Lernziele für das Fach Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Ziel der Lehre in der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie ist die Ausbildung von Ärzten, die über Kenntnisse, Fertigkeiten und Haltungen in folgenden zentralen Kompetenzbereichen verfügen: Diagnostische Kompetenz Psychische, psychosomatische und verhaltensrelevante Symptome und Probleme des Patienten sollen bei vorwiegend psychogenen und auch bei komplexen, primär organischen Erkrankungen durch eine bio-psycho-soziale Anamnese rechtzeitig erkannt und hinsichtlich auslösender und verlaufsbestimmender Einflussfaktoren eingeordnet werden können; Kenntnis klinischpsychometrischer Diagnoseverfahren. Kommunikative Kompetenz Kenntnis der therapeutischen Wirksamkeit einer guten Arzt-Patienten-Beziehung; Fähigkeit zur patientengerechten, empathisch und fachlich angemessenen Gestaltung alltäglicher ärztlicher Gesprächssituationen (Erstkontakt, Visite, Aufklärungsgespräch, Information und Beratung) sowie zur Unterbreitung begrenzter Gesprächsangebote zur Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung, in Krisensituationen, unter Einbeziehung von Partnern und Familienangehörigen und zur Gestaltung auch schwieriger Arzt-Patienten-Interaktionen. Fähigkeit zu (selbst-) kritischer Reflektion und Selbstwahrnehmung. Klinische Kompetenz Kenntnis der Systematik und Symptomatik der psychosomatischen Krankheitsbilder, der wichtigsten psychotherapeutischen Verfahren und der ihnen zugrunde liegenden Theorien. Fähigkeit zur Planung und Durchführung von Maßnahmen der Psychosomatischen Grundversorgung und der Krisenintervention. Wissenschaftliche Kompetenz Interesse an wissenschaftlichem Denken, an wissenschaftlicher Methodik, Literatur und am selbständigen Wissenserwerb. Kenntnis grundlegender ätiologischer Krankheitsmodelle psychosomatischer bzw. psychogener Erkrankungen im Hinblick auf (neuro-) biologische, entwicklungspsychologische und soziale Aspekte. Interdisziplinäre Kompetenz Die Indikationen zur Anforderung eines psychosomatischen Konsiles und zur Überweisung in ambulante oder stationäre Fachpsychotherapie kennen (Differentialdiagnose und Indikationsstellung). Kenntnis psychosomatischer Aspekte wichtiger Krankheitsbilder anderer medizinischer Fachdisziplinen. Lernziele zum Studienblock des Blocks Kopf und Nervensystem – Psychosomatik 1. ) Grundlagen (Franz) Abgrenzung der Psychosomatischen Medizin hinsichtlich der behandelten Störungsbilder und Behandlungsmethoden. Systematische Einteilung der Psychogenen Erkrankungen in die verschiedenen diagnostischen Kategorien (Krankheitslehre); Epidemiologische Befunde zu Häufigkeit, Verlauf und Ursachen; Entwicklungspsychologische und neurowissenschaftliche Modelle zur Entstehung psychogener Erkrankungen; Bedeutung kindlicher Belastungen für die Entwicklung des stressmodulierenden Systems und der Affektregulation; Bedeutung unbewusster Prozesse; Bedeutung psychosozial vermittelter Risiko- und Schutzfaktoren; Sensibilisierung für eine ganzheitliche Sicht des erkrankten Menschen und ein integriertes Krankheitsverständnis auch unter Bezug auf die Biografie und das subjektive Erleben des Patienten (Bio-Psycho-Soziales Krankheitsmodell). 2.) Diagnostik und Psychotherapie (Karger) Grundlagen der deskriptiven (ICD 10, DSM) und psychometrischen Diagnostik; Grundlagen des individuellen Verstehens und der biographischen Anamnese; Diagnostisches Dreieck: Persönlichkeit/auslösende Situation/Symptomentwicklung; Psychosomatische Diagnostik von psychischen/psychosomatischen Störungen in hausärztlichen Praxen (Biopsychosoziale Gesamtdiagnose); Erstellen einer biopsychosozialen Gesamtdiagnose durch Verknüpfung der aktuellen psychischen, sozialen und somatischen Faktoren in der Krankheitsentstehung und – aufrechterhaltung; Erkennen der unterschiedlichen Haltung in der deskriptiven und in der biographischen Diagnostik; Unterschiede erkennen zwischen einer verstehenden Haltung in der psychosomatischen Diagnostik und einer arztzentrierten Haltung in der somatomedizinischen Diagnostik. Definition von Psychotherapie; Indikation, Kontraindikation und Differentialindikation; Grundprinzipien der KVT und der TP/PA; Wirkfaktoren und Wirksamkeit; Versorgungsformen (ambulant, teilstat., stat.); Informieren und Aufklären können über Psychotherapieverfahren, über formale Aspekte (Kassenfinanzierung etc.), über Wirksamkeit; Grenzen zwischen Beratung, psychosomatischer Grundversorgung und Psychotherapie beachten können; Psychotherapieverfahren als spezifisches und zentrales therapeutisches Mittel zur Beeinflussung psychischer und psychosomatischer Störungen kennen. 3.) Angsterkrankungen (Franz) Klinische Einteilung der verschiedenen Formen der Angsterkrankungen; Neurowissenschaftliche Grundlagen der Angstentstehung; Entwicklungspsychologische und lerntheoretische Aspekte in der Ätiologie der verschiedenen Angsterkrankungen (triebdynamische Aspekte, Bindungstheorie, kindliche Separationsentwicklung); Bedeutung unbewusster Prozesse zur Angstbewältigung auch innerhalb der Arzt-Patient-Beziehung; Psychotherapeutische und psychopharmakologische Behandlungsoptionen. Erkennung und differenzialdiagnostische Einordnung der unterschiedlichen Angsterkrankungen; Vermeidung überflüssiger oder invasiver Diagnostik; Beachtung der Gegenübertragung bei der Indikationsstellung unter Kenntnis der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten Berücksichtigung regressiv-kindlicher Einflüsse in der Beziehungsgestaltung und bei der Symptomdarstellung durch den Patienten; Behandlung des Patienten und nicht lediglich der manifesten Symptomatik unter Kenntnis psychpodynamischer und lerntheoretischer Modellannahmen und der persönlichen Biografie des Patienten; Aufbau einer vertrauensvollen APBeziehung mit dem Ziel einer psychotherapeutischen Behandlung; Beachtung des erhöhten Dependenzrisikos. 4.) Depressive Störungen (Tress) Krankheitsbilder der Depression und der Suizidalität: Differentialdiagnose und Abgrenzung der einzelnen Formen gegeneinander; Kernsymptome und Begleitsymptome depressiver Störungen, häufige Komorbiditäten; Unterschied Depression und TrauerRisikofaktoren und Persönlichkeitsentwicklung depressiver Menschen, psychotherapeutische (psychodynamische bzw. kognitiv-behaviorale Verfahren, vorangestellte supportive Therapiephase) und psychopharmakologische Behandlungsoptionen; Suizidales Verhalten und Selbsttötung: Klärung des Phänomens, Häufigkeitsentwicklung, unterschiedliche Häufigkeiten von Suiziden zwischen den Geschlechtern, regional und jahreszeitlich; Methoden, Auslöser, Diagnose der Suizidalität, speziell des präsuizidalen Syndroms; Psychodynamik, therapeutischer Umgang mit akuter und chronischer Suizidalität; Rechtliche Aspekte der Suizidalität; Erkennung und differentialdiagnostische Einordnung von Depressivität und Suizidalität; Umgang mit Depressiven und akut Suizidalen, Beachtung der eigenen Gefühle gegenüber diesen Patienten; Haltungsaspekte: Geduld und Toleranz gegenüber den betroffenen Patienten; Akzeptanz eigener depressiver Persönlichkeitsanteile; Klärung der eigenen Einstellung zu Suizidalität; entschlossenes eindeutiges Handeln zur Vermeidung von Suiziden; Bedeutung des Suizidpaktes auch für den Arzt. 5.) Dissoziative Störungen/Konversionsstörungen (Hysterie) – (Franz) Diagnostische Kriterien; Kernsymptome, Begleitsymptome; Allgemeine Kriterien (Psychoreaktive Störung der Wahrnehmungsorganisation und des Identitätserlebens verbunden mit Störungen der sensiblen/sensorischen Empfindungen und/oder Kontrolle von Körperbewegungen im Zusammenhang mit subjektiv als unlösbar erlebten Konflikten oder interpersonalen Schwierigkeiten); Symptomatik der unterschiedlichen Dissoziativen Störungen; Medizinhistorische Aspekte zur Begriffsentwicklung (Hysterie-Konversion-Dissoziation) Psychodynamische Erklärungsansätze; häufig zugrunde liegende Konflikte; Kenntnis der engen zeitliche Verbindung mit auslösenden psychisch traumatisierenden oder ängstigenden Ereignissen, unlösbaren oder unerträglichen Konflikten oder gestörten Beziehungen vor dem Hintergrund reaktualisierter Konflikte im triebregulierten Bereich und/oder kindheitstraumatische Belastungen; Bedeutung emotionaler oder unbewusster Konflikte für den dissoziativen Funktionsverlust; unterschiedliche Betrachtungsebenen (phänomenologisch, kommunikativ, psychodynamisch) und Intentionalität (Kompromissbildung aus unannehmbarer Wunsch und Abwehr, primärer und sekundärer Krankheitsgewinn) dissoziativer Symptome. Klinisch-neurologische Untersuchungstechniken zur differentialdiagnostischen Einschätzung; situative Gestaltung der Untersuchungssituation und Bedeutung der ärztlichen Haltung dem Patienten gegenüber; Bedeutung der Gegenübertragungsaffekte für die Diagnostik; Besonderheiten und Risiken der Arzt-Patient-Beziehung im Umgang mit dissoziativ erkrankten Patienten; Einleitung weiterer diagnostischer Schritte; Bedeutung der Motivierung des Patienten zu einer Psychotherapie und die Unterstützung des Patienten auf dem Weg in eine stationäre oder ambulante psychosomatisch-psychotherapeutische Behandlung; unterschiedliche psychotherapeutische Behandlungsmöglichkeiten. 6.) Essstörungen (Franz) Klinische Einteilung der verschiedenen Formen der Essstörungen; ätiologische Einflüsse und Psychodynamik (triebtheoretische Aspekte, Bindungstheorie, kindliche Separationsentwicklung); Diagnostische Merkmale (Verhaltensebene, Äußeres, BMI, kognitive Auffälligkeiten, Psychopathologie, Laborwerte); Psychotherapeutische, psycho-pharmakologische, internistische und weitere Behandlungsoptionen; Frühzeitige Erkennung und differenzialdiagnostische Einordnung der unterschiedlichen Essstörungen insbesondere bei Hochrisikogruppen; Wichtigkeit einer frühzeitigen und intensiven psychotherapeutischen Behandlung angesichts schlechter Verlaufsprognose; Vermeidung überflüssiger oder invasiver Diagnostik; Beachtung wichtiger Laborparameter; Erkennung von Suizidalität; Bedeutung unbewusster Prozesse auch innerhalb der Arzt-PatientBeziehung; Beachtung der Gegenübertragung bei der Indikationsstellung unter Kenntnis der verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten; Indikationsstellung zur Behandlung u.U. auch gegen den Willen der Patienten ggf. unter Einbeziehung der Familie; Berücksichtigung regressiv-kindlicher Einflüsse in der Beziehungsgestaltung und bei der Symptomdarstellung durch den Patienten; Behandlung des Patienten und nicht lediglich der manifesten Symptomatik unter Kenntnis psychodynamischer und lerntheoretischer Modellannahmen und der persönlichen und familiären Biografie des Patienten; Aufbau einer vertrauensvollen AP-Beziehung mit dem Ziel einer psychotherapeutischen Behandlung auch in Kenntnis der Tendenz vieler essgestörter Pat. ihren Behandlern nicht das wahre Ausmaß ihrer Beschwerden mit zu teilen. 7.) Somatoforme Störungen (Joksimovic) Epidemiologie; diagnostische Merkmale somatoformer Störung; klinische Einteilung der verschiedenen Formen der somatoformen Störungen. Störungstheorien und äthiopathologischen Modelle der Entstehung von somatoformen Störungen (psychodynamische Erklärungsmodelle, lerntheoretische Aspekte, soziale und kulturelle Aspekte). Typische Verhaltensweisen der Patienten mit somatoformen Störungen. Erkennung und differenzialdiagnostische Abgrenzung zu körperlichen Ursachen und zu anderen psychischen Störungen (z.B. Depression, Angststörung und Posttraumatischer Belastungsstörung). Erkennung von erhöhter Gefahr der Chronifizierung angesichts der Verlaufsprognose und Funktionsbeeinträchtigungen. Erweiterung des somatischen Krankheitsmodells zu einem ganzheitlichen biopsychosozialen Krankheitsmodell; Vermeidung überflüssiger oder invasiver Diagnostik; Beachtung der Gegenübertragung bei der Indikationsstellung. Aufbau einer vertrauensvollen AP-Beziehung , Anwendung der psychosomatischen Grundversorgung mit dem Ziel einer psychotherapeutischen Behandlung bei vorliegender Indikation. Kriterien für die Überweisung in die ambulante bzw. stationäre Fachpsychotherapie. Allgemeine Psychotherapieprinzipien. 8.) Traumafolgeerkrankungen und Persönlichkeitsstörungen (Wöller) Definitionen und Systematik psychischer Traumatisierungen; Diagnostik nach ICD 10; Kenntnis von spezifischen Testverfahren; Grundlagen der Diagnostik dissoziativer Phänomene kennen; Bedeutung eigener Gefühlsreaktionen für die Diagnostik kennen; Systematik von Traumafolgestörungen; typische Traumafolgeerkrankungen; Phasen akuter Traumatisierungen; Symptomatik der akuten Belastungsreaktion; Behandlung bei akuter Belastungsreaktion; Neurobiologie psychischer Traumatisierungen; Grundlagen der Stressregulation verstehen; Kenntnis der „No fight – no flight Falle“; besondere Rolle der Stresshormone bei der Grundlage dissoziativen Erlebens kennen. Symptomatik der Posttraumatischen Belastungsstörung; Typen und Prävalenz von Kindheitstraumatisierungen; Geschlechtsverteilung von Typen der Kindesmisshandlung; Wichtigkeit einer vertrauensvolle AP-Beziehung trotz negativ getönter Gegenübertragung: Kein aktivistisches Freilegen, keine aktive Suche nach vermuteten Traumata, sich verstehend und bestätigend dem Tempo des Patienten anpassen. Auf der Seite des Patienten stehen, aber nicht zu „Retter“ werden („bezogene Abstinenz“). Merkmale von Persönlichkeitsstörungen; Geschichtliche Entwicklung, Definition und Problematik des Begriffs der Persönlichkeitsstörung; Prävalenz und klinische Bedeutung von Persönlichkeitsstörungen; Diagnostische Kriterien spezifischer Persönlichkeitsstörungen; Grundzüge der Beziehungsdynamik und Interaktionsmuster einzelner Persönlichkeitsstörungen Ätiologische Aspekte von Persönlichkeitsstörungen; pathogenetische Faktoren bei Persönlichkeitsstörungen; Problematik der Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen; Symptomatik der Emotional instabilen Persönlichkeitstörung; Was ist erfahrungsabhängige Hirnentwicklung? Typen selbstschädigender Verhaltensweisen zur Kompensation gestörter Emotionsregulierung; Grundzüge der Behandlungsmöglichkeiten; Erkennen von Zusammenhängen zwischen problematischen Interaktionsmustern und spezifischen Persönlichkeitsstörungen speziell auch in der Arzt-PatientBeziehung. 9.) Bewältigung chronischer Erkrankungen und psychische Komorbidität (Rademacher) Abgrenzung verschiedener Formen psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit schweren chronischen Krankheiten (Anpassungsstörungen, depressive Episode, Angststö-rungen, Fatigue) und deren Auswirkungen auf die Schwere und den Verlauf der körperli-chen Krankheiten sowie die Lebensqualität. Häufigkeit und Bedeutung psychischer Belas-tung bei körperlich chronisch Kranken. Rolle der Screening-Instrumente zur Erfassung der psychosozialen Belastung (Distress-Thermometer) und psychischer Komorbidität wie Angst und Depression bei körperlichen Krankheiten (HospitalAnxiety-Depression-Scale) im größeren Rahmen einer bio-psycho-sozialen, existentiellen und spirituellen Betrachtung chronischer Krankheiten. Differenzierung erkrankungsbedingter und medikamentös bedingter körperlicher Beschwerden sowie substanzinduzierter psychischer Symptome. Bewältigung und Erleben chronischer Erkrankung in den unterschiedlichen Phasen des Krankheitsverlaufs (Diagnosestellung, Progredienz, akute Krise, ggf. auch Rezidiv u. Terminalphase). Funktionale vs. dysfunktionale Bewertungsprozesse und Bewältigungs-strategien (Coping), gemessen an der individuellen Passung (transaktionale Theorie der Krankheitsverarbeitung). Berücksichtigung von zunehmender Abhängigkeit, Ausgeliefert-sein, Selbstwerteinbruch und Autonomieverlust. Trennung von der bestehenden Lebens-welt und Verlust des bisherigen sozialen Gefüges (Arbeitskollegen, Angehörige), sozialer Abstieg und Stigmatisierung. Kompetenzförderung und Neuorientierung durch Patienten-information, -beratung und Selbstmanagementunterstützung bei chronischer Krankheit (hier auch: Krankheits- u. Selbstkonzepte, primärer u. sekundärer Krankheitsgewinn, individuelle Psychodynamik). Verlusterfahrung und Trauerreaktion um den intakten Körper (Salutogenese, Körperbild, Bindungserfahrung). Besonderheiten der Arzt-PatientBeziehung, Interventionen im Sinne der (psychosozialen) Grundversorgung des Patienten, Indikation für weiterführende Hilfen und „managed care“ Modelle.