SWR2 Die Buchkritik

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SWR2 MANUSKRIPT
ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE,
SWR2 DIE BUCHKRITIK
Colin Jones: Die Revolution des Lächelns
aus dem Englischen übersetzt von Ursula Blank-Sangmeister
unter Mitarbeit von Anna Raupach
Reclam Verlag
325 Seiten
34 Euro
Rezension von Carmela Thiele
Donnerstag, 22.06.2017 (14:55 – 15:00 Uhr)
Bitte beachten Sie:
Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere
Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.
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Colin Jones macht klar: Ohne Zähne, kein Lächeln. Erhabene Ideen stoßen auf
banale Tatsachen. Dieser Grundton begleitet den Leser durch den mit
Illustrationen versehenen, handlichen Band. Schon nach wenigen Seiten kommt
der Autor zum Punkt und beginnt, die Geschichte des Zähneziehens im
vorrevolutionären Paris zu erzählen. Die ist amüsanter als man denken könnte.
Denn die Zahnausreißer waren mitunter nicht nur rabiate Handwerker, sondern
fahrendes Volk, das die Kundschaft mit Musik und burlesken Darbietungen
anlockte. Manche brachten es sogar zu Ruhm und Geld wie der "Grand
Thomas", dessen Karren täglich auf der Pont-Neuf von Paris stand.
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Die Nachfrage war immens. Ob König oder Bettelmann, mit Anfang vierzig hatte
um 1700 kaum jemand noch einen Zahn im Mund. Zahnhygiene war unüblich.
Wer mit offenem Mund lächelte, lief Gefahr, ein dunkles, meist übelriechendes
Loch zur Schau zu stellen. Ludwig XIV. soll als junger Mann noch lachend
durch Versailles getollt sein, mit zunehmendem Alter sich jedoch auf die
traditionelle, weißgeschminkte Maske höfischer Unnahbarkeit besonnen haben.
Das lag auch an seinem zahnlosen Mund. Der Sonnenkönig verfügte zwar über
einen ganzen Stab gut ausgebildeter Ärzte, doch war die Zahnmedizin noch gar
nicht existent. Kein Arzt wollte mit den dubiosen Zahnbrechern von der Straße
in einen Topf geworfen werden.
Zwei Generationen später kündigte sich ein Wandel an, der sich auch in der
Kunst niederschlug. Elisabeth-Louise Vigée-Le Brun malte ein Selbstporträt mit
Tochter und "weißem Lächeln", also einem Lächeln mit geöffnetem Mund. Ihr
Gemälde war inspiriert von Jean-Jacques Rousseaus Ideal des Natürlichen und
Empfindsamen. Obwohl in Paris die aufgeklärte Gesellschaft bereits heiter
lächelte, sorgte das Bild bei seiner Ausstellung im Salon 1787 für einen
Skandal. Die Hofmalerin Marie-Antoinettes hatte sich erlaubt, die strengen
Regeln der Französischen Akademie zu brechen.
Dank des Begründers der Zahnheilkunde Pierre Fauchard war das "weiße
Lächeln" damals bereits Kult. Fauchard und seine Schüler setzten auf
Zahnerhalt und kurierten nicht jede Entzündung mit einer Extraktion. Wer
damals als Tourist nach Paris kam, konsultierte einen "dentiste", der zudem
Opiate und eine Behandlung in behaglich eingerichteten Räumen anbot. Am
Vorabend der Französischen Revolution sorgte aber noch ein anderer Aspekt
für die Verfeinerung der Zahnkultur. Ohne Zähne, keine Konversation. Die
jedoch stand im Mittelpunkt der geistreich plaudernden Pariser Gesellschaft. So
beklagte der Gelehrte Abbé Galiani in einem Brief an Madame d'Épinay den
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Verlust seiner Zähne, was seine Worte in unverständliches Gemurmel
verwandeln würde. Die Freundin empfahl ihm einen Zahnarzt, das Problem war
gelöst.
Nach dem Beginn der Französischen Revolution, dem Sturm auf die Bastille
soll das ganze Volk gelächelt haben, schrieb ein Zeitzeuge. Doch trat bald eine
Wende ein, die den offenen, heiteren Gesichtsausdruck wieder aus dem
öffentlichen Leben verbannte. Es begann damit, dass ein Dekret lautes Lachen
in der Nationalversammlung verbot; dies würde den Ernst der Sache
untergraben. Auch der Revolutionsmaler Jacques Louis David setzte auf
heroische Posen und unbewegte Gesichter. Zum Tode Verurteilte verhöhnten
das neue Regime, indem sie auf dem Schafott ein Lächeln zur Schau stellten.
Colin Jones wissenschaftlich fundierte Studie unterhält mit unerwarteten
Querverbindungen und einer Fülle von Anekdoten, die das Lebensgefühl im
vorrevolutionären Frankreich anschaulich machen. Philosophie, Kunst und
Literatur werden zwar nur am Rande behandelt, doch tut dies dieser
hervorragend ins Deutsche übersetzten Kulturgeschichte keinen Abbruch.
Selbst der trockenste Historiker würde bei dieser Lektüre lächeln müssen, hatte
der Rezensent der American Historical Review bei Erscheinen von "Smile
Revolution" 2014 bemerkt. Ein Prognose, die fraglos auch für alle Leser der
deutschen Ausgabe gelten kann.
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