Schwerpunkt: Betriebsräte und Tarifautonomie Böckler impuls 11/2005 29. Juni ■ Tarifpolitik: Bündnisse, Differenzierungen, 2 Öffnungsklauseln und Härtefälle ■ Betriebliche Bündnisse:Vom Notnagel im 3 Krisenfall zum Instrument der Personalpolitik ■ Arbeitszeit: Immer kürzer, immer flexibler – 4 und auch wieder länger ■ Entgelt:Tarifverträge – Haltelinie nach unten 5 ■ Tarifautonomie: Das Prinzip Eigenverantwortung 6 ■ Tableau:Vielfalt der Tarifwelt 8 www.boecklerimpuls.de TARIFLICHE ÖFFNUNGSKLAUSELN Kritisches Urteil der Betriebsräte Drei von vier tarifgebundenen Betrieben nutzen inzwischen die Möglichkeiten der Flächentarifverträge, von Standards abzuweichen und bei Arbeitszeit und Einkommen betriebsspezifische Lösungen auszuhandeln. Das zeigen die Ergebnisse der jüngsten Betriebsräteumfrage des WSI. Aber auch: wie überaus kritisch die Betriebsräte diese Entwicklung sehen. Die Tarifverträge haben sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Neben Gestaltungsspielräumen auf Tarifniveau („Differenzierung“) halten sie für besondere betriebliche Erfordernisse eine Vielzahl von „Öffnungsklauseln“ parat – Möglichkeiten, die Tarife befristet zu unterschreiten. Etwa um Beschäftigung zu sichern oder Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Seit 2002, so der Vergleich mit der vorherigen Betriebsräteumfrage, dürfte sich der Anteil der Betriebe verdoppelt haben, die tarifvertragliche Vorgaben flexibel anwenden. In der öffentlichen Debatte heißt es: Die Betriebsräte benötigen mehr tarifpolitische Gestaltungsspielräume. Nach mehrjähriger Erfahrung damit hat sich deren Skepsis aber nur verstärkt. Die Mehrheit findet den Trend generell problematisch. Je größer der Betrieb, desto ablehnender die Haltung. Ein Grund liegt nahe: Arbeit, Konflikte und Druck kommen in unkalkulierbarem Ausmaß auf sie zu. Bisher halten meistens noch die Tarifverträge die harten Verteilungskonflikte aus den Betrieben heraus. Nicht ohne Grund gehört Deutschland zu den Ländern mit den wenigsten Streiktagen. Wegen der „Verbetrieblichung“ der Tarifpolitik befürchten die meisten Betriebsräte, dass künftig vor allem die Arbeitgeber ihre Interessen durchsetzen. Sie wollen, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber als Tarifparteien ihre wichtige Aufgabe behalten und verbindliche Standards für Arbeitsund Einkommensbedingungen festsetzen. Aktuell geht es ihnen vor allem darum, Jobs zu sichern und die Arbeitszeitund Einkommensniveaus der Beschäftigten zu erhalten. Die Pläne der Oppositionsparteien passen dazu nicht: Sie haben vor, die Verschlechterung der Tarifnormen im Betrieb auch ohne Zustimmung der Tarifparteien zu ermöglichen. Verfassungsrechtlich ist das sehr bedenklich (siehe Seiten 6 bis 7). Und die vielbeschworene Praxis, die Betriebsräte vor Ort senden Alarmsignale: Jeder zweite von ihnen fühlt sich bereits heute mit den Aufgaben überfordert. 쑸 Veränderte Tariflandschaft Drei Viertel aller tarifgebundenen Betriebe nutzen tarifliche Differenzierungs- und Öffnungsklauseln 51 % Variable Arbeitszeiten 26 % Arbeitszeitverlängerung 19 % Einstiegstarife 17 % Kürzung/Aussetzung der Jahressonderzahlung 15 % Befristete Arbeitszeitverkürzung 12 % Aussetzen von Tariferhöhungen 75 % 8 % Absenken von tariflichen Grundvergütungen 6 % Kürzung/Aussetzung des Urlaubsgeldes 5 % Allgemeine Härtefallklausel 3 % Weitere Klauseln Betriebsräte bleiben sehr skeptisch So beurteilen die Betriebsräte die zunehmende Regelung der Arbeitsbedingungen im Betrieb: begrüßenswert zwiespältig 12 % 30 % weiß nicht 5% 53 % generell problematisch Quelle: WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 Download unter www.boecklerimpuls.de Böckler impuls 11/2005 1 TARIFPOLITIK Bündnisse, Differenzierungen, Öffnungsklauseln und Härtefälle Dezentraler, flexibler und offener für die jeweilige betriebliche Situation – so lautet der Tariftrend seit etwa zwei Jahrzehnten. Als Mittel dazu haben Arbeitgeber und Gewerkschaften, die in über tausend Tarifbereichen darüber verhandeln, hunderte Öffnungsklauseln vereinbart. Sie sind nur noch schwer auf einen Punkt zu bringen. Allen gemeinsam ist: Betriebe können von den einheitlichen und verbindlichen Standards der Flächentarifverträge abweichen. Differenzierung meint: Für bestimmte Beschäftigtengruppen, Betriebe oder Teilbranchen werden unterschiedliche Tarifstandards etabliert. Ein klassisches Beispiel sind die tariflichen Regelungen zu variablen Arbeitszeiten. Betriebe können sie nutzen oder nicht. Um Erlaubnis müssen sie nicht fragen. Öffnungsklauseln lassen – zeitlich begrenzt – in vielen Fällen Tarifabsenkungen zu. WSI-BetriebsräteDie Anpassungsmöglichkeibefragung ten der Betriebe sind groß. Die repräsentative BeDie Anwendung von Öfftriebsrätebefragung banungsklauseln ist teilweise siert auf Interviews mit von der Zustimmung der Ta2.007 Betriebsräten in rifvertragsparteien abhängig. Betrieben mit über 20 Tarifverträge erwünscht Als zehn wichtigste Handlungsfelder der Tarifpolitik nennen Betriebsräte ... Sicherung der Einkommen 93 % Verteidigung der tariflichen Arbeitszeit 89% Arbeitszeitflexibilisierung 81 % Begrenzung des betrieblichen Leistungsdrucks 71 % Ungesicherte Beschäftigungsverhältnisse 70 % Vereinbarkeit von Beruf und Familie 69 % Sicherung der betrieblichen Altersversorgung 69 % Weiterbildung 67 % Betrieblicher Gesundheits- und Umweltschutz 65 % Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 lichen Vergütungen um bis zu zehn Prozent sinken – zur Sicherung der Beschäftigung. Während früher überwiegend Härtefallklauseln vereinbart wurden, die vor allen Dingen zur Rettung von Betrieben in Allgemeine Öffnungsklau- wirtschaftlicher Not gedacht waren, können neuere ÖffBeschäftigten. Es ist die seln sind nicht auf bestimm- nungsklauseln auch angewandt werden zur Verbesserung der vierte derartige Befrate inhaltliche Regelungsbe- Wettbewerbsfähigkeit und der Innovationsfähigkeit. gung des WSI seit 1997. reiche beschränkt. Anders Wenn Betriebe Öffnungsklauseln nutzen, bedeutet das Aufgrund des Wechsels spezielle Öffnungsklauseln: nicht gleich ein „Bündnis für Arbeit“. Der Betriebsrat stimmt zur Telefonbefragung Eine solche Klausel sieht zum Beispiel einer Arbeitszeitverlängerung oder einer Kürwird auf systematische zum Beispiel in der Chemi- zung tariflicher Sonderzahlungen zu. Im Gegenzug garantiert Vergleiche mit früheren schen Industrie die Möglich- das Unternehmen in der Regel einen befristeten Verzicht auf Ergebnissen verzichtet. keit vor, das 13. Monatsein- betriebsbedingte Kündigungen. In vielen Fällen sehen die TaWSI-Mitteilungen 6/2005, Schwerkommen bei tiefgreifenden rifverträge vor, dass die Tarifvertragsparteien die Vereinbapunktheft „Zur Lage der Interessenvertretung: Die aktuelle WSIwirtschaftlichen Schwierig- rung überprüfen und ihr zustimmen müssen, bevor diese in Befragung von Betriebs- und keiten zu kürzen. Im Bauge- Kraft treten. So schauen sie darauf, ob das Bündnis gerechtPersonalräten“ werbe Ost können die tarif- fertigt ist und der Betrieb nicht nur einen Vorteil gegenüber anderen erreichen will – auf Kosten seiner Belegschaft und um den Preis, dass VerBetriebliche Bündnisse: lässlichkeit der Tarifverträge Auch wenn die Gewinne stimmen und Sicherheit der Arbeitnehmer insgesamt geopfert Betriebliche Bündnisse existierten in so viel Prozent der Unternehmen mit... werden sollen. Auftragslage Umsatz Gewinne Alle Regelungen haben eine Benchmark, an der sie sich abarbeiten und entlang 39 % 36 % verhandeln: den Flächenta30 % 23 % 22 % rifvertrag. Er sorgt gerade in 21% der Krise für Halt. 쑸 gut schlecht gut schlecht Quelle: WSI-Betriebs- und Personalratsbefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 2 gut schlecht Download unter www.boecklerimpuls.de Böckler impuls 11/2005 BETRIEBLICHE BÜNDNISSE Vom Notnagel im Krisenfall zum Instrument der Personalpolitik Rund 2,56 Milliarden Euro Rücklagen hat das deutsche Vorzeigeunternehmen Porsche auf der hohen Kante – aber für die Standortsicherung in Stuttgart-Zuffenhausen sollen die Beschäftigten deutliche Zugeständnisse machen. Porsche liegt damit im Trend. Betriebliche Bündnisse zur Beschäftigungssicherung haben ihren Ausnahmecharakter als Kriseninstrument verloren: Längst sind sie als Element personalpolitischer Strategien etabliert – nicht gegen den Flächentarifvertrag, sondern auf seiner Basis. Als Anfang des vorigen Jahrzehnts die Tarifparteien mit der Öffnung der Flächenverträge für abweichende Abkommen auf betrieblicher Ebene begannen, zielte das auf den Notfall. Management und Betriebsräte sollten auf wirtschaftliche Schwierigkeiten ihres Unternehmens individuell reagieren können. Inzwischen hat scher. Erfolgreiche Unternehmen wollen auf diesem Wege die Arbeits- und Betriebsnutzungszeiten ausweiten und so die Produktivität steigern. Betriebe mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten wollen zuallererst die Kosten senken. Das kann unter Umständen auf Kosten der Produktivität gehen. So werben die Chemierund jeder vierte Betrieb ein Arbeitgeber: „Gemeinsam Grenzen des Wachstums Bündnis zur Sicherung der fördern beide TarifvertragsBeschäftigung und: Darunter Indem immer mehr Arbeits- Bündnis-Verhandlungen einparteien die unternehmenssind immer mehr mit guten individuelle Nutzung der 14 zeit flexibilisiert, Betriebe bringen können. Grenzen wirtschaftlichen Kennziffern. Flexibilisierungsinstrumente durchrationalisiert und über- der Betrieblichen Bündnisse So bestätigt es die jüngste bei objektivierbarem Bedarf. tarifliche Leistungen gestri- sind sichtbar, sagen die WSIBetriebsrätebefragung des Im Interesse einer nachhaltichen werden, schwinde das Forscher. „Vor allem in NiedWSI 2004/05. gen Wettbewerbsfähigkeit „Konzessionspotenzial“, das riglohnbranchen wird dann Betriebe mit guter Aufder Chemie-Arbeitsplätze in Arbeitnehmer in erneute der Spielraum knapp.“ tragslage haben zu über 20 Deutschland ist die Nutzung Prozent eine Vereinbarung nicht auf wirtschaftliche zur Beschäftigungssicherung abgeschlossen. Bei den Betrie- Notlagen der Unternehmen beschränkt, sondern erlaubt beben mit schlechter Auftragslage sind es fast 55 Prozent. Ähn- wusst auch eine vorausschauende und angesichts der Diffelich ist es beim Umsatz: Von den Betrieben mit schlechten renzierungsmöglichkeiten nach den konkreten betrieblichen Zahlen haben fast zwei Drittel ein Beschäftigungsbündnis, Erfordernissen verantwortbare Anwendung.“ bei guter Umsatzsituation noch jeder fünfte Betrieb. Die EntSchon die vorige Betriebsrätebefragung 2003 hatte einen wicklung des Gewinns wirkt sich dagegen kaum darauf aus, besonders auffälligen Unterschied bei den Beschäftigungsob die Betriebsparteien in der Beschäftigungssicherung pak- bündnissen je nach ökonomischem Erfolg der Betriebe ergetieren: Bei den Betrieben mit gutem Gewinn (26,3 Prozent) ben: Florierende Unternehmen legen sich sehr viel länger fest und bei solchen mit schlechter Gewinnlage (31,9 Prozent) als Problembetriebe. Die durchschnittliche Laufzeit betrug liegt die Quote der Beschäftigung sichernden Bündnisse nicht bei den Betrieben mit guten Zahlen im Durchschnitt 3 Jahre, weit auseinander. bei den angeschlagenen Firmen dagegen nur 19 Monate. 쑸 Betriebliche Bündnisse haben sich als Element personalpolitischer Strategien etabliert, konstatieren die WSI-For- Die Thesen der Bündnisforscher Über gesetzliche Eingriffe wollen CDU, CSU und FDP betriebliche Bündnisse erleichtern. Gesetzliche Öffnungsklauseln sollen das angeblich starre Korsett der Tarifverträge durchbrechen. Das WSI analysiert die Entwicklung der Betrieblichen Bündnisse seit ihren Anfängen. Thesen der WSI-Forscher Hartmut Seifert und Heiko Massa-Wirth: 1. Während Politiker gesetz- Böckler impuls 11/2005 liche Öffnungsklauseln fordern, haben sich Betriebsund Tarifparteien längst auf betriebliche Bündnisse geeinigt. Jeder vierte mitbestimmte Betrieb hat eins. 2. Die Flächentarifverträge lassen deutlich größere betriebliche Spielräume, als Politiker wahrnehmen. Die Kontrahenten regeln ihre Sache selbst. Den Gesetzgeber brauchen sie nicht. Die Tarifautonomie funktioniert. Download unter www.boecklerimpuls.de 3. Tarifverträge stärken die Verhandlungsposition der Beschäftigten. Sie erhöhen die Chancen, dass auch die Mitarbeiter von Bündnissen profitieren, etwa über verbindliche Beschäftigungsoder Standortzusagen. 4. Management und Betriebsräte regeln bereits viel mehr, als erkannt wird. Mehr als vier von zehn Beschäftigungsbündnissen beziehen sich ausschließlich auf Inhalte, die nicht im Tarifvertrag abschließend ge- regelt sind, zum Beispiel übertarifliche Zulagen. 5. Die Mehrheit der geschlossenen Bündnisse hat das notwendige Plazet der Gewerkschaften bekommen. Nur drei Prozent bekamen es nicht (Stand 2003). 6. Bündnisse bergen aber auch Risiken für die Betriebe. Gerade hoch qualifizierte und damit wettbewerbsstarke Mitarbeiter könnten bei verschlechterten Arbeits- und Einkommensbedingungen abwandern. 3 ARBEITSZEIT Immer kürzer, immer flexibler – und auch wieder länger Hartnäckig hält sich in der Öffentlichkeit der Eindruck, dass die tariflichen Arbeitszeitbestimmungen die Betriebe am flexiblen, wettbewerbsfähigen Wirtschaften hindern.Tatsächlich dürfte es schwer sein, überhaupt noch Arbeitszeitmodelle zu erfinden, die durch Tarifverträge nicht bereits möglich sind, zeigen aktuelle Studien aus dem WSI. Weit mehr als 100 verschiedene Arbeitszeitmodelle in einem Betrieb, das ist heute keine Seltenheit in Deutschland. Parallel zu den Arbeitszeitverkürzungen der vergangenen Jahrzehnte ließen sich Unternehmen und Betriebsräte zahlreiche Arbeitszeitmodelle einfallen, damit die Maschinen trotz kürzerer Wochenarbeitszeiten der Beschäftigten ausgelastet sind. Aktuell analysierte das WSI die gegenwärtigen tariflichen Arbeitszeitregelungen in 24 Wirtschaftszweigen, die einen typischen Querschnitt der bundesdeutschen Tariflandschaft bilden. Bei einer Fülle von Varianten – je nach Branche und Tarifbereich – enthalten sie diese Grundmuster für betriebliche Lösungen: 쑺 Es gibt Korridore rund um die regelmäßige tarifliche Arbeitszeit. 쑺 Die Arbeitszeit kann saisonal schwanken. 쑺 Die Regel-Arbeitszeit kann über einen bestimmten Zeitraum („unregelmäßig“) verteilt werden. Das ist in nahezu allen Tarifbereichen der Fall. 쑺 Es gibt unterschiedliche Ausgleichszeiträume, in denen die vereinbarte Arbeitszeit erreicht werden muss. 쑺 Die Arbeitszeit kann (zum Teil ohne Lohnausgleich) gesenkt werden, um Arbeitsplätze zu sichern. 쑺 Die Regelarbeitszeit kann mit Mehrarbeit überschritten werden. 쑺 Für bestimmte Beschäftigtengruppen kann die Arbeitszeit dauerhaft verlängert werden. Eine solche Bestimmung hat die IG Metall für die Metallund Elektroindustrie 2004 geschlossen („Pforzheimer Abschluss“). Demnach kann – etwa in Forschung und Entwicklung – die Arbeitszeit für bis zu 50 Prozent der Belegschaft Wettbewerbsfähigkeit: Deutschland gestärkt Lohnstückkosten-Veränderung 1995 (= 100) zu 2004 Japan – 14,2 % Irland 20,8 % Deutschland 2,6 % Italien 23,4 % Österreich 3,3 % Niederlande 25,9 % Finnland 9,0 % Großbritannien 28,7 % Frankreich 10,5 % Spanien 29,3 % Belgien 13,0 % Portugal 40,5 % USA 15,7 % Griechenland Quelle: Europäische Kommission 2005 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 4 44,0 % auf 40 Wochenstunden heraufgesetzt werden. Die Zeit wird bezahlt, die sonst fälligen Zuschläge jedoch nicht. Quer durch alle Branchen macht jeder vierte tarifgebundene Betrieb von tariflichen Möglichkeiten Gebrauch, Arbeitszeit zu verlängern. Wenn Aufträge und Umsatz schlecht sind, reagieren die Betriebe ebenso mit einer Verlängerung wie auch mit befristeter Verkürzung der Arbeitszeit. Das zeigen die frisch veröffentlichten Ergebnisse der Betriebsrätebefragung des WSI. Variable Arbeitszeiten praktiziert die Hälfte der Betriebe, und zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Situation. Zum Teil lassen sich die Grundmodelle miteinander kombinieren. Welche Beweglichkeit dabei entsteht, zeigt das Beispiel Metallindustrie: Regelmäßige Wochenarbeitszeit: Dauerhafte Verlängerung für maximal die Hälfte der Beschäftigten: Befristete Verkürzung bis auf: Ungleichmäßige Verteilung über: Zulässige Mehrarbeit: 35 Stunden 40 Stunden 30 Stunden 12 Monate 10 Wochenstunden (nur Nordwürttemberg-Nordbaden) oder 20 im Monat Maximale zulässige Wochenarbeitszeit: 50 Stunden. Arbeitszeitkonten sind mittlerweile fast die Regel geworden. Drei Viertel aller Betriebe nutzen sie, um – meist kurzfristig – Gleitzeit und Überstunden abzurechnen, wie die Betriebsrätebefragung ergab. Angesichts der Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten formulieren die Betriebsräte in der Befragung des WSI einen klaren Auftrag an die Tarifparteien: Bei der Arbeitszeitflexibilisierung und „Verteidigung der tariflichen Arbeitszeit“ soll die Tarifpolitik handeln. „Offensichtlich erhoffen sie sich von betriebsübergreifenden Regelungen handfeste Entlastung“, meint der WSI-Tarifexperte Reinhard Bispinck*. Mit der hochgradigen Flexibilisierung der Arbeitszeit wächst die Arbeitsbelastung der Betriebsräte deutlich, viele neue Probleme sind aufgetaucht: Zeitguthaben auf Arbeitszeitkonten verfallen inzwischen in jedem dritten Betrieb, weil die Beschäftigten nicht dazu kommen, sie abzubauen. Nicht planbare Arbeitszeiten nerven und belasten Beschäftigte sogar mehr als längere Arbeitszeiten, wie sich in einer repräsentativen Beschäftigtenbefragung herausstellte. Von der einst versprochenen „Zeitsouveränität“ sei im Arbeitsalltag kaum etwas zu spüren. Durchschnittlich arbeitet heute ein Vollzeitbeschäftigter in Deutschland deutlich länger, als im öffentlichen Streit um die Arbeitszeit herüberkommt. Das DIW errechnete bereits für 2003 die „42,4-Stunden-Woche“ als tatsächlich geleistete Arbeit – vier Stunden mehr, als das Institut für die in 쑺 Böckler impuls 11/2005 ENTGELT Tarifverträge: Haltelinie nach unten Beim Abbau übertariflicher Leistungen ist kein Ende in Sicht.Tarifverträge mit ihren verlässlichen Standards werden deshalb immer wichtiger. Auch der jüngste Tarifbericht des WSI betont wieder die seit Jahren beobachtete „negative Lohndrift“. Die tatsächlichen Einkommen steigen langsamer als das, was als zusätzliches Einkommen in den Tarifverträgen vereinbart wurde. Ein Grund: Immer mehr Unternehmen bauen die übertariflichen Leistungen ab. 59 Prozent gaben bei der jüngsten Betriebsrätebefragung des WSI an, dass bei ihnen über Tarif gezahlt wird, jeder vierte von ihnen berichtet, dass diese Leistungen in den letzten zwei Jahren aber gekürzt worden sind. 2003 hatten noch 63 Prozent der Betriebsräte von übertariflichen Leistungen berichtet. In Ostdeutschland zahlen nur 32 Prozent der Betriebe ihren Beschäftigten mehr, als im Tarifvertrag steht. Hier wurden – folgt man den Betriebsräten – in den vergangenen beiden Jahren nur in zehn Prozent der Fälle übertarifliche Zahlungen eingeschmolzen. Für besondere Situationen gibt es in den Tarifverträgen Reallohnentwicklung 1995-2004: Deutschland Schlusslicht Schweden 25,4 % Großbritannien 25,2 % USA 19,6 % Irland 19,4 % Dänemark 15,6 % Niederlande 11,9 % Frankreich 8,4 % EU-15 7, 4 % Belgien 6,4 % Spanien 5,4 % Österreich 2,8 % Italien Deutschland 2,0 % – 0,9 % Quelle: EU-Kommission 2005 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 Die ertragsabhängigen Einkommensbestandteile regeln die Betriebsräte und Arbeitgeber in der Regel unter sich, oder sogar der einzelne Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber. In gut jedem dritten dieser Betriebe gibt es allerdings noch nicht mal eine schriftliche Vereinbarung darüber. Insgesamt gibt es nur in 18 Prozent der Betriebe tarifvertragliche Regelungen hierzu, wie die BeArbeitszeiten: Deutschland im Mittelfeld triebsräteumfrage zeigt. Welche hohe Bedeutung Effektive Wochenarbeitszeiten von Vollzeitbeschäftigten 2003 Stunden Tarifverträge trotz allem immer noch haben, zeigt dieses: Großbritannien 43,1 Griechenland Spanien Portugal Österreich Schweden Luxemburg Deutschland Irland Dänemark Finnland Belgien Niederlande Frankreich Italien Norwegen 41,0 40,3 40,1 40,0 39,9 39,8 39,6 39,5 39,2 39,2 39,0 38,8 38,8 38,7 38,6 Quelle: Eurostat 2003 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 쑺 Tarif- und sonstigen Arbeitsverträgen vereinbarte Zeit ansetzte. Eurostat siedelt Deutschland in seinem statistischen Vergleich der effektiven Arbeitszeit in der alten EU im Mittelfeld an, seine Datenbasis ist eine andere als die des DIW. Die durchschnittliche tarifliche Wochenarbeitszeit lag Ende 2004 in Westdeutschland bei 37,4 Stunden, im Osten bei 39 Stunden. Auch sie steigt, eben erst wieder durch die einstündige Verlängerung auf 40 Stunden in der Bauwirtschaft. Realitätsfern wirkt da die Forderung nach gesetzlichen Öffnungsklauseln – wie sie die jetzigen Oppositionsparteien explizit fordern, um Tarifverträge auszuhebeln und den Be- Böckler impuls 11/2005 auch bezüglich des regulären Lohns und Gehalts Öffnungsklauseln. Sie werden aber lange nicht so stark genutzt wie die Möglichkeiten zur Arbeitsflexibilisierung. 17 Prozent der befragten Betriebe nutzten die Möglichkeit, die Jahressonderzahlung zu kürzen oder auszusetzen, 12 Prozent setzten Tariferhöhungen aus. An die Grundvergütung und ans Urlaubsgeld geht es seltener. Ertragsabhängige Bezahlung: Zahlreiche Firmentarifverträge und die Branchentarifverträge im Bankgewerbe sowie der Chemischen Industrie ermöglichen heute eine ertragsabhängige Einkommensgestaltung. In gut einem Drittel der Betriebe hängt das Einkommen der Beschäftigten inzwischen auch vom Betriebsergebnis ab, vor allem in großen Firmen und bei Kredit- und Versicherungsunternehmen. Ob Ost oder West macht keinen Unterschied. Jahressonderzahlungen sind dabei das übliche, fast gleichermaßen entweder für alle Beschäftigten oder für einzelne Gruppen gezahlt. Von den Betrieben, die formal nicht an Tarifverträge gebunden sind, orientieren sich 77 Prozent trotzdem an deren Inhalten, am „branchenüblichen Tarif“. In den Unternehmen, denen Tarifverträge egal sind, geht das in der Regel zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer: In 70 Prozent der Betriebe verdienen sie weniger. 쑸 Download unter www.boecklerimpuls.de trieben flexiblere Arbeitszeiten zu ermöglichen. Bereits im April 2000 konstatierte Dieter Hundt, Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände: „Wir sind heute bei der Arbeitszeit so flexibel, dass jede Behauptung, die Tarifverträge behinderten passgenaue betriebliche Lösungen, entweder bösartig ist oder in Unkenntnis der Tarifverträge erfolgt.“ 쑸 * Quelle: Reinhard Bispinck und WSI-Tarifarchiv: Immer flexibler – und immer länger? Tarifliche Regelungen zur Arbeitszeit und ihre Gestaltung, April 2005; WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05; Frank Bauer, Eva Munz: Arbeitszeiten in Deutschland: 40plus und hochflexibel, in: WSI-Mitteilungen 1/2005 Download unter www.boecklerimpuls.de 5 TARIFAUTONOMIE Das Prinzip Eigenverantwortung Prof. Dr.Thomas Dieterich, ehemaliger Präsident des Bundesarbeitsgerichts, sagt: Die Tarifautonomie ist unersetzlich. Gesetzliche Öffnungsklauseln würden das System zerstören. Viele Ökonomen behaupten, die Tarifautonomie hindere Unternehmen an der Anpassung an den globalen Wettbewerb und gefährde so Arbeitsplätze. Sind verfassungsrechtliche Vorgaben und wirtschaftliche Notwendigkeiten in Konflikt geraten? Dieterich: Nein. Unsere Verfassung ist wirtschaftspolitisch neutral. Sie folgt ordnungspolitisch einem marktwirtschaftlichen Konzept, indem sie Privatautonomie, Berufsfreiheit und Privateigentum gewährleistet. Tarifautonomie beruht ebenso wie die Vertragsfreiheit auf der liberalen Überzeugung, dass die Betroffenen ihre Rechtsbeziehungen am besten selbst regeln können. Sie müssen dazu aber auch in der Lage sein. Die dafür erforderliche Verhandlungsstärke fehlt den Arbeitnehmern. Deshalb haben sie sich zusammengeschlossen, um der Arbeitgeberseite auf gleicher Augenhöhe gegenübertreten zu können. Die Verfassung garantiert das ebenso wie die daraus folgende Tarifautonomie. Diese ist nichts anderes als eine kollektive Privatautonomie, die den einzelnen Arbeitnehmer vor Erpressung und Übervorteilung schützt. Kritiker behaupten, daraus sei ein Kartell geworden, das seine Macht ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Unter- nehmen und zum Nachteil der Arbeitslosen ausübe. Weniger allgemeine Dieterich: Tarifautonomie Tarifverträge dient nicht dem Missbrauch, Zahl allgemeinverbindlich sondern dem Ausgleich von erklärter Tarifverträge Marktmacht. Ihr Zweck ist 627 nicht die Störung, sondern 596 118 die Herstellung des Gleich476 gewichts bei Vertragsver509 179 handlungen. Und sie ist keiOst ne Zwangsbeglückung. Das 297 ganze System beruht auf West Freiwilligkeit und steht im Wettbewerb mit denen, die den Verbänden nicht ange1985 1995 2004 hören. Ordoliberale müssten Quelle: BMWA 2005 es von Herzen lieben. © Hans-Böckler-Stiftung 2005 Gegen die Flächentarife wird eingewandt, sie seien zu starr und undifferenziert für die differenzierte und sich rasch wandelnde Lage von Unternehmen. Günstigkeitsprinzip Lohnverzicht günstiger als Jobverlust? Dann wäre die Tarifautonomie am Ende Bei der politischen Auseinandersetzung um die Tarifautonomie spielt das Günstigkeitsprinzip des Tarifvertragsrechts eine zentrale Rolle. Union und FDP wollen es so umdeuten, dass die Wirkung von Tarifverträgen beliebig würde. Der entscheidende Satz steht in Paragraf 4, Absatz 3 des Tarifvertragsgesetzes: „Abweichende Abmachungen sind nur zulässig, soweit sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung zugunsten des Arbeitnehmers enthalten.“ Der einzelne Arbeitnehmer mag also mehr für sich herausholen als die Gewerkschaft für alle. Aber nach unten darf nur abgewichen werden, wenn die Tarifvertragsparteien zustimmen. Nach den Plänen der gegenwärtigen Oppositionsparteien im Bundestag sollen die Betriebsparteien auf eigene Faust den geltenden Tarifvertrag unterbieten können, wenn sie Arbeitsplätze sichern oder schaffen wollen: Es sei schließlich günstiger für Arbeitnehmer, unterhalb des Tariflohnes zu arbeiten, als ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle fordert: „Künftig sollte auch ein geringerer Lohn oder eine längere Arbeitszeit für den Erhalt oder die Schaffung eines Arbeitsplatzes günstiger sein, wenn 75 Prozent der abstimmenden Mitarbeiter des Unternehmens dem zustimmen.“ CDU/CSU wollen den Gesetzestext zumindest um einen Satz ergänzen: „Bei dem Günstigkeitsvergleich sind die Beschäftigungsaussichten zu berücksichtigen.“ Nach Ansicht des ehemaligen Präsidenten des Bundesarbeitgerichts, Thomas Dieterich, kann das Günstigkeitsprinzip jedoch nicht dazu herhalten, den Tarifvertrag außer Kraft zu setzen: „Dafür ist es nicht konzipiert. Es setzt die zwingende Wirkung des Tarifvertrages voraus.“ Zwar dürfe niemand, etwa aus Solidarität, daran gehindert werden, bessere Konditionen auszuhandeln als andere. Aber Beschäftigungszusagen allein dürften niemals ausreichen, um untertarifliche Arbeitsbedingungen zu rechtfertigen: „Dann könnte das der Arbeitgeber ja auch schon bei der Einstellung verlangen. Warum sollten Arbeitnehmer dann noch einer Gewerkschaft beitreten? Was bliebe übrig von der kollektiven Koalitionsfreiheit?“ Ob die Beschäftigung an einem Standort bedroht ist, ob und wodurch sie gesichert werden kann, liegt im Ermessen des Arbeitgebers. In seinem Belieben stünde damit, ob ein Tarifvertrag wirkt oder nicht. Der Belegschaftsentscheid über eine Tarifabweichung erweckt lediglich den Schein der demokratischen Legitimation. Tatsächlich haben Beschäftigte keine wirkliche Wahl, wenn sie vor die Alternative gestellt werden: Wollt ihr euren Job verlieren oder nicht? Download unter www.boecklerimpuls.de 6 Böckler impuls 11/2005 Betriebsräte fürchten Schwächung Die meisten Betriebsräte sehen in der Verlagerung tarifpolitischer Entscheidungen auf die Unternehmensebene einen Machtzuwachs der betrieblichen Arbeitgeber. Nur zwölf Prozent begrüßen eine „Verbetrieblichung“ der Tarifpolitik uneingeschränkt. In der WSI-Befragung von Betriebsräten 2004/05 stimmen 81 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass Dezentralisierung und Verbetrieblichung der Tarifpolitik dem Arbeitgeber eher die Möglichkeit gebe, seine Interessen durchzusetzen. Ob die Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten der Betriebsräte steigen, ist völlig umstritten: Ja und Nein halten sich bei den Antworten genau die Waage. Böckler impuls 11/2005 Größe und wirtschaftliche Lage der Betriebe sind laut der Auswertung der Wissenschaftler des WSI nicht erheblich für die Haltung der Betriebsräte. Allerdings bezeichnen die Belegschaftsvertreter von Unternehmen mit guter wirtschaftlicher Lage die Verlagerung tarifpolitischer Aufgaben überdurchschnittlich oft als „generell problematisch“. Dazu sagt Dr. Reinhard Bispinck, der Leiter des WSI-Tarifarchivs: „Das dürfte ein Hinweis darauf sein, dass sie sich durch die Verbetrieblichung unter Druck gesetzt fühlen, Konzessionen zu machen, die objektiv nicht erforderlich sind, aber aufgrund der Öffnungsklauseln leichter möglich werden.“ Download unter www.boecklerimpuls.de 7 Download unter www.boecklerimpuls.de Dieterich: Flächentarifverträge schreibt das Gesetz doch Dezentralisierung problematisch? gar nicht vor. Die Tarifparteien, auch jeder Arbeitgeber, können firmenbezogene Tarifverträge schließen. Davon wird Betriebsräte sagen: Die Dezentralisierung und auch reichlich Gebrauch gemacht. Von den zurzeit gültigen Verbetrieblichung der Tarifpolitik rund 57.300 Tarifverträgen sind fast die Hälfte Firmentarifgibt dem Arbeitgeber eher die Möglichkeit, seine verträge. Überhaupt ist die Tarifpraxis viel differenzierter betrieblichen Interessen durchzusetzen und betriebsoffener, als mantrifft zu 81 % che Polemik glauben machen trifft nicht zu 17 % Firmentarifverträge: will. Den starren EinheitstaIm Kommen rif gibt es kaum noch. Das gibt dem Betriebsrat größere Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten Spektrum betrieblicher ÖffUnternehmen mit trifft zu 49 % nungsklauseln ist schon so Firmentarifverträgen trifft nicht zu 49 % groß, dass Zweifel an der 7.990 Steuerungsfähigkeit des Sys2.250 überfordert den Betriebsrat tems laut werden. trifft zu 48% Ost Union und FDP wollen trifft nicht zu 50% Betriebsräte sogar gesetz5.740 4.120 lich dazu ermächtigen, von Quelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 1.440 den Tarifverträgen abzuweiWest chen. Betriebsräte wüssten 2.680 schließlich am besten, was Dieterich: Das würde nichts daran ändern, dass Tarifvergut ist für die Belegschaft träge keine echten Verträge mehr wären. Sie würden zu des einzelnen Betriebes. unverbindlichen Richtlinien, die nur so lange Geltung bean1994 2004 Dieterich: Die Verbind- spruchten, bis ein Arbeitgeber seine Belegschaft mit StillleQuelle: BMWA 2005 lichkeit von Tarifverträgen gungs- oder Verlagerungsprojekten so unter Druck setzen © Hans-Böckler-Stiftung 2005 schützt nicht nur die Arbeit- könnte, dass sie alles unterschreiben – in der Hoffnung, ihren nehmer, sondern auch die eigenen Arbeitsplatz zu retten. Also auch mit einer BelegUnternehmen. Sie müssen sich darauf verlassen können, dass schaftsabstimmung wäre eine gesetzliche Öffnung von Tariftarifgebundene Konkurrenten mit vergleichbaren Personal- verträgen ein zerstörerischer Eingriff in die Koalitionsfreiheit kosten kalkulieren. Aber vor allem kann und darf ein Be- und mit Sicherheit verfassungswidrig. 쑸 triebsrat nicht die Gewerkschaft ersetzen. Eine Betriebsvertretung mit der In fast drei Viertel der Betriebe gelten Tarifverträge Kompetenz, geltendes Tarifrecht zu verändern oder zu BranchenFirmenBranchen- und Firmentarifvertrag Ohne Tarifbindung 29 % verdrängen, wäre nichts andavon Orientierung am Tarif 13 % deres als eine beitragsfreie 6% nein 22% ja 77 % Betriebsgewerkschaft mit 53 % Ohne Tarifbindung Zwangsmitgliedschaft, aber 29 % ohne Arbeitskampfbefugnis. Und wenn es eine Art demokratischer Legitimation durch BelegschaftsabstimQuelle: WSI-Betriebs- und Personalrätebefragung 2004/05 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 mung gäbe? Setzkasten GmbH, Kreuzbergstraße 56, 40489 Düsseldorf Postvertriebsstück, Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 67528 Impressum Herausgeberin: Hans-Böckler-Stiftung Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf, Telefon 02 11 / 77 78-0 Verantwortlicher Geschäftsführer: Dr. Wolfgang Jäger (V.i.S.d.P.) Chefredaktion: Regina Droge; Redaktion: Rainer Jung, Annegret Loges, Karin Rahn, Ernst Schulte-Holtey; Telefon 02 11 / 77 78-229, Fax 02 11 / 77 78-207, E-Mail [email protected]; Druck und Versand: Setzkasten GmbH, Kreuzbergstraße 56, 40489 Düsseldorf Weiter im Netz: Alle Grafiken zum Download, weitergehende Informationen, Links und Quellenangaben www.boecklerimpuls.de Tableau Vielfalt der Tarifwelt Das deutsche Tarifmodell basiert auf Freiwilligkeit und Selbstorganisation. Kein Arbeitgeber ist gezwungen, einen Tarifvertrag abzuschließen. Kein Arbeitnehmer ist gezwungen, einer Gewerkschaft beizutreten und so den Rechtsanspruch auf die tariflichen Leistungen zu erwerben. Der Gesetzgeber sichert den Handelnden „Tarifautonomie“zu. Tarifverträge regeln weit mehr als Lohn und Gehalt, unter anderem: 2004 gab es rund gültige Tarifverträge ➔ in 1500* Tarifbereichen ➔ speziell für über 300 Wirtschaftszweige Arbeitszeit Beschäftigungssicherung Qualifizierung Altersteilzeit ➔ differenziert nach Regionen Urlaub Vermögenswirksame Leistungen Betriebliche Altersvorsorge Chancengleichheit Telearbeit Ausbildungsplatzangebot Integration Jugendlicher ohne Berufsausbildung Vereinbarkeit Familie und Beruf 34.000 Flächentarifverträge** 27.800 Firmentarifverträge durch verlässliche Standards und eine Vielfalt von Gestaltungsmöglichkeiten für Betriebe 476 vom Bundeswirtschaftsministerium für allgemeinverbindlich erklärt *Verbandstarifbereiche für Vergütungen; allgemeine: 1.100 | **auch Branchen- oder Verbandstarife genannt Quelle: BMWA 2005, WSI 2005 | © Hans-Böckler-Stiftung 2005 쑺 TARIFBINDUNG: Tarifverträge bleiben der Anker für die Arbeitsbedingungen. 72 Prozent der Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten sind an Tarifverträge gebunden. Im Westen deutlich mehr als im Osten (73 zu 61 Prozent). WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05 쑺 BENCHMARK: Tarifverträge stützen die Arbeitsbedin- dungen auch für Arbeitnehmer in nicht tarifgebundenen Betrieben: Unternehmen, die rechtlich nicht an Tarifverträge gebunden sind, orientieren sich zu 77 Prozent an deren Inhalten. WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05 쑺 AUSGLIEDERUNG: Wenn Betriebe ausgeliedert werden, läuft selten auch die Tarifbindung aus. In knapp ei- nem Drittel von ihnen gilt die bisherige Tarifbindung weiter, in fast der Hälfte gilt dann ein anderer Tarifvertrag (46 Prozent). WSI-Betriebsrätebefragung 2004/05 쑺 ALLGEMEINVERBINDLICHKEIT: Das Bundeswirtschaftsministerium erklärt immer weniger Tarifverträge für allgemeinverbindlich. 2004 nur noch 476. Im Zuge der deut- schen Vereinigung war die Zahl der für allgemeinverbindlich erklärten Tarifverträge noch stark angestiegen, um die Arbeitsbedingungen in den neuen Ländern einheitlich zu regeln. Solche Tarifverträge gelten auch, wenn der Arbeitgeber nicht tarifgebunden und der Arbeitnehmer nicht in der Gewerkschaft ist. BMWA, Februar 2005 www.boecklerimpuls.de 8 Böckler impuls 11/2005 © Hans-Böckler-Stiftung 2005 61.800 Einkommen