Jahrbuch 2013/2014 | van den Bosch, Remco; Yildirim, Akin; van de Ven, Glenn; van der W el, Arjen | Gigantisches Schw arzes Loch könnte Modelle der Galaxienentw icklung kippen Gigantisches Schwarzes Loch könnte Modelle der Galaxienentwicklung kippen Giant black hole could upset galaxy evolution models van den Bosch, Remco; Yildirim, Akin; van de Ven, Glenn; van der W el, Arjen Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Eine Gruppe von Astronomen um Remco van den Bosch vom Max-Planck-Institut für Astronomie hat ein Schw arzes Loch entdeckt, das an den Grundlagen heutiger Modelle der Galaxienentw icklung rüttelt. Mit 17 Milliarden Sonnenmassen ist das Schw arze Loch im Vergleich zur Masse seiner Heimatgalaxie deutlich massereicher, als es diese Modelle vorhersagen. Dies könnte sogar das massereichste bislang bekannte Schw arze Loch überhaupt sein. Summary A group of astronomers led by Remco van den Bosch from the Max Planck Institute for Astronomy has discovered a black hole that could shake the foundations of current models of galaxy evolution. At 17 billion times the mass of the Sun, its mass is much greater than current models predict – in particular in relation to the mass of its host galaxy. This could be the most massive black hole found to date. Nach bestem W issen der heutigen Astronomen sollte jede Galaxie in ihrer Zentralregion ein sogenanntes supermassereiches Schw arzes Loch aufw eisen: ein Schw arzes Loch mit einer Masse zw ischen einigen Hunderttausend und Milliarden von Sonnenmassen. Das am besten untersuchte Exemplar mit rund vier Millionen Sonnenmassen sitzt im Zentrum unserer Heimatgalaxie, dem Milchstraßensystem. Untersuchungen der Massen von Galaxien und ihrer Schw arzen Löcher haben einen interessanten Zusammenhang aufgedeckt: eine direkte Verbindung zw ischen der Masse des zentralen Schw arzen Lochs einer Galaxie und der Masse ihrer Sterne. Typischerw eise kommt das Schw arze Loch dabei auf einen recht gut definierten, aber w inzigen Bruchteil der Gesamtmasse der Galaxie. Diese allgemein akzeptierte Beziehung zw ischen der Masse einer Galaxie und der ihres zentralen Schw arzen Lochs ist nur unvollständig verstanden – mindestens drei komplett verschiedene Erklärungsmodelle sind in der Diskussion. Die Existenz dieser Beziehung legt eine enge gemeinsame Entw icklung des zentralen Schw arzen Lochs und seiner Heimatgalaxie nahe und macht sie zu einem Schlüsselelement für das Studium der Galaxienentw icklung. Einer der Gründe für die gegenw ärtig offenen Fragen ist, dass es w eniger als hundert Datenpunkte gibt: w eniger als hundert Fälle, in denen sow ohl die Masse der Galaxie als auch die ihres © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2013/2014 | van den Bosch, Remco; Yildirim, Akin; van de Ven, Glenn; van der W el, Arjen | Gigantisches Schw arzes Loch könnte Modelle der Galaxienentw icklung kippen zentralen Schw arzen Lochs gemessen w erden konnte. Die Verknüpfung zwischen der Galaxie und ihrem Schwarzen Loch testen Eine gute Möglichkeit, eine physikalische Relation auf die Probe zu stellen, besteht darin, Extremfälle zu betrachten. Im Falle der Korrelation der Schw arzloch- und Galaxienmassen w ar bislang sehr w enig über die größten Massenw erte bekannt. Aus diesem Grunde begann der niederländische Astronom Remco van den Bosch im Jahr 2010 am Max-Planck-Institut für Astronomie (MPIA) eine systematische Suche nach den massereichsten Schw arzen Löchern in Galaxien im Universum. Für solche Galaxien mit ihren massereichen Schw arzen Löchern sollte es möglich sein, die Bew egung ihrer Sterne zu vermessen um so die Masse des zentralen Schw arzen Lochs abzuschätzen – selbst w enn die Galaxien hunderte von Millionen Lichtjahre von uns entfernt sind. A bb. 1: Abe ndbild m it de m Hobby-Ebe rly-Te le sk op a m McDona ld-O bse rva torium in Te x a s. Mithilfe die se s Te le sk ops na hm R e m co va n de n Bosch (MP IA) die Spe k tre n von 700 Ga la x ie n a uf – e rste r Schritt e ine r syste m a tische n Suche na ch de n m a sse re ichste n ze ntra le n Schwa rze n Löche rn. © Da m ond Be nningfie ld Im ersten Teil der systematischen Suche kam das Hobby-Eberly-Teleskop (HET, Abb. 1) am McDonaldObservatorium in Texas zum Einsatz. Dieses Teleskop hat einen besonders großen Hauptspiegel mit einer Gesamtfläche von 11 mal 9,8 Metern, der aus 91 sechseckigen Teilspiegeln besteht. Dank seiner Größe und des enormen Lichtsammelvermögens ist dieses Teleskop für eine Suche w ie die von van den Bosch und Kollegen besonders geeignet, da sich die Beobachtung jeder einzelnen Galaxie vergleichsw eise schnell © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2013/2014 | van den Bosch, Remco; Yildirim, Akin; van de Ven, Glenn; van der W el, Arjen | Gigantisches Schw arzes Loch könnte Modelle der Galaxienentw icklung kippen durchführen lässt. Van den Bosch nutzte das HET, um Spektren von fast 1.000 relativ nahen (Entfernung kleiner gleich 100 Mpc) massereichen Galaxien im Rahmen des „Hobby-Eberly Telescope Massive Galaxy Survey” (HETMGS) aufzunehmen. HETMGS ist eine spektrographische Langspalt-Durchmusterung mit kleiner Auflösung. Das hier geschilderte Ergebnis ist eines der ersten der systematischen Suche; w eitere Ergebnisse w erden veröffentlicht, sobald genauere Folgebeobachtungen und die Modellierungen der Schw arzlochmassen für w eitere Galaxien durchgeführt w urden. Bereits aus den mit dem Hobby-Eberly-Teleskop gew onnenen Spektren konnten van den Bosch und Kollegen eine erste Schätzung der Schw arzlochmasse vornehmen, für die sie einen w ohlbekannten Zusammenhang zw ischen der Masse des Schw arzen Lochs und der Breite bestimmter Spektrallinien nutzten. Die Linienbreite dient dabei zum Messen der „Geschw indigkeitsdispersion”, also der Verteilung der Sterngeschw indigkeiten um einen Durchschnittsw ert. Um die Masse des zentralen Schw arzen Lochs zu messen, müssen Astronomen die Bew egungen der Sterne im Zentrum der Galaxie verfolgen – jene Sterne, deren Umlaufbahnen unmittelbar von der Schw erkraft des Schw arzen Lochs beeinflusst w erden. Je größer die Masse des Schw arzen Lochs, umso größer ist sein Einfluss auf die Geschw indigkeiten der ihm nahen Sterne. Solche Schlüsseleigenschaften der Sternbew egung können aus dem Spektrum des Lichts herausgelesen w erden, das die Zentralregionen der Galaxie aussenden. Bew egungen erzeugen dort ganz spezifische systematische Veränderungen („Dopplerverschiebungen von Spektrallinien”), die im Spektrum nachgew iesen w erden können und die es den Astronomen erlauben, Rückschlüsse auf die Sternbew egung zu ziehen. Die Geschw indigkeiten w erden von der Verteilung der Masse innerhalb der Galaxie beeinflusst. Je massereicher das Schw arze Loch, desto schneller die Bew egung der Sterne im Zentrum der Galaxie. Die Zentren entfernter Galaxien sind jedoch zu dicht und zu w eit entfernt, als dass Astronomen dort einzelne Sterne unterscheiden könnten. Was sie anhand der Spektrallinien allerdings messen können, ist die Verteilung der Geschw indigkeiten. Vielversprechende Kandidaten und ein Rekordhalter Um die Masse des Schw arzen Lochs zu bestimmen, erstellten van den Bosch und seine Kollegen dynamische Modelle der betreffenden Galaxien, die alle möglichen Sternumlaufbahnen einschlossen. Systematische Vergleiche zw ischen Modell und Beobachtungsdaten zeigen dann, w elche Umlaufbahnen und Geschw indigkeiten in Kombination mit w elchem Massenw ert für das Schw arze Loch die Beobachtungen am besten erklären. © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/5 Jahrbuch 2013/2014 | van den Bosch, Remco; Yildirim, Akin; van de Ven, Glenn; van der W el, Arjen | Gigantisches Schw arzes Loch könnte Modelle der Galaxienentw icklung kippen A bb. 2: NGC 1277 ist Te il de s P e rse us-Ga la x ie nha ufe ns, de r m it e ine m Absta nd von 250 Millione n Lichtja hre n e ine r de r e rdnä chste n Ga la x ie nha ufe n ist. Alle in die se m Bild sichtba re n e lliptische n und rundliche n ge lbliche n Ga la x ie n sind Te il de s Ha ufe ns. Im Ve rgle ich m it de n a nde re n Ha ufe nm itglie de rn ist NGC 1277 ve rgle ichswe ise k om pa k t. © Da vid W . Hogg, Micha e l Bla nton und die SDSS-C olla bora tion Ihre Analyse konzentriert sich derzeit auf 18 der HETMGS Galaxien, die faszinierende Eigenschaften zeigen: Sie sind sehr kompakt (Halblicht-Radien Re ≤2 kpc), sie roptieren schnell (vm a x =(150−300) km/s) und ihre Geschw indigkeitsdispersion (der Indikator für die typischen Geschw indigkeiten der Sterne in der Galaxie) ist sehr hoch, mit einer außergew öhnlichen zentralen Spitze (σ≥300 km/s), w as auf Hochgeschw indigkeits-Sterne hindeutet, die sich vermutlich in der Umlaufbahn um ein kompaktes, massereiches zentrales Objekt befinden, nämlich ein sehr massereiches zentrales Schw arzes Loch. Für eines dieser Objekte, NGC 1277 (Abb. 2), standen bereits jetzt hochauflösende Aufnahmen des Weltraumteleskops Hubble zur Verfügung, w eshalb es in den Fokus der Untersuchungen geriet. Unter Verw endung der aus den Hubble-Daten (Abb. 3) gew onnenen Helligkeitsprofilen und der spektroskopischen Messw erte ermittelten die Astronomen eine Schw arzlochmasse von 17±3 Milliarden Sonnenmassen – und das in einer Galaxie, die insgesamt die Masse von „nur” 120 Milliarden Sonnenmassen hat. A bb. 3: Aufna hm e de r Sche ibe nga la x ie NGC 1277 m it de m W e ltra um te le sk op Hubble . Da s Ze ntrum die se r k le ine n, a bge fla chte n Ga la x ie e nthä lt e ine s de r m a sse re ichste n Schwa rze n Löche r, die je m a ls ge funde n wurde n. Mit 17 Millia rde n Sonne nm a sse n ist da s Schwa rze Loch für be e indruck e nde 14% de r Ge sa m tm a sse de r Ga la x ie ve ra ntwortlich. © NASA / ESA / Andre w C . Fa bia n / R e m co C . E. va n de n Bosch (MP IA) Mit 17 Milliarden Sonnenmassen könnte das neu entdeckte Schw arze Loch im Zentrum der Scheibengalaxie © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2013/2014 | van den Bosch, Remco; Yildirim, Akin; van de Ven, Glenn; van der W el, Arjen | Gigantisches Schw arzes Loch könnte Modelle der Galaxienentw icklung kippen NGC 1277 sogar das massereichste überhaupt bekannte Schw arze Loch sein. Die Masse des derzeitigen Rekordhalters w ird auf W erte zw ischen 6 und 37 Milliarden Sonnenmassen geschätzt [2]; liegt der w ahre W ert am unteren Ende, bricht NGC 1277 diesen Rekord. W enn nicht, w äre das Schw arze Loch in NGC 1277 immerhin noch das zw eitgrößte bekannte Schw arze Loch. Die große Überraschung besteht darin, dass die Masse des zentralen Schw arzen Lochs 14% der Gesamtmasse seiner Galaxie ausmacht – im Vergleich mit üblichen Werten von etw a 0,1% ein gigantischer Wert und mehr als um einen Faktor Zehn höher als beim bisherigen Rekord. Astronomen hätten ein Schw arzes Loch dieser Größe nur in einer mindestens zehn Mal so großen strukturlosen („elliptischen”) Galaxie erw artet – nicht in einer kleinen Scheibengalaxie w ie NGC 1277. Ist das überraschend massereiche Schw arze Loch eine seltene Laune der Natur – eine absolute Ausnahme? Vorläufige Analysen w eiterer Daten w eisen in eine andere Richtung: Bis dato lieferte die Suche von van den Bosch und seinen Kollegen noch 17 w eitere Galaxien, die vergleichsw eise klein sind, aber dennoch ungew öhnlich massereiche zentrale Schw arze Löcher beherbergen dürften. Eine definitive Aussage w ird sich jedoch erst nach Analyse von detaillierten Bildern treffen lassen. Bestätigen sich diese w eiteren Fälle und gibt es in der Tat noch mehr Schw arze Löcher w ie das in NGC 1277, dann müssen die Astronomen ihre Modelle der Galaxienentw icklung grundlegend überdenken. Insbesondere müssen sie dabei die Vorgänge im frühen Universum näher analysieren. Denn: Die Galaxie NGC 1277 hat sich anscheinend vor mehr als 8 Milliarden Jahren gebildet und seither nicht sehr verändert. W ie auch immer dieses gigantische Schw arze Loch entstanden ist – es muss vor langer Zeit passiert sein. In Zusammenarbeit mit: Walsh, Jonelle; Gebhardt, Karl (University of Texas at Austin); Husemann, Bernd (Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam) Literaturhinweise [1] van den Bosch, R.; Gebhardt, K.; Gültekin, K.; van de Ven, G.; van der Wel, A., Walsh, J. L. An over-massive black hole in the compact lenticular galaxy NGC 1277 Nature 491, 729–731 (2012) [2] McConnell, N. J.; Ma, C. P.; Gebhardt, K.; Wright,S. A.; Murphy, J.D.; Lauer, T. R.; Graham, J. R.; Richstone, D. O. Two ten-billion-solar-mass black holes at the centres of giant elliptical galaxies Nature 480, 215–218 (2011) © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/5