SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE, SWR2 DIE BUCHKRITIK Colin Jones: Die Revolution des Lächelns aus dem Englischen übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister unter Mitarbeit von Anna Raupach Reclam Verlag 325 Seiten 34 Euro Rezension von Carmela Thiele Donnerstag, 22.06.2017 (14:55 – 15:00 Uhr) Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de Colin Jones macht klar: Ohne Zähne, kein Lächeln. Erhabene Ideen stoßen auf banale Tatsachen. Dieser Grundton begleitet den Leser durch den mit Illustrationen versehenen, handlichen Band. Schon nach wenigen Seiten kommt der Autor zum Punkt und beginnt, die Geschichte des Zähneziehens im vorrevolutionären Paris zu erzählen. Die ist amüsanter als man denken könnte. Denn die Zahnausreißer waren mitunter nicht nur rabiate Handwerker, sondern fahrendes Volk, das die Kundschaft mit Musik und burlesken Darbietungen anlockte. Manche brachten es sogar zu Ruhm und Geld wie der "Grand Thomas", dessen Karren täglich auf der Pont-Neuf von Paris stand. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Die Nachfrage war immens. Ob König oder Bettelmann, mit Anfang vierzig hatte um 1700 kaum jemand noch einen Zahn im Mund. Zahnhygiene war unüblich. Wer mit offenem Mund lächelte, lief Gefahr, ein dunkles, meist übelriechendes Loch zur Schau zu stellen. Ludwig XIV. soll als junger Mann noch lachend durch Versailles getollt sein, mit zunehmendem Alter sich jedoch auf die traditionelle, weißgeschminkte Maske höfischer Unnahbarkeit besonnen haben. Das lag auch an seinem zahnlosen Mund. Der Sonnenkönig verfügte zwar über einen ganzen Stab gut ausgebildeter Ärzte, doch war die Zahnmedizin noch gar nicht existent. Kein Arzt wollte mit den dubiosen Zahnbrechern von der Straße in einen Topf geworfen werden. Zwei Generationen später kündigte sich ein Wandel an, der sich auch in der Kunst niederschlug. Elisabeth-Louise Vigée-Le Brun malte ein Selbstporträt mit Tochter und "weißem Lächeln", also einem Lächeln mit geöffnetem Mund. Ihr Gemälde war inspiriert von Jean-Jacques Rousseaus Ideal des Natürlichen und Empfindsamen. Obwohl in Paris die aufgeklärte Gesellschaft bereits heiter lächelte, sorgte das Bild bei seiner Ausstellung im Salon 1787 für einen Skandal. Die Hofmalerin Marie-Antoinettes hatte sich erlaubt, die strengen Regeln der Französischen Akademie zu brechen. Dank des Begründers der Zahnheilkunde Pierre Fauchard war das "weiße Lächeln" damals bereits Kult. Fauchard und seine Schüler setzten auf Zahnerhalt und kurierten nicht jede Entzündung mit einer Extraktion. Wer damals als Tourist nach Paris kam, konsultierte einen "dentiste", der zudem Opiate und eine Behandlung in behaglich eingerichteten Räumen anbot. Am Vorabend der Französischen Revolution sorgte aber noch ein anderer Aspekt für die Verfeinerung der Zahnkultur. Ohne Zähne, keine Konversation. Die jedoch stand im Mittelpunkt der geistreich plaudernden Pariser Gesellschaft. So beklagte der Gelehrte Abbé Galiani in einem Brief an Madame d'Épinay den Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. SWR2 MANUSKRIPT Verlust seiner Zähne, was seine Worte in unverständliches Gemurmel verwandeln würde. Die Freundin empfahl ihm einen Zahnarzt, das Problem war gelöst. Nach dem Beginn der Französischen Revolution, dem Sturm auf die Bastille soll das ganze Volk gelächelt haben, schrieb ein Zeitzeuge. Doch trat bald eine Wende ein, die den offenen, heiteren Gesichtsausdruck wieder aus dem öffentlichen Leben verbannte. Es begann damit, dass ein Dekret lautes Lachen in der Nationalversammlung verbot; dies würde den Ernst der Sache untergraben. Auch der Revolutionsmaler Jacques Louis David setzte auf heroische Posen und unbewegte Gesichter. Zum Tode Verurteilte verhöhnten das neue Regime, indem sie auf dem Schafott ein Lächeln zur Schau stellten. Colin Jones wissenschaftlich fundierte Studie unterhält mit unerwarteten Querverbindungen und einer Fülle von Anekdoten, die das Lebensgefühl im vorrevolutionären Frankreich anschaulich machen. Philosophie, Kunst und Literatur werden zwar nur am Rande behandelt, doch tut dies dieser hervorragend ins Deutsche übersetzten Kulturgeschichte keinen Abbruch. Selbst der trockenste Historiker würde bei dieser Lektüre lächeln müssen, hatte der Rezensent der American Historical Review bei Erscheinen von "Smile Revolution" 2014 bemerkt. Ein Prognose, die fraglos auch für alle Leser der deutschen Ausgabe gelten kann. Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. 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