1_Beitrag Wagner Klaus - Institut für Angewandte

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KLAUS WAGNER
Erschließung von Leistungsreserven im Hochleistungssport
durch sportartspezifische Forschungstechnologien
Zusammenfassung
Mess- und Informationssysteme (MIS) sind seit Jahren eine unverzichtbare Grundlage für die Unterstützung der Steuerung und Regelung des Hochleistungstrainings
und damit für die Erschließung von Leistungsreserven. Um unter den Bedingungen
des Hochleistungssports objektive, reliable und valide Informationen für die Trainingssteuerung zu erhalten, müssen diese MIS zunehmend stärker problemangepasst entworfen, entwickelt und eingesetzt werden. Drei der daraus resultierenden
informatischen und ingenieurwissenschaftlichen prinzipiellen Anforderungen an die
Entwicklung und den Einsatz von Mess- und Informationssystemen werden herausgearbeitet und dabei der in den letzten vier Jahren in den Wintersportarten erreichte Stand und die zukünftigen Anforderungen an Beispielen dargestellt.
Summary
For several years measuring and information units (MIS) have created an indispensable basis to support the control of elite sport training and to identify and make use
of performance reserves. To guarantee objective, reliable and valid information
within the controlled process of elite sport training measuring and information units
have to be designed, developed and applied with a very close link to current training topics. The paper outlines three major requests towards the development and
application of MIS from the viewpoint of informatics and scientific engineering with
the example of winter sports. The state of development that has been achieved during the current Olympic cycle is presented and finally future developmental perspectives are described.
1
Mess- und Informationssysteme (MIS) für die Trainingssteuerung
Unter dem Begriff „Forschungstechnologie“ wurden bei der Gründung des IAT die
Wissenschaftsdisziplinen Biomechanik, Sportinformatik und Wissenschaftlicher Gerätebau zusammengefasst. Aufgabe der Forschungstechnologie ist die Neu- und
Weiterentwicklung von Algorithmen, Verfahren und Geräten, die für die Forschungsarbeit des IAT erforderlich sind. Sie liefert damit Werkzeuge für die Erschließung von Leistungsreserven im Hochleistungssport.
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WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
Eine wesentliche integrative Aufgabe der genannten Wissenschaftsdisziplinen ist
die Entwicklung von Mess- und Informationssystemen (MIS) für die Steuerung und
Regelung des Hochleistungstrainings (meist abgekürzt als Trainingssteuerung bezeichnet). Das Einsatzspektrum der MIS in der Trainingssteuerung ergibt sich aus
deren Wirkungskette (Reiss & Meinelt, 1983). Ihre Darstellung wurde zur Verdeutlichung im Sinne eines sportartspezifischen Informationssystems verändert und vereinfacht (Abb. 1).
Die notwendige und sinnvolle Unterstützung der Trainingssteuerung durch MIS beginnt bei der Weltstandsanalyse, setzt sich fort bei der Leistungs- und Trainingsplanung und erfolgt schließlich vor allem bei der detaillierten Erfassung der Ursachen und Wirkungen des Trainingsprozesses in Form der Trainingsdatendokumentation und -analyse, Leistungsdiagnostik, Gesundheits- und Belastbarkeitsdiagnostik sowie der Wettkampfanalyse. Sie unterstützen mit ihren Möglichkeiten und Methoden aber auch immer stärker den eigentlichen Trainingsprozess und erhöhen
durch die Unterstützung der Wettkampfsteuerung auch die Erfolgschancen in verschiedenen Sportarten.
Komplexes Datenbanksystem
Gesamteinschätzung
zur Leistungsentwicklung und
zur Wirksamkeit des Trainings
(Vergleich Ziel : Ergebnis)
Weltstandsanalysen
Individuelle
Entwicklungsund
Leistungspotenzen
Gesundheitsund
Belastbarkeitsdiagnostik
Leistungs- und
Trainingsplanung
RTK
ITP
MAZ
MEZ
Zielvorgaben
methodische Lösungen
Leistungsdiagnostik
Labor und
Feld
TrainingsdatenDokumentation
Trainingsprozess
(Trainer ↔ Sportler)
Wettkampfanalyse
Wettkampf
Abb. 1. Darstellung der Wirkungskette der Trainingssteuerung als sportartspezifisches Informationssystem
Insbesondere durch die immer umfangreichere Sensortechnik und die sich rasant
entwickelnden Bilderfassungssysteme liefern alle genannten Prozesse zunehmend
umfangreichere Informationen, die in einem entsprechend leistungsfähigen Datenbanksystem gespeichert werden, das Grundlage jedes Informationssystems ist.
Ein anspruchsvolles Ziel besteht darin, auf der Basis der gespeicherten Daten die
Gesamteinschätzung zur Leistungsentwicklung und zur Wirksamkeit des Trainings
im Sinne eines Expertensystems zu unterstützen.
Um objektive, reliable und valide MIS entwickeln zu können, ist es erforderlich, für
die zu erfassenden und zu verarbeitenden Informationen geeignete Modelle, Algorithmen und Verfahren zu erarbeiten. Dabei sind die zwei prinzipiellen Arten „biomechanischen Modellierung“ und „Prozessmodellierung“ gleichermaßen von Bedeutung. Die Modellierung der Trainingssteuerung als Prozess befasste sich in den
WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
183
letzten Jahren vor allem mit Strukturanalysen. Ein Beispiel dafür ist die in Abb. 2
dargestellte Struktur der Leistungsvoraussetzungen im Skilanglauf. Das Hauptziel
von Strukturanalysen ist die Schätzung der aktuellen Leistungsfähigkeit aus den
Ergebnissen von Leistungsdiagnosen.
Wie bereits oben genannt, besteht die Forderung, den gesamten Prozess zu modellieren. Die daraus abgeleiteten Algorithmen sollen eine Gesamteinschätzung der
Leistungsentwicklung und der Wirksamkeit des Trainings durch die Analyse der erfassten und gespeicherten Daten ermöglichen, d. h. die Trainingssteuerung durch
ein Expertensystem unterstützen. Ausgehend von den vorhandenen umfangreichen
Daten wird im Skilanglauf eine Trainingswirkungsanalyse im neuen Olympiazyklus
beispielhaft durchgeführt werden.
Abb. 2. Schematische Übersicht über die Strukturanalyse im Skilanglauf (Ostrowski & Pfeiffer, 2003)
Um Mess- und Informationssysteme im Hochleistungssport erfolgreich einsetzen zu
können, müssen diese eine Reihe von Anforderungen erfüllen. Nachfolgend werden drei dieser prinzipiellen Anforderungen an die Entwicklung von Mess- und Informationssystemen herausgearbeitet und dabei der in den letzten vier Jahren in
den Wintersportarten erreichte Stand und die zukünftigen Anforderungen an Beispielen dargestellt.
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WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
2
„Wettkampfnahe“ Mess- und Informationssysteme
Das in Abb. 1 dargestellte Schema der Trainingssteuerung als Informationssystem
ist aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht ein multipler Regelkreis. Die Regelgröße
des primären Regelkreises ist die angestrebte Wettkampfleistung, insbesondere
zum Wettkampfhöhepunkt. Ob die vorgegebenen Trainingspläne tatsächlich zur
geplanten Zielleistung führen, ist wegen der Komplexität des Trainingsprozesses
nicht ausreichend genau vorherzusehen. Deshalb wird bekanntermaßen die planmäßige Entwicklung der Leistungsvoraussetzungen für die angestrebte Wettkampfleistung durch zwischenzeitliche Leistungsdiagnosen kontrolliert. Damit aus den
Ergebnissen dieser Leistungsdiagnosen die damit mögliche Wettkampfleistung hinreichend genau geschätzt werden kann, müssen die für die Diagnose eingesetzten
MIS die Leistungsstruktur und die Wettkampfbedingungen der jeweiligen Sportart
bzw. Disziplin ausreichend berücksichtigen. Diese Anforderung wird von uns mit
der Bezeichnung „wettkampfnahe MIS“ zum Ausdruck gebracht. Derartige Systeme
müssen folgende Gütekriterien erfüllen:
Hauptgütekriterien
−
−
Objektivität
Reliabilität:
∗ hinreichende Genauigkeit
∗ Stabilität
∗ Robustheit gegen Umwelteinflüsse
− Validität:
∗ Vergleichbarkeit
∗ eindeutige Begriffsdefinitionen
∗ hinreichend genaue Simulation der realen Bedingungen, damit die gewonnenen Ergebnisse im Sinne von Leistungsvoraussetzungen interpretiert werden
können
∗ Abbildungsvorschriften und Referenzwerte für eine hinreichend genaue Berücksichtigung der realen Bedingungen und die Interpretation der gewonnenen
Ergebnisse
Nebengütekriterien (Spezifische Anforderungen des Hochleistungssports)
−
−
Entwicklung von informationsverarbeitenden Lösungen, die einen reibungslosen
Einsatz der MIS im Trainingsprozess oder Wettkampf gewährleisten
Resistenz gegen die im Hochleistungsbereich anzutreffenden extremen Krafteinwirkungen und Bewegungsfrequenzen
Da im Rahmen dieses Beitrages nicht alle genannten Gütekriterien ausführlich erläutert können, werden diese nachfolgend an zwei Beispielen verdeutlicht.
WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
185
Beispiel 1: MIS Fichtelbergschanze Oberwiesenthal (Dickwach & Wagner, 2004)
Aus den trainingsmethodischen Aufgaben und Zielen ergaben sich folgende informationstechnologischen Aufgaben:
− Erfassung des Kraftverlaufs und der zugehörigen Videosequenz unmittelbar vor
und während des Absprungs und Bereitstellung der entscheidenden Absprunginformationen als Schnellinformation, d. h. Anzeige wesentlicher biomechanischer Werte und synchrone Darstellung des Kraftverlaufs und der Videosequenz (als Bildreihe oder als Video-Clip) unmittelbar nach dem Sprung.
Die Software wurde so entwickelt, dass das Erfassen und Ablegen der Daten
von einer Person zu bewältigen ist. Dabei bestand für die Erfassung die anspruchsvolle Zielstellung, dass von der Absolvierung des Sprungs bis zur Ablage von Daten, Video und Bildreihe nicht mehr als 20 Sekunden verstreichen
sollen. Nur so ist zu garantieren, dass jeder Sprung erfasst werden kann, da der
Zeitabstand zwischen zwei Sprüngen im Wettkampf 40–60 s und im Training im
Extremfall nur 30 s beträgt.
− Einsatz eines oder auch mehrerer mit dem Informationserfassungs- und Verarbeitungs-Computer (MIS-PC) verbundenen Informations-PC (Info-PC) für die
Schnellinformation beim Messplatz-Training. Der Info-PC ermöglicht dem Trainer und Sportler unabhängig vom Messbetrieb des Hauptrechners an beliebiger
Stelle selbständig auf die Ergebnisdarstellungen der Sprünge zuzugreifen, wodurch sie im Training Rückinformationen zum absolvierten Sprung erhalten und
daraus notwendige Korrekturen der sportlichen Technik ableiten können.
− Einsatz eines Funknetzes (Wireless LAN) zwischen den PC zur Sicherung eines flexiblen Einsatzes der Info-PC an verschiedenen Standorten im
Schanzengelände entsprechend der gewünschten Kommunikation mit dem
Sportler.
− Aufbau einer geeigneten Datenbank, mit der im Training ein anschaulicher Vergleich mit früheren Sprüngen oder Leitbildern durchgeführt werden kann. Die
Datenbank ist gleichzeitig eine Arbeitsgrundlage für eine weiterführende inhaltliche Aufarbeitung der erfassten Sprünge und für die Suche nach individuellen
Bestlösungen.
Ein zu lösendes Problem zur Sicherung des Gütekriteriums Validität war und ist die
Berechnung der durch den Sportler für den Absprung aufgebrachten Kräfte (Abb. 3,
untere Kurve) aus der gemessenen Gesamtkraft (Abb. 3, obere Kurve). Dazu muss
von der Gesamtkraft die Gewichtskraft des Sportlers und im Schanzenradius die
auf den Sportler wirkende Zentrifugalkraft abgezogen werden. Schwierig zu
bestimmen ist dabei die Übergangsfunktion vom Schanzenradius zum Schanzentisch, da die Zentrifugalkraft durch die Gestaltung der Anlaufspur im Übergangsbereich und die Skilänge nicht schlagartig wegfällt. Um diese Übergangsfunktion möglichst genau bestimmen zu können, wurde u. a. versucht, diese durch eine auf
Sprungski montierte starre Masse zu erhalten (Abb. 4).
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WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
Abb. 3. Sofortinformation einer Messung mit dem MIS Fichtelbergschanze
Abb. 4. Start eines Versuchs zur Bestimmung der im Schanzenradius wirkenden Zentrifugalkraft mit Hilfe einer starren Masse
WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
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Zur Sicherung der Validität des MIS gehört auch die Einsetzbarkeit unter Winterbedingungen, da Skisprung seine Wettkampfhöhepunkte nach wie vor im Winter hat.
Für den Winterbetrieb ist auf dem Schanzentisch eine Trennvorrichtung montierbar,
welche zwischen dem Schneebelag der Messfläche (Anlaufspur) und dem umgebenden Bereich einen Spalt zur Verhinderung von Kraftschlüssen schafft (Abb. 5).
Damit ist gegenwärtig das MIS Fichtelbergschanze das einzige deutsche System,
das unter Winterbedingungen einsetzbar ist. Ausgehend von den dabei gesammelten Erfahrungen soll die geschaffene Prinziplösung auf eine deutsche Großschanze
übertragen werden.
Abb. 5. Vorbereitung der Plattformkette des MIS Fichtelbergschanze auf den Winterbetrieb
Beispiel 2: Rennverlaufssimulation
Sowohl für die Vorbereitung auf Wettkampfhöhepunkte als auch für wissenschaftliche Untersuchungen zur Optimierung des Rennverlaufs sind Tests auf Messplätzen, die eine Simulation der realen Bedingungen erlauben, von Bedeutung.
Freistil
h (m)
1020
klassisch
1000
980
960
940
0
500
1000
1500
2000
2500
3000
3500
4000
4500
5000
Weg (m)
Abb. 6. Beispiel für das Streckenprofil bei einer Weltmeisterschaft im Skilanglauf
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WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
Im Skilanglauf werden seit Jahren Rennverlaufssimulationen auf einem kippbaren
Laufband durchgeführt. Voraussetzungen dafür sind die Kenntnis des Profils der
Wettkampfstrecke (Abb. 6) und Skiroller, deren Reibungskoeffizient denen von
Skiern auf Schnee nahe kommt. Die Software zur Steuerung des kippbaren IATLaufbands und zur Messwerterfassung wurde den Anforderungen des Skilanglaufs
schrittweise angepasst. Die bisher nicht vorhandene spezielle Software für Skilanglauf soll im neuen Olympiazyklus erarbeitet werden. Nicht lösbar am IAT-Laufband
ist aus konstruktiven Gründen die Simulation von steilen Abfahrten. Geplant ist weiterhin die Erfassung der Kräfte in den Skistöcken.
3
Problemangepasste Bilderfassungs- und Bildmessverfahren
Moderne und leistungsfähige Bilderfassungs- und Verarbeitungssysteme gehören
seit vielen Jahren zu den Werkzeugen und Methoden der Trainingssteuerung im
Hochleistungssport. Eine aktuelle Leistungsreserve dieser Systeme ist ihr problemangepasster, sportartspezifischer Einsatz.
3.1
Bilderfassungssysteme und -verfahren
Beispiel 3: Visuelles Sofortinformationssystem Skisprung SKIVIS (Jentsch, 2005)
Aufbauend auf den Erfahrungen zur Systementwicklung des MIS Fichtelbergschanze Oberwiesenthal wurde für die Analyse des Absprungs und der Flugphase
im Skisprung eine vergleichbare Systemlösung erarbeitet und seit 2004 eingesetzt.
Wie auch in Oberwiesenthal werden zwei gekoppelte Rechner (in diesem Fall zwei
Notebooks) für die Videoerfassung bzw. Videoverarbeitung genutzt. Die entstehenden Informationen, insbesondere auch die visuellen Informationen werden in einer
Datenbank gespeichert und können als Sofortinformation ausgegeben (Abb. 7)
oder für Vergleiche im Quer- oder Längsschnitt genutzt werden. Auf dem Info-PC
können die erfassten Posen auch als Videoclip betrachtet werden.
Gegenwärtig können bis zu acht Kameras benutzt werden. Zur Erweiterung des
Aufnahmebereichs soll diese Anzahl auf zwölf erhöht werden. Dadurch kann sowohl die Anfahrtshaltung und die Absprungvorbereitung erfasst als auch der Erfassungsbereich bei weiten Sprüngen vergrößert werden. Voraussetzung für die Erweiterung ist die Eigenentwicklung eines neuen Videoumschalters.
Seit 2005 ist in dieses Informationssystem auch eine Hinterkamera aufgenommen
worden, die eine 3D-Analyse insbesondere des V-Winkels ermöglicht (Abb. 10).
Beispiel 4: Skeleton
Die Unterstützung der Sportart Skeleton wurde im letzten Olympiazyklus neu in das
Aufgabenspektrum des IAT aufgenommen. Eine erste Zielstellung war und ist die
Optimierung der Skeleton-Startphase. Dafür musste zunächst eine Bestandsaufnahme des Standes der sportlichen Technik im Skeleton durchgeführt werden.
WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
189
Abb. 7. Ergebnisbeispiel des „Visuellen Sofortinformationssystems Skisprung“
Abb. 8. Videoaufnahmen der Startphase im Skeleton für biomechanische Analysen
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Für die dafür erforderlichen 3D-Analysen musste eine an die Sportart und die örtlichen Bedingungen angepasste Video-Aufnahmetechnologie entworfen und eingesetzt werden. Diese bestand aus sechs seitlich angeordneten Kameras und einer
siebenten Kamera für Aufnahmen von vorn. Die Videosignale der Seitenkameras
sollten, wie z. B. im Skisprung, zu einem einheitlichen Videostream zusammengeführt werden. Durch die Überlappung der Aufnahmebereiche dieser Kameras war
dies nicht möglich, so dass aus den Signalen der ersten, dritten und fünften sowie
der zweiten, vierten und sechsten Kamera jeweils ein Videostream generiert wurde.
Ein Shapshot aus den insgesamt drei verschiedenen Videoclips ist in Abb. 8 dargestellt.
3.2
Bildmessverfahren (Drenk, 2005)
Mit den am IAT entwickelten photogrammetrischen Algorithmen und Computerprogrammen können alle gängigen 2D- und 3D-Analysen durchgeführt werden. Das
Spektrum reicht dabei von Aufnahmen mit einer starren Kamera bis zu zwei oder
auch mehreren Kameras, die geschwenkt, geneigt und gezoomt werden können.
Abb. 9. 3D-Videobildanalyse im Kanurennsport mit Hilfe von Passpunkten.
Die Kamerakalibration erfolgt je nach Aufnahmebedingungen meist über Maßstäbe,
ebene oder räumliche Kalibrierkörper. Da diese Kalibrierkörper an der Stelle vermessen werden müssen, an der die zu analysierenden Ereignisse stattfinden, ist
diese Möglichkeit für einige Sportarten, z. B. Skisprung praktisch nicht gegeben. In
diesen Fällen werden die Kameras über geodätisch vermessene, ortsfeste Pass-
WAGNER: Forschungstechnologie im Hochleistungssport
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punkte kalibriert. Dabei ist im Skisprung zu beachten, dass die im Allgemeinen im
Sommerhalbjahr ausgewählten und vermessenen Raumpunkte auch im Winterhalbjahr nutzbar sind. Für die geschwenkte (geneigte, gezoomte) Kamera müssen
ein oder mehrere Passpunkte in jedem Messbild abgebildet sein. Als Beispiel ist in
Abb. 9 die Anwendung dieses Verfahrens im Kanurennsport dargestellt. Passpunkte sind hier u. a. die einzelnen Bojen.
Für 3D-Analysen im Skisprung, die bisher ausschließlich für die Bestimmung des
V-Winkels eingesetzt werden, wurden mögliche Passpunkte und Kamerastandpunkte u. a. an den Schanzen in Hinterzarten, Oberstdorf, Oberwiesenthal und Bischofshofen vermessen. Zukünftig soll eine 3D-Analyse des gesamten Fluges
durchgeführt werden. Ob diese Anforderung ausschließlich mit den gegenwärtig
genutzten starren Kameras realisiert werden kann, ist noch nicht geklärt. Möglicherweise müssen zusätzlich auch geschwenkte Kameras eingesetzt werden.
4
Nutzerfreundliche Informationssysteme
Die unter dem in der Informatik üblichen Begriff Usability zusammengefassten Anforderungen an ein Softwareprodukt sollen dessen einfache und sichere Nutzung
gewährleisten. Die Qualität und Breite dieser Anforderungen hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Nachfolgend werden zwei, für die von uns diskutierten
Anwendungen bedeutsamen Anforderungen dargestellt.
4.1
Eindeutige Begriffsdefinitionen
In die Gestaltung und Realisierung der gesamten Wirkungskette der Trainingssteuerung sind mehrere Wissenschaftsdisziplinen und die verschiedenen Vertreter der
Sportpraxis (Sportler, Trainer, ...) einbezogen. Deshalb ist es wichtig, gemeinsam
verwendete Begriffe stets eindeutig zu definieren. Die benutzten Bezeichnungen
werden und müssen dabei auch nicht immer den in einer speziellen Wissenschaftsdisziplin (z. B. der Mathematik oder Biomechanik) definierten Begriffen entsprechen.
Beispiel 5: V-Winkel im Skisprung
Umgangssprachlich scheint der Begriff V-Winkel als Winkel zwischen den beiden
Ski bei der V-Haltung zunächst klar definiert zu sein. Die durch die beiden Längsachsen der Ski definierten Linien kreuzen sich aber nur im Idealfall (Abb. 10, links).
Bei realen Sprüngen (Abb. 10, rechts) repräsentieren diese Linien zwei windschiefe
Geraden. Dafür ist ein mathematisch klar definierter Raumwinkel berechenbar. Alternativ kann dieser Raumwinkel auch in eine V-Winkel- und eine ScherwinkelKomponente zerlegt werden. Welche Variante die bessere für die Bewertung der
sportlichen Technik ist, muss der Biomechaniker oder der Trainingswissenschaftler
entscheiden.
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Beispiel 6: Kantungswinkel im Skisprung
Aus mathematischer Sicht ergibt sich der Kantungswinkel eines Skis aus der Drehung um seine Längsachse. Die im Skisprung benutzte Definition ist im linken Bild
der Abb. 10 dargestellt. Daraus folgt, dass beide Definitionen nur dann das gleiche
Ergebnis liefern, wenn sich der untersuchte Ski parallel zu der durch die Flugkurve
aufgespannten Ebene befindet. Diese Bedingung ist bei der heute genutzten VHaltung nicht erfüllt. Der im Skisprung als Kantungswinkel bezeichnete Wert ist
deshalb eine Kombination aus dem mathematischen Kantungswinkel und dem Anstellwinkel.
Abb. 10. Kantungswinkel und V-Winkel beim Skisprung (links: Puppe im Windkanal)
4.2
Nutzerspezifische Bedienoberflächen (Nutzerinterface)
Gute Bedienoberflächen müssen eine einfache, d. h. möglichst intuitive und fehlerfreie Softwarenutzung ermöglichen. Deshalb wird bei der MIS-Softwareentwicklung
ein Schichtenmodell (Wagner & Kindler, 1999) benutzt, bei dem auf die zugrunde
liegenden Module eine anwendungsspezifische Oberfläche gelegt wird. Diese soll
einerseits für alle MIS-Anwendungen vergleichbar sein und andererseits die dem
sportartspezifischen Nutzer bekannten Begriffe und Arbeitsweisen wiederspiegeln.
Als Beispiel ist in Abb. 11 die Bedienoberfläche für die Wettkampfanalyse Eisschnelllauf dargestellt (Kindler & Wagner, 2005). Diese ermöglicht die Wiedergabe
der auszuwertenden Videosequenz. Damit ist die direkte Erfassung der für die Analyse notwendigen Daten aus der Videoaufzeichnung möglich.
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Abb. 11. Bedienoberfläche der Wettkampfanalyse Eisschnelllauf
Literatur
Dickwach, H. & Wagner, K. (2004). Neue Möglichkeiten der Analyse und Technikkorrektur im Skispringen durch die Kopplung visueller Informationen mit Kraftverläufen. Leistungssport, 34
(1), 12-17.
Drenk, V. (2005). 3D-Videobild-Mess-Programme am IAT. In K. Wagner (Hrsg.), 7. Frühjahrsschule Informations- und Kommunikationstechnologien in der angewandten Trainingswissenschaft. (S. 9-12). Leipzig: Institut für Angewandte Trainingswissenschaft.
Jentsch, H. (2005). Multimediales Informationssystem Skisprung. In K. Wagner (Hrsg.), 7. Frühjahrsschule Informations- und Kommunikationstechnologien in der angewandten Trainingswissenschaft. (S. 9-12). Leipzig: Institut für Angewandte Trainingswissenschaft.
Kindler, M. & Wagner, R. (2005). Videozeitmessung in der Sportforschung. Zeitschrift für Angewandte Trainingswissenschaft, 12(2), 91-105.
Ostrowski, C. & Pfeiffer, M. (2003). Modellansatz zur Aufklärung der Leistungsstruktur im Skilanglauf. In dvs-Symposium “Ausdauer & Ausdauertraining“. In Druck.
Reiss, M. & Meinelt, K. (1983). Zur Erhöhung der Steuerung und Regelung des Hochleistungstrainings unter Berücksichtigung der Olympiavorbereitung. Theorie und Praxis Leistungssport,
21 (1), 6-48.
Wagner, K. & Kindler, M. (1999). Verteilte Bild- und Videoverarbeitung am IAT – Anspruch und
Realität. In Miethling, W.-D. & Perl, J.(Hrsg.). Sport und Informatik VI (S.179-193), Köln:
Strauß.
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