Imperien der Weltgeschichte

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Imperiale Bahnen 19
langlebige Bezugspunkte für spätere Gründer von Imperien wurden. Sowohl
Rom als auch China brachten es zu enormer äußerer Größe, integrierten
Handel und Produktion in Volkswirtschaften im Weltmaßstab (der Welt, die
jedes dieser Reiche schuf). Sie ersannen Institutionen, die staatliche Macht
über Jahrhunderte stützten, entwickelten überzeugende kulturelle Bezugssysteme, um ihren Erfolg zu erklären und zu untermauern, und stellten über
lange Zeiträume stillschweigende Zustimmung zur imperialen Macht sicher.
Ihre wichtigsten Strategien waren in China die Abhängigkeit von einer Klasse
loyaler, geschulter Beamter und in Rom die zumindest theoretische Ermächtigung seiner Bürger. Beide Strategien wirkten sich dauerhaft und tiefgreifend
darauf aus, wie Menschen sich ihre Staaten und ihren Platz in ihnen vorstellen.
Als nächstes betrachten wir Imperien, die versuchten, an Roms Stelle zu
rücken – das widerstandsfähige Byzanz, die dynamischen, aber spaltbaren
islamischen Kalifate und die kurzlebigen Karolinger. Diese Rivalen errichteten
ihre Imperien auf religiösen Fundamenten; ihre jeweilige Geschichte beweist
die Möglichkeiten und Grenzen des militanten Monotheismus als Arm staatlicher Macht. Der Antrieb, die Ungläubigen zu bekehren oder zu töten und
den wahren Glauben zu verbreiten, mobilisierte Krieger für Christentum und
Islam gleichermaßen, verursachte aber auch Spaltungen im Innern von Imperien über die Frage, welche religiöse Hülle die wahre und wessen Machtanspruch gottgegeben sei.
Im 13. Jahrhundert schufen die Mongolen unter Dschingis Khan und
seinen Nachfolgern das größte Landreich aller Zeiten, das auf einem grundlegend anderen Prinzip beruhte – einer pragmatischen Herangehensweise an
religiöse und kulturelle Unterschiede. Die mongolischen Khane besaßen die
technologischen Vorteile nomadischer Gesellschaften – vor allem eine bewegliche, größtenteils autarke, kühne militärische Streitmacht. Es waren jedoch
ihre umfassenden Vorstellungen von einer imperialen Gesellschaft, die es
ihnen ermöglichten, sich die Fähigkeiten und Ressourcen der verschiedenen
Völker, die sie unterwarfen, rasch zunutze zu machen. Das Herrschaftsrepertoire der Mongolen kombinierte einschüchternde Gewalt mit dem Schutz
unterschiedlicher Religionen und Kulturen und der Politik persönlicher
Loyalität.
Für unsere Untersuchung sind die Mongolen aus zwei Gründen entscheidend. Erstens beeinflussten ihre Herrschaftsweisen die Politik über einen riesigen Kontinent hinweg – in China ebenso wie im späteren Russischen Reich,
im Mogul- und im Osmanischen Reich. Zweitens sicherten die Mongolen
zu einer Zeit, da kein Staat am westlichen Rand Eurasiens (dem heutigen
Europa) sich weder auf die Treue seiner Verbündeten verlassen konnte, noch
über natürliche Ressourcen in nennenswertem Umfang verfügte, Handels-
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wege vom Schwarzen Meer bis zum Pazifischen Ozean und ermöglichten den
Transfer von Wissen, Gütern und Ideen über die Kunst der Staatsführung.
Andere Imperien – in der Gegend des heutigen Iran, in Südindien oder Afrika
und anderswo – werden hier nicht bis ins Detail beschrieben, obwohl auch sie
Verbindungen und Wandel förderten, lange bevor die Europäer auf der Bühne
der Großmächte erschienen.
Es waren der Reichtum und die Wirtschaftskraft Asiens, die irgendwann
Menschen aus dem, was man heute als Europa ansieht, in eine von ihnen als
neu empfundene Sphäre von Handel und Verkehr und ein Reich ungeahnter Möglichkeiten lockten. Die Imperien Spaniens, Portugals, Frankreichs,
der Niederlande und Großbritanniens finden nicht im vertrauten Gewand
der »europäischen Expansion« Eingang in unsere Darstellung. Im 15. und 16.
Jahrhundert war Europa als politisches Gebilde unvorstellbar, und geografische Regionen sind ohnehin keine politischen Akteure. Wir konzentrieren
uns stattdessen auf die Umgestaltung der Beziehungen zwischen Imperien zu
dieser Zeit, ein dynamischer Prozess, dessen Folgen erst sehr viel später offenkundig wurden.
Die »europäischen« maritimen Erweiterungen basierten auf drei Voraussetzungen: den hochwertigen Gütern, die im chinesischen imperialen Einflussbereich produziert und getauscht wurden; dem Hindernis, das die Beherrschung
des östlichen Mittelmeerraums und der Landwege nach Osten durch das
Osmanische Reich darstellte; und der Unfähigkeit von europäischen Herrschern, nach römischem Vorbild ein Terrain zu einen, das sich rivalisierende
Monarchen und Dynasten, Feudalherren mit mächtigen Gefolgschaften und
Städte, die ihre Rechte verteidigten, gegenseitig streitig machten. Es war diese
globale Anordnung von Macht und Ressourcen, die europäische Seefahrer
nach Asien und später, dank Kolumbus’ zufälliger Entdeckung, nach Nord-,
Mittel- und Südamerika führte.
Diese neuen Verbindungen führten schließlich zu einer grundlegenden
Umgestaltung der globalen Wirtschaft und der Weltpolitik. Aber sie waren
weit davon entfernt, eine unipolare, europäisch beherrschte Welt hervorzubringen. Die maritime Macht von Portugiesen und Holländern konnte nur
durch Gewaltanwendung die Handelsaktivitäten der Konkurrenz einschränken, wobei sie zugleich sicherstellte, dass Produzenten und örtliche Behörden
in Südostasien, woher die Reichtümer an Gewürzen und Textilien kamen,
einen Anteil am neuen Fernhandel hatten. Die befestigte Handelsenklave
wurde zum Schlüsselelement im Machtrepertoire der Europäer. Nach Kolumbus’ »Entdeckung« konnten seine königlichen Geldgeber ein »spanisches«
Imperium schaffen, indem sie ihre Macht auf zwei Kontinenten festigten und
das durch die Zwangsarbeit eingeborener Amerikaner gewonnene Silber lie-
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ferten, das dem Handel in Westeuropa, in ganz Südostasien und innerhalb des
wohlhabenden, geschäftlich dynamischen chinesischen Imperiums eine neue
Dynamik verlieh.
Auf dem amerikanischen Kontinent schufen Siedler aus Europa, Sklaven,
die aus Afrika hergebracht wurden, und deren imperiale Herren neue Formen
imperialer Politik. Untergeordnete Personen – indigene oder sonstige – davon
abzuhalten, eigene Wege zu gehen oder sich auf die Seite rivalisierender Imperien zu schlagen, war keine leichte Aufgabe. Herrscher über Imperien mussten
ferne Eliten zur Zusammenarbeit bewegen, und sie mussten Menschen – zu
Hause, in Übersee und dazwischen – ein Gefühl der Zugehörigkeit innerhalb
eines ungleichen, aber seine Angehörigen eingliedernden Gemeinwesens vermitteln. Solche Versuche führten nicht immer zu Assimilation, Konformität
oder auch nur resignierter Akzeptanz. Spannungen und gewaltsame Konflikte
zwischen imperialen Herrschern, überseeischen Siedlern, indigenen Gemeinschaften und Zwangsmigranten ziehen sich wie ein roter Faden durch unsere
Untersuchung.
Es ging beim Imperium – in Europa und anderswo – um mehr als um
wirtschaftliche Ausbeutung. Schon im 16. Jahrhundert unterschieden ein
paar europäische Missionare und Juristen zwischen legitimen und illegitimen
Formen imperialer Macht, verurteilten die Angriffe der Europäer auf indigene
Gesellschaften und stellten das Recht eines Imperiums in Frage, unterworfenen Völkern Land und Arbeitskräfte zu entziehen.
Erst im 19. Jahrhundert erlangten einige europäische Staaten, gestärkt durch
ihre imperialen Eroberungen, eine klare technologische und materielle Überlegenheit über ihre Nachbarn und andere Regionen der Welt. Dieses »westliche« imperiale Herrschaftsmoment war niemals vollkommen oder dauerhaft.
Widerstand gegen die Sklaverei und gegen die Ausschreitungen und Brutalität von Herrschern und Siedlern konfrontierten eine engagierte Öffentlichkeit
mit der Frage, ob Kolonien Orte waren, wo Menschen ausgebeutet werden
durften, oder Teile eines umfassenden, wenn auch ungerechten Gemeinwesens. Überdies waren die Imperien Chinas, Russlands, der Osmanen und der
Habsburger nicht starr der Vergangenheit verhaftet, wie die herkömmliche
Lesart lautet. Sie ergriffen Initiativen, um auf ökonomische und kulturelle
Herausforderungen zu reagieren, und spielten entscheidende Rollen in den
weltpolitischen Konflikten und Beziehungen. In diesem Buch schildern wir
die unterschiedlichen Bahnen dieser Imperien, mitsamt ihren Traditionen,
Spannungen und Konkurrenzkämpfen untereinander.
Und wir untersuchen auch die verblüffend unterschiedlichen Formen, mit
denen die imperiale Expansion über Land – nicht bloß über die Meere – eigenständige politische und gesellschaftliche Strukturen schuf. Die Vereinigten
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Staaten und Russland dehnten ihre Herrschaft im 18. und 19. Jahrhundert
über ganze Kontinente aus. Russlands von einer bunt gemischten Gruppe
imperialer Vorgänger und Rivalen ererbtes Herrschaftsrepertoire war darauf
ausgerichtet, immer mehr Menschen der Obhut des Zaren zu unterstellen –
und sie natürlich zu Objekten imperialer Ausbeutung zu machen –, während
Unterschiede zwischen eingegliederten Gruppen aufrechterhalten wurden.
Die amerikanischen Revolutionäre beriefen sich auf eine andere imperiale
Politik, indem sie Vorstellungen von Volkssouveränität gegen ihre britischen
Herren wendeten und anschließend, mit den Worten von Thomas Jefferson,
ein »Reich der Freiheit« aufbauten. Die Vereinigten Staaten, die expandierten,
indem Amerikaner indigene Völker unterwarfen oder Teile anderer Imperien
erwarben, schufen eine Blaupause für die Umwandlung neuer Territorien in
Staaten, schlossen Indianer und Sklaven von dem Gemeinwesen aus und blieben trotz eines erbitterten Bürgerkriegs, bei dem es um die Frage gegangen
war, ob unterschiedliche Territorien unterschiedlich regiert werden sollten,
zusammen. Im ausgehenden 19. Jahrhundert dehnte das junge Imperium seine
Macht nach Übersee aus – ohne dass die Vereinigten Staaten im allgemeinen
Bewusstsein als Kolonialmacht galten.
Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere europäische Staaten waren bezüglich der Kolonialherrschaft weniger zurückhaltend, und sie
wendeten sie im ausgehenden 19. Jahrhundert voller Eifer auf Neuerwerbungen in Afrika und Asien an. Doch diese Mächte stellten spätestens im frühen
20. Jahrhundert fest, dass es weit schwieriger war, afrikanische und asiatische
Kolonien zu regieren, als sie zu erobern. Gerade der Anspruch, angeblich rückständigen Gebieten »Zivilisation« und wirtschaftlichen »Fortschritt« zu bringen, warf die Frage auf, welche Formen von Kolonialismus, wenn überhaupt,
politisch und moralisch vertretbar seien – eine Frage, die sowohl von der eigenen Bevölkerung als auch von rivalisierenden Imperien und von indigenen
Eliten gestellt wurde.
Imperien existierten im 19. und 20. Jahrhundert ebenso wie im 16. in
Beziehung zueinander. Unterschiedliche Machtorganisationen – Kolonien,
Protektorate, Hoheitsgebiete, einer Leitkultur untergeordnete Territorien,
halb autonome nationale Regionen – wurden innerhalb von Imperien auf
unterschiedliche Weise kombiniert. Imperien griffen auf menschliche und
materielle Ressourcen zurück, die für jedes nationalstaatliche Gemeinwesen
unerreichbar waren, und strebten nach Kontrolle über benachbarte wie ferne
Länder und Menschen.
Im 20. Jahrhundert verwickelte die Rivalität unter Imperien – die durch
Japans Beteiligung am imperialen Spiel und Chinas vorübergehendes Aussetzen verschärft wurde – die Imperialmächte und ihre Untertanen auf der
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ganzen Welt in zwei Weltkriege. Die verheerenden Folgen dieses Konfliktes
zwischen Imperien ebenso wie die innerhalb von und zwischen Imperien
gehegten wechselhaften Vorstellungen von Souveränität ebneten der Auflösung der Kolonialreiche den Weg, die sich von den 1940er Jahren durch die
gesamten 1960er Jahre zog. Aber die Demontage dieser Art von Imperium
führte zu der Frage, auf welche Weise Mächte wie die Vereinigten Staaten, die
UdSSR und China ihre Machtrepertoires den sich verändernden Bedingungen anpassen würden.
Was trieb diese bedeutenden Veränderungen in der Weltpolitik an? Früher
wurde behauptet, dass die Imperien den Nationalstaaten Platz machten, als
im Westen Ideen von Rechten, Nationen und Volkssouveränität auftauchten.
Aber diese Aussage ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Erstens hatten
Imperien weit über das 18. Jahrhundert hinaus Bestand, als Vorstellungen von
Volkssouveränität und natürlichen Rechten in einigen Teilen der Welt die
politische Vorstellungskraft fesselten. Wenn wir weiterhin annehmen, dass die
Ursprünge dieser Konzepte »national« waren, entgeht uns eine entscheidende
Dynamik des politischen Wandels. In Britisch-Nordamerika, der französischen Karibik, Hispanoamerika und anderswo fand das Ringen um politische
Mitsprache, um Rechte und Staatsbürgerschaft innerhalb von Imperien statt,
bevor daraus Revolutionen gegen sie wurden. Die Ergebnisse dieser Kämpfe
waren nicht durchweg national. Beziehungen zwischen Demokratie, Nation
und Imperium wurden noch Mitte des 20. Jahrhunderts diskutiert.
Andere weltgeschichtliche Studien führen bedeutende Veränderungen auf
den »Aufstieg des Staates« in der »Frühen Neuzeit« zurück; beide Begriffe sind
mit der Vorstellung eines einzigen Weges zu einer normalen und universellen
Art von Souveränität – der »westlichen« – verknüpft. Wissenschaftler haben
unterschiedliche Daten für das Entstehen dieses »modernen« Staatensystems
angeführt – das Jahr 1648 und den Westfälischen Frieden, das 18. Jahrhundert mit seinen Neuerungen in der westlichen politischen Theorie, die Amerikanische und die Französische Revolution. Aber wenn wir unsere Perspektive räumlich und in die Vergangenheit erweitern und unser Augenmerk auf
Imperien richten, können wir erkennen, dass Staaten in verschiedenen Teilen
der Welt seit mehr als zwei Jahrtausenden Macht institutionalisiert haben.
Eine Geschichte, die nur von der europäischen staatlichen Entwicklung und
den »Reaktionen« anderer Menschen darauf ausgeht, würde die langfristige
Dynamik staatlicher Macht sowohl in Europa als auch im Rest der Welt verfälschen.
Der Machtzuwachs des Staates – wie in England und Frankreich im späten
17. und im 18. Jahrhundert – war eine Folge des Imperiums und nicht umgekehrt. Als Mächte, die versuchten, große Räume zu kontrollieren, lenkten
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