Strahlenther Onkol (2017) 193:508–509 DOI 10.1007/s00066-017-1133-x LITERATUR KOMMENTIERT Cetuximab zur Radiochemotherapie von Analkarzinomen bei immunkompetenten Patienten ändert bisherigen Therapiestandard nicht Ergebnisse der prospektiven, multizentrischen E3205-Studie Carsten Nieder1 Online publiziert: 13. April 2017 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 Fragestellung und Hintergrund Die gegenwärtige Standardtherapie des plattenepithelialen Analkarzinoms (SCCAC) besteht in einer sphinktererhaltenden simultanen Radiochemotherapie (RCT) mit 5-Fluorouracil (5-FU) und Mitomycin-C (MMC). Der Anal Cancer Trial (ACT II, 2 × 2 „factorial design“) untersuchte, ob MMC durch Cisplatin ersetzt werden sollte, um die Rate kompletter Remissionen (CR) nach 6 Monaten zu verbessern [1]. Die zweite Fragestellung galt der Erhaltungschemotherapie, von der ein verbessertes progressionsfreies Überleben (PFS) erhofft wurde. In beiden Armen betrug die CR-Rate zirka 90 % nach 26 Wochen (p = 0,64). Das 3-Jahres-PFS lag bei 74 % mit Erhaltungschemotherapie und bei 73 % nach alleiniger Standardtherapie (p = 0,70). Eine Progression tritt mit höherer Wahrscheinlichkeit bei fortgeschrittenen Stadien auf (T3–4 und/oder lokoregionale Lymphknotenmetastasen) sowie bei Tumoren mit anderer Genese als Infektion mit humanen Papillomviren (HPV). Da sich beim SCCAC oft eine EGFR-Überexpression („epidermal growth factor receptor“) findet, wurde in der hier diskutierten Phase-IIStudie der Zusatz von Cetuximab untersucht [2]. Patienten und Methodik Eine RCT mit Cisplatin, 5-FU und 8 wöchentlichen Dosen Cetuximab erhielten 61 PatiOriginalpublikation Garg MK, Zhao F, Sparano JA et al (2017) Cetuximab plus chemoradiotherapy in immunocompetent patients with anal carcinoma: a phase II Eastern Cooperative Oncology Group-American College of Radiology Imaging Network Cancer Research Group trial (E3205). J Clin Oncol 35:718–726 enten mit SCCAC im Stadium I–III. Ausgehend von einer erwarteten lokoregionalen Rezidivrate von 35 % nach Standardtherapie in 3 Jahren wurde durch Cetuximab eine Halbierung der Rezidivhäufigkeit erhofft. Anfänglich begann die Behandlung mit 2 Zyklen neoadjuvanter Chemotherapie (Cisplatin und 5-FU). Nach Einschluss von 28 Patienten wurde dieser Behandlungsteil gestrichen. Die Strahlentherapie erfolgte mit einer Dosis von 1,8 Gy und 5 Fraktionen pro Woche (Minimum 45 Gy (T1–2), Maximum 54 Gy). Die inguinalen Lymphknoten erhielten 30,6 Gy (N0 oder N1) bzw. 50,4–54 Gy (N2 oder N3, persistierende Vergrößerung nach 45 Gy oder Ausgangsdurchmesser >3 cm). Alle Patienten waren in relativ gutem Allgemeinzustand (Eastern Cooperative Oncology Group: ECOG 0–2). Das mediane Alter betrug 56 Jahre. Von den Patienten hatten 64 % ein SCCAC im Stadium III. Ergebnisse Lediglich 79 % der Patienten erhielten die komplette Therapie des Protokolls. Nebenwirkungen vom Grad 4 traten bei 32 % auf. An behandlungsbezogenen Toxizitäten verstarben 5 % . Das PFS nach 3 Jahren betrug 68 % und das Gesamtüberleben 83 %. Nach 3 Jahren traten in 23 % der Fälle lokoregionale Rezidive auf. Schlussfolgerung Die Rate lokoregionaler Rezidive war im Vergleich zu den historischen Daten etwas geringer. Allerdings traten infolge der intensivierten RCT erhebliche Nebenwirkungen auf. Es muss also weiter nach effektiveren und besser verträglichen Therapien gesucht werden. Prof. Dr. med. Carsten Nieder 1 [email protected] Kommentar Dept. of Oncology and Palliative Medicine, Nordland Hospital Trust, Prinsensgate 164, P.O. Box 1480, 8092 Bodø, Norwegen Die ausschließlich simultane Radiochemotherapie mit 5-FU/MMC erlaubt bei der Mehrzahl der Patienten (ca. K Strahlenther Onkol (2017) 193:508–509 80 %) einen langfristigen Sphinktererhalt, da SCCAC oftmals vollständig auf die RCT ansprechen [1, 3]. Die besten Ergebnisse erreicht man bei Tumoren <5 cm mit negativem Lymphknotenstatus. Eine klinische CR kann im Verlauf erst relativ spät auftreten. In der ACT-II-Studie lag sie 11 Wochen nach Therapiestart bei 52 % der Patienten vor (71 % nach 18 Wochen und 78 % nach 26 Wochen; [4]). In den meisten onkologischen Situationen lässt der gegenwärtige Behandlungsstandard noch Luft nach oben. Das SCCAC ist hier keine Ausnahme, insbesondere wenn auch die akute Toxizität berücksichtigt wird. Ob nicht vollständig ansprechende oder im Verlauf rezidivierende Tumoren bereits primär so resistent sind, dass auch eine intensivere RCT erfolglos bleibt, ist nicht abschließend geklärt. Die vorliegende Phase-II-Studie präsentiert einen weiteren Versuch, die lokoregionale Rezidivrate zu reduzieren, allerdings ohne damit einen neuen Standard definieren zu können. Die Compliance der Patienten bei der simultanen Chemo- und Strahlentherapie beeinflusst die lokoregionale Kontrolle. Je mehr Toxizität die Behandlung verursacht, desto schlechter ist die Compliance. Und in der hier kommentierten Studie wurde die simultane Behandlung in 36 % der Fälle wegen hoher Toxizität unterbrochen, und zwar im Median um 12 Tage (!). Weiterhin hatten 28 von 61 Patienten zusätzlich eine neoadjuvante Chemotherapie erhalten, welche die wesentlich effektivere RCT hinausschob. Vielleicht ist diese Verlängerung der Gesamtbehandlungszeit so nachteilig für die Patienten, dass ein eventuell vorhandener Vorteil des zu prüfenden Medikaments nicht erkannt wird. Eine sekundäre Analyse der NRG-Oncology-RTOG-9811-Studie resultierte in der Hypothese, dass ein Biomarker (Ki67-Score in EGFR-überexprimierenden Arealen vs. wenig exprimierenden Arealen) eine höhere Wahrscheinlichkeit für ein Ansprechen auf einen EGFRHemmer anzeigen könnte [5]. Diesbezüglich sind weitere Studien abzuwarten. Vielversprechende Ergebnisse wurden in einer australischen Arbeit publiziert [6]. Die Behandlung erfolgte dort mit einer intensitätsmodulierten Strahlentherapie mit simultan integriertem Boost und 5-FU/MMC. Die Strahlendosis entsprach stadienabhängig derjenigen in der RTOG-0529Studie. Es wurde über 42 Patienten berichtet (Stadium I 12 %; Stadium II 41 %; Stadium III 45 %). Die mediane Nachbeobachtungszeit lag bei 43 Monaten. Nach 3 Jahren betrug die lokoregionale Kontrollrate 94 % (Gesamtüber- 509 leben 92 %, kolostomiefreies Überleben 89 %). Es traten keine akuten Nebenwirkungen vom Grad 4 auf. Grad-3Toxizitäten bestanden als Hautreaktion (33 %), gastrointestinale (14 %) und hämatologische Probleme (19 %). In 12 % musste die Behandlung für mehr als 3 Tage unterbrochen werden. Fazit Die hier kommentierte amerikanische E3205-Studie ändert die gegenwärtige Standardtherapie des SCCAC nicht, welche in einer sphinktererhaltenden simultanen Radiochemotherapie mit 5-Fluorouracil und Mitomycin-C besteht. Carsten Nieder, Bodø, Norwegen Interessenkonflikt C. Nieder gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. James RD, Glynne-Jones R, Meadows HM et al (2013) Mitomycin or cisplatin chemoradiation with or without maintenance chemotherapy for treatment of squamous-cell carcinoma of the anus (ACT II): A randomised, phase 3, open-label, 2 × 2 factorial trial. Lancet Oncol 14:516–524 2. Garg MK, Zhao F, Sparano JA et al (2017) Cetuximab plus chemoradiotherapy in immunocompetent patients with anal carcinoma: a phase II Eastern Cooperative Oncology Group-American College of Radiology Imaging Network Cancer Research Group trial (E3205). J Clin Oncol 35:718–726 3. Gunderson LL, Winter KA, Ajani JA et al (2012) Long-term update of US GI intergroup RTOG 98-11 phase III trial for anal carcinoma: survival, relapse, and colostomy failure with concurrent chemoradiation involving fluorouracil/mitomycin versus fluorouracil/ cisplatin. J Clin Oncol 30:4344–4351 4. Glynne-Jones R, Sebag-Montefiore D, Meadows HM et al (2017) ACT II study group. Best time to assess complete clinical response after chemoradiotherapy in squamous cell carcinoma of the anus (ACT II): a post-hoc analysis of randomised controlled phase 3 trial. Lancet Oncol. doi:10.1016/s1470-2045(17)30071-2 5. Doll CM, Moughan J, Klimowicz A et al (2017) Significance of coexpression of epidermal growth factor receptor and Ki67 on clinical outcome in patients with anal cancer treated with chemoradiotherapy: an analysis of NRG Oncology RTOG 9811. Int J Radiat Oncol Biol Phys 97:554–562 6. Yates A, Carroll S, Kneebone A et al (2015) Implementing intensity-modulated radiotherapy with simultaneous integrated boost for anal cancer: 3 year outcomes at two Sydney institutions. Clin Oncol (R Coll Radiol) 27:700–707 K Strahlenther Onkol (2017) 193:510–512 DOI 10.1007/s00066-017-1134-9 LITERATUR KOMMENTIERT Kombination von Strahlentherapie mit Temozolomid bei über 65-jährigen Glioblastompatienten Christoph Straube1,2 · Stephanie E. Combs1,2,3 Online publiziert: 13. April 2017 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 Hintergrund Glioblastome werden meist um das 65. Lebensjahr diagnostiziert und seit der Studie der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC) von Stupp und Kollegen [1] nach der histologischen Sicherung mit einer kombinierten Therapie aus einer Strahlentherapie bis zu einer Gesamtdosis von 60 Gy und einer zunächst begleitenden Chemotherapie mit Temozolomid (TMZ) mit 75 mg/m2/Tag parallel zur Strahlentherapie behandelt. Anschließend erfolgt die adjuvante Behandlung mit 6 Zyklen TMZ an 5 von 28 Tagen mit 150–200 mg/m2/Tag. Mit dieser Behandlung ist ein medianes Überleben von ca. 15 Monaten zu erreichen [1]. Besonders profitieren Patienten, deren Tumor einen methylierten MGMT-Promotor (O6-Methylguanin-DNS-Methyltransferase) aufweist. Die Radiochemotherapie (RCT) ist aber auch bei den nichtmethylierten Tumoren einer alleinigen Strahlentherapie überlegen [2]. Die Arbeit von Stupp und Kollegen zeigte in einer Post-hoc-Analyse eine verminderte Originalpublikation Perry JR, Laperriere N, O’Callaghan CJ et al (2017) Short-course radiation plus Temozolomide in elderly patients with glioblastoma. NEJM 376:1027–1037. doi: 10.1056/ NEJMoa1611977 Dr. med. Christoph Straube Effektivität der RCT in der Gruppe der 65- bis 70-Jährigen [3]. Dies wurde von verschiedenen Gruppen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Nebenwirkungen erklärt. Dass die über 65-jährigen Patienten grundsätzlich von einer Strahlentherapie profitieren, wurde zunächst von Keime-Guibert gezeigt [4]. Um aber der insgesamt schlechteren Prognose von älteren Patienten Rechnung zu tragen, wurde in der Folge die Wirksamkeit einer verkürzten Strahlentherapie überprüft. Weiterhin wurde durch die NOA-08-Studie gezeigt, dass insbesondere die Patienten mit methyliertem MGMT-Promotor durch eine alleinige Chemotherapie mit TMZ gut behandelbar sind [5]. Diese Studien haben insbesondere bei den auch biologisch über 70-Jährigen die Behandlungsempfehlungen bislang dominiert. Die Behandlung dieser Patienten war also eine MGMT-determinierte Monotherapie mit TMZ oder einer Strahlentherapie. Gerade bei älteren Patienten in reduziertem Allgemeinzustand kann in dieser Situation aber auch eine hypofraktionierte Strahlentherapie angeboten werden [9]. Offen war weiterhin, ob eine hypofraktionierte Strahlentherapie in Kombination mit einer begleitenden und adjuvanten TMZ-Behandlung bei älteren Patienten >65 Jahre einen Vorteil gegenüber der alleinigen Strahlentherapie bringt. Diese Lücke wurde nun durch die Arbeit von Perry und Kollegen geschlossen [6]. [email protected] Prof. Dr. Stephanie E. Combs [email protected] 1 Department of Radiation Oncology, Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München (TUM), Ismaninger Straße 22, 81675 München, Deutschland 2 Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), Partner Side Munich, München, Deutschland 3 Institute for Innovative Radiotherapy (iRT), Department of Radiation Sciences (DRS), Helmholtz Zentrum München, Ingolstädter Landstraße 1, 85764 Neuherberg, Deutschland K Patienten und Methoden Insgesamt wurden 562 Patienten mit einem histologisch gesicherten Glioblastom und einem Alter von mindestens 65 Jahren (median 73 Jahre; Spanne 65–90 Jahre) sowie einem Allgemeinzustand von mindestens ECOG 2 (Eastern Cooperative Oncology Group) zwischen einer alleinigen Strahlentherapie und einer kombinierten RCT randomisiert. Die Strahlentherapie bestand dabei aus 14 Fraktionen mit einer Einzeldosis von 2,67 Gy. Das klinische Zielvolumen war mit der Resektionshöhle und kontrastmittelaufnehmenden Läsionen in ei- Strahlenther Onkol (2017) 193:510–512 ner kraniellen Magnetresonanztomographie (cMRT) mit einem Sicherheitssaum von 15 mm vorgegeben. Zum PTV wurden weitere 5 mm geometrisch hinzugefügt. Die Chemotherapie war dem Stupp-Protokoll angelehnt und bestand aus 75 mg/m2/Tag TMZ während der Strahlentherapie und einer sich 4 Wochen später anschließenden Serie aus bis zu 6 Zyklen TMZ an jeweils 5 von 28 Tagen (Dosis 150–200 mg/m2/Tag). Die Studie wurde von der Canadian Cancer Trials Group (CCTG), der EORTC und der Trans Tasman Radiation Oncology Group durchgeführt. Ergebnisse Das mittlere Überleben (OS) nach kombinierte RCT war mit 9,3 Monaten signifikant länger als im allein strahlentherapierten Arm mit 7,6 Monaten (P < 0,0001). Auch das mediane progressionsfreie Überleben (PFS) war mit 5,3 Monaten nach RCT signifikant länger als nach alleiniger Radiotherapie (3,9 Monate; P < 0,001). Besonders ausgeprägt war der Effekt bei den Patienten mit methyliertem MGMT-Promotor. Hier konnte das OS mit 13,5 Monaten durch eine RCT nahezu verdoppelt werden (RT-Arm: 7,7 Monate; P < 0,001). Wenngleich die Werte knapp die Signifikanz verfehlt haben, so zeigte sich auch bei Patienten mit einem nichtmethylierten MGMT-Promotor ein solider Trend zu einem längeren Überleben (10 vs. 7,9 Monate; P = 0,055). Wichtig ist, dass die Lebensqualität in beiden Therapiearmen vergleichbar war. Erwartungsgemäß waren Übelkeit und Obstipation bei den chemotherapierten Patienten häufiger. Auf längere Sicht war jedoch der Krankheitsprogress der am stärksten die Lebensqualität beeinflussende Faktor. Schlussfolgerung der Autoren Auch ältere Patienten in zum Teil reduziertem Allgemeinzustand profitieren von einer RCT. Diese kann sicher und effektiv durchgeführt werden. Kommentar Die Arbeit von Perry und Kollegen wird die Indikationsstellung und die Leitlinien zur Behandlung von älteren Patienten mit Glioblastom verändern. Das betrifft zunächst einmal die Erkenntnis, dass eine RCT auch bei den älteren Patienten sicher und für den Patienten wenig belastbar durchführbar ist. Die Arbeit reiht sich damit in die Liste der Arbeiten ein, die bei den hirneigenen Tumoren von Anfang an eine möglichst entschlossene Therapie, bestehend aus maximaler Resektion, ausreichend dosierter Strahlentherapie und simultaner bzw. anschließender Chemotherapie gefordert haben [1, 7, 8, 11]. Mit der Arbeit bröckelt jedoch auch das Fundament unter der biomarker-getriggerten Therapieempfehlung [12]. Während die NOA-08-Daten noch eine Überlegenheit der 511 Chemotherapie über die Strahlentherapie beim MGMT-methylierten Patienten zeigten, ist nun letztlich mit den aktuellen Markern keine Gruppe mehr abgrenzbar, die nicht von der multimodalen Therapie profitieren würde [5]. Die Schlussfolgerung heißt daher, dass die beste Behandlung für die Glioblastome, unabhängig vom Patientenalter und dem Biomarker MGMT-Promotormethylierung des jeweiligen Tumors, derzeit die kombinierte RCT ist. Damit ist letzten Endes für ältere Patienten nur noch die Fraktionierung der Strahlentherapie ein Diskussionspunkt. Hier besteht noch eine Evidenzlücke, da die Gleichwertigkeit der standardfraktionierten mit der hypofraktionierten Strahlentherapie nur in Monotherapie-Studien gezeigt wurde [9, 10]. Darüber hinaus ist die Grenze, zu welchem Zeitpunkt ein Patient als „elderly“ bezeichnet werden kann, von einer Reihe klinischer Faktoren bestimmt und nicht allein vom chronologischen Patientenalter. Daher sollte nicht grundsätzlich bei Patienten <65 Jahren ein hypofraktioniertes Behandlungskonzept angewandt werden [11]. Darüber hinaus sei noch zu bedenken, dass die auf 3 Wochen verkürzte hypofraktionierte Strahlentherapie „en passant“ auch die Dauer der begleitenden TMZ-Einnahme auf 50 % verkürzt. Es wird also letztlich auch bei der Chemotherapie eine Dosisdeeskalation durchgeführt. Da insbesondere bei den Patienten mit methyliertem MGMT-Promotor die Überlebenszeiten der über 65-Jährigen mit median über 13 Monate vergleichsweise lang sind, muss man sich daher fragen, ob die Argumentation der schlechteren Prognose für diese Therapieverkürzung und -deeskalation noch greift, oder ob nicht die klassische Dosierung der Bestrahlung mit 60 Gy in 2-Gy-Einzeldosen kombiniert mit TMZ angewandt werden sollte [11]. Fazit Die Arbeit von Perry und Kollegen wird die Indikationsstellung und die Leitlinien zur Behandlung von älteren Patienten mit Glioblastomen verändern. Eine RCT ist auch bei älteren Patienten sicher und wenig belastbar durchführbar. Mit der Arbeit bröckelt aber das Fundament einer biomarker-getriggerten Therapieempfehlung. Denn letztlich ist nun mit den aktuellen Markern keine Gruppe mehr abgrenzbar, die nicht von einer multimodalen Therapie profitieren würde. Man sollte sich aber auch fragen, ob nicht bei älteren Patienten mit schlechter Prognose die klassische Dosierung der Bestrahlung mit 60 Gy in 2-GyEinzeldosen kombiniert mit TMZ angewandt werden sollte. Christoph Straube und Stephanie E. Combs, München Interessenkonflikt C. Straube und S.E. Combs geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. K 512 Literatur 1. Stupp R, Mason WP, van den Bent MJ, Weller M, Fisher B, Taphoorn MJB, Belanger K, Brandes A, Marosi C, Bogdahn U, Curschmann J, Janzer RC, Ludwin SK, Gorlia T, Allgeier A, Lacombe D, Cairncross JG, Eisenhauer E, Mirimanoff RO (2005) Radiotherapy plus concomitant and adjuvant temozolomide for glioblastoma. N Engl J Med 352:987–996. doi:10.1056/NEJMoa043330 2. Stupp R, Hegi ME, Mason WP, van den Bent MJ, Taphoorn MJ, Janzer RC, Ludwin SK, Allgeier A, Fisher B, Belanger K, Hau P, Brandes AA, Gijtenbeek J, Marosi C, Vecht CJ, Mokhtari K, Wesseling P, Villa S, Eisenhauer E, Gorlia T, Weller M, Lacombe D, Cairncross JG, Mirimanoff RO (2009) Effects of radiotherapy with concomitant and adjuvant temozolomide versus radiotherapy alone on survival in glioblastoma in a randomised phase III study: 5-year analysis of the EORTC-NCIC trial. Lancet Oncol 10:459–466. doi:10.1016/S1470-2045(09)70025-7 3. Laperriere N, Weller M, Stupp R, Perry JR, Brandes AA, Wick W, van den Bent MJ (2013) Optimal management of elderly patients with glioblastoma. Cancer Treat Rev 39:350–357. doi:10.1016/j. ctrv.2012.05.008 4. Keime-Guibert F, Chinot O, Taillandier L, Cartalat-Carel S, Frenay M, Kantor G, Guillamo J-S, Jadaud E, Colin P, Bondiau P-Y, Meneï P, Loiseau H, Bernier V, Honnorat J, Barrié M, Mokhtari K, Mazeron J-J, Bissery A, Delattre J-Y (2007) Radiotherapy for glioblastoma in the elderly. N Engl J Med 356:1527–1535. doi:10.1056/ NEJMoa065901 5. Wick W, Platten M, Meisner C, Felsberg J, Tabatabai G, Simon M, Nikkhah G, Papsdorf K, Steinbach JP, Sabel M, Combs SE, Vesper J, Braun C, Meixensberger J, Ketter R, Mayer-Steinacker R, Reifenberger G, Weller M (2012) Temozolomide chemotherapy alone versus radiotherapy alone for malignant astrocytoma in the elderly: the NOA-08 randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol 13:707–715. doi:10.1016/S1470-2045(12)70164-X 6. Perry JR, Laperriere N, O’Callaghan CJ, Brandes AA, Menten J, Phillips C, Fay M, Nishikawa R, Cairncross JG, Roa W, Osoba D, Rossiter JP, Sahgal A, Hirte H, Laigle-Donadey F, Franceschi E, K Strahlenther Onkol (2017) 193:510–512 Chinot O, Golfinopoulos V, Fariselli L, Wick A, Feuvret L, Back M, Tills M, Winch C, Baumert BG, Wick W, Ding K, Mason WP (2017) Short-course radiation plus Temozolomide in elderly patients with glioblastoma. N Engl J Med 376:1027–1037. doi:10. 1056/NEJMoa1611977 7. Buckner JC, Shaw EG, Pugh SL, Chakravarti A, Gilbert MR, Barger GR, Coons S, Ricci P, Bullard D, Brown PD, Stelzer K, Brachman D, Suh JH, Schultz CJ, Bahary J-P, Fisher BJ, Kim H, Murtha AD, Bell EH, Won M, Mehta MP, Curran WJJ (2016) Radiation plus Procarbazine, CCNU, and Vincristine in Low-Grade Glioma. N Engl J Med 374:1344–1355. doi:10.1056/NEJMoa1500925 8. Brown TJ, Brennan MC, Li M, Church EW, Brandmeir NJ, Rakszawski KL, Patel AS, Rizk EB, Suki D, Sawaya R, Glantz M (2016) Association of the extent of resection with survival in glioblastoma: a systematic review and meta-analysis. JAMA Oncol 2:1460–1469. doi:10.1001/jamaoncol.2016.1373 9. Roa W, Brasher PM, Bauman G, Anthes M, Bruera E, Chan A, Fisher B, Fulton D, Gulavita S, Hao C, Husain S, Murtha A, Petruk K, Stewart D, Tai P, Urtasun R, Cairncross JG, Forsyth P (2004) Abbreviated course of radiation therapy in older patients with glioblastoma multiforme: a prospective randomized clinical trial. J Clin Oncol 22:1583–1588. doi:10.1200/JCO.2004.06.082 10. Malmström A, Grønberg BH, Marosi C, Stupp R, Frappaz D, Schultz H, Abacioglu U, Tavelin B, Lhermitte B, Hegi ME, Rosell J, Henriksson R (2012) Temozolomide versus standard 6-week radiotherapy versus hypofractionated radiotherapy in patients older than 60 years with glioblastoma: the Nordic randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol 13:916–926. doi:10.1016/S14702045(12)70265-6 11. Combs SE, Wagner J, Bischof M, Welzel T, Wagner F, Debus J, Schulz-Ertner D (2008) Postoperative treatment of primary glioblastoma multiforme with radiation and concomitant temozolomide in elderly patients. Int J Radiat Oncol Biol Phys 70(4):987–992 12. Combs SE, Rieken S, Wick W, Abdollahi A, von Deimling A, Debus J, Hartmann C (2011) Prognostic significance of IDH-1 and MGMT in patients with glioblastoma: one step forward, and one step back? Radiat Oncol 6:115 Strahlenther Onkol (2017) 193:513–514 DOI 10.1007/s00066-017-1132-y LITERATUR KOMMENTIERT Radiotherapie des Glioblastoms ASCO bestätigt ASTRO-Leitlinie Clemens Seidel1 · Rolf-Dieter Kortmann1 Online publiziert: 13. April 2017 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2017 Ziel der Studie Die American Society for Radiation Oncology (ASTRO) erstellte eine evidenzbasierte Leitlinie zur Bestrahlung von Glioblastomen. Wegen der Relevanz für die American Society of Clinical Oncology (ASCO) hat diese die ASTRO-Leitlinie anhand standardisierter Kriterien einer kritischen Prüfung unterzogen. Methode Die ASTRO-Leitlinie zur Bestrahlung von Glioblastomen wurde hinsichtlich ihrer Entwicklungsstärke untersucht. Ein unterstützendes Gremium der ASCO aktualisierte die Literaturrecherche und überprüfte Inhalt und Empfehlungen. Ergebnisse Das ASCO-Gremium entschied, dass die Empfehlungen der ASTRO-Leitlinie, die 2016 veröffentlicht wurden, klar und fundiert sind und auf aktueller wissenschaftlicher Evidenz basieren. Die ASCO bestätigt die ASTRO-Leitlinie zur Strahlentherapie von Glioblastomen und ergänzte einige qualifizierende Anmerkungen. Empfehlungen Eine fraktionierte Teilhirnbestrahlung in Kombination mit konkomitantem und adjuvantem Temozolomid ist die Standardtherapie nach Biopsie oder Resektion bei Patienten bis zum Alter von 70 Jahren mit neu diagnostiziertem Glioblastoma multiforme. Eine hypofraktionierte Originalpublikation Sulman EP, Ismaila N, Armstrong TS, et al (2017) Radiation therapy for glioblastoma: American Society of Clinical Oncology clinical practice guideline endorsement of the American Society for Radiation Oncology guideline. J Clin Oncol 35(3):361–369. doi: 10.1200/JCO.2016.70.7562 Dr. med. Clemens Seidel [email protected] 1 Univ.-Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie, Stephanstraße 9a, 04105 Leipzig, Deutschland Bestrahlung ist für ältere Patienten in mäßigem bis gutem Allgemeinzustand angemessen. Die Kombination aus konkomitantem und adjuvantem Temozolomid mit hypofraktionierter Bestrahlung erscheint sicher und wirksam, ohne die Lebensqualität älterer Patienten mit gutem Allgemeinzustand zu verschlechtern. Optionen für Patienten in einem schlechten Allgemeinzustand umfassen die alleinige hypofraktionierte Bestrahlung, die Temozolomid-Monotherapie und lediglich die alleinige Supportivtherapie. Die fokale Rebestrahlung stellt eine Option für ausgewählte Patienten mit Glioblastomrezidiven dar, auch wenn dies nicht durch prospektive randomisierte Evidenz belegt ist (zusätzliche Informationen unter www.asco.org/guidelineswiki). Kommentar Für die ASCO besitzt die Therapie von Glioblastomen einen hohen Stellenwert. Hierfür spricht die Überprüfung und Übernahme der ASTRO-Leitlinie durch die ASCO. Da Literatur bis Juli 2016 einbezogen wurde, ist die ASCO-Leitlinie die derzeit aktuellste verfügbare Leitlinie zur Bestrahlung von Glioblastomen. Sie spiegelt den Konsens zweier bedeutender Fachgesellschaften wider und ist somit lesenswert für Anwender auch diesseits des Atlantiks. Durch sorgfältige methodische Prüfungen folgen die Empfehlungen höchster erhältlicher Evidenz. Die Empfehlung nach Stupp [1], Patienten bis 70 Jahre mit Teilhirnbestrahlung und konkomitantem und adjuvantem Temozolomid zu behandeln, erscheint gut nachvollziehbar. Die Behandlung sollte so früh wie klinisch vertretbar in konventioneller Fraktionierung von 2–60 Gy erfolgen. Zwei Zielvolumenkonzepte werden akzeptiert: erstens das in Amerika eher gebräuchliche zweistufige Konzept mit initialem großvolumigen klinischem Zielvolumen K 514 unter Einschluss von Ödem und Sicherheitssaum (Dosis hier 44–46 Gy) und sequenziellem Boost bis 60 Gy auf kontrastmittelanreichernde Areale bzw. die Resektionshöhle und zweitens das eher „europäische“ einstufige Konzept mit 60 Gy auf Resektionshöhle/kontrastmittelanreichernden Resttumor mit Sicherheitssaum. Schwieriger ist die Evidenz bei älteren Patienten (>70 Jahren), und entsprechend wird die Leitlinie hier etwas vager. Bei fehlender Überlegenheit der konventionell fraktionierten Bestrahlung [2] wird eher eine Hypofraktionierung empfohlen und als sicher beschrieben. Welche Art der Hypofraktionierung (13 × 2,67 Gy, 10 × 3,4 Gy oder 5 × 5 Gy; [2–4]) zu bevorzugen ist, bleibt allerdings offen. Interessant und widersprechend zur Leitlinie der deutschen Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA; [5]) ist, dass die Hinzunahme von Temozolomid eher nicht allein vom MGMT-Promotorstatus abhängig gemacht wird, sondern vom Allgemeinzustand des Patienten. Das bedeutet, dass bei gutem Allgemeinzustand eine konkomitante und adjuvante Gabe erwogen werden sollte. Bei reduziertem Allgemeinzustand empfiehlt die Leitlinie eher eine alleinige hypofraktionierte Bestrahlung oder eine alleinige Supportivtherapie bzw. alternativ bei methyliertem MGMT-Promotor-Status (O6-MethylguaninDNA-Methyltransferase) eine alleinige Therapie mit Temozolomid. Kurz erwähnt wird, dass Bevacizumab keine Vorteile in der Primärtherapie [6–8] bringt und eine Rebestrahlung bei Rezidiven trotz fehlender prospektiver randomisierter Daten eine Option darstellt. Fazit Insgesamt ist die aktuelle Leitlinie der ASTRO/ASCO eine gute Grundlage für klinische Entscheidungen, auch wenn aufgrund mangelnder Evidenz in vielen Fällen erheblicher subjektiver Entscheidungsspielraum fortbesteht. Sie weicht etwas von der deutschen NOA-Leitlinie ab und ist hinsicht- K Strahlenther Onkol (2017) 193:513–514 lich der praktischen Durchführung der Strahlentherapie konkreter. Der Stellenwert alternierender elektrischer Felder [9] wird in der Leitlinie leider nicht diskutiert, da die Daten hierzu erst nach Juli 2016 publiziert wurden. Clemens Seidel und Rolf-Dieter Kortmann, Leipzig Interessenkonflikt C. Seidel und R.-D. Kortmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht. Literatur 1. Stupp R, Mason WP, van den Bent MJ et al (2005) Radiotherapy plus concomitant and adjuvant temozolomide for glioblastoma. N Engl J Med 352:987–996 2. Malmström A, Grønberg BH, Marosi C et al (2012) Temozolomide versus standard 6-week radiotherapy versus hypofractionated radiotherapy in patients older than 60 years with glioblastoma: the Nordic randomised, phase 3 trial. Lancet Oncol 13:916–926 3. Roa W, Brasher PMA, Bauman G et al (2004) Abbreviated course of radiation therapy in older patients with glioblastoma multiforme: a prospective randomized clinical trial. J Clin Oncol 22:1583–1588 4. Roa W, Kepka L, Kumar N et al (2015) International atomic energy agency randomized phase III study of radiation therapy in elderly and/or frail patients with newly diagnosed Glioblastoma Multiforme. J Clin Oncol 33:4145–4150 5. http://www.neuroonkologie.de/files/guidelines/14-gliome.pdf. Zugegriffen: 13.03.17 6. Chinot OL, Wick W, Mason W et al (2014) Bevacizumab plus radiotherapy-temozolomide for newly diagnosed glioblastoma. N Engl J Med 370:709–722 7. Gilbert MR, Dignam JJ, Armstrong TS et al (2014) A randomized trial of bevacizumab for newly diagnosed glioblastoma. N Engl J Med 370:699–708 8. Herrlinger U, Schäfer N, Steinbach JP et al (2016) Bevacizumab plus Irinotecan versus Temozolomide in newly diagnosed O6-Methylguanine-DNA methyltransferase nonmethylated glioblastoma: the randomized GLARIUS trial. J Clin Oncol 34:1611–1619 9. Stupp R, Taillibert S, Kanner AA et al (2015) Maintenance therapy with tumor-treating fields plus Temozolomide vs Temozolomide alone for glioblastoma: a randomized clinical trial. JAMA 314:2535–2543