PFLEGEINFORMATIK Erfolgreiches rechtliches Projektmanagement bei IT-Projekten im Gesundheitsbereich Ursula Widmer Korrespondenzadresse: Dr. Widmer & Partner Rechtsanwälte Schosshaldenstrasse 32 CH-3000 Bern 31 Tel.: +41 31 351 66 33 Fax: +41 31 351 66 50 ursula.widmer@ widmerpartners-lawyers.ch www.widmerpartnerslawyers.ch Informatikprojekte im Gesundheitswesen sind in der Regel komplex und daher risikobehaftet. In diesem Beitrag wird aufgezeigt, wie Projektrisiken aus rechtlicher Sicht effizient begegnet werden kann. Präventive Maßnahmen organisatorischer und rechtlicher Art helfen, Risiken wie Terminverzögerungen, Kostenüberschreitungen oder Qualitätsmängel zu minimieren und im Fall des Eintritts erfolgreich zu bewältigen. Voraussetzung hierfür sind unter anderem die Schaffung ausreichender Planungsgrundlagen und deren Berücksichtigung im Rahmen einer projektadäquaten Vertragsgestaltung. Ein mit qualifizierter juristischer Unterstützung redigierter Vertrag bietet im Krisenfall die notwendige Basis für ein erfolgreiches rechtliches Krisenmanagement im Hinblick auf eine erfolgreiche Projektsanierung bzw. Projektfortsetzung oder für den geordneten Projektabbruch. I. Einführung Nicht nur große Bauprojekte zeichnen sich durch Problembereiche, etwa massive Kostenund Zeitüberschreitungen, aus. Immer zahlreicher sind Pressemeldungen über Informatikprojekte im öffentlichen und privatwirtschaftlichen Bereich, bei denen neben Budgetüberschreitungen mitunter auch Projektabbrüche – was bei Bauprojekten nahezu nie vorkommt – zu verzeichnen sind. Es erscheint deshalb angebracht, präventive Maßnahmen organisatorischer und rechtlicher Art, die krisenhafte Situationen in Informatikprojekten verhindern, sowie die Vorgehensweise bei Auftreten von Krisen in Informatikprojekten darzustellen. II. Informatikprojekte im Gesundheitswesen Informatikprojekte haben heute immer weniger die Erstellung, die Installation und den Betrieb von Individualsoftware, einer eigens für die Bedürfnisse eines Unternehmens entwickelten Software, zum Gegenstand. Vielmehr wird in einem Informatikprojekt immer häufiger eine vorgefertigte Softwarehülle („Standardsoftware“) an die speziellen Bedürfnisse eines Unternehmens, die in dem Informatikprojekt im Detail festzulegen sind, angepasst. Der Markt für Standardsoftware ist für viele Anwendungsgebiete bis hin zu integrierten Branchenlösungen gut entwickelt. Das gilt insbesondere auch für den Gesundheitsbereich, wo neben den Lösungen für den administrativen Bereich immer mehr Standardsoftware für klinische Anwendungen angeboten wird (elektronische Patientenakte, Bildarchivierungssysteme, Laborsysteme etc.). Die Standardlösung hat gegenüber der Individuallösung meistens die Vorteile geringerer Kosten und kürzerer Projektdauer, darüber hinaus ist während des Betriebs der Wartungsaufwand durch einen Wartungsvertrag mit einem Softwarelieferanten pauschalierbar und damit wesentlich geringer als im Fall der Individuallösung. Schlüsselwörter Recht Informatikprojekt Projektrisiken Projektmanagement Krisenmanagement Die Informatikprojekte im Gesundheitsbereich weisen regelmäßig eine hohe Komplexität auf. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So stellen z. B. abteilungs- und klinikübergreifende Anwendungen, wie z. B. die elektronische Patientenakte, wegen der großen Zahl der involvierten Organisationseinheiten und Benutzer besondere Anforderungen in Bezug auf die Definition des Leistungsumfangs, des Vorgehens und der Planung der Einführung. Um den angestrebten Nutzen aus neuen Lösungen ziehen zu können, sind diese häufig in vielfältiger Weise in die bestehende Informatiklandschaft zu integrieren, was die Realisierung und/oder Anpassung von Schnittstellen und damit den Einbezug der Lieferanten der betreffenden Drittprodukte erfordert. Vielfach sind für die Projekte von außen auferlegte Rahmenbedingungen zwingend zu beachten, wie dies etwa im Zusammenhang mit der Einführung von TARMED der Fall ist. 119 PRINTERNET 02/06 PFLEGEINFORMATIK Title Successful legal project management concerning health care IT projects Abstract Health care IT projects are usually complex and therefore exposed to risk. This article shows how such risks can be successfully managed from a legal perspective. Preventive measures of both an organizational and a legal nature help to minimize risks such as delays in meeting deadlines, exceeding budgets and defects in quality, or can help to deal with them effectively should they occur. The success of such measures is dependent on the establishment of appropriate planning principles and their incorporation in a contractual agreement drafted to suit the project in question. In critical situations, a contract that has been drawn up with professional legal guidance also provides the necessary basis for effective crisis management in terms of either the successful reorganization or continuation of the project, or its controlled termination. Ursula Widmer: Erfolgreiches rechtliches Projektmanagement bei IT-Projekten im Gesundheitsbereich Aufgrund dieser Komplexität spielen Krisenprävention und Krisenmanagement im Zusammenhang mit Informatikprojekten eine zentrale Rolle. III. Typische Risikofaktoren bei Informatikprojekten aus rechtlicher Optik Eine qualifizierte juristische Projektbegleitung sowie eine sachkundige Vertragsgestaltung stellen bei Informatikprojekten wesentliche Erfolgsfaktoren zur Krisenprävention und zum bestmöglichen Krisenmanagement aus rechtlicher Sicht dar. Und Krisen sind bei Informatikprojekten durchaus üblich: Termine werden nicht eingehalten, die Kosten überschritten, die Qualität lässt zu wünschen übrig, und das Ziel wird verfehlt. Eine erfolgreiche Projektabwicklung hingegen setzt nicht nur organisatorische Maßnahmen voraus, sondern auch qualifizierte Vertragsverhandlungen, eine adäquate Vertragsgestaltung sowie sach- und interessengerechte projektbegleitende Maßnahmen rechtlicher Art. Für den Krisenfall unterstützt ein qualifiziertes rechtliches Krisenmanagement die Projektsanierung im Sinne einer schlussendlich erfolgreichen Projektfortsetzung oder schafft die notwendigen Voraussetzungen eines geordneten Projektabbruches. IV. Organisatorische Krisenprävention Zur organisatorischen Krisenprävention gehört in erster Linie, dem Informatikprojekt eine geeignete Aufbau- und Ablauforganisation zu geben. Diese ist im Projektvertrag bzw. in Anhängen dazu festzuhalten und rechtlich abzusichern. Die wichtigste ablauforganisatorische Maßnahme ist die Einteilung des Informatikprojektes in einzelne Aufgabenpakete, meist als Phasen bezeichnet. Für die Phaseneinteilung gibt es viele Vorschläge, die gemeinsam eine planerische Vorphase, die Festlegung der unternehmensspezifischen Anforderungen an ein Informationssystem, die technische Umsetzung in ein funktionsfähiges Informationssystem sowie die Inbetriebnahme unterscheiden. Häufig bringt der Lieferant eine eigene Phasenunterteilung in das Informatikprojekt ein, die der Erfahrung mit der Installation seiner Standardsoftware entspricht. V. Rechtliche Krisenprävention Die rechtliche Krisenprävention hat bereits in der vorvertraglichen Planungsphase einzusetzen. Hier werden seitens des Anwenders erste Anforderungen an das Projekt festgelegt und den möglichen Vertragspartnern zur Erstellung ihrer Offerten zugestellt. Der Anforderungskatalog – das so genannte Pflichtenheft – ist im Hinblick auf die rechtlichen Aspekte der Anbieterevaluation zu ergänzen. Bereits in der Offertphase haben die Anbieter möglichst detaillierte Aktivitäten- und Terminplanangaben zu machen, welche einerseits die klare Phaseneinteilung des Projektes widerspiegeln und andererseits von Abfolge und Terminologie her bereits auf die zukünftige vertragliche Projektfestlegung Bezug nehmen. Zur Abschlussreife eines Projektvertrages gehören projektwesentliche Dokumente wie u.a. Pflichtenheft, Spezifikationen, Offerte, Aktivitäten- und Terminplan, Projektorganisation. Die Analyse dieser Unterlagen auf Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit, Projektadäquanz und Übereinstimmung mit dem Projektvertrag ist für ein erfolgreiches Projekt zwingend. Keywords Law IT project Project risks Project management Risk management Regelmäßig besteht die Möglichkeit, von vorgelegten Geschäftsbedingungen für die Lizenzierung und Pflege von Software, für den Kauf und die Wartung von Hardwareprodukten, für die Erstellung oder Anpassung von Softwarelösungen abweichende, projektadäquatere Regelungen auszuhandeln. Ein detailliertes Abnahmeverfahren, mit Festlegung der Abnahmevoraussetzungen, -kriterien und -modalitäten gehört in jeden Projektvertrag oder in den entsprechenden Anhang. Für die Betriebsphase eines Informationssystems werden regelmäßig Wartungs- und Pflegeleistungen eingekauft, und es gehört zur unternehmerischen Vorsicht, dass bereits bei Projektbeginn im Projektvertrag oder einem entsprechenden Wartungsanhang die Wartungskosten, der Umfang und der Beginn der Wartungsleistungen als auch die Mindestwartungsdauer, mit während dieser Zeit unkündbarer Leistung seitens des Wartungsanbieters, festgeschrieben werden. 120 PRINTERNET 02/06 PFLEGEINFORMATIK Ursula Widmer: Erfolgreiches rechtliches Projektmanagement bei IT-Projekten im Gesundheitsbereich VI. Organisatorisches Krisenmanagement Krisen in Informatikprojekten tauchen in den seltensten Fällen unvermutet auf; zumeist deuten sie sich „schleichend“ an, z. B. laufen Terminverzögerungen auf, häufen sich Probleme mit einzelnen Teammitgliedern oder gar dem Projektleiter oder machen sich Schulungsdefizite bei den späteren Benützern immer stärker bemerkbar. Beim organisatorischen Krisenmanagement geht es vor allem um zwei Bündel von Maßnahmen: Es ist Raum zu schaffen, die Krise zu meistern, d.h. der Zeit- und Leistungsplan noch nicht erledigter Projektaktivitäten ist, soweit es die Randbedingungen des Unternehmens gestatten, in die Zukunft zu schieben; gleichzeitig ist die Krisensituation selbst zu analysieren und bestmöglich in eine Normalsituation zurückzuführen. Eine Analyse der Krise, z. B. nicht ausreichend qualifizierte Projektmitarbeiter, unrealistische Zeitplanung, qualitative Mängel bei der Festlegung der unternehmensspezifischen Vorgaben für das „Customizing“ der Standardsoftware, gibt die Richtung der Therapie an. VII. Rechtliches Krisenmanagement Befindet sich ein Informatikprojekt in einer Schieflage, so stellt sich die Frage nach der Projektfortsetzung oder dem Projektabbruch. Die Projektfortsetzung hängt von Faktoren mit auch rechtlicher Relevanz ab, nämlich etwa von der Fähigkeit der Beteiligten, das Projekt fertigzustellen, den vorhandenen (vertraglich ursprünglich festgelegten oder zusätzlichen) finanziellen und personellen Ressourcen sowie auch der Zumutbarkeit für das Kundenunternehmen, den Produktivstart des Gesamtsystems oder von Teilen davon noch herauszuschieben. Der Projektabbruch seinerseits hängt regelmäßig von der Frage ab, ob auf dem Markt überhaupt Alternativlösungen gefunden werden können. Somit sind aus juristischer Sicht die korrekten Maßnahmen zu ergreifen, um das Projekt unter geänderten Voraussetzungen fortzuführen oder das Projekt abzubrechen, d.h. vom Vertrag mit dem oder den Lieferanten zurückzutreten. Selten sind Verträge anzutreffen, welche bereits ein Auflösungsprozedere beinhalten. VIII. Schlussbemerkung Informatikprojekte haben – verglichen mit Bauprojekten – eine kurze Historie. Bisher waren es stärker technische und organisatorische Aspekte, welche die Abwicklung von Informatikprojekten bestimmt haben. Erst seit wenigen Jahren ergänzen rechtliche Aspekte in sichtbarem Ausmaß die Planung und Durchführung solcher Projekte. Es ist abzusehen, dass die Analogie zu Bauprojekten trägt: Das Baurecht hat bei Bauprojekten – mit einer weitaus größeren Tradition – zu einer besseren Beherrschung von Projektrisiken geführt; ebenso wird die stärkere rechtliche Unterstützung von Informatikprojekten das Auftreten von Krisen verringern und ihre Bewältigung erleichtern. Dies ist gerade auch für Informatikprojekte im Gesundheitsbereich wichtig, da diese aufgrund ihrer regelmäßig hohen Komplexität mit vergleichsweise hohen Projektrisiken verbunden sind. Kurzbiografie Frau Dr. iur. Rechtsanwältin Ursula Widmer, studierte Rechtswissenschaften an der Universität Bern. Zulassung als Rechtsanwältin 1982. Assistentin am Institut für Privatrecht und Rechtsvergleichung. Dissertation zum Thema „Risikofolgeverteilung bei Informatikprojekten: Haftung für Softwaremängel bei Planung und Realisierung von Informationssystemen“. Gründung der Anwaltskanzlei Dr. Widmer & Partner, PrInterNet Community Rechtsanwälte, Bern, spezialisiert auf Informatik-, Internet- und TelekommunikationsSie finden weitere Informationen zu recht. Lehrbeauftragte für Informatik- und diesem Artikel unter Internetrecht an der Universität Bern. Mitglied der Eidgenössischen Datenschutzkomhttp://www.printernet.info/artikel.asp?id=611 mission und des Executive Committee der amerikanischen Computer Law Association. 121 PRINTERNET 02/06