Cetuximab zur Radiochemotherapie von Analkarzinomen

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Strahlenther Onkol (2017) 193:508–509
DOI 10.1007/s00066-017-1133-x
LITERATUR KOMMENTIERT
Cetuximab zur Radiochemotherapie von Analkarzinomen bei
immunkompetenten Patienten ändert bisherigen Therapiestandard
nicht
Ergebnisse der prospektiven, multizentrischen E3205-Studie
Carsten Nieder1
Online publiziert: 13. April 2017
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017
Fragestellung und Hintergrund Die gegenwärtige Standardtherapie des plattenepithelialen Analkarzinoms
(SCCAC) besteht in einer sphinktererhaltenden simultanen
Radiochemotherapie (RCT) mit 5-Fluorouracil (5-FU) und
Mitomycin-C (MMC). Der Anal Cancer Trial (ACT II, 2 ×
2 „factorial design“) untersuchte, ob MMC durch Cisplatin
ersetzt werden sollte, um die Rate kompletter Remissionen (CR) nach 6 Monaten zu verbessern [1]. Die zweite
Fragestellung galt der Erhaltungschemotherapie, von der
ein verbessertes progressionsfreies Überleben (PFS) erhofft
wurde. In beiden Armen betrug die CR-Rate zirka 90 %
nach 26 Wochen (p = 0,64). Das 3-Jahres-PFS lag bei 74 %
mit Erhaltungschemotherapie und bei 73 % nach alleiniger Standardtherapie (p = 0,70). Eine Progression tritt mit
höherer Wahrscheinlichkeit bei fortgeschrittenen Stadien
auf (T3–4 und/oder lokoregionale Lymphknotenmetastasen) sowie bei Tumoren mit anderer Genese als Infektion
mit humanen Papillomviren (HPV). Da sich beim SCCAC
oft eine EGFR-Überexpression („epidermal growth factor
receptor“) findet, wurde in der hier diskutierten Phase-IIStudie der Zusatz von Cetuximab untersucht [2].
Patienten und Methodik Eine RCT mit Cisplatin, 5-FU
und 8 wöchentlichen Dosen Cetuximab erhielten 61 PatiOriginalpublikation Garg MK, Zhao F, Sparano JA et al (2017)
Cetuximab plus chemoradiotherapy in immunocompetent patients
with anal carcinoma: a phase II Eastern Cooperative Oncology
Group-American College of Radiology Imaging Network Cancer
Research Group trial (E3205). J Clin Oncol 35:718–726
enten mit SCCAC im Stadium I–III. Ausgehend von einer
erwarteten lokoregionalen Rezidivrate von 35 % nach Standardtherapie in 3 Jahren wurde durch Cetuximab eine Halbierung der Rezidivhäufigkeit erhofft. Anfänglich begann
die Behandlung mit 2 Zyklen neoadjuvanter Chemotherapie (Cisplatin und 5-FU). Nach Einschluss von 28 Patienten
wurde dieser Behandlungsteil gestrichen. Die Strahlentherapie erfolgte mit einer Dosis von 1,8 Gy und 5 Fraktionen
pro Woche (Minimum 45 Gy (T1–2), Maximum 54 Gy).
Die inguinalen Lymphknoten erhielten 30,6 Gy (N0 oder
N1) bzw. 50,4–54 Gy (N2 oder N3, persistierende Vergrößerung nach 45 Gy oder Ausgangsdurchmesser >3 cm). Alle
Patienten waren in relativ gutem Allgemeinzustand (Eastern
Cooperative Oncology Group: ECOG 0–2). Das mediane
Alter betrug 56 Jahre. Von den Patienten hatten 64 % ein
SCCAC im Stadium III.
Ergebnisse Lediglich 79 % der Patienten erhielten die
komplette Therapie des Protokolls. Nebenwirkungen vom
Grad 4 traten bei 32 % auf. An behandlungsbezogenen Toxizitäten verstarben 5 % . Das PFS nach 3 Jahren betrug
68 % und das Gesamtüberleben 83 %. Nach 3 Jahren traten
in 23 % der Fälle lokoregionale Rezidive auf.
Schlussfolgerung Die Rate lokoregionaler Rezidive war
im Vergleich zu den historischen Daten etwas geringer. Allerdings traten infolge der intensivierten RCT erhebliche
Nebenwirkungen auf. Es muss also weiter nach effektiveren und besser verträglichen Therapien gesucht werden.
Prof. Dr. med. Carsten Nieder
1
[email protected]
Kommentar
Dept. of Oncology and Palliative Medicine, Nordland
Hospital Trust, Prinsensgate 164, P.O. Box 1480, 8092 Bodø,
Norwegen
Die ausschließlich simultane Radiochemotherapie mit
5-FU/MMC erlaubt bei der Mehrzahl der Patienten (ca.
K
Strahlenther Onkol (2017) 193:508–509
80 %) einen langfristigen Sphinktererhalt, da SCCAC oftmals vollständig auf die RCT ansprechen [1, 3]. Die besten
Ergebnisse erreicht man bei Tumoren <5 cm mit negativem
Lymphknotenstatus. Eine klinische CR kann im Verlauf
erst relativ spät auftreten. In der ACT-II-Studie lag sie
11 Wochen nach Therapiestart bei 52 % der Patienten vor
(71 % nach 18 Wochen und 78 % nach 26 Wochen; [4]).
In den meisten onkologischen Situationen lässt der gegenwärtige Behandlungsstandard noch Luft nach oben. Das
SCCAC ist hier keine Ausnahme, insbesondere wenn auch
die akute Toxizität berücksichtigt wird. Ob nicht vollständig ansprechende oder im Verlauf rezidivierende Tumoren
bereits primär so resistent sind, dass auch eine intensivere RCT erfolglos bleibt, ist nicht abschließend geklärt.
Die vorliegende Phase-II-Studie präsentiert einen weiteren
Versuch, die lokoregionale Rezidivrate zu reduzieren, allerdings ohne damit einen neuen Standard definieren zu
können.
Die Compliance der Patienten bei der simultanen Chemo- und Strahlentherapie beeinflusst die lokoregionale
Kontrolle. Je mehr Toxizität die Behandlung verursacht,
desto schlechter ist die Compliance. Und in der hier kommentierten Studie wurde die simultane Behandlung in 36 %
der Fälle wegen hoher Toxizität unterbrochen, und zwar im
Median um 12 Tage (!). Weiterhin hatten 28 von 61 Patienten zusätzlich eine neoadjuvante Chemotherapie erhalten,
welche die wesentlich effektivere RCT hinausschob. Vielleicht ist diese Verlängerung der Gesamtbehandlungszeit
so nachteilig für die Patienten, dass ein eventuell vorhandener Vorteil des zu prüfenden Medikaments nicht
erkannt wird. Eine sekundäre Analyse der NRG-Oncology-RTOG-9811-Studie resultierte in der Hypothese, dass
ein Biomarker (Ki67-Score in EGFR-überexprimierenden
Arealen vs. wenig exprimierenden Arealen) eine höhere
Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen auf einen EGFRHemmer anzeigen könnte [5]. Diesbezüglich sind weitere
Studien abzuwarten.
Vielversprechende Ergebnisse wurden in einer australischen Arbeit publiziert [6]. Die Behandlung erfolgte dort
mit einer intensitätsmodulierten Strahlentherapie mit simultan integriertem Boost und 5-FU/MMC. Die Strahlendosis
entsprach stadienabhängig derjenigen in der RTOG-0529Studie. Es wurde über 42 Patienten berichtet (Stadium I
12 %; Stadium II 41 %; Stadium III 45 %). Die mediane
Nachbeobachtungszeit lag bei 43 Monaten. Nach 3 Jahren
betrug die lokoregionale Kontrollrate 94 % (Gesamtüber-
509
leben 92 %, kolostomiefreies Überleben 89 %). Es traten
keine akuten Nebenwirkungen vom Grad 4 auf. Grad-3Toxizitäten bestanden als Hautreaktion (33 %), gastrointestinale (14 %) und hämatologische Probleme (19 %). In 12 %
musste die Behandlung für mehr als 3 Tage unterbrochen
werden.
Fazit
Die hier kommentierte amerikanische E3205-Studie ändert die gegenwärtige Standardtherapie des SCCAC nicht,
welche in einer sphinktererhaltenden simultanen Radiochemotherapie mit 5-Fluorouracil und Mitomycin-C besteht.
Carsten Nieder, Bodø, Norwegen
Interessenkonflikt C. Nieder gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Literatur
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K
Strahlenther Onkol (2017) 193:510–512
DOI 10.1007/s00066-017-1134-9
LITERATUR KOMMENTIERT
Kombination von Strahlentherapie mit Temozolomid bei über
65-jährigen Glioblastompatienten
Christoph Straube1,2 · Stephanie E. Combs1,2,3
Online publiziert: 13. April 2017
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017
Hintergrund Glioblastome werden meist um das 65. Lebensjahr diagnostiziert und seit der Studie der European Organisation for Research and Treatment of Cancer
(EORTC) von Stupp und Kollegen [1] nach der histologischen Sicherung mit einer kombinierten Therapie aus
einer Strahlentherapie bis zu einer Gesamtdosis von 60 Gy
und einer zunächst begleitenden Chemotherapie mit Temozolomid (TMZ) mit 75 mg/m2/Tag parallel zur Strahlentherapie behandelt. Anschließend erfolgt die adjuvante
Behandlung mit 6 Zyklen TMZ an 5 von 28 Tagen mit
150–200 mg/m2/Tag. Mit dieser Behandlung ist ein medianes Überleben von ca. 15 Monaten zu erreichen [1]. Besonders profitieren Patienten, deren Tumor einen methylierten
MGMT-Promotor (O6-Methylguanin-DNS-Methyltransferase) aufweist. Die Radiochemotherapie (RCT) ist aber
auch bei den nichtmethylierten Tumoren einer alleinigen
Strahlentherapie überlegen [2]. Die Arbeit von Stupp und
Kollegen zeigte in einer Post-hoc-Analyse eine verminderte
Originalpublikation Perry JR, Laperriere N, O’Callaghan CJ et
al (2017) Short-course radiation plus Temozolomide in elderly
patients with glioblastoma. NEJM 376:1027–1037. doi: 10.1056/
NEJMoa1611977
Dr. med. Christoph Straube
Effektivität der RCT in der Gruppe der 65- bis 70-Jährigen
[3]. Dies wurde von verschiedenen Gruppen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Nebenwirkungen erklärt. Dass die
über 65-jährigen Patienten grundsätzlich von einer Strahlentherapie profitieren, wurde zunächst von Keime-Guibert
gezeigt [4]. Um aber der insgesamt schlechteren Prognose
von älteren Patienten Rechnung zu tragen, wurde in der
Folge die Wirksamkeit einer verkürzten Strahlentherapie
überprüft. Weiterhin wurde durch die NOA-08-Studie gezeigt, dass insbesondere die Patienten mit methyliertem
MGMT-Promotor durch eine alleinige Chemotherapie mit
TMZ gut behandelbar sind [5]. Diese Studien haben insbesondere bei den auch biologisch über 70-Jährigen die
Behandlungsempfehlungen bislang dominiert. Die Behandlung dieser Patienten war also eine MGMT-determinierte
Monotherapie mit TMZ oder einer Strahlentherapie. Gerade
bei älteren Patienten in reduziertem Allgemeinzustand kann
in dieser Situation aber auch eine hypofraktionierte Strahlentherapie angeboten werden [9]. Offen war weiterhin,
ob eine hypofraktionierte Strahlentherapie in Kombination
mit einer begleitenden und adjuvanten TMZ-Behandlung
bei älteren Patienten >65 Jahre einen Vorteil gegenüber der
alleinigen Strahlentherapie bringt. Diese Lücke wurde nun
durch die Arbeit von Perry und Kollegen geschlossen [6].
[email protected]
Prof. Dr. Stephanie E. Combs
[email protected]
1
Department of Radiation Oncology, Klinikum rechts der
Isar, Technische Universität München (TUM), Ismaninger
Straße 22, 81675 München, Deutschland
2
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung
(DKTK), Partner Side Munich, München, Deutschland
3
Institute for Innovative Radiotherapy (iRT), Department of
Radiation Sciences (DRS), Helmholtz Zentrum München,
Ingolstädter Landstraße 1, 85764 Neuherberg, Deutschland
K
Patienten und Methoden Insgesamt wurden 562 Patienten mit einem histologisch gesicherten Glioblastom und
einem Alter von mindestens 65 Jahren (median 73 Jahre; Spanne 65–90 Jahre) sowie einem Allgemeinzustand
von mindestens ECOG 2 (Eastern Cooperative Oncology
Group) zwischen einer alleinigen Strahlentherapie und einer kombinierten RCT randomisiert. Die Strahlentherapie
bestand dabei aus 14 Fraktionen mit einer Einzeldosis von
2,67 Gy. Das klinische Zielvolumen war mit der Resektionshöhle und kontrastmittelaufnehmenden Läsionen in ei-
Strahlenther Onkol (2017) 193:510–512
ner kraniellen Magnetresonanztomographie (cMRT) mit einem Sicherheitssaum von 15 mm vorgegeben. Zum PTV
wurden weitere 5 mm geometrisch hinzugefügt. Die Chemotherapie war dem Stupp-Protokoll angelehnt und bestand aus 75 mg/m2/Tag TMZ während der Strahlentherapie
und einer sich 4 Wochen später anschließenden Serie aus
bis zu 6 Zyklen TMZ an jeweils 5 von 28 Tagen (Dosis
150–200 mg/m2/Tag). Die Studie wurde von der Canadian
Cancer Trials Group (CCTG), der EORTC und der Trans
Tasman Radiation Oncology Group durchgeführt.
Ergebnisse Das mittlere Überleben (OS) nach kombinierte RCT war mit 9,3 Monaten signifikant länger als im allein
strahlentherapierten Arm mit 7,6 Monaten (P < 0,0001).
Auch das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) war
mit 5,3 Monaten nach RCT signifikant länger als nach alleiniger Radiotherapie (3,9 Monate; P < 0,001). Besonders
ausgeprägt war der Effekt bei den Patienten mit methyliertem MGMT-Promotor. Hier konnte das OS mit 13,5 Monaten durch eine RCT nahezu verdoppelt werden (RT-Arm:
7,7 Monate; P < 0,001). Wenngleich die Werte knapp die
Signifikanz verfehlt haben, so zeigte sich auch bei Patienten
mit einem nichtmethylierten MGMT-Promotor ein solider
Trend zu einem längeren Überleben (10 vs. 7,9 Monate;
P = 0,055). Wichtig ist, dass die Lebensqualität in beiden
Therapiearmen vergleichbar war. Erwartungsgemäß waren
Übelkeit und Obstipation bei den chemotherapierten Patienten häufiger. Auf längere Sicht war jedoch der Krankheitsprogress der am stärksten die Lebensqualität beeinflussende
Faktor.
Schlussfolgerung der Autoren Auch ältere Patienten in
zum Teil reduziertem Allgemeinzustand profitieren von einer RCT. Diese kann sicher und effektiv durchgeführt werden.
Kommentar
Die Arbeit von Perry und Kollegen wird die Indikationsstellung und die Leitlinien zur Behandlung von älteren Patienten mit Glioblastom verändern. Das betrifft zunächst
einmal die Erkenntnis, dass eine RCT auch bei den älteren Patienten sicher und für den Patienten wenig belastbar
durchführbar ist. Die Arbeit reiht sich damit in die Liste der
Arbeiten ein, die bei den hirneigenen Tumoren von Anfang
an eine möglichst entschlossene Therapie, bestehend aus
maximaler Resektion, ausreichend dosierter Strahlentherapie und simultaner bzw. anschließender Chemotherapie gefordert haben [1, 7, 8, 11].
Mit der Arbeit bröckelt jedoch auch das Fundament unter der biomarker-getriggerten Therapieempfehlung [12].
Während die NOA-08-Daten noch eine Überlegenheit der
511
Chemotherapie über die Strahlentherapie beim MGMT-methylierten Patienten zeigten, ist nun letztlich mit den aktuellen Markern keine Gruppe mehr abgrenzbar, die nicht
von der multimodalen Therapie profitieren würde [5]. Die
Schlussfolgerung heißt daher, dass die beste Behandlung
für die Glioblastome, unabhängig vom Patientenalter und
dem Biomarker MGMT-Promotormethylierung des jeweiligen Tumors, derzeit die kombinierte RCT ist.
Damit ist letzten Endes für ältere Patienten nur noch die
Fraktionierung der Strahlentherapie ein Diskussionspunkt.
Hier besteht noch eine Evidenzlücke, da die Gleichwertigkeit der standardfraktionierten mit der hypofraktionierten Strahlentherapie nur in Monotherapie-Studien gezeigt
wurde [9, 10]. Darüber hinaus ist die Grenze, zu welchem
Zeitpunkt ein Patient als „elderly“ bezeichnet werden kann,
von einer Reihe klinischer Faktoren bestimmt und nicht allein vom chronologischen Patientenalter. Daher sollte nicht
grundsätzlich bei Patienten <65 Jahren ein hypofraktioniertes Behandlungskonzept angewandt werden [11]. Darüber
hinaus sei noch zu bedenken, dass die auf 3 Wochen verkürzte hypofraktionierte Strahlentherapie „en passant“ auch
die Dauer der begleitenden TMZ-Einnahme auf 50 % verkürzt. Es wird also letztlich auch bei der Chemotherapie
eine Dosisdeeskalation durchgeführt. Da insbesondere bei
den Patienten mit methyliertem MGMT-Promotor die Überlebenszeiten der über 65-Jährigen mit median über 13 Monate vergleichsweise lang sind, muss man sich daher fragen,
ob die Argumentation der schlechteren Prognose für diese
Therapieverkürzung und -deeskalation noch greift, oder ob
nicht die klassische Dosierung der Bestrahlung mit 60 Gy in
2-Gy-Einzeldosen kombiniert mit TMZ angewandt werden
sollte [11].
Fazit
Die Arbeit von Perry und Kollegen wird die Indikationsstellung und die Leitlinien zur Behandlung von älteren
Patienten mit Glioblastomen verändern. Eine RCT ist auch
bei älteren Patienten sicher und wenig belastbar durchführbar. Mit der Arbeit bröckelt aber das Fundament einer
biomarker-getriggerten Therapieempfehlung. Denn letztlich ist nun mit den aktuellen Markern keine Gruppe mehr
abgrenzbar, die nicht von einer multimodalen Therapie
profitieren würde. Man sollte sich aber auch fragen, ob
nicht bei älteren Patienten mit schlechter Prognose die
klassische Dosierung der Bestrahlung mit 60 Gy in 2-GyEinzeldosen kombiniert mit TMZ angewandt werden sollte.
Christoph Straube und Stephanie E. Combs, München
Interessenkonflikt C. Straube und S.E. Combs geben an, dass kein
Interessenkonflikt besteht.
K
512
Literatur
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LITERATUR KOMMENTIERT
Radiotherapie des Glioblastoms
ASCO bestätigt ASTRO-Leitlinie
Clemens Seidel1 · Rolf-Dieter Kortmann1
Online publiziert: 13. April 2017
© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017
Ziel der Studie Die American Society for Radiation Oncology (ASTRO) erstellte eine evidenzbasierte Leitlinie zur
Bestrahlung von Glioblastomen. Wegen der Relevanz für
die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat
diese die ASTRO-Leitlinie anhand standardisierter Kriterien einer kritischen Prüfung unterzogen.
Methode Die ASTRO-Leitlinie zur Bestrahlung von
Glioblastomen wurde hinsichtlich ihrer Entwicklungsstärke untersucht. Ein unterstützendes Gremium der ASCO
aktualisierte die Literaturrecherche und überprüfte Inhalt
und Empfehlungen.
Ergebnisse Das ASCO-Gremium entschied, dass die
Empfehlungen der ASTRO-Leitlinie, die 2016 veröffentlicht wurden, klar und fundiert sind und auf aktueller wissenschaftlicher Evidenz basieren. Die ASCO bestätigt die
ASTRO-Leitlinie zur Strahlentherapie von Glioblastomen
und ergänzte einige qualifizierende Anmerkungen.
Empfehlungen Eine fraktionierte Teilhirnbestrahlung in
Kombination mit konkomitantem und adjuvantem Temozolomid ist die Standardtherapie nach Biopsie oder Resektion
bei Patienten bis zum Alter von 70 Jahren mit neu diagnostiziertem Glioblastoma multiforme. Eine hypofraktionierte
Originalpublikation Sulman EP, Ismaila N, Armstrong TS, et al
(2017) Radiation therapy for glioblastoma: American Society of
Clinical Oncology clinical practice guideline endorsement of the
American Society for Radiation Oncology guideline. J Clin Oncol
35(3):361–369. doi: 10.1200/JCO.2016.70.7562
Dr. med. Clemens Seidel
[email protected]
1
Univ.-Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie,
Stephanstraße 9a, 04105 Leipzig, Deutschland
Bestrahlung ist für ältere Patienten in mäßigem bis gutem
Allgemeinzustand angemessen. Die Kombination aus konkomitantem und adjuvantem Temozolomid mit hypofraktionierter Bestrahlung erscheint sicher und wirksam, ohne
die Lebensqualität älterer Patienten mit gutem Allgemeinzustand zu verschlechtern. Optionen für Patienten in einem
schlechten Allgemeinzustand umfassen die alleinige hypofraktionierte Bestrahlung, die Temozolomid-Monotherapie
und lediglich die alleinige Supportivtherapie. Die fokale
Rebestrahlung stellt eine Option für ausgewählte Patienten
mit Glioblastomrezidiven dar, auch wenn dies nicht durch
prospektive randomisierte Evidenz belegt ist (zusätzliche
Informationen unter www.asco.org/guidelineswiki).
Kommentar
Für die ASCO besitzt die Therapie von Glioblastomen einen
hohen Stellenwert. Hierfür spricht die Überprüfung und
Übernahme der ASTRO-Leitlinie durch die ASCO. Da Literatur bis Juli 2016 einbezogen wurde, ist die ASCO-Leitlinie die derzeit aktuellste verfügbare Leitlinie zur Bestrahlung von Glioblastomen. Sie spiegelt den Konsens zweier bedeutender Fachgesellschaften wider und ist somit lesenswert für Anwender auch diesseits des Atlantiks. Durch
sorgfältige methodische Prüfungen folgen die Empfehlungen höchster erhältlicher Evidenz.
Die Empfehlung nach Stupp [1], Patienten bis 70 Jahre
mit Teilhirnbestrahlung und konkomitantem und adjuvantem Temozolomid zu behandeln, erscheint gut nachvollziehbar. Die Behandlung sollte so früh wie klinisch vertretbar in konventioneller Fraktionierung von 2–60 Gy erfolgen. Zwei Zielvolumenkonzepte werden akzeptiert: erstens das in Amerika eher gebräuchliche zweistufige Konzept mit initialem großvolumigen klinischem Zielvolumen
K
514
unter Einschluss von Ödem und Sicherheitssaum (Dosis
hier 44–46 Gy) und sequenziellem Boost bis 60 Gy auf
kontrastmittelanreichernde Areale bzw. die Resektionshöhle und zweitens das eher „europäische“ einstufige Konzept
mit 60 Gy auf Resektionshöhle/kontrastmittelanreichernden
Resttumor mit Sicherheitssaum. Schwieriger ist die Evidenz bei älteren Patienten (>70 Jahren), und entsprechend
wird die Leitlinie hier etwas vager. Bei fehlender Überlegenheit der konventionell fraktionierten Bestrahlung [2]
wird eher eine Hypofraktionierung empfohlen und als sicher beschrieben. Welche Art der Hypofraktionierung (13 ×
2,67 Gy, 10 × 3,4 Gy oder 5 × 5 Gy; [2–4]) zu bevorzugen
ist, bleibt allerdings offen. Interessant und widersprechend
zur Leitlinie der deutschen Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA; [5]) ist, dass die Hinzunahme von Temozolomid eher nicht allein vom MGMT-Promotorstatus
abhängig gemacht wird, sondern vom Allgemeinzustand
des Patienten. Das bedeutet, dass bei gutem Allgemeinzustand eine konkomitante und adjuvante Gabe erwogen werden sollte. Bei reduziertem Allgemeinzustand empfiehlt die
Leitlinie eher eine alleinige hypofraktionierte Bestrahlung
oder eine alleinige Supportivtherapie bzw. alternativ bei
methyliertem MGMT-Promotor-Status (O6-MethylguaninDNA-Methyltransferase) eine alleinige Therapie mit Temozolomid. Kurz erwähnt wird, dass Bevacizumab keine
Vorteile in der Primärtherapie [6–8] bringt und eine Rebestrahlung bei Rezidiven trotz fehlender prospektiver randomisierter Daten eine Option darstellt.
Fazit
Insgesamt ist die aktuelle Leitlinie der ASTRO/ASCO eine
gute Grundlage für klinische Entscheidungen, auch wenn
aufgrund mangelnder Evidenz in vielen Fällen erheblicher
subjektiver Entscheidungsspielraum fortbesteht. Sie weicht
etwas von der deutschen NOA-Leitlinie ab und ist hinsicht-
K
Strahlenther Onkol (2017) 193:513–514
lich der praktischen Durchführung der Strahlentherapie
konkreter. Der Stellenwert alternierender elektrischer Felder [9] wird in der Leitlinie leider nicht diskutiert, da die
Daten hierzu erst nach Juli 2016 publiziert wurden.
Clemens Seidel und Rolf-Dieter Kortmann, Leipzig
Interessenkonflikt C. Seidel und R.-D. Kortmann geben an, dass kein
Interessenkonflikt besteht.
Literatur
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