Anhang 1: Detaillierter stomatologische Befunde der awarenzeitlichen Skelette von Vösendorf/B301, Laxenburgerstraße, NÖ Karin WILTSCHKE-SCHROTTA Material Für die Auswertung der Zahn- und Kieferbefunde lagen die Gebisse von 377 awarenzeitlichen Individuen aus Vösendorf B301 zur Befundung vor. Die neun latènezeitlichen Individuen wurden nicht in diese Auswertung aufgenommen. Die stomatologische Untersuchung erfolgte in Anlehnung an die Auswertung von GREFEN-PETERS (1987). Basis für die Befundung waren Individuen aus folgenden Altersgruppen: Tabelle 1. Altersverteilung der untersuchten Individuen (klassenübergreifende Sterbealtersbestimmungen wurden anteilsmäßig aufgeteilt). Altersgruppe Infans I Infans II Juvenis Adult-senil Gesamt Anzahl 46,5 43 17,5 270 377 Die Erfassung des Zahnstatus, d.h. wie der Zahn vorliegt, in der Alveole, isoliert, intra vitam oder postmortal ausgefallen, als Zahnanlage oder nicht angelegt gibt u. a. Auskunft über Erhaltungszustand der Gebisse dieser Population. So konnten an den 377 Individuen 5839 Zähne untersucht werden wobei 3966 in der Alveole vorhanden waren, 1426 Zähne lagen isoliert vor. 585 Zähne waren Milchzähne und 533 Zähne waren nicht fertig ausmineralisiert. In 1353 Fällen konnten nur mehr leere Alveolen beurteilt werden (postmortaler Zahnverlust), davon waren 62 leere Milchzahnalveolen. 267 Zähne von 72 Individuen waren intra vitam ausgefallen, d.h. die Alveolen waren verrundet und damit verheilt. Und es gibt 122 Fälle von nicht angelegten Zähnen bei 70 Individuen. Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 1 Tabelle 2. Lokalität der post mortem(P) ausgefallenen Dauerzähne. in Alveole vorhanden 315 432 527 546 559 577 492 282 3730 Zahn I1 I2 C PM1 PM2 M1 M2 M3 P Verlust 319 255 182 151 126 67 86 105 1291 % 50,3 37,1 25,7 21,7 18,4 10,4 14,9 27,1 25,7 Rund die Hälfte der ersten Incisiven ist post mortem in Verlust geraten und etwas mehr als ein Drittel der zweiten Incisiven. Die ersten Molaren waren am Häufigsten vorhanden. Das ist wohl auch durch die einfache und oftmals gerade Wurzel der Incisiven bedingt, die bei Manipulationen leicht aus den Alveolen fallen. Die ersten Molaren dagegen mit ihren oft verbogenen oder verspreizten Wurzeln sind davon nicht so gefährdet. Als Maß für die Vollständigkeit der Bezahnung kann der komparative Dentalindex (CDI) herangezogen werden. Der CDI entspricht der Anzahl der untersuchten Zähne und Intravitalverlust dividiert durch 32, mal der Anzahl der Individuen. Dieser Wert wird nur für die Dauergebisse errechnet d.h. bei den Jugendlichen und Erwachsenen angewendet. In diese Kategorie fallen 285 Individuen und der CDI ist mit 50,1 im Vergleich zu Leobersdorf mit 66,1 eher gering. Dies spiegelt den relativ schlechten Erhaltungszustand der vorliegenden Skelette wider. Methoden Die Auswertung der Zahn- und Kieferbefunde erfolgt in Anlehnung an die von STLOUKAL & HANÁKOVÁ (1966) und GREFEN-PETERS (1987) vorgeschlagenen Bezeichnungssystem erweitert um den Wert für die postmortalen Zahnverluste (P): Z C %C A E %E P n nC %nC nCE %nCE nE %nE I-CE F-CE = Gesamtzahl der erhaltenen und untersuchten Zähne (Codierung Status 1,2,5,6,9) = Zahl der kariösen Zähne = Prozentsatz der kariösen Zähne = Anzahl der erhaltenen Alveolen (Status 1,3,4,5) = Zahl der intravitalen Verluste (Status 4) = Prozentsatz der intravitalen Verluste = postmortale Zahnverluste (Status 3) = Gesamtzahl der untersuchten Bestattungen = Zahl der Bestattungen lediglich mit Karies = Prozentsatz der Bestattungen lediglich mit Karies = Zahl der Bestattungen mit Karies und intravitalem Zahnverlust = Prozentsatz der Bestattungen mit Karies und intravitalem Zahnverlust = Zahl der Bestattungen lediglich mit intravitalem Verlust = Prozentsatz der Bestattungen lediglich mit intravitalem Zahnverlust = Kariesintensität (= %C + %E) = Kariesfrequenz (= % nC + % nCE + %nE) Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 2 Auswertung Karies des Milchgebisses In der Alterklasse Infans I und Infans II konnten 90 Kinder untersucht werden wobei 585 Milchzähne für die Untersuchung vorlagen und weitere 651 Dauerzähne oder Zahnanlagen in dieser Gruppe untersucht wurden. In der folgenden Aufstellung wurden allerdings nur die Milchzähne berücksichtigt: Tabelle 3. Karies des Milch- und Wechselgebisses Infans I Z(mz) C %C n nC %nC 475 6 1,3 47 3 6,4 Infans II 110 3 2,7 43 2 4,7 In der Gruppe Infans I (47 Individuen) haben nur 3 Kinder (6,4 %) (Grab 16, 155, 417) kariöse Zähne wobei bei allen die ersten Milchmolaren in Form von Fissurenkaries betroffen waren, bei Individuum 16 Zahn 74, bei Individuum 155 Zahn 64 und bei Individuum 417 die Zähne 54, 74, 75 und 84. An den Dauerzähnen konnte bei den Kindern keine Karies festgestellt werden. Bei den 43 Kindern der Gruppe Infans II hatten nur zwei Individuen (4,7 %) (Grab 312, 635) Karieskavitäten. Wobei bei dieser Gruppe jeweils Fissurenkaries der zweiten Milchmolaren vorlag. Altersvariation der Karies und Intravitalverluste im Dauergebiss Von 287 Jugendlichen und Erwachsenen Individuen konnten 4456 Zähne untersucht werden. 174 Zähne (3,9 %) in 93 Gebissen (32,4%) hatten eine oder mehrere Kariesläsionen. Weiters konnten 4987 Alveolen beurteilt werden wobei 297 (5,4%) bei 71 Individuen (24,7 %) verrundet waren und auf einen Zahnverlust intra vitam hindeuten. Vergleicht man diese Daten für die einzelnen Altersklassen so ändert sich die Aufteilung deutlich. An keinem der 17 jugendlichen Individuen ist eine Karieskavität oder ein intra vitaler Zahnverlust beobachtet worden. Da sich die Individuenanzahl in den einzelnen Altersklassen stark unterscheiden sind die relativen Zahlen aufschlussreicher. So ist der Prozentsatz der kariösen Zähne (%C) vom adulten zum maturen Alter ansteigend, ebenso wie der Prozentsatz der intra vitalen Zahnverluste. Das beeinflusst auch die aus diesen Zahlen hochgerechnete Kariesfrequenz, die mit 34,5 % bei den adulten weit geringer ausfällt als bei den senilen Individuen mit 85,7 %. Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 3 Tabelle 4. Altersvariation des Kariesvorkommens (C) und der intravitalen Verluste (E) im Dauergebiss. juvenil n Z C %C A E %E P nC %nC nCE %nCE nE %nE I-CE F-CE 17 257,5 0 0 249,5 0 0 69,5 0 0 0 0 0 0 0 0 adult 168 2766,5 82,5 3,0 2838,5 34,5 1,2 612 37 22,0 13 7,7 8 4,8 4,2 34,5 matur 95 1379 87,5 6,3 1782 182,5 10,2 475,5 18,5 19,5 22,5 23,7 22 23,2 16,6 66,3 senil gesamt 7 53 4 7,5 117 50 42,7 29 0,5 7,1 1,5 21,4 4 57,1 50,3 85,7 287 4456 174 3,9 4987 267 5,4 1186 56 19,5 37 12,9 34 11,8 9,3 44,3 Kariesgattung Bei der Untersuchung der Karieskavitäten wurden die Lokalität und Größe mit befundet. So wurde zwischen Fissurenkaries, Approximalkaries, Zahnhalskaries und Glattflächenkaries unterschieden. In der adulten Gruppe kommt Approximalkaries und Fissurenkaries am häufigsten vor, in der maturen Gruppe sind verstärkt die Zahnhalskarieskavitäten zu beobachten. Geschlechtsvariation der Kariesintensität und der Kariesfrequenz Es wurden 2032 Zähne von 138 erwachsenen Männern und 2001 Zähne von 136 erwachsenen Frauen untersucht. Der komperative Dentalindex für die Männer mit 48,3 und für die Frauen mit 49,5 spiegelt den ähnlich schlechten Erhaltungszustand der Gebisse wider. Der Prozentsatz der kariösen Zähne ist bei den Frauen mit 5,1 % höher als bei den Männern (3,4 %) aber generell relativ gering. Dasselbe gilt für die Intravitalverluste (w = 6,4 %, m = 4,5 %). Die Kariesintensität ist damit bei den Männern 7,9 und bei den Frauen 11,6. Auch die relativ niedrige Befallsrate (nC + nCE) zeigt einen deutlichen Geschlechtsunterschied, so haben nur 38 der 138 untersuchten Männer eine Kariesläsion das ist etwas mehr als ein Drittel der Individuen. Bei den Frauen haben etwas mehr als ein Viertel der Individuen 51 von 136 mindestens einen kariösen Zahn. Das spiegelt sich auch im Wert der Kariesfrequenz wider; bei den Männern ist dieser Wert 39,9 und bei den Frauen 50,0. Auffallend ist, wenn man sich die Altersverteilung ansieht, dass die jungen Frauen in der adulten Altersgruppe einen doppelt so hohen Wert für die Kariesfrequenz aufweisen als die Männer. In den anderen Altersgruppen ist dieser Wert für beide Geschlechtern annähernd gleich. Das heißt jung verstorbene Frauen, waren durch Karieserkrankungen stärker belastet. Möglicherweise hängt das auch mit den Schwangerschaften zusammen. Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 4 Tabelle 5. Geschlechtsdifferenzierte Altersvariation der Karies und Intravitalverluste im Dauergebiss. adult m n Z C %C A E %E P nC %nC nCE %nCE nE %nE I-CE F-CE 78 1050,5 18 1,7 1089,5 8,5 0,8 191,5 10 12,8 2,5 3,2 3 3,8 2,5 19,9 w 99 1581,5 64,5 4,1 1647 26 1,6 385 27 27,3 10,5 10,6 6 6,1 5,7 43,9 matur senil gesamt m w m w m w 56,5 33,5 3,5 3,5 138 136 944 404 37,5 15,5 2032 2001 49,5 37 2,5 1,5 70 103 5,2 9,2 6,7 9,7 3,4 5,1 1080,5 651 52 65 2222 2363 71 96,5 20,5 29,5 100 152 6,6 14,8 39,4 45,4 4,5 6,4 242,5 208 8 21 442 614 12,5 5 0,5 0 23 32 22,1 14,9 14,3 0,0 16,7 23,5 11,5 8 1 0,5 15 19 20,4 23,9 28,6 14,3 10,9 14,0 12,5 8,5 1,5 2,5 17 17 22,1 25,4 42,9 71,4 12,3 12,5 11,8 24,0 46,1 55,1 7,9 11,6 64,6 64,2 85,7 85,7 39,9 50,0 Kariesbefall der einzelnen Zahntypen der Dauerbezahnung Betrachtet man den Kariesbefall der einzelnen Zahntypen so fällt auf, das die Kariesintensität generell von den Incisiven zu den Molaren hin ansteigt. Im Oberkiefer sind die Prämolaren eher seltener betroffen, im Unterkiefer dagegen der Eckzahn und der 1. Prämolar. Die größte Kariesintensität zeigt im Oberkiefer der dritte Molar (19,5), im Unterkiefer die ersten Molaren (20,9). Wobei der I-CE Wert der ersten Unterkiefermolaren hauptsächlich durch den hohen Prozentsatz der Intravitalverluste (14,6 %) zustande kommt. In der folgenden Aufstellung wurden auch die Nichtanlage oder Retention der Zähne untersucht. So können im Oberkiefer des Individuums von 603 eine beidseitige Retention der zweiten Oberkieferincisiven beobachtet werden. Bei dem Individuum aus Grab 720 ist vermutlich der 2. Oberkieferprämolar nicht angelegt da der Milchmolar noch diesen Platz einnimmt. 25 Oberkieferweisheitszähne 89 Unterkiefer M3 sind nicht ausgebildet. Hier konnten aber nur Befunde an Kiefern genommen werden, deren Region auch erhalten war. Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 5 Tabelle 6. Kariesintensität bei den einzelnen Zahntypen der Individuen von Vösendorf (Männer und Frauen sowie rechte und linke Seite zusammengefasst). Oberkiefer Z C %C A E %E P I-CE nicht angelegt I1 I2 C P1 P2 M1 M2 M3 151 193 261 270 298 311 279 154 1 3 15 7 7 9 18 15 0,7 1,6 5,7 2,6 2,3 2,9 6,5 9,7 254 267 286 278 274 247 214 143 2 1 3 10 10 16 18 14 0,8 0,4 1,0 3,6 3,6 6,5 8,4 9,8 152 116 78 56 37 18 26 40 1,4 1,9 6,8 6,2 6,0 9,4 14,9 19,5 0 2 0 0 1 0 0 25 Unterkiefer Z C %C A E %E P I-CE nicht angelegt I1 I2 C P1 P2 M1 M2 M3 219 278 342 364 357 366 370 242 1 3 3 6 12 23 26 25 0,5 1,1 0,9 1,6 3,4 6,3 7,0 10,3 349 381 400 403 412 405 402 287 18 13 8 10 20 59 44 21 5,2 3,4 2,0 2,5 4,9 14,6 10,9 7,3 81 119 95 83 77 42 50 59 5,6 4,5 2,9 4,1 8,2 20,9 18,0 17,6 0 0 0 0 0 0 0 89 Ober- und Unterkiefer I1 I2 C P1 P2 M1 M2 M3 Z 370 471 603 634 655 677 649 396 C 2 6 18 13 19 32 44 40 %C 0,5 1,3 3,0 2,1 2,9 4,7 6,8 10,1 A 603 648 686 681 686 652 616 430 E 20 14 11 20 30 75 62 35 %E 3,3 2,2 1,6 2,9 4,4 11,5 10,1 8,1 P 233 235 173 139 114 60 76 99 I-CE 3,9 3,4 4,6 5,0 7,3 16,2 16,8 18,2 Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 6 Paradontopathien Sofern es der Erhaltungszustand zuließ wurde an den einzelnen Alveolen der Abbau des Alveolarrandes festgehalten. Das Schema nach Schulz (1988) fand hier Anwendung, wobei eine Kategorie 6 für einen kompletten Zahnausfall mit verrundeter Alveole zusätzlich eingeführt wurde. Erwartungsgemäß steigt die Anzahl der stäkeren Alveolaratrophien mit dem Lebensalter an (siehe Abbildung 1). Abbildung 1. Stärke der Alveolarathrophie in Korrelation mit dem Sterbealter. Prozentueller Anteil der Graduierung innerhalb der Altergruppen Alveolarathrophie 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 6 5 4 3 2 1 0 juvenil adult matur senil An 1991 (88,8 %) Alveolen männlicher Individuen und 2234 (88,3 %) untersuchbaren Alveolen weiblicher Individuen konnten keine pathologischen Veränderungen beobachtet werden. Bei zwölf Männern sind 20 Wurzelspitzengranulome und bei 16 Frauen 24 Wurzelspitzengranulome vorhanden gewesen. Größere, nach bukkal durchgebrochene Abszesse waren bei 24 Alveolen, von 7 Männern und 9 Frauen zu sehen. Abszesse oder Veränderungen die den gesamten Wurzelbereich eines Zahnes betroffen haben, also zum Zeitpunkt des Todes noch nicht verheilt waren konnten an 176 Alveolen festgestellt werden (30 Männer mit 84 Alveolen und 44 Frauen mit 86 betroffenen Alveolen) wobei die Zahnhalteapparate der Molaren am meisten betroffen waren; 68 bei den Männern und 65 bei den Frauen. Bei fünf weiteren Männern ist das Abszess in die Kieferhöhle durchgebrochen, bei Frauen konnte das zweimal beobachtet werden. Stärkere Leisten am Alveolarrand, die auf Umbauten durch eine Zahnfleischtasche hervorgerufen werden können sind an 129 Alveolen von 37 Männern und an 177 Alveolen von 46 Frauen festzustellen gewesen. Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 7 Zahnstein Die Beurteilung der Zahnsteinreste dieser Gruppe erwies sich als nicht sehr zielführend. In vielen Fällen konnten noch kleine Reste beurteilt werden, die Veränderungen an den Zähnen und die wenigen gut erhaltenen Skelette lassen aber auf eine viel stärkere und ausgebreitete Zahnsteinbildung bei diesen Individuen schließen. für den vorliegenden Befund sind jedoch nur die tatsächlich sichtbaren Reste beurteilt worden. So wurden nur 4655 Zähne beurteilt (73 %) Tabelle 7. Ausprägungstärke des Zahnsteines an einzelnen Zähnen nach Schultz (1988) Anzahl von Zahnstein Zahnstein 0 Summe 2702 1 1059 2 597 3 288 4 8 5 Gesamtergebnis 1 4655 Betrachtet man die einzelnen untersuchten Zähne, so fällt auf, dass im Oberkiefer der erste Molar mit 49,2 % am Häufigsten Zahnsteinreste aufwies, im Unterkiefer waren dagegen die Incisiven am meisten betroffen. Tabelle 8. Prozentsätze der Zahnsteinreste pro Zahn %pro Oberkiefer Zahngruppe I1 25,3 I2 29,3 C 33,5 P1 36,1 P2 41,4 M1 49,2 M2 43,5 M3 36,7 Unterkiefer I1 61,2 I2 58,1 C 52,0 P1 45,5 P2 48,4 M1 49,6 M2 47,2 M3 44,1 n 166 198 248 249 273 325 255 128 224 296 331 347 322 373 335 195 Schmelzhypoplasien 4391 Dauer- und Milchzähne wurden auf etwaige Schmelzhypoplasien im Streiflicht untersucht. Bei zahlreichen Zähnen war die Schmelzoberfläche allerdings so stark erodiert, dass eine Befundung nicht möglich war. An 6 Milchzähne konnte eine leichte Hypoplasie erkannt werden. Bei den 4045 untersuchten Dauerzähnen hatten 3403 (84 %) keine Schmelzveränderung. Bei 189 Zähnen (4,7 %) war ein Stadium 1 nach Schultz (1988) ausgebildet, dass laut seiner Interpretation noch nicht als Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 8 pathologisch zu werten ist. Bei 389 Zähnen (9,6 %) lag eine Stadium 2, bei 62 Zähnen (1,5 %) Stadium 3 und bei 2 Zähnen ein Stadium 4 Schmelzhypoplasie vor. Insgesamt heißt das, dass nur 11,1 % aller untersuchten Zähne eine Schmelzhypoplasie aufwiesen, die als Folge einer länger andauernden Krankheit oder eines Mangelzustandes währen der Kindheit zu deuten sind. Diese 453 Zähne mit Schmelzhypoplasien kommen bei 148 Individuen vor. Zahnengstand Zahlreiche fehlende Incisiven oder isoliert vorhandene Schneidezähne erlauben nur an 42 Oberkiefern und an 92 Unterkiefern die Beurteilung ob ein Zahneng- oder Weitstand vorliegt. Tabelle 9. Zahneng- bzw. Weitstand in der Bevölkerung von Vösendorf Normal Engstand Weitstand Summe Ok 24 12 6 42 57% 29% 14% Uk 43 42 7 92 47% 46% 8% Die überwiegende Zahl der untersuchbaren Gebisse zeigte keinerlei Fehlstellung. Ein Zahnengstand im Unterkiefer konnte jedoch fast bei der Hälfte der untersuchbaren Individuen beobachtet werde, ein Zahnweitstand kam relativ selten vor. Besonderheiten Variationen Der linke Unterkieferweisheitszahn des Individuums aus Grab 160 hat 6 Höcker ausgebildet. Rudimentierte Weisheitszähne sind dagegen bei den Individuen aus den Gräbern, 6, 76, 140, 314, 369 und 611 zu sehen. Die zweiten Oberkieferincisiven der Individuen aus Grab 596 und 566 sind stiftzahnartig umgebaut. Eine isolierte Stiftzahnanlage ist bei dem Individuum aus Grab 644 gefunden worden, die Position im Gebiss ist aber unbekannt. Die 2. Oberkieferincisiven des Individuums 293 ist dagegen tonnenförmig ausgebildet. Bei drei Individuen (aus Grab 484, 499, 511) kommen Doppelzahnbildungen an den zweiten Oberkieferincisiven vor. 28 Individuen zeigten schaufelförmige Oberkieferincisiven. Schmelzlöcher sind bei 29 Individuen beobachtet worden, Schmelzzungen bei 6 Individuen und Schmelzperlen bei acht Individuen. Da die Erosion des Zahnschmelzes bei den meisten Zähnen so stark war, das diese Details nicht überall zu befunden waren, wurde auf eine statistische Auswertung verzichtet. Auffallend in dieser Gruppe waren die extremen Zahngrößenunterschiede. Es wurde nicht absolut gemessen, aber wir haben extrem große und auffallend kleine Zähne notiert. So sind bei 7 Individuen Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 9 (Grab 177, 185, 272, 278, 451, 461, 425) auffallend große Zähne beobachtet worden. Bei 16 Individuen sind nur sehr kleine Zähne ausgebildet (11, 54, 140, 292, 369, 376, 385, 409, 422, 438, 492, 612, 627, 709, 720, o.Nr. 1). Extrem lange Wurzeln sind bei den Individuen 14 und 701 ausgebildet. Anomalien Bei Grab 600 sind 2 voll ausgebildete Zähne zusätzlich im Gaumendach vorhanden. Bei den Individuen aus Grab 452 und 634 sind die linken Oberkieferzähne im Kiefer impaktiert beim Individuum aus Grab 13 der rechte Oberkiefereckzahn. Bei Grab 603 sind die zweiten Oberkieferschneidezähne nicht angelegt, und bei Grab 535 ist der linke zweite Oberkieferprämolar nicht durchgebrochen und vermutlich im Kiefer impaktiert. Pathologien In einigen Fällen konnte trotz der starken Knochenerosion Porositäten an den Alveolen (mind. 19 Individuen) oder am Gaumendach (Grab 301, 462, 624, 638, 652) festgestellt werden. Das kann als ein Indikator für ein lokales entzündliches Geschehen gedeutet werden oder es ist ein Teil einer generalisierten Erkrankung wie z. B. bei Vit. C-Mangel. Veränderungen die auf Entzündungen im Kieferbereich hindeuten sind auch bei Individuum 574, 553 zu sehen. Degenerative Veränderungen sind vor allem im Kiefergelenk zu beobachten, z.B. bei Individuum 160, 353, 239, 355 und 628. Verdickungen der Zahnwurzeln, so genannte Hyperzementosen sind bei den Zähnen der Individuen 553 und 614 vorhanden. Traumatische Veränderungen Zahlreiche Zähne zeigen Spuren die auf einen ungewöhnlichen Gebrauch der Zähne zum Beispiel als Werkzeug schließen lassen. Das können zum einen ungewöhnliche Abrasionsmuster sein, z.B. an der Bukkalseite der Oberkieferincisiven bei den Individuen aus Grab 631 und 665; oder grubenförmig wie bei den Molaren von Individuum Grab 706. Oberkieferzähne die nach lingual auffallend stark abgekaut sind, kommen öfters vor: Individuen 89, 98, 137, 206, 343, 492, 602, 645, 665, 681. Aber auch sonst gibt es außergewöhnliche Abrasionsmuster, z.B. ist bei Individuum 175 der rechte zweite Unterkiefermolar extrem stark abgekaut, eine eigenartig kantige Abrasion der des Oberkieferschneidezahnes ist bei Individuum aus Grab 283 zu sehen, oder der Unterkiefereckzähne bei den Individuen aus den Gräbern 79 und 418. Die Gebisse der Individuen 376, 332, 468, 707 sind asymmetrische abgekaut. Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 10 Die Veränderungen die an den bukkalen Zahnhälsen der rechten Unterkiefermolaren von Individuum 497 zu sehen sind deuten auf eine Manipulation hin. Aber auch zahlreiche intra vitam Verletzungen des Zahnschmelzes sind zu beobachten (siehe Tabelle 10). Tabelle 10. Individuen mit Zahnabsplitterungen intra vitam Lokalität bis zur Wurzel abgebrochen Zahnabsplitterung nicht auf Kauebene Zahnabsplitterung mesio-lingual Zahnabsplitterung bukko-distal Zahnabsplitterung bukkal Zahnabsplitterung bukko-mesial Zahnabsplitterung distal Zahnabsplitterung lingo-distal Zahnabsplitterung Grabnr. 553 665 19 15 620 293 Geschlecht Mann Mann Mann Mann Kind indiff. 323 341 Frau Frau 375 474 Mann? Mann 642 120 65 432 376 615 645 603 332 349 351 Mann Mann Mann Mann Frau Frau Frau? Frau Mann Frau Frau 356 Frau 361 Frau 365 Kind 403 Mann 453 Mann 461 600 Mann Frau? 640 Mann Zahn 45 23 25 26 46 15 25 14 14 24 16 16 26 14 24 35 14 46 37 11 24 11 33 13 16 13 35 31 42 12 42 31 32 41 42 23 24 41 35 36 46 Fortsetzung Tabelle 10 Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 11 Lokalität Scharte an der Occlusionsfläche Grabnr. Geschlecht Zahn 645 Frau? 658 Mann 375 381 Mann? Frau 420 Frau 13 23 31 33 41 36 46 32 31 32 41 42 31 41 42 43 Bei 13 Frauen, 16 Männern, zwei Kindern und einem geschlechtsindifferenten Skelett konnten intra vitale Zahnabsplitterungen festgestellt werden. Diese sind können auch mit dem Einsatz des Gebisses als Werkzeug interpretiert werden. Es ist aber keine Geschlechtspräferenz zu beobachten. Bei den betroffenen Zahntypen sind die Unterkieferincisiven am Stärksten betroffen vor den Oberkieferprämolaren und Eckzähnen Tabelle 11. Anzahl der Zähne mit intra vitalen Zahnabsplitterungen pro Zahntyp (beide Seiten zusammengefasst) Oberkiefer Unterkiefer I1 2 10 I2 1 8 C 6 3 Pm1 8 0 Pm2 3 4 M1 5 6 M2 0 1 M3 0 0 Zusammenfassung Mit der detaillierten Untersuchung der Zähne und des Zahnhalteapparates von 377 awarenzeitlichen Individuen aus Vösendorf kann eine fundierte Auswertung des stomatologischen Gesundheitszustandes dieser Bevölkerung aufgezeigt werden. Von den 5839 untersuchbaren Zähnen hatten 183 (3,1 %) bei 61 Individuen Karieskavitäten. Sowohl die hochgerechnete Kariesfrequenz (FCE) und die Kariesintensität (I-CE) steigt wie erwartet mit dem Alter an; sie ist jedoch schon bei den jüngeren Frauen mit 43,9 bzw. 5,7 deutlich höher ausgeprägt als bei den gleichaltrigen Männern (19,9, 2,5). Die am Häufigsten betroffenen Zähne sind der dritte Oberkiefermolar und der erste Unterkiefermolar, wobei bei letzterem der intravitale Zahnverlust, der häufig durch einen Kariesbefall ausgelöst wird in diese Berechnung mit eingegangen ist. 54 (39,1 %) Männer und 71 (52,2 %) Frauen zeigten sichtbare Abszessgeschehen im Zahnwurzelbereich. Obwohl die Erhaltung der Zähne relativ schlecht ist, können noch zahlreiche Zahnsteinreste beobachtet werden. Im Oberkiefer zeigten die ersten Molaren und im Unterkiefer die Schneidezähne die deutlichsten Zahnsteinreste. Nur 11,1 % der Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 12 untersuchten Zähne wiesen Schmelzhypoplasien auf, wobei die Ausprägung meist als leicht zu bezeichnen ist; die Zähne stammten von 148 Individuen (39,3 %). Als außergewöhnliche Variation kommen Doppelzahnbildungen der zweiten Inzisiven bei drei Individuen vor, die vermutlich auf eine verwandtschaftliche Beziehung hindeuten. Verwendete Literatur GREFEN-PETERS, S. (1987): Das awarische Gräberfeld von Leobersdorf, N.Ö. – In: DAIM, F. (Hrsg.): Das awarische Gräberfeld von Leobersdorf, N.Ö., Studien zur Archäologie der Awaren 3, Bd. 2. 470 Seiten. SCHULTZ, M. (1988): Paläopathologische Diagnostik. In: KNUßMANN, R., (Hrsg.) Anthropologie — Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen. Band I/1: 480–495. STLOUKAL, M. & HANÁKOVÁ, H. (1966): Anthropologie der Slawen aus dem Gräberfeld von Nové Zámky. – Slovenská Archeológia, 14/1: 167–204. [ zitiert in GREFEN-PETERS (1987)] Anhang 1 zu Pany-Kucera, D. & Wiltschke-Schrotta, K. (2017): Die awarische Bevölkerung von Vösendorf/S1. Annalen des Naturhistorischen Museums in Wien, Seria A, 119: 5–31. 13