauer GmbH
Komplementdefekte
Volker Wahn1, Peter Späth2
Charité Universitätsmedizin Berlin, Campus Virchow-Klinikum,
Klinik für Pädiatrie m. S. Pneumologie und Immunologie
(Direktor: Prof. Dr. med. U. Wahn)
2
Institut für Pharmakologie, Universität Bern
(Direktor: Prof. Dr. med. H.-U. Simon)
1
Schlüsselwörter
Keywords
Komplementdefekte, hereditäres Angioödem, Meningokokkeninfektionen, Autoimmunerkrankungen
Complement deficiencies, hereditary angioedema, meningococcal infections, autoimmune disorders
Zusammenfassung
Summary
Das Komplementsystem besteht aus einer Vielzahl von Einzelproteinen und wird als Teil des unspezifischen, angeborenen humoralen Immunsystems angesehen. Hauptaufgaben sind die Beteiligung an der Bakterienabwehr, der Elimination von Immunkomplexen und Entzündungsreaktionen. Genetische Defekte sind bei fast allen Komponenten
beschrieben. Häufigster Defekt ist das hereditäre Angioödem (HAE), verursacht durch Fehlen oder Dysfunktion des
C1-Inhibitors. Es muss differenzialdiagnostisch vom allergischen Quincke-Ödem abgegrenzt werden. Andere Defekte fallen durch Neigung zu schweren bakteriellen Infektionen, insbesondere Meningokokkeninfektionen, oder durch
autoimmune oder autoimmunähnliche Erkrankungen auf.
Complement system is composed of several individual components. It is part of non-specific, innate humoral immunity. It contributes to antibacterial defense, elimination of
circulating immune complexes and inflammatory responses. Genetic defects have been described for almost all
components of the complement system. The most frequent
defect is the hereditary angioedema HAE, caused by absence or dysfunction of the C1-Inhibitor (C1-INH) molecule.
HAE is an important differential diagnosis of the allergic
Quincke edema. Deficiencies of the other complement proteins present with increased susceptibility to severe bacterial infections, especially meningococcal infections, or with
autoimmune or autoimmune-like diseases.
Complement deficiencies
Kinder- und Jugendmedizin 2008; 8: 179–184
K
omplement (C) ist Teil des unspezifischen angeborenen humoralen
Immunsystems. Einschließlich
seiner Regulatorproteine besteht es aus ca.
25 verschiedenen Plasmaeiweißen. Hinzu
kommen noch gewebsständige Regulatorproteine und Rezeptoren für Komplementproteine. Unter physiologischen Bedingungen liegen die Komplementfaktoren als native (zu aktivierende) Vorstufe vor. Erst durch
einen Aktivierungsvorgang, meist eine partielle Proteolyse, werden sie in biologisch
wirksame Eiweiße mit enzymatischer oder
Kofaktor-Aktivität überführt. Komplement
steht bereits bei Geburt zur Abwehr zur Verfügung, wenn auch mit etwas reduzierter Aktivität verglichen mit Erwachsenen.
C hat im Wesentlichen folgende Aufgaben:
● Abwehr von Bakterien,
● Lyse von Antikörper-beladenen Zielzellen (Typ II-Allergie),
●
●
●
Beteiligung an Entzündungsreaktionen
(Anaphylatoxine),
Elimination von Immunkomplexen mit
Erythrozyten als „Transportern“,
Bindeglied zwischen angeborener und
erworbener Immunität.
Komplement kann auf 3 Wegen aktiviert
werden, die wir als klassischen, alternativen
und Lektinweg bezeichnen. Alle führen zur
Aktivierung von C3, dem zentralen Schritt
der Komplementaktivierung. Über die Verstärkung (amplification) der C3-Aktivierung erlangt das Komplementsystem seine
Kraft und die Voraussetzung für dieAktivierung des lytischen Weges. Durch Beteiligung der Komponenten C5-C9 entsteht
der Membranattacke-Komplex (MAK, oder
Terminal Complement Complex, TCC), der
in der Lage ist, z. B. Zielzellen oder Bakterien zu lysieren.
Die überwiegende Mehrzahl der C-Defekte betrifft den klassischen Weg zwischen
C1-C9, der hier vereinfacht dargestellt wird.
Alle Folien finden sich in animierter und
vertonter Form bei www.immundefekt.de
(Abb. 1 und 2).
Damit sind nicht alle Details, aber wichtige biologische Grundlagen zum Verständnis der Komplementdefekte gelegt.
Genetische Komplementdefekte
In Tabelle 1 sind die Defektzustände aufgeführt, die auch eine Expertenkommission
der WHO akzeptiert (14). Ergänzt wurden
einzelne Defektzustände, die in der Literatur als (neue) familiäre und somit genetische Defekte publiziert wurden.
Häufigkeit
Der häufigste Defekt ist das durch den Mangel
des C1-Inhibitors hervorgerufene hereditäre
Angioödem (HAE). Die Prävalenz wird zwischen 1:10 000 und 1:50 000 geschätzt. Der
zweithäufigste Defekt ist der C2-Mangel mit
einer geschätzten Prävalenz von 1:40 000. Alle anderen Defekte sind deutlich seltener.
Ätiologie, HLA-Assoziation
C-Defekte sind erbliche Erkrankungen, dieArt
der Vererbung ist in Tab. 1 vermerkt. Die Genorte für die meisten Komplementkomponenten
sind inzwischen bekannt (Tab. 1). Bei C-Defekten sind Punktmutationen, Deletionen,
Genregulationsstörungen u. a. beschrieben.
Wenn auch wissenschaftlich interessant, so ha-
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Dezember
2007
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
180
Wahn, Späth
ben diese Untersuchungen für Diagnosestellung und Therapie bisher keine große Bedeutung erlangt. Einige dieser Strukturgene (C4,
C2, B) befinden sich innerhalb des MHCKomplexes (Major Histocompatibility Comlex). Sie werden als MHC-Klasse-III-Gene bezeichnet. Wegen der engen Nachbarschaft der
Genorte sind die Defekte von C2 und C4 HLAgekoppelt, werden also nur in Verbindung mit
bestimmten HLA-Typen vererbt.
Pathogenese, Leitsymptome
Abb. 1 Bestimmte Antigene auf der Oberfläche von Zielzellen, wie z. B. Bakterien oder Blutzellen, werden durch spezifische IgG-Antikörper erkannt. An deren nun nahe beieinander stehenden Fc-Teilen bindet der pentamolekulare C1-Komplex
(C1qC1r2C1s2) über die globulären Strukturen von C1q. Nach der Bindung werden die Proenzyme C1r und C1s aktiviert. Diese aktivieren C4 und C2. Das aktive C4 und das aktive C2 bilden die klassische C3-Konvertase C4b2a, die auch über den Lektinweg (MBL, MASP) generiert werden kann. C3 wird enzymatisch gespalten, C3b auf der Oberfläche der Zielzelle deponiert.
Erst nach der mehrfachen Ablagerung von C3b erfolgt die sukzessive Anlagerung von C5–C9, bis schließlich der multimere
Membranattacke-Komplex (MAK) vorliegt. Die bei der Aktivierung entstehenden Fragmente C3a und C5a sind Anaphylatoxine, d. h. Entzündungsmediatoren (C4a wird heute nicht mehr als Anaphylatoxin angesehen).
Abb. 2 Komplement hat enge Verbindungen zum Gerinnungs- und Kininsystem, was am Beispiel des C1-INH dargestellt
wird. Fehlt C1-INH, so ist die Kontrolle der ersten Aktivierungsschritte vom klassischen und Lektinweg, aber auch von Gerinnung und Kininbildung gestört. Bei stark verminderter Funktion von C1-INH können spontan Kinine (Bradykinin, mittlerweile sehr fraglich auch das C2-like Kinin) entstehen, die die Durchlässigkeit der Gefäßwand erhöhen und die Ödembildung in
den unteren Schichten der Haut und in den Schleimhäuten fördern (HMW = high molecular weight).
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
Einleitend wurden die Aufgaben von Komplement erläutert. Fallen einzelne Komponenten aufgrund genetischer Defekte aus,
lassen sich die klinischen Leitsymptome
leicht verstehen:
● hereditäres Angioödem (HAE),
● bakterielle Infektionen,
● autoimmunähnliche Erkrankungen.
Klinische Symptome
und Verlauf
Das häufigste Krankheitsbild ist das hereditäre Angiödem (HAE). Patienten mit HAE
fallen durch rezidivierende spontane nichtallergische Schwellungen der Extremitäten
auf, die an ein allergisches Quincke-Ödem
erinnern und die sich auf die tiefen Schichten
der Haut beschränken. So sind die Schwellungen beim HAE eher blass, teigig hart und
jucken nicht. Urtikaria ist untypisch für
C1-INH-Mangelzustände.
Schwellungszustände am Darm rufen Abdominalkoliken
hervor, die bei Unkenntnis der Grundkrankheit zur chirurgischen Intervention (V. a. Appendizitis oder mechanischer Ileus) Anlass
geben. Das Übergreifen auf den Larynx kann
eine lebensbedrohliche Erstickungssymptomatik hervorrufen, und in vielen betroffenen
Familien gibt es Vorfahren, die am Glottisödem verstorben sind (7). Bei sorgfältiger
Anamneseerhebung zeigte sich, dass sich das
HAE in der Mehrzahl der Fälle bereits im
Kindesalter manifestiert. Bei der Erhebung
der Anamnese darf nicht aus den Augen gelassen werden, dass bis zu 25% der HAE-Fälle spontane Neumutationen sein können!
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181
Komplementdefekte
Tab. 1 Hereditäre Komplementdefekte (IUIS-Klassifikation [International Union of Immunological Societies] von 2006, modifiziert; MBL = Mannose-bindendes Lektin, MASP = MBPassoziierte Serinprotease, MPGN II = membranoproliferative Glomerulonephritis Typ II): *Der C1r-Mangel ist meistens mit C1s-Mangel verbunden. Das C1s-Gen liegt in unmittelbarer Nähe des C1r-Gens auf demselben Chromosom (Locus 12 p ter). **Der C2-Defekt ist im Kopplungsungleichgewicht mit HLA-A25, B-18, DR2, Komplotyp S042 von Faktor B, Typ 4 C4A, Typ 2 C4B.
***
Der C8α-Mangel geht obligat mit einem C8γ-Mangel einher, da die γ-Kette normalerweise kovalent an die α-Kette gebunden wird. Das γ-Gen selbst ist intakt. #Beim hereditären Angioödem (HAE) sollten 3 Typen unterschieden werden: Mangel (ca. 85% der Patienten), Dysfunktion (ca. 15% der Patienten) und eine Variante mit typischer Klinik, aber normalen Laborbefunden. Diese Form wurde auch als HAE Typ III bezeichnet, was aber zu Missverständnissen führen kann, da bei dieser Form kein C1-INH-Mangel vorliegt. Die bessere Namensgebung, die sich
langsam durchsetzt ist „estrogen-dependent hereditary angioedema“. Es können zwei Formen unterschieden werden: eine mit nachweisbaren Mutationen im Faktor-XII-Gen und eine ohne
möglichen Nachweis. Bis auf einen Fall sind nur Frauen mit FXII-Mutationen bekannt. Bei der Form ohne nachweisbare Mutation des FXII-Gens ist der Anteil der Männer höher. ## Dieser Defekt, dessen Familiarität in der Literatur belegt ist, wird von der WHO bisher nicht berücksichtigt.
lfd. Nr.
Defekt
Vererbung
chromosomale
Lokalisation
wichtigste klinische Symptome
1
C1q
AR
1
SLE-ähnlich, Infektionen
2
*
C1r
AR
12
SLE-ähnlich, Infektionen
3
C4
AR
6
SLE-ähnlich, Infektionen
**
4
C2
AR
6
SLE-ähnlich, Vaskulitis, Polymyositis
5
C3
AR
19
rezidivierende eitrige Infektionen
6
C5
AR
9
Neisseria-Infektionen, SLE
7
C6
AR
5
Neisseria-Infektionen, SLE
8
C7
AR
5
Neisseria-Infektionen, SLE, Vaskulitis
9
C8α***
AR
1
Neisseria-Infektionen, SLE
10
C8β
AR
1
Neisseria-Infektionen, SLE
11
C9
AR
5
Neisseria-Infektionen
C1-Inhibitor (Homozygotie)
AR
11
milde Form des herditären Angiödems
11
hereditäres Angioödem
12a
12b
#
C1-Inhibitor (Heterozygotie)
i)
Typ I = Antigenmangel
AD
hereditäres Angioödem
ii)
Typ II = Dysfunktion
AD
hereditäres Angioödem
iii)
„estrogen-dependent“ (Typ III); Antigen- und in vitro-Funktion normal; Zuordnung zu Komplementdefekten nur aus klinischer Sicht
13
Faktor I
##
hereditäres Angioödem, bei Frauen sowie Männern mit Östrogenüberschuss
AR
4
rezidivierende bakterielle Infektionen
14
C4-bindendes Protein
AD?
1q32
atypischer M. Behçet, Angioödem
15a
Faktor H (Homozygotie)
AR
1
rezidivierende bakterielle Infektionen,
MPGN II,
atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom
atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom
15b
Faktor H (Heterozygotie)
16
Faktor D
AR
19
Neisseria-Infektionen
17
Properdin
X-chr.
X
Neisseria-Infektionen
18
MBL-Mangel
AR
10q21–23
eitrige Infektionen (v. a. bis zum 2. Lebensjahr)
19
MASP2-Mangel
AR
3q27–28
Pneumokokken-Pneumonie und Pneumokokken-Sepsis (unter Prednisolon-Therapie); die eigentliche klinische Erscheinungsform des
MASP-2-Defekts ist vorerst unklar.
Was die Attacken auslöst, lässt sich im
Einzelfall nicht immer ermitteln. Ein Trauma, eine Infektion (EBV, Helicobacter pylori), psychischer Stress, Medikamente wie
z. B. ACE-Inhibitoren, Kontrazeptiva oder
auch die Menstruation werden gelegentlich
als Auslöser identifiziert. Es kommt u. a. zur
Bildung von Bradykinin, welches für die klinische Symptomatik hauptverantwortlich
gemacht wird (13). ACE-Inhibitoren verhindern den Abbau von Bradykinin und erhöhen
dadurch die Zahl und Schwere der Anfälle.
Die wichtigstenVarianten des HAE sind der
Mangel (ca. 85%) und die Dysfunktion (ca.
15% der Patienten). HAE I basiert fast immer
auf einem heterozygoten Defektzustand, nur in
einer Familie wurde Homozygotie beobachtet
(2). Seit kurzem ist eine vererbte Form des An-
gioödems ohne verminderte C1-INH-Funktion
bekannt. Die Bezeichnung HAE Typ III ist umstritten. Sie ist offenbar Östrogen-abhängig. Es
können heute zwei Formen unterschieden werden: mit oder ohne nachweisbarer Faktor-XIIMutation. Eine Arbeit (9) macht eine Gain-offunction-Mutation beim Hagemann-Faktor
(Faktor XII) verantwortlich, wobei der Spiegel
von Faktor XII unverändert ist. Diese Beobach-
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
182
Wahn, Späth
Abb. 3 Interpretation funktioneller Globaltests für das Komplementsystem: Nur bei bestimmten Befundkonstellationen
ist die Analyse bestimmter Einzelkomponenten (teuer, wenn funktionell bestimmt!) indiziert (MBL = Mannose-bindendes
Lektin, MASP = MBP-assoziierte Serinprotease).
tung muss noch bestätigt werden. In EinzelfällenistdieManifestationbeiMännernbeibeiden
Formen bekannt (3).
Schwellungen an der Haut kommen aber
nicht nurbeim HAE vor. InVerbindung mit dem
Mangel an Faktor I (C3b-Inaktivator) wurde in
einem Fall eine Urtikaria beobachtet, die unter
der warmen Dusche (verstärkter C-Umsatz?)
noch zunahm. Beim Mangel des C4-bindenden
Proteins hatte ein Patient neben einem M. Behçet auch Symptome eines Angioödems.
Das zweite wichtige Leitsymptom der
Komplement-Mangelzustände, insbesondere bei terminalen C-Defekten (C5-C9), ist
die Neigung zu rezidivierenden bakteriellen
Infektionen, bei Kindern insbesondere Meningokokkeninfektionen (Tab. 1), die in jedem Lebensalter auftreten können. Diese
klinische Symptomatik lässt sich leicht
durch die verminderten antibakteriellen Eigenschaften C-defizienter Seren erklären.
Die verminderte Fähigkeit von Seren, in
denen die frühen Komponenten des klassischen Aktivierungsweges (C1, C4, C2) fehlen, zur effizientenAbräumung von apoptotischen Blebs (blasige Abschnürungen, die bei
der Apoptose entstehen) und zur Auflösung
und Elimination von Immunkomplexen mag
Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
primär zur Häufung von SLE (systemischem
Lupus erythematodes) oder SLE-ähnlichen
Autoimmunerkrankungen (Tab. 1) beitragen.
Neben den beschriebenen klinischen Manifestationen gibt es in Verbindung mit C-Defekten Erkrankungen mit unspezifischer klinischer
Symptomatik, so zum Beispiel das atypische
hämolytisch-urämische Syndrom (aHUS)
(Tab. 1). Beim aHUS, etwa 10% aller HUS Fälle, geht keine Toxin-induzierte (Verotoxin,
VTEC, Shiga-like toxin) Diarrhö der klinischen
Manifestation voraus. aHUS ist nicht selbstlimitierend. Bei etwa 15–30% der aHUS konnte ein Zusammenhang zu Mutationen im Faktor-H-Gen erbracht werden, wobei das klinische
Bild des aHUS bei homozygoten wie auch heterozygoten Patienten beschrieben wurde. Darüber hinaus sind bei Familienuntersuchungen
auch homozygote C-Defekte gefunden worden,
die ohne negative klinische Auswirkungen für
die Betroffenen geblieben sind.
Diagnose, Differenzialdiagnose
Leidet ein Patient an einer Erkrankung, der
auch ein Komplementdefekt zugrunde lie-
gen könnte, ist der frühzeitige Einsatz aussagekräftiger Laboruntersuchungen wichtig. Die vielerorts durchgeführte Messung
von C3, C4 und evtl. B ist kein probates Mittel, um C-Defekte zu finden. Entscheidend
ist der Einsatz funktioneller Globaltests, die
die hämolytische Funktion des klassischen
und alternativen Aktivierungsweges erfassen (für den Lektinweg nicht vorhanden).
Diese aussagekräftigen Globaltests werden
als CH50 (complement hemolytic 50%)
bzw. APH50 (alternative pathway hemolysis 50%) bezeichnet. Als Alternative stehen
ELISA-Tests zur Verfügung, mit denen Defekte in allen drei Aktivierungswegen erfasst werden können (z. B. Wieslab, Ideon
Research Park Lund, S-223 70 Lund,
Schweden). Funktionelle Tests müssen wegen der Temperaturlabilität einzelner
C-Komponenten mit Serum durchgeführt
werden, das entweder frisch ist, oder aber
tiefgefroren gelagert und verschickt wurde!
Sind die Globaltests normal, kann meistens
auf weitere Untersuchungen inkl. der Messung von C3 und C4 verzichtet werden, mit
Ausnahme folgender Situationen:
● Beim Verdacht auf ein hereditäres Angioödem sollten im ersten diagnostischen
Anlauf C1-Inhibitor-Menge und -Funktion gemessen werden, da außerhalb akuter
Attacken das CH50 normal ausfallen
kann. Die HAE-Östrogen-abhängige
Form des HAE wird auch durch die Messung der C1-INH-Funktion nicht erfasst.
● Bei Verdacht auf auf C4A- oder
C4B-Mangel (dieser Verdacht ist bei der
Diagnose SLE oder SLE-ähnliche Erkrankung gegeben) muss primär eine Polymorphismus-Untersuchung gemacht
werden, da auch bei diesen Defekten
CH50 und APH50 normal sein können.
● Bei C9-Defekten sind in Einzelfällen
messbare CH50-Werte bis zu 50% der
Norm beschrieben worden. C9-Defekte
sind in Deutschland bisher nicht bekannt, wohl aber in der Schweiz..
Bei anderen Defekten kann bereits durch
die Ergebnisse von CH50 und APH50 der
Defekt eingeengt werden: Ist CH50 nicht
nachweisbar und APH50 normal, muss die
Störung bei C1, C4 oder C2 liegen. Ist
CH50 normal, aber AP50 nicht nachweisbar, muss die Störung bei P oder D gesucht
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Komplementdefekte
werden. Ist beides nicht nachweisbar, liegt
die Störung zwischen C3 und C9.
Mit der nun gegebenen Möglichkeit, alle
3 Aktivierungswerge zu untersuchen ist die
Möglichkeit einer noch feineren Einengung
des ersten Verdachtes möglich (Abb. 3).
Bei gegebenem Befund müssen dann die
infrage kommenden Einzelfaktoren untersucht werden, um das selektive Fehlen einer
Komponente zu belegen. Eine Familienuntersuchung schließt sich an, um den Erbgang zu rekonstruieren. Bei Heterozygoten
können dabei die Globaltests durchaus normal ausfallen. Die Messung der Einzelkomponente deckt aber den Carrierstatus auf.
Molekulargenetische Analysen sind sicher
wissenschaftlich interessant, für den Patienten aber ohne praktische Bedeutung. Bei nur
ganz wenigen Defekten würde man eine(n)
Pränataldiagnostik/Schwangerschaftsabbruch anstreben.
Eine Besonderheit gibt es bei C8-Defekten. Hier sind sowohl Defekte der α/γ- wie
der β-Kette bekannt. Sie können z. B. mithilfe der Western-Blot-Untersuchung oder
durch Rekonstitutionsexperimente in vitro
differenziert werden.
Therapie
Eine kausale Therapie ist in erster Linie beim
HAETyp I und II (C1-INH-Mangel) möglich.
Dazu stehen gereinigte C1-Inhibitor-Konzentrate (z. B. Berinert P®) zur Verfügung. Sie
sollten im akuten Anfall intravenös in einer
Dosis von 25 Einheiten/kg KG verabreicht
werden, wenn die Schwellungszustände bedrohlich sind (s. u.). Glukokortikoide oder
Antihistaminika sind wirkungslos. Zur Kurzzeitprophylaxe vor geplanten Eingriffen kann
ein abgestuftes Vorgehen empfohlen werden
(s. u.). Ein rekombinantes Produkt aus der
Milch von transgenen Kaninchen ist entwickelt und wirksam (8), aber in Deutschland
noch nicht zugelassen. Langzeitnebenwirkungen dieses Präparats sind derzeit nicht zu
beurteilen einschließlich der Bildung vonAntikörpern gegen Kaninchen-Eiweiße.
Bei mittlerer bis geringer Häufigkeit von
Rezidiven können nach reiflicherAbwägung
(Cave Kinder!) zur Langzeitprophylaxe attenuierte Androgene (z. B. Danazol) einge-
Tab. 2
Therapieempfehlungen
leichte gastrointestinale Attacke
Tranexamsäure 12–25 mg/kg KG, max. 1,5 g, 3- bis 4-mal tgl. bis
zum Sistieren der Symptome
Ödem der oberen Atemwege oder schwere GI-Attacke
C1-Inhibitor-Konzentrat 25 Einh./kg KG; bei Bedarf Wiederholung nach
4 Std.
geplanter Eingriff (möglicher Triggerfaktor)
a) Danazol einsetzbar: Danazol 10 mg/kg KG/Tag, max. 600 mg/Tag
für 5–10 Tage vor + 2–5 Tage nach Eingriff
b) Danazol nicht einsetzbar: Tranexamsäure 12–25 mg/kg KG, max.
1,5 g, 3- bis 4-mal tgl. für 5 Tage vor + 5 Tage nach Eingriff
c) Beides nicht einsetzbar: C1-INH-Konzentrat wie bei Hochrisikoeingriff (s. u.)
Hochrisikoeingriff
C1-INH-Konzentrat 25 E/kg KG 1 h vor Eingriff
Langzeitprophylaxe bei häufigen und schweren
spontanen Attacken
a) Tranexamsäure einsetzbar: Tranexamsäure 12–25 mg/kg KG, max.
1,5 g, 3- bis 4-mal tgl.; Reduktion auf minimal wirksame Dosis; Kontrollen 6-monatlich: Leber- und Nierenfunktion, Gerinnung, Untersuchung Augenarzt
b) Tranexamsäure nicht einsetzbar: Danazol max. 200 mg/Tag; Reduktion auf minimal wirksame Dosis, evtl. nur 400 mg/Woche; Kontrollen
6-monatlich: Leber- und Nierenfunktion, großes Blutbild, Gerinnung,
Lipide, Wachstum und Pubertätsentwicklung
setzt werden, wodurch Häufigkeit und Intensität der Schwellungen in ca. 55% der Fälle
deutlich zurück gehen. Mit Danazol befinden wir uns in dem Dilemma, dass es ausschließlich zur Behandlung der Endometriose zugelassen ist und somit off-label eingesetzt wird. Die Androgenwirkung ist wahrscheinlich über eine Steigerung der Synthese von C1-INH in der Leber zu erklären. Der
C1-INH-Spiegel wird von ca. 10–15% auf
ca. 40–50% erhöht. Im Kindesalter sind bisher erst relativ wenige Fälle mit Danazol behandelt worden (z. B. [11]). Der Nutzen dieser Behandlung muss gegen die nicht zu
übersehenden Risiken der Langzeittherapie
mit Androgenen aufgerechnet werden! Nur
die minimal-effektive Dosis (≤200 mg/d)
sollte eingesetzt werden, d. h. nur für kurze
Zeit über 200 mg/d. Ist Danazol bei 200
mg/d nicht wirksam, muss eine andere Langzeitprophylaxe ins Auge gefasst werden,
evtl. die Substitutionstherapie. Wird die Danazol-Langzeittherapie gewählt, sind die
Routinekontrollen wie Lipidstatus, Leberenzyme und Sonographie unerlässlich.
Bei großer Häufigkeit schwerer Anfälle
wird der prophylaktische Einsatz von
C1-INH praktiziert.
Auch Tranexamsäure ist zur Therapie
eingesetzt worden (z. B. [11]). Die Substanz
ist in Deutschland zugelassen für generalisierte und lokale Hyperfibrinolyse, also
ebenfalls nicht für HAE. Mögliche Neben-
wirkungen sind zahlreich und die therapeutische Wirkung ist häufig gering. Einzelne
Zentren setzen wegen dieser Nebenwirkungen das C1-Inaktivator-Konzentrat für besondere Fälle auch als Dauertherapie ein.
International anerkannte Experten haben
sich 2003 getroffen und versucht, diagnostische und therapeutische Leitlinien zu definieren, die die Unsicherheit beim Umgang
mit HAE zumindest bei Erwachsenen verringern sollen (5).
Bei der vom hormonellen Status und nicht
von einer Mutation im C1-INH-Gen abhängigen Form des HAE (nicht ganz präzise auch
als HAE Typ III bezeichnet) ist die Behandlung umstritten. Möglicherweise stehen in Zukunft auch dazu Studienergebnisse zur Verfügung. Da Tranexamsäure ein genereller Protease-Inhibitor ist, kann ihr Einsatz erwogen
werden. Stehen betroffen Frauen unter oraler
Antikonzeption, ist diese zu überdenken und
wenn möglich durchAlternativen zu ersetzen.
Spezifisch pädiatrische Aspekte des
C1-INH-Mangels haben Boyle et al. (6) in einer kritischen Übersicht mit Wertung pädiatrischer Daten herausgearbeitet, die in Tabelle 2 leicht modifiziert übernommen wurden.
Bei den C-Defekten, an denen der C1-Inhibitor nicht beteiligt ist, ist die Therapie
symptomatisch. Langzeiterfahrungen mit
Frischplasmagaben, über die Defekte ausgeglichen werden sollen, sind zwar publiziert,
bergen aber neben den infektiologischen Pro-
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Kinder- und Jugendmedizin 3/2008
184
Wahn, Späth
Literatur
Abb. 4 Pathogenese des Angioödems, aggravierende Faktoren und Angriffspunkte von Therapeutika (nach [1]), (HAE =
hereditäres Angioödem, HMW = high molecular weight).
blemen das Risiko in sich, dass der Patient gegen die seinem Immunsystem unbekannten
Proteine, einschließlich der genetisch fehlenden C-Komponente, sensibilisiert wird und
schließlich anaphylaktisch reagiert.
Bei Patienten mit Neigung zu Meningokokkeninfektionen ist zunächst die Aufklärung des Patienten darüber wichtig, dass es
bei ihm keinen „banalen“ Infekt gibt, sondern
dass er bei Fieber immer einenArzt aufsuchen
sollte. Eine Penicillindauerprophylaxe erscheint sinnvoll. Eine Meningokokkenimpfung (nicht wirksam gegen Serotyp B!) kann
zusätzlichen Schutz bieten, dennoch sind bei
C-defizienten Patienten trotz Impfung einzelne Neuinfektionen vorgekommen.
Patienten mit autoimmunologischen Manifestationen (SLE-ähnlich) werden symptomatisch behandelt. Steroide sollten nicht
zu hoch dosiert werden, da ja keine „klassische“ Autoantikörper-vermittelte Erkrankung behandelt wird.
Prognose
Bis auf die Patienten, die bei Fehlen der frühen klassischen Komponenten an AutoKinder- und Jugendmedizin 3/2008
immunerkrankungen versterben, ist die
Prognose der C-Defekte quoad vitam in der
Regel gut. Entscheidend ist, dass die Patienten um ihre Anfälligkeit z. B. gegenüber
Meningokokkeninfektionen wissen und fieberhafte Infekte in jedem Fall ernst genommen werden. Bei früher antibiotischer Therapie verlaufen die Meningokokkeninfektionen häufig benigne, da kein effizienter
MAK-Angriff stattfindet und bakterielle
Bruchstücke und Toxine nur in geringem
Maße freigesetzt werden.
Auch beim HAE, an dem früher viele Patienten durch ein Larynxödem verstorben
sind, ist die Prognose inzwischen durch die
Verfügbarkeit des C1-Inhibitor-Konzentrates, den Einsatz von attenuierten Androgenen undTranexamsäure drastisch verbessert
worden. Laufende klinische Studien lassen
vermuten, dass mit einem Bradykinin-Rezeptor-2-Antagonisten (Icatibant, [4]) oder
einem Kallikrein-Inhibitor (Ecallantide,
[15]) neue Wirkprinzipien in der Zukunft
zur Verfügung stehen werden (Abb. 4). Von
ultimativer Bedeutung bleibt allerdings die
gute Aufklärung von Arzt + Patient, damit
adäquate Therapie im Notfall nicht an organisatorischen Defiziten scheitert!
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Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Volker Wahn
Klinik für Pädiatrie
mit Schwerpunkt Pneumologie und Immunologie
Campus Virchow-Klinikum
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Tel.: 0 30/4 50 56 66 93
Fax: 0 30/45 05 66 69 31
E-Mail: [email protected]
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Zertifizierte Fortbildung
Zertifizierte Fortbildung
In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer
CME-Fragebogen
1. Welche Symptome und Erkrankungen
sind typisch bei Kindern mit angeborenen
Immundefekten?
a)
b)
c)
d)
e)
Fieber
Infektionen und Autoimmunerkrankungen
Fieber, Infektionen und Autoimmunerkrankungen
Tumor- und Autoimmunerkrankungen
Fieber, Infektionen, Tumor- und Autoimmunerkrankungen
2. Welche Zellpopulation kann bei Kindern
mit Immundefekten vom angeborenen Defekt
betroffen sein?
a)
b)
c)
d)
e)
B-Lymphozyten
T-Lymphozyten und Granulozyten
B- und T-Lymphozyten sowie Granulozyten
NK-Lymphozyten und Granulozyten
B-, T- und NK-Lymphozyten sowie Granulozyten
3. Welche Zellpopulation ist bei einem Kind
mit M. Bruton-Immundefekt (X-chromosomale
Agammaglobulinämie) vorwiegend
vom angeborenen Defekt betroffen?
a)
b)
c)
d)
e)
B-Lymphozyten
T-Lymphozyten und Granulozyten
B- und T-Lymphozyten sowie Granulozyten
NK-Lymphozyten und Granulozyten
B-, T- und NK-Lymphozyten sowie Granulozyten
4. Was kann Teil der Behandlung
eines immundefekten Kindes sein?
a) der Einsatz intravenöser Immunglobuline
b) eine Knochenmarktransplantation sowie eine antimykotische Therapie
c) der Einsatz intravenöser Immunglobuline, eine
Knochenmarktransplantation sowie eine antimykotische Therapie
d) eine antibiotische sowie antimykotische Therapie
e) der Einsatz intravenöser Immunglobuline, eine
Knochenmarktransplantation, eine antibiotische sowie antimykotische Therapie
5. Welche Laboruntersuchungen helfen bei
der Charakterisierung eines B-Zell-Defektes?
a) die Bestimmung von IgG
b) die Bestimmung von IgA und Isohämagglutininen
c) die Bestimmung von IgG, IgA und Isohämagglutininen
d) die Bestimmung von IgM und Isohämagglutininen
e) die Bestimmung von IgG, IgA, IgM sowie Isohämagglutininen
6. Welche Laboruntersuchungen helfen bei
der Charakterisierung eines T-Zell-Defektes?
a) die Messung der Menge der CD4-Zellen
b) die Messung der Menge der CD8-Zellen und Untersuchung der Komlementfunktion
c) die Messung der Menge der CD4- und CD8-Zellen
d) der Granulozytenfunktionstest sowie die Untersuchung der Komplementfunktion
e) die Messung der Menge der CD4- und CD8-Zellen, der
Granulozytenfunktionstest sowie die Untersuchung
der Komplementfunktion
7. Welche Zellen benutzen keine VDJRekombination zur Erstellung
antigenspezifischer Rezeptoren?
a)
b)
c)
d)
e)
Monozyten
Granulozyten und B-Zellen
Mono- und Granulozyten
T- und B-Zellen
Mono- und Granulozyten, T- und B-Zellen
8. Welche Zellpopulation kann bei Kindern mit
erworbenen Immundefekten betroffen sein?
a)
b)
c)
d)
e)
B-Lymphozyten
T-Lymphozyten und Granulozyten
B- und T-Lymphozyten sowie Granulozyten
NK-Lymphozyten sowie Granulozyten
B-, T- und NK-Lymphozyten sowie Granulozyten
CME-Fortbildung ab sofort online
Die Teilnahme an der CME-Fortbildung ist
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Es ist immer nur eine Antwort pro Frage zutreffend. Teilnahmeschluss ist der 01.04.2009.
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Die zehn CME-Fragen beziehen sich auf alle
Beiträge dieser Ausgabe.
10. Welche Behandlungen werden häufig
bei einem Kind mit schwerem angeborenem
Immundefekt (SCID) eingesetzt?
a) die Prophylaxe gegen Pneumocystis jiroveci (vormals
carinii)-Infektion
b) eine Stammzell- und Thymustransplantation
c) die Prophylaxe gegen Pneumocystis jiroveci (vormals
carinii)-Infektion, eine Stammzelltransplantation sowie Immunglobulinsubstitution
d) eine Immunglobulinsubstitution und Thymustransplantation
e) die Prophylaxe gegen Pneumocystis jiroveci (vormals
carinii)-Infektion, eine Stammzelltransplantation,
eine Immunglobulinsubstitution sowie Thymustransplantation
9. Welcher Immunglobulin-Isotyp kann
bei einem Kind mit M. Bruton-Immundefekt
(X-chromosomale Agammaglobulinämie)
vermindert sein?
a)
b)
c)
d)
e)
IgG
IgA und IgE
IgG, IgA und IgE
IgM und IgE
IgG, IgA, IgM und IgE
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