Frauengesundheit Band 10 Herausgegeben von Beate A. Schücking Katharina Rost Wenn ein Kind nicht lebensfähig ist Das Austragen der Schwangerschaft nach infauster pränataler Diagnose – Erfahrungen betroffener Frauen Mit 7 Abbildungen V& R unipress Universitätsverlag Osnabrück ® MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen www.fsc.org FSC® C083411 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 2198-7122 ISBN 978-3-8471-0373-8 ISBN 978-3-8470-0373-1 (E-Book) ISBN 978-3-7370-0373-5 (V& R eLibrary) Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Zugl. Osnabrück, Univ., Diss., 2015 Ó 2015, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, 37079 Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI buchbuecher.de GmbH, Zum Alten Berg 24, 96158 Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Inhalt Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Vorwort von Dr. Angelica Ensel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vorwort von Prof. Dr. Babette Müller-Rockstroh . . . . . . . . . . . . . 13 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsziel, Ausgangsforschungsfrage . . . . . . . . . . . . . . . . Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 20 21 Teil I: Schwangerschaft mit infauster Prognose – Problemaufriss . . 1 Schwangerschaft und Pränataldiagnostik im deutschen Kontext 1.1 Die Struktur der Schwangerenvorsorge . . . . . . . . . . . 1.2 Die Verknüpfung von Pränataldiagnostik und Vorsorge . . 1.3 Die pränataldiagnostischen Untersuchungsmethoden . . . 1.3.1 Non-invasive Untersuchungsmethoden . . . . . . . . 1.3.2 Invasive Untersuchungsverfahren . . . . . . . . . . . 1.3.3 Ausblick: Neue Testverfahren . . . . . . . . . . . . . 2 Gesetzliche Rahmenbedingungen des Schwangerschaftsabbruchs 3 Die epidemiologische Perspektive: Fehlbildungsraten und Schwangerschaftsabbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Forschungsstand zu positiven Pränataldiagnostikbefunden . . . 4.1 Die Diagnosemitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Entscheidung nach der Diagnosestellung . . . . . . . . 4.3 Exkurs: Der Fokus auf die Schnittstellenproblematik im deutschen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 23 23 26 30 31 39 41 43 . . . . . . . . 45 47 48 58 . . . . 66 68 6 Inhalt Teil II: Perspektive und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Die heuristische Perspektive der Studie – die Konstruktion von Wissen oder Wissenschaft als Konstruktion . . . . . . . . . . . . . 6.1 Konstruktivismus und feministische Standpunkttheorie. Perspektive auf Wissenschaft sowie auf Forscherin und Forschungsobjekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Der Handlungs- und Entscheidungsbegriff: Das Konzept der »Agency«. Perspektive auf Handlung und Selbst . . . . . . . . 6.3 Biografie und Life Course Theory. Perspektive auf das Erkenntnisinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Biografie und Life Course Theory : Strukturelle und prozessuale Konzepte einer lebensverlaufsorientierten Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Schwangerschaft als Übergang und Entwicklungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Die Weiterentwicklung der Forschungsfrage . . . . . . . . . . . . . 8 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Theoretische Grundlagen des qualitativen Ansatzes . . . . . . 8.2 Die Grounded Theory Methodologie . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Die Entwicklung der Grounded Theory Methodologie und ihre Weiterentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Zentrale Merkmale der Grounded Theory Methodologie 8.3 Die Datenerhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Die Auswertung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Die forschungsethischen Dimensionen . . . . . . . . . . . . . 8.6 Gütekriterien zur Bewertung der Studie . . . . . . . . . . . . . Teil III: Die Ergebnisse – Schwangerschaft als unterbrochene Statuspassage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Die Samplezusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Einführung in die Ergebnisdarstellung – das Phasenmodell »Diagnose als Unterbrechung der Statuspassage Schwangerschaft« 10.1 Weg zur Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Vor-Ahnung haben oder ahnungslos sein . . . . . . . 10.1.2 Zugangswege zur Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Betreuungserleben im Zeitraum »Weg zur Diagnose« . 10.1.4 Zeit: Das Warten auf die Diagnose . . . . . . . . . . . 10.1.5 Zwischenfazit der Phase Weg zur Diagnose . . . . . . 10.2 Die Diagnosemitteilung – Der Einschnitt . . . . . . . . . . . 10.2.1 Erleben der Mitteilungssituation . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Dimensionen des Schockerlebens . . . . . . . . . . . . 71 71 72 77 79 79 85 93 95 95 98 99 100 108 112 115 118 . . 123 123 . . . . . . . . . . 128 129 131 136 138 142 146 148 148 154 Inhalt 10.2.3 Erwartungen an Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Betreuungserleben nach der Diagnosemitteilung . . . . 10.2.5 Strategien: Kontrolle erlangen . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.6 Zwischenfazit der Phase »Diagnosemitteilung« . . . . . 10.3 Die Zeit nach der Diagnose als Neuausrichtungsprozess . . . . 10.3.1 Entwicklung einer eigenen Verlaufsprognose und Entscheidungsfindung als Prozess . . . . . . . . . . . . 10.3.2 Einflussfaktoren auf die Entscheidungsfindung . . . . . 10.3.3 Strategien zur Entscheidungsfindung . . . . . . . . . . . 10.3.4 Partnerschaft im Entscheidungszeitraum . . . . . . . . 10.3.5 Die Phasen des Neuausrichtungsprozesses . . . . . . . . 10.3.5.1 Keine Passung haben . . . . . . . . . . . . . . . 10.3.5.2 Alternativen eröffnen sich . . . . . . . . . . . . 10.3.5.3 Suchen/Kontextualisieren . . . . . . . . . . . . 10.3.5.4 Stabilisierung, Gefühl der Kontrolle . . . . . . . 10.3.6 Zwischenfazit der Phase »Neuausrichtung« . . . . . . . 10.4 Gestaltung der verbleibenden Zeit – Schwangerschaft nach der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.1 Sich zwischen Sicherheit und Unsicherheit bewegen . . 10.4.2 Umgang mit Zeit finden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.3 Orientierung in der Zeit: Von der Planung Sterben und Abschied, Geburt hin zum in der Gegenwart sein . . . . 10.4.4 Bindung gestalten – Beziehungsgestaltung zum Kind . . 10.4.4.1 Die Phasen der Bindung: Entfremdung – Annäherung – Verbundenheit . . . . . . . . . . 10.4.4.2 Aspekte der Bindungsgestaltung . . . . . . . . . 10.4.4.3 Vorziehen des Mutter-Seins: Mutter-Sein im Mutter-Werden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.5 Umgang mit Ritualen – die veränderte Statuspassage . . 10.4.5.1 Umgang mit Ritualen, die mit dem individuellen Mutterbild in Zusammenhang stehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.5.2 Umgang mit institutionalisierten Ritualisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.6 Interaktion gestalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4.7 Zwischenfazit der Phase »Gestaltung der verbleibenden Schwangerschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Der Übergang: Die Phase »Geburt« . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.1 Der Zeitraum unmittelbar vor der Geburt . . . . . . . . 10.5.2 Das Geburtserleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5.3 Zuschreibungen an das Kind . . . . . . . . . . . . . . . 7 158 161 162 166 168 170 172 175 179 180 181 184 185 189 191 193 197 201 207 214 214 218 223 227 228 233 237 252 255 255 266 277 8 Inhalt . . . . . . . 278 281 281 293 305 306 308 . . . . . . . 310 314 316 322 325 325 328 . . . . . . . . . . 329 340 342 344 349 353 354 355 357 358 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 Die verwendeten Transkriptionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 10.5.4 Zwischenfazit der Phase »Geburt« . . . . . . . . . . . 10.6 Begegnung und Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.1 Begegnung mit dem Kind . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.2 Das Kind als Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.3 Dem Kind einen Platz in der Welt schaffen wollen . . . 10.6.3.1 Das Kind der Welt zeigen wollen . . . . . . . . 10.6.3.2 Erinnerungen konstruieren . . . . . . . . . . 10.6.3.3 Familie konstruieren – das Kind in die Familie integrieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.3.4 Taufe als Abschieds- und Einbindungsritual . 10.6.4 Raum für Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6.5 Zwischenfazit der Phase »Begegnung und Abschied« . 11 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Grenzen des methodischen Vorgehens . . . . . . . . . . . . . 11.2 Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse . . . . . . 11.2.1 Die Kernkategorie: Zusammenbruch und Neukonstruktion der Statuspassage Schwangerschaft . 11.2.2 Der Weg zur Diagnose als Automatismus . . . . . . . 11.2.3 Diagnosemitteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.4 Entscheidungs- und Neuausrichtungsprozess . . . . . 11.2.5 Die verbleibende Schwangerschaft . . . . . . . . . . . 11.2.6 Die Geburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.7 Begegnung und Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Empfehlungen für die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Danksagung An vorderster Stelle möchte ich den teilnehmenden Frauen danken, für ihr Vertrauen und die Offenheit, mir Einblick in ihre Erfahrung zu geben. Ohne ihre Bereitschaft, ihre Erfahrungen mit mir zu teilen, hätte diese Studie nicht zustande kommen können, ohne ihre Geschichten, die mich tief berührt haben, wären die Durststrecken während des Dissertationsprozesses für mich nicht zu bewältigen gewesen. Ihnen gilt mein größter Dank. Ich möchte mich ebenso bei meiner Doktormutter Prof. Beate Schücking für die konstruktive und respektvolle wissenschaftliche Begleitung bedanken. Ihr Zutrauen gab mir die Freiheit, die Arbeit im Sinne der Grounded Theory Methodologie kreativ und prozesshaft entwickeln zu können. Auch Barbara KatzRothman, die den Anstoß zu diesem Dissertationsprojekt gegeben hat und eine wichtige Ansprech- und Diskussionspartnerin während dieser Dissertation für mich war, möchte ich danken. Jede wissenschaftliche Arbeit profitiert von Menschen, die über kurze oder längere Zeit daran teilhaben: Den Teilnehmerinnen des Doktorandenkolloquiums für wertvolle Anregungen und hier insbesondere Claudia Berger, auch für die organisatorische Unterstützung. Ohne die großzügige Unterstützung durch das Studienwerk Villigst, das mir finanziell und ideell, vor allem aber auch durch die wertvollen Kontakte zu anderen Mitstipentiaten und -stipendiatinnen eine wertvolle Begleitung und Unterstützung über viele Jahre dieses Forschungsvorhabens war, wäre diese Arbeit schwer schaffbar gewesen. Hier danke ich insbesondere Birgit Behrisch für den anregenden Austausch. Mein besonderer Dank gilt aber den Mitgliedern meiner Arbeitsgruppe Qualitas: Kathrin Aghamiri, Nadin Duetthorn, Kwathar El Quasem, Franziska Günauer, Beate Hilbert, Bianca Hillberg, Fabian Klemmer, Martina Kraml und Christin Münz. Der regelmäßige wöchentliche Austausch mit ihnen, die gemeinsame Arbeit mit der Grounded Theory Methodologie und die Ermutigungen stellten eine unverzichtbare Unterstützung während des Forschungsprozesses für mich dar. 10 Danksagung Für das Lesen der Arbeit und die anregenden Kommentare möchte ich mich bedanken bei Prof. Babette Müller-Rockstroh, Carolin Meuschel und auch Kathrin Blaufuss. Für die Unterstützung zu Beginn dieser Arbeit möchte ich mich außerdem bei Leona E.V. und bei Monika Jaquier herzlich bedanken, bei Prof. Harald Goll für die Möglichkeit des Vorstellens und Diskutierens meiner Ergebnisse. Für das »Mitdenken« und die gemeinsame Schreibauszeit danke ich außerdem Margot Götte-El Fartoukh, die mir während dieser Arbeit zu einer Freundin geworden ist. Manuela Raddatz, Anne Bartke, Johanna Huber, Heike Zwahlen und Gisele Steffen und den vielen anderen Kolleginnen für den Austausch und die Unterstützung. Abschließend danke ich meiner Familie für die emotionale und praktische Unterstützung während dieses zeitintensiven Forschungsprozesses. Es wäre schwer gewesen ohne ihre Geduld und die Freude des gemeinsamen Familienlebens. Vorwort von Dr. Angelica Ensel Frauen, die nach vorgeburtlicher Diagnostik erfahren, dass ihr Kind nicht lebensfähig ist, fallen in eine existenzielle Krise. Von einem Moment zum anderen ändert sich ihr Leben dramatisch – alle Bilder, Träume und Fantasien, die sie vom Leben mit ihrem Kind hatten sind hinfällig. Stattdessen müssen sie entscheiden, ob sie die Schwangerschaft abbrechen lassen oder ob sie ihr Kind weitertragen und die Entscheidung über das Ende der Schwangerschaft und den Tod ihres Kindes dem Leben selbst überlassen. Nur wenige Frauen wählen diesen zweiten Weg und lassen sich damit auf eine große Ungewissheit ein. Sie wissen nicht, ob ihr Kind im Mutterleib, kurz nach der Geburt oder erst im Verlauf der ersten Lebensmonate sterben wird. Welche Frauen entscheiden sich für diesen anderen Weg? Wie gestalten sich die Entscheidungsprozesse, welche Schwierigkeiten sind dabei zu bewältigen und welche Ressourcen befähigen die Frauen, ihre Kinder im Spannungsfeld von Geburt und Tod zu tragen? Bisher wissen wir wenig über das Erleben, die Erfahrungen, Motivationen, Kompetenzen und Ressourcen der Betroffenen. Katharina Rost hat ihre Forschung diesen Frauen und ihrem anderen Weg gewidmet. Als Hebamme und Gesundheitswissenschaftlerin erforscht sie die den Entscheidungen zugrundeliegenden inneren Prozesse im Umgang mit der Krise als einen Prozess der Reife und des Wachstums. Mit hohem Einfühlungsvermögen und großer methodischer Sorgfalt geht die Autorin ihren Weg als forschende Pionierin – sowohl in der Begegnung mit den Frauen als auch im Umgang mit dem gewonnenen Material. Anspruchsvoll und in klarer Sprache geschrieben, wird die Arbeit auch für die Lesenden selbst zu einer Reise. Sie haben teil an den Geschichten, Haltungen und Reifeprozessen der Frauen und am Erkenntnisweg der Autorin, die dabei verschiedene qualitative Forschungsansätze miteinander verknüpft. Der eigene professionelle Hintergrund der Forscherin ist dabei Chance und Herausforderung zugleich. Ihre hohe methodische Kompetenz, die anspruchsvolle Wahl der Gütekriterien und nicht zuletzt ihre große Sensibilität, Empathie und Reflexivität ermöglichen der Autorin eine außerordentliche Erkenntnis- 12 Vorwort von Dr. Angelica Ensel tiefe. Das von ihr gefundene Modell der Neuausrichtung ist wegweisend für das Verständnis der Erfahrungswege und inneren Prozesse der Frauen. Gleichzeitig zeigt die Autorin die Defizite der Begleitung auf. Sie gibt maßgebliche Impulse und konkrete Hinweise für die Praxis der begleitenden Berufsgruppen ebenso wie für eine frauengesundheitspolitische Perspektive auf den Umgang mit den Konsequenzen der vorgeburtlichen Diagnostik. Während das Selbstbestimmungsrecht der Frauen auch im Falle eines späten Schwangerschaftsabbruchs nach Feststellung einer schweren Behinderung oder Erkrankung – auch bei Lebensfähigkeit des Kindes – sehr hoch bewertet wird, wird die Fortführung der Schwangerschaft häufig gar nicht als eine mögliche Option dargestellt. Selbstbestimmung zu unterstützen – das zeigt die Arbeit von Katharina Rost – heißt, den Frauen alle Möglichkeiten zu eröffnen und ihnen die notwendige Stärkung und Unterstützung zur Verfügung zu stellen, damit sie tatsächlich ihren eigenen Weg wählen und gehen können. Die Ressourcen und Kompetenzen zur Bewältigung existenzieller Krisen in diesem Bereich der reproduktiven Gesundheit können sich am besten entfalten, wenn die Erfahrungen der Betroffenen auf Resonanz im Bild der Begleitenden treffen. Ein neues Verständnis der Stufen der Reife- und Wachstumsprozesse auf diesem anderen Weg ermöglicht den begleitenden Berufsgruppen, Geburtshilfe im umfassenden Sinne zu leisten: Die Frauen auf ihrem Weg so zu stärken, dass sich in ihnen das entwickelt, was die Theologin Marianne Möst als »Krisenkompetenz Weisheit« bezeichnet. Die wegweisende Arbeit von Katharina Rost hat das Potenzial, diese Kompetenz bei den Frauen und den sie Begleitenden weiterzuentwickeln. Angelica Ensel Vorwort von Prof. Dr. Babette Müller-Rockstroh Mit Freude schreibe ich dieses Vorwort zu einem Buch, dessen Fertigstellung ich begleiten durfte. Dieses Buch ist unter vielen Gesichtspunkten besonders lesenswert. Es ist dem Thema Pränataldiagnostik gewidmet und richtet den Blick auf diejenigen Frauen, die im Verlauf der Schwangerschaft die pränataldiagnostische Prognose erhalten, dass ihr Kind nach der Geburt nicht leben wird. Dabei geht es insbesondere um den Einbruch dieser Diagnose in den biographischen Prozess Schwangerschaft/ Mutterwerden. Spannend im Detail, neu und weiterführend an Katharina Rosts Rekonstruktion dieser veränderten Biographien ist vor allen Dingen, wie sie diese Erschütterung analysiert. Die Geschichten von Frauen, die mit der infausten Prognose weiter schwanger gehen, wird in diesem Buch zu einer Linse, durch die das Schwangersein unter diesen besonderen Umständen als eine komplexe Statuspassage sichtbar gemacht wird: die Diagnose der Nichtlebensfähigkeit des Kindes bedeutet nicht den Abbruch, sondern die Veränderung der Laufrichtung des lebensgeschichtlichen, und immer ganz individuellen Ereignisses Eltern zu werden. Dieses Thema ist zwar auch ein Konflikt zwischen unterschiedlichen Auffassungen und Betreuungskonzepten von Hebammen und Ärzten/Ärztinnen, doch in der Tiefe geht es, wie Katharina Rost sorgfältig herausarbeitet, um die Unmöglichkeit einer geburtshilflichen Praxis, die Frauen mit ihren Bedürfnissen wirklich in den Mittelpunkt der Betreuung zu stellen. Wir sehen in den Geschichten dieser Frauen zwei Seiten einer Entwicklung: auf der einen Seite verfolgen wir, wie Schwangerenbetreuung und Pränataldiagnostik spätesten seitdem Ultraschall zum festen Bestandteil des regulären Vorsorgeschemas geworden und sowohl für die Berufsgruppen als auch für die Schwangeren unmittelbar miteinander verknüpft sind. Die Ausleuchtung und damit Kenntnis des Körperinneren ist untrennbar mit der »Einverleibung« der sozialen Rolle ›Schwangere‹ verbunden, von der erwartet wird, dass sie die vorgesehenen pränatalen Untersuchungen ihres ungeborenen Kindes durchführen lässt. Auf der anderen Seite sehen wir den Untergang der Freiheit in einem Vorgang, bei 14 Vorwort von Prof. Dr. Babette Müller-Rockstroh dem der ›natürliche‹ Entscheidungsausgang schon vorher festzustehen scheint und im Sinne der Zumutbarkeit für die Eltern mit der Diagnose ›Nichtlebensfähigkeit‹ die Indikation für den Abbruch der Schwangerschaft schon mitgereicht wird. Katharina Rost untersucht einen wichtigen Aspekt dieses Konflikts, der ganz aktuell und gleichzeitig wenig öffentlich ist. Ihre Studie ist wichtig, weil sie zu der Erkenntnis anregt, die sich in der Hinwendung zu denjenigen aufdrängt, die mit ihrer Schwangerschaft auch adäquat betreut werden wollen. Das vorliegende Buch schärft den Blick für eine entscheidende Weichenstellung, die in der Schwangerenversorgung normal geworden ist und regt an, die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu überdenken und die Dynamik hinter diesem Vorgehen in Augenschein zu nehmen. Dabei richtet die Autorin den Fokus auf eine Gruppe Schwangerer, deren Stimmen bislang noch kaum und im deutschen Raum noch gar nicht Gehör gefunden haben. Es geht um diejenigen Frauen, die nach der pränatalen Diagnose einer infausten Prognose für das Kind nicht den scheinbar selbstverständlichen Weg eines Schwangerschaftsabbruchs gehen sondern die betroffene Schwangerschaft weiterführen. Bewusst nimmt die Autorin Abstand von den festgefügten medizinischen und scheinbar linear miteinander verknüpften Kategorien ›Diagnose‹ – ›Entscheidung‹ und arbeitet empirisch und akribisch die unterschiedlichen Phasen der Entscheidung heraus. Damit stellt sie die Diagnose in einen Neuausrichtungsprozess, der sich in einem prozesshaften Verlauf ausgestaltet. Entscheidend für diese Arbeitsweise ist hier der methodische Ausgangspunkt: das Erleben dieser Erschütterung durch die Frauen selbst – ›von unten heraus‹ – zu verstehen und konsequent einen (selbst)reflektierenden Ansatz zu verfolgen. Dabei beeindruckt nicht nur der erzählte Inhalt sondern auch der sensible Umgang mit den Interviewpartnerinnen. Die Frau als »Expertin in eigener Sache« sprechen zu lassen, nennt die Verfasserin ihre methodischen Grundhaltung, die konstruktivistisches Erkenntnisinteresse und Ansätze aus der Biographie-Forschung aus- und aufarbeitend, das Forschungsergebnis als persönlich subjektiv geprägtes Produkt für beide an der Forschung beteiligten Parteien begreift. Die relativ junge ›Hebammenwissenschaft‹, die sich im Zusammenhang mit der neuen akademischen Qualifizierung von Hebammen als eigenständige Disziplin derzeit begründet, sucht (noch) nach geeigneten Theorien, die Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett als lebensgeschichtliche Ereignisse fassen. Diese Arbeit bietet hier vieles. Sie ist nicht nur ein Meisterstück an narrativer Empathie sondern in der stringenten Umsetzung eines qualitativen Forschungsverständnisses auch ein wichtiges Buch für die akademisch-wissenschaftliche Qualifizierung forschender Hebammen. Am Ende jeder Phasenbeschreibung bündelt Katharina Rost die Aussagen Vorwort von Prof. Dr. Babette Müller-Rockstroh 15 ihrer Interviewpartnerinnen zu Handlungsempfehlungen für die professionellen Begleitpersonen wie etwa Ärzten und Ärztinnen, Hebammen aber auch anderen beteiligten Berufsgruppen. Aus der Dichte der gemeinsam rekonstruierten Erinnerungen ihrer Gesprächspartnerinnen, aus positiv und negativ erlebten Aspekten der Betreuung, sind klare und durchführbare Betreuungsanforderungen entstanden, die für die Helfenden von großer Bedeutung sind. Darüber hinaus können sie aber auch betroffenen Frauen Unterstützung darin geben, ihre Schwangerschaft selbstbestimmt zu gestalten und aktiv nach passenden Betreuungsformen zu suchen. Ich bin ihr sehr dankbar für dieses mutige Buch. Babette Müller-Rockstroh Einleitung »Von Anfang an live dabei: Bestaunen Sie die individuellen Gesichtszüge Ihres Kindes bereits vor der Geburt. Die einmalige 3D-Ultraschalltechnik ist für Mutter und Kind absolut ungefährlich und liefert Ihnen bereits während Ihrer Schwangerschaft unvergleichlich fotorealistische und faszinierende Bilder Ihres Kindes. Kosten ca. 110 Euro einschließlich Übersendung per e-mail.«1 Mit diesen Worten wirbt eine Berliner Frauenarztpraxis auf ihrer Internetseite um privat zahlende Schwangere und betont damit den Lifestyle-Aspekt, der für viele Frauen mit den Ultraschalluntersuchungen verbunden ist. Ultraschall wird dabei von vielen Frauen weniger als Diagnoseinstrument gesehen, sondern vielmehr als »Babykino«, das Bindung unterstützt und zusätzlich den normalen Ablauf der Schwangerschaft bestätigt (Tegethoff, 2012; Lalor und Devane, 2007; Renner, 2006; Rost, 2007). 98 % der Schwangeren lassen mindestens eine der drei in den Mutterschaftsrichtlinien empfohlenen Ultraschalluntersuchungen durchführen (Renner, 2006). Während nur 15 % der Schwangeren auf weitere pränataldiagnostische Verfahren verzichten, nehmen mehr als 70 % der Schwangeren darüber hinausgehende zusätzliche Ultraschalluntersuchungen in Anspruch (Renner, 2006, S. 32). Neben dem Ultraschall haben sich auch weitere pränataldiagnostische Methoden in den letzten Jahrzehnten etabliert. Untersuchungen wie die Amniozentese oder das Ersttrimesterscreening auf verschiedene Trisomien werden verstärkt in Anspruch genommen und sind so integraler Bestandteil der normalen Schwangerenvorsorge geworden, mit denen jede schwangere Frau in Berührung kommt, es sei denn, sie entzieht sich der ärztlichen Schwangerenvorsorge komplett. Von ärztlicher Seite wird vielfach argumentiert, diese Untersuchungen dienten auch der Beruhigung der Schwangeren. Dies ist auch als eines der Ziele 1 http://www.gyn-berlin-mitte.de/igel_individuelle_gesundheits_leistung.htm. 18 Einleitung von Pränataldiagnostik aufgeführt (vgl. Bundesärztekammer, 1998). Allerdings hat sich das Erleben von Schwangerschaft durch die Diagnosemöglichkeiten unwiederbringlich verändert (Rapp, 1999, Schindele, 1990, Katz-Rothmann, 1986). So spricht Katz-Rothman (1986) von der »tentative pregnancy«, die manche Frauen bis zum unauffälligen Amniozenteseergebnis nur mehr »auf Probe« eingingen. Dazu kommt die Belastung der Schwangeren durch Wartezeiten auf die jeweiligen Testergebnisse. Tatsächlich erfahren die meisten Frauen durch die Untersuchungen, dass alles in Ordnung sei und sehen auch deshalb die pränataldiagnostischen Methoden als etwas, was ihnen die Normalität der Schwangerschaft versichert (Tegethoff, 2012). Was aber passiert, wenn Schwangere wirklich mit einer Diagnose konfrontiert werden, wenn eben diese antizipierte Normalität nicht bestätigt wird? Durch die Zunahme dieser Verfahren gibt es immer mehr Frauen, die nach einem verdächtigen oder positiven Befund Entscheidungen treffen müssen: zum einen bezogen auf weitere Untersuchungen, aber auch über das Fortsetzen oder den Abbruch der Schwangerschaft. Mein eigenes Forschungsinteresse an der Thematik resultiert aus zwei Erfahrungssträngen. Das sind zum einen meine eigenen Erfahrungen als Hebamme. Darüber hinaus bildet aber auch eine eigene unveröffentlichte Masterthesis zum Diskurs über Pränataldiagnostik den Hintergrund für die vorliegende Studie (Rost, 2007). »Bei Down-Syndrom hat man ja noch eine Wahl.« Diese Aussage einer Ärztin aus einem Interview im Rahmen meines Masterstudiums brachte mich dazu, über Folgendes nachzudenken: Wenn Frauen bei Down-Syndrom-Diagnosen eine Wahl haben, was haben sie dann bei anderen Diagnosen? Und welche Diagnosen sind es, bei denen Frauen nicht die Wahl haben, bei denen der Entscheidungsausgang bereits mit der Diagnose festzustehen scheint? Ich dachte über meine Erfahrungen während der Hebammenausbildung in den 1990er Jahren an einer großen Universitätsklinik nach, wo in der pränataldiagnostischen Abteilung der Schwangerschaftsabbruch im Anschluss an ein positives Pränataldiagnostikergebnis die Norm darstellte und wir als Schülerinnen die Frauen bei diesen Abbrüchen begleiteten. Ich erinnerte mich an eine Frau, die ein Kind mit Schwerstbehinderung trotz einer solchen schwerwiegenden Diagnose geboren hatte, das dann nach einigen Wochen gestorben war. Diese Frau wurde im allgemeinen Verständnis der Klinik – auch von uns Hebammenschülerinnen – als unverantwortlich handelnd angesehen. Niemand konnte verstehen, warum sie ihrem Kind wissentlich solch ein leidvolles Leben zumuten wollte. In meiner späteren Berufspraxis als freiberufliche Hebamme begleitete ich Einleitung 19 dann ebenfalls Frauen nach einem Schwangerschaftsabbruch, aber auch Frauen, die die Schwangerschaft nach einem pränataldiagnostischen Befund fortgesetzt hatten. Durch diese Erfahrungen veränderte sich mein Blick auf diese Thematik, mein Möglichkeitssinn erweiterte sich. Gleichzeitig erlebte ich, dass in den vergangenen zwanzig Jahren eine Ausdehnung pränataldiagnostischer Verfahren stattfand, weg von den »älteren Risikoschwangeren« hin zur Gruppe aller Schwangeren. Dadurch werden auch Hebammen in der Betreuung von Schwangeren häufiger mit Problemen konfrontiert, die in Verbindung mit pränataldiagnostischen Verfahren stehen. Hier stellt der Umgang mit der Verunsicherung der Frauen einen zentralen Aspekt dar. Im öffentlichen Diskurs und auch in der vorhandenen qualitativen Forschung wird meist nur die Entscheidung für oder gegen das Fortsetzen der Schwangerschaft bei der Diagnose Trisomie 21 diskutiert. Das zeigte sich auch in den Ergebnissen meiner Masterarbeit zum Diskurs über Pränataldiagnostik, in der ich Dialoge in Internetchatrooms zu Untersuchungsmethoden analysierte und im Anschluss daran Interviews mit Frauen mit positivem Pränataldiagnostikbefund und mit Experten führte: In den Dialogen der nicht betroffenen Frauen in den Schwangerschaftsforen ging es vornehmlich um Pränataldiagnostik und Entscheidungen in Bezug auf Trisomie 21. Dies spiegelt sich auch in der Forschung zu diesem Themenbereich in Deutschland wieder. So untersuchte Marion Baldus Frauen, die die Schwangerschaft nach dem Pränataldiagnostikbefund Trisomie 21 weiterführten, wobei sie den Fokus besonders auf die Entscheidungsprozesse legte. Lenhard erforschte die Wahrnehmung des gesellschaftlichen Umgangs durch betroffene Eltern (Baldus 2006; Lenhard, 2005). Bei der Diagnose Trisomie 21 wird von Abbruchraten von 90 bis 94 % ausgegangen, bei Diagnose infauster Prognosen kann von ähnlich hohen Abbruchraten ausgegangen werden (Eurocat, 2012). Über die Entscheidung für das Weiterführen der Schwangerschaft nach der Diagnose »Nichtlebensfähigkeit« des Kindes gibt es im deutschsprachigen Raum nur Berichte, die von betroffenen Frauen veröffentlicht wurden (Bohg, 2012; Wackermann, 2008; Hinsberger, 2007 u. a.). Qualitative Untersuchungen zum Erleben betroffener Frauen liegen bislang noch nicht vor. Solche Untersuchungen gibt es in anderen Kontexten, wie etwa die irische Untersuchung von Lalor et al. (2009) oder auch die US-Untersuchung von Redlinger-Grosse et al. (2002). Diese Untersuchungsergebnisse sind nur bedingt auf den deutschen Kontext übertragbar, da das Gesundheitssystem anders strukturiert ist oder die legalen Rahmenbedingungen für einen Schwangerschaftsabbruch sich von denen in Deutschland unterscheiden. Andere Untersuchungen wie die von Locock (2005) oder auch Chitty et al. (1996) sind Fall- 20 Einleitung beschreibungen, oder der Sampleumfang umfasst nur wenige Frauen als Teilnehmerinnen. Demnach gibt es einen Bedarf, wissenschaftlich zu erforschen, wie Frauen in Deutschland eine solche Diagnose und die anschließende Schwangerschaft erleben. Die vorliegende Arbeit möchte sich daher dieser Forschungslücke in Deutschland widmen. Forschungsziel, Ausgangsforschungsfrage Ziel der vorliegenden Studie ist es, die Erfahrungen von Frauen, die sich nach der Diagnose »Nichtlebensfähigkeit des Ungeborenen« zum Weiterführen der Schwangerschaft entscheiden, darzustellen und damit zu einem besseren Verständnis der Bedürfnisse dieser Frauen beizutragen und Impulse für eine bessere Versorgung dieser Frauen zu geben. Daraus ergaben sich zu Beginn der vorliegenden Untersuchung folgende Fragestellungen: 1. Wie erleben die Frauen die pränatale Diagnosestellung einer infausten Prognose und wie kommen sie zu ihrer Entscheidung, die Schwangerschaft weiterzuführen? 2. Welche Aspekte beeinflussen ihr Erleben der Diagnose und der verbleibenden Schwangerschaft? 3. Welche Bedürfnisse und Handlungsstrategien entwickeln sie während des Entscheidungsprozesses und in der Zeit danach? Aus dieser Fragestellung ergibt sich die Wahl eines induktiven Forschungsansatzes. Anhand von problemzentrierten Interviews mit betroffenen Frauen sollen das Erleben und die subjektive Realität der Frauen erforscht werden. Im Forschungsverlauf wurden diese Fragen in einer Pendelbewegung zwischen Datenmaterial, Analyse und theoretischer Literatur immer weiter geschärft. Dabei orientierte ich mich an Flick (2006, S. 77), der empfiehlt, dass die Forscherin eine klare Forschungsfrage formuliert, aber eine offene Haltung für überraschende Erkenntnisse bewahren soll. Um die Leserin/den Leser auf diesem Herleitungsprozess mitnehmen zu können, findet sich in Teil II der Arbeit, im Anschluss an die Darstellung der Forschungslandschaft und der heuristischen Perspektive, die Beschreibung der Weiterentwicklung der Forschungsfragen im Forschungsprozess (siehe Kapitel 5). Aufbau der Arbeit 21 Aufbau der Arbeit Die Arbeit gliedert sich in drei Teile. In Teil I erfolgt ein Problemaufriss zum Forschungsbereich, Teil II, Kapitel 6 bis 8 beschreibt die heuristische Perspektive und Methodologie und in Teil III werden schließlich die Ergebnisse dargestellt und diskutiert. Zunächst wird in Kapitel 1 der kontextuelle Rahmen dargestellt, der den Hintergrund für das Erleben der befragten Frauen bildet. Hier werden Studienergebnisse dazu vorgestellt, wie Schwangerschaft in Deutschland stattfindet. Dabei geht es zunächst um die Schwangerenvorsorgestruktur, dann um Aspekte der Pränataldiagnostik und deren Verknüpfung mit der Schwangerenvorsorge. Im Anschluss daran werden in Kapitel 2 die gesetzlichen Rahmenbedingungen und Richtlinien für Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch in Deutschland aufgezeigt. Zum Abschluss wird in Kapitel 3 der epidemiologische Hintergrund von Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland beschrieben. In Kapitel 4 werden dann Studien dargestellt, die sich mit der Situation befassen, wenn Frauen einen positiven pränataldiagnostischen Befund erhalten. Dabei werden zunächst Studienergebnisse erläutert, die sich mit der Mitteilung des pränataldiagnostischen Diagnosebefundes beschäftigen. Im Anschluss folgen Untersuchungen zu Entscheidungsprozessen nach der Diagnosemitteilung und eine genaue Wiedergabe des Forschungsstands zu Untersuchungen, die sich explizit auf das Fortsetzen von Schwangerschaften nach der pränatalen Diagnose »Nichtlebensfähigkeit« beziehen. Zuletzt wird der Blick noch auf die deutsche Forschung zu dieser Thematik und deren Fokus auf die Schnittstellenproblematik gerichtet. Nach einem Zwischenfazit in Kapitel 5 schließt sich mit Kapitel 6 die Darstellung der heuristischen Perspektive der Studie an, die theoretische Perspektive also, aus der die Methoden gewählt wurden und die vorliegenden Ergebnisse zustande gekommen sind. In Kapitel 7 die Weiterentwicklung der Forschungsfragen herausgearbeitet. Diese bilden die Ausgangslage für das methodische Design der Studie. In Kapitel 8 wird das methodische Vorgehen expliziert. Zunächst werden einführende Grundlagen des qualitativen Ansatzes und der Grounded Theory Methodologie dargelegt und dabei insbesondere Details des in dieser Studie verwendeten Ansatzes der konstruktivistischen, reflexiven Grounded Theory herausgearbeitet. Daran schließt sich die Darstellung des praktischen Forschungsvorgehens an, eine Beschreibung der Datenerhebung und Datenauswertung, eine Darstellung der Gütekriterien und der forschungsethischen Dimensionen der Arbeit. Den Kern der Arbeit bildet Teil III der Arbeit, in dem die Ergebnisse in Form des herausgearbeiteten Prozessmodells dargestellt werden. Zunächst wird ein- 22 Einleitung führend die Zusammensetzung des Samples beschrieben (Kapitel 9). Daran anschließend folgt die Darstellung der Ergebnisse analog zum Phasenverlauf des entwickelten Prozessmodells »Unterbrechung der Statuspassage und Neuausrichtungsprozess« im Kapitel 10. Schritt für Schritt werden die Ergebnisse chronologisch entlang der Phasen dieses Prozessmodells aufgeführt. Die Darstellung beginnt mit der prädiagnostischen Phase »Weg zur Diagnose«, daran schließt sich der »Einschnitt der Diagnosemitteilung« an. Die Phase »Neuausrichtung nach der Diagnose« lässt sich in vier zeitliche Segmente gliedern: keine Passung haben, Alternativen eröffnen sich, Suchen/Kontextualisieren und Stabilisierung. Zudem werden Einflussfaktoren auf die Entscheidung und die Entscheidungstypen ausgearbeitet. Es schließt sich die Phase »Gestaltung der verbleibenden Zeit« an, wobei diese insbesondere den Umgang mit Zeit und die Orientierung in der Zeit fokussiert. Die Phase »Geburt« bildet schließlich das Ende der Statuspassage Schwangerschaft und den Übergang zur letzten Phase des Modells »Begegnung und Abschied«. In dieser Phase wird die Zeit nach der Geburt, das Kennenlernen und Sterben des Kindes oder der Umgang mit einem unerwarteten Überleben des Kindes analysiert. In der Darstellung der Ergebnisse wird immer wieder Bezug zum Interviewmaterial genommen. Am Ende jeder Phasenbeschreibung wird zudem ein Zwischenfazit erhoben. Die an dieser Stelle ausgearbeiteten Beispiele positiv erlebter Betreuungssituationen, die als Beispiele für Good Practice angesehen werden können, bilden die Basis für die Praxisimplikationen am Ende der Arbeit. In Kapitel 11 werden die Ergebnisse schließlich zusammengefasst, mit den Forschungsfragen sowie anderen Forschungsarbeiten in Beziehung gesetzt und Praxisempfehlungen erarbeitet. Zusätzlich erfolgt eine Diskussion der Geltungsbeschränkung der Studie. Die Empfehlungen für weiterführende Forschung sind im Ausblick dargestellt. Das Fazit in Kapitel 12 bildet den Abschluss der Arbeit. Teil I: Schwangerschaft mit infauster Prognose – Problemaufriss Im Zentrum dieser Studie steht die Frage, wie die Frauen den Einbruch der pränatalen Diagnosestellung einer infausten Behinderung des ungeborenen Kindes in den Schwangerschaftsverlauf erleben. Im ersten Teil dieser Arbeit soll deshalb in den folgenden Kapiteln die der Kontext aufgezeigt werden, innerhalb dessen die in dieser Studie befragten Frauen diese Erfahrung erleben. 1 Schwangerschaft und Pränataldiagnostik im deutschen Kontext 1.1 Die Struktur der Schwangerenvorsorge In der Versorgungsstruktur in Deutschland steht die ärztliche Betreuung im Zentrum der Schwangerenvorsorge und Geburtshilfe.2 Die meisten schwangeren Frauen lassen die Schwangerschaftsvorsorgen bei einer niedergelassenen Gynäkologin oder einem Gynäkologen durchführen, manche Schwangeren werden begleitend oder intermittierend durch eine Hebamme betreut. Nur sehr wenige Frauen suchen für die Schwangerenvorsorge ausschließlich oder vornehmlich eine Hebamme auf (vgl. Feldhaus-Plumin, 2005). So ist es verständlich, dass die Ärztin oder der Arzt von vielen Schwangeren als die wichtigste Informationsquelle während der Schwangerschaft gesehen wird und ärztlichen Aussagen zu Untersuchungsmethoden ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Diese prägen die individuellen Bedeutungszuschreibungen der Frauen, die Entscheidungen für oder gegen Untersuchungsmethoden (Renner, 2006). 2 Dies findet beispielsweise darin Ausdruck, dass die Mutterschaftsrichtlinien, also die Richtlinien, welcheUntersuchungen in der Schwangerschaftsvorsorge erfolgen sollen, in einem gemeinsamen Ausschuss von Krankenkassen und Ärzten erstellt werden – Hebammen als weitere zur Durchführung von Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen befugte Berufsgruppe sind nicht involviert (Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen, 1985, 2013). 24 Schwangerschaft mit infauster Prognose – Problemaufriss Die ärztliche Schwangerenvorsorge wird über die Mutterschaftsrichtlinien geregelt, in denen u. a. der Katalog zur Bestimmung einer Risikoschwangerschaft festgeschrieben ist. Sie definieren aber auch, zu welchem Zeitpunkt welche Untersuchungen durchgeführt werden sollen und geben so der Schwangerschaftsvorsorge eine zeitliche Struktur, legen den Rhythmus der Vorsorgeuntersuchungen und die Zeitfenstern für Untersuchungszeitpunkte fest. Fragmentierung versus Kontinuität in der Betreuung Von vielen Autorinnen wird die Fragmentierung der Betreuung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett kritisiert, d. h. die Tatsache, dass die wenigsten Frauen kontinuierlich von einem Arzt bzw. einer Ärztin oder einer Hebamme oder einem Team in allen diesen Phasen betreut werden (SaynWittgenstein, 2007). Stattdessen findet Schwangerschaft für die meisten Frauen bei unterschiedlichen Akteuren statt: Die Schwangerenvorsorgeuntersuchungen übernimmt die niedergelassene Gynäkologin bzw. der niedergelassene Gynäkologe, pränataldiagnostische Untersuchungen erfolgen in pränataldiagnostischen Zentren, die Geburt findet in der Klinik statt, wo häufig Hebamme und Ärztin bzw. Arzt vorher nicht bekannt sind. Die Betreuung im häuslichen Wochenbett wird von freiberuflichen Hebammen erbracht, manchmal sind diese aus der Schwangerschaft oder durch die Geburtsbegleitung bekannt, häufig jedoch nicht. Viele Autorinnen und Autoren sehen aber gerade die Kontinuität in der Betreuung als zentrale Voraussetzung für das Gelingen einer nutzerinnenorientierten Versorgung (Friedrich et al., 2008; Mozygemba, 2011; Sayn-Wittgenstein, 2007). So wird in verschiedenen Studien eine kontinuierliche Betreuung durch die gesamte Lebensphase Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett mit einer geringeren Rate an medizinischen Interventionen, besseren kindlichen und mütterlichen Outcomes und einer höheren Zufriedenheit der Frauen in Zusammenhang gebracht (vgl. Hodnett, 2008; Rowley et al., 1995). Sayn-Wittgenstein (2007) sieht dabei gerade die Potenziale der Hebammenbetreuung, die eine wirkliche Kontinuität der Betreuung in der Lebensphase Mutterwerden erlauben könnte, ungenutzt und plädiert für ein Modell der Betreuung durch Hebammen, das angelegt ist als »Betreuungsbogen« und von Familienplanung über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett bis hinein in die Stillzeit reicht (Sayn-Wittgenstein, 2007, S. 24). Neben der Kontinuität, die in einer solchen Begleitung gegeben ist, sieht Sayn-Wittgenstein (2007) gerade auch im aufsuchenden und individuellen Charakter der Betreuung ein besonderes Potenzial in Bezug auf Kunden- und Gemeindebezogenheit (ebd., S. 23). Schwangerschaft und Pränataldiagnostik im deutschen Kontext 25 Technisierung von Schwangerschaft und Geburt Schwangerschaft und Geburt finden heute unter anderen Bedingungen statt als noch vor einer Generation, und die Rahmenbedingungen unterliegen weiterhin einem ständigen Wandel, sind stetigem technischen Fortschritt unterworfen. Der Kontext, in dem schwangere Frauen sich wahrnehmen, ist geprägt durch den technischen Umgang mit Schwangerschaft, geprägt vom Verständnis von Schwangerschaft und Geburt als Risikozustand und dem gleichzeitigen Glauben an die Machbarkeit der Medizin (vgl. Schindele, 2002). Von vielen Autorinnen wird aber gerade die zunehmende Technisierung und Medikalisierung des Lebensabschnitts Schwangerschaft und Geburt kritisiert (vgl. Brockmann und Reichard, 2000; Davis-Floyd, 1992; Schindele 1990, 2002; Sayn-Wittgenstein, 2007; Schwarz und Schücking, 2004). Diese Technisierung zeigt sich bezogen auf die Geburt in steigenden Kaiserschnittraten: mittlerweile finden mehr als 30 % der Geburten als Kaiserschnitt statt (vgl. Kolip et al., 2012; Statistisches Bundesamt, 2012b). Auch die Raten anderer peripartaler Interventionen wie die medikamentöse Geburtseinleitung oder die Verwendung der Periduralanästhesie zur Geburtsschmerzbehandlung haben stark zugenommen; so belegt etwa die retrospektive Untersuchung von Geburten in Niedersachsen in den Jahren 1984 – 1999, dass nur ein sehr geringer Anteil von Frauen gänzlich ohne medizinische Interventionen gebaren (vgl. Schwarz, 2006; Schwarz und Schücking, 2008). Aber nicht nur für die Geburt, sondern gerade auch für die Zeit der Schwangerschaft wird eine solche zunehmende Technisierung beschrieben. Seit Einführung der Mutterschaftsrichtlinien 1967 sind immer neue Untersuchungen in den Untersuchungskatalog aufgenommen worden und der Risikokatalog wurde von anfänglich 17 (1975) auf 52 mögliche Risiken erhöht (vgl. Baumgärtner und Stahl, 2005). Gerade diese zunehmende Risikoorientierung der Schwangerenvorsorge wird als eine der Ursachen für die zunehmende Technisierung gesehen. Je nach Region werden in Deutschland bis zu 70 % der Schwangeren als Risikoschwangere kategorisiert (Erikson, 2003). Folgen sind häufigere Vorsorgeuntersuchungen und engmaschigere Kontrollen sowie mehr Technikeinsatz (Schwarz und Schücking, 2006). Eine weitere Folge einer solchen Risikokategorisierung ist die Beunruhigung der Schwangeren. Eine Beunruhigung, welche wiederum nur durch weitere Untersuchungen »behoben« werden kann: Eine »Angst-Kontroll-Spirale« und der Verlust des Vertrauens in die eigene Körperwahrnehmung sind die Konsequenzen (vgl. Brockmann und Reichhard, 2000, S. 71; Baumgärtner und Stahl, 2005). Auch Stahl und Hundley (2003) stellen in einer Studie zum Zusammenhang von Risikozuschreibung und psychischem Wohlbefinden von Schwangeren einen Zusammenhang fest, wobei die Kategorisierung als Risikoschwangerschaft eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens zur Folge hat.