impuls - Hans-Böckler

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Schwerpunkt: Betriebsräte und Tarifautonomie
Böckler
impuls
11/2005
29. Juni
■ Tarifpolitik: Bündnisse, Differenzierungen,
2
Öffnungsklauseln und Härtefälle
■ Betriebliche Bündnisse:Vom Notnagel im
3
Krisenfall zum Instrument der Personalpolitik
■ Arbeitszeit: Immer kürzer, immer flexibler –
4
und auch wieder länger
■ Entgelt:Tarifverträge – Haltelinie nach unten
5
■ Tarifautonomie: Das Prinzip Eigenverantwortung
6
■ Tableau:Vielfalt der Tarifwelt
8
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TARIFLICHE ÖFFNUNGSKLAUSELN
Kritisches Urteil der Betriebsräte
Drei von vier tarifgebundenen Betrieben nutzen
inzwischen die Möglichkeiten der Flächentarifverträge, von Standards abzuweichen und bei
Arbeitszeit und Einkommen betriebsspezifische
Lösungen auszuhandeln. Das zeigen die Ergebnisse
der jüngsten Betriebsräteumfrage des WSI.
Aber auch: wie überaus kritisch die Betriebsräte
diese Entwicklung sehen.
Die Tarifverträge haben sich in den vergangenen Jahren stark
verändert. Neben Gestaltungsspielräumen auf Tarifniveau
(„Differenzierung“) halten sie für besondere betriebliche Erfordernisse eine Vielzahl von „Öffnungsklauseln“ parat –
Möglichkeiten, die Tarife befristet zu unterschreiten. Etwa
um Beschäftigung zu sichern oder Wettbewerbsfähigkeit zu
steigern. Seit 2002, so der Vergleich mit der vorherigen Betriebsräteumfrage, dürfte sich der Anteil der Betriebe verdoppelt haben, die tarifvertragliche Vorgaben flexibel anwenden.
In der öffentlichen Debatte heißt es: Die Betriebsräte benötigen mehr tarifpolitische Gestaltungsspielräume. Nach
mehrjähriger Erfahrung damit hat sich deren Skepsis aber
nur verstärkt. Die Mehrheit findet den Trend generell problematisch. Je größer der Betrieb, desto ablehnender die Haltung. Ein Grund liegt nahe: Arbeit, Konflikte und Druck
kommen in unkalkulierbarem Ausmaß auf sie zu. Bisher halten meistens noch die Tarifverträge die harten Verteilungskonflikte aus den Betrieben heraus. Nicht ohne Grund gehört Deutschland zu den Ländern mit den wenigsten Streiktagen. Wegen der „Verbetrieblichung“ der Tarifpolitik befürchten die meisten Betriebsräte, dass künftig vor allem die
Arbeitgeber ihre Interessen durchsetzen. Sie wollen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber als Tarifparteien ihre wichtige
Aufgabe behalten und verbindliche Standards für Arbeitsund Einkommensbedingungen festsetzen. Aktuell geht es ihnen vor allem darum, Jobs zu sichern und die Arbeitszeitund Einkommensniveaus der Beschäftigten zu erhalten.
Die Pläne der Oppositionsparteien passen dazu nicht: Sie
haben vor, die Verschlechterung der Tarifnormen im Betrieb
auch ohne Zustimmung der Tarifparteien zu ermöglichen.
Verfassungsrechtlich ist das sehr bedenklich (siehe Seiten 6
bis 7). Und die vielbeschworene Praxis, die Betriebsräte vor
Ort senden Alarmsignale: Jeder zweite von ihnen fühlt sich
bereits heute mit den Aufgaben überfordert. 쑸
Veränderte Tariflandschaft
Drei Viertel aller tarifgebundenen Betriebe
nutzen tarifliche Differenzierungs- und
Öffnungsklauseln
51 % Variable Arbeitszeiten
26 % Arbeitszeitverlängerung
19 % Einstiegstarife
17 % Kürzung/Aussetzung der
Jahressonderzahlung
15 % Befristete Arbeitszeitverkürzung
12 % Aussetzen von Tariferhöhungen
75 %
8 % Absenken von tariflichen
Grundvergütungen
6 % Kürzung/Aussetzung
des Urlaubsgeldes
5 % Allgemeine Härtefallklausel
3 % Weitere Klauseln
Betriebsräte bleiben sehr skeptisch
So beurteilen die Betriebsräte die zunehmende
Regelung der Arbeitsbedingungen im Betrieb:
begrüßenswert
zwiespältig
12 %
30 %
weiß nicht
5%
53 %
generell problematisch
Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
Download unter www.boecklerimpuls.de
Böckler impuls 11/2005
1
TARIFPOLITIK
Bündnisse, Differenzierungen,
Öffnungsklauseln und Härtefälle
Dezentraler, flexibler und offener für die jeweilige
betriebliche Situation – so lautet der Tariftrend
seit etwa zwei Jahrzehnten. Als Mittel dazu haben
Arbeitgeber und Gewerkschaften, die in über
tausend Tarifbereichen darüber verhandeln,
hunderte Öffnungsklauseln vereinbart. Sie sind
nur noch schwer auf einen Punkt zu bringen.
Allen gemeinsam ist: Betriebe können von den
einheitlichen und verbindlichen Standards der
Flächentarifverträge abweichen.
Differenzierung meint: Für bestimmte Beschäftigtengruppen,
Betriebe oder Teilbranchen werden unterschiedliche Tarifstandards etabliert. Ein klassisches Beispiel sind die tariflichen Regelungen zu variablen Arbeitszeiten. Betriebe können
sie nutzen oder nicht. Um Erlaubnis müssen sie nicht fragen.
Öffnungsklauseln lassen –
zeitlich begrenzt – in vielen
Fällen Tarifabsenkungen zu.
WSI-BetriebsräteDie Anpassungsmöglichkeibefragung
ten der Betriebe sind groß.
Die repräsentative BeDie Anwendung von Öfftriebsrätebefragung banungsklauseln ist teilweise
siert auf Interviews mit
von der Zustimmung der Ta2.007 Betriebsräten in
rifvertragsparteien abhängig.
Betrieben mit über 20
Tarifverträge erwünscht
Als zehn wichtigste Handlungsfelder der Tarifpolitik
nennen Betriebsräte ...
Sicherung der Einkommen
93 %
Verteidigung der tariflichen Arbeitszeit
89%
Arbeitszeitflexibilisierung
81 %
Begrenzung des betrieblichen Leistungsdrucks
71 %
Ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse
70 %
Vereinbarkeit von Beruf und Familie
69 %
Sicherung der betrieblichen Altersversorgung
69 %
Weiterbildung
67 %
Betrieblicher Gesundheits- und Umweltschutz
65 %
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
lichen Vergütungen um bis zu zehn Prozent sinken – zur Sicherung der Beschäftigung.
Während früher überwiegend Härtefallklauseln vereinbart
wurden, die vor allen Dingen zur Rettung von Betrieben in
Allgemeine Öffnungsklau- wirtschaftlicher Not gedacht waren, können neuere ÖffBeschäftigten. Es ist die
seln sind nicht auf bestimm- nungsklauseln auch angewandt werden zur Verbesserung der
vierte derartige Befrate inhaltliche Regelungsbe- Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationsfähigkeit.
gung des WSI seit 1997.
reiche beschränkt. Anders
Wenn Betriebe Öffnungsklauseln nutzen, bedeutet das
Aufgrund des Wechsels
spezielle Öffnungsklauseln: nicht gleich ein „Bündnis für Arbeit“. Der Betriebsrat stimmt
zur Telefonbefragung
Eine solche Klausel sieht zum Beispiel einer Arbeitszeitverlängerung oder einer Kürwird auf systematische
zum Beispiel in der Chemi- zung tariflicher Sonderzahlungen zu. Im Gegenzug garantiert
Vergleiche mit früheren
schen Industrie die Möglich- das Unternehmen in der Regel einen befristeten Verzicht auf
Ergebnissen verzichtet.
keit vor, das 13. Monatsein- betriebsbedingte Kündigungen. In vielen Fällen sehen die TaWSI-Mitteilungen 6/2005, Schwerkommen bei tiefgreifenden rifverträge vor, dass die Tarifvertragsparteien die Vereinbapunktheft „Zur Lage der Interessenvertretung: Die aktuelle WSIwirtschaftlichen Schwierig- rung überprüfen und ihr zustimmen müssen, bevor diese in
Befragung von Betriebs- und
keiten zu kürzen. Im Bauge- Kraft treten. So schauen sie darauf, ob das Bündnis gerechtPersonalräten“
werbe Ost können die tarif- fertigt ist und der Betrieb nicht nur einen Vorteil gegenüber
anderen erreichen will – auf
Kosten seiner Belegschaft
und um den Preis, dass VerBetriebliche Bündnisse:
lässlichkeit der Tarifverträge
Auch wenn die Gewinne stimmen
und Sicherheit der Arbeitnehmer insgesamt geopfert
Betriebliche Bündnisse existierten in so viel Prozent der Unternehmen mit...
werden sollen.
Auftragslage
Umsatz
Gewinne
Alle Regelungen haben eine Benchmark, an der sie
sich abarbeiten und entlang
39 %
36 %
verhandeln: den Flächenta30 %
23 %
22 %
rifvertrag. Er sorgt gerade in
21%
der Krise für Halt. 쑸
gut
schlecht
gut
schlecht
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalratsbefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
2
gut
schlecht
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Böckler impuls 11/2005
BETRIEBLICHE BÜNDNISSE
Vom Notnagel im Krisenfall zum
Instrument der Personalpolitik
Rund 2,56 Milliarden Euro Rücklagen hat das deutsche Vorzeigeunternehmen Porsche auf der hohen
Kante – aber für die Standortsicherung in Stuttgart-Zuffenhausen sollen die Beschäftigten deutliche
Zugeständnisse machen. Porsche liegt damit im Trend. Betriebliche Bündnisse zur Beschäftigungssicherung haben ihren Ausnahmecharakter als Kriseninstrument verloren: Längst sind sie als Element
personalpolitischer Strategien etabliert – nicht gegen den Flächentarifvertrag, sondern auf seiner Basis.
Als Anfang des vorigen Jahrzehnts die Tarifparteien mit der
Öffnung der Flächenverträge für abweichende Abkommen
auf betrieblicher Ebene begannen, zielte das auf den Notfall.
Management und Betriebsräte sollten auf wirtschaftliche
Schwierigkeiten ihres Unternehmens individuell reagieren
können. Inzwischen hat
scher. Erfolgreiche Unternehmen wollen auf diesem Wege die
Arbeits- und Betriebsnutzungszeiten ausweiten und so die
Produktivität steigern. Betriebe mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten wollen zuallererst die Kosten senken. Das kann unter Umständen auf Kosten der Produktivität gehen.
So werben die Chemierund jeder vierte Betrieb ein
Arbeitgeber: „Gemeinsam
Grenzen des Wachstums
Bündnis zur Sicherung der
fördern beide TarifvertragsBeschäftigung und: Darunter
Indem immer mehr Arbeits- Bündnis-Verhandlungen einparteien die unternehmenssind immer mehr mit guten
individuelle Nutzung der 14
zeit flexibilisiert, Betriebe bringen können. Grenzen
wirtschaftlichen Kennziffern.
Flexibilisierungsinstrumente
durchrationalisiert und über- der Betrieblichen Bündnisse
So bestätigt es die jüngste
bei objektivierbarem Bedarf.
tarifliche Leistungen gestri- sind sichtbar, sagen die WSIBetriebsrätebefragung des
Im Interesse einer nachhaltichen werden, schwinde das Forscher. „Vor allem in NiedWSI 2004/05.
gen Wettbewerbsfähigkeit
„Konzessionspotenzial“, das riglohnbranchen wird dann
Betriebe mit guter Aufder Chemie-Arbeitsplätze in
Arbeitnehmer in erneute der Spielraum knapp.“
tragslage haben zu über 20
Deutschland ist die Nutzung
Prozent eine Vereinbarung
nicht auf wirtschaftliche
zur Beschäftigungssicherung abgeschlossen. Bei den Betrie- Notlagen der Unternehmen beschränkt, sondern erlaubt beben mit schlechter Auftragslage sind es fast 55 Prozent. Ähn- wusst auch eine vorausschauende und angesichts der Diffelich ist es beim Umsatz: Von den Betrieben mit schlechten renzierungsmöglichkeiten nach den konkreten betrieblichen
Zahlen haben fast zwei Drittel ein Beschäftigungsbündnis, Erfordernissen verantwortbare Anwendung.“
bei guter Umsatzsituation noch jeder fünfte Betrieb. Die EntSchon die vorige Betriebsrätebefragung 2003 hatte einen
wicklung des Gewinns wirkt sich dagegen kaum darauf aus, besonders auffälligen Unterschied bei den Beschäftigungsob die Betriebsparteien in der Beschäftigungssicherung pak- bündnissen je nach ökonomischem Erfolg der Betriebe ergetieren: Bei den Betrieben mit gutem Gewinn (26,3 Prozent) ben: Florierende Unternehmen legen sich sehr viel länger fest
und bei solchen mit schlechter Gewinnlage (31,9 Prozent) als Problembetriebe. Die durchschnittliche Laufzeit betrug
liegt die Quote der Beschäftigung sichernden Bündnisse nicht bei den Betrieben mit guten Zahlen im Durchschnitt 3 Jahre,
weit auseinander.
bei den angeschlagenen Firmen dagegen nur 19 Monate. 쑸
Betriebliche Bündnisse haben sich als Element personalpolitischer Strategien etabliert, konstatieren die WSI-For-
Die Thesen der Bündnisforscher
Über gesetzliche Eingriffe
wollen CDU, CSU und FDP
betriebliche Bündnisse erleichtern. Gesetzliche Öffnungsklauseln sollen das
angeblich starre Korsett der
Tarifverträge durchbrechen.
Das WSI analysiert die Entwicklung der Betrieblichen
Bündnisse seit ihren Anfängen. Thesen der WSI-Forscher Hartmut Seifert und
Heiko Massa-Wirth:
1. Während Politiker gesetz-
Böckler impuls 11/2005
liche Öffnungsklauseln fordern, haben sich Betriebsund Tarifparteien längst auf
betriebliche Bündnisse geeinigt. Jeder vierte mitbestimmte Betrieb hat eins.
2. Die Flächentarifverträge
lassen deutlich größere betriebliche Spielräume, als
Politiker wahrnehmen. Die
Kontrahenten regeln ihre
Sache selbst. Den Gesetzgeber brauchen sie nicht. Die
Tarifautonomie funktioniert.
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3. Tarifverträge stärken die
Verhandlungsposition der
Beschäftigten. Sie erhöhen
die Chancen, dass auch die
Mitarbeiter von Bündnissen
profitieren, etwa über verbindliche Beschäftigungsoder Standortzusagen.
4. Management und Betriebsräte regeln bereits viel
mehr, als erkannt wird.
Mehr als vier von zehn Beschäftigungsbündnissen beziehen sich ausschließlich
auf Inhalte, die nicht im Tarifvertrag abschließend ge-
regelt sind, zum Beispiel
übertarifliche Zulagen.
5. Die Mehrheit der geschlossenen Bündnisse hat
das notwendige Plazet der
Gewerkschaften
bekommen. Nur drei Prozent bekamen es nicht (Stand 2003).
6. Bündnisse bergen aber
auch Risiken für die Betriebe. Gerade hoch qualifizierte und damit wettbewerbsstarke Mitarbeiter könnten
bei verschlechterten Arbeits- und Einkommensbedingungen abwandern.
3
ARBEITSZEIT
Immer kürzer, immer flexibler –
und auch wieder länger
Hartnäckig hält sich in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass die tariflichen Arbeitszeitbestimmungen
die Betriebe am flexiblen, wettbewerbsfähigen Wirtschaften hindern.Tatsächlich dürfte es schwer sein,
überhaupt noch Arbeitszeitmodelle zu erfinden, die durch Tarifverträge nicht bereits möglich sind,
zeigen aktuelle Studien aus dem WSI.
Weit mehr als 100 verschiedene Arbeitszeitmodelle in einem
Betrieb, das ist heute keine Seltenheit in Deutschland. Parallel zu den Arbeitszeitverkürzungen der vergangenen Jahrzehnte ließen sich Unternehmen und Betriebsräte zahlreiche
Arbeitszeitmodelle einfallen, damit die Maschinen trotz kürzerer Wochenarbeitszeiten der Beschäftigten ausgelastet sind.
Aktuell analysierte das WSI die gegenwärtigen tariflichen
Arbeitszeitregelungen in 24 Wirtschaftszweigen, die einen typischen Querschnitt der bundesdeutschen Tariflandschaft
bilden. Bei einer Fülle von Varianten – je nach Branche und
Tarifbereich – enthalten sie diese Grundmuster für betriebliche Lösungen:
쑺 Es gibt Korridore rund um die regelmäßige
tarifliche Arbeitszeit.
쑺 Die Arbeitszeit kann saisonal schwanken.
쑺 Die Regel-Arbeitszeit kann über einen bestimmten
Zeitraum („unregelmäßig“) verteilt werden. Das ist
in nahezu allen Tarifbereichen der Fall.
쑺 Es gibt unterschiedliche Ausgleichszeiträume, in denen
die vereinbarte Arbeitszeit erreicht werden muss.
쑺 Die Arbeitszeit kann (zum Teil ohne Lohnausgleich)
gesenkt werden, um Arbeitsplätze zu sichern.
쑺 Die Regelarbeitszeit kann mit Mehrarbeit
überschritten werden.
쑺 Für bestimmte Beschäftigtengruppen kann
die Arbeitszeit dauerhaft verlängert werden.
Eine solche Bestimmung hat die IG Metall für die Metallund Elektroindustrie 2004 geschlossen („Pforzheimer Abschluss“). Demnach kann – etwa in Forschung und Entwicklung – die Arbeitszeit für bis zu 50 Prozent der Belegschaft
Wettbewerbsfähigkeit: Deutschland gestärkt
Lohnstückkosten-Veränderung
1995 (= 100) zu 2004
Japan
– 14,2 %
Irland
20,8 %
Deutschland
2,6 %
Italien
23,4 %
Österreich
3,3 %
Niederlande
25,9 %
Finnland
9,0 %
Großbritannien
28,7 %
Frankreich
10,5 %
Spanien
29,3 %
Belgien
13,0 %
Portugal
40,5 %
USA
15,7 %
Griechenland
Quelle: Europäische Kommission 2005 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
4
44,0 %
auf 40 Wochenstunden heraufgesetzt werden. Die Zeit wird
bezahlt, die sonst fälligen Zuschläge jedoch nicht.
Quer durch alle Branchen macht jeder vierte tarifgebundene Betrieb von tariflichen Möglichkeiten Gebrauch,
Arbeitszeit zu verlängern. Wenn Aufträge und Umsatz
schlecht sind, reagieren die Betriebe ebenso mit einer Verlängerung wie auch mit befristeter Verkürzung der Arbeitszeit.
Das zeigen die frisch veröffentlichten Ergebnisse der Betriebsrätebefragung des WSI.
Variable Arbeitszeiten praktiziert die Hälfte der Betriebe,
und zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Situation.
Zum Teil lassen sich die Grundmodelle miteinander kombinieren. Welche Beweglichkeit dabei entsteht, zeigt das Beispiel Metallindustrie:
Regelmäßige Wochenarbeitszeit:
Dauerhafte Verlängerung für
maximal die Hälfte der Beschäftigten:
Befristete Verkürzung bis auf:
Ungleichmäßige Verteilung über:
Zulässige Mehrarbeit:
35 Stunden
40 Stunden
30 Stunden
12 Monate
10 Wochenstunden
(nur Nordwürttemberg-Nordbaden)
oder 20 im Monat
Maximale zulässige Wochenarbeitszeit: 50 Stunden.
Arbeitszeitkonten sind mittlerweile fast die Regel geworden.
Drei Viertel aller Betriebe nutzen sie, um – meist kurzfristig –
Gleitzeit und Überstunden abzurechnen, wie die Betriebsrätebefragung ergab.
Angesichts der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten formulieren die Betriebsräte in der Befragung des WSI einen
klaren Auftrag an die Tarifparteien: Bei der Arbeitszeitflexibilisierung und „Verteidigung der tariflichen Arbeitszeit“ soll
die Tarifpolitik handeln. „Offensichtlich erhoffen sie sich
von betriebsübergreifenden Regelungen handfeste Entlastung“, meint der WSI-Tarifexperte Reinhard Bispinck*.
Mit der hochgradigen Flexibilisierung der Arbeitszeit
wächst die Arbeitsbelastung der Betriebsräte deutlich, viele
neue Probleme sind aufgetaucht: Zeitguthaben auf Arbeitszeitkonten verfallen inzwischen in jedem dritten Betrieb, weil
die Beschäftigten nicht dazu kommen, sie abzubauen. Nicht
planbare Arbeitszeiten nerven und belasten Beschäftigte sogar mehr als längere Arbeitszeiten, wie sich in einer repräsentativen Beschäftigtenbefragung herausstellte. Von der einst
versprochenen „Zeitsouveränität“ sei im Arbeitsalltag kaum
etwas zu spüren.
Durchschnittlich arbeitet heute ein Vollzeitbeschäftigter in
Deutschland deutlich länger, als im öffentlichen Streit um die
Arbeitszeit herüberkommt. Das DIW errechnete bereits für
2003 die „42,4-Stunden-Woche“ als tatsächlich geleistete
Arbeit – vier Stunden mehr, als das Institut für die in 쑺
Böckler impuls 11/2005
ENTGELT
Tarifverträge: Haltelinie nach unten
Beim Abbau übertariflicher Leistungen
ist kein Ende in Sicht.Tarifverträge mit ihren
verlässlichen Standards werden deshalb
immer wichtiger.
Auch der jüngste Tarifbericht des WSI betont wieder die seit
Jahren beobachtete „negative Lohndrift“. Die tatsächlichen
Einkommen steigen langsamer als das, was als zusätzliches
Einkommen in den Tarifverträgen vereinbart wurde. Ein
Grund: Immer mehr Unternehmen bauen die übertariflichen
Leistungen ab. 59 Prozent gaben bei der jüngsten Betriebsrätebefragung des WSI an, dass bei ihnen über Tarif gezahlt
wird, jeder vierte von ihnen berichtet, dass diese Leistungen
in den letzten zwei Jahren aber gekürzt worden sind. 2003
hatten noch 63 Prozent der Betriebsräte von übertariflichen
Leistungen berichtet.
In Ostdeutschland zahlen nur 32 Prozent der Betriebe
ihren Beschäftigten mehr, als im Tarifvertrag steht. Hier wurden – folgt man den Betriebsräten – in den vergangenen beiden Jahren nur in zehn Prozent der Fälle übertarifliche Zahlungen eingeschmolzen.
Für besondere Situationen gibt es in den Tarifverträgen
Reallohnentwicklung 1995-2004:
Deutschland Schlusslicht
Schweden
25,4 %
Großbritannien
25,2 %
USA
19,6 %
Irland
19,4 %
Dänemark
15,6 %
Niederlande
11,9 %
Frankreich
8,4 %
EU-15
7, 4 %
Belgien
6,4 %
Spanien
5,4 %
Österreich
2,8 %
Italien
Deutschland
2,0 %
– 0,9 %
Quelle: EU-Kommission 2005 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
Die ertragsabhängigen Einkommensbestandteile regeln
die Betriebsräte und Arbeitgeber in der Regel unter sich,
oder sogar der einzelne Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber.
In gut jedem dritten dieser Betriebe gibt es allerdings noch
nicht mal eine schriftliche Vereinbarung darüber. Insgesamt
gibt es nur in 18 Prozent der
Betriebe tarifvertragliche Regelungen hierzu, wie die BeArbeitszeiten:
Deutschland im Mittelfeld
triebsräteumfrage zeigt.
Welche hohe Bedeutung
Effektive Wochenarbeitszeiten von
Vollzeitbeschäftigten 2003
Stunden
Tarifverträge trotz allem immer noch haben, zeigt dieses:
Großbritannien
43,1
Griechenland
Spanien
Portugal
Österreich
Schweden
Luxemburg
Deutschland
Irland
Dänemark
Finnland
Belgien
Niederlande
Frankreich
Italien
Norwegen
41,0
40,3
40,1
40,0
39,9
39,8
39,6
39,5
39,2
39,2
39,0
38,8
38,8
38,7
38,6
Quelle: Eurostat 2003 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
쑺 Tarif- und sonstigen Arbeitsverträgen vereinbarte Zeit
ansetzte. Eurostat siedelt Deutschland in seinem statistischen
Vergleich der effektiven Arbeitszeit in der alten EU im Mittelfeld an, seine Datenbasis ist eine andere als die des DIW.
Die durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit lag Ende
2004 in Westdeutschland bei 37,4 Stunden, im Osten bei 39
Stunden. Auch sie steigt, eben erst wieder durch die einstündige Verlängerung auf 40 Stunden in der Bauwirtschaft.
Realitätsfern wirkt da die Forderung nach gesetzlichen
Öffnungsklauseln – wie sie die jetzigen Oppositionsparteien
explizit fordern, um Tarifverträge auszuhebeln und den Be-
Böckler impuls 11/2005
auch bezüglich des regulären Lohns und Gehalts Öffnungsklauseln. Sie werden aber lange nicht so stark genutzt wie die
Möglichkeiten zur Arbeitsflexibilisierung. 17 Prozent der befragten Betriebe nutzten die Möglichkeit, die Jahressonderzahlung zu kürzen oder auszusetzen, 12 Prozent setzten Tariferhöhungen aus. An die Grundvergütung und ans
Urlaubsgeld geht es seltener.
Ertragsabhängige Bezahlung: Zahlreiche Firmentarifverträge und die Branchentarifverträge im Bankgewerbe sowie
der Chemischen Industrie ermöglichen heute eine ertragsabhängige Einkommensgestaltung. In gut einem Drittel der Betriebe hängt das Einkommen der Beschäftigten inzwischen
auch vom Betriebsergebnis ab, vor allem in großen Firmen
und bei Kredit- und Versicherungsunternehmen. Ob Ost
oder West macht keinen Unterschied. Jahressonderzahlungen sind dabei das übliche, fast gleichermaßen entweder für
alle Beschäftigten oder für einzelne Gruppen gezahlt.
Von den Betrieben, die formal nicht an Tarifverträge gebunden sind, orientieren
sich 77 Prozent trotzdem an
deren Inhalten, am „branchenüblichen Tarif“. In den
Unternehmen, denen Tarifverträge egal sind, geht das
in der Regel zulasten der
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: In 70 Prozent
der Betriebe verdienen sie
weniger. 쑸
Download unter
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trieben flexiblere Arbeitszeiten zu ermöglichen. Bereits im
April 2000 konstatierte Dieter Hundt, Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände: „Wir sind heute bei der Arbeitszeit so flexibel, dass jede Behauptung, die Tarifverträge
behinderten passgenaue betriebliche Lösungen, entweder
bösartig ist oder in Unkenntnis der Tarifverträge erfolgt.“ 쑸
* Quelle: Reinhard Bispinck und WSI-Tarifarchiv: Immer flexibler – und
immer länger? Tarifliche Regelungen zur Arbeitszeit und ihre Gestaltung,
April 2005; WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05; Frank Bauer,
Eva Munz: Arbeitszeiten in Deutschland: 40plus und hochflexibel,
in: WSI-Mitteilungen 1/2005
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5
TARIFAUTONOMIE
Das Prinzip Eigenverantwortung
Prof. Dr.Thomas Dieterich, ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts, sagt: Die Tarifautonomie
ist unersetzlich. Gesetzliche Öffnungsklauseln würden das System zerstören.
Viele Ökonomen behaupten, die Tarifautonomie hindere
Unternehmen an der Anpassung an den globalen Wettbewerb und gefährde so Arbeitsplätze. Sind verfassungsrechtliche Vorgaben und wirtschaftliche Notwendigkeiten
in Konflikt geraten?
Dieterich: Nein. Unsere Verfassung ist wirtschaftspolitisch
neutral. Sie folgt ordnungspolitisch einem marktwirtschaftlichen Konzept, indem sie Privatautonomie, Berufsfreiheit und
Privateigentum gewährleistet. Tarifautonomie beruht ebenso
wie die Vertragsfreiheit auf der liberalen Überzeugung, dass
die Betroffenen ihre Rechtsbeziehungen am besten selbst regeln können. Sie müssen dazu aber auch in der Lage sein. Die
dafür erforderliche Verhandlungsstärke fehlt den Arbeitnehmern. Deshalb haben sie sich zusammengeschlossen, um der
Arbeitgeberseite auf gleicher Augenhöhe gegenübertreten zu
können. Die Verfassung garantiert das ebenso wie die daraus
folgende Tarifautonomie. Diese ist nichts anderes als eine
kollektive Privatautonomie, die den einzelnen Arbeitnehmer
vor Erpressung und Übervorteilung schützt.
Kritiker behaupten, daraus sei ein Kartell geworden, das
seine Macht ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Unter-
nehmen und zum Nachteil
der Arbeitslosen ausübe.
Weniger „allgemeine“
Dieterich: Tarifautonomie
Tarifverträge
dient nicht dem Missbrauch,
Zahl allgemeinverbindlich
sondern dem Ausgleich von
erklärter Tarifverträge
Marktmacht. Ihr Zweck ist
627
nicht die Störung, sondern
596
118
die Herstellung des Gleich476
gewichts bei Vertragsver509
179
handlungen. Und sie ist keiOst
ne Zwangsbeglückung. Das
297
ganze System beruht auf
West
Freiwilligkeit und steht im
Wettbewerb mit denen, die
den Verbänden nicht ange1985
1995
2004
hören. Ordoliberale müssten
Quelle: BMWA 2005
es von Herzen lieben.
© Hans-Böckler-Stiftung 2005
Gegen die Flächentarife
wird eingewandt, sie seien
zu starr und undifferenziert für die differenzierte und sich
rasch wandelnde Lage von Unternehmen.
Günstigkeitsprinzip
Lohnverzicht günstiger als Jobverlust?
Dann wäre die Tarifautonomie am Ende
Bei der politischen Auseinandersetzung um die Tarifautonomie spielt das Günstigkeitsprinzip des Tarifvertragsrechts
eine zentrale Rolle. Union und FDP wollen es so umdeuten,
dass die Wirkung von Tarifverträgen beliebig würde.
Der entscheidende Satz steht
in Paragraf 4, Absatz 3 des Tarifvertragsgesetzes: „Abweichende Abmachungen sind
nur zulässig, soweit sie durch
den Tarifvertrag gestattet sind
oder eine Änderung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.“ Der einzelne Arbeitnehmer mag also mehr für
sich herausholen als die Gewerkschaft für alle. Aber nach
unten darf nur abgewichen
werden, wenn die Tarifvertragsparteien zustimmen.
Nach den Plänen der gegenwärtigen Oppositionsparteien im Bundestag sollen die
Betriebsparteien auf eigene
Faust den geltenden Tarifvertrag unterbieten können,
wenn sie Arbeitsplätze sichern oder schaffen wollen:
Es sei schließlich günstiger
für Arbeitnehmer, unterhalb
des Tariflohnes zu arbeiten,
als ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Der FDP-Vorsitzende
Guido Westerwelle fordert:
„Künftig sollte auch ein geringerer Lohn oder eine längere Arbeitszeit für den Erhalt oder die Schaffung eines
Arbeitsplatzes günstiger sein,
wenn 75 Prozent der abstimmenden Mitarbeiter des Unternehmens dem zustimmen.“ CDU/CSU wollen den
Gesetzestext zumindest um
einen Satz ergänzen: „Bei
dem Günstigkeitsvergleich
sind die Beschäftigungsaussichten zu berücksichtigen.“
Nach Ansicht des ehemaligen
Präsidenten des Bundesarbeitgerichts, Thomas Dieterich, kann das Günstigkeitsprinzip jedoch nicht dazu
herhalten, den Tarifvertrag
außer Kraft zu setzen: „Dafür
ist es nicht konzipiert. Es setzt
die zwingende Wirkung des
Tarifvertrages voraus.“ Zwar
dürfe niemand, etwa aus Solidarität, daran gehindert werden, bessere Konditionen
auszuhandeln als andere.
Aber Beschäftigungszusagen
allein dürften niemals ausreichen, um untertarifliche Arbeitsbedingungen zu rechtfertigen: „Dann könnte das
der Arbeitgeber ja auch
schon bei der Einstellung verlangen. Warum sollten Arbeitnehmer dann noch einer
Gewerkschaft beitreten? Was
bliebe übrig von der kollektiven Koalitionsfreiheit?“
Ob die Beschäftigung an einem Standort bedroht ist, ob
und wodurch sie gesichert
werden kann, liegt im Ermessen des Arbeitgebers. In seinem Belieben stünde damit,
ob ein Tarifvertrag wirkt oder
nicht. Der Belegschaftsentscheid über eine Tarifabweichung erweckt lediglich den
Schein der demokratischen
Legitimation. Tatsächlich haben Beschäftigte keine wirkliche Wahl, wenn sie vor die Alternative gestellt werden:
Wollt ihr euren Job verlieren
oder nicht?
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6
Böckler impuls 11/2005
Betriebsräte fürchten Schwächung
Die meisten Betriebsräte sehen in der Verlagerung
tarifpolitischer Entscheidungen auf die Unternehmensebene einen Machtzuwachs der betrieblichen Arbeitgeber.
Nur zwölf Prozent begrüßen eine „Verbetrieblichung“ der
Tarifpolitik uneingeschränkt.
In der WSI-Befragung von Betriebsräten 2004/05 stimmen
81 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Dezentralisierung und Verbetrieblichung der Tarifpolitik dem Arbeitgeber
eher die Möglichkeit gebe, seine Interessen durchzusetzen.
Ob die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsräte steigen, ist völlig umstritten: Ja und Nein halten sich bei
den Antworten genau die Waage.
Böckler impuls 11/2005
Größe und wirtschaftliche Lage der Betriebe sind laut der
Auswertung der Wissenschaftler des WSI nicht erheblich für
die Haltung der Betriebsräte. Allerdings bezeichnen die Belegschaftsvertreter von Unternehmen mit guter wirtschaftlicher Lage die Verlagerung tarifpolitischer Aufgaben überdurchschnittlich oft als „generell problematisch“.
Dazu sagt Dr. Reinhard Bispinck, der Leiter des WSI-Tarifarchivs: „Das dürfte ein Hinweis darauf sein, dass sie sich
durch die Verbetrieblichung unter Druck gesetzt fühlen,
Konzessionen zu machen, die objektiv nicht erforderlich
sind, aber aufgrund der Öffnungsklauseln leichter möglich
werden.“
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7
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Dieterich: Flächentarifverträge schreibt das Gesetz doch
Dezentralisierung problematisch?
gar nicht vor. Die Tarifparteien, auch jeder Arbeitgeber, können firmenbezogene Tarifverträge schließen. Davon wird
Betriebsräte sagen: Die Dezentralisierung und
auch reichlich Gebrauch gemacht. Von den zurzeit gültigen
Verbetrieblichung der Tarifpolitik …
rund 57.300 Tarifverträgen sind fast die Hälfte Firmentarifgibt dem Arbeitgeber eher die Möglichkeit, seine
verträge. Überhaupt ist die Tarifpraxis viel differenzierter
betrieblichen Interessen durchzusetzen
und betriebsoffener, als mantrifft zu
81 %
che Polemik glauben machen
trifft nicht zu
17 %
Firmentarifverträge:
will. Den starren EinheitstaIm Kommen
rif gibt es kaum noch. Das
gibt dem Betriebsrat größere Einfluss- und
Gestaltungsmöglichkeiten
Spektrum betrieblicher ÖffUnternehmen mit
trifft zu
49 %
nungsklauseln ist schon so
Firmentarifverträgen
trifft
nicht
zu
49 %
groß, dass Zweifel an der
7.990
Steuerungsfähigkeit des Sys2.250
überfordert den Betriebsrat
tems laut werden.
trifft zu
48%
Ost
Union und FDP wollen
trifft nicht zu
50%
Betriebsräte sogar gesetz5.740
4.120
lich dazu ermächtigen, von
Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
1.440
den Tarifverträgen abzuweiWest
chen. Betriebsräte wüssten
2.680
schließlich am besten, was
Dieterich: Das würde nichts daran ändern, dass Tarifvergut ist für die Belegschaft träge keine echten Verträge mehr wären. Sie würden zu
des einzelnen Betriebes.
unverbindlichen Richtlinien, die nur so lange Geltung bean1994
2004
Dieterich: Die Verbind- spruchten, bis ein Arbeitgeber seine Belegschaft mit StillleQuelle: BMWA 2005
lichkeit von Tarifverträgen gungs- oder Verlagerungsprojekten so unter Druck setzen
© Hans-Böckler-Stiftung 2005
schützt nicht nur die Arbeit- könnte, dass sie alles unterschreiben – in der Hoffnung, ihren
nehmer, sondern auch die eigenen Arbeitsplatz zu retten. Also auch mit einer BelegUnternehmen. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass schaftsabstimmung wäre eine gesetzliche Öffnung von Tariftarifgebundene Konkurrenten mit vergleichbaren Personal- verträgen ein zerstörerischer Eingriff in die Koalitionsfreiheit
kosten kalkulieren. Aber vor allem kann und darf ein Be- und mit Sicherheit verfassungswidrig. 쑸
triebsrat nicht die Gewerkschaft ersetzen. Eine Betriebsvertretung mit der
In fast drei Viertel der Betriebe gelten Tarifverträge
Kompetenz, geltendes Tarifrecht zu verändern oder zu
BranchenFirmenBranchen- und Firmentarifvertrag
Ohne Tarifbindung 29 %
verdrängen, wäre nichts andavon Orientierung am Tarif
13 %
deres als eine beitragsfreie
6%
nein 22%
ja 77 %
Betriebsgewerkschaft
mit
53 %
Ohne Tarifbindung
Zwangsmitgliedschaft, aber
29 %
ohne Arbeitskampfbefugnis.
Und wenn es eine Art demokratischer Legitimation
durch BelegschaftsabstimQuelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
mung gäbe?
Setzkasten GmbH, Kreuzbergstraße 56, 40489 Düsseldorf
Postvertriebsstück, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 67528
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Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf, Telefon 02 11 / 77 78-0
Verantwortlicher Geschäftsführer: Dr. Wolfgang Jäger (V.i.S.d.P.)
Chefredaktion: Regina Droge; Redaktion: Rainer Jung, Annegret
Loges, Karin Rahn, Ernst Schulte-Holtey; Telefon 02 11 / 77 78-229,
Fax 02 11 / 77 78-207, E-Mail [email protected];
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40489 Düsseldorf
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Tableau
Vielfalt der Tarifwelt
Das deutsche Tarifmodell basiert auf Freiwilligkeit und Selbstorganisation. Kein Arbeitgeber ist
gezwungen, einen Tarifvertrag abzuschließen. Kein Arbeitnehmer ist gezwungen, einer
Gewerkschaft beizutreten und so den Rechtsanspruch auf die tariflichen Leistungen zu erwerben.
Der Gesetzgeber sichert den Handelnden „Tarifautonomie“zu.
Tarifverträge regeln weit mehr als Lohn und Gehalt, unter anderem:
2004 gab es rund
gültige Tarifverträge
➔ in 1500* Tarifbereichen
➔ speziell für über 300
Wirtschaftszweige
Arbeitszeit
Beschäftigungssicherung
Qualifizierung
Altersteilzeit
➔ differenziert nach
Regionen
Urlaub
Vermögenswirksame Leistungen
Betriebliche Altersvorsorge
Chancengleichheit
Telearbeit
Ausbildungsplatzangebot
Integration Jugendlicher ohne Berufsausbildung
Vereinbarkeit Familie und Beruf
34.000 Flächentarifverträge**
27.800 Firmentarifverträge
durch verlässliche Standards und
eine Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten für Betriebe
476 vom Bundeswirtschaftsministerium
für allgemeinverbindlich erklärt
*Verbandstarifbereiche für Vergütungen; allgemeine: 1.100 | **auch Branchen- oder Verbandstarife genannt
Quelle: BMWA 2005, WSI 2005 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005
쑺 TARIFBINDUNG: Tarifverträge bleiben der Anker für
die Arbeitsbedingungen. 72
Prozent der Betriebe mit
mehr als 20 Beschäftigten
sind an Tarifverträge gebunden. Im Westen deutlich
mehr als im Osten (73 zu 61
Prozent).
WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05
쑺 BENCHMARK: Tarifverträge stützen die Arbeitsbedin-
dungen auch für Arbeitnehmer in nicht tarifgebundenen
Betrieben: Unternehmen, die
rechtlich nicht an Tarifverträge gebunden sind, orientieren sich zu 77 Prozent an deren Inhalten.
WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05
쑺 AUSGLIEDERUNG: Wenn
Betriebe ausgeliedert werden, läuft selten auch die Tarifbindung aus. In knapp ei-
nem Drittel von ihnen gilt die
bisherige Tarifbindung weiter, in fast der Hälfte gilt dann
ein anderer Tarifvertrag (46
Prozent).
WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05
쑺 ALLGEMEINVERBINDLICHKEIT: Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt immer
weniger Tarifverträge für allgemeinverbindlich. 2004 nur
noch 476. Im Zuge der deut-
schen Vereinigung war die
Zahl der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge noch stark angestiegen,
um die Arbeitsbedingungen
in den neuen Ländern einheitlich zu regeln. Solche Tarifverträge gelten auch, wenn
der Arbeitgeber nicht tarifgebunden und der Arbeitnehmer nicht in der Gewerkschaft ist.
BMWA, Februar 2005
www.boecklerimpuls.de
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Böckler impuls 11/2005
© Hans-Böckler-Stiftung 2005
61.800
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