Implantologie im Aufwind

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Zahntechnik
Implantologie im Aufwind
Ungesicherten Schätzungen zufolge setzen Zahnchirurgen jährlich etwa eine Million
Implantate in der Bundesrepublik ein.
Quelle: iStock/kemalbas
26.09.2017 Deutschland hat ein Parodontitis-Problem. Darauf weist der aktuelle
Barmer-Zahnreport hin: Nur wenige der erkrankten Patienten ließen sich
therapieren – und viele so spät, dass sie trotz Therapie Zähne verlieren. Die
Implantologie wappnet sich. von Romy König
1
Zahnlose Deutsche
Trotz steigender Zahngesundheit im Kindes- und Jugendalter breitet sich Paronditis in
der Bevölkerung aus. Hauptgrund ist die Alterung der Gesellschaft und die mangelnde
Vorsorge. Künftig werden noch mehr Deutschen die Zähne ausfallen. Zwei Studien
belegen diesen Trend.
Den Deutschen gehen die Zähne aus. Diesen bedrohlichen Schluss lassen die Ergebnisse des
Zahnreports zu, den die Barmer Krankenkasse im Frühjahr 2017 vorstellte. Demnach ist mehr
als die Hälfte der Erwachsenen mittleren Alters an Parodontitis erkrankt – meist ohne es zu
wissen. Unter den Senioren leiden sogar fast zwei Drittel an der chronischen ZahnbettEntzündung.
Eine Parodontitis entsteht, wenn sich zwischen Zahn und Zahnfleisch Bakterien ansammeln.
Wird diese bakterielle Plaque nicht durch sorgfältige Reinigung entfernt, bildet sich Zahnstein.
In Kombination mit weiteren Faktoren, etwa Stress oder Rauchen, kann es schließlich zu einer
Entzündung kommen, der Parodontitis. Die Gefahr: Die Erkrankung kann den Zahnhalteapparat
so sehr schädigen, dass der Zahn in der Zahntasche keinen Halt mehr findet. Er beginnt sich
zu lockern – und kann verloren gehen. Wird die Erkrankung jedoch frühzeitig erkannt, kann
sie behandelt werden.
Parodontitis lange unterschätzt
Wie die Krankenkasse ermittelte, ließen zwar 50 Prozent ihrer Versicherten – in etwa 7,5
Millionen – in den vergangenen zwei Jahren eine Parodontitis-Untersuchung vornehmen.
Doch eine Therapie durchliefen zuletzt nur weniger als zwei Prozent. „Das sind erschreckende
Ausmaße“, sagt Barmer-Vorstandsvorsitzender Christoph Straub.
Die deutliche Diskrepanz beunruhigt auch Zahnmediziner: „Dies ist umso bedenklicher, da der
Therapieerfolg immer unsicherer wird, je weiter die Erkrankung vorangeschritten ist“, sagt
Michael Walter, Direktor der Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik am Dresdner
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und Mit-Autor des Reports. Selbst nach einer Therapie
verlieren immer noch ein Drittel der Behandelten innerhalb von vier Jahren Zähne –
bundesweit etwa 440.000 Bundesbürger. Die Therapie komme also für viele Patienten zu
spät.
Auch die Deutsche
Mundgesundheitsstudie (DMS),
Mehr über Implantate und Zähne
welche bereits im August 2016
Dentaltechnik: Mit Ultraschall auf den Zahn gefühlt
veröffentlciht wurde, belegen
Crowdinvesting: Investoren für Zahnimplantat gesucht
diesen Trends. Die
repräsentative Erhebung, die
Implantate: Schutzschicht gegen Bakterien
die Bundeszahnärztekammer
(BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung regelmäßig im Abstand einiger Jahre in
Auftrag geben, bescheinigte den Deutschen zwar grundsätzlich eine zunehmend gute
Zahngesundheit. So seien Karieserkrankungen sowohl bei Kindern als auch bei jüngeren
Erwachsenen zurückgegangen. 80 Prozent der zwölfjährigen Kinder seien heute kariesfrei.
Die Zahl der kariesfreien Kindergebisse habe sich damit seit 1997 verdoppelt. Unter den 35bis 44-Jährigen sei die Zahl der Zähne „mit Karieserfahrung“, wie es zahnmedizinisch heißt, um
immerhin 30 Prozent gesunken.
Doch die Parodontitis, so auch der Befund der DMS, habe die Deutschen im Griff. Statistisch
betrachtet sind 2,7 Zähne in einem Gebiss eines jungen Erwachsenen von der
Zahnentzündung betroffen, bei jüngeren Senioren sogar 3,1 Zähne. „Die durchgeführten
Untersuchungen zur Parodontitis legen nahe, dass die Erkrankung in der Bevölkerung weiter
verbreitet ist als bislang angenommen“, schreiben die Autoren. Und haben auch einen
Verdacht: „Es ist davon auszugehen, dass die bisherigen Schätzungen zur parodontalen
Erkrankungslast in der Bevölkerung – methodisch bedingt – eher auf zu niedrigen Werten
basiert haben.“
Anstieg der Erkrankungszahlen bis 2030
Als positiv heben die DMS-Autoren immerhin den rückläufigen Anteil der schweren
Parodontitis hervor – im Gegensatz zur milden oder mittleren Parodontitis. Er beträgt unter
den jungen Erwachsenen heute nur noch 8,2 Prozent statt 17,4 Prozent im Jahr 2005. Bei
jungen Senioren sank er im gleichen Zeitraum sogar von 44,1 Prozent auf 19,8 Prozent.
Auch der Zahnerhalt der Deutschen habe bislang, darauf weist die DMS ebenfalls hin, eine
positive Entwicklung genommen: Jüngere Senioren besitzen heute im Durchschnitt noch 16,9
eigene Zähne und damit fünf mehr als vor zwanzig Jahren. Komplett zahnlos ist nur noch
jeder Achte der 65- bis 74-Jährigen. Doch es gilt auch: Parodontalerkrankungen sind
altersassoziiert. Da bereits im Jahr 2030 „der Großteil der Bevölkerung Senioren sein wird“, so
die DMS, sei „trotz abnehmender Prävalenzen mit einer Zunahme des parodontalen
Behandlungsbedarfs zu rechnen“. Womit auch das Risiko häufigerer Zahnverluste steigt.
Schließlich wiesen die Autoren des Barmer-Reports darauf hin, dass einmal behandelte
Parodontitis-Patienten Risikopatienten bleiben. „Parodontitis braucht eine hohe Therapietreue“,
so Straub. Fest steht, so Zahnmediziner Michael Walter. „In unserer alternden Bevölkerung
wird uns die Parodontitis künftig noch stärker beschäftigen.“
2
Implantierbarer Zahnersatz ist gefragt
Der Bedarf an Zahnimplantaten wächst. Allerdings gibt es keine belastbaren Zahlen, wie
viele Zahnimplantate jährlich in deutsche Münder eingebaut werden. Experten gehen
davon aus, dass sich Produkte erst langfristig bewähren und auf dem Markt
erfolgreich sind.
Wo Zähne ausfallen oder gezogen werden müssen, schlägt die Stunde der Implantologen.
Und das immer häufiger, wie Germán Gómez-Román berichtet. Der Zahnmediziner und
Oralchirurg leitet die Implantologie an der Tübinger Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und
berichtet schon heute von einer starken Zunahme an Behandlungsfällen: Noch vor etwa fünf
Jahren hat er nach eigenen Angaben in seiner Klinik jährlich etwa 200 bis 250 künstliche
Zahnwurzeln eingesetzt; heute nimmt er pro Jahr etwa 350 dieser Eingriffe vor. Wie viele
Implantate deutschlandweit jährlich eingepflanzt werden, darüber gebe es keine gesicherten
Zahlen, sagt der Zahnchirurg, der auch Vorstandsmitglied in der Deutschen Gesellschaft für
Implantologie (DGI) ist. Die Branche spreche von einer Million eingesetzter Implantate im Jahr
– eine Angabe, die vor allem auf Herstelleraussagen beruhe. „Aber die Zahl kursiert bereits
seit Jahren – zwischenzeitlich dürfte es gut ein Viertel mehr sein“, so Gómez-Román.
Rapider Anstieg an
Zahnimplantaten
Die Bundeszahnärztekammer gibt an,
dass Patienten heute zehnmal häufiger
Implantate tragen als noch vor
zwanzig Jahren. Eine Entwicklung, die
einen generellen Trend zum
festsitzenden Zahnersatz
unterstreiche. „Diese Ergebnisse
stehen in direktem Zusammenhang
mit der Abnahme der völligen
Zahnlosigkeit“, so die BZÄK in der
Mundgesundheitsstudie. „Da immer
mehr Menschen ihre eigenen Zähne
Prof. Dr. German Gomez-Roman ist Leiter der
behalten, verbessern sich die
Implantologie an der Poliklinik für zahnärztliche
Voraussetzungen dafür, dass
Prothetik des Universitätsklinikums Tübingen und
Zahnersatz fest verankert werden
Sprecher der Deutschen Gesellschaft für
kann.“
Implantologie (DGI).
Gómez-Román sieht zum einen den
Quelle: Universitätsklinikum Tübingen
demografischen Wandel als Grund für
die wachsende Nachfrage nach Implantaten. Doch seien die Patienten auch immer häufiger
bereit, in ein Implantat zu investieren statt sich Prothesen oder Teilprothesen anfertigen zu
lassen, die mit Metallklammern oder einer Gaumenplatte befestigt werden müssen. Für
anderen festsitzenden Zahnersatz wie Brücken müssten dagegen nebenstehende, gesunde
Zähne abgeschliffen werden – bei einem Implantat ist das nicht nötig. Eine künstliche
Zahnwurzel, der sogenannte Implantatkörper, mit sechs bis 18 Millimetern Länge und einem
Durchmesser von drei bis sechs Millimetern, wird in den Kieferknochen eingepflanzt, ein
Aufbau (Abutment) dient als Verbindung zum eigentlichen Zahnersatz, der Krone.
Lange Bewährungsfristen
Auch wenn die Nachfrage nach Implantaten steigt, muss Gómez-Román immer noch
Überzeugungsarbeit leisten, wenn es um die Auswahl – und damit den Preis – der
Versorgung gehe: Unter den Patienten halte sich der Glaube, ein Implantat sei für 1.000 Euro
zu haben. „Das ist nicht der Fall“, so Gomez. Zwar gebe es günstigere Implantate, „aber für die
fehlen oft Langzeitergebnisse“. Auch sei die Nachbestellung nicht immer gesichert. „Wer sagt
Ihnen denn, dass es die Firma, von der Sie das Billigimplantat beziehen, auch in fünf Jahren
noch gibt – dann, wenn Sie für den Patienten vielleicht ein neues Aufbauteil nachbestellen
müssen?“ Zehn Jahre müsse sich ein Implantat nach Meinung des Oralchirurgen bereits am
Markt bewährt haben, „besser noch 15 oder 20 Jahre“.
3
Implantate müssen hart im Nehmen sein
Unternehmen haben es nicht leicht, neue Produkte zu verkaufen. Ihre innovativen
Zahnimplantate müssen Langzeitergebnisse vorweisen, um sich am Markt durchsetzen
zu können - ein Widerspruch. Eine Schlüsseltechnologie dabei sind neue Biomaterialien.
„Die Implantologie ist einer der innovativsten Bereiche der Zahnmedizin“, sagt Gómez-Román.
Viel werde derzeit geforscht, um den Einsatz von Implantaten zu verbessern. Eingriffe sollen
schonender, Materialien besser verträglich werden, aber dabei auch hart im Nehmen sein. Da
bei einem Implantat die natürliche Rückfederung fehlt, muss das Material einen hohen Druck
aushalten können.
Bislang verwendeten Zahnchirurgen vorrangig Schrauben aus Titan, also reinem Metall. Seit
einigen Jahren werden auch Implantate aus Zirkonoxid, einer Keramikart, eingesetzt. Der
Vorteil: Die Farbe dieser Einsätze ähnelt jener der Zähne. Schimmert das Implantat also
durchs Zahnfleisch durch, fällt es nicht so sehr auf, wie das eine Metallschraube täte.
Fehlende Langzeitergebnisse
Gómez-Román setzt vorerst dennoch weiter auf Titan, zu hoch seien die Verlustquoten bei
den Zirkonoxid-Modellen. „Anfangs lag das an den Oberflächen der Schrauben“, berichtet der
Dentalmediziner. „Die waren nicht rau genug, um zuverlässig verankert werden zu können.“
Doch auch wenn er den Modellen heute eine gute Integration und gute biomechanische
Eigenschaften attestiert – die Verlustquoten schrecken ihn immer noch ab. Zudem fehlten ihm
Langzeitergebnisse. „Ein abschließendes Urteil ist deshalb im Moment nicht möglich.“
Gleiches gelte für sogenannte kurze Implantate, wie sie seit einiger Zeit eingesetzt werden,
also Implantate mit einer Länge von unter acht Millimetern. Auch hier gebe es noch kaum
Langzeiterfahrungen. Laut Gómez-Román liege ein Patientennutzen dieser verkürzten
Schrauben aber auch so auf der Hand. Gerade bei jenen Patienten, die bereits viel Knochen
verloren hätten und denen man, etwa aufgrund mehrerer Vorerkrankungen, keinen
Knochenaufbau zumuten möchte, seien kurze Implantate sinnvoll.
Neue Biomaterialien wünschenswert
„Ich habe auch in meiner Klinik schon einige eingesetzt.“ Auch für den Knochenaufbau werde
viel geforscht. Wissenschaftler versuchten Knochenersatzmaterialien (KEM) zu formen und zu
züchten, aus Stammzellen ebenso wie aus Algen. Das Ziel: dem Patienten künftig die
Entnahme eigenen Knochenmaterials zu ersparen. Zwar gelte die Verwendung
körpereigenen Knochengewebes gemeinhin als Goldstandard. Aber auch bovine KEM, also
Gewebe vom Rind, habe sich bewährt, so Gómez-Román. Trotz aller Forschung gelte für ihn
in diesem Fall: „Never change a winning team.“
Mehr dazu im Internet:
Barmer-Zahnreport 2017
Deutsche Mundgesundheitsstudie 2016
@ Medizintechnologie.de
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