Sachverhalt Rechtliche Würdigung

Werbung
Auszug aus dem MedLetter, Nr. 1/2017
Trotz Indikation – grob
fehlerhafte prothetische
Versorgung
www.hdi.de/medletter
Bruxismus (unbewusster Zahnkontakt), Parafunktionen (Knirschen, Pressen) und andere starke Beanspruchung der Zähne
führen häufig zu Zahnhartsubstanzverlusten. Neben einer
Schädigung der Zähne kann es hierdurch auch zu einer Veränderung der Bisslage kommen. In diesen Fällen wird die ursprüngliche Bisslage durch eine prothetische Bissanhebung
wiederhergestellt. Doch wie bereits Henry Ford wusste, der
größte Feind der Qualität ist die Eile.
Sachverhalt
In einem aktuellen Fall hatte ein Zahnmediziner eine umfassende Gebisserneuerung vorgenommen. Die ursprüngliche
prothetische Versorgung wies zum Zeitpunkt der Erstbehandlung defekte bzw. perforierte Kronen auf. Nach umfassender Vorbehandlung wurde mit der Erneuerung der Kronenversorgung begonnen. Der Versicherungsnehmer nahm
innerhalb von zwei Monaten eine Bissanhebung um 2 mm
vor. Eine vorherige Modellanalyse und eine Bisshebungsphase mithilfe einer Schienentherapie erfolgten indes nicht.
Der Patient war mit der prothetischen Versorgung höchst
unzufrieden. Rechts bestand eine Nonokklusion (unzureichende oder fehlende Kontaktbeziehung der Zahnreihen)
und die Kronenränder waren an mehreren Zähnen insuffizient. Zahlreiche Einschleifmaßnahmen während der folgenden Monate hatten zu keiner beschwerdefreien okklusalen
Situation geführt. Vielmehr entwickelten sich ausgeprägte
Kopf- und Nackenbeschwerden im Sinne einer craniomandibulären Dysfunktion (CMD), die umfassend durch Schienentherapie sowie Physiotherapie behandelt werden mussten.
Die zum Teil insuffizienten Kronen mussten zunächst entfernt werden. Nach einer Therapie zur Bisseinstellung mittels
Langzeitprovisorium wurde eine neue Kronenversorgung
eingegliedert.
Der gerichtliche Gutachter konstatierte, dass die Bisshebung
um 2 mm ohne eine funktionelle Befunderhebung und eine
funktionstherapeutische Behandlung grob fehlerhaft sei.
Denn nur so könne kontrolliert werden, ob der Patient die
Bisshebung toleriert und funktionelle Störungen ausgeschlossen werden können.
Rechtliche Würdigung
Die Erneuerung der prothetischen Versorgung war im vorliegenden Fall zwar indiziert, deren Ausführung aus medizinischer Sicht hingegen grob fehlerhaft.
Ein grober Behandlungsfehler liegt vor, wenn gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln bzw. gesicherte medizinische Erkenntnisse in einer Weise verstoßen wird, dass der
Fehler aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint,
weil er einem (Zahn-)Arzt schlechterdings nicht unterlaufen
darf, vgl. BGH, Urt. v. 19.06.2001, Az. VI ZR 286/00.
Die Therapie zur Bisshebung wird auf Grundlage eines
Dienstvertrags geleistet, d. h., der Zahnarzt muss den Patienten „lege artis“ und damit gemäß gesicherter medizinischer Erkenntnisse behandeln. Einen Erfolg im Sinne eines
komplikationslosen Verlaufs schuldet er indes nicht. Bei Patienten mit Kiefergelenksproblemen – so auch bei einer gravierend veränderten Bisslage – fordert der medizinische
Standard regelmäßig eine umfassende Funktionsdiagnostik.
Auch ohne das Vorliegen einer CMD-Problematik ist diese
Vorbehandlung notwendig, wenn im Rahmen der prothetischen Restauration eine vollständige Aufhebung der Bisslage
geplant ist, vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 15.01.1998, Az. 8 U
57/97. So verhielt es sich auch hier. Der Biss sollte insgesamt
um 2 mm gehoben werden, wodurch die ursprüngliche Bisslage vollständig aufgehoben wurde. Eine vorausgehende
funktionstherapeutische Diagnostik und Therapie war daher
zwingend erforderlich.
Wurde ein Patient – wie hier – durch einen groben Behandlungsfehler geschädigt, geht die Beweislast vom Patienten
auf den Zahnarzt über, der beweisen müsste, dass der Schaden auch bei rechtmäßigem Verhalten eingetreten wäre.
Den Nachweis, dass die Bisshebung auch nach einer durchgeführten funktionstherapeutischen Diagnostik und Therapie vom Patienten nicht toleriert worden wäre, war selbstredend nicht zu führen. Der Zahnarzt wurde deshalb zur Rückzahlung des Honorars von rd. 10.000 Euro, einem Schmerzensgeld von 7.000 Euro sowie weiteren rd. 10.000 Euro
Folgebehandlungskosten der nunmehr entstandenen CMD
verurteilt.
Fazit
Abweichungen von wenigen Millimetern im Gebiss können
weitreichende Folgen haben. So kann eine CMD Schäden an
der Wirbelsäule verursachen, welche mitunter chronisch verlaufen. Wegen dieser weitreichenden Risiken wird dem Arzt
bei einer erheblichen Bissanhebung und/oder der Behandlung von CMD-Patienten ein äußerst gewissenhaftes Arbeiten abverlangt. Wird der erforderliche medizinische Standard nicht erfüllt, hat der Behandler für den entstandenen
Schaden in seiner ganzen Tragweite aufzukommen. Dabei
erhöhen die langwierigen und kostspieligen Behandlungen
den Schaden beträchtlich.
Unser Tipp
Mit dem „MedLetter” informiert HDI Sie regelmäßig über
neue Entwicklungen der Rechtsprechung aus der beruflichen
Tätigkeit in der ambulanten Medizin und in den Gesundheitsfachberufen.
Wir legen besonderen Wert darauf aktuelle, juristische Sachverhalte, wichtige Urteile und Entscheidungen allgemeinverständlich und damit insbesondere für Nichtjuristen
aufzubereiten.
Gerade Themen wie Haftung, aktuelle Rechtssprechung,
Schadenfälle, Riskmanagement und versicherungsrechtliche
Fragen sind ständig in Bewegung und betreffen Sie unmittelbar. Mit dem MedLetter erhalten Sie wichtige Informationen und Hinweise für Ihre Berufspraxis und sind immer auf
dem Laufenden.
Melden Sie sich am besten gleich an unter:
www.hdi.de/medletter
Autorin
Rechtsanwältin Susanne Straubel
HDI Versicherung AG, Köln
HDI Versicherung AG
HDI-Platz 1
30659 Hannover
www.hdi.de/medletter
Herunterladen