Autoimmunphänomene bei hämatologischen

Werbung
132 Übersichtsarbeit
Autoimmunphänomene bei hämatologischen
Systemerkrankungen
Autoren
A. H. Hautmann1, W. Herr1, E. Holler1, M. Fleck2
Institute
1
Schlüsselwörter
▶paraneoplastische
●
Autoimmunphänomene
▶paraneoplastische
●
rheumatologische
Erkrankungen
▶ hämatologische Neoplasien
●
und Autoimmunphänomene
Zusammenfassung
Abstract
Autoimmunphänomene bei hämatologischen ma­
lignen Grunderkrankungen zeigen ein komplexes
klinisches Erscheinungsbild und können zunächst
zu der Diagnose einer Autoimmunerkrankung
führen, ohne dass die hämatologische Diagnose
­
­gestellt wird. Dies kann zu einer Therapieverzöge­
rung der hämatologischen Neoplasie führen, was
die Prognose des Patienten potentiell verschlech­
tern kann. Deshalb ist es essentiell, bei bestimmten
klinischen Merkmalen und laborchemischen Kons­
tellationen eine zugrunde liegende hämatologische
Erkrankung auszuschließen. Häufige hämatologi­
sche Neoplasien als Ursache für Auto­
immun­
phänomene sind Lymphome (Non-Hodgkin-­
Lymphome, Hodgkin-Lymphome) und myelodys­
plastische sowie myeloproliferative Erkrankungen.
Paraneoplastic rheumatological syndromes in
association with haematological malignancies
­
present in a complex clinical setting and may
mislead to the diagnosis of an autoimmune disor­
der. It is of the utmost importance to discover the
underlying haematological malignancy. Other­
wise a delay in diagnosis might impair treatment
options and the prognosis of the patient. Poor
­response to therapies used in non-paraneoplastic
rheumatic conditions and/or characteristic clini­
cal signs should trigger the rheumatologist to
exclude an underlying malignancy. Frequent hae­
matological malignancies as a cause of an autoim­
mune disorder are lymphomas (Non-Hodgkin
lymphoma, Hodgkin lymphoma) and myelodys­
plastic or myeloproliferative disorders.
Key words
▶ paraneoplastic autoimmune
●
disorders
▶ paraneoplastic rheumatolo●
gical syndromes
▶ haematological malignan●
cies and autoimmunity
2
Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III, Uniklinik Regensburg, Regensburg, Deutschland
Asklepios Klinikum, Klinik und Poliklinik für Rheumatologie/Klinische Immunologie, Bad Abbach, Deutschland
▼
Einleitung
▼
Bibliografie
DOI http://dx.doi.org/
10.1055/s-0042-104112
Akt Rheumatol 2016; 41:
132–136 © Georg Thieme
Verlag KG Stuttgart · New York
ISSN 0341-051X
Korrespondenzadresse
Anke Heidewig Hautmann
Klinik und Poliklinik für Innere
Medizin III,
Uniklinik Regensburg
Franz-Josef-Strauß-Allee 11
93053 Regensburg
Tel.: + 49/941/9445 510
Fax: + 49/941/9445 543
[email protected]
Autoimmunphänomene bei einer zugrunde lie­
genden hämatologischen Erkrankung können zu­
nächst ein Krankheitsbild aus dem rheumati­
schen Formenkreis vortäuschen und so zu einer
Verzögerung der hämatologischen Diagnose füh­
ren. Paraneoplastische Syndrome mit Imitation
einer Autoimmunerkrankung werden durch Sub­
stanzen wie Hormone, Peptide oder Antikörper,
die von der zugrunde liegenden hämatologischen
Neoplasie induziert werden, oder durch immu­
nologische Reaktion gegen die Tumorerkrankung
ausgelöst. Zudem kann es eine direkte Tumo­r­
invasion in Gelenke oder Gewebe geben, die zu
einer rheumatischen Beschwerdesymptomatik
führt. Neben kreuzreaktiven tumorspezifischen
T-Zellen gegen Autoantigene sind zudem medi­
kamentenassoziierte muskuloskelettale Syndrome
beschrieben, welche im Rahmen einer AntiTumor-Therapie entstehen. Die Pathophysiologie
dieser Autoimmunphänomene ist komplex und
bis dato nicht komplett verstanden. Die Behand­
▼
lung der zugrunde liegenden hämatologischen
Neoplasie steht im Vordergrund und bestimmt
die Prognose des klinischen Verlaufes der Grund­
erkrankung. Auch wenn paraneoplastische
rheumatologische Syndrome selten sind, sollte
man insbesondere bei atypischem Verlauf der
rheumatischen Erkrankung und zusätzlich
schlechtem Ansprechen auf die Standardthera­
pie an eine maligne Grunderkrankung denken
[1, 2]. In diesem Artikel liegt der thematische
Schwerpunkt auf zugrunde liegenden hämato­
logischen Neoplasien als Ursache eines para­
neoplastischen Syndroms mit rheumatischen
▶ Tab. 1).
Aspekten ( ●
Paraneoplastische Gelenkerkrankungen
▼
Paraneoplastische Polyarthritis
Tumorerkrankungen und Polyarthritis sind bei­
des häufige ­Erkrankungen in der Allgemeinbe­
völkerung, sodass das gleichzeitige Auftreten bei
einem Patienten nicht zwingend einen kausalen
Hautmann AH et al. Autoimmunphänomene bei hämatologischen Systemerkrankungen. Akt Rheumatol 2016; 41: 132–136
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Autoimmunity in Haematological Malignancies
Übersichtsarbeit 133
Tab. 1 Hämatologische Neoplasien und assoziierte Autoimmunphänomene/- erkrankungen.
1
MDS Lymphom (NHL 2, HodgkinLymphom)
MPS 3
Assoziierte Autoimmunerkrankungen
paraneoplastische Polyarthritis, RS3PE 4, Polymyalgia rheumatica, MRH 5, Polychondritis
paraneoplastische Polyarthritis, RS3PE 4, Amyloid-assoziierte Arthritis bei klonalen Plasmazellerkrankungen (z. B. Multiples
Myelom), Palmarfasziitis- und Polyarthritis-Syndrom, MRH 5, Polymyositis, Dermatomyositis, Polychondritis, leukozytoklastische Vaskulitis, Polyarteriitis nodosa bei Haarzellleukämie,
Erythromelalgie
1
MDS = myelodysplastisches Syndrom
2
NHL = Non-Hodgkin-Lymphome
3
MPS = Myeloproliferative Syndrome (Polyzythämia vera, essentielle Thrombozythämie, primäre Myelofibrose, chronisch myeloische Leukämie [CML])
4
RS3PE = remitting seronegative symmetrical synovitis with pitting edema
5
MRH = multizentrische Retikulohistiozytose
Zusammenhang bedeutet. Nur wenn ein enger zeitlicher Zusam­
menhang vorliegt und/oder wenn die antineoplastische Thera­
pie zu einer Remission der Gelenkbeschwerden führt, ist ein
paraneoplastischer Prozess wahrscheinlich [3].
Eine sich rasch entwickelnde asymmetrische, nicht-erosive Poly­
arthritis mit Beteiligung der großen und typischerweise Ausspa­
rung der kleinen Gelenke begleitet von konstitutionellen Symp­
tomen und erhöhten Entzündungsparametern ist bei älteren
Patienten in Assoziation mit einer malignen Grunderkrankung
beschrieben [1]. Eine paraneoplastische Polyarthritis kann so­
wohl mit einer soliden Tumorerkrankung als auch mit einer
­hämatologischen Neoplasie assoziiert sein. Ungefähr ein Drittel
der beschriebenen Fälle sind mit einer hämatologischen Neopla­
sie assoziiert, während der häufigste solide Tumor ein Adeno­
karzinom der Lunge und der Brust ist [3–5].
Der Rheumafaktor als auch die anti-citrullinierten Protein/Pep­
tid-Antikörper (ACPA) können hierbei sowohl positiv als auch
­negativ sein. Allerdings scheinen sie häufiger nicht nachweisbar
zu sein [2, 6–8]. Bei bis zu einem Drittel der Patienten wurde
­jedoch ein positiver Rheumafaktor beobachtet [4]. Typisch für
eine paraneoplastische Polyarthritis sind eine Manifestation im
höheren Alter und die prädominante Beteiligung der unteren
­Extremitäten. Die Polyarthritis bessert sich mit Ansprechen der
malignen Grunderkrankung auf die antineoplastische Therapie [9].
Remitting Seronegative Symmetrical Synovitis with
Pitting Edema (RS3PE Syndrom)
Das RS3PE Syndrom scheint sehr häufig mit einer malignen
Grunderkrankung (sowohl mit einer soliden Tumorerkrankung
[am häufigsten Prostatakarzinom] als auch mit hämatologischen
Neoplasien) assoziiert zu sein. In der Literatur wird eine Tumor­
assoziationsrate von bis zu 54 % angegeben [10, 11].
Klinisch präsentieren sich die Patienten mit einer plötzlich be­
ginnenden, nicht erosiven Polyarthritis kombiniert mit Ödemen
der Hände und Füße. Typischerweise sind ältere Patienten und
Männer betroffen, die häufig über sehr ausgeprägte konstitutio­
nelle Symptome klagen. Der Rheumafaktor ist in der Regel nega­
tiv, die Akute-Phase-Proteine sind erhöht. Eine gesteigerte Kon­
zentration von Matrixmetalloproteinase 3 ist in der Literatur
beschrieben [12]. Die pathogenetische Bedeutung ist bisher
noch unklar, allerdings konnte in der Literatur gezeigt werden,
dass sogenannte Matrixmetalloproteinasen sowohl bei der Inva­
sion solider Tumoren, als auch bei der Zerstörung von Gelenken
bei Arthritis eine Rolle spielen [3, 13].
Idiopathische Formen des RS3PE Syndroms sprechen in der
­Regel exzellent auf Glukokortikoide an. Dies kann ebenfalls für
paraneoplastisch bedingte Fälle zutreffen, obwohl insgesamt ein
schlechteres und/oder verzögertes Ansprechen beschrieben ist.
Es wird deshalb empfohlen, mit einer niedrigen Dosis von
­ lukokortikoiden (Prednisonäquivalent ≤ 10 mg/die) zu begin­
G
nen, um eine idiopathische von einer paraneoplastischen Form
zu unterscheiden. Insgesamt kann nur die prompte und anhal­
tende Remission der Symptome nach erfolgreicher Tumorthera­
pie die paraneoplastische Genese beweisen [3].
Polymyalgia Rheumatica
Patienten mit einer klassischen Polymyalgia rheumatica (PMR)
haben in der Regel kein erhöhtes Tumorrisiko [14]. Eine para­
neoplastische Form der PMR präsentiert sich klinisch häufig
atypisch (asymmetrische Beteiligung der Extremitätenmusku­
latur, zusätzlich schmerzhafte Gelenke, Blutsenkungs­
geschwindigkeit < 40 mm/h) und kann mit einem Myelodys­
plastischen Syndrom oder einem soliden Tumor assoziiert sein
[15, 16]. Die Erstmanifestation eines multiplen Myeloms kann
eine der PMR sehr ähnliche Klinik mit Schmerzen der Extremi­
tätenmuskulatur imitieren. Zudem ist die erhöhte Blutsen­
kungsgeschwindigkeit für beide Krankheitsbilder charakteris­
tisch. Ein klinisch atypischer Verlauf und/oder eine Manifesta­
tion im eher jüngeren Alter sollten den Rheumatologen an ein
multiples Myelom denken lassen. Bei Verdacht auf eine PMR
sollte im klinischen Routinelabor immer eine Eiweißelektro­
phorese inkludiert sein [17].
Die für eine PMR typischen Symptome klingen in der Regel mit
der Therapie der malignen Grunderkrankung ab.
Amyloid-Assoziierte Arthritis
Bei der Leichtkettenamyloidose (AL-Amyloidose) liegt eine
­klonale Plasmazellerkrankung zugrunde, welche durch Überpro­
duktion von klonalen Immunglobulin-Leichtketten oder –frag­
menten und deren Gewebeablagerungen geprägt ist. Rheumati­
sche Symptome können Ausdruck einer Leichtkettenablagerung
in den Gelenken sein. Bei 0,1–6 % der Patienten mit multiplem
Myelom kommt es zu einer Amyloid-assoziierten Arthritis. Häu­
fig sind Schulter-, Knie-, Hand-, Metacarpophalangeal- und
Inter­phalangealgelenke betroffen. Patienten können subkutane
Knötchen, die Rheumaknoten ähnlich sind, entwickeln. Die
Kongorotfärbung mit Darstellung der Amyloidablagerungen in
Synovialisbiopsien ist diagnostisch wegweisend [1, 18, 19].
Palmarfasziitis und Arthritis
Das Palmarfasziitis- und Polyarthritis-Syndrom ist durch pro­
gressive bilaterale digitale Kontrakturen, eine inflammatorische
Fasziitis mit Fibrose und eine inflammatorische Polyarthritis
gekennzeichnet. Das hervorstechendste Kennzeichen dieses
­
Syndroms ist die inflammatorische Palmar- bzw. Plantarfasziitis,
welche zu einer ausgeprägten Flexion und Kontraktur der Finger
und/oder Zehen mit nodulärer Verdickung der Faszie führt und
die sich ausgeprägter als die Dupuytren’s Kontraktur manifes­
Hautmann AH et al. Autoimmunphänomene bei hämatologischen Systemerkrankungen. Akt Rheumatol 2016; 41: 132–136
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Hämatologische Neoplasie
134 Übersichtsarbeit
1
Multizentrische Retikulohistiozytose
Die multizentrische Retikulohistiozytose (MRH) ist eine
nicht-Langerhanszell-Histiozytose, welches ein seltenes syste­
misches Krankheitsbild darstellt und durch Knötchen und Pa­
peln der Haut und eine rasch auftretende destruktive bis muti­
lierende Polyarthritis charakterisiert ist. Die MRH ist in bis zu
25 % mit einer malignen Grunderkrankung (z. B. Plattenepithel­
karzinom der Lunge) assoziiert und ist in diesen Fällen relativ
resistent auf eine Therapie mit Glukokortikoiden und „Disease
Modifying Antirheumatic Drugs“ (DMARDs) [22, 23].
2
Paraneoplastische Knochenerkrankungen
Zu den paraneoplastischen Knochenerkrankungen gehören die
­hypertrophe Osteoarthropathie (HOA) [24], die Tumor-induzierte
Osteomalazie (TIO) [25, 26] und die maligne Hyperkalzämie [1, 27].
Alle diese Krankheitsbilder sind in der Regel mit soliden Tumo­
ren assoziiert, weshalb sie in diesem Artikel nicht im Detail be­
▶ Abb. 1, 2) ist häufig durch ein Bron­
trachtet werden. Die HOA ( ●
chialkarzinom, die TIO in der Regel durch benigne mesenchymale
Tumoren bedingt. Eine maligne Hyperkalzämie wird in bis zum
80 % durch ein paraneoplastisch sezerniertes Hormon, das soge­
nannte „parathyroid hormone-related peptide“ (PTHrp), ausge­
löst. Ursache der malignen Hyperkalzämie ist sehr häufig ein
Bronchialkarzinom.
Tumor-Assoziierte Myositis
Die Assoziation von Tumorerkrankungen und inflammatori­
schen Myopathien ist v. a. bei der Dermatomyositis und Poly­
myositis in der Literatur beschrieben. Populationsbasierte Studien
schätzen die standardisierte Inzidenz-Rate von malignen Grund­
erkrankungen verglichen mit der Allgemeinbevölkerung bei
Dermatomyositis auf 3,8 bis 7,7 und 1,7 bis 2,0 bei Polymyositis
[28]. In der Regel liegen solide Tumoren wie ein Ovarial-, Bron­
chial-, Pankreas-, Magen- oder Kolorektales Karzinom der
­Autoimmunerkrankung zugrunde. Die Polymyositis ist zudem
häufig mit Non-Hodgkin-Lymphomen als auch mit Bronchial▶ Abb. 3, 4). Risiko­
und Urothelkarzinomen vergesellschaftet ( ●
faktoren für eine maligne Grunderkrankung bei Auftreten einer
inflammatorischen Myositis sind höheres Alter bei Beginn,
männliches Geschlecht, Therapieresistenz, schwere kutane Be­
teiligung mit Ulzera und leukozytoklastische Vaskulitis, schwere
Muskelschwäche z. B. mit Dysphagie oder respiratorischem Ver­
sagen und niedrige C4 Komplementspiegel [29, 30]. Ein komplett
negatives Antikörperprofil (Antikörper gegen Jo-1, PM-Scl, U1RNP, U3-RNP und Ku) ist mit einem positiv prädiktiven Faktor für
das Vorliegen einer malignen Grunderkrankung assoziiert [31].
Abb. 1, 2 konventionelle Röntgenaufnahmen bei hypertropher Osteoarthropathie bei Thymuskarzinom: periostale Verdickungen an den Ossi metacarpalia bzw. metatarsalia sowie an den proximalen Phalangen beider Hände
und Füße („mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. med. Patrick Hoffstetter, Institut für Röntgendiagnostik, Asklepios-Klinikum Bad Abbach“).
Literaturdaten legen nahe, dass sowohl Tumore als auch verletzte
oder regenerierende Muskulatur Ähnlichkeiten im Antigenprofil
haben. Autoantikörper gegen sich entwickelnde Tumore können
ebenso mit potentiellen Antigenquellen verletzter oder regene­
rierender Muskulatur kreuzreagieren, was einen kontinuierli­
chen inflammatorischen Prozess unterhält [32]. Ein Screening
auf eine maligne Grunderkrankung ist bei Diagnose einer in­
flammatorischen Myositis obligat, wobei kein Konsensus über
das genaue klinische Vorgehen besteht. Neben einer genauen
Anamnese und körperlichen Untersuchung werden in der Regel
ein breites internistisches Routinelabor sowie eine altersadap­
tierte Krebsvorsorge empfohlen [1].
Studiendaten zeigen, dass der Nachweis von Autoantikörpern ge­
gen das N-terminale Fragment des Mi-2ß-Antigens (anti-p155
Antikörper) mit einem erhöhten Risiko für eine maligne Grunder­
krankung assoziiert ist [33]. Zudem scheint der Anti-p155 Anti­
körper bei Dermatomyositis mit einem erhöhten Risiko für Malig­
nität verbunden zu sein, weshalb die Messung–soweit verfügbarbei Patienten mit Dermatomyositis empfohlen wird [31].
Eine retrospektive Studie zeigte ein 5-Jahres-Überleben von Pa­
tienten mit Tumor-assoziierter Myositis von 56 %, während es bei
Hautmann AH et al. Autoimmunphänomene bei hämatologischen Systemerkrankungen. Akt Rheumatol 2016; 41: 132–136
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
tiert [3]. In der Literatur ist am häufigsten eine Assoziation mit
Ovarial-, Endometrium-, Magen-, Pankreas-, Prostata- und
Mammakarzinom beschrieben. Mehr als die Hälfte der Fälle sind
durch Adenokarzinome der Brust oder des Ovars verursacht,
weshalb Frauen insgesamt 4-mal häufiger betroffen sind als
Männer [20]. Selten sind auch hämatologische Neoplasien wie
eine chronisch lymphatische Leukämie (CLL) und ein Hodgkin
Lymphom als zugrunde liegende Ursache bekannt. Frauen mit
einer inflammatorischen Palmarfasziitis oder Palmarfibrose
sollten immer eine gynäkologische Krebsvorsorge erhalten
[2, 21]. Eine erfolgreiche antineoplastische Therapie kann die
Symptome der Palmarfasziitis bessern, während Steroide oder
Nicht-Steroidale-Antiphlogistica (NSAIDs) wenig effektiv sind
[3]. Häufig liegen schon metastasierte Stadien der Tumoren vor,
weshalb die Prognose eingeschränkt sein kann.
Übersichtsarbeit 135
anderen Vaskulitisformen wie z. B. Granulomatose mit Polyangi­
itis (früher: Wegener Granulomatose), mikroskopische Polyan­
giitis oder Purpura Schoenlein Henoch sind Raritäten.
Fain et al. empfehlen eine Abklärung auf eine zugrunde liegende
maligne Grunderkrankung, wenn sich ein chronischer Verlauf
der Vaskulitis zeigt, die Therapie nicht mehr effektiv ist und/
oder die Erkrankung klinisch nicht kontrollierbar ist [34].
3
Bei rezidivierender Polychondritis ist in einer Studie bei 22 von
200 Patienten eine Assoziation mit einem Myelodysplastischen
Syndrom beschrieben [37]. Eine Assoziation zwischen rezidivie­
render Polychondritis und einem Lymphom wird ebenfalls in
der Literatur angegeben [38].
Erythromelalgie
Die Erythromelalgie ist durch rezidivierende Attacken mit bren­
nenden Schmerzen, Wärmegefühl und Erythem der Extremitä­
ten verbunden und kann mit Myeloproliferativen Syndromen
wie z. B. Polyzythämia vera und essentieller Thrombozythämie
assoziiert sein. Die klinische Symptomatik kann sich bei Hitze­
exposition und körperlicher Anstrengung verschlechtern. Die
Behandlung richtet sich nach der Grunderkrankung und kann
symptomorientiert durch Analgetika ergänzt werden [2, 39].
Rheumatische Komplikationen Nach Chemo- Oder
Antikörpertherapie
4
▼
Abb. 3, 4 MRT Bilder (nativ, STIR-Sequenz) der Oberschenkelmuskulatur
bds. mit Anreicherung der Faszien und v. a. der ventralen Oberschenkelmuskulatur als Zeichen einer Polymyositis („mit freundlicher Genehmigung von PD Dr. med. Patrick Hoffstetter, Institut für Röntgendiagnostik,
Asklepios-Klinikum Bad Abbach“).
idiopathischen Formen bei 92 % lag [21]. Patienten mit einer
­Tumor-assoziierten Myositis zeigten nach erfolgreicher Resek­tion,
Radio- und/oder Chemotherapie der zugrunde liegenden Neoplasie
in 53 % eine Remission ihrer rheumatischen Beschwerden.
Paraneoplastische Vaskulitis
Die Assoziation zwischen Vaskulitis und maligner Grunderkran­
kung ist insgesamt als selten beschrieben. Man geht davon aus,
dass ca. 2–5 % der Vaskulitiden paraneoplastisch bedingt sind
[34, 35]. Hämatologische Neoplasien scheinen bei bis zu 50–63 %
für die paraneoplastische Vaskulitis verantwortlich zu sein. Die
leukozytoklastische Vaskulitis war in den beiden oben genann­
ten Studien [34, 35] die häufigste Form. Hasler et al. zeigten als
einzige spezifische Assoziation zwischen Vaskulitis und malig­
ner Grunderkrankung die Kombination von Polyarteriitis nodosa
mit der Haarzellleukämie [36]. Paraneoplastische Formen der
Nach einer Chemotherapie können rheumatische Symptome mit
Arthralgien, Myalgien und Morgensteifigkeit bis zu einem Jahr
nach Ende der Therapie auftreten. Autoantikörper und der
Rheumafaktor sind in der Regel negativ. Eine radiologische
­Abklärung zeigt in der Regel keine Erosionen. Auslösende Che­
motherapeutika können Cyclophosphamid, 5-Fluorouracil, Me­
thotrexat, Tamoxifen und Cisplatin sein. Diese Medikamente
werden sowohl bei soliden Tumoren (z. B. Mammakarzinom) als
auch in der Therapie von Non-Hodgkin-Lymphomen eingesetzt.
Die Symptome sind in der Regel selbstlimitierend [40].
Ein Raynaud-Syndrom kann nach einer Chemotherapie mit Bleo­
mycin, Vinblastin, Vincristin und Cisplatin auftreten und ist Zei­
chen einer direkten Gefäßschädigung mit daraus folgender en­
dothelialer Dysfunktion. Oben genannte Chemotherapeutika
finden u. a. häufig beim Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphom
Anwendung [2, 41].
Der Einsatz von Zytokinen wie Interferon-alpha oder Inter­ferongamma kann zu einem Lupus-ähnlichen Autoimmunsyndrom
führen [42].
Auch Wachstumsfaktoren wie granulocyte-colony stimulating
factor (G-CSF) können zu einer akuten symmetrischen Arthritis
führen. Die Symptome treten in der Regel Stunden bis Tage nach
Einsatz des Wachstumsfaktors auf [43].
Zusammenfassung
▼
Bestimmten rheumatischen Syndromen können maligne Grund­
erkrankungen zugrunde liegen, die der behandelnde Kliniker
rechtzeitig erkennen muss, um eine Prognoseverschlechterung
zu vermeiden.
Hautmann AH et al. Autoimmunphänomene bei hämatologischen Systemerkrankungen. Akt Rheumatol 2016; 41: 132–136
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Andere Paraneoplastische Rheumatische Syndrome
Polychondritis
Bei folgenden Konstellationen oder Symptomen wird eine
­Abklärung auf eine maligne Grunderkrankung empfohlen [2]:
▶ positive Familienanamnese für Tumorerkrankung
▶ Exposition mit krebsauslösenden Stoffen oder
­Medikamenten
▶ schwerer Verlauf und atypische klinische Präsentation des
rheumatischen Krankheitsbildes
▶ asymmetrische und rascher Beginn einer Arthritis beim
älteren Patienten
▶ ausgeprägte konstitutionelle Symptome in Begleitung mit
einer Arthritis
▶ Therapieversagen der konventionellen empfohlenen
antirheumatischen Therapie
▶ paraneoplastische Syndrome
Es besteht bis dato kein Konsensus darüber, welche Patienten
mit welcher Vorgehensweise ein Tumorscreening erhalten
­sollen. Oben genannte Merkmale sollten den klinisch tätigen
Arzt zu einer Tumorsuche in Abhängigkeit von Symptomen,
­Alter und Geschlecht des Patienten veranlassen. Die Therapie
orientiert sich an der malignen Grunderkrankung. Bei Therapie­
ansprechen kommt es in der Regel zu einer Besserung oder sogar
einem Verschwinden der rheumatischen Symptomatik.
Interessenkonflikt: Nein
Literatur
1 Azar L, Khasnis A. Paraneoplastic rheumatologic syndromes. Curr Opin
Rheumatol 2013; 25: 44–49
2 Alias A, Rodriguez EJ, Bateman HE et al. Rheumatology and oncology:
an updated review of rheumatic manifestations of malignancy and
anti-neoplastictherapy. Bull NYU Hosp Jt Dis 2012; 70: 109–114
3 Manger B, Schett G. Paraneoplastic syndromes in rheumatology. Nat
Rev Rheumatol 2014; 10: 662–670
4 Morel J, Deschamps V, Toussirot E et al. Characteristics and survival
of 26 patients with paraneoplastic arthritis. Ann Rheum Dis 2008;
67: 244–247
5 Kisacik B, Onat AM, Kasifoglu T et al. Diagnostic dilemma of para­
neoplastic arthritis: case series. Int J Rheum Dis 2014; 17: 640–645
6 Zupancic M, Annamalai A, Brenneman J et al. Migratory polyarthritis
as a paraneoplastic syndrome. J Gen Intern Med 2008; 23: 2136–2139
7 Brickmann K, Brezinschek RI, Yazdani-Biuki B et al. Superior specifi­
city of anti-citrullinated peptide antibodies in patients with chronic
lymphocytic leukemia and arthritis. Clin Exp Rheumatol 2010; 28:
888–891
8 Larson E, Etwaru D, Siva C et al. Report of anti-CCP antibody positive
paraneoplastic polyarthritis and review of the literature. Rheumatol
Int 2011; 31: 1635–1638
9 Fam AG. Paraneoplastic rheumatic syndromes. Baillieres Best Pract Res
Clin Rheumatol 2000; 14: 515–533
10 Yao Q, Su X, Altman RD. Is remitting seronegative symmetrical syn­
ovitis with pitting edema (RS3PE) a subset of rheumatoid arthritis?
Semin. Arthritis Rheum 2010; 40: 89–94
11 Paira S, Graf C, Roverano S et al. Remitting seronegative symmetrical
synovitis with pitting oedema: a study of 12 cases. Clin Rheumatol
2002; 21: 146–149
12 Origuchi T, Arima K, Kawashiri S et al. High serum matrix metallopro­
teinase 3 is characteristic of patients with paraneoplastic remitting
seronegative symmetrical synovitis with pitting edema syndrome.
Mod Rheumatol 2012; 22: 584–588
13 Zucker S, Vacirca J. Role of matrix metalloproteinases (MMPs) in colo­
rectal cancer. Cancer Metastasis Rev 2004; 23: 101–117
14 Myklebust G, Wilsgaard T, Jacobsen BK et al. No increased frequency
of malignant neoplasms in polymyalgia rheumatica and temporal
­arteritis. A prospective longitudinal study of 398 cases and matched
population controls. J Rheumatol 2002; 29: 2143–2147
15 Racanelli V, Prete M, Minoia C et al. Rheumatic disorders as paraneo­
plastic syndromes. Autoimmun Rev 2008; 7: 352–358
16 Naschitz JE, Slobodin G, Yeshurun D et al. Atypical polymyalgia rheu­
matica as a presentation of metastatic cancer. Arch Intern Med 1997;
157: 2381
17 Suzuki S, Ikusaka M, Miyahara M et al. Positron emission tomography
findings in a patient with multiple myeloma of polymyalgia rheumaticalike symptoms caused by paraneoplastic syndrome. BMJ Case Rep
2014; doi:10.1136/bcr-2013-203326
18 Fautrel B, Fermand J, Sibilia J et al. Amyloid arthropathy in the course
of multiple myeloma. J Rheumatol 2002; 29: 1473–1481
19 Prokaeva T, Spencer B, Kaut M et al. Soft tissue, joint, and bone mani­
festations of AL amyloidosis: clinical presentation, molecular features,
and survival. Arthritis Rheum 2007; 56: 3858–3868
20 Manger B. Schett Palmar fasciitis and polyarthritis syndrome-syste­
matic literature review of 100 cases. Semin Arthritis Rheum 2014;
44: 105–111
21 András C, Csiki Z, Ponyi A et al. Paraneoplastic rheumatic syndromes.
Rheumatol Int 2006; 26: 376–382
22 El-Haddad B, Hammoud D, Shaver T et al. Malignancy-associated multi­
centric reticulohistiocytosis. Rheumatol Int 2011; 31: 1235–1238
23 Snow JL, Muller SA. Malignancy-associated multicentric reticulohis­
tiocytosis: a clinical, histological and immunophenotypic study. Br J
Dermatol 1995; 133: 71–76
24 Ito T, Goto K, Yoh K et al. Hypertrophic pulmonary osteoarthropathy
as a paraneoplastic manifestation of lung cancer. J Thorac Oncol 2010;
5: 976–980
25 Hautmann AH, Hautmann MG, Kölbl O et al. Tumor-Induced Osteo­
malacia: an Up-to-Date Review. Curr Rheumatol Rep 2015; 17: 512
26 Hautmann AH, Schroeder J, Wild P et al. Tumor-Induced Osteomalacia:
Increased Level of FGF-23 in a Patient with a Phosphaturic Mesen­
chymal Tumor at the Tibia Expressing Periostin. Case Rep Endocrinol
2014; 729387
27 Wysolmerski JJ. Parathyroid hormone-related protein: an update. J Clin
Endocrinol Metab 2012; 97: 2947–2956
28 Hill CL, Zhang Y, Sigurgeirsson B et al. Frequency of specific cancer
types in dermatomyositis and polymyositis: a population-based
­
­study. Lancet 2001; 357: 96–100
29 Limaye VS, Lester S, Bardy P et al. A three-way interplay of DR4,
­autoantibodies and synovitis in biopsy-proven idiopathic inflammat­
ory myositis. Rheumatol Int 2012; 32: 611–619
30 Fardet L, Dupuy A, Gain M et al. Factors associated with underlying
malignancy in a retrospective cohort of 121 patients with dermato­
myositis. Medicine (Baltimore) 2009; 88: 91–97
31 Chinoy H, Fertig N, Oddis CV et al. The diagnostic utility of myositis
autoantibody testing for predicting the risk of cancer-associated myo­
sitis. Ann Rheum Dis 2007; 66: 1345–1349
32 Casciola-Rosen L, Nagaraju K, Plotz P et al. Enhanced autoantigen
expression in regenerating muscle cells in idiopathic inflammatory
myopathy. J Exp Med 2005; 201: 591–601
33 Hengstman GJD, Vree Egberts WTM, Seelig HP et al. Clinical characte­
ristics of patients with myositis and autoantibodies to different frag­
ments of the Mi-2 beta antigen. Ann Rheum Dis 2006; 65: 242–245
34 Fain O, Hamidou M, Cacoub P et al. Vasculitides associated with
malignancies: analysis of sixty patients. Arthritis Rheum 2007; 57:
1473–1480
35 Solans-Laqué R, Bosch-Gil JA, Pérez-Bocanegra C et al. Paraneoplastic
vasculitis in patients with solid tumors: report of 15 cases. J Rheu­
matol 2008; 35: 294–304
36 Hasler P, Kistler H, Gerber H. Vasculitides in hairy cell leukemia. Semin
Arthritis Rheum 1995; 25: 134–142
37 Francès C, el Rassi R, Laporte JL et al. Dermatologic manifestations
of relapsing polychondritis. A study of 200 cases at a single center.
Medicine (Baltimore) 2001; 80: 173–179
38 Yanagi T, Matsumura T, Kamekura R et al. Relapsing polychondritis
and malignant lymphoma: is polychondritis paraneoplastic? Arch
Dermatol 2007; 143: 89–90
39 Buggiani G, Krysenka A, Grazzini M et al. Paraneoplastic vasculitis and
paraneoplastic vascular syndromes. Dermatol Ther 2010; 23: 597–605
40 Kim M, Ye Y, Park H et al. Chemotherapy-related arthropathy. J Rheu­
matol 2006; 33: 1364–1368
41 Hansen SW, Olsen N. Raynaud’s phenomenon in patients treated
with cisplatin, vinblastine, and bleomycin for germ cell cancer: mea­
surement of vasoconstrictor response to cold. J Clin Oncol 1989; 7:
940–942
42 Ioannou Y, Isenberg DA. Current evidence for the induction of autoim­
mune rheumatic manifestations by cytokine therapy. Arthritis Rheum
2000; 43: 1431–1442
43 Tsukadaira A, Okubo Y, Takashi S et al. Repeated arthralgia associa­
ted with granulocyte colony stimulating factor administration. Ann
­Rheum Dis 2002; 61: 849–850
Hautmann AH et al. Autoimmunphänomene bei hämatologischen Systemerkrankungen. Akt Rheumatol 2016; 41: 132–136
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
136 Übersichtsarbeit
Herunterladen