Interventionelle Mitralklappenrekonstruktion mit dem MitraClip

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Schwerpunkt
Herz 2013 · 38:467–473
DOI 10.1007/s00059-013-3857-4
Online publiziert: 26. Juni 2013
© Urban & Vogel 2013
D. Braun1, 2 · M. Orban1, 2 · J. Tittus1, 2 · M. Näbauer1, 2 · C. Hagl3 · S. Massberg1, 2 ·
J. Hausleiter1, 2
1 Medizinische Klinik und Poliklinik I, Klinikum der Universität München, München
2 Munich Heart Alliance, München
3 Herzchirurgische Klinik und Poliklinik, Klinikum der Universität München, München
Interventionelle  
Mitralklappenrekonstruktion
mit dem MitraClip®-Verfahren
Patientenauswahlkriterien
Entwicklung der perkutanen
Mitralklappenrekonstruktion
mit dem MitraClip®-Verfahren
Die Mitralklappeninsuffizienz (MI) gehört neben der Aortenklappenstenose zu
den häufigsten Herzklappenfehlern. Die
Prävalenz wird auf etwa 1–2% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Bei Patienten über 75 Jahren liegt sie um 10% [1,
2, 3]. Die Behandlung der symptomatischen MI umfasst neben einer medikamentösen Therapie bevorzugt eine operative, ggf. minimal-invasive Mitralklappenrekonstruktion [4]. Daneben wurde
in den letzten Jahren das vielversprechende kathetergesteuerte MitraClip®-Verfahren entwickelt, durch das die Segelspitzen
der beiden Mitralsegel, analog der operativen Alfieri-Naht, durch einen Clip
verbunden werden. In der randomisierten „Landmark“-Studie EVEREST II, bei
der das MitralClip®-Verfahren mit einer
operativen Mitralklappenrekonstruktion
verglichen wurde, war das interventionelle Verfahren der Rekonstruktion jedoch
hinsichtlich des kombinierten primären
Endpunkts aus Freiheit von Tod, hochgradiger MI und (Re)Operation an der
Mitralklappe nach 12 Monaten unterlegen. Kardiovaskuläre Komplikationen
traten beim MitraClip®-Verfahren hingegen seltener auf [5]. In der Folge wurde
und wird dieses Verfahren deshalb insbesondere für inoperable Patienten bzw. Patienten mit hohem Operationsrisiko er-
folgreich angewendet [6, 7, 8, 9]. Im Rahmen dieser Übersichtsarbeit sollen zunächst die Patientengruppen eingegrenzt
werden, die für eine interventionelle Mitralklappenrekonstruktion in Frage kommen. Im Weiteren wird auf die anatomischen Grundvoraussetzungen eingegangen, die bei diesen Patienten vorliegen
müssen. Schließlich werden die Indikationen zur MitraClip®-Therapie unter
Berücksichtigung klinischer und anatomischer Kriterien zusammenfassend dargestellt.
Diagnostische Maßnahmen
bei der Evaluation der
Mitralklappeninsuffizienz
Klinische Beurteilung
Die Objektivierung der klinischen Symptomatik sollte bei der Evaluation der MI
an erster Stelle stehen. Hier ist insbesondere die NYHA-Klassifikation zu nennen,
die mit dem Schweregrad und der Prognose der MI korreliert und einfach zur
Verlaufskontrolle eingesetzt werden kann.
Hilfreich sind weiterhin standardisierte
Untersuchungen wie der SechsminutenGehtest oder die Spiroergometrie, um die
Belastbarkeit weiter zu objektivieren.
Echokardiographische Beurteilung
Die echokardiographische Beurteilung
der MI steht bei der Evaluation des the-
rapeutischen Vorgehens neben der klinischen Symptomatik an vorderster
Stelle. Eine Quantifizierung kann zunächst durch eine transthorakale Echokardiographie (TTE) erfolgen. Bei höhergradigen Insuffizienzen sollte ergänzend eine transösophageale Echokardiographie (TEE) zur weiteren Therapieplanung durchgeführt werden. Echokardiographisch kann hier zunächst die Ätiologie der MI (primär oder sekundär) festgestellt werden. Bei der primären Insuffizienz (auch organische oder degenerative MI) ist die Mitralklappe bzw. der
subvalvuläre Apparat degenerativ verändert, was zu einer Undichtigkeit der Klappe führt. Die sekundäre (funktionelle)
MI ist demgegenüber Folge einer linksventrikulären Dilatation. Diese führt zu
einem Ungleichgewicht der funktionellen Schluss- und Zugkräfte des Klappenapparats, welches zu einer Koaptationslücke beim Schluss der Mitralsegel führt.
Die korrekte Quantifizierung des Schweregrades der MI erfolgt unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Parametern, die
gängigen sind in . Tab. 1 aufgeführt [10].
Dabei ist hervorzuheben, dass der Schweregrad der MI sehr variabel sein kann
und eng mit dem Volumenhaushalt korreliert. Die derzeit bevorzugten Methoden sind die Bestimmung der proximalen Jetbreite (Vena contracta) in mindestens 2 Ebenen (semiquantitativ) und die
quantitative Bestimmung der effektiven
Regurgitationsfläche („effective regurgiHerz 5 · 2013 | 467
Schwerpunkt
Tab. 1 Echokardiographische Kriterien zur Quanitifizierung der Mitralklappeninsuffizienz
Parameter
Qualitativ
Mitralklappen­
morphologie
Farbdopplerjet
Geringgradig
Normal/abnormal
Mittelgradig
Normal/abnormal
Hochgradig
„Flail leaflet“
Schmal/zentral
Intermediär
Flusskonvergenzzone
(PISA)
CW-Signal des MI-Jets
Semiquantitativ
Vena-contracta-Breite
Pulmonalvenenfluss
Keine/schmal
Intermediär
Großer zentraler Jet/
exzentrischer Jet
Groß
Schwach/parabolisch
<3 mm
Systolisch dominant
Dicht/parabolisch
3–7 mm
Systolisch gedämpft
Mitraliseinstrom
A-Welle dominant
Variabel
Quantitativ
EROA (mm2)
<20
20–29; 30–39
Regurgitations­
volumen (ml)
<30
30–44; 45–49
Dicht/triangulär
>7 mm
Systolische Flussumkehr
E-Welle dominant
(>1,5 m/s)
>40 (PMI)
>20 (SMI)
>60 (PMI)
>30 (SMI)
CW „continous-wave“, PISA „proximal isovelocity surface area“, EROA „effective regurgitant orifice area“, MI Mitralklappeninsuffizienz, PMI primäre Mitralklappeninsuffizienz, SMI sekundäre Mitralklappeninsuffizienz
tant orifice area“, EROA) sowie das daraus berechnete Regurgitationsvolumen.
Ergänzend werden in der Praxis weitere
unterstützende Parameter erhoben. Zu
nennen sind dabei:
F
Mitralklappenmorphologie,
F
Ausdehnung des Farbdopplerjets im
linken Vorhof (PISA: „proximal isovelocity surface area“),
F
Größe der Flusskonvergenzzone im
linken Ventrikel,
F
Intensität und Form des CW-Doppler-Insuffizienzsignals,
F
Pulmonalvenenflussprofil,
F
Mitraliseinstromprofil.
Bei den quantitativen Parametern EROA
und Regurgitationsvolumen ist zu berücksichtigen, dass für die sekundäre MI
geringere Grenzwerte für das Vorliegen
einer relevanten Insuffizienz festgelegt
wurden (EROA >20 mm2, Regurgitationsvolumen >30 ml; [4, 10].
Invasive Untersuchungen
Vor der Behandlung der MI ist in der Regel die Durchführung einer Herzkatheteruntersuchung zu empfehlen, da das
Vorliegen von Koronarstenosen für die
Wahl des weiteren Vorgehens von Bedeutung ist (. Abb. 1). Bei Wahl einer ka-
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thetergestützten Klappenrekonstruktion
sollten hämodynamisch relevante Koronarstenosen zuvor interventionell saniert
werden. Bezüglich der MI können bei
grenzwertigen oder unklaren echokardiographischen Befunden die linksventrikuläre Angiographie sowie hämodynamische Messungen mittels Rechtsherzkatheter relevante Zusatzinformationen für
die Einschätzung der Insuffizienz liefern.
Therapeutisches Vorgehen
bei primärer und sekundärer
Mitralklappeninsuffizienz
Unabhängig von der Ätiologie einer behandlungsbedürftigen MI sollte das weitere therapeutische Vorgehen im interdisziplinären Herzteam, bestehend aus interventionellen Kardiologen und Herzchirurgen, diskutiert und im Konsens
eine Therapieentscheidung getroffen
werden.
Algorithmus bei primärer
Mitralklappeninsuffizienz
Wurde echokardiographisch die Diagnose einer hochgradigen primären MI gestellt, hängt das weitere Vorgehen von der
klinischen Symptomatik ab [4].
Bei symptomatischen Patienten ist
grundsätzlich eine Sanierung der hochgradig insuffizienten Mitralklappe zu erwägen (. Abb. 2). Bei einer linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) von
mehr als 30% und vertretbarem Operationsrisiko ist dabei die operative Sanierung, wenn möglich durch Rekonstruktion, die Therapie der Wahl (Klasse-IBIndikation). Im klinischen Alltag handelt es sich dabei um die Mehrzahl der
Patienten mit primärer MI. Bei Hochrisikopatienten für eine Operation sollte
bei vorliegenden anatomischen Grundvoraussetzungen eine perkutane Rekonstruktion mit dem MitraClip®-Verfahren
als Alternative in Erwägung gezogen werden. Bei hochgradig eingeschränkter systolischer LV-Funktion (LVEF <30%) und
behandlungsbedürftiger primärer MI
trotz optimaler Herzinsuffizienztheapie
inkl. etwaiger Resychronisationstherapie
(CRT) ist eine individuelle Therapieentscheidung nach Diskussion im Herzteam
erforderlich. Denkbar ist je nach individuellem Operationsrisiko eine medikamentöse Therapie, die operative Rekonstruktion (Klasse-IIC-Indikation) oder bei
vorliegenden anatomischen Voraussetzungen die MitraClip®-Implantation. Bei
inoperablen Patienten, die auch die anatomischen Voraussetzungen für das MitraClip®-Verfahren nicht erfüllen, bleibt
als letzte Optionen eine Assist-DeviceImplantation oder die Listung zur Herztransplantation.
Bei subjektiv beschwerdefreien Patienten kann zur weiteren Objektivierung zunächst eine Belastungsuntersuchung erfolgen. Bei durch die MI bedingter eingeschränkter Belastbarkeit sollten diese Patienten als symptomatisch angesehen und entsprechend behandelt werden.
Bei asymptomatischen Patienten mit normaler Belastbarkeit kann ein konservatives Vorgehen erwogen werden, wenn die
LVEF normal ist und der LVESD (linksventrikulärer endsystolischer Diameter)
unter 45 mm liegt. Bei durch die Insuffizienz bedingter eingeschränkter LVFunktion oder linksventrikulärer Dilatation (LVESD ≥45 mm) ist eine operative
Korrektur der MI, wenn möglich durch
Rekonstruktion, anzustreben (Klasse-ICIndikation).
Zusammenfassung · Abstract
Bei folgenden Konstellationen kann
auch bei asymptomatischen Patienten
mit erhaltener LVEF und normalen LVDiametern eine Rekonstruktion erwogen
werden (Klasse-IIC-Indikation):
F
Neu aufgetretenes Vorhofflimmern
oder Vorliegen einer postkapillären pulmonalen Hypertonie (PAPs
>50 mmHg).
F
Bei hochgradiger MI mit hoher
Wahrscheinlichkeit einer dauerhaften
Rekonstruktion und niedrigem Operationsrisiko sollte eine Rekonstruktion auch bereits bei einem LVESD
von ≥40 mm erwogen werden, wenn
der linke Vorhof bei Vorliegen von
Sinusrhythmus vergrößert ist (linksatriales Volumen >60 ml/m2 Körperoberfläche) oder eine belastungsinduzierte pulmonale Hypertonie vorliegt (PAPs >60 mmHg).
Algorithmus bei sekundärer
Mitralklappeninsuffizienz
Bei Vorliegen einer sekundären MI sollte
zunächst eine optimale medikamentöse
Herzinsuffizienztherapie einschließlich
einer etwaigen kardialen Resynchronisationstherapie erfolgen, bevor eine Sanierung der undichten Mitralklappe in Erwägung gezogen wird. Besteht darunter weiterhin eine mindestens mittel- bis hochgradige Insuffizienz (EROA >20 mm2,
Regurgitationsvolumen >30 ml), sollte die MI möglichst saniert werden
(. Abb. 1; [4]). Bei einer LVEF von
mehr als 30% und gleichzeitiger Indikation zur aortokoronaren Bypass-Operation (ACB) ist dabei die Operation, wenn
möglich Bypass-Versorgung und Rekonstruktion, die Therapie der Wahl (KlasseIC-Indikation). Bei Patienten mit hochgradig eingeschränkter systolischer LVFunktion konnten für das MitraClip®Verfahren hinsichtlich der klinischen
Symptomatik beeindruckende Ergebnisse erreicht werden [6]. Auch bei CRTTherapie-Versagen konnte eine signifikante Verbesserung der klinischen Symptomatik gezeigt werden [7]. Bei Patienten
mit behandlungsbedürftiger sekundärer
MI und Indikation zur perkutanen Koronarintervention (PCI) sehen wir deshalb ein zweizeitiges Vorgehen mit MitraClip®-Implantation nach Koronarinter-
Herz 2013 · 38:467–473 DOI 10.1007/s00059-013-3857-4
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D. Braun · M. Orban · J. Tittus · M. Näbauer · C. Hagl · S. Massberg · J. Hausleiter
Interventionelle Mitralklappenrekonstruktion mit dem
MitraClip®-Verfahren. Patientenauswahlkriterien
Zusammenfassung
Das MitraClip®-Verfahren wird zunehmend,
insbesondere für inoperable Patienten bzw.
Patienten mit hohem Operationsrisiko, erfolgreich angewendet. Im Rahmen dieser
Übersichtsarbeit sollen zunächst Patientengruppen eingegrenzt werden, die für eine interventionelle Mitralklappenrekonstruktion
in Frage kommen. Dazu werden zunächst
die echokardiographischen Kriterien für eine
hochgradige Mitralklappeninsuffizienz zusammenfassend dargestellt und Algorithmen
für das Vorgehen bei primärer und sekundärer Mitralklappeninsuffizienz anhand aktueller Leitlinien beschrieben. Im Weiteren werden die anatomischen Grundvoraussetzungen beschrieben, die eine erfolgreiche ClipImplantation bei potenziellen Patienten er-
möglichen. Dabei wird neben der optimalen
Klappenmorphologie zwischen bedingt geeigneten und ungeeigneten anatomischen
Gegebenheiten differenziert. Schließlich werden unter Berücksichtigung der klinischen
und anatomischen Kriterien 3 Indikationsgruppen (optimal für MitraClip®, MitraClip®
zu erwägen, MitaClip® in Ausnahmefällen)
für das MitraClip®-Verfahren definiert.
Schlüsselwörter
Auswahlkriterien · Primäre
Mitralklappeninsuffizienz ·
Sekundäre Mitraklappeninsuffizienz ·
Klappenmorphologie · Anatomische
Voraussetzungen
Percutaneous mitral valve repair with the MitraClip®
procedure. Patient eligibility criteria
Abstract
In current practice the MitraClip® procedure is increasingly being used for patients
unsuitable or at high risk for cardiac surgery. This article initially describes the patient groups that are suitable for percutaneous edge-to-edge repair. For this purpose
the echocardiog­raphic criteria for severe mitral regurgitation are first characterized and
treatment algorithms for patients with primary as well as secondary mitral regurgitation according to current guidelines are illustrated. Basic anatomical requirements for
the successful implantation of a MitraClip®
are described and a distinction is made be-
vention als vorteilhafte Therapieentscheidung an. In ausgewählten Fällen können
bei hohem Operationsrisiko nach Diskussion im Herzteam auch komplexe pathologische Koronarbefunde mit Indikation zur Bypass-Operation interventionell saniert und mit dem MitraClip®-Verfahren kombiniert werden. Patienten mit
sekundärer MI und LVEF von mehr als
30% ohne Vorliegen relevanter Koronarstenosen stellen eine sehr kleine Patientengruppe dar, bei der nach Leitlinien
eine operative Sanierung der Insuffizienz
erfolgen kann (Evidenzklasse IIC). Aufgrund der Ergebnisse der bisher durch-
tween various valve morphologies ranging
from optimal to unsuitable anatomical conditions. Finally, three patient groups eligible for
percutaneous edge-to-edge repair considering clinical and anatomical criteria are defined: (1) optimal for MitraClip®, (2) MitraClip®
could be considered and (3) MitraClip® only
in exceptional cases.
Keywords
Eligibility criteria · Primary mitral valve
insufficiency · Secondary mitral valve
insufficiency · Valve morphology · Anatomical requirements
geführten Studien sowie der inzwischen
weitreichenden europäischen Erfahrungen sehen wir jedoch die MitraClip®-Behandlung bei diesen Patienten als zumindest gleichwertige Alternative an.
Randomisierte Vergleiche zwischen
MitraClip®-Verfahren und medikamentöser Therapie sowie operativer Mitralklappenrekonstruktion und MitraClip®Verfahren bei Hochrisikopatienten sind
in Planung und werden für die klinische
Entscheidungsfindung wichtige Daten
liefern.
Patienten mit höchstgradig eingeschränkter systolischer LV-Funktion
Herz 5 · 2013 | 469
Schwerpunkt
Symptomatische
Mitralklappeninsuffizienz
Sekundäre MI trotz
Herzinsuffizienztherapie +/- CRT
Primäre MI
Relevante
Koronarstenosen
Hohes OP-Risiko
LVEF < 30%
Operation (bevorzugt
Rekonstruktion)
Nein
Ja
Indikation
Bypass-OP
MitraClip®
Ja
Nein
PCI
Operation
inkl. Bypass
MitraClip®
Medikamentös
Abb. 1 8 Algorithmus bei symptomatischer primärer und sekundärer Mitralklappeninsuffizienz: Die
hervorgehobenen Pfade (rot) kennzeichnen das Vorgehen bei der Mehrzahl der Patienten mit der jeweiligen Ätiologie (MI Mitralklappeninsuffizienz, LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion, CRT „cardiac
resynchronisation therapy“, PCI perkutane Koronarintervention, OP Operation)
Abb. 2 8 Anatomische Voraussetzungen für eine erfolgreiche MitraClip®-Implantation: a Koaptationstiefe ≤10 mm; b FlailHöhe <10 mm; c Flail-Weite <15 mm (A anterior, P posterior, AL anterolateral, P posteromedial). (Adaptiert nach [5]).
Abb. 3 8 Hochgradige primäre Mitralklappeninsuffizienz mit erfolgreicher Clip-Implantation bei“flail leaflet” des P2-Segments bei Chordaruptur: a 3-D-Aufsicht vom linken Vorhof aus (Pfeil „flail leaflet“ des P2-Segments); b 3-D-Aufsicht vom linken Vorhof aus mit Insuffizienzjet vor Clip-Implantation; c 3-D-Aufsicht vom linken Vorhof aus mit residuellem Insuffizienzjet
nach Clip-Implantation (A anterior, P posterior, AL anterolateral, PM posteromedial)
470 | Herz 5 · 2013
Abb. 4 8 Hochgradige sekundäre Mitralklappeninsuffizienz mit erfolgreicher Clip-Implantation: a 3-D-Aufsicht vom linken
Vorhof aus; b 3-D-Aufsicht vom linken Vorhof aus mit Insuffizienzjet vor Clip-Implantation; c 3-D-Aufsicht vom linken Vorhof
aus mit residuellem Insuffizienzjet nach Clip-Implantation (A anterior, P posterior, AL anterolateral, PM posteromedial)
(LVEF <15–20%) bedürfen einer gesonderten Betrachtung. Bei dieser Patientenpopulation wird ein linksventrikuläres Vorwärtsversagen nach Eliminierung
der MI gefürchtet. Daher könnte das Verbleiben einer reduzierten, residuellen MI
von Vorteil sein. Weiterhin ist vorstellbar,
dass diese Patienten von einer periprozeduralen ventrikulären Entlastung durch
z. B. eine intraaortale Ballonpumpe profitieren. Bei diesen Patienten wurde auch
die Bildung eines linksventrikulären LVThrombus nach effizienter Reduktion
einer funktionellen MI bei höchstgradig eingeschränkter LV-Funktion – wohl
durch eine vermehrte Stase des Bluts –
beschrieben [11]. Daher sollte postprozedural eine strenge Antikoagulation erwogen werden. Alternativ zum Mitra­Clip®Verfahren sollte bei geeigneten Patienten die Implantation eines Assist-Device oder eine Herztransplantation in Betracht gezogen werden.
Anatomische Voraussetzungen
für eine MitraClip®-Implantation
Wenn nach den oben aufgeführten Kriterien das MitraClip®-Verfahren in Erwägung gezogen wird, müssen im nächsten Schritt die anatomische Grundvoraussetzungen für eine erfolgreiche ClipImplantation evaluiert werden (. Tab. 2,
adaptiert nach [12]). Die optimale Klappenmorphologie wurde erstmals in der
EVEREST-I-Studie definiert und durch
die bisherigen Erfahrungen mit dem System weiterentwickelt [13]. Nach den nach
dieser Beschreibung adaptierten Kriterien sollte im optimalen Fall die zentrale Pathologie vorwiegend in den Segmenten A2/P2 liegen. Die Segel sollten bei guter Mobilität nicht verkalkt oder wesent-
lich verdickt sein, und insbesondere die
mobile Länge des PML sollte bei mindestens 10 mm liegen, um einen stabilen
Sitz des Segels zwischen dem Clip-Arm
und den korrespondierenden „Grippern“
zu ermöglichen und damit das Risiko
eines „clip detachments“ zu minimieren [14]. Die Mitralklappenöffnungsfläche sollte mehr als 4 cm2 betragen, um
dem Risiko einer postinterventionellen
Mitralklappenstenose entgegenzuwirken. Bei Vorliegen eines „flail leaflet“ bei
Chordaruptur sollte die Flail-Höhe weniger als 10 mm und die Flailweite weniger als 15 mm betragen. Für die EVEREST-Studien wurde außerdem eine Koaptationstiefe unter 11 mm festgelegt, um
einen optimalen Greifvorgang während
der MitraClip®-Prozedur zu ermöglichen (. Abb. 2). Aufgrund der bisherigen europäischen Erfahrungen mit dem
Verfahren messen wir dem letztgenannten Kriterium jedoch keine Bedeutung
mehr zu. Bei optimaler Klappenmorphologie ist eine erfolgreiche Clip-Implantation sehr wahrscheinlich. . Abb. 3 zeigt
beispielhaft eine 3-dimensionale Ansicht
einer hochgradigen primären MI bei
„flail leaflet“ des P2-Segments bei Chordaruptur vor und nach einer erfolgreichen
MitraClip®-Prozedur. . Abb. 4 zeigt eine
3-dimensionale Ansicht einer hochgradigen sekundären MI vor und nach einer
erfolgreichen MitraClip®-Prozedur.
Eine MitraClip®-Implantation ist aus
anatomischen Gründen nicht möglich,
wenn die Mitralsegel durch Perforation
oder Spaltbildung geschädigt sind oder
eine deutliche Verkalkung in der Greifzone vorliegt. Eine mobile Länge des
posterioren Mitralsegels unter 7 mm
oder eine (rheumatische) Segelverdickung und -restriktion in Systole und
Diastole verhindern ebenso eine ClipImplantation. Bei Vorliegen eines kombinierten Vitiums mit begleitender Mitralklappenstenose (MKÖF <4 cm2, dPmean
>5 mmHg) sollte von einer Clip-Implantation Abstand genommen werden. Die
bisherigen Erfahrungen mit dem MitraClip®-Verfahren haben außerdem gezeigt, dass bei Prolaps oder Flail mehrerer Segmente beider Segel eine effiziente
und dauerhafte Reduktion der MI durch
einen oder mehrere Clips in der Regel
nicht gelingt.
Eine MitraClip®-Implantation kann
bei bedingt geeigneter Klappenmorphologie in bestimmten Fällen erwogen werden, wenn die Pathologie in den Segmenten A1/P1 oder A3/P3 liegt oder Verkalkungen außerhalb der Greifzone des
Clip-Systems vorliegen. Bei Vorliegen einer Segelrestriktion lediglich in der Systole und einer mobilen Länge des posterioren Segels von 7–10 mm kann eine
Clip-Implantation ebenso erwogen werden wie bei einer Mitralklappenöffnungsfläche über 3 cm2 bei guter Restmobilität
der Segel. Eine durch einen breiten Flail
(Flail-Weite >15 mm) bedingte Insuffizienz kann ggf. mit 2 Clips versorgt werden, wenn Mitralring und Klappenöffnungsfläche dies zulassen. Eine Mitra­
Clip®-Implantation bei bedingt geeigneter Klappenmorphologie sollte jedoch
Zentren mit größerer Erfahrung mit dieser Therapieform vorbehalten sein.
Indikationen für die
MitraClip®-Implantation
Unter Berücksichtigung der oben genannten Algorithmen für die Behandlung der MI sowie der anatomischen Gegebenheiten können 3 IndikationsgrupHerz 5 · 2013 | 471
Schwerpunkt
Tab. 2 Anatomische Kriterien für eine MitraClip®-Implantation
Optimale Klappen­
morphologie
Zentrale Pathologie (Segment
2)
Fehlende Segelverkalkung
Mitralklappenöffnungsfläche
>4 cm2
Mobile Länge des PML
≥10 mm
(Koaptationstiefe <11 mm)
Normale Segelstärke und
Mobilität
Bedingt geeignete Klappenmorphologie
Pathologie in den Segmenten
1 und 3
Verkalkungen außerhalb der
Greifzone des Clip-Systems
Mitralklappenöffnungsfläche
>3 cm bei guter Restmobilität
Mobile Länge des PML
7–10 mm
(Koaptationstiefe ≥11 mm)
Segelrestriktion in der Systole
(Carpentier III B)
PMI mit MKP
Flail-Weite <15 mm
Flailweite >15 mm bei großer
MKÖF und Mehr-Clip-Option
Flail-Höhe <10 mm
Ungeeignete Klappen­
morphologie
Perforierte Mitralklappensegel
oder Spalt
Deutliche Verkalkung in der
Greifzone
Mitralstenose (MKÖF <3 cm2,
dPmean ≥5 mmHg)
Mobile Länge des PML <7 mm
Rheumatische Segelverdickung und -restriktion in Systole und Diastole (Carpentier
III A)
Mehrsegmentüberschreitender Prolaps/Flail der Segel
(M. Barlow)
MKÖF Mitralklappenöffnungsfläche, MKP Mitralklappenprolaps, PMI primäre Mitralklappeninsuffizienz, PML
posteriores Mitralsegel
Tab. 3 Indikationen für das MitraClip®-Verfahren
Optimal für MitraClip®
MitraClip® zu erwägen
Hochgradige MI
und
Optimale Klappenmorphologie
und
Sekundäre MI mit LVEF <30%
(mit OP-Indikation nach Leitlinien)
oder
Primäre MI (mit OP-Indikation
nach Leitlinien)
und
Hohes OP-Risiko
Mindestens mittelgradige MI
und
Im Wesentlichen geeignete
Klappenmorphologie
und
Sekundäre MI (mit OP-Indikation nach Leitlinien)
oder
Primäre MI (mit OP-Indikation
nach Leitlinien)
und
Hohes OP-Risiko
MitraClip® in Ausnahmefällen
Mindestens mittelgradige MI
und
Bedingt geeignete Klappenmorphologie
oder
Lebenserwartung <12 Monate
oder
LVEF <15%
oder
Voroperierte Mitralklappe
oder
Als chirurgisch-interventionelles Hybridverfahren
LVEF linksventrikuläre Ejektionsfraktion, MI Mitralklappeninsuffizienz, OP Operation
pen für die MitraClip®-Therapie definiert
werden (. Tab. 3, adaptiert nach [12]):
1.optimal für MitraClip®,
2.MitraClip® zu erwägen,
3.MitraClip® in Ausnahmefällen. In allen Fällen, insbesondere jedoch in
der 2. und 3. Gruppe, sollte die Entscheidung für das MitraClip®-Verfahren im interdisziplinären Herzteam durch Kardiologen und Herzchirurgen im Konsens getroffen werden.
472 | Herz 5 · 2013
Patienten mit hohem Operationsrisiko und hochgradiger primärer MI mit
einer LVEF unter 30% sowie Hochrisikopatienten mit sekundärer MI und optimaler Klappenmorphologie sind ideale Kandidaten für die perkutane Rekonstruktion.
Bei mindestens mittelgradiger primärer oder sekundärer MI und im Wesentlichen geeigneter Klappenmorphologie
ist bei gleichzeitig bestehendem hohen
Operationsrisiko oder sehr hohem Le-
bensalter eine MitraClip®-Therapie zu erwägen.
Nur in Ausnahmefällen kann eine
MitraClip®-Therapie bei mindestens mittelgradiger primärer oder sekundärer MI
und bedingt geeigneter Klappenmorphologie empfohlen werden. Auch bei einer
Lebenserwartung von wenigerals 12 Monaten, einer LVEF unter 15% oder bei
einer voroperierten Mitralklappe kommt
eine MitraClip®-Therapie im Regelfall
nicht in Betracht. Als chirurgisch-interventionelles Hybridverfahren kann lediglich in Einzelfällen eine MitraClip®-Therapie erwogen werden.
Kathetergestützte Mitralklappenrekonstruktion der Zukunft
Die kathetergestützte Mitralklappenrekonstruktion mit dem MitraClip®-Verfahren wird nach den bisherigen Studienerfahrungen bei Patienten mit primärer und sekundärer MI und hohem
Operationsrisiko derzeit erfolgreich eingesetzt. Für die Zukunft ist mit einer zunehmenden Verbreitung dieses Verfahrens zu rechnen. Neben den klassischen
Auswahlkriterien, die für oder gegen eine
Operation sprechen, muss in jedem Einzelfall die anatomische Eignung für eine
erfolgreiche Clip-Implantation evaluiert
werden. Die in diesem Artikel entwickelten Indikationen für das MitraClip®-Verfahren sollten schließlich im interdisziplinären Herzteam aus Kardiologen und
Herzchirurgen diskutiert und eine Therapieentscheidung gemeinsam getroffen
werden. Inwieweit weitere, den Mitralring „raffende“ interventionelle Verfahren in Kombination oder als Alternative zum MitraClip®-Verfahren eingesetzt
werden können, wird Gegenstand zukünftiger Studien sein.
Korrespondenzadresse
Dr. D. Braun
Medizinische Klinik und Poliklinik I,  
Klinikum der Universität München
Marchioninistr. 15, 81377 München
[email protected]
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor
weist für sich und seine Koautoren auf folgende Beziehungen hin: J. Hausleiter erhielt Vortragshonorare
von Abbott Vascular.
Fachnachrichten
Literatur
Ausschreibung
Heinrich-Sauer-Preis 2013
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12. Boekstegers P, Hausleiter J, Baldus S et al (2013)
Interventionelle Behandlung der Mitralklappeninsuffizienz mit dem MitraClip®-Verfahren. Kardiologe 7:91–104
13. Feldman T, Kar S, Rinaldi M et al (2009) Percutaneous mitral repair with the MitraClip system: safety and midterm durability in the initial EVEREST
(Endovascular Valve Edge-to-Edge REpair Study)
cohort. J Am Coll Cardiol 54:686–694
14. Braun D, Orban M, Michalk F et al (2013) Three-dimensional transoesophageal echocardiography
for the assessment of clip attachment to the leaflets in percutaneous edge-to-edge repair of the
mitral valve. EuroIntervention 8:1379–1387
Für besondere klinische Forschungsarbeiten aus dem Bereich der Stoffwechselmedizin verleiht das Diabeteszentrum
des Herz- und Diabeteszentrum NRW
(HDZ NRW), Bad Oeynhausen, den mit
2.500 Euro dotierten Heinrich-Sauer-Preis.
Forschende Diabetologen und Wissenschaftler können bis zum 31. August 2013
ihre Arbeiten schriftlich beim Herz- und
Diabeteszentrum NRW einreichen.
Der bekannte Preis ist dem Gründer
der ehemaligen Diabetesklinik in Bad
Oeynhausen, Heinrich Sauer gewidmet,
der zu den Wegbereitern der modernen
Diabetestherapie zählt. Der renommierte
Mediziner hat auch die Gründung und
Inbetriebnahme des Bad Oeynhausener
Herzzentrums begleitet und war bis
1985 Chefarzt der Diabetologie. 20 Jahre
früher als andere Ärzte integrierte er die
Patienten in den Behandlungsprozess.
Dieser Ansatz, dem Patienten die Eigenverantwortung zu übertragen, war für die
damalige Zeit revolutionär.
Die Ehrung des Preisträgers wird am 13.
November 2013 im HDZ NRW stattfinden.
Ausgewählt und begutachtet werden
die Arbeiten von Prof. Dr. Dr. Diethelm
Tschöpe, Direktor des Diabeteszentrums,
seinem Vorgänger Prof. Dr. Rüdiger Petzoldt und Dr. Dr. Wulf Quester, Leitender
Oberarzt.
Quelle:
Herz- und Diabeteszentrum
Nordrhein-Westfalen,
Universitätsklinik der RuhrUniversität Bochum,
www.hdz-nrw.de
Herz 5 · 2013 | 473
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