Alles für einen optimalen Heilungsprozess

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FOKUS
Behandlungskonzept ERAS
Alles für einen optimalen
Heilungsprozess
Bei grossen Darmoperationen wendet das KSW ein neuartiges Behandlungskonzept an.
Der Ansatz heisst ERAS (Enhanced Recovery after Surgery), was sich mit «verbesserte
Erholung nach chirurgischen Eingriffen» übersetzen lässt. Schon früh erfahren die Patienten,
wie sie Einfluss auf den Heilungsprozess nehmen können. Dank der engen Zusammenarbeit
der verschiedenen Fachdisziplinen treten weniger Komplikationen auf.
Damit rechnen die wenigsten Patienten:
dass vier Tage nach dem Spitalaustritt
eine Pflegefachfrau anruft und sich erkundigt, ob sie Schmerzen oder Fieber
haben und wie es um den Appetit und die
Verdauung steht. Aufmerksame Hoteliers
schicken ihren Kunden nach den Ferien
einen Fragebogen, aber dass jemand vom
Spital persönlich nachfragt, das ist neu.
Am Kantonsspital Winterthur wird dies
seit letztem Herbst bei Patienten mit
Dickdarm- und Enddarmerkrankungen
gemacht. Dabei handelt es sich nicht um
Schnell wieder bewegen: Dem Patienten
werden vor der Operation die Eckpunkte des
Konzepts erklärt.
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eine isolierte Massnahme, um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen – die telefonische Befragung ist Teil eines neuartigen
Therapiekonzepts.
Patient wieder am Arbeitsplatz oder in
seinen Alltag integriert ist.»
Erstes Spital der Deutschschweiz
ERAS heisst dieser Ansatz, die Abkürzung von Enhanced Recovery after
Surgery, auf Deutsch «verbesserte Erholung nach chirurgischen Eingriffen». Das
international anerkannte Konzept garantiert die Behandlung der Patienten nach
dem neusten Stand der Wissenschaft.
Das Kantonsspital Winterthur ist das
erste Spital in der Deutschschweiz, das
dieses moderne Behandlungskonzept eingeführt hat. Damit Patienten nach einem
Eingriff schneller wieder auf die Beine
kommen, arbeiten die verschiedenen
Fachdisziplinen und Berufsgruppen am
Spital sehr eng zusammen. «Die interdisziplinäre Zusammenarbeit wird am KSW
seit Jahren grossgeschrieben. Mit ERAS
erreicht der ständige Austausch zwischen den Fachleuten von Chirurgie,
Pflege, Anästhesie, Physiotherapie und
Ernährungsberatung nun aber eine neue
Dimension», erklärt PD Dr. med. Stefan
Breitenstein, Direktor am Departement
Chirurgie und Chefarzt Viszeral- und
Thoraxchirurgie. «Sämtliche Therapiemassnahmen sind unter den Fachbereichen abgestimmt und optimiert worden.
Das beginnt ein paar Wochen vor dem
Spitaleintritt und endet erst, wenn der
die Patienten schon vor dem
Umso wichtiger ist es,
Eingriff zu stärken und so
den späteren Heilungsverlauf
positiv zu beeinflussen.
Auch die Patienten übernehmen einen
aktiven Part: «Neu werden sie viel stärker
in die Behandlung einbezogen», erklärt
PD Dr. Breitenstein. Und das mit gutem
Grund. «Je genauer die Patienten über die
bevorstehenden Massnahmen informiert
sind, desto besser können sie sich darauf
einstellen und auch selbst zur Genesung
beitragen.» Nach dem Abschluss sämtlicher Untersuchungen findet deshalb nicht
nur eine Besprechung in der Chirurgie
statt, um den aktuellen Gesundheitszustand abzuklären und den komplexen
Eingriff zu erläutern. Einige Tage vor der
Operation, bei der entzündete oder von
einem Tumor befallene Teile des Darms
entfernt werden, informieren auch die
Anästhesie und die Pflege ausführlich
über die bevorstehende Behandlung.
Dabei lässt sich klären, bei welchen
Patienten bereits vor der Operation eine
Ernährungsberatung angezeigt ist. Wer
unter einer Darmerkrankung leidet, ist
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vielfach nicht ausreichend ernährt.
Umso wichtiger ist es, die Patienten
schon im Voraus zu stärken und so den
späteren Heilungsverlauf positiv zu beeinflussen. Eine weitere Säule, auf der
ERAS aufbaut, ist die Schmerzbehandlung. «Schmerzen belasten den Körper
und verzögern die Heilung, gleichzeitig
schränken sie die Beweglichkeit ein.
Deshalb fordern wir die Patienten auf,
uns frühzeitig über das Auftreten von
Schmerzen Bescheid zu geben, damit wir
ihnen die passenden Medikamente verabreichen können», sagt Simone Hochuli,
Pflegeexpertin Chirurgie. Ein kurzer
Gang durch die Bettenabteilung schliesst
die Pflegesprechstunde ab. So wissen die
Patienten genau, was sie erwartet.
Möglichst schonend operieren
Der Eintritt ins Spital erfolgt in der
Regel am Morgen des Eingriffstages, in
nüchternem Zustand. Neu erhält der Patient jedoch zwei Stunden, bevor er in den
Operationsraum gefahren wird, ein isotonisches Getränk. Ganz so, als würde eine
sportliche Anstrengung bevorstehen.
Andrea Schoke, Oberärztin an der Klinik
für Viszeral- und Thoraxchirurgie, erklärt
den Grund: «Eine Operation stellt für den
Körper eine grosse Belastung dar. Deshalb bereiten wir die Patienten optimal
auf diesen Moment vor. Und dazu gehört
auch eine gute Energieversorgung.» Bei
der Operation selbst achten Chirurgen
und Anästhesisten auf ein schonendes
Vorgehen. So wird der Eingriff wenn
möglich endoskopisch durchgeführt, Drainageschläuche und Magensonden werden
nur sehr zurückhaltend eingesetzt.
Der neue und ehrgeizige Geist des ERASKonzepts wird auf der Bettenstation
deutlich. Die Patienten sollen so rasch
wie möglich wieder selbständig werden.
Schon nach wenigen Stunden verlassen
sie zum ersten Mal das Bett. Sie erhalten
energie- und eiweissreiche Drinks, und
damit der Darm seine Tätigkeit möglichst
rasch wieder aufnimmt, nehmen sie noch
am gleichen Tag wieder feste Nahrung zu
sich. Vorbei die Zeit, als nach der Opera-
Protokoll des persönlichen Befindens: Der Patient
führt über seine Behandlung ein Tagebuch.
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Mangelernährung frühzeitig behandeln
Wer ins Spital eingewiesen wird, zeigt oft Anzeichen von
Mangelernährung. Jeder fünfte Patient ist davon betroffen. Besonders häufig ist dies bei älteren Menschen zu
beobachten, die sich wegen Krankheit oder aus sozialen
Gründen unzureichend oder einseitig ernähren. Der Zusammenhang zwischen Mangelernährung und Therapieerfolg
wird heute immer besser verstanden. Verschiedene Studien
zeigen, dass ein ungenügender Ernährungszustand die
Heilung erheblich erschwert.
So konnte nachgewiesen werden, dass Mangelernährung
häufig zu Komplikationen und Infektionen führt. Zudem
verlängert sich der Spitalaufenthalt. Auch am KSW wird
die Bedeutung des Ernährungszustands der Patienten
wissenschaftlich untersucht. So haben Fachleute des KSW
in einer Studie gezeigt, dass sich eine individuell ausge-
tion nur flüssige Nahrung und Brei serviert wurden. «Die Patienten sollen sich
schnell wieder bewegen und normal ernähren. Dadurch kommen sie rascher in
den Alltag», sagt Dr. Schoke. Nichts tun
und warten, bis man gesund wird, das
richtete Ernährungstherapie positiv auf die Energiezufuhr
und die Lebensqualität auswirkt.
Aus diesen Gründen hat das KSW schon vor Jahren eine
Ernährungsberatung eingeführt. Bereits bei der Eintrittsuntersuchung wird der Patient auf Mangelernährung abgeklärt und der Ernährungsberatung zugewiesen. Mit dem
ERAS-Konzept, das bei Bedarf bereits vor der Operation
mit einer individuellen Ernährungsberatung beginnt, wird
dieser wirksame Ansatz konsequent weitergeführt. Bei
Patienten, die an einem bösartigen Tumor erkrankt sind
und dadurch Gewicht verloren haben, ist eine Ernährungstherapie besonders wichtig. Lässt sich der Ernährungszustand vor einer grossen Bauchoperation verbessern, so
kann sich der Patient nach dem Eingriff schneller erholen.
passt nicht in das ERAS-Konzept. Die
Patienten werden motiviert, sich aktiv an
ihrer Genesung zu beteiligen.
Auf der Station zahlt sich aus, dass die
Patienten über den Verlauf der Therapie
genau Bescheid wissen. Sie verstehen,
dass die frühe Mobilisierung das Risiko
von Thrombosen und Druckstellen senkt.
Sie wissen, dass die Atemübungen dazu
dienen, die Gefahr einer Lungenentzündung einzudämmen. Und sie kennen Sinn
und Zweck des Patiententagebuchs, das
Rund sechs Wochen nach der Operation wird vom behandelnden Chirurgen eine Abschlussuntersuchung durchgeführt.
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sie beim Eintritt erhalten haben. «Wer
regelmässig über Schmerzen, Darmtätigkeit, körperliche Bewegung, Appetit
und allfällige Übelkeit Buch führt, kann
genau verfolgen, wie es aufwärtsgeht.
Das ist sehr motivierend, etwa wenn die
Spaziergänge jeden Tag etwas länger
werden», sagt Simone Hochuli. So lässt
sich etwas sportlicher Ehrgeiz wecken.
Frühzeitige Planung
Damit die Patienten nach fünf oder sechs
Tagen wieder nach Hause gehen können,
muss der Spitalaustritt frühzeitig geplant
werden. Dazu gehören Informationen
über die Ernährung und die erforderlichen
Medikamente. Wenn nötig, ist bereits die
Spitex organisiert, bei eingeschränkter
Beweglichkeit ist zudem eine Physiotherapie vereinbart worden. Damit ist die
Behandlung nach dem ERAS-Konzept
aber noch nicht abgeschlossen. In der
Woche nach dem Austritt erkundigt sich
jemand von der Pflege telefonisch nach
dem Befinden des Patienten. So können
allfällige Komplikationen frühzeitig erkannt und die Person den richtigen Fachpersonen zugewiesen werden. Ebenfalls
zur Nachbehandlung gehört eine Abschlussuntersuchung, welche der behandelnde Chirurg rund sechs Wochen nach
der Operation durchführt. Erst für weitere Nachuntersuchungen bei Tumorerkrankungen sind danach der Onkologe oder der
Hausarzt zuständig.
«Die Patienten werden
Wer sich früh bewegt, kann das Spital meistens auch früher als vielleicht geplant verlassen.
dann entlassen, wenn sie
optimal versorgt sind.»
ERAS wird nicht auf den Behandlungspfad bei Darmoperationen beschränkt
bleiben. «Denkbar ist, dieses moderne
Konzept auf andere Bauchoperationen
und danach auf Eingriffe in anderen
Disziplinen wie der Urologie oder der
Gynäkologie auszudehnen», sagt Ariella
Jucker von der Unternehmensentwicklung
des KSW. «Grundsätzlich ist das Konzept
bei allen Operationen anwendbar.» Die
Basis dafür hat das KSW bereits geschaffen. Vor ein paar Jahren sind für
planbare Eingriffe Behandlungspfade
eingeführt worden, welche die erforderlichen Therapieschritte definieren. «Mit
ERAS wird dies nun konsequenter umgesetzt. Und weil wir den Behandlungserfolg ausführlich dokumentieren, sind
wir auch in der Lage, die konkreten Verbesserungen zu erkennen», sagt Ariella
Jucker.
Verschiedene internationale Studien zeigen, welche Fortschritte am KSW dank
ERAS zu erwarten sind. So traten an
Kliniken, die ERAS bereits früher eingeführt hatten, weniger Komplikationen
auf, die Aufenthaltsdauer verkürzte sich,
und dadurch sanken auch die Behandlungskosten. Entsprechend lautet auch am
KSW das Ziel, nach dem neuen Konzept die
Patienten ganzheitlich und effizient zu
behandeln. «Die Patienten werden dann
entlassen, wenn sie optimal versorgt
sind. Wenn sie das Spital früh verlassen
können, dann ist dies Ausdruck der hohen
Qualität», sagt Dr. Schoke. «Die konsequente Ausrichtung auf das Wohl des
Patienten zeigt, dass Qualität und Wirtschaftlichkeit keine Gegensätze sind.»
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