Statement von Dr. med. Christoph Straub Vorstandsvorsitzender der BARMER GEK anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung der Publikation „Gesundheitswesen aktuell 2015“ der BARMER GEK am 3. September 2015 in Berlin Die Krankenhausreform rückt das Thema Qualität stärker in das Zentrum der Aufmerksamkeit, was wir seit langer Zeit fordern. Zweifellos geht der Entwurf des Krankenhausstrukturgesetzes in die richtige Richtung. Er enthält viele sinnvolle Lösungsansätze wie Zuschläge für sehr gute Leistungen in Kliniken. Dennoch muss die Krankenhausreform nachgebessert werden. Zudem registrieren wir mit Sorge die Versuche der Bundesländer, den Entwurf im letzten Moment abzuschwächen. Um es deutlich zu sagen, die Reform darf auf keinen Fall verwässert werden, wie es die Bundesländer über zahlreiche Änderungswünsche versuchen. Andernfalls droht die Krankenhausreform die gesteckten Qualitätsziele zu verpassen und finanziell aus dem Ruder zu laufen. So befürchtet der Verband der Ersatzkassen bereits, dass die Reform anstatt 5,4 Milliarden Euro 8 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020 kosten könnte. Vor diesem Hintergrund haben wir drei Kernforderungen. 1) Die Regelungen zur Mengensteuerung sind ein wichtiges Mittel gegen Über- und Fehlversorgung. Sie dürfen nicht verwässert werden. Der nicht zweckgebundene Versorgungszuschlag für alle Kliniken muss, wie geplant, auslaufen. 2) Die Länder müssen die Infrastruktur in den Kliniken stärken. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre eine Investitionsquote von acht bis zehn Prozent erforderlich. 3) Die Qualitätsvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses sollten verbindliche Mindestanforderungen für Kliniken sein, um bestimmte Leistungen abrechnen zu dürfen. Die Wünsche der Länder würden nur Mehrkosten verursachen, ohne dass die Versorgung der Patienten besser würde. Doch genau darum muss es in der Reform gehen. Deshalb fordern wir Nachbesserungen. Welche Schritte für eine konsequente Qualitätssteigerung erforderlich wären, ist ein Schwerpunktthema unserer Publikation „Gesundheitswesen aktuell“, die wir Ihnen heute vorstellen. Dabei haben wir die Krankenhausreform zum Anlass genommen, die Meinungen verschiedener Akteure in einem neuen Format zu präsentieren. Experten aus der Politik, dem Sachverständigenrat im Gesundheitswesen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der BARMER GEK äußern sich erstmals in einem Diskussionskapitel zu Leitfragen der Krankenhausversorgung. Die Publikation verdeutlicht, dass man allein durch Einzelmaßnahmen eine hochwertigere Versorgung der Patienten nicht dauerhaft erreichen kann. Dazu muss man verschiedene Instrumente intelligent kombinieren. Mehr Geld durch Qualitätszuschläge ist gut und richtig. Eine nachhaltig bessere Versorgung im Krankenhaussektor wird aber kaum möglich sein, wenn weiterhin Milliardenlücken bei der Investitionsfinanzierung klaffen. Es ist zudem kontraproduktiv, wenn die Krankenkassen weiterhin für schlechte Leistungen bezahlen müssen. Mehr Qualität wird es kaum geben, wenn Kliniken 2 keine Mindestmengen bei planbaren Leistungen einhalten müssen, bei denen die Qualität von der Menge der erbrachten Leistungen und damit von der Erfahrung und Routine des Arztes beziehungsweise Krankenhauses abhängt. Eine bessere Versorgung, die sich am tatsächlichen Bedarf des Patienten orientiert, wird es kaum geben, wenn zu viele Krankenhäuser dieselben Leistungen in geringer Fallzahl anbieten. Eine qualitativ hochwertige Versorgung darf künftig auch nicht mehr an Sektorengrenzen halt machen. Im Fokus sollte vor allem die Frage stehen, welche Behandlung ist qualitativ gut, und was benötigt der Patient tatsächlich. Dadurch würden die Ausgaben für die stationäre Krankenhausversorgung nicht zwangsläufig steigen. Im Gegenteil, eine stärkere Qualitätsfokussierung kann ein probates Mittel gegen Über- oder Fehlversorgung sein. Wenn Qualität und Patientenwohl stärker im Mittelpunkt des Versorgungsgedankens stehen, wird bei vielen Operationen die Frage offenkundig, ob sie medizinisch notwendig oder ob sie in erster Linie lukrativ für die Kliniken sind. Die Reform kombiniert die verschiedenen Instrumente zur Qualitätssteigerung nicht stringent genug und lässt mögliche andere Optionen außen vor. Nun aber zu unseren Forderungen. Mengensteuerung Mit Sorge verfolgen wir die Änderungsvorschläge der Länder bei der Mengen- und Preissteuerung. Bislang vereinbaren die Kassen mit Kliniken Mehrleistungsabschläge, wenn diese bestimmte Leistungen im Vergleich zum Vorjahr häufiger anbieten. Auf diesem Wege sollen für den Patienten medizinisch nicht notwendige, aber für die Kliniken lukrative Operationen vermieden werden. Der Abschlag für das Jahr 2014 soll nach dem Willen der Länder nur noch für zwei Jahre und der für das Jahr 2015 nur für ein Jahr vereinbart werden. Das lehnen wir ab. Um der Über- und Fehlversorgung entgegenzuwirken, müssen die Anreize für Krankenhäuser, ökonomisch motivierte Leistungen zu erbringen, konsequent abgestellt werden. Finanzielle Abschläge sind dazu ein wichtiges Instrument. Das gilt auch für den Fixkostendegressionsabschlag, der eine geringere Vergütung für zusätzliche erbrachte Leistungen vorsieht und ab dem Jahr 2017 den Mehrleistungsabschlag ersetzen soll. Die Länder wollen neben einer Reihe von Ausnahmen seine Laufzeit von fünf auf drei Jahre verkürzen. Das ist im Bestreben nach mehr bedarfsgerechter Qualität im Krankenhaussektor nicht hilfreich und verursacht höhere Kosten. Außerdem fordern wir, dass der Versorgungszuschlag, den bislang alle Kliniken nach dem Gießkannenprinzip bekommen, wie geplant bis Ende des Jahres 2016 ausläuft. Die Länder sprechen sich vehement dagegen aus. Wir setzen auf eine zweckgebundene Nutzung von Mitteln. Hierzu eignen sich Sicherstellungszuschläge für Klinken, deren Kosten durch Fallpauschalen nicht auskömmlich refinanziert werden, die aber eine bedarfsnotwendige Grundversorgung ermöglichen. 3 Investitionskostenfinanzierung Ohne eine auskömmliche Investitionskostenfinanzierung durch die Länder müssen die Krankenhäuser auf die durch die GKV finanzierten laufenden Betriebsmittel zugreifen, um ihren Investitionsbedarf zu decken. Bisher kommen die Länder ihren Verpflichtungen kaum mehr nach. Binnen 20 Jahren ist die Investitionsquote von neun auf weniger als vier Prozent gesunken. Derzeit liegt der jährliche Investitionsbedarf der Krankenhäuser bei 5,3 Milliarden Euro, ohne Universitätskliniken. Die Länder finanzieren aber nur 2,7 Milliarden Euro. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht wäre eine Investitionsquote von acht bis zehn Prozent erforderlich. Der Gesetzentwurf sieht als einzigen Reformansatz bei der Investitionsfinanzierung den Strukturfonds vor. Er soll genutzt werden, um Überkapazitäten abzubauen und Konzentrationsprozesse im Kliniksektor anzustoßen. Der Fonds kann dazu beitragen, die Versorgung der Patienten qualitativ zu verbessern, das eigentliche Problem in der Investitionsfinanzierung durch die Länder löst er aber nicht. Qualitätszu- und -abschläge Um die Qualität in Kliniken zu steigern, sind Zuschläge für besonders gute Leistungen sinnvoll. Im Gegensatz dazu sind Abschläge der falsche Weg. Schlechte Qualität unterhalb von Mindeststandards sollte überhaupt nicht vergütet werden. Das wäre ein echter Schritt hin zu mehr Patientensicherheit. Grundsätzlich sollten nur die Krankenhäuser, die die Mindestanforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) erfüllen, zur Leistungserbringung zugelassen werden. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass bestimmte Leistungen oder Abteilungen vom Versorgungsauftrag ausgenommen werden müssen, wenn eine Klinik die Qualitätsvorgaben dauerhaft unterläuft. Wo und in welchem Umfang stationäre Leistungen erbracht werden, darüber muss in Zukunft die Qualität entscheiden. Dies impliziert, dass die Krankenhäuser Mindestmengen erfüllen müssen, um bestimmte planbare Leistungen erbringen zu dürfen. Gerade bei hoch komplexen Operationen benötigt ein Operationsteam Erfahrung und Routine. Die Länder sollten verpflichtet sein, die Qualitätsvorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses verbindlich in ihre Krankenhausplanung aufzunehmen. Weil das nicht der Fall ist, könnte es bundesweit zu unterschiedlichen Qualitätsanforderungen kommen. Es ist kontraproduktiv, wenn Länder durch Landesrecht Qualitätsvorgaben ausschließen oder einschränken können. Natürlich ist uns klar, dass einige unserer Überlegungen in die Hoheit der Länder eingreifen. Aber wenn wir statt unkoordinierter Einzelmaßnahmen heute schon verfügbare und neue Instrumente intelligent miteinander kombinieren wollen, sollte dies im Sinne des Patientenwohls einheitlich geschehen. 4