Winde : Strömungen in der Atmosphäre - E

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Winde : Strömungen in der Atmosphäre
Autor(en):
Capaul, Urs
Objekttyp:
Article
Zeitschrift:
Neujahrsblatt der Naturforschenden Gesellschaft Schaffhausen
Band (Jahr): 64 (2012)
PDF erstellt am:
21.10.2017
Persistenter Link: http://doi.org/10.5169/seals-584683
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7.
Winde - Strömungen in der Atmosphäre
7.1
Troposphäre
- die Wetterschicht
Die Troposphäre (griechisch: tropf Wendung, Kehre und jpAtt'ra Kugel)
ist die unterste Schicht der Atmosphäre; sie reicht vom Erdboden bis zur
Tropopause. Die Höhenlage der Tropopause ist abhängig von der Jahreszeit
und von der geographischen Breite: An den Polen und im Winter liegt sie
tiefer als am Äquator und im Sommer (über Mitteleuropa liegt sie etwa auf
11 000 Meter Höhe). In der Troposphäre sind etwa 90 Prozent der gesamten
Luft sowie fast der gesamte Wasserdampf der Erdatmosphäre enthalten. Diese
Luftschicht wird nur in geringem Masse direkt durch die Sonnenstrahlen
erwärmt, sondern die Erwärmung erfolgt hauptsächlich von unten durch
Wärmeabstrahlungen des Erdbodens. Deshalb sinken die Temperaturen vom
Erdboden bis zur Tropopause ab, darüber nehmen sie wieder zu. Es handelt
sich um eine dauernde Temperaturumkehr
Inversion), weshalb dieTropopause auch als Temperaturumkehrschicht bezeichnet wird.
Da sich in der Troposphäre der Grossteil des Wetters abspielt, ist sie die
eigentliche Wetterschicht des Planeten. Sie wird unterteilt in die^/VAtmo.spÄ«r (ab ca. 1 000 Meter) und in die p/zzzzftarf GVfzzzrcÄzc/tf (Erdboden bis
ca. 1 000 Meter, sie kann je nach Jahreszeit und geographischer Breite auch
höher reichen). In deryf<?zV« AtzwotpÄzrf weht der Wind weitgehend unbeeinflusst von der Oberflächenbeschaffenheit des Erdbodens; er ist eine Folge der
Druckgradientkraft und der Erdrotation. Im geostrophischen Gleichgewicht
weht der Wind parallel zu den Isobaren
Linien mit gleichem Druck). Die
Windgeschwindigkeit ist dabei umgekehrt proportional dem Abstand der
Isobaren: Ein weiter Abstand der Isobaren bedeutet niedrige Windgeschwindigkeiten und umgekehrt. Der Wind in der freien Atmosphäre wird als geostrophischer Wind bezeichnet. Er beeinflusst die Winde in der darunter liegenden planetaren Grenzschicht.
Grmzrc/zz'zAt ist nicht homogen aufgebaut. Vielmehr weist
Die
sie drei unterschiedlich mächtige Schichten mit typischen Windverhältnissen
auf:
38
—
—
—
Unmittelbar am Erdboden befindet sich eine nur wenige Millimeter dicke
Schicht mit Windstille.
Darüber liegt die bodennahe Grenzschicht (oder Prandtl-Schicht). Sie
reicht bis in eine Höhe von etwa 100 bis 150 Metern über Grund und ist
gekennzeichnet durch hohe Turbulenzen. Die Windrichtung ist trotz der
Erdrotation höhenkonstant, das heisst, trotz zunehmender Höhe erfolgt
keine Richtungsänderung des Windes.
Uber der Prandtl-Schicht liegt die sogenannte Ekman-Schicht. Sie reicht
bis auf etwa 1 000 bis 1 500 Meter Höhe über Grund. In ihr herrschen
weitgehend laminare Windverhältnisse. In der Ekman-Schicht lässt sich
eine Rechtsdrehung der Windrichtung beobachten, die Windgeschwindigkeitszunahme ist jedoch geringer als in der Prandtl-Schicht.
Generell nehmen die Windgeschwindigkeiten in der planetaren Grenzschicht von der Erdoberfläche mit der Höhe zu (vgl. Abbildung 1).
7.2
Thermische Windsysteme
Winde (vom Althochdeutschen «wint») sind eine gerichtete Bewegung von
Luftmassen in der Atmosphäre. Es ist ein physikalischer Vorgang. Die HauptUrsache der Winde liegt vor allem in den Luftdruckunterschieden und folglieh in einer unterschiedlichen Erwärmung der Erdoberfläche. Erhöht sich
zum Beispiel die Temperatur eines Luftpaketes über einer trockenen Ackerfläche, wird es wärmer und ist daher leichter als die umgebende Luft. Es bildet
sich kleinräumig ein Gebiet mit reduziertem Luftdruck. Das erwärmte Luftpaket beginnt aufzusteigen, wobei es sich beim Aufstieg ausdehnt und sich
dabei pro 100 Meter um 1 Grad
trockenadiabatischer Temperaturgradient) abkühlt. Die Luftblase steigt so lange weiter auf, bis sie die gleiche Temperatur wie die Umgebung erreicht hat (Abbildung 1). Solche Verhältnisse
der Atmosphäre bezeichnet man als labil oder instabil. Wenn sich die Luft
über der Bodenoberfläche über eine längere Zeit erwärmt, steigt nicht nur ein
einzelnes Luftpaket auf, sondern es bildet sich ein Luftstrom vom Boden in
die Höhe. Der thermische Aufwind wird von Segelflugpiloten und von Vögeln gesucht, denn er kann sie in grosse Höhen tragen. Thermische Aufwinde
entstehen auch über Städten, da sich einerseits die Baukörper (z. B. Asphaltund Betonflächen) stärker erhitzen als Grünflächen und anderseits die
menschlichen Aktivitäten (z. B. Abwärme von Heizung und Verbrennungs39
motoren) für zusätzliche Wärmeabgaben an die Atmosphäre sorgen. Die
Stadt ist folglich gegenüber dem Umland eine Wärmeinsel mit aufsteigenden
Luftmassen. Der durch die aufsteigenden Luftmassen geringere Luftdruck
über der Stadt lässt sogenannte Flurwinde entstehen, die von aussen hereinströmen. Diese Flurwinde sorgen für Erfrischung und die Zufuhr von sauberer Luft, sofern die notwendigen Frischluftschneisen vorhanden sind. Erreicht
aufsteigende Luft ihren Taupunkt, kondensiert sie und der Wasserdampf wird
als Wolke sichtbar. Bei der Kondensation des Wassers wird latente Wärme
freigesetzt, so dass der Temperaturgradient nun kleiner ist als bei der trockenadiabatischen Abkühlung. Der feuchtadiabatische Temperaturgradient
beträgt daher im Mittel nur noch 0,5 Grad pro 100 Meter.
Ist das Luftpaket kälter als die umgebende Luft, so ist es schwerer und
sinkt deshalb ab. In der Natur lässt sich dies etwa im Gebirge oder in Hügelgebieten sehr gut beobachten. Nach Sonnenuntergang kühlt sich die Luff
durch die stärkere Ausstrahlung über den Gipfeln und Hochebenen schneller
ab als die Luft in den Tälern. Die nun kühlere, dichtere und schwerere Luft
strömt die Hänge hinab und sorgt für frische Luft im Tal. In Schafihausen ist
dies etwa im Mühlental zu beobachten, wo nachts kühlere Luftmassen von
den Randenhöhen im Talgrund in Richtung Schaffhauser Altstadt fhessen.
Temperaturabnahme mit zunehmender Höhe in ungesättigter Luft (links) und Windzunahme
mit der Höhe in der planetaren Grenzschicht (rechts).
1
40
7.3
Wechselhafte Westwindzone mit dynamischen Druckgebieten
Oft sind die Windsysteme
an einem bestimmten Standort nicht so klar erkennbar wie geschildert, denn die verschiedenen Systeme können sich überlagern. Zu den beschriebenen Lokalwindsystemen kommen noch die überre-
gionalen Windsysteme, die Hauptwindrichtungen. Darunter versteht man
die Windrichtung, aus der die Winde am meisten wehen. Schaffhausen liegt
in der sogenannten Westwindzone. Mit Westwindzone wird das Gebiet zwisehen den subtropischen und polaren Hochdruckgebieten bezeichnet; es lässt
sich als Gürtel durch alle Kontinente der Nordhalbkugel verfolgen. Polarwärts wird die Zone durch die Polarfront begrenzt und in Richtung Äquator
durch die Subtropenfront. Im Gebiet der Westwindzone trifft kalte Polarluft
auf die warme Tropikluft vom Äquator in der sogenannten Frontalzone. Die
seitlichen Schwingungen und Wellenbewegungen der Frontalzone erzeugen
Störungen (vgl. Abbildung 3). Die Winde werden aus ihrer isobarenparallelen Richtung hinausgedrängt. Wo Luft weggenommen wird, sinkt der Luftdruck und es entsteht ein Tiefdruckgebiet. Wo Luft zusammenströmt, steigt
der Druck und es entsteht ein Hochdruckgebiet. Die Atmosphäre versucht
diese Druckunterschiede auszugleichen. Das Hoch (Antizyklon) drückt Luftmassen vor allem nach unten, das Tiefdruckgebiet (Zyklon) saugt Luft vor
allem aus unteren Luftschichten an (hierzu Abbildung 2.). Die so entständenen Druckgebilde werden als dynamische Hoch- und Tiefdruckgebiete bezeichnet. Im Gegensatz zur thermischen Zirkulation sind die dynamischen
Druckgebilde am Boden und in der Höhe einheitlich. Der Durchzug der
dynamischen Tiefdruckgebiete ist das augenfälligste der Westwindzone.
In grosser Höhe strömt Luft ins Hochdruckgebiet ein
Am Boden fliesst Luft aus dem Hochdruckgebiet ab.
2
rot
In grosser Höhe fliesst Luft aus dem Tiefdruckgebiet ab.
Am Boden fliesst Luft ins Tiefdruckgebiet hinein.
Unterschied zwischen Hochdruck- H und Tiefdruck-Wirbel (T)
warme Luftmassen, blau kalte Luftmassen
41
N
kalt
Störungsimpuls: Front mit entgegengesetzter Luftströmung: Im Norden befinden sich kalte Luftmassen,
im Süden warme.
warm
S
Kindheit: Kalte Luft (Kaltfront
blau) wird nach Süden abgedrängt,
warme Luft (Warmfront rot) gleitet
nach Norden.
Jugend: Es bildet sich ein Wirbel, der je
nach Temperaturunterschied und Feuch-
tigkeitsgehalt der beteiligten Luftmassen
bis zu einem Durchmesser von 3000 bis
4000 km anwächst. Der Wirbel bewegt
sich ostwärts, zuerst die Warmfront, dann
der Warmluftsektor, gefolgt von der Kalt-
front und dem Rückfrontenwetter.
Reife: Da die Warmfront langsam auf
kalte Luff aufgleiten muss (warme Luft
ist leichter als kalte Luff), ist sie langsamer als die kältere, schwerere Luft. So
kann die Kaltfront die Warmfront einholen und beide vereinen sich zu einer
Okklusion. Dabei verschwindet mehr
und mehr der Warmluftsektor.
3
42
Entstehung eines dynamischen Tiefdruckgebietes (Schwarze Linien
Isobaren)
Ein Tiefdruckgebiet kann man sich auch als «Lufttal» vorstellen, während
das Hoch einen «Lufthügel» darstellt. Die Luft versucht, die «landschaftlichen» Unebenheiten auszugleichen, indem sie vom Hoch zum Tief abgleitet.
Auf der Nordhalbkugel wird diese Luftbewegung wegen der Corioliskraft
nach rechts abgelenkt. Darum umströmt die vom Hoch abfliessende Luft das
Hoch im Uhrzeigersinn und das Tief anschliessend entgegen dem Uhrzeigersinn. Im Tief herrscht grundsätzlich eine Aufwärtsbewegung der Luftmassen
Grenzschicht zwischen
vor. Diese Aufwärtsbewegung führt an den Fronten
verschieden warmen Luftmassen) zu "Wolkenbildungen und Niederschlägen.
An der Warmfront gleiten wärmere Luftmassen auf die vor ihnen liegenden
schwereren kalten Luftmassen auf. Das Aufgleiten ist mit einer typischen Abfolge von Wolkenbildern verbunden: Zuerst die Cirruswolken (Federwolken), gefolgt von Cirrostratus-, Altostratus- und dann den Nimbostratuswolken. Wenn Altostratus-Wolken den ganzen Himmel in einer eintönig grauen
Schicht bedecken, kann bereits ein leichter Niederschlag fallen. Es ist der
Beginn eines lang anhaltenden Landregens. Der Luftdruck ist vor der Warmfront leicht fallend und dahinter stärker fallend. Die Windrichtung dreht sich
nach dem Warmfrontendurchgang spürbar nach rechts, also zum Beispiel von
Südwest nach West. Beim Durchgang der Kaltfront stossen kalte Luftmassen
auf wärmere Luft, was sich oft sehr gut beobachten lässt. Etwas abgekühlter
Wind und Cumulonimbuswolken (Quellwolken) kündigen die Kaltfront an.
Hohe Wolken
(Cirro)
Mittelhohe Wolken
(Alto)
Tiefe Wolken
Wolkenarten. Für tiefe Wolken gibt es keine einheitliche Bezeichnung. Stratus-Wolken sind
Schichtwolken, Cumulus-Wolken sind Haufenwolken und Nimbus-Wolken besitzen eine grosse
vertikale Ausdehnung. (Bild: Jfornech, http://de.wikipedia.org/wiki/Wolke)
4
43
Die Temperatur sinkt beim Durchgang um mehrere Grade ab. Nach dem
Durchgang der Kaltfront nimmt der Luftdruck wieder zu, und unter dem
Einfluss der vom Regen noch feuchten Böden führt die Sonneneinstrahlung
zu Cumuluswolken mit typischen Schauern, dem so genannten Rückseitenwetter. Hinter der Kaltfront klart der Himmel meist rasch auf, der Wind
dreht sich zum Beispiel von West nach Nordwest.
Aufmarsch einer Kaltfront. Die verstärkte vertikale Luftbewegung führt zu Quellwolken, häufig
verbunden mit schauerartigen Niederschlägen oder Gewittern (Kaltfrontgewitter).
5
(Bild: Andreas Berger, Planungs- und Naturschutzamt Kanton Schaffhausen)
6 Kondensationsstreifen von Flugzeugen
sind nichts anderes als Eiswolken. Da die
Flugzeugabgase aus Wasserdampf und Kondensationskernen bestehen, können sich in
Umgebungstemperaturen von -40 bis -60 °C
Eiskristalle bilden. Durch Diffusionsprozesse
und Turbulenzen werden die Streifen nach und
nach flächenmässig ausgedehnt. Die jüngsten
Kondensationsstreifen sind folglich dünn und
klar definiert, die älteren sind verschwommen
und gleichen Cirrus-Wolken.
(Bild: Andreas Berger, Planungs- und Naturschutzamt
Kanton Schaffhausen)
44
Druckverteilung über Europa,
umgerechnet auf Meeresniveau («Normalnull»).
7
(Bild: http://www.top-wetter.de/themen/
hochdruckgebiete.shtml)
Der Durchzug der dynamischen Tiefdruckgebiete bringt unserer Region
Niederschlag und wechselnde Windstärken und -richtungen. Tiefdruckgebiete kommen selten allein und wandern fast wie im Gänsemarsch hintereinander her, wobei sie dann bevorzugt dieselben Zugstrassen benutzen, so dass
nach kurzem Zwischenhocheinfluss sehr schnell die Warmfront des nächsten
Tiefs auf die kalte Rückseite des letzten Tiefs aufgleitet. Die Westwindzone
weist ein gemässigtes Gesamtklima auf, das von Jahreszeiten und einem ständigen Wechsel zwischen Niederschlag und Trockenheit sowie zwischen Kälte
und Wärme gekennzeichnet ist.
7.4
Der Einfluss der Topographie
Die grossräumige Luftdruckverteilung bestimmt die vorherrschende Riehtung des Höhenwindes in einer Region. Wie erwähnt liegt die Schweiz im
Westwindgürtel. In Höhen von etwa 1000 Metern und mehr über Grund
weht der Wind nahezu isobarenparallel. Seine Geschwindigkeit ist dort nur
abhängig von den horizontalen Luftdruckunterschieden. Mit Annäherung an
den Erdboden nimmt der Einfluss der Reibungskraft immer mehr zu, so dass
eine Verringerung der Windgeschwindigkeit erfolgt. Direkt an der Erdoberfläche ist die Geschwindigkeit null. In flachem, ebenem Gelände oder über
grösseren Wasserflächen weht der Wind nahezu ungestört. Im topographisch
gegliederten Gelände gibt es aber eine Reihe von Faktoren, welche sich auf
das Windfeld auswirken: Die Luftmassen werden abgelenkt oder kanalisiert,
die Windgeschwindigkeit wird durch Effekte der Windabschattung oder Düsenwirkung beeinflusst. Bei windschwachem und wolkenarmem Wetter entstehen wegen der unterschiedlichen Erwärmung und Abkühlung der Erdoberfläche lokale thermische Windsysteme wie beispielsweise Land- und
45
Seewinde, Flurwinde oder Berg- und Talwinde (Abbildung 8). Die genannten
lokalen Windsysteme lassen sich an einem Standort durch Messungen nachweisen. Tallagen führen in der Regel zu einer Verringerung der mittleren
Windgeschwindigkeit, während bei Kuppenlagen, Höhenrücken oder Berggipfel die durchschnittlichen Windgeschwindigkeiten gegenüber der Umgebung erhöht sind. Solche Lagen mit erhöhten Windgeschwindigkeiten sind
für die energetische Nutzung des Windes von besonderem Interesse (vgl. Beitrag Windenergie). Bei der Überquerung eines Gebirges entsteht im Lee ein
Fallwind, der als Föhn bezeichnet wird (hierzu Abschnitt 7.5.2).
Talwind: In den frühen Morgenstunden werden zuerst die Gipfel und
Talhänge erwärmt. Da über den Gipfein Wärme abgestrahlt wird, bilden
sich hier Tiefdruckgebiete. Der entstehende Talwind ist am späteren
Nachmittag am stärksten.
8
Bergwind: Über den Bergen und
Hängen kühlt sich die Luft in der
Nacht schneller ab als im Flachland.
Diese kühlere Luft strömt als Bergwind hinaus ins Flachland.
Berg- und Talwinde sind lokale Windsysteme
7.5
Spezielle Winde
7.5.1
Bise: im Sommer schön,
im Winter Nebel
Die Bise ist ein kalter, trockener Wind aus Nordosten, der durch das Schweizer Mittelland weht und kalte Kontinentalluft mit sich führt. Unter dem Einfluss des Warmlufthochs nördlich der Schweiz herrscht bei Bise im Sommer
grundsätzlich sonniges Wetter, da die Polarfront durch das Hoch gegen Skan46
dinavien abgedrängt wird. Im Winter kann die Bise jedoch auch feucht und
kalt sein, weil ihre Luftmassen in Osteuropa Feuchte aufnehmen können. Im
schweizerischen Mittelland ist die winterliche Bise daher nicht selten mit InVersionen und Hochnebel verbunden. Die Stärke der Bise bestimmt dabei
direkt die Fiochnebelobergrenze. Bei sehr schwacher Bise liegt sie bei etwa
800 Metern, mit zunehmender Bise kann die Obergrenze im Extremfall bis
gegen 2000 Meter ansteigen. Die Bise wird im westlichen Mittelland zwisehen Voralpen und Jura zusammengepresst, wodurch sie sich verstärkt und
am westlichen Genferseeufer ihren Höhepunkt erreicht. Die Stärke einer solchen Bisenlage kann man über die Druckdifferenz zwischen Genf und Güttingen (TG) am Bodensee ermitteln. Bise entsteht, sobald in Güttingen ein
höherer Luftdruck als in Genf herrscht. Je grösser diese Druckdifferenz, desto
stärker weht die Bise durch das Mittelland. Liegt der Luftdruck in Güttingen
tiefer als in Genf, weht ein Südwestwind durchs schweizerische Mittelland.
7.5.2
Süd- und Nordföhn
Unter Föhn wird eine Windströmung verstanden, die quer zum Gebirge verläuft. Auf der Luvseite, also vor dem Gebirge, führt die feuchtadiabatisch
aufsteigende Luft zu Steigungsregen, auf der Leeseite wird die herabströmende Luft deutlich erwärmt und ausgetrocknet. Die Ausbildung einer Föhnwetterlage erkennt der Meteorologe schon, wenn sich auf der einen Seite der
Alpen ein Hochdruckgebiet und auf der andern Seite ein Tiefdruckgebiet
befindet. Die Druckdifferenz zwischen Zürich und Lugano gibt an, welche
Windverhältnisse über den Alpen zu erwarten sind. Hat Zürich den tieferen
Druck als Lugano, so kann mit einem Südföhn über den Alpen gerechnet
werden. Im umgekehrten Fall stellt sich ein Nordföhn ein. Je grösser die
Druckdifferenzen, desto stärker sind die Föhnwinde. Damit der Föhn bis in
die Alpentäler durchgreift, muss die Druckdifferenz im Mittel mindestens
4 hPa betragen, und bei einer Druckdifferenz von mehr als 8 hPa schaffen es
die Föhnwinde meist bis ins angrenzende Flachland. Bei Föhn sieht man
meist eine Wolkenwand am Gipfel stehen (Föhnmauer). Obwohl man den
Wind spürt, scheinen die Wolken sich nicht zu verlagern. Nach dieser
Wolkenwand können linsenförmige Lenticulariswolken («Föhnfische») entstehen, die sehr standortstabil sind. Sie befinden sich immer in relativ geringer Entfernung zum Gipfel, immer auf der Leeseite des Gebirges und sind
eine Folge einer wellenförmigen Luftbewegung. Dabei steigt die Luft an den
47
Wellenkämmen auf und sinkt in den Wellentälern ab. Beim Aufsteigen kühlt
sie sich genügend ab, um eine Wolkenbildung zu ermöglichen, im Wellental
verdunstet die Wolke dann wieder (Abbildung 9).
Bei Föhnlagen lassen sich zwei Besonderheiten beobachten: Aufgrund der
aerosolarmen Luftmassen besteht eine ausgeprägte Fernsicht und wegen der
Ablenkung des Lichtes als Folge der abnehmenden Dichte und Brechzahl mit
zunehmender Höhe erscheinen Objekte grösser und näher. Der Südföhn
bringt für die Region Schaffhausen starke Aufhellungen mit guter Sicht und
erhöhter Turbulenz, bei Nordföhn sind Bedeckung und Niederschläge insbesondere am Alpennordhang zu erwarten.
+ m
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Lenticularis-Wolken
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Kondensationsniveau
16JL °_C,-3
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Lee
Entstehung des Föhns. Beim Aufsteigen eines Luftpaketes kühlt es sich pro 100 m HöhendifFerenz um 1 °C ab (trockenadiabatisch). Kältere Luft kann jedoch nicht so viel Wasserdampf aufnehmen wie wärmere, so dass beim weiteren Aufstieg an einem Punkt der Wasserdampf kondensiert,
sich also Wolken bilden. Der überschüssige Wasserdampf fällt dann als Niederschlag aus. Dabei
wird die sogenannte latente Wärme freigesetzt. Deshalb kühlt sich das aufsteigende Luftpaket nur
noch um etwa 0,5 °C pro 100 m ab (feuchtadiabatisch). Auf der Leeseite strömen die Luftmassen
als Fallwind ins Tal und erwärmen sich dabei. (Quelle: http://www.m-forkel.de/klima/foehn.html)
9
7.5.3
Böen bei Gewittern
Grundsätzlich gibt es zwei Arten von Gewittern: Kaltfrontgewitter und Wärmegewitter. Das Kaltfrontgewitter bildet sich beim Zusammentreffen feuchter
Warmluft mit einer Kaltfront (hierzu Abschnitt 7.3). Das Wärmegewitter entsteht bei intensiver Sonneneinstrahlung, bei einer ausgeprägten Labilität der
Atmosphäre und eine Folge davon durch das schnelle Aufsteigen von feucht-
-
48
-
warmen Luftpaketen in grosse und
kalte Höhen. Wärmegewitter treten
daher am häufigsten an unangenehm
schwülen und heissen Tagen auf. Die
Gewitterentstehung wird durch Geländegegebenheiten beeinflusst und begünstigt. Dabei kommt es zu sehr
böigen Luftströmungen und Verwirbelungen. Durch die KondensationswärEnergiefreisetzung bei der Bilme
dung von Wassertröpfchen) kühlt sich
das aufsteigende Luftpaket jedoch weniger schnell ab als die umgebende
Luft. Dadurch wird es im Vergleich
noch wärmer und aufgrund der Dichteabnahme leichter als die Umgebungsluft, so dass der Auftrieb verstärkt wird.
Es entstehen kräftige Aufwinde bis in
Höhen von über 10 Kilometer. Dort
gefriert das vorhandene Wasser zu kleinen Eiskristallen, die wegen auf- und
absteigenden Winden immer wieder
schmelzen und gefrieren. Die Eiskristalle oder Wassertropfen können durch
Zusammenstösse wachsen, bis die
Tropfen oder Eiskristalle aufgrund des
Gewichtes als Regentropfen oder Hagelkörner zu Boden fallen. Im ausgewachsenen Stadium kann die Gewitterwolke massive Schauer oder Hagel
mit sich bringen. Unterhalb der Gewitterwolken und in ihnen können starke
Winde mit vertikalen Geschwindigkeiten bis zu 120 km/h auftreten. Aufund Abwinde liegen in der Wolke dicht
beieinander. Wegen der Turbulenzen
sind Gewitterwolken selbst für grosse
Flugzeuge gefährlich.
10
Gewitterwolken heissen fachspezifisch
Cumulonimbus-Wolken. Gewitterwolken sind
Konvektionswolken mit grosser vertikaler
Ausdehnung (bis zur Tropopause). Innerhalb
der Wolke ist eine kräftige Aufwärtsströmung
vorhanden. Gleichzeitig entstehen durch die
Kollision zwischen Wasser- und Eisteilchen
unterschiedliche Ladungen. Im oberen Teil der
Gewitterwolke sammelt sich die positive Ladung, die Wolkenbasis ist meist negativ geladen.
(Bild: Andreas Berger, Planungs- und Naturschutzamt
Kanton Schaffhausen)
49
7.6
Vom leisen Windzug bis zum Orkan
7.6.1
Beschreibung der Windstärken nach Beaufort
Die Luft ist fast immer in Bewegung. Luftteilchen fliessen vom höheren Luftdruck (Hochdruckgebiet) in das Gebiet mit dem niedrigeren Luftdruck (Tiefdruckgebiet), und zwar so lange, bis der Luftdruck ausgeglichen ist. Je grösser
der Unterschied zwischen Hoch- und Tiefdruck, umso stärker strömen die
Luftmassen in das Gebiet mit dem niedrigeren Luftdruck und umso stärker ist
der resultierende Wind. Angaben zum Wind betreffen einerseits die Windrichtung, anderseits die Windstärke bzw. die Windgeschwindigkeit.
Beim Anstieg vom Boden in die Höhe sind wesentliche Änderungen des
Windes feststellbar. In der Troposphäre nimmt die Windgeschwindigkeit mit
der Höhe zu. Dies lässt sich leicht überprüfen, wenn ein frei stehender Aussichtsturm bestiegen wird: Der Wind wird am Boden durch Reibung verlangsamt. Die Verlangsamung ist abhängig von der Temperaturschichtung. In labi1er Luft dringen die starken Strömungen bis zum Boden vor und erhöhen dort
die Windgeschwindigkeit. Dies ist etwa an sonnigen und gewitterhaften Tagen
der Fall. Bei stabiler Schichtung bleibt die rasch strömende Luft in der Höhe,
während am Boden nur schwache oder keine Winde herrschen, etwa bei Nebelsituationen. Bei gleichen Lufttemperaturen wird die Kälte an windigen Stellen viel stärker wahrgenommen als in einem windgeschützten Winkel. Temperaturen von einigen Grad unter dem Gefrierpunkt mögen bei Windstille
erträglich sein, bei starkem Wind wird dieselbe Kälte als beissend empfunden.
Nicht immer steht ein Windmessgerät (Anemometer) zur Verfügung. Zur
Beschreibung der Windgeschwindigkeit wird daher auf die Beaufort-Skala
zurückgegriffen. Diese Skala «misst» die Windgeschwindigkeit unter Berücksichtigung von phänomenologischen Kriterien. Sie wird in 12 Stärkegrade
unterteilt. Der Admiral Sir Francis Beaufort (1774 1857) entwickelte die
Skala speziell für die Segelschifffahrt. Als Anhaltspunkte dienten das Aussehen und Verhalten von Wellen und Segelschiffen bei verschiedenen Windgeschwindigkeiten. Heute bezieht man sich eher auf die Beschreibung von AusWirkungen an Land wie etwa das Verhalten von Rauch oder der Bäume.
-
50
Stärke
Geschwin- Beschreibung
Wirkung
nach
digkeit
in km/h
Seegang
Beaufort
0
0-2
Windstille
völlig ruhige,
glatte
See
Wirkung an Land
keine Luftbewegung, Rauch steigt senkrecht empor
1
2-5
sehr leichter Zug
ruhige,
gekräuselte See
kaum merklich, Rauch treibt leicht ab,
Windflügel und Windfahnen unbewegt
2
6-11
leichte Brise
schwach
Blätter rascheln, Wind im Gesicht spürbar
bewegte See
3
12-
19
schwache Brise
schwach
bewegte See
4
20-28
massige Brise
leicht
bewegte See
5
29-38
frische Brise
Blätter und dünne Zweige bewegen sich,
Wimpel werden gestreckt
Zweige bewegen sich, loses Papier wird
vom Boden gehoben
mässig
bewegte See
grössere Zweige und Bäume bewegen sich,
Wind deutlich hörbar
6
39-49
starker Wind
grobe See
dicke Aste bewegen sich, hörbares Pfeifen
an Drahtseilen, in Telefonleitungen
7
50-61
steifer Wind
sehr grobe See
Bäume schwanken, Widerstand beim
Gehen gegen den Wind
8
62-74
stürmischer Wind
mässig
grosse Bäume werden bewegt, Fensterlä-
hohe See
den werden geöffnet, Zweige brechen von
Bäumen, beim Gehen erhebliche
hohe See
Äste brechen, kleinere Schäden an
Häusern, Ziegel und Rauchhauben
Behinderung
9
75-88
Sturm
werden von Dächern gehoben, Gartenmöbei werden umgeworfen und verweht,
beim Gehen erhebliche Behinderung
10
89-102
schwerer Sturm
sehr
hohe See
Bäume werden entwurzelt, Baumstämme
brechen, Gartenmöbel werden weggeweht,
größere Schäden an Häusern; selten im
Landesinneren
11
103-
117
orkanartiger
Sturm
schwere See
heftige Böen, schwere Sturmschäden,
schwere Schäden an Wäldern (Windbruch), Dächer werden abgedeckt, Autos
werden aus der Spur geworfen, dicke
Mauern werden beschädigt, Gehen ist
unmöglich; sehr selten im Landesinneren
12
> 117
Orkan
aussergewöhnlieh schwere See
schwerste Sturmschäden und Verwüstungen; sehr selten im Landesinneren
Windstärken nach Beaufort
51
Die Nebelbank über dem Rhein (Blick von Buchthalen in Richtung Feuerthalen) ist die
Folge einer nächtlichen Inversion aufgrund der Zufuhr von kühlerer Luft; sie löst sich in
der Regel im Verlauf des Morgens auf. Innerhalb des Nebels entstehen zauberhafte Stimmungen.
11
(Bild oben: Urs Capaul; Bild unten: Monika Wegener, Städtische Werke Schaffhausen)
52
7.6.2
Schwachwindlagen
Bei Wetterlagen mit geringen Luftdruckunterschieden findet nur wenig Luftbewegung statt. Schwachwindlagen (Windstärken von 0 und 1 Beaufort)
sind selten und entstehen am ehesten während einer stabilen winterlichen
Hochdrucklage. Während Schwachwindlagen kommt es an exponierten Stellen häufig zu Nebelbildungen. Dies geschieht wie folgt: Infolge der nächtlichen Ausstrahlung kühlt sich die Erdoberfläche ab, und dadurch wird auch
die darüber liegende Luftschicht abgekühlt. Höhere Luftschichten werden
davon aber nur verzögert oder gar nicht erfasst, so dass die Temperatur mit
der Höhe vom Erdboden zunimmt. Bei solchen Inversionen
Temperaturumkehr) ist bei Schwachwindlagen ein turbulenter Luftaustausch mit der
warmen Luft in der Höhe unterbunden. Durch Kondensation des Wasserdampfes über dem ausgekühlten Boden entstehen Nebel. Diese Bodennebel
über Wiesen oder Schneefeldern sind bei Strahlungsinversionen also meist
das Resultat einer negativen Strahlungsbilanz. In Tälern sind die Inversionen
hingegen oft das Resultat von absinkenden Luftmassen. Die Obergrenze des
Nebels über solchen Kaltluftseen in Tallagen ist häufig leicht gewölbt, eine
Folge der abfliessenden Hangwinde. Typisch für Schaffhausen sind die Nebelbänke über dem Rhein.
7.6.3
Ein Orkan namens Lothar
Wenn die Temperaturunterschiede zwischen Polarregion und dem Süden besonders gross sind, können stark erhöhte Windgeschwindigkeiten auftreten. Dies ist
in Mitteleuropa vor allem im Herbst und im Winter der Fall. Zwar sind auf dem
Festland ausser auf exponierten Berggipfeln und in Küstengebieten Winde mit
Orkanstärke wegen der erhöhten Bodenrauigkeit sehr selten. Da sich in den
letzten Jahren die Luftdruckwerte geändert haben, ziehen aber vermehrt starke
Stürme auf einer nördlicheren Bahn als in der Vergangenheit über Europa und
auch über die Schweiz. Nicht nur die Zahl, sondern auch die Gewalt der Winterstürme hat in den letzten Jahrzehnten zugenommen und die Schäden sind
grösser geworden. Die Häufung der starken Winterstürme könnte bereits eine
Folge des laufenden Klimawandels sein. Orkane können massive Verwüstungen
mit hohen Kostenfolgen verursachen. Als Orkan wird jeder Sturm bezeichnet,
der auf der Beaufort-Windstärkeskala den Höchstwert 12 erreicht. Bekannte
Orkane mit enormen Schäden waren etwa «Vivian», «Wiebke» oder «Lothar».
53
Lothar wütete in der Schweiz am Stephanstag kurz vor dem MillenniumWechsel, also am 26.12.1999. Noch nie hatte in der Schweiz eine zyklonale
Urgewalt solch massive Schäden im Umfang von fast 1,8 Milliarden Franken
verursacht. Am stärksten betroffen waren der Wald und die Gebäude. Allein im
Kanton Schaffhausen betrug die Sturmholzmenge das l,2fache einer durchschnittlichen Jahresnutzung an Holz. Daneben fielen erhebliche Folgekosten
an: Weil viele Schutzwälder ihre Schutzfunktion teilweise verloren, mussten
Verbauungen erstellt werden. Die von den Holztransporten stark beanspruchten Waldstrassen mussten repariert werden. 14 Menschen fielen dem Orkan
zum Opfer, mindestens 15 starben bei den nachträglichen Räumungsarbeiten.
Die Kaltfront des Orkans Lothar erfasste die Schweiz ca. um 10.00 Uhr im
Bereich des Neuenburger Juras. Keilförmig ausgeprägt überquerte sie den Jura
und stiess mit einer Geschwindigkeit von rund 150 km/h immer noch keilförmig gegen Osten in Richtung Zentralschweiz vor. Dort stiess Lothar auf eine
heftige Föhnströmung, so dass der Vorstoss der Kaltfront verlangsamt wurde.
Hingegen wälzten sich die Luftmassen
mit ausserordentlich hohen Windgeschwindigkeiten entlang des Thunerund Brienzersees ins Berner Oberland.
Das Berner Oberland war die einzige
Region, in welche die Kaltfront grossflächig etwas tiefer ins Alpeninnere vorzustossen vermochte. Über
Deutschland verlagerte sich das Tiefdruckzentrum rasch in Richtung Osten, so dass die Kaltfront eine westöstliehe Ausrichtung erhielt. Deshalb
stiess sie vom Rhein Richtung Süden
12 Windbruch im Fichtenwald nach einem
Sturm
mit Orkanstärke. Bei grossen Sturmschäbis zum Alpennordrand vor, so dass die
den kommt es zu einem Uberangebot an Holz,
Ostschweiz grossflächig vom Orkan er- wodurch die Holzpreise oft deutlich sinken
fasst wurde. Die kalten Luftmassen können. Solche Windbruchflächen bieten
wurden als Folge des Druckanstiegs im eine Vielzahl unterschiedlicher ökologischer
Nischen. Uberraschend schnell wuchsen verMittelland mit hoher Geschwindigkeit schiedenste Kräuter und Bäume nach, seltene
ins Reuss- und Rheintal gedrängt und Tierarten fanden neuen Lebensraum. Allerdings
dort wiederum vom Föhn gebremst. bergen grosse Totholzflächen auch das Risiko,
dass sich Schädlinge wie der Borkenkäfer stark
So blieben die Süd- und Südostschweiz vermehren können. (Bild: Walter J. Pilsak,
Waldsassen; http://de.wikipedia.org/wiki/Sturmholz)
vom Orkan verschont.
54
7.7
Windmodifikationen durch die Bebauung
7.7.1
Einfluss der Bebauung
Ein besonderes Merkmal der Stadt ist die Veränderung der Windverhältnisse sowohl hinsichtlich der Windrichtung als auch bezüglich der Windgeschwindigkeit.
Wie die Topographie können auch Gebäude, Bäume oder Hecken das bodennahe
Windfeld beeinflussen, meist geschwindigkeitsmindernd (etwa um 30 bis 50%),
aber wie in Tallagen kann die Windgeschwindigkeit auch in Strassenschluchten
oder in Waldschneisen erhöht sein (Düseneffekt). In den Städten nimmt die Häufigkeit von Windstillen um bis zu 20% zu, was auch zu einer Verminderung des
Luftaustausches fuhrt und damit den Schadstofftransport behindert. Die Rolle der
grösseren Oberflächenrauigkeit ist insbesondere bei Starkwinden deutlich feststellbar, während bei Schwachwinden die meist grössere labile Schichtung über der
Stadt den Einfluss der Rauigkeit ausgleicht oder sogar übertrifft. Unmittelbar über
dem Einzelgebäude ist die Windgeschwindigkeit wie bei einer Kuppenlage erhöht.
Die Windbeschleunigung an hohen Gebäuden ist auf zwei aerodynamische Vorgänge zurückzufuhren. Zum Einen entsteht durch die Geschwindigkeitszunahme
mit der Höhe auf der Anströmseite des Gebäudes ein Druckgradient mit maximalern Druck im oberen Drittel des Bauwerkes. Von hier erfolgen Fallwinde entlang
der Fassade nach unten. Auf der Leeseite des Gebäudes entsteht eine Zone mit
niedrigerem Druck mit geringeren Windgeschwindigkeiten, wobei aber als Folge
der Gebäudekanten die Luff verwirbelt wird und die Winde daher sehr böig auftreten (vgl. Abbildung 13). Durch den Druckgradienten zwischen der Luv- und
Leeseite des Gebäudes wird der Wind in Passagen teilweise erheblich beschleunigt.
Grossflächige Gebilde wie ausgedehnte Waldgebiete oder grössere Städte beeinflussen das Windfeld bis in grössere Höhen. Bei sanften Hügelzügen erfolgt
die Windströmung bei Schwachwinden beinahe laminar (Abbildung 13 links),
bei spitzen oder eckigen Kuppen und Gipfeln entstehen aber erhebliche Turbulenzen. Die Turbulenzen sind im Allgemeinen hinter dem Hindernis ausgeprägter als vor ihm. Der Einfluss eines Hauses beträgt vor dem Gebäude etwa
das Doppelte der Gebäudehöhe (H), hinter dem Gebäude etwa das 10- bis
15-fache, und die vertikale Ausdehnung des turbulenten Bereichs kann bis zu
dreimal so hoch sein wie das Hindernis selbst (Abbildung 13 rechts). Die Verwirbelung der Luft im Nahfeld der Gebäude hat insbesondere Auswirkungen
auf den Abtransport von Schadstoffen aus Kaminen und anderen bodennahen
Schadstoffquellen.
55
-«—
2H
"«
10-15
H
Einfluss von Topographie (links) und Gebäude (rechts) auf das Windfeld
(Erläuterungen im Text). H Gebäudehöhe.
13
Bei einer verdichteten Bebauung ist der Gebäudeabstand zu beachten. Als
Folge einer sehr engen Bebauung können in Strassenschluchten die Abgase
durch die Leewirbel «gefangen» bleiben, wodurch sich die Schadstoffkonzentrationen erhöhen. Die Bebauungsweise ist deshalb auch aus lufthygienischer
Sicht zu beachten (Abbildung 14).
14 Turbulenzen und damit Luftwirbel entstehen bodennah durch das Einbringen von Hindernissen in die Strömung. Das können Gebäude, Bäume oder Baugruppen sein. Je dichter diese
Hindernisse stehen, desto vielseitiger die gegenseitige Beeinflussung und desto häufiger die Wechselwirkungen der Turbulenzelemente. Es entsteht eine Wirbelschicht, deren Ausdehnung von der
Rauigkeit des Untergrundes abhängig ist. Innerhalb dieser Areale kann die mittlere Strömungsgeschwindigkeit stark zurückgehen und Werte nahe Null aufweisen. Grosse Gebäudeabstände (oben)
gewährleisten eine gute Durchlüftung, die Schadstoffe werden gut abgeführt. Bei kleinen Gebäudeabständen (unten rechts) bleiben die Emissionen in den Leewirbeln «gefangen».
56
7.7.2
Durchlüftung der Städte
Ein Stadtklima zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:
Veränderung der Temperatur- und Feuchteverhältnisse
Das bekannteste Phänomen ist die Ausbildung einer Wärmeinsel. Je nach
Grösse der Stadt können die Temperaturen während klaren Sommernächten
um bis zu 10 °C höher als im Umland sein. Der Grund liegt vor allem in der
Wärmespeicherung der Baumaterialien, einer verminderten Verdunstung, einer reduzierten nächtlichen Wärmeabstrahlung und der Wärmefreisetzung
durch menschliche Prozesse (Heizung, Motoren, Maschinen usw.). Dem Aspekt «Wärmeinsel Stadt» ist bei einer fortschreitenden Erwärmung des Klimas noch vermehrt Rechnung zu tragen.
a.
b. Veränderung der Windverhältnisse
Die erhöhte Rauigkeit der Oberfläche (Gebäude) verringert die Windgeschwindigkeiten und den Luftaustausch. Bei hohen Gebäuden wird die Böig-
keit hingegen erhöht.
Veränderung der lufthygienischen Situation
Normalerweise sind die Emissionen in einer Stadt höher als im Umland. Wegen des verminderten Luftaustauschs kommt es zu einer Erhöhung der SchadStoffkonzentrationen im Stadtgebiet.
c.
Die Belüftung der Siedlungsgebiete ist deshalb von grosser Bedeutung.
Dabei ist vor allem eine mittlere Windgeschwindigkeit belüftungswirksam.
Die turbulenten Bewegungen hingegen erschweren den Transport der Luftmassen, besitzen aber eine grosse Bedeutung für die Vermischung und Verdünnung der Luftschadstoffe. Die grossräumige Strömung übergeordneter
Wind, bei uns vor allem Westwindlagen) belüftet die Stadt naturgemäss immer von der windzugewandten Seite her. Damit das Zentrum bebauter Areale ebenfalls ausreichend belüftet wird, bedarf es einer Strömung über den
Dächern, die einen turbulenten vertikalen Austausch in die Strassenzüge hinein ermöglicht. Die Bebauung sollte diesem Umstand Rechnung tragen; eine
hohe Randbebauung erschwert die Belüftung der zentralen Areale (Abbildung 15).
57
/\
rfrf
15
/\
Einfluss der Randbebauung auf die Durchlüftung. (Quelle: C.L. Krause, 2006)
Bei windschwachen Strahlungswetterlagen (unbedeckter Himmel und
Schwachwindlagen, ca. an 30 bis 40 % aller Tage im Jahr) kommt es hingegen häufig zu einem Abkoppeln von der übergeordneten Strömung und bodennah zum Entstehen von Gebieten mit nahezu Windstille. Ursache davon
ist die abendliche Abkühlung der bodennahen Luftmassen und damit verbunden das Entstehen einer Bodeninversion. In dieser bodennahen stabilen
Schicht können sich die Luftschadstoffe anreichern. Deshalb werden solche
Wettersituationen auch als «austauscharm» bezeichnet. In solchen Wettersituationen kommt der natürlichen Belüftung der Siedlungsgebiete eine grosse
Rolle zu. Insbesondere sind Kaltluftabflüsse und Flurwinde und folglich planerisch auch die Kaltluftentstehungs- und Kaltluftsammelgebiete zu beachten (hierzu auch Abschnitt 7.2). Sie sorgen für die nächtliche Frischluftzufuhr über Schneisen und Täler. Mündet die Kaltluft in Siedlungsgebiete und
Städte, kann sie durch das Verdrängen verbrauchter, belasteter und überwärmter Luftmassen einen wertvollen Beitrag zum Luftaustausch darstellen.
In der Stadt Schaffhausen erfolgt solche Frischluftzufuhr in Richtung Altstadt
zum Beispiel entlang dem Mühlental, dem Hemmentalertal, der BuchthalerStrasse und dem Rhein.
Die mittlere Kalt- und Frischluffproduktionsrate ist von der Wärmeleitfähigkeit der Bodenoberfläche und folglich von der Bodenart und Bodennutzung abhängig. Flächen, die sich tagsüber gut erwärmen, kühlen nachts auch
wieder gut aus. Die Menge der produzierten Kaltluft beläuft sich für Freiflächen mit niedriger Vegetationsdecke (Wiesen- und Ackerflächen) auf etwa
12 nV pro Quadratmeter und Stunde. Dieser Wert ist auch von der Hangnei58
gung abhängig. Obwohl Waldflächen wärmer erscheinen — der Abkühlungsgrad ist über Freiflächen höher -, beeinflusst der Wald insgesamt ein grösseres
Luftvolumen. Dadurch trägt auch der Wald zur Frischluftproduktion bei.
Klimatische Fläche
Index
Kaltluftproduktion
Unbewachsener Boden
7
guter
Brachfeld
6
Hackfruchtfeld
5
T
Getreidefeld
4
Kaltlufcproduzent
Dauergrünland (Wiese, Rasen)
Schonung, Niederwald
3
1
Trockenes Moor
Kaltluftproduktion je nach Bodennutzung.
A
2
f
1
schlechter
(Quelle: C. L. Krause, 2006)
In Gebieten, wo sich die kalten Luftmassen sammeln, stellt sich eine deutlich
tiefere Temperatur ein als in der Umgebung. An solchen Orten bestehen unter anderem eine erhöhte Nachtfrostgefahr und eine verstärkte Neigung zu
Dunst- und Nebelbildung. Typische Kaltluftsammelgebiete sind Täler und
Senken, aber auch vor quer zur Strömungsrichtung angeordneten Gebäuden,
Dämmen oder Lärmschutzwällen können sich Kaltluftmassen anstauen.
Auch Verengungen im Talquerschnitt oder Bauwerke führen zu Behinderungen der Kaltluftabflüsse (Abbildung 16). Erst mit zunehmender Mächtigkeit
der Kaltluft können solche Riegel überströmt werden. Eine Verbauung von
Tallagen ist deshalb immer in Bezug auf die Frischluftzufuhr und den Einstau
16 Ein verbauter Talgrund führt zu einem Aufstau von Kaltluft (links). Der Kaltluftsee bewirkt einen
erhöhten Energieverbrauch in den angrenzenden Siedlungsbereichen. Besser ist die Vermeidung eines
Rückstaus durch Umlenkung der Kaltluftabflüsse (rechts). Zugleich wird die gesamte Siedlung besser
durchlüftet und Schadstoffe besser verdünnt und abgeführt. (Quelle: C. L. Krause, 2006)
59
von kalten Luftmassen zu überprüfen. Die Versorgung der Stadt mit Frischluft hat in jedem Fall oberste Priorität.
Das Einströmen von Flurwinden erfolgt auf Luftleitbahnen und Ventilationsschneisen, meist bodennah unterhalb Dachniveau. Die Luftleitbahnen
lassen sich in drei Kategorien unterteilen (Tabelle unten). Ihre bioklimatische
Wirksamkeit ist in Randgebieten von grossen Städten meistens stärker ausge-
prägt als in Innenstadtbereichen.
Luftleitbahn
Ventilationsbahnen
Zweck
Transport belasteter und unbelasteter
Beispiele
Freiflächen, Wasserflächen,
Luftmassen
Gleisanlagen, Grünflächen,
Ausfallstrassen
Frischluftbahnen
Transport sauberer Luftmassen aus dem
Umland ins Stadtgebiet
Waldflächen (Filterwirkung!),
Wasserflächen und Gleisanlagen
(sofern keine Dieselfahrzeuge
verkehren)
Kaltluftbahnen
Tallagen, Grünflächen mit
Transport kalter Luft aus den Kaltluftentniedrigem Vegetationsbestand,
stehungsgebieten in den Siedlungsraum
Wasserflächen, Gleisanlagen
Mögliche Luftleitbahnen in einer Stadt. (Quelle: C. L. Krause, 2006)
Damit die Luftleitbahnen ihre Wirkung entfalten können, sind verschiedene
Anforderungen einzuhalten:
—
—
—
—
—
geringe Oberflächenrauigkeit
genügend grosse Länge der Luftleitbahn in einer Richtung
(mehr als 1000 Meter)
genügend grosse Breite
möglichst glatte Ränder, das heisst keine grossen Bebauungs- oder Be-
wuchsvorsprünge
die Breite der eingelagerten Hindernisse sollte 10 Meter nicht übersteigen
und die Länge soll parallel zur Luftleitbahn liegen
Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Durchlüftung in der Umweltplanung
eine wichtige Rolle spielt, wird dieses Thema in der Schweiz noch wenig beachtet. Dies könnte sich schon bald ändern. Wegen der erwarteten Klimaerwärmung müssen sich insbesondere Städte auf ein wärmeres Klima einstellen
60
und sich der Situation anpassen, wollen sie ihre innerstädtische Wohn- und
Behaglichkeit behalten. Ein Mittel dazu ist die Bestimmung der Orte mit
Frisch- und Kaltluftproduktion sowie der Wege der Frischluftzufuhr und des
Abtransports belasteter Luft. Solche Gebiete sind von einer Bebauung frei zu
halten. Aus diesem Grund erhalten die heutigen Wald- und Freiflächen, Rebhänge und landwirtschaftlichen Gebiete eine zusätzliche stadtökologische Dimension und eine hohe Klimarelevanz.
7.8
Literatur
Adam, K. (1988): Stadtökologie in Stichworten. Hirts Stichwortbücher
Brüse, M. (2003): Stadtgrün und Stadtklima. LÖBF-Mitteilungen 1/03
Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft, BUWAL (2005): Lothar
und Risikoentwicklung. Umweltmaterialien Wald Nr. 184
- Ursächliche Zusammenhänge
Forsdyke, A.G. (1969): Das Wetter. Delphin Taschenbuch Nr. 26
Gerstgrasser, D. (2006): Der Wind, das himmlische Kind
2/2006, S. 51-53
- Föhn, Westwind, Bise und Co. In: Die Alpen,
Krause, C. L. (2006): Klimawirksames Planen und Bauen. Grundstudium Lehrveranstaltung Landschaftsarchitektur, Teil Landschaftsgestaltung, Werkblatt Stadt-Luft-Fluss. Fakultät Architektur, Universität Aachen
(http://www.la.rwth-aachen.de/Downloads/Diplom%20Studiengang/Grundstudium/06_l l_20_Stadt_Luft_
Fluss/Werkblatt_Stadt_Fluss_Luft.pdf)
S. und A.-B. Barlag (2003): Gesamtstädtische Klimaanalyse Krefeld.
der
Untersuchung
Abteilung Angewandte Klimatologie und Landschaftsökologie, Universität Essen im Auftrag
der Stadt Krefeld, Fachbereich Umwelt.
Kuttler, W, Graf, A., Blankenstein,
Leimer, H.-P. (2005): Stadtbauphysik. Vorlesungsskript zur Bauphysik. HAWK Hochschule für angewandte
Wissenschaft und Kunst, Fakultät Bauwesen, Hildesheim.
Nielinger J. & W.-J. Kost (2001): Belüftungsanalyse für das Stadtgebiet von Sindelfingen. Gutachten der
iMA Richter & Röckle im Auftrag des Dezernat fur Stadtentwicklung, Umwelt und Bauen, Stadt Sindelfingen
(http://www.ima-umwelt.de/fileadmin/dokumente/klima_downloads/belueftungsanalyse_sindelfingen.pdf)
OcCC — Beratendes Organ für Fragen der Klimaänderung (2003):
Extremereignisse und Klima-
änderung. (http://proclimweb.scnat.ch/portal/ressources/274.pdf)
Reiber, M.: Die Bedeutung
des Fliegens
fur
das Fliegen
und Ballonfahren - Wetterkunde in drei Abschnitten.
(http://www.drmreiber.de/Ve_Artikel_Pdf/Teil%207%20Die%20Bedeutung%20des%20Windes%20ftier%20
das%20Fliegen%20und%20Ballonfahren.pdf)
Stolz, A.: Allgemeine Zirkulation - Vom schwachen Druckgegensatz zum Orkan Lothar.
(http://elearning.zhaw.ch/moodle/file.php/5344/Kopien_Wind.pdf)
VDI-Kommission Reinhaltung der Luft Hrsg. (1987): Stadtklima und Luftreinhaltung Ein wissenschaftliches Handbuch für die Praxis in der Umweltplanung. Springer-Verlag
Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg (2011):
Städtebauliche Klimafibel
Online-
Hinweise für die Bauplanung. Stuttart (http://www.staedtebauliche-klimafibel.de/index-2.htm)
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