„Theorie und Empirie der Geldnachfrage Eine saisonale Kointegrationsanalyse liquiditätsorientierter Geldmengen“ Zusammenfassung der Dissertation von Klaus Eberl Die Frage nach einer stabilen Geldnachfragebeziehung ist für die Durchführbarkeit einer potenzialorientierten, auf Preisstabilität ausgerichteten Geldpolitik entlang der Vorgabe eines Geldmengenziels von entscheidender Bedeutung und kann nur auf empirischem Wege beantwortet werden. In diesem Zusammenhang spielt vor allem die Wahl einer geeigneten Maßzahl für die Liquiditätshaltung eine zentrale Rolle. Die Geldmenge M3, die der Deutschen Bundesbank als Zwischenzielgröße diente und in erweiterter und europaweit harmonisierter Form auch in der geldpolitischen Strategie der Europäischen Zentralbank einen wichtigen Stellenwert einnimmt, stellt ein breit angelegtes Geldmengenkonzept dar, für das mithin unterstellt wird, dass es die gesamtwirtschaftliche Liquiditätshaltung im wesentlichen beschreibt. Allerdings sind in M3 Komponenten mit offensichtlich unterschiedlichen Liquiditätseigenschaften zu einem Summenaggregat zusammengefasst, was der impliziten Annahme entspricht, dass diese Komponenten perfekte Substitute darstellen. Insbesondere in der Folge von Finanzinnovationen, bei denen bisher unverzinsliche oder nur mit einer niedrigen Verzinsung versehene Einlageformen eine marktnähere Verzinsung erhalten, wird es jedoch bei der Beobachtung eines Summenaggregats zunehmend schwierig, zwischen einem transaktionsrelevanten Liquiditätshaltungsmotiv und einem Sparmotiv in Bezug auf die einzelnen Geldkomponenten zu unterscheiden. Um deshalb zu einer geeigneteren Maßzahl der Liquiditätshaltung zu gelangen, wird von William Barnett das alternative Geldmengenkonzept der sogenannten Divisia Indizes der Geldhaltung vorgeschlagen, bei dem die einzelnen Geldmengenkomponenten gemäß ihrem jeweiligen Liquiditätsgrad zu einer zinsabhängig gewichteten Indexzahl zusammengefasst werden. Die wesentlichen Eigenschaften dieser Divisia Geldmengenindizes werden im ersten Kapitel der Arbeit dargestellt. Divisia Geldmengenindizes basieren auf einer mikroökonomisch fundierten Formulierung der Liquiditätshaltung und ermöglichen eine konsistente Geldmengenaggregation. Das Transaktionsmotiv der Geldhaltung wird im wirtschaftstheoretischen Modell durch einen Liquiditätsnutzen des Geldes abgebildet. Gegeben das intertemporale Einkommen sowie die Opportunitätspreise der Geldhaltung, kann unter der Annahme einer linear homogenen Subnutzenfunktion des Geldes die Veränderung des Liquiditätsnutzens mit Hilfe der Superlativen Divisia Indexzahl approximiert werden. Speziell im Fall der Geldmenge M3 für Deutschland ist die Aggregation durch einen Divisia Index zulässig, da die schwache Separabilität der Geldmengenkomponenten empirisch gewährleistet erscheint. Der Frage nach einer stabilen Geldnachfrage wird in der vorliegenden Arbeit anhand der empirischen Methode der saisonalen Kointegrationsanalyse untersucht. Diese von Hylleberg, Engle, Granger und Yoo vorgeschlagene Methode, welche im zweiten Kapitel der Arbeit vorgestellt wird, ist insbesondere für Geldnachfrageuntersuchungen geeignet, da für die hierbei betrachteten Größen wie Geldmenge, Realeinkommen oder Preisniveau üblicherweise Quartalsdaten herangezogen werden, welche einen deutlich ausgeprägten und nicht rein deterministischen saisonalen Verlauf zeigen und somit potenziell stochastische Saisonalität aufweisen. Diese Methode hat gegenüber der herkömmlichen Kointegrationsanalyse zur nicht saisonalen Frequenz den Vorteil, dass durch die Berücksichtigung der stochastischen Saisonkomponente ein umfassenderes Bild von der Dynamik des Systems entsteht und zudem eine konsistente Interpretation der Ergebnisse im Übergang von saisonbehafteten Quartalsdaten zu deren saisonbereinigten gleitenden Jahresdurchschnitten ermöglicht wird. Außerdem wird vermieden, dass aufgrund einer inadäquat modellierten saisonalen Struktur der Zeitreihen fälschlicherweise eine Instabilität der Geldnachfrage diagnostiziert wird. Die empirische Analyse von Geldnachfragesystemen verfolgt das Ziel, eine langfristig stabile Geldnachfragerelation zu identifizieren. In einem saisonal kointegrierten vektorautoregressiven System werden die langfristigen Gleichgewichtsbeziehungen durch saisonale Kointegrationsrelationen beschrieben, d.h. durch Linearkombinationen der Zeitreihen des Systems, welche zu gewissen saisonalen Frequenzen nicht (mehr) integriert sind. Eine langfristige Gleichgewichtsbeziehung liegt in diesem Kontext nur dann vor, wenn eine Kointegrationsrelation existiert, die zu jeder saisonalen Frequenz kointegriert, da nur eine derartige Relation zu einer stationären Linearkombination der Systemvariablen führt. Eine Geldnachfragerelation, welche ja einen langfristigen und stabilen Zusammenhang repräsentiert, kann also in sinnvoller Weise nur durch eine Kointegrationsbeziehung zu allen saisonalen Frequenzen gegeben sein. Da die kointegrierenden Relationen nicht näher identifiziert sind, muss aus dem Kontinuum aller solcher Kointegrationsrelationen eine Relation ausgewählt werden um eine empirische Geldnachfragebeziehung zu erhalten. Dies geschieht gemäß den theoretischen Vorgaben der Quantitätsgleichung des Geldes, d.h. es werden Preishomogenität und eine Einkommenselastizität von Eins unterstellt. Nach einem Überblick über die einschlägige Literatur im dritten Kapitel wird im vierten Kapitel, dem empirischen Teil der Arbeit, eine Untersuchung der deutschen Geldnachfrage durchgeführt, wobei die Aggregate M3 und Divisia M3 als Maße für die Geldhaltung verwendet werden. Im Rahmen einer saisonalen Kointegrationsanalyse eines vektorautoregressiven Modells der Geldnachfrage werden jeweils ein saisonales Fehlerkorrekturmodell sowohl zu der jeweiligen nominalen als auch realen Geldmenge spezifiziert. Durch einen analogen Modellaufbau wird erreicht, dass die Ergebnisse einander entsprechender Modelle unmittelbar vergleichbar sind. Die einzelnen Modelle werden insbesondere hinsichtlich der Existenz und der Stabilitätseigenschaften einer zu spezifizierenden realen Geldnachfragerelation untersucht. Wie die empirische Analyse zeigt, erlauben die Ergebnisse der saisonalen Kointegrationsanalyse zu den Divisia M3 Modellen - im Gegensatz zu den Ergebnissen bei M3 - die konsistente Formulierung einer realen Geldnachfrage. Diese Ergebnisse werden durch Impuls Antwort Analysen der kurz- bis mittelfristigen Dynamik des jeweiligen Modells bestätigt, wobei sich hier vor allem die besondere Transaktionsrelevanz der Divisia Geldmengen zeigt. Zudem erweist sich die reale Divisia M3 Geldnachfrage im Rahmen von rekursiven Stabilitätstests selbst über den Strukturbruch der deutschen Wiedervereinigung hinweg als stabil. In Bezug auf die Prognosequalität bzgl. des Preisniveaus unterscheiden sich die nominalen Modelle nur marginal. Insgesamt kann für die Divisia M3 Geldmenge die Existenz einer langfristig stabilen realen Geldnachfragerelation konstatiert werden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass ein Divisia M3 Index für Deutschland ein Geldmengenkonzept darstellt, welches eine stabile empirische Geldnachfragebeziehung impliziert. In dieser Hinsicht ist die Geldmenge Divisia M3 eine sinnvolle Alternative zu dem herkömmlichen Summenaggregat M3. Vor dem Hintergrund, dass im Euro-Währungsgebiet verstärkt mit Finanzinnovationen zu rechnen ist, wird die Diskussion über liquiditätsorientierte Geldmengendefinitionen auch auf europäischer Ebene in Zukunft intensiv geführt werden.