1 Mensch Luther... - Kulturkreis Arkade eV

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Mensch Luther...
Eine Annäherung an seine Person
Vortrag am 11.Juni 2017 in der ehemaligen Synagoge Sulzburg
(Der Schönberg-Chor gestaltet diese Veranstaltung mit und singt zu Beginn „Ein feste Burg...“)
I. Das ist es: das Reformationslied schlechthin. Die Hymne der Protestanten, leidenschaftlich oft
genug gesungen und geschmettert wie die Marseillaise. Jedenfalls früher. Man muss nur einmal miterlebt haben, wie die wenigen französischen Protestanten, vormals grausam verfolgt und vertrieben
durch die katholische Übermacht, bei ihrer jährlichen Zusammenkunft Anfang September in den cevennischen Wäldern um Anduze dieses „Ein feste Burg ist unser Gott...“ erschallen lassen und man
spürt ihren ganz und gar nicht eitlen Stolz, durchgehalten zu haben und Protestant geblieben zu
sein. Nicht abgefallen vom evangelischen Glauben! Luther sei Dank und in seinem Gefolge der andere Reformator Calvin. Ohne ihn gäb’s ja auch uns Protestanten nicht, die weltweit seiner gedenken, ihn preisen und hoch erheben in unzähligen Feiern und Veröffentlichungen. Nicht mehr zu
überblicken, was sich da alles um dieses 500-jährige Reformationsjubiläum tut. Manchmal scheint
es, es fehlt nicht viel und Luther wird noch heilig gesprochen.
„Und wenn die Welt voll Teufel wär’ und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so
sehr, es soll uns doch gelingen...“ textet und komponiert L. die 3. Strophe seines Liedes. Und er hat
die Welt voller Teufel gesehen, mit ihnen gerungen und gekämpft und erleben müssen bei sich:
„Der Mensch hat die Hölle in sich selbst.“ Was dann aber aus ihm nach außen gekrochen und sich
breit gemacht hat, ist kaum zu glauben und zu fassen. Es nimmt einem den Atem, wenn man liest,
wen und was er in seinem Leben nicht alles verteufelt - und wie gehässig!
„Mensch Luther, welcher Teufel hat dich denn so oft geritten“ möchte man ihn in seiner Lautstärke
anschreien.
„Wir sind hier in einer ehemaligen Synagoge und schämen uns für dich und bitten um Vergebung
für deine Judenverachtung. Denn wenn es nach dir gegangen wäre, stünde diese Synagoge nicht
mehr, wie die meisten in unserem Land nicht mehr da sind. Du hast geschrieben und veröffentlicht
‘Von den Jüden und iren Lügen’: „Die Juden sind ein solch verzweifeltes durchböstes, durchgiftetes
Ding, dass sie 1400 Jahre unsere Plage, Pestilenz und alles Unglück gewesen sind und noch sind.
Summa, wir haben rechte Teufel an ihnen... Man sollte ihre Synagogen und Schulen mit Feuer anstecken, ... unserem Herrn und der Christenheit zu Ehren, damit Gott sehe, dass wir Christen seien
(...) ihre Häuser desgleichen zerbrechen und zerstören.“ Wen wundert es da noch, wenn Hitler später ganz besonders teuflisch sich auf Luther beruft, wenn er schreibt und grölt:
„Luther war ein großer Mann, ein Riese. Mit einem Ruck durchbrach er die Dämmerung: sah den
Juden, wie wir ihn erst heute zu sehen beginnen.“ ( Hitler, Mein Kampf) Und später in einer Rede :
„Ich tue nur, was die Kirche seit fünfzehnhundert Jahren tut, allerdings gründlicher.“
„Nun wohl denn, es geht eine Sage, dass mit dem Manne von Wittenberg die Freiheit in die Welt
gekommen sei, und beschränkte Historiker haben es dem norddeutschen Volke so lange versichert,
bis man’s geglaubt hat. Aber was hat er denn in Wahrheit in die Welt gebracht? Unduldsamkeit und
Hexenprozesse, Nüchternheit und Langeweile.“ (So Fontane in Schach von Wuthenow)
„Johann Hus wurde verbrannt, Luther nicht; es entstand ein dreißigjähriger Krieg, und nun steht die
Reformation da.“ (Lichtenberg, aus den Sudelbüchern)
Was nun, Mensch Luther, wie stehst du da? Du und deine Reformation?
II. Wer ist er? Er kann einem Menschen die Seele streicheln und einem andern bildlich gesprochen
den Kopf abhauen. Er kann die einen in die Hölle schicken, anderen wiederum den Himmel öffnen.
Er kann bisweilen Himmel und Hölle verwechseln und Gott meinen Teufel nennen. Er kann Abscheu ob seiner abscheulichen Aussagen erzeugen und einem dann wieder das Herz erwärmen mit
seinen Fühlen und seinem Denken.
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Was Luther ist, was er war - uns ist es letztlich nicht offenbar. Wenn uns schon keiner gerecht wird
und wir keinem ganz gerecht sind, uns selbst und anderen immer wieder ein Geheimnis bleibend,
ein dunkles und ein helles, wie viel mehr stehen wir bei Luther vor einem Geheimnis, das zu entschlüsseln sich niemand anmaßen sollte. Nur annähern können wir uns ihm, versuchen ihn zu verstehen und stehen zu lassen, was nicht zu beschönigen und zu rechtfertigen ist. Sich selber rechtfertigen ist dem Menschen laut seiner Theologie ja unmöglich! Ach, hätte er sich nur selbst daran gehalten in seinen Kämpfen und Auseinandersetzungen.
Eines gilt für diesen Mann aber ganz gewiss: langweilig ist er nie gewesen, für niemanden.
Gesegnet war er mit unbändiger Arbeitskraft, mit Hellhörigkeit und Sensibilität für alles, was um
ihn herum vor sich ging - und in ihm selbst am rumoren war. Er war Handwerker und Künstler der
deutschen Sprache. Sein Deutsch ist prägend geworden für alle, die nach ihm kamen, dichteten und
schrieben. „Denn man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll
deutsch reden, sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gassen, den gemeinen
Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen; so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.“ Oder
aktuell für das Predigen heute: „Ich will Doctorem Pommeranum, Jonam Philippum in meiner Predigt nicht wissen, denn sie sind genauso klug wie ich. Ihnen predige ich nicht, sondern meinen
Hänslein und Elslein.“ Darum sind die Gottesdienste auf Deutsch zu halten!
Er hat aufs Maul geschaut und selber das Maul aufgemacht und wie! In unübertroffenen Wortschöpfungen und Wortspielen, feinsinnig, aber auch deftig.
Hier einige Beispiele (sind Ausdruck seiner Theologie und Anthropologie):
„Worauf du nun dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott. Wo Gott eine Kapelle
baut, da baut der Teufel eine Kirche daneben.
Die Arznei macht kranke, die Mathematik traurige, die Theologie sündhafte Menschen.
Eine Lüge ist wie ein Schneeball: je länger man ihn wälzt, desto größer wird er.
Wenn wir täten, was wir sollten, und nicht machten, was wir wollten, so hätten wir auch, was wir
haben sollten.
Die Welt kann nichts weniger ertragen als gute Tage.
Das passt wie die Faust aufs Auge.
Es ist kein Mensch so böse, dass nicht etwas an ihm zu loben wäre.
Man soll den Gästen einen guten Trunk geben, damit sie fröhlich werden.
Für Heuchelei gibt’s Geld genug, Wahrheit geht betteln.
Es soll keiner einen für seinen vertrauten Freund halten, er habe denn zuvor ein Scheffel Salz mit
ihm gegessen.
Wir kommen nie aus den Traurigkeiten heraus, wenn wir uns ständig den Puls fühlen.
Geld kann den Hunger nicht stillen, sondern ist im Gegenteil der Grund für den Hunger. Denn wo
reiche Leute sind, da ist alles teuer.
Die Wege Gottes sind wie ein hebräisches Buch, das man nur von hinten lesen kann.
Wer bekommt, was er mag, ist erfolgreich. Wer mag, was er bekommt, ist glücklich.
Es gibt keinen Weg zum Frieden, wenn nicht der Weg schon Frieden ist.
Es ist etwas Ausgemachtes, dass die Vernunft unter allen Sachen das Vornehmste und von allen Dingen dieses Lebens das Beste, ja etwas Göttliches sei. Dann aber sehr oft: Wer ein Christ sein will,
der steche der Vernunft die Augen aus. Denn die Vernunft ist eine Hure des Teufels.
Ein Rausch ist zu ertragen, die Trunksucht aber nicht.
Lieber Ratten im Keller als Verwandte im Haus.
Wer in den Ehestand geht, der geht in ein Kloster voller Anfechtungen.
Es fließt mir das Herz über vor Dankbarkeit gegen die Musik, die mich so oft erquickt und aus großen Nöten errettet hat.
Wortschöpfungen von Luther: Lückenbüßer, friedfertig, wetterwendisch, Machtwort, Feuereifer,
Langmut, Lästermaul, Morgenland, Memme, Hanswurst, Grobian; Hummeln im Arsch, Hochmut
kommt vor dem Fall, ein Herz und eine Seele sein, sein Licht unter den Scheffel stellen, mit Blind-
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heit geschlagen sein... Statt „Es war einmal“ schreibt er poetisch „Es begab sich“. Und dann wieder
derb: Aus einem verzagten Arsch fährt kein fröhlicher Furz.
Unmengen könnte man zusammentragen von diesem überfließenden Menschen und Belege ließen
sich finden für jede seiner widersprüchlichsten Aussagen. Wir lassen das, weil damit - wie mit der
Bibel geschehen, die für jede Überzeugung herhalten musste und noch muss - nur Missbrauch getrieben wird, in Richtung Vergötterung oder Verteufelung von Luther.
Versuchen wir doch einmal ihm zu begegnen in seiner Zeit, was ihn prägte.Versuchen wir ihn zu
verstehen und lassen wir stehen, was heute nicht mehr zu begreifen, dagegen aber zu protestieren
ist, mit allem Nachdruck. Und beschönigen wir nichts.
III. 1. Seine Zeit war reif für Reformen. Überall wurde nach kirchlichen und gesellschaftlichen
Reformen gerufen, wurden sie gefordert an Haupt und Gliedern. Umbruchszeit war: Das Mittelalter
lief allmählich aus, neue Zeiten brachen an. Die Renaissance blühte auf, humanistisches Gedankengut verschaffte sich Platz. Die beiden Amerikas waren entdeckt, Afrika umschifft, Kolonien gegründet und ausgebeutet. Die kopernikanische Wende (Luther wollte sie nicht wahrhaben!) stellte das
bisherige Weltbild auf den Kopf. Mit einemmal war die Erde nicht mehr Mittelpunkt des Universums. Die Entdeckung des Magnetismus revolutionierte die Seefahrt,das Schießpulver verdrängte
Schwerter und Spieße, die Erfindung des Buchdrucks setzte Meinungen und Überzeugungen in
noch nie dagewesenem Maße in die Welt, nicht zuletzt landessprachliches Gedrucktes.
Der Mensch wird wachgerüttelt und durchgerüttelt. Weil er sich weiterhin den Heimsuchungen Gottes und seiner Allmacht ausgeliefert glaubt und weiß. Es schaudert ihn vor der Pest, vor den Erdbeben, den Feuersbrünsten, den Hochwassern, den Dürren, den Hungersnöten.
1349 gab es das größte Erbeben des Mittelalters, von Mittelitalien bis Mitteldeutschland.
1356 wurde Basel und sein Umland (Fessenheim!?) zerstört.
1342 setzte Dauerregen die Schweiz, Böhmen und Deutschland unter Wasser. Kalte und nasse Jahre
folgten. Die Ernte war größtenteils zerstört, Hungersnöte dezimierten die eh schon dezimierte Bevölkerung.
1540 gab es eine Jahrhundertdürre, die Lebensmittel wurden knapp und teuer, soziale Unruhen brachen aus, Schuldige wurden gesucht und wie stets gefunden - die Juden und andere Minderheiten
(u.a. die Abdecker, Hexen und Zauberer).
Die Angst, von Gott gestraft zu sein und der ewigen Strafe zu verfallen, saß den Menschen im Genick und brach in ihre Seelen ein.
2. Da hinein, in diese soziale, religiöse und seelische Gemengelage hinein wird Luther geboren.
Zu Eisleben, am 10. November 1483. Aufgewachsen ist er in der kleinen (ca. 2-3000 Einwohner)
Hüttenstadt (Abbau von Erz, Zinn, Zink, Silber, Kupfer) Mansfeld . Bauernsohn - wie später legendenhaft behauptet - ist er nicht gewesen. Arm auch nicht in seiner Kindheit und Jugend. Sein Vater
Hans Luder (später hat Luther aus diesem doch anzüglichen Namen Luther gemacht) war angesehener Hüttenmeister und recht wohlhabend, jähzornig, streitbar und fordernd. (1530 ging er pleite!) Es
traf ihn hart, dass Martin jenes Leben (Juristerei) ablehnte, das er für ihn geplant und in es investiert
hatte (zwei Jahreseinkünfte gab er für das Studium in Erfurt)
Die Mutter war nur Hausfrau, damals allerdings ein Privileg.
Später schrieb Luther das Hausfrauendasein betreffend: „Männer haben eine breite Brust und kleine Hüften, darum haben sie auch mehr Verstandes denn die Weiber, welche enge Brüste haben und
breite Hüften und Gesäß, dass sie sollen daheim bleiben, im Hause still sitzen, haushalten, Kinder
tragen und ziehen.“
Die Erziehung war streng, manchmal brutal. Als Kind wurde Martin gnadenlos verprügelt, von seiner Mutter blutig geschlagen, wegen Nichtigkeiten oft. Geschlagen werden gehörte auch zum gängigen Erziehungsprogramm der Mansfelder Lateinschule, die er acht Jahre besuchte. Außer Latein
wurde nichts gelehrt, das aber gründlich eingebläut. Mag sein, dass die vielen erduldeten Schläge
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Luthers späteren Widerstandsgeist und Trotz geweckt haben, andere sind unter diesen Torturen ja
zerbrochen.
Der Bergbau war riskant und lebensgefährlich. Boshafte Wassergeister, Erd- und Luftgeister, seltsame Lichter unter der Erde, einstürzende Stollen - es waren Satans Werke, darum seine Name auch:
Erzbetrüger. Dieses so unsichere Leben verstärkte das Gefühl, ganz und gar der Allmacht Gottes
ausgeliefert zu sein.
Betrogen haben aber auch die Monopolisten der Hütten. Ihre Ausbeutungspraxis, ihr kapitalistisches Gebaren trieben viele in den Ruin. Wiederholt hat Luther später gegen die Frühkapitalisten
gewettert, vornehmlich gegen die Fuggerer.
Von seinen Geschwistern, zwei oder drei Brüder starben zwei an der Pest, ebenso eine seiner vier
Schwestern. So war das Leben damals und mittendrin der Tod !
3. Mit 14 Jahren kam er auf die Schule nach Magdeburg, nach einem Jahr weiter als Schüler nach
Eisenach. Wohl weil seine Mutter von dort stammte. Um sein Abendessen musste er betteln gehen,
singend mit seinen Mitschülern. Vier Jahre blieb er dort. Eine gute Zeit für ihn, wie er sich erinnert.
1501 wechselt er an die Universität Erfurt. Strenges Studentenleben war angesagt. Vier Uhr morgens aufstehen, um acht Uhr abends zu Bett. Luther ist fleißig, macht 1505 seinen Magister Artium
(Philosophie). Ab da redet ihn sein Vater mit „Ihr“ an. Auf sein Betreiben hin entscheidet sich L. für
das Jurastudium.
Drei Ereignisse sind es, die seinen weiteren Lebensweg bestimmen:
Der Tod eines Kommilitonen und lieben Freundes. Luther verfällt in Schwermut. Sein Leben
lang sucht sie ihn heim und empfiehlt ganz nüchtern gegen sie: „Wenn du von der Traurigkeit
oder der Verzweiflung oder einem anderen Schmerz des Gewissens angefochten wirst, dann iß,
trink, suche das gesellige Gespräch. Wenn du dich in Gedanken an ein Mädchen erfreuen
kannst, dann tu’s nur.“
Mit dem eigenen Schwert verletzt er sich am Oberschenkel. Er ruft „O Maria hilf“ und die immer wieder aufplatzende Wunde heilt.
Das berühmte Gewitter, das ihn überfällt auf dem Weg von Mansfeld nach Erfurt. Er ruft die
heilige Anna (Schutzheilige der Bergleute) an, schwört bei Bewahrung und Rettung seines Lebens ins Kloster einzutreten.
Was er dann auch tut. Am 17.7. 1505 Eintritt ins Augustinerkloster in Erfurt. Die Pläne des Vaters
sind zerstört, seinen Talar und Magisterring schickt er nach Mansfeld zurück, die juristischen Bücher verkauft er und schenkt den Erlös dem Kloster. Ein üppiges Abschiedsfest gibt er noch, wohlfeil inszeniert: „Heute seht ihr mich und dann nimmermehr.“ Einen Monat lebt er in totaler Abgeschiedenheit im Kloster, dann feiert er die Primiz - im Beisein seines Vaters. Der ruft seinem Sohn
laut und hörbar zu: „Habt Ihr nicht gelesen, du sollst Vater und Mutter ehren?“ „Wohlan, wollte
Gott, dass kein Teufel dahinter wäre.“ Der Bruch mit dem Vater, besonders aber auch mit der Mutter ist da.
Seine Novizenzeit ist hart im ‘Schwarzen Kloster’. 45-60 Mönche leben dort, 102 Augustinerklöster sind über Deutschland verstreut. Strengste Observanz ist angesagt: dünne Soutane, strapaziöser
Fastenrhythmus (15 Jahre lang), Verrichtung niederer Dienste, Latrinen putzen u.u.u. Dazu regelmäßige Stundengebete Tag und Nacht. Jedes kleinste Vergehen (Stottern, versehentliches Anfassen der
heiligen Geräte, Zuspätkommen...) wird bestraft, auch mit körperlicher Züchtigung und Kerker.
Die Sünde ist allgegenwärtig, muss unablässig bekannt werden, die Schuldkomplexe sind übermächtig. Luther hat Phasen schwerster Depressionen und Seelenqualen, glaubt nicht mehr lange zu
leben, weil er mehr und mehr abmagert.
„Da war ich der elendste Mensch auf Erden, Tag und Nacht war da nichts als Heulen und Verzweifeln, das mir niemand abnehmen konnte.“ (so L. im Rückblick)
Alle seine Krisen kreisen um das Eine: direkt vor Gottvater zu stehen, vor dem Richtergott und kein
Fürsprecher, keine Hilfe ist da; kein Bändigen des Fleisches (nicht sexuelles Begehren, sondern Gefühle wie Neid, Ärger Hass) hilft; es sind Glaubenskämpfe, die „rechten Knoten“, die ihn in die
Tiefe stürzen. Nichts kann getan werden, um vor Gott zu bestehen! Sein Leben lang ist er diesen
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Anfechtungen ausgesetzt und ausgeliefert. Der Teufel bleibt sein ständiger Begleiter.
Dennoch: - sein Abt und Beichtvater Staupitz versucht ihn zunehmend zu entlasten, innerlich wie
von äußeren Verpflichtungen - L. klettert nach oben auf der Karriereleiter: Subdiakon, Diakon, abgesandt an die Universität Wittenberg (soll dort Moralphilosophie lehren), studiert nebenbei weiter
Theologie, erfüllt zig Aufgaben: Priester, Vorleser, Lehrer der Novizen und Klosterbrüder, Prior für
elf Monasterien, pflegt den Fischteich von Lietzkau, vertritt das Volk von Herzberg beim Torgauer
Gericht, hält Vorlesungen über Paulus, schreibt an einem Kommentar für die Psalmen - und schreibt
Briefe über Briefe sein Leben lang.
1510 wird er nach Rom geschickt, Mitglied einer Augustinerdelegation zur Klärung innerklösterlicher Angelegenheiten. Er befolgt alle Vorschriften eines Rompilgers, rutscht auf den Knien die Scala Sancta (soll die heilige Stiege aus dem Palast des Pontius Pilatus sein, auf der Jesus hinaufgegangen ist). „Durch wunderbare Weisung kam ich nach Rom, sodass ich den Gipfel der Gottlosigkeit
und den Thron des Teufels sehen konnte.“ (so L. im Rückblick) Päpstliche Ablässe werden überall
angeboten (er kauft sogar einen für seinen Großvater!), Messen werden im Schnelldurchgang gelesen, Priester spotten bei der Eucharistie panis es et panis manebis(Brot bleibt Brot). Die Reise ist
ein Misserfolg, für L. und den Orden.
3. Luther promoviert in Wittenberg 1512, bei Andreas Karlstadt. Friedrich der Weise ist Regent und
einer der Reichsfürsten, die den Kaiser wählen. Ist besessener Sammler von Reliquien, an die 5000
soll es in der Schlosskirche geben. Stadt wird Zentrum des Buchdrucks, ist Sitz der kurfürstlichen
Residenz, der Universität und des Augustinerklosters. Am Rathaus ist ein Steinrelief angebracht
„die Judensau“, sie soll die Juden fernhalten. Allgemein gilt: Je mehr die Juden vertrieben werden,
um so mehr wird Maria verehrt. Lukas Cranach (der Maler der Reformation schlechthin) ist seit
1505 dort, Hofmaler, geschäftstüchtig, bekannt als der schnelle Maler, handelt mit Wein und pharmazeutischen Produkten. 1528 ist er der reichste Mann seiner Stadt.
L. hat Kontakt zu allen maßgeblichen Leuten, zu Spalatin (Sekretär und Beichtvater des Kurfürsten)
und Johannes Lang, Prior des Erfurter Klosters. Sein lebenslanger Freund.
In seiner Turmstube „würgt“ er sich mit seiner Bibel, entdeckt den Römerbrief für sich und hat sein
Turmerlebnis, auf dem Abort des Klosters: Der Gerechte lebt aus Glauben (Römer 1,17). So ist mir
diese Stelle des Paulus in der That die Pforte des Paradieses geworden.“ „Diese Kunst hat mir der
heilige Geist auf der Kloake eingegeben.“ In Christus wendet sich Gott dem Menschen gnädig zu,
er muss sich nicht erst vervollkommnen, um vor Gott recht zu sein. Nach heute frei übersetzt: Ich
muss mich nicht besser machen als ich bin, auch nicht schlechter. Von Gott bin ich angenommen
wie ich bin, weil über alles geliebt. Wenn ich das glauben und leben kann, ändert sich mein Leben,
es ist gut damit und ich bin der Angst nicht mehr ausgeliefert, weil ich nichts mehr beweisen muss,
weder mir noch Gott.
L. wird zur führenden Gestalt der Universität. Seine Disputationen und Vorlesungen sind berühmt.
31.10.1517 gibt L. seine 95 Thesen bekannt, angeschlagen am schwarzen Brett der Uni an der Tür
der Schlosskirche. Vorher hat er sie an kirchliche Repräsentanten geschrieben. Die Thesen werden
ins Deutsche übersetzt und sind innerhalb von zwei Monaten in ganz Deutschland bekannt. Sie gipfeln in einer gewaltigen Anklage des gesamten, auf dem Kalkül der Ablässe beruhenden Systems
der Frömmigkeit. „Sobald der Gülden im Becken springt, im nuy die Seel in Himmel springt.“ Tetzel ist der Ablassprediger schlechthin. Durch die Ablässe - für genügend Geld können die fälligen
Strafen im Fegefeuer drastisch reduziert werden - werden alle größeren (Peterskirche) und schwierigeren Bauunternehmen finanziert, auch Brücken und Deiche. Und natürlich werden die Taschen
der Bischöfe und Fürsten damit gefüllt. Die Geschäfte mit der Angst blühen. Sind aber nicht nur L.
ein Dorn im Auge.
Die Feinde, wie kann es anders sein, formieren sich. Johannes Eck, Professor in Ingolstadt, liefert
einen Verriss ab, Tetzel verteidigt die Ablässe in einer Schrift, sie wird von den Studenten öffentlich
auf dem Wittenberger Marktplatz verbrannt. An Eck schreibt L.: „Denn welche Hure, die ein wenig
zornig ist, könnte nicht dieselben Schmähungen und Herabsetzungen ausspeien, die du gegen mich
ausgespien hast.“
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4. Der Wirbel ist da, die Aufregung groß, bei den Großen wie den Kleinen. Zu Fuß (400 km) wandert er nach Heidelberg, das Generalkapitel der Augustiner tagt dort. Er legt seine Heidelberger
Thesen vor, die über die Kritik am Ablass hinausgehen: gegen den freien Willen, Philosophie ist
nutzlos für die Theologie, sie muss von ihr gezähmt werden; Gott ist verborgen im Leiden (deus
absconditus). Überlegener Disputant ist er dort, serviert seinen alter Lehrer (Trutfetter) kalt ab:
„Deine Theologie ist nichts.“
Zurück in Wittenberg scharen sich immer mehr junge Theologen um ihn, auch sein Doktorvater
Karlstadt. Die ganze Universität steht hinter ihm. Weitere Unterstützer gibt es jetzt überall, sie werden zu Anführern der Reformation: Martin Bucer (Straßburg), Wolfgang Capito (Basel), Martin
Frecht, Johannes Brenz.
Die Thesen werden noch im selben Jahr nach Rom geschickt, als häretisch verurteilt, ebenso sein
Schrift „Sermon von Ablass und Gnade“. L. wird nach Rom vorgeladen, aber einmal dort gewesen
zu sein, reicht ihm. Cajetan, päpstlicher Legat, reist nach Augsburg 1518, trifft Luther (drei Mal),
will ihn besänftigen und zum Widerruf bewegen. L. beruft sich zum ersten Mal auf sein Gewissen
und auf die Heilige Schrift, die über dem Papst und seinen Dekreten und über den Kirchenvätern
stehe. Und ohne Glaube seien die Sakramente nicht wirksam. Wie so oft bei den Disputationen, irgendwann brüllen sich beide an und L. wird fortgeschickt. Gefahr der Verhaftung besteht. Staupitz,
der die ganze Zeit über bei L. geblieben ist, entbindet diesen von seinen Gelübden und von sich als
seinem Vorgesetzten. L. steht jetzt ganz allein da, ohne Unterstützung. Er flieht über die Stadtmauer. Sieht sich in der Märtyrerrolle, spürt so etwas wie Auserwähltsein. Ja, er vergleicht sich zunehmend mit Christus. „Ich gehe hin, um für euch und für sie geopfert zu werden, wenn es dem
Herrn gefällt.“
5. Es wird weiter disputiert, 1519 in Leipzig, vor breiter Öffentlichkeit, drei Wochen lang. Dieses
Streitgespräch zwischen Johannes Eck, Luther und Karlstadt ist so etwa wie der Ausgangspunkt für
die Entstehung einer Partei der Lutheraner und einer Koalition der Gegner. Luthers Theologie radikalisiert sich weiter: Autorität der Konzilien stellt er in Frage, Petrus ist nicht der Fels, auf den die
Kirche baut, sondern Christus. Bekennt sich schließlich zu dem verbrannten Hus, der im Wesentlichen Recht gehabt hat.
Eck triumphiert rhetorisch, hat auch „am sehrsten geschrien“, Luther und Karlstadt aber nicht minder. Wird aber in einer Satireschrift schlichtweg fertiggemacht: „Eckius dedolatus, der enteckte
Eck“, wird in die Nähe von Juden gerückt. Überhaupt ein beliebtes und beschämendes Stilmittel der
damaligen Zeit: Bist du nicht für mich, kannst du nur ein Jude sein!
Die Dämme sind gebrochen. Nach dem Angriff auf die päpstliche Autorität und die kirchliche Hierarchie, hinterfragt er, was jedes Gemeindeglied aus eigener Erfahrung kennt: Das Treiben der religiösen Laienorganisationen, der Bruderschaften, die das System der Ablässe untermauern. Sie seien
nichts weiter als Entschuldigungen für „fressen, saufen, unnützes Geld ausgeben, plärren, schreien,
schwätzen, tanzen und die Zeit vertun...Wenn man eine Sau zu einer solchen Bruderschaft geben
würde, würde die es nicht aushalten.“ Vornehmer gesagt: Lebendig ist Luthers Prosastil, lebendig
und erdverbunden wie Breughels Bilder. Und es wird von L. gedruckt, was das Zeug hält: 20 Prozent aller im deutschen Buchdruck veröffentlichen Werke sind von Luther (immer ohne Honorar),
immer mehr Laien verteidigen ihn in ihren Schriften. Die erste überlieferte Abbildung von L., einem jungen, zurückhaltenden Mönch erscheint. Von nun an ist auch sein Aussehen überall bekannt.
die „lutherische Sache“ ist in aller Munde.
6. 1520 Seine kreativste Phase beginnt:
1. „An den christlichen Adel deutscher Nation“ (alle Christen sind von Haus aus Geistliche, es
gibt keine Hierarchien, keine Papstautorität...)“Ist das nicht ein Hurenhaus über allen Hurenhäusern, die jemand erdenken kann, so weiß ich nicht, was Hurenhäuser sind.“; gegen Heiligenkult, gegen Pilger- und Wallfahrten, gegen Bettelorden , stattdessen für geregelte Armenfürsorge: Messlatte in und bei allem ist die Bibel. Und gegen den Zölibat schreibt er: Mann und
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Frau sind füreinander geschaffen. Wenn man sie zusammenbringen und ihnen zugleich verbiete,
miteinander sexuell zu verkehren, so sei das ebenso „wie Stroh und Feuer zusammenzulegen
und zu gebieten, es wolle weder rauchen noch brennen.“ Sex sei natürlich, und der Papst habe
so wenig Macht, Sex zu verbieten, „wie er Macht hat, Essen, Trinken und das natürliche Ausscheiden zu verbieten oder das Fettwerden.“: Die Fürsten sollen die Reform durchführen - das
will Luther und erhofft er!
2. „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ (gefangen wie die Juden in Babylon sind
jetzt die Christen, Rom ist Babylon, der Papst der Antichrist; die Bibel ist das einzige Sakrament, Taufe und Abendmahl sind sakramentale Zeichen; entscheidend ist allein der Glaube)
3. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ („Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle
Dinge und niemandem untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und
jedermann untertan“); frei ist er, weil die Sünden „in Christus verschlungen“ sind, dienstbar,
weil Gott die weltliche Ordnung eingesetzt hat; eine Erbauungsschrift ist das, ohne jede Polemik)
25.6.1520 Bannandrohungsbulle: Exsurge Domine (Papst Leo); 60 Tage hat L. Zeit zu widerrufen.
In all den Auseinandersetzung wird das Gebet ungeheuer wichtig für ihn und bleibt es, das Gebet,
bei dem „ein hertz zu sich selbs kommen und warm werden“ solle. „Ein gutes Gebet soll nicht lange sein,...sondern öfter wiederholt und mit Inbrunst ausgeführt werden.“
Es kommt zum Bruch mit Staupitz, der L. nicht folgt in der Ablehnung des Papstamtes. Beide haben sich gegenseitig idealisiert, nun beide sind bitter enttäuscht voneinander. Staupitz ist der Meinung: Luthers Werk „werde von denen hoch erhaben, die in Hurhäusern lägen...“ Und L. schreibt
ihm: „Es muß, liebster Vater, das Reich des Greuels und des Verderbens, des Pabsts, mit seinem
ganzen Körper zerstört werden.“
1523 wird der Augustinerorden aufgelöst, ein Jahr später stirbt Staupitz.
Die Polemik wird immer schriller und zur täglichen Routine. Ochse, Ziegenbock, Esel, Wolf sind
die harmlosen Beleidigungen.
10.12.1520 in Wittenberg: L. verbrennt öffentlich die päpstlichen Dekrete, das kanonische Recht
und die Bulle mit den Worten (lateinisch): „Weil du das Heilige Gottes verdorben hast, verderbe
dich heute das ewige Feuer.“ Anschließend antipäpstliches Studentenfest, Totenmesse für die Bannbulle. Ein Ereignis jagt das andere, ein Angriff folgt dem anderen, man verbrennt gegenseitig die
Bücher; Eck wird von Studenten bedroht und verfolgt.
Am 3.1.5121 Luther ist exkommuniziert. „Wenn wir die Diebe mit dem Galgen, die Räuber mit dem
Schwert, die Ketzer mit dem Feuer strafen, warum wenden wir uns dann nicht mit Waffengewalt
auch gegen diese Lehrer des Unrechts, die Kardinäle, Päpste und das ganze römische Sodom, das
die Kirche Gottes unablässig verwüstet, und waschen unsere Hände in ihrem Blute?“ Da ist er
wieder, der dunkle Martin, der hasserfüllte, der gegen sich selbst schreibt und agiert und hemmungslos agitiert.
„Ein Mensch lerne den Zorn stillen und ein geduldiges, sanftmütiges Herz tragen, sonderlich gegen
die, die ihm Ursache zu zürnen geben, das ist, gegen die Feinde.“ (großer Katechismus 1529)
7. Dann ist er da, der große Tag, der Reichstag zu Worms 1521. Und Luther ist dort und mittendrin.
Denn, so Friedrich der Weise, über Luther soll nicht gerichtet werden, außer „er wäre denn zu vor
gehört worden..., so daß die Wahrheit an den Tag komme.“ Wenn durch die Heilige Schrift gezeigt
würde, dass er irre, würde er sich untertänig weisen lassen.
L. erhält freies Geleit für 21 Tage, reist diesmal in der Kutsche an, alle wollen ihn sehen, den Berühmten, den „Wundermann“. Seine Durchreisen werden zum Triumphzug, aber auch zur Belastung: in Eisenach erkrankt er schwer, überzeugt, dass der Teufel alles dransetze, ihn an der Ankunft
in Worms zu hindern. Aderlass und Branntwein bringen ihn wieder auf die Beine. Er schlägt alle
Warnungen (auch von Spalatin), nach Worms zu gehen in den Wind, er will da hinein, „selbst wenn
so viel Teufel zu Worms wären, als Ziegel auf den Dächern.“
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17.4. L tritt vor dem Reichstag, Menschen klettern auf die Dächer, ein einziges Gewühl brodelt um
ihn herum. Seine Buchtitel werden verlesen. „Sind die Bücher dein? - Ja - Willst du sie widerrufen? - Nein - So heb dich. Geh!“
18.4. zweite Anhörung: L. räumt ein, gegen einzelne Personen heftiger gewesen zu sein als erlaubt,
aber er sei nun mal kein Heiliger. Will sich belehren lassen mit Argumenten der Heiligen Schrift,
dann würde er als Erster seine Bücher in die Flammen werfen. Aber “...mein Gewissen in Gottes
Wort gefangen ist, so kann und will ich nichts widerrufen, weil weder sicher noch gerathen ist, etwas wider das Gewissen zu thun.“ Hiermit endet laut Protokoll Luthers Antwort. „Hier stehe ich,
ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen“ verbreiten seine Anhänger als Schlusswort.
(Das Gewissen ist bei L. selbst so frei nicht. Es ist gebunden an ein inneres Wissen um die objektive
Bedeutung und Wahrheit von Gottes Wort. Es ist verbunden mit Gefühl, Herz und Glauben, die
gleichsam der Sitz von Gewissheit sind.)
Sein Auftritt hat größere Wirkung als all seine Bücher. Die katholische Seite weigert sich, eine Debatte mit L. zu führen. Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen bieten ihren Schutz an.
Kaiser Karl V bescheidet: Exkommunikation bleibt bestehen, ein einzelner Mönch könne nicht
Recht haben und sich Zenturien gelehrter Theologen irren. Das wird dann auch zum Hauptargument seiner späteren Gegner: Luthers Auslegung der Heiligen Schrift sei nichts anderes als seine eigene Interpretation.
Luther reist ab, sicheres Geleit ist ihm zugesagt vom Kaiser. Karl V sagt später im Alter: „Ich irrte,
als ich damals den Luther nicht umbrachte.“ “...so wuchs der Irrtum ins Ungeheure. Das hätte ich
verhindern können.“
Reichsacht, 24.5. Edikt von Worms: L. ist vogelfrei. Es ist verboten, ihn zu beherbergen, mit ihm zu
speisen, seine Bücher zu drucken und zu besitzen. Bleibt aber ohne nachhaltige Wirkung. Luther
bleibt der Held, fast wie Christus selbst. So in einer unmittelbar darauf erscheinenden Flugschrift:
Doktor Martinus Luther ging aus Wittenberg mit seinen Jüngern über den Rhein. Und er kam in die
Stadt Worms, wo der Kaiser Karl Reichstag hielt... Als es aber Abend wurde und Luther mit seinen
Jüngern zu Tisch saß, und mit anderen guten Freunden, als sie nun aßen, sagte Luther: Wahrlich,
ich sage Euch, viele sind in dieser Stadt, die mich verkaufen werden und verraten.
Pause: „Man soll den Gästen einen guten Trunk geben, damit sie fröhlich werden.“ (Luther), davor und danach Chor
8. Auf der Wartburg in Eisenach, 10 Monate muss er dort ausharren. Seine Entführung und „Verschleppung“ auf der Heimreise ist vorgeplant und arrangiert von Friedrich dem Weisen; L. wird zu
Ritter, Junker Jörg. Das neue Dasein gefällt ihm nicht, nicht die Jagd, nicht das adelige Leben. Er
klagt über erzwungene Einsamkeit und Müßiggang, „Faulheit, Müdigkeit, Schläfrigkeit“. Er leidet
an schwerer Verstopfung. „Der Herr hat mich am Hintern mit großen Schmerzen geschlagen“
schreibt er an Melanchton. Und er sei tausend Teufeln ausgesetzt (Legende vom Tintenfleck nach
Wurf des Tintenfasses nach dem Teufel). Inneres Ringen treiben ihn um wegen des Ende seines
Mönchdaseins. „Ich bin dahin mehr gerissen als gezogen worden.“
Melanchton, sein verehrter Professorenfreund in Wittenberg lehrt weiter dort („Loci communes rerum theologicarum), Karlstadt produziert unablässig und wird zunehmend radikaler: Ablehnung religiöser Bilder, Angriff auf Klostergelübde.
Rektor der Univ. Wittenberg ist der erste geweihte Priester, der öffentlich heiratet.
Die Freundschaft zu Karlstadt kühlt ab, er schreibt ihm keinen einzigen Brief von der Wartburg.
Dann entsteht sein großes Werk: Die Übersetzung des Neuen Testamentes aus dem griechischen Urtext. Beansprucht seine ganze Energie, holt ihn ins Leben zurück: keine Langeweile mehr, Verstopfung hört auf, auch seine Schläfrigkeit.
Es ist schon gesagt worden: prägend ist sein deutsches Neues Testament für die gesamte deutsche
Sprache, trägt zu ihrer Vereinheitlichung entscheidend bei. Seine didaktischen Vorworte zu den
Evangelien und Briefen strahlen fast dieselbe Textautorität aus wie die biblischen Texte.
In Wittenberg gehts währenddessen drunter und drüber: Flugschriften kursieren gegen den Papst
als Antichristen, gegen die katholische Messfeier (sie ist kein Opfer mehr), das Abendmahl wird in
beiderlei Gestalt ausgeteilt, Mönche verlassen reihenweise ihre Klöster, das Mönchtum fällt in sich
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zusammen, verliert an Glaubwürdigkeit; gegen Marienkult, gegen Bettelei wird gewettert; Priester
werden von den Altären vertrieben, mit Steinen beworfen, die Bilderstürmerei läuft an; die ersten
Einheizer treten auf den Plan (Zwickauer Propheten). L. bekommt das Ganze mit und schreibt „Eine treue Ermahnung an die Christen, sich vor Aufruhr und Empörung zu hüten.“ Dennoch: es
scheint ihm aus den Händen zu gleiten, was er begonnen hat.
Bemerkenswert als Folge des Aufrufs gegen die Bettelei: Wittenberg ist die erste Stadt in Deutschland, in der es es eine Verordnung zur Armenhilfe gibt, die sog. „Wittenberger Beutelordnung“.
Betteln und Armut werden als Problem sozialer Ungerechtigkeit wahrgenommen.
Karlstadt spielt die Hauptrolle der Reformation, währen L. auf der Wartburg festsitzt. Er radikalisiert sich mehr und mehr, ist extrem autoritär, auch gegen sich selbst. Fordert strenges Asketentum,
alle Lust sei Sünde, der Gläubige müsse „ein schreckliches Grauen“ vor sich selbst entwickeln, in
Scham versinken. L. dagegen: Askese bringt nicht weiter, Gottes Schöpfung sollen wir stattdessen
genießen.
Karlstadt entwickelt die ganze Leidenschaft eine Konvertierten, eine Bekehrten. Er wiegelt das
Volk auf, inszeniert für ca. 1000 Menschen das Abendmahl in beiderlei Gestalt. Verehrt aber immer
noch seinen Freund. „Wir sollten lieber den ehrlichen Martin als den ganzem Pöbel von Papisten
glauben. Wir wissen durch dich, Martin, dass Christus wahrhaft wiedergeboren wurde, du Gott, erhalte ihn uns.“ Predigt scharf gegen die Bilderverehrung, gegen Bilder überhaupt. Alle, die Bilder
verehren, seien Huren und Ehebrecher. Der Rat der Stadt erteilt Mandat zur Durchführung der Reformation. Die Katholiken wehren sich, Luther entzieht der Reformation in Wittenberg seine Unterstützung und kommt dem Kurfürsten zu Hilfe. Alle Neuerungen müssen zurückgenommen werden.
Am 6.2.1522 kehrt L. nach Wittenberg zurück, endlich. Und predigt gleich wieder und verhöhnt seinen Karlstadt. „ Darum, liebe Brüder, folgt mir... Ich bin euch der Erste gewesen, den Gott auf diesen Plan gesetzt hat.“ Wie auch sonst in seinem Leben: Wenn’s buchstäblich um Kopf und Kragen
geht, stellt sich Luther immer auf die Seite der Obrigkeit. Es sei halt - wie immer, so auch jetzt wieder - der Satan, der sich in Gestalt Karlstadts gegen ihn wende. Karlstadt wird vom Kurfürsten verbannt. Er lässt sich als Bauer nieder, legt seinen Doktortitel ab, bleibt einfacher Priester. Lange
Wanderschaft schließt sich, immer verfolgt von Luthers Informanten. Er will die Reformation von
unten durchgeführt sehen, Luther von oben.
Am Ende werden dann doch die meisten der Karlstadtschen Reformen wieder eingeführt und die
Reformation wird weitergetragen. Zwickau, Augsburg, Nördlingen, Straßburg ...überall im Kaiserreich. Mit den üblichen und üblen Begleiterscheinungen: Zerstörung der Altäre und Bilder, Zerreißen der Messbücher, Verspottung der Geistlichen, Urinieren in Messkelche.
Dann betritt Thomas Müntzer die Bühne. Er ist Prediger in Zwickau, dann in Prag. Will das Reich
Gottes mit dem Schwert herbeiführen, ist vom Weltuntergang überzeugt. Sein „Bund göttlichen
Willens“ ersetzt die Treuepflicht gegenüber der weltlichen Obrigkeit.
In seiner Schrift „Wider die himmlischen Propheten“ verurteilt Luther diese in seinen Augen
Schwarmgeister, auch Karlstadt ist für ihn vom Teufel besessen.
9. Im Herbst 1524 erheben sich die Bauern, der Bauernkrieg beginnt. Es erscheinen die „Zwölf Artikel der Bauernschaft“. Eröffnet mit der evangelischen Forderung nach dem Recht jeder Gemeinde,
ihren Pfarrer selbst zu berufen und der Abschaffung der Leibeigenschaft. „Als Adam grub und Eva
spann, wo war denn da der Edelmann?“ ihr „Schlachtruf“!
Luthers Antwort: „Vermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft“. Für ihn ist
die Revolte der Bauern ein Gericht Gottes über die verstockte Hartherzigkeit der Herren, auch der
Kirchenfürsten und der Klöster. Dann aber verurteilt er den Aufstand scharf. Die Obrigkeit hat das
Sagen, er verteidigt den Zehnten als Eigentumsrecht. Er hat Angst vor dem Zerfall der Ordnung und
dem Sturz der Obrigkeit. Aufstand sei schwere Sünde!
1525 „Bauernhaufen“ kontrollieren weite Teile Süd- und Mitteldeutschlands (auch Freiburg und
Breisach) und Teile des Elsass.
Juni 1525 schwere Niederlage des Bauernheeres durch die schwäbische Liga bei Würzburg. Münt-
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zer wird hingerichtet. In seiner Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der
Bauern“ nennt Luther diese „Rasende Hunde, eitel Teufelswerk“, aufgestachelt vom „Erzfeind“
(Müntzer), der in Mühlhausen regiert und nichts als Raub, Mord, Blutvergießen anrichtet. „Darum
soll hier zusammenschmeißen, würgen und stechen, heimlich oder öffentlich, wer nur kann, und daran denken, dass nichts Giftigeres, Schändlicheres, Teuflischeres sein kann als ein aufrührerischer
Mensch, den man wie einen tollen Hund totschlagen muss, denn schlägst du ihn nicht, so schlägt er
dich und ein ganzes Land mit dir.“ „Fürstenschmeichler“ wird er fortan genannt!
Karlstadt, von Bauern verfolgt, sucht Hilfe bei Luther. Der versteckt ihn für acht Wochen. Karlstadt
entschuldigt sich bei ihm, widerruft seine Abendmahlslehre, für Luther aber bleibt er „der Lehre
halber“ sein größter Feind. Er bewahrt ihn trotzdem vor dem Tod. Von da an ist Karlstadt ein gebrochener Mann und zieht sich nach Basel zurück.
10. L. beschließt, den Teufel zu ärgern, indem er eine besonders große Sünde (als Mönch) begeht:
Er heiratet - eine Nonne!
Seit 1523 hält sich in Wittenberg eine Gruppe von entlaufenen Nonnen auf, für die L. Unterkünfte
und neue Kleider besorgt. Dafür verkauft er Kirchenschmuck und Ornate. Schlüpft in die Rolle des
Ehevermittlers, schafft Männer für sie herbei.
Am 13.6. heiratet er Katharina von Bora, mitten im Bauernkrieg. „Ich habe nicht fleischliche Liebe
noch Brunst, sondern habe Gefallen an einem Eheweibe.“ Ab da wird er ein sinnlicher Mensch, das
Brautbett wird - so ist es Brauch - vor aller Augen bestiegen. „Daher auch die Ärzte nicht übel reden, wenn sie sprechen: Wo man mit Gewalt diese Natur anhält, da muss es in das Fleisch und Blut
schlagen und Gift werden.“
„Das erste Jahr des Ehestandes macht einem seltsame Gedanken. Wenn man am Tisch sitzt, denkt
man: Vorhin warst du noch allein, nun bist du zu zweit. Im Bett, wenn man erwacht, sieht man zwei
Zöpfe neben sich liegen, die man vorhin nicht sah.“
Katharina ist regelmäßig schwanger, alle zwei Jahre kommt ein Kind zur Welt. Als seine über alles
geliebte Tochter Magdalena stirbt, ist er am Boden zerstört und kommt lange nicht darüber hinweg.
Häufig macht er Witze über die Sexualität, Frauen seien nun halt mal Gebärmaschinen, gottgewollt
sei das eben. Dennoch ehrt und schätzt er seine Frau und liebt sie, sie wird sein Halt und seine Stütze.
Katharina ist für alles Häusliche zuständig, für Garten, Brauerei, Viehhaltung, und für die manches
Mal zu vielen Gäste bei Tisch und im Haus, dem alten Augustinerkloster. Luther wird dick und
mehr und mehr zum Patriarchen.
Dass Schmäh und Spott von seinen Gegnern über ihn und seine Käthe losbricht, wundert nicht. Es
geht langsam zu Ende mit seiner Popularität.
In diese Zeit fällt die große Auseinandersetzung mit Ersamus. Streitpunkt: Der freie bzw., unfreie
Wille. Erasmus: Mit einem Teil seines Willens kann der Mensch auch Gutes vollbringen, für L. gibt
es diesen freien Willen nicht. Nur die Gnade Gottes führe zu guten Taten, da der Mensch seit
Adams Fall ganz verdorben sei. Dann aber schreibt er über Erasmus. „Wer den Erasmus zerdrückt,
der würget eine Wanze, und diese stinkt noch tot mehr als lebendig.“
Auch das sei erwähnt: ohne Musik kann L. nicht leben, er singt und musiziert, er dichtet und komponiert. „Ich wünschte gewiss von Herzen, dass jeder die göttliche und vortreffliche Gabe der Musik lobte und priese.“ Sie ist ihm Trost und Hilfe, wenn die Schwermut und die Anfechtungen kommen.
1524 erscheint das erste evangelische Gesangbuch, einer der Komponisten ist Johann Walter, Urkantor der lutherischen Kirche. (Evang. Gesangbuch 145, gedichtet und komponiert von Walter:
Wach auf, wach auf, du deutsches Land, du hast genug geschlafen...) Und was wäre Johann Sebastian Bach ohne die Lutherbibel, ohne Lutherchoräle, ohne die entstehenden protestantischen Lieder?!
11. Der Abendmahlsstreit spitzt sich zu und entzweit. Für L. ist Christus leibhaftig gegenwärtig in
Brot und Wein, wenn ich beides im Glauben empfange. Für seine Gegner, die Sakramentarier (u.a.
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Zwingli und Calvin) sind Brot und Wein bloße Zeichen. L. sieht in ihnen wieder einmal den Satan
am Werk, der sein, Luthers Werk zerstören will. In Folge der immer schärfer werdenden Auseinandersetzungen bricht Luther zusammen, wird bewusstlos, rechnet mit seinem Tod, hat Angst, seinen
Glauben zu verlieren. Einst ist Luther der verlorene Sohn gewesen, jetzt ist er der zurückgebliebene
Vater, dessen eigensinnige Söhne keine Anstalten machen, zu ihm zurückzukehren. Er wird immer
unbeweglicher, fordert vollständige intellektuelle und spirituelle Unterordnung. Die Gefahr ist da,
dass eine neue Kirche entsteht, die in mancherlei Hinsicht weniger tolerant ist als die, die er bekämpft hat.
Die ersten Lutheraner sterben den Märtyrertod, grausam. So in Bayern. Ein Augenzeuge berichtet:
„So wurde das Feuer angezündet, so schrie er vielmals laut: ‘Jesus, ich bin dein, mach mich selig.
Danach sind ihm Hände, Füße und der Kopf verbrannt. Als das Feuer weniger ward, hat der Steuber eine Stange genommen, den Körper herumgewälzt und danach mehr Holz auf das Feuer gelegt. Dann hat der Henker in den Körper ein Loch gehauen, mit dem Schwert hineingestochen, danach eine Stange hineingesteckt und den Körper an der Stange wieder auf den Rost gehoben, dass
er weiter verbrenne...“
L. ist getroffen, als er davon erfährt. Er schämt sich und wirft sich vor, Märtyrer zu schaffen.
12. 1530 Reichstag zu Augsburg. Philipp von Hessen wird zum wichtigsten Anführer der Evangelischen. Die lehnen die Kriegspläne des Kaisers gegen die Türken ab, sofern er nicht die Reformation
zulasse. Der erlaubt ihnen, ein eigenes Glaubensbekenntnis aufzusetzen, verbietet aber evangelische
Predigten.
Luther verfolgt das Ganze von der Feste Coburg aus. In seiner dort verfassten Schrift „Vermahnung
an die Geistlichen, versammelt auf dem Reichstag zu Augsburg“ verweist er nochmals auf seine
Leistungen und Errungenschaften, die er von den Sakramentariern gefährlich bedroht sieht. Die haben auch das Übergewicht auf dem Reichstag. Nach zwölf Jahren schließt er die Übersetzung des
Alten Testamentes ab, nicht möglich wäre das gewesen ohne seinen Melanchton.
Er erfährt vom Tod seines Vaters, weint den ganzen Tag, befallen von lähmendem Kopfschmerz und
schrecklichen Zahnschmerzen, kann tagelang nicht lesen und schreiben.
Nach zähem Hin und Her einigen sich die Evangelischen auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis,
die Confessio Augustana wird dem Kaiser überreicht. Eck widerlegt sie in seiner Confutatio. L. verkracht sich mit Melanchton, der ihm zu philosophisch und zu weich gewesen sei. Die Katholische
Seite ist sogar bereit gewesen einzuräumen, dass Erlösung durch Glaube und Gnade sich ereignet,
nicht durch gute Werke. Die Verhandlungen scheitern dennoch und die Sakramentarier unterzeichnen die Confessio nicht! Das Wormser Edikt wird bestätigt!
Dennoch: Der Nürnberger Religionsfriede (1532) machts endlich möglich: Den Protestanten wird
freie Religionsausübung garantiert. Und: Die Katholiken wachen langsam auf, ein Reformkonzil
wird eingeleitet 1545 zu Trient, der Reformdruck ist einfach zu groß für diese große Kirche.
13. Bündnisse werden geschmiedet: Schmalkaldischer Bund (1531), evangelisches Verteidigungsbündnis, die Sakramentarier werden ausgeschlossen; katholische Liga als Gegenüber.
1531 fällt Zwingli in der Schlacht bei Kappel, für L. ist das „das Ende des Ruhmes, den sie durch
Lästerung wider das Abendmahl Christi suchten.“ Zwingli ist weit mehr reformiert als L., der , so
seine Gegner, immer „katholischer“ wird.
Täuferbewegung (gegen Kindertaufe) formiert sich (1534), vornehmlich in Münster. Ihr Führer Jan
von Leiden will eine Theokratie errichten, führt die Polygamie ein. Ein Jahr später ist der Spuk zu
Ende, die Stadt fällt, die Anführer werden gefoltert und hingerichtet.
Im Abendmahlsstreit scheitern sämtliche Vermittlungsversuche, u.a. von Bucer. Die Spaltung ist da.
L. ist immer weniger für Kompromisse zugänglich. Er bleibt dabei: Christi Gegenwart im Abendmahl muss physisch verstanden werden!
Was die Erwählung (Prädestination) des Menschen durch Gott angeht, wer also vorherbestimmt zur
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Erlösung oder nicht - daran solle man am besten nicht denken, so Luther. Solche Dinge lägen außerhalb unserer Reichweite. Obwohl er nicht verhehlen kann gemäß seiner Theologie, dass es doch
Gott allein ist, der Gnade verleiht, wem er will. Ein gefährlicher Gnadenbegriff, nicht weit weg von
Willkür und purer Machtausübung. Mit dieser Frage haben sich die Theologen nicht nur damals herumgeschlagen und herumgeplagt.
Nicht unterschlagen werden soll aber Luthers großes seelsorgerisches Einfühlungsvermögen, seine
Zuwendung an Menschen in seelischen und körperlichen Nöten. Er kann trösten und liebevollst zusprechen und aufrichten. In Schwierigkeiten kommt er allerdings, als der die Bigamie Philipps von
Hessen erlaubt, ist aber dabei von diesem hintergangen und angelogen worden.
14. Die neuen Pfarrer in den sich nach und nach bildenden Landeskirchen, sind wenig geschult.
Schulen werden gegründet, Bildung wird wesentlich für die Reformation. Auch Mädchen sollen auf
die Schule! Seine Welt, obwohl er viel in Deutschland gereist ist, ist klein und überschaubar: Sein
Wittenberg, seine Universität, seine manchmal bis zu 50 Tischgenossen (berühmt sind die Tischgespräche!) und wenige von seinen ehemaligen Mitstreitern: Melanchton und Johannes Lang z.b..
Und die Cranachs.
Ab 1543 verschlechtert sich sein Gemütszustand und seine Gesundheit zusehends. Gegen seine permanenten Kopfschmerzen wird eine Vene am Bein ständig offengehalten. Die Nierensteine plagen
ihn, die Gicht, Verstopfung, Harnverhaltung und stetige Kälte. „Ich habe meine Bahn durchlaufen,
es ist Zeit für mich, meine Väter zu sehen, und Zeit für die Verwesung, und dass die Würmer ihren
Teil abbekommen.“ Melanchton unterstützt ihn mehr und mehr und Luther selbst wird immer kritischer gegenüber den Tragödien der Reformation. Es plagt ihn, dass er die Beziehungen zu so vielen
zerstört hat, die in seine Fußstapfen hätten treten können. Eine Frage aber bleibt: Wen hätte er wohl
in seinen Fußstapfen geduldet?
15. „Ich arbeite nie besser als durch Zorn inspiriert. Wenn ich zornig bin, kann ich besser schreiben, beten, predigen, da mein Geist schneller arbeitet, mein Verstand geschärft ist und alles weltlichen Sorgen und Versuchungen dahingefahren sind.“ Und: „Der erste Zorn ist immer der beste.“
Das kann man als heiligen Zorn gerade noch durchgehen lassen. Wenn daraus aber Hass wird, geht
das einfach nicht zusammen mit seinem so gepriesenen Evangelium. „Wenn es in meine Hände gelegt wäre, würde ich an meinen Feinden tüchtig Rache nehmen.“
L. drischt drauf los, vor keinem macht er Halt. Papst Paul III beschimpft er als Sodomisten und
Transvestiten, als die „heilige Jungfrau Sancta Paula III Frau Päpstin.“ Antipapst-Holzschnitte
aus der Cranach-Werkstatt finden reißenden Absatz. Nicht nur Luthers Hass, auch der seiner Gegner vergiftet das Verhältnis der Konfessionen in den kommenden Jahrhunderten und erschweren jeden Versuch, religiösen Frieden zu schaffen. Religionskriege, insbesondere der Dreißigjährige
Krieg machen schrecklich deutlich: fanatische und missbrauchte Religion im Ränkespiel mit korrupter Macht - und Habgierpolitik führen buchstäblich in die Hölle auf Erden.
Den Kreuzzug gegen die Türken lehnt L. ab. Ihr Vordringen in Europa ist für ihn eine Geißel Gottes, um Christen für ihre Sünden zu strafen, wegen ihres Glaubens dürfen sie nicht angegriffen werden und wenn, dann nur im Gehorsam der weltlichen Obrigkeit gegenüber. Er bewundert die Bescheidenheit der Türken und ihre Sitten. Fördert die Übersetzung des Koran, obwohl er dessen Inhalt ablehnt.
Wenn er nur so tolerant zu den Juden gewesen wäre! Zu Anfang ist er es ja - ein wenig.
1523 „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei.“ Darin lesen wir: „Denn sie (die Christen) haben
die Juden behandelt, als wären sie Hunde und nicht Menschen, haben nichts geäußert, als sie zu
schelten und ihnen ihr Gut zu nehmen, nachdem man sie taufte. Man hat ihnen keine christliche
Lehre noch Leben bezeugt, sondern sie der Päpsterei und Möncherei unterworfen.“ Er ist damals
noch der Meinung, das Judentum löse sich durch Assimilation auf.
Das Alte Testament könne nur im Lichte des Neuen Testamentes gelesen werden mit der Folge,
dass aus den verfolgten Juden die Verfolger werden. Sie leugnen ja den Messias, haben Christus
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ans Kreuz geschlagen. Diese Stellung zu den Juden ist Allgemeingut, auch unter den Humanisten,
aber keiner greift so in die untersten Schubladen wie L. Sein Antijudaismus ist nicht nur Ausdruck
zeitgenössischer Haltung, sondern wesentlicher Bestandteil seines Denkens: Die Christen sind jetzt
das auserwählte Volk und haben die Juden abgelöst. Für Luther sind die Juden keine „echten“ Juden
mehr. Da sich die Verheißung nicht an ihnen erfüllt hat, müsse man eben davon ausgehen, das sie
„ein ganz und gar anderes Volk wurden und nichts vom früheren geblieben ist als eine faule Bande
von zugelaufenen, frechen Spitzbuben oder Zigeunern, die sich beschneiden und so tun, als wären
sie Juden.“
Es gibt (nicht ausschließlich wegen Luther, auch auf Seiten der Katholiken geschieht das) brutale
Übergriffe gegen die Juden, weil sie u.a. die Jungfräulichkeit Marias leugnen. Marienkapellen werden mit Absicht neben zerstörte Synagogen gestellt. Sie sind einfach nicht zu bekehren, verstockt
und hartherzig. Aus seiner berüchtigten späteren Schmähschrift ist schon zitiert worden, ein einzige
unflätiges, menschenverachtendes Pamphlet, das seinesgleichen sucht, auch in der damaligen Zeit,
in der die Judenverachtung fast schon zum guten Ton gehört. Juden seien Zauberer, so schreibt er,
die im Mist herumwälzen und nur den Teufel verehren. Wenn Christen einen Juden sehen, sollen sie
„mit Saudreck auf ihn werfen... und ihn von sich jagen.“ Luther steigert sich beim Schreiben dieser
Schrift in einen Rausch. Stellt sich die Juden beim Küssen und Anbeten der Exkremente des Teufels
vor:
„Der Teufel hat in die Hosen geschissen und den Bauch abermals geleert. Das ist ein rechtes Heiligtum, das die Juden, und wer immer Jude sein will, küssen, fressen, saufen und anbeten sollen.“
Juden, so Luther in seinem Exzess, die keinen Messias haben, sind nicht besser als Schweine.
Seine Judenschriften werden in der ganzen Christenheit gelesen, sogar ins Lateinische übersetzt.
Und haben geprägt und prägen womöglich immer noch Teile protestantischer Identität und andere
wirre Köpfe.
16. 1546 tritt Luther seine letzte Reise an, mit seinen drei Söhnen, nach Eisleben, seinem Geburtsort. Krank und schwach ist er, es ist furchtbares Wetter und doch soll er wieder einmal Streit
schlichten zwischen den Mansfelder Grafen (es geht um Hüttenrechte). Die Schlichtung scheitert.
An seine Frau schreibt er: „dass ich dich sehr liebkosen würde, wenn ich nur könnte, wie du
weißt...“ Seine Briefe an seine Käthe sind bemerkenswert, zärtlich, freimütig und voller Tiefe sind
die Erfahrungen, die er mit ihr teilt.
Und wieder und wieder bricht in seinen anderen Briefen und Predigten, sein Judentrauma durch,
wenn er immer wieder gegen sie hetzt und schreibt, er müsse sich jetzt darauf verlegen, die Juden
zu vertreiben.
Kurz vor Eisleben bricht er zusammen, und wie könnte es anders sein, wieder ist das für ihn das
Werk des Teufels. Er kommt noch einmal hoch, kann noch an den gemeinsamen Mahlzeiten mit allen Hausbewohnern teilnehmen. Schmerzen überfallen ihn, die ständige Kälte kriecht in ihm. Der
Tod ist nahe, das weiß er. Er betet vor dem offenen Fenster „In manus tuas commendo spiritum
meum...“ Er dankt Gott dafür - ohne seine Katharina und seine Feinde zu vergessen -, dass er sich
ihm in Christus offenbart habe, „den ich gepredigt und bekannt habe, den ich geliebt und gelobt habe, den der leidige Papst und alle Gottlosen schänden, verfolgen und lästern.“ Und dann: „Ich
fahr dahin.“ Auf die Frage des anwesenden Geistlichen: „Warst du treu zu Christus und seiner Lehre?“ kommt sein „Ja!“ Überliefert wird auch noch das von seiner letzten Stunde: „Die Gedichte
Vergils vom Landbau kann niemand verstehen, der nicht fünf Jahre Ackermann gewesen sei, den Cicero niemand, er habe sich denn fünfundzwanzig Jahre in einem großen Gemeinwesen bewegt. Die
Heilige Schrift meine niemand genug verschmeckt zu haben, der habe denn hundert Jahre lang mit
Propheten und Aposteln die Gemeinde regiert.“ Um dann darauf seufzend mit den Worten zu sterben: „Wir sind Bettler, das ist wahr.“
Luther stirbt wie er gelebt hat: in aller Öffentlichkeit. Sein ruhiger Tod ist für alle Zeichen für sein
rechtschaffenes Leben und Zeichen dafür, dass er in den Himmel aufgenommen ist.
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Zu Lebzeiten denkt Luther gar nicht daran, im gleicher Weise von den aus seinem Lebenskreis Dahingefahrenen zu denken: Erasmus sei direkt in die Hölle gefahren, da er ohne Priester und Beistand gestorben ist; Eck stirbt am Schlaganfall, Zwingli in der Schlacht - beide Tode sind Beweis,
dass sie von Gott gestraft sind. Und von Karlstadt behaupten die Lutheraner später, er sei direkt
vom Teufel gegriffen worden.
Aber auch Luthers Gegner überbieten sich in schmähenden Nachrufgesängen: Luther habe sich auf
dem Sofa gefläzt, unmäßig noch gefressen und gesoffen und sei vom Schlaganfall hinweggerafft
worden. Wie jeder Schlaganfall, so ist auch dieser Beweis für den strafenden Gott.
Luthers Leichnam wird aufgebahrt in der ST. Andreas Kirche (Eisleben), Justus Jonas predigt (ist
auch beim Sterben dabei gewesen). Überführung nach Wittenberg, in jedem Dorf, durch das der
Zug rollt, Glockengeläut, großes Gedränge, Volksaufläufe und Predigten über Predigten: Melanchton (wieder auf lateinisch) verkündigt: Der Wagenlenker Israels ist nicht mehr. Ein einziges Medienereignis ist das. Luthers Leib steht im Mittelpunkt der Trauerfeierlichkeiten. Er, der den Leib
geplagt hat bis zum Überdruss, er, der ihn geachtet und mit Gutem bedacht , dann des Guten zu viel
ihm zugemutet hat, er, der den Leib mit all seinen Bedürfnissen als Gottes Gabe immer wieder
preist, er hätte gewiss ja gesagt zur Feier seiner Wegnahme von dieser Welt.
17. Der Lauf der Reformation lässt sich nicht mehr aufhalten, trotz kriegerischer Niederlagen der
Protestanten (In der Schlacht bei Mühlberg 1542 siegt die Katholische Liga über den Schmalkaldischen Bund).
Ihre Zersplitterung ist aber ebenso wenig zu stoppen. Es gibt keine alles umspannenden Organisationsverband, willkürlich werden Pfarrer und Superintendenten eingesetzt. Luthers Netzwerk zerbröselte. Es gibt nun die Gnesiolutheraner (Flacius) und Philippisten (Melanchton), ganz zu schweigen von den Calvinisten, den Zwinglianern und wer sich sonst noch nach wem auch immer nennt.
Der Augsburger Religionsfriede 1555 schafft tatsächlich vorerst das, was er will: äußeren Frieden
zwischen den Konfessionen. Allerdings nach einem heute nicht mehr zu begreifenden Prinzip: Cuis
regio, eius religio. Der Fürst allein bestimmt die Religion seiner Untertanen und wankelmütig wie
derer viele sind, kann sich die Religion vom einen Tag auf den andern ändern.
1552 stirbt Katharina von Bora, die Lutherin, Herr Luther, wie sie ihr Mann liebevoll spöttisch oft
genannt hat, an den Folgen eines Sturzes vom Wagen. Sie wird 53 Jahre alt. Sohn Hans wird Jurist,
Sohn Martin Theologe, Paul Leibarzt bei Hofe. Tochter Margarethe heiratet einen preußischen Adligen, stirbt mit 36 Jahren.
Der Straßburger Martin Bucer geht nach England, ist Mitgestalter der anglikanischen Kirche und
Mitarbeiter an der Revision des „Book of Common Prayer“. Karlstadt wird nie rehabilitiert, seine
Gedanken fließen aber mit ein in die Strömungen des späteren Pietismus.
Überall hängen von da an Lutherportraits, dort, wo der Protestantismus dominiert. In evangelischen
Pfarrhäusern bis heute noch, allerdings nur verstreut anzutreffen. Er, der mit Bildern nichts anfangen kann und will, wird gemalt und gemalt, fast schon wie Heiligenbildchen verteilt.
18. Was bleibt? Was anfangen mit dieser Reformation, die zum Bruch mit der Kirche führte, den
Luther nie wollte?
Da wehrt sich ein scheuer, mit sich unbarmherzig ringender Mönch gegen die mächtigen Kräfte
einer Papstkirche und des Kaiserreiches - und behauptet sich! Er weckt in Unzähligen den „Mut
zur Freiheit“, sogar bei den Bauern - auch wenn er sie, als die Befreiung konkret wurde, fallen
ließ.
Sein Glaube berührt. Der ist erkämpft, von nagenden Zweifeln begleitet und durchrüttelt. „Meine Gedanken haben mir weher getan denn all meine Arbeit.“
Keine feste Burg ist dieser Glaube, kein Glaube darf das sein, das weiß Luther nur zu gut. Welche Tiefe Weisheit und der Erkenntnis, wenn er schreibt: „Dieses Leben ist nicht eine Gesundheit, sondern ein Gesundwerden, nicht ein Wesen, sondern ein Werden, nicht eine Ruhe, sondern
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eine Übung, nicht ein Frommsein, sondern ein Frommwerden. Wir sind es noch nicht, aber wir
werden es.“
Seine außerordentliche Freimütigkeit, seine Bereitschaft, alles zu riskieren, und seine Fähigkeit,
Gottes Gnade als ein Geschenk gleichsam anzuziehen, sie nicht durch welche übermenschlichen
Leistungen verdienen zu müssen - sind grundlegend für alle Zeit.
Sein Arbeitsfuror, der seinesgleichen sucht. Fast 60 dicke Folianten umfassen die Weimarana,
seine sämtlichen schriftlichen Erzeugnisse. Unerschöpflich seine Gedanken, seine theologischen
Konstruktionen, seine persönlichsten Überzeugungen. Zum Nach-Denken auch seine Vorbehalte
gegen die menschliche Vernunft, weil sie zu oft zur Hure gemacht wird.
Dennoch: Seine Schriften (die zu Lebzeiten reißenden Absatz finden) strotzen vor Hass. Er hat
eine Vorliebe für Fäkaliensprache und derben Humor. Nach außen kann er herrisch auftreten, rüpelhaft sein, mitunter vermessen. Seine tyrannische Ader überschattet das Leben seiner Kinder.
Unversöhnlich kann er sein und wie! Er erliegt seiner Neigung, Gegner zu dämonisieren und zu
verteufeln. Der Teufel ist ihm ständiger Begleiter und auf den Fersen, und wenn etwas nicht so
läuft und ist, wie es der Doktor Luther will und gerne hätte, dann ist halt der Teufel drein - und
in den Menschen gefahren. Kompromisse mag er nicht. Entweder - Oder ist seine Maxime.
Kann man sagen, dass nur so einer, der so schrecklich unfähig war, den Standpunkt eines anderen einzunehmen, der auf Teufel komm raus seinen Weg ging, darf man sagen, dass nur so einer
in der Lage war, allen Mut aufzubringen, sich gegen die damalige Welt zu stellen, auch wenn
diese „Welt voll Teufel wär“?
Wir Protestanten glauben nunmehr in sehr aufgeklärten Zeiten in Absicht auf unsere Religion zu leben. Wie wenn nun ein neuer Luther aufstünde? Vielleicht heißen unsre Zeiten noch einmal die finstern. (Ch. Lichtenberg)
Ecclesia semper reformanda wird gleichsam zum protestantischen Bekenntnis. Nur (meine Meinung): Ist er aber über Schönheitsreparaturen, die gewiss auch ansehnlich und bewundernswert und
zu loben sind, wirklich hinausgekommen? Es gibt einen protestantischen Aktionismus, der dem
Kern der christlichen Botschaft aus dem Wege geht: Wie leben wir als Christen und als Gemeinde
glaubhaft und überzeugend in einer zunehmend religiös entleerten Welt und in einer Welt entfesselter Religiosität?
Zum Schluss aber noch einmal der in sich gehende und bescheidene Luther, in seinem Bekenntnis,
das er mit „Meine Hoffnung“ überschreibt:
Mir ist es bisher wegen angeborener Bosheit und Schwachheit unmöglich gewesen, den Forderungen Gottes zu genügen. Wenn ich nicht glauben darf, dass Gott mir um Christi willen dies täglich
beweinte Zurückbleiben vergebe, so ist’s aus mit mir. Ich muss verzweifeln.
Aber das lass ich bleiben.
Wie Judas an den Baum mich hängen, das tu ich nicht.
Ich hänge mich an den Hals oder Fuß Christi wie die Sünderin.
Ob ich auch noch schlechter bin als diese, ich halte meinen Herrn fest.
Dann spricht er zum Vater: Dieses Anhängsel muss auch durch. Es hat zwar nichts gehalten und alle deine Gebote übertreten, Vater, aber er hängt sich an mich. Was will’s! Ich starb auch für ihn.
Lass ihn durchschlupfen.
Das soll mein Glaube sein. Amen.
Reinhold Sylla, Sulzburg 11.6.2017
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