Die Maxwellsche Theorie in veriinderter Formulierung Von Dr. techno Leonhard Kneissler a. o. Professor an der Technischen Hochschule in Wien Wien Springer- Verlag 1949 ISBN-13: 978-3-211-80101-7 e-ISBN-13: 978-3-7091-7731-0 DOl: 10.1007/978-3-7091-7731-0 AlIe Rechte, insbesondere das der U'bersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Vorworl Der Zweck dieses Buchleins ist, eine Variante der MaxweUschen Theorie zur Diskussion zu stellen. Bekanntlich weist die MaxwellscheTheorie eine Reihe nicht unerheblicher Unstimmigkeiten auf. Wenn es um diese still geworden ist, so liegt der Grundoffenbar in dem Umstande, daB sich die Maxwellsche Theorie seit der Aufstellung der Elektronentheorie von H. A. Lorentz weit hinter der Forschungsfront befindet. Die Unstimmigkeiten del' Maxwellschen Theorie, die als Theorie des Kontinuums ihren praktischen Wert immer behalten wird, machen sich jedoch storend in den Anwendungen bemerkbar. So muB die Darstellung des magnetischen Felde'! bei Vorhandensein ferromagnetischer Stoffe, die in der Elektrotechnik eine auBerordentliche Anwendung finden, als unbefriedigend und ungeklart bezeichnet werden. Es waren diese Schwierigkeiten in der Theorie des magnetischen Feldes, die den AnlaB zu den Untersuchungen dieses Buchleins gaben. Verfasser mochte jedoch ausdrucklich bemerk9n, daB er dabei in keiner Weise die Absicht hat, als Physiker aufzutreten. Wenn die Maxwellsche Theorie ein Stuck klassischer Physik ist, so stellt sie doch auch ein Stuck des Fundamentes der theoretischen Elektrotechnik, meines eigenen Faches, dar und es waren, wie bemerkt, die in dieser auftretenden Schwierigkeiten, welche die Veranlassung gaben, das Fundament dieses gedanklichen Gebaudes an Hand unseres heutigen Wissens einer Uberpriifung zu unterziehen. Dem Versuche einer solchen Uberprufung war dabei eine Richtung gewiesen: Maxwell schreibt in seinem Hauptwerk, in der Ausgabe: "Lehrbuch der Elektricitat und IV Vorwort des Magnetismus" von James Clerk Maxwell M. A. Autorisierte deutsche Ubersetzung von Dr. B. Weinstein. In zwei Banden. Verlag von Julius Springer, Berlin 1883, auf Seite 583 des zweiten Bandes: "Ampere nimmt bekanntlich an, daB die Molekeln ihren Magnetismus Stromen verdanken, die in ihrem Inneren in geschlossenen Bahnen flieBen. Handelt es sich um die Wirkung eines Magneten auf auBerhalb seiner Substanz gelegenem Punkte, so kann man in der Tat durch eine Schicht elektrischer Strome, die auf seiner Oberfliiche in geeigneter Weise verteilt sind, diese Wirkung vollstandig nachahmen." Und auf Seite 584: "Obgleich aber die Amperesche Hypothese namentlich deshalb, weil sie die Coexistenz einer Menge einfacher Teilchen annimmt, zu auBerst komplizierten Ausdrucken leiten zu mussen scheint, so gewinnt man doch eine bedeutende Vereinfachung der Theorie des Magnetismus, wenn man sie akzeptiert und damit den mathematischen Calcul gewissermaBen auch in das Innere der magnetischen Molekel einfuhrt. " Es schien somit der Versuch gerechtfertigt, diesen von Maxwell nur skizzierten Weg zu verfolgen, den Begriff del' magnetischen Menge aus der Maxwellschen Theorie zu eliminieren und Molekularfltrome als Ursache des stofflich bedingten magnetischen Feldes einzufuhren. Gleichzeitig war an Stelle des offenbar zu engen Ausdruckes fUr den Leitungsstrom in der ersten Maxwellschen Gleichung ein solcher fur die allgemeine Elektrizitatsstromung zu setzen. Als unerwartetes Ergebnis dieses im ersten Kapitel dieser Schrift durchgefuhrten Schrittes ergaben sich die Grundgleichungen der Theorie in einer veranderten Form, und zwar in del' gleichen, wie sie die Grundgleichungen der Elektronentheorie von H. A. Lorentz aufweisen. Auf dieser Grundlage war nunmehr versuchsweise eine Kontinuumstheorie des elektromagnetischen Makrofeldes zu errichten. Vorwort v Dieser Versuch ftihi te zu der in diesem Btichlein entwickelten und als "Variante" bezeichneten Theorie, die in ihrem geschlossenen, in sich widerspruchsfreien Aufbau bemerkenswerterweise gerade dort von der unveranderten Maxwellschen Theorie abweicht, wo diese ihre Unstimmig. keiten aufweist. Die formale Ubereinstimmung der Grundgleichungen der Elektronentheorie und der hier entwickelten Variante der Maxwellschen Theorie gestattet nun die Grundgleichungen der Variante auch durch direkte einfache Mittelwertbildung aus der Elektronentheorie abzuleiten, wodurch diese beiden Theorien gleichsam als zwei Formulierungen verschiedener Scharfe einer einzigen Theorie erscheinen. In der Tat kann die Variante als "Rest" aufgefaBt werden, der verbleibt, wenn aus der Elektronentheorie alles Atomistische durch die Mittelwertbildung eliminiert und nur der Makrobereich berticksichtigt wird. Die Verwendung der Variante erfolgt dabei offenbar im Sinne einer Arbeitsokonomie: 1st die Berticksichtigung des Mikrofeldes ffir die betreffende Untersuchung nicht erforderlich, so entledigt man sich ihrer durch die Mittelwertbildung und geht zur Kontinuumstheorie tiber, die das erstrebte Ziel unter der angenommenen Voraussetzung im allgemeinen viel einfacher zu erreichen gestattet. Das Gesamtbild des elektromagnetischen Feldes gemaB der Variante ist dank ihrem AnschluB an die Elektronentheorie von der groBten Einfachheit: Es gibt nur ein elektrisches und nur ein magnetisches Feld sowie nur eine Art von Elektrizitatsmengen. Letztere konnen im Vakuum auftreten oder an eine an sich neutrale Substanz gekntipft sein, mit der sie die Materie bilden. Ferromagnetisches Material, beispielsweise, wirkt dieser Auffassung gemaB nicht infolge seiner "magnetischen Permeabilitat", sondern durch seine Molekular- oder Element,arstrome. Die Verteilung und Bewegung der in der Materie - genauer, der VI Vorwort in der neutralen Substanz - enthaltenen Elektrizitat bedeuten fiir das eigentliche elektromagnetische Feld von auBen diktierte Bedingungen. Die auftretenden Krafte sind ausschlieBlich die vom elektrischen, vom magnetischen Feld und von der neutralen Substanz auf die Elektrizitat ausgeiibten. Das von der Variante gegebene Gesamtbild des elektromagnetischen Geschehens ist daher von dem der unveranderten MaxwelIschen Theorie nicht unbedeutend verschieden. So erfaBt die Variante ungezwungen Elektrizitatsstromungen im leeren Raum; eine Moglichkeit, die der unveranderten MaxwelIschen nicht gegeben ist, da sie nur den Leitungsstrom beriicksichtigt. Ferner ist die unveranderte MaxweHsche Theorie genotigt, zwischen den beiden Grundgleichungen, da sie verschiedene GroBen enthalten, Briicken in Formen von "Verkniipfungsgleichungen" zu schlagen, die stoffliche Chgmkteristiken darstellen. Nun ist die Reichweite jeder Kontinuumstheorie bei der notwendigerweise stets ad hoc empirischen Charakterisierung eines Stoffes eine sehr beschrankte und die Maxwellsche Theotie sieht sich daher genotigt, entweder idealisiertes Material einfachsten Verhaltens zugrunde zu legen oder auf den geschlossenen analytischen Ausbau der Theorie zu verzichten. Die Variante ist von diesen Schwierigkeiten vollstandig frei. In ihrem GrundriB tritt keinerlei stoffliche Charakteristik auf, alles bezieht sich hier auf das elektromagnetische Feld im engeren Sinne. SolI die Einwirkung der Materie auf das elektromagnetische Feld beriicksichtigt werden, was durch die Erfassung der in der Materie bestehenden Verteilung und Bewegung der Elektrizitat erfolgt, so bedeutet dies im Rahmen der Variante einen Schritt, der iiber die Theorie des eigentlichen elektromagnetischen Feldes bereits hinausgeht. Der entscheidende Vorteil beruht hier auf dem Umstand, daB es jetzt in keiner Weise erforderlich Vorwort VII ist, stoffliche Verkntipfungen bis in dan GrundriB del' Theorie zu tragen. Letzterer bleibt von den Schwierigkeiten del' stofflichen Charakterisierung vollstandig frei. SolI abel' eine solche eingeftihrt werden, soist es eine gauzlich offene Frage, wie man sich im Rahmen del' Kontinuitatstheorie analytisch durch das Dickicht des stofflichen Verhaltens durchschlagt. Dielektrizitatskonstante und magnetische Permeabilitat verlieren dabei durchaus ihren prominenten Charakter und erweisen sich lediglich als die ersten Behelfe zur Charakterisierung spezieller Stoffe, namlich solcher einfachsten elektromagnetischen Verhaltens zum Zwecke ihrer analytischen Durchleuchtung; wobei es grundsatzlich zunachst ganz offen steht, ob es solche Stoffe tiberha..upt gibt. Aus diesem Sachverhalt foIgt, daB die hier entwickelte Theorie des kontinuierlichen elektromagnetischen Makrofeldes tiber das elektromagnetische Verhalten der Materie nichts aussagen kann. Derartige Annahmen miissen, soweit sie nicht tiberhaupt rein analytisch gemeint sind, aus einer weitergehenden Erfahrung geschopft werden und bedeuten del' Theorie des eigentlichen elektromagnetischen Feldes gegentiber etwas selbstandig Neues. In del' 'I'at beruht die Theorie del' Dielektrika und des magnetisierbaren Materials auf den beiden voneinander unabhangigen Pramissen: Den Grundgleichungen des eigentlichen elektromagnetischen Feldes und den Annahmen tiber die Verteilung sowie das Verhalten del' Elektrizitat innerhalb einer sonst neutralen Substanz. Diese ganze Sachlage ist eine Folge des Umstandes, daB die Variante del' Maxwellschen Theorie lediglich als SproB aus del' Elektronentheorie als Wurzel aufgefaBt werden kann. Die Entwicklung und genauere Untersuchung del' Variante solI die Aufgabe dieses Btichleins sein. Da die Kenntnis del' unveranderten Mjaxwellschen Theorie beim Leser vorausgesetzt werden mnB, kann die Untersuchung auf die- VIII Vorwort jenigen Punkte beschrankt bleiben, in denen die beiden Theorien voneinander abweichen. Kapitel I enthalt die Aufstellung del' Grundgleichungen, Kapitel II Untersuchungen libel' dielektrisches, Kapitel III libel' magnetisierbares Material, in Kapitel IV wird auf einige spezielle Punkte des allgemeinen elektromagnetischen Feldes eingegangen. Wenn bei diesen Untersuchungen Dielektrika und magnetisierbares Material mit konstanter DK bzw. magnetischer Permeabilitat im II. bzw. III. Kapitel die Hauptrolle spielen, so geschieht dies im angegebenen Sinne: 1m Rahmen einer Kontinuumstheotie gestattet nul' idealisiertes Material eine genaue analytische Darstellung seines Verhaltens und somit auch einen klaren Vergleich del' beiden Theorien; namlich del' unveranderten Maxwellschen Theorie und del' Variante. Eine besondere Schwierigkeit bot den Untersuchungen del' Umstand, daB es erforderlich war, mit den vertrauten Begriffen del' Maxwellschen Theorie ein teilweise verandertes Gebaude mit anderen Auffassungen und Zusammenhangen aufzuflihren. Die Gefahr von MiBverstandnissen ist daher groB, und schwierig zu beseitigen. Del' radikale Versuch, eine neue N omenklatur einzuflihren, erwies sich als ungangbar. Verfasser sah daher keine andere Moglichkeit, als unter Verwendung del' liblichen Nomenklatur (trotz deren Herkunft aus teilweise ganz anderen Anschauungen), die Gefahr von MiBverstandnissen durch eine moglichst sorgfaltige Darstellung zu bannen. Wie weit dies gelungen ist, muB dem Urteil des nachsichtigen Lesers liberlassen bleiben. Die Untersuchungen libel' die Variante del' Maxwellschen Theorie wurden begonnen im "Archiv fur Elektrotechnik" (Berlin), Bd. 34 (1940), S. 713, Bd. 35 (1941), S. 307 und Bd. 36 (1942), S. 471. Wien, im November 1949. Del' Verfasser. Inhaltsverzeichnis Seite Einleitung . . . . . . . 1 I. Die Grundgleichungen 5 II. Dielektrische Stoffe . . 11 III. Magnetisierbares Material. 22 IV. Das allgemeine elektromagnetische Feld 40 Anhang Zur Frage des MaBsystems. . . . 50 Formelzeichen Vektoren: 5 ... Dichte des elektromagnetischen Energieflusses (Poyntingscher Vektor) f. .. auf die Elektrizitat ausgeiibte Kraft b ... Geschwindigkeit der Elektrizitat ttl •.. materielle Geschwindigkeit (£ ... elektrische Feldstarke ... elektrische Felddichte (dielektrische Verschiebung) ~ ... magnetische Feldstarke 5S ... magnetische Felddichte (Induktion) 3 ... Dichte des Leitungsstromes D ... Dichte des freien Stromes ~ Slcalare: a ... Energiedichte e .. , Dielektrizitatskonstante fl ... magnetische Permeabilitat I (! .•. Dichte (j • • • der Elektrizitat spezifischer Leiterwiderstand Die Konstante der Lichtgeschwindigkeit ist mit c (= 3.10 10 ) bezeichnet. Der Index el kennzeichnet jeweils das elektrische, der Index m das magnetische Feld. Die Indices x, y, z bedeuten, daB der skalare Betrag der x-, yo, z-Komponente des betreffenden Vektors gemeint ist; ebenso kennzeichnen die Indices n, t den skalaren Betrag der Normalbzw. Tangentialkomponente. AIle andern Indices lassen den Vektorcharakter unangetastet. Einleitung Ein Riickblick auf die Entwicklung der Elektrizitatslehre zeigt folgende Hauptabschnitte: Durch den Froschschenkelversuch von Galvani wird die ErschlieBung der stromenden Elektrizitat angebahnt, deren mit den Namen Volta, Ampere, Ohm u. a. verkniipfte Erforschung etwa vier Jahrzehnte umfaBt. Dann erfahrt die Deutung der elektromagnetischen Erscheinungen durch Faradays Feldlehre eine tiefgreifende Veranderung und wesentliche Forderung. Maxwell formuliert das Faradaysche Gedankengut mathematisch und stellt die nach ihm benannte Theorie auf, die von Hertz vervollkommnet wird. Die Maxwellsche Theorie erweist sich als erstaunlich umfassend, doch fiihrt der nachste Schritt der Entwicklung bereits wesentlich iiber sie hinaus: H. A. Lorentz stellt die Elektronentheorie auf. Die weitere Entwicklung fiihrt zur Quantenphysik. Wahrend die Anschauungen der Epoche vor Faraday groBenteils als iiberholt angesehen werden miissen, hat die Maxwellsche Theorie ihre praktische Bedeutung behalten; formuliert sie doch die GesetzmaBigkeiten des kontinuierlichen elektromagnetischen Feldes und ist daher zu dessen Darstellung unentbehrlich. Trotz ihres tiefen Wahrheitsgehaltes weist die Maxwellsche Theorie jedoch manche nicht unerhebliche Mangel auf. Diese Verbindung von tiefem Erfassen der Naturvorgange und stellenweisem Versagen ist auffallig; sie kann offenbar nicht kurzerhand mit der Bemerkung abgetan werden, daB schlieBlich jede Theorie, insbesondere jede Kontinuumstheorie ihre Grenzen haben muB. Kneissler. Maxwellsche Theorie 1 2 Einleitung An Mangeln der Maxwellschen Theorie, wie sie in der Literatur1 festgestellt sind, konnen etwa folgende angefiihrt werden: Zunachst erweist sich die Charakterisiemng der Materie in elektromagnetiseher Beziehung dureh die drei stoffliehen Konstanten, die Dielektrizitatskonstante, die magnetisehe Permeabilitat und die spezifisehe Leitfahigkeit als nieht ausreichend. Bei wirkliehem Material ist die Konstanz dieser Werte meist nicht erfiillt und die Maxwellsehe Theorie befaBt sieh daher, soweit sie die Konstanz voraussetzt, nur mit idealisierten Stoffen. Wird die Voraussetzung der Konstanz aber aufgelassen, so kann die Theorie nieht einmal im Fundament exakt formuliert werden. Ferner wirkt die Theorie des stoffUeh bedingten Magnetismus unbefriedigend. Einerseits wird das Auftreten wahrer magnetiseher Mengen verneint, andererseits aber miissen magnetisehe Mengen anderer Art, und zwar "freie" doeh wieder eingefiihrt werden, da sonst beispielsweise das Auftreten permanenter Magnete nieht gedeutet werden konnte. Da nun aber mittels der freien magnetisehen Mengen zwar das Auftreten magnetiseher Pole, nieht aber das Auftreten eines magnetischen Induktionsfeldes in einem magnetischen Kreise erklart werden kann, sieht sieh die Theorie zu der weiteren Annahme gezwungen, daB die "magnetische Durchlassigkeii" des Materials das magnetisehe Induktionsfeld bei gegebener magnetischer Feldstarke bestimmt. Diese Vorstellungen wirken zusammengestiickelt und nieht iiberzeugend. 1m Zusammenhangmit der unbefriedigenden Darstellung des magnetise hen Feldes steht offenbar der Umstand, daB der Kraftangriff daselbst von der Maxwellsehen Theorie bestimmt stellenweise falseh angegeben wird, wie das Beispiel einer 1 Siehe etwa M. v. Laue, Die ReIativitatstheorie, 1. Band, 3. Auflage, Braunschweig: Verlag Friedrich Vieweg & Sohn, 1919, und 01. Schaefer, Einfiihrung in die theoretische Physik, 3. Band, 1. Teil, Berlin und Leipzig: Verlag Walter de Gruytl'r & Co., 1932. 3 Einleitung Kraft auf das Vakuum zeigt. Dieser Fehler ist um so auffalliger, als sonst das elektro:magnetische Feld gerade im leeren Raum exakt richtig dargestellt wird. Ferner ist es nicht gelungen, die Maxwellsche Theorie in befriedigender Weise auf den Fall materieller Bewegung auszudehnen. Die Relativitatstheorie legt ihren Untersuchungen die Gleichungen der Elektronentheorie zugrunde. Beriicksichtigt sie die stofflichen Verkniipfungsgleichungen del' Maxwellschen Theorie, so ergeben sich undurchsichtige Verhaltnisse. SchlieBlich entsprechen die Grundvorstellungen der Maxwellschen Theorie nur mangelhaft den modernen Anschauungen der Physik. So ist schon auBerlich auffallig, daB die Dielektrizitatskonstante und die magnetische Permeabilitat des Vakuums im Rahmen der Maxwellschen Theorie al" "universelle" Konstanten gelten, wahrend sie in der Quantenmechanik iiberhaupt nicht auftreten; im Gegensatz etwa zu der wirklich universellen Konstanten der Lichtgesch windigkeit. Diese Mangel konnen in ihrer Gesamtheit offenbar nicht anders als eine ernste Kritik an den Grundlagen der Maxwellschen Theorie gewertet werden. Wie im Vorwort ausgefiihrt wurde, hat Maxwell selbst die Einfiihrung der Ampereschen Elementarstrome an Stelle der magnetischen Mengen ins Auge gefaBt, diesen Weg aber leider nicht weiter verfolgt. Heute kann es nicht mehr zweifelhaft sein, daB die Amperesche Ansicht - wenn auch gleichsam auf einer hoheren Ebene - zutrifft. Wir versuchen daher im folgenden die Maxwellsche Theorie unter Zugrundelegung der Elementarstrome zu entwickeJn. Dabei erhebt sich vor allem die Frage, in welcher Weise die Elementarstrome einzufiihren und welche Annahmen iiber ihre Konstitution erforderlich sind. Die Untersuchung zeigt nun, daB nahere Annahmen iiber die Kon1* 4 Einleitung stitution der Elementarstrome entfallen k6nnen; es geniigt, diese als stromende Elektdzitat einzufiihren. Diese Einfiihrung der Elementarstrome in unbestimmter Form bedeutet natiirlich den Verzicht auf jede genauere stofflich-magnetische Theorie, deren lange Reihe von Poisson und Ampere bis zur Gegenwart reicht. Sie hangt damit zusammen, daB wir uns hier im Bereich einer Kontinuumstheorie sowie des Makrofeldes befinden. Gleichzeitig mit dem Ersatz der magnetischen Mengen durch die Elementarstl'ome ist an Stelle des Ausdruckes fiir den Leitungsstrom in der ersten Maxwellschen Gleichung ein solcher der allgemeinen Elektrizitatsstromung einzufiihren. Hieraus ergibt sich, wie im Kapitel I ausgefiihrt wird, iiberraschender Weise, daB die erste Maxwellsche Gleichung die Form der entsprechenden Grundgleichung der Lorentzschen Elektronentheorie annimmt, wahrend die zweite Maxwellsche Gleichung unvel'andert bleibt. Da infolgedessen die stofflichen Verkniipfungsgleichungen entfallen, ist es moglich, auch die iibrigen Grundgleichungen der veranderten Maxwellschen Theorie denen der Elektronentheorie anzugleichen, so daB nunmehr die Fundamente beider Theorien formal vollig iibereinstimmen. Von wesentlicher Bedeutung ist dabei der Umstand, daB die Grundgleichungen der Elektronentheorie selbst ausgesprochen ksmtinuumstheoretischer Natur sind. In dem Buche "Versuch einer Theorie der electrischen und optischen Erscheinungen in bewegten Korpern" von H. A. Lorentz (Leiden 1895) heiBt es auf S. 14: "Die Ladung eines Ionsl werden wir liber einen gewissen Raum verteilt ansehen; die raumliche Dichtigkeit moge e heiI3en und wir wollen annehmen, daB diese Funktion beim Ubergang aus dem Inneren eines Teilchens in den reinen Ather stetig in 0 1 Die Bezeichnung Elektron wurde erst spater eingefiihrt. 1. Die Grundgleichungen 5 iibergehe. In dieser Voraussetzung, daB keine Diskontinuitaten zu beriicksichtigen sind, liegt indes keine wesentliche Einschrankung. " Diese Formulierung hangt damit zusammen, daB der Ausgangspunkt der Theorie von Lorentz vor allem "die Frage, ob der Ather an der Bewegung ponderabler Korper teilnehme oder nicht" betraf. Die atomistische Auffassung der Elektrizitat bedeutet somit fiir die Theorie von Lorentz keine Notwendigkeit, welcher sehr bemerkenswerte Umstand die vollige formale t"bereinstimmung der Grundgleichungen der Variante der Maxwellschen Them'ie mit denen der Theorie von Lorentz ermoglicht. Wenn die kontinuumstheoretische Variante in der weiteren Ausgestaltung der Elektronentheorie gegeniiber selbstandige Ziige annimmt, so folgt dies aus dem Umstande, daB die Variante im Gegensatz zur Elektronentheorie konsequent nur das Makrofeld beachtet. 1m folgenden Kapitel I werden zuna,chst die Grundgleichungen der Variante entwickelt und sodann allgemeine Folgerungen besprochen. Das in diesem Buche verwendete MaBsystem ist das von Lorentz. Die Verwendung dieses MaBsystems ist im Anhang naher begriindet, wobei auch auf die allgemeine Frage des zweckmaBigsten MaBsystems eingegangen wird. I. Die Grundgleichungen Die beiden Hauptgleichungen der Maxwellschen Theorie lauten, wenn zum Zwecke moglichster Aligemeinheit Halbleiter beriicksichtigt werden, rot Sj rot ~ + c1d1l at = c1",\5 1 d j8 ~c~ at = O. (1 a) (1 b) 6 1. Die Grundgleichungen Hierzu gehoren noch stoffliche Verknupfungsgleichungen, auf die hier jedoch nicht eingegangen zu werden braucht. Wir versuchen nun in der ersten Maxwellschen Gleichung an Stelle der Leitungsstromdichte das Produkt aus der Elektrizitatsdichte und der Elektrizitatsgeschwindigkeit, also den Ansatz e tJ als allgemeinen Ausdruck fur die elektrische Stromung einzufiihren. GemaB der Maxwellschen Theorie unterscheiden wir die Stro'mung der wahren Elektrizitat, und die der Polarisationselektrizitat, wobei die letztere infolge ihrer Bindung an die Materie des Dielektrikums nur begrenzter Bewegung fahig ist. AuBerdem aber subsumieren wir unter dem Ausdruck e tJ auch die Elementarstrome, also die im magnetisierbaren Material auftretenden Strome. Die Stromung der Polarisationselektrizitat ist bereits im Maxwellschen Verschiebungsstrom enthalten und wir setzen versuchsweise a:!l aQ; at = at + ep tJp, (2) wobei ep die Dichte und tJ p die Geschwindigkeit der Polarisationselektrizitat bedeuten. Die Elementarstrome sind in Analogie zur Gleichung rot Sj 1 = -- ~ c mit ihrem magnetischen Feld durch die Beziehung rot °= - 1 0 (3) c zu verknupfen. Da wir jedoch die Elementarstrome formal durch den freien Strom ersetzen (worauf 1m Kapitel III naher eingegangen wird), ist ·zu setzen 0 1 rot Q3,o = - D. (4) c Der Vektor der Leitungsstromdichte ~ wird ublicherweise auf ein im Leiter festliegendes Koordinatensystem bezogen, und zwar auch dann, wenn sich der Leiter in Bewegung befindet. In diesem FaIle hat aber ~ nicht mehr die 1. Die Grundgleichungen 7 Richtung der Elektrizitatsgeschwindigkeit, sondern stellt nur eine Komponente diesel' VOl'. Analoges gilt ffir den freien Strom, so daB allgemein (~ + \8,0) 1 (3 + 0 + e \1)) (5) c zu setzen ist, wobei \1) die materielle Geschwindigkeit der Leitersubstanz bedeutet. Unter Berucksichtigung von I (1 a)l und 1(2) folgt dann 1 ~ 1 . rot (~ + \8,0) at = (3 + 0 + ep b p + e W). (6) rot c a Mit der Einfuhrung rot (~ und = - c + \8,0) = rot \8 (7a) 3 + 0 + ep b p + e \1) = e b (7b) ergibt sich schlieBlich die erste Maxwellsche Gleichung in der Form rot \8 - a~ 1 c1 at = ceo. (A) Es ist dies diejenige Form, welche die erste Hauptgleichung der Elektronentheorie besitzt. DaB hier der Buchstabe \8 an Stelle von oS) verwendet wird, ist - da die Variante nur ein einziges magnetisches Feld kennt - lediglich eine formale Angelegenheit. Aus den Untersuchungen des Kapitels III ergibt sich abel' eine sachliche ZweckmaBigkeit ffir die Wahl von \8. Die zweite Maxwellsche Gleichung 1 \8 rot ~ + at =0 (B) c a bleibt unverandert. Da in den beiden Gleichungen nunmehr dieselben GroBen auftreten, entfallen die stoftlichen Verknupfungsgleichungen. Fragen wir, wie die 'Theorie auf der neuen Grundlage weiter zu bauen ist, so werden wir oftenbar kaum fehlgehen, 1 Den Gleichungsnumrnern ist stets die Nummer des Kapitels vorangestellt. 8 1. Die Grundgleichungen wenn wir uns auch an die Form der ubrigen Grundgleichungen der Elektronentheorie halten. Wird fUr die Dichte der Elektrizitat (0) div ~ = e gesetzt, so folgt unter Verwendung der ersten Maxwellschen Gleichung I (A) die Kontinuitatsgleichung fUr die Elektrizitat oe ot + d'IVe b = O. (8) Offenbar kann daher I (0) als weitere Fundamentalgleichung angesehen werden. Das einzige magnetische Feld ruhrt ausschlieBlich von Wirbem her und ist grundsatzlich quellenfrei, so daB div = O. (D) m m FUr die Energiedichte des elektromagnetischen Feldes setzen wir im Hinblick auf den entsprechenden Ausdruck der Elektronentheorie a = 1 2 (~2 fur den Poyntingschen Vektor ®=c~ + m2), X (E) m. (F) FUr den Kraftangriff, den das elektromagnetische Feld auf die Elektrizitat ausubt, gilt f = 1 e ~ + -c (e b X m), (G) in Ubereinstimmung mit dem von Lorentz angegebenen der Elektronentheorie. 1m Rahmen der hier entwickelten Theorie muB noch eine weitere auf die Elektrizitat wirkende Kraft angenommen werden, und zwar diejenige, die von der neutralen Substanz auf die Elektrizitat ausgeubt wird. Die Deutung jeglicher Kraft auf die Elektrizitat als solche des elektromagnetischen Feldes allein kann fur die hier entwickelte Variante, da sie nur das Makrofeld berucksichtigt, nicht in Betracht kommen. 1. Die Grundgleichungen 9 Wird die vom elektromagnetischen Mikrofeld ausgeiibte, im Makrobereich anscheinend von der Materie ausgeiibte Kraft mit ~ bezeichnet, so lautet der vollstandige Ausdruck fiir den Kraftarrgrirr auf die Elektrizitat f' = e ~ + 2-.c (e 0 x ~) + e ~. (H) Beziiglich del' Nomenklatur sei angemerkt, daB der iibJiche Ausdruck fiir die Elektrizitat, deren Dichte gemaB I (C) durch e angegeben wird, "freie" Elektrizitat lautet. 1m Sinne der hier entwickelten Auffassung wird e als Dichte del' Elektrizitat schlechthin bezeichnet werden; oder gegebenenfalls als resultierende Dichte der Elektrizitat. Die Gleichungen I (A) bis r (H) bilden die Grundgleichungen der Maxwellschen Theorie in der veranderten Formulierung. Fragen wir nach den hauptsachlichsten Unterschieden gegeniiber der unveranderten Maxwellschen Formulierung, so bestehen diese offenbar im folgenden: Die Grundgleichungen der Variante enthalten nur ein elektrisches und nul' ein magnetisches Feld, daher keinerlei Verkniipfungsgleichungen zwischen der 1. und der 2. Rauptgleichung. Uberhaupt ist kein Bezug auf die Materie vorhanden. Fiir das Vakuum sind die Grundgleichungen der unveranderten Maxwellschen Theorie und der Variante (soferne das MaBsystem von GauB oder das von Lorentz zu Grunde gelegt wird) identisch. Die Variante stellt daher eine Theorie vor, die sich ausschlieBlich auf das elektromagnetische Feld bezieht und das Geschehen in diesem als ein Spiel zwischen elektrischem, magnetischem Feld und Elektrizitat darstellt. Riel' erhebt sich die Frage, auf welche Weise die Materie dann doch EinfluB auf das elektromagnetische Feld zu nehmen vermag. Die Losung gibt das Glied eo. Wir haben anzunehmen, daB eine (vom Standpunkt des Makrofeldes) an sich neutrale Substanz die Fahigkeit besitzt, auf die Elektrizitat Krafte auszuiiben. Durch diese Krafte und nur durch diese 10 I. Die Grundgleichungen ist der Einfl.uB der Materie auf das elektromagnetische Geschehen gegeben. (Die an sich neutrale Substanz kann vom Standpunkt des Mikrofeldes .gesehen als aus elektrischen Mikroladungen beiderlei Vorzeichen bestehenti 6edacht werden, die jedoch im Makrofeld als solche nicht erkannt werden konnen.) In diesem Sinne bedeutet "Materie" die neutrale Substanz plus der in ihr enthaltenen und von ihr beeinfluBten Elektrizitat. Die von der neutralen Substanz auf die Elektrizitat ausgeubten Krafte stellen fiir das eigentliche elektromagnetische Geschehen, also fiir das Spiel zwischen dem elektrischen, dem magnetischen Feld und der Elektrizitat, von auBen aufgedruckte Krii.fte vor. Die Ableitung der Grundgleichungen I (A) bis I (G) ist offenbar noch auf einem anderen und einfacheren Wege als dem oben angegebenen moglich; namlich durch Mittelwertbildung aus den Grundgleichungen der Elektronentheorie. Bedeutet etwa b die magnetische Felddichte des Mikrobereiches, so ergibt sich die magnetische Felddichte des Makrobereiches aus dem Integral1 58 = ~~ ff b dv dt, v T wobei das Integrationsvolumen fiir den Mikrobereich verhaltnismaBig sehr groB, fUr den Makrobereich sehr klein zu wahlen ist und fur das zeitlich Integrationsintervall entsprechendes gilt. Die auf diesem Wege aus den Grundgleichungen der Elektronentheorie gewonnenen GroBen sind ebenfalls durch die Gleichungen I (A) bis I (G) miteinander verknupft. Dank dieser engen Verknupfung der Elektronentheorie mit der Maxwellschen Theorie in der veranderten Form konnen beide als eine einzige Theorie angesehen werden, 1 Eine eingehende Begriindung hierfUr findet sich etwa in R. Bee k e r: Theorie der Elektrizitat, 2. Bd., S. 109. Leipzig und Berlin: B. G. Teubner. 1933.