Aufnahme und Rehabilitation von hilfsbedürftigen Wildgreifvögeln

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Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
Klinik für Heimtiere, Reptilien, Zier-und Wildvögel
Aufnahme und Rehabilitation von aufgefundenen Greifvögeln und
Eulen unter den Ansprüchen des Tierschutzes
Norbert Kummerfeld
Einleitung
Eine erfolgreiche Wiederauswilderung der in Wildtier- und Vogelpflegestationen oder
vergleichbaren Einrichtungen abgegeben und aufgenommen Greifvögel und Eulen erscheint
als einziges sinnvolles Ziel dieser Arbeit gerechtfertigt und ist für Deutschland entsprechend
im Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG , März 2010) auch so vorgesehen (ISENBÜGEL
1988; RICHTER u. HARTMANN 1993, LIERZ et al. 2010). Eine langfristige oder sogar
dauerhafte Haltung nicht mehr wildbahnfähiger Vögel ist aus Sicht des Tierschutzes
(deutsches TSchG § 1 u. 2) nur im Rahmen von (zeitlich begrenzten) Naturschutzprojekten
oder in speziell ausgesuchten Einzelfällen in Einrichtungen zur Volksbildung mit
entsprechender tiergerechter Unterbringung zu verantworten (und aus „vernünftigem Grund“
genehmigungsfähig) (KUMMERFELD et al 2005; LIERZ et al 2010). Eine entsprechende
Entscheidung über die eingelieferten Vögel zur Wildbahnfähigkeit ist mit ausreichender
Sicherheit nur nach einer fachgerechten klinischen Untersuchung möglich, die der
Stationstierarzt durchführen sollte (KUMMERFELD et al. 2005). Die seit März 2010 gültige
Neuregelung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatschG § 42 Abs. 3 Nr. 2) sieht folgerichtig
die Betreuung der Wildvögel auch in Pflegestationen durch einen Tierarzt vor und war aus
Sicht des praktizierten Tierschutzes als notwendige Konsequenz gerechtfertigt (LIERZ et. al.
2010).
Als wildbahnfähig können zur Rehabilitation vorgesehene Greifvögel und Eulen
grundsätzlich nur dann gelten, wenn sie ein unversehrtes Federkleid tragen sowie in sehr guter
Konstitution zum erfolgreichen Beuteflug befähigt sind (ISENBÜGEL 1988, RICHTER u.
HARTMANN 1993), womit dann auch § 3, 4 TSchG als erfüllt gelten kann. Voraussetzung
für ein erfolgreiches Beutefangverhalten sind sowohl das uneingeschränkte Flugvermögen
und die vollständige Funktion der Fänge sowie des Schnabels als auch ein nicht
beeinträchtigtes und leistungsfähiges Sensorium (Augen, Ohren, Geruch ?) zur Auffindung
der Beutetiere. Während der ersten klinischen Aufnahmeuntersuchung dürfen sich deshalb
anhand der erhobenen Befunde keine Zweifel daran ergeben, dass die anschließende
tierärztliche Behandlung und stationäre Pflege/Haltung(sdauer) nicht zur vollständigen
Wiederherstellung führen könnte. Nach der Aufnahme in eine Pflegestation/-Maßnahme
sollten die Wildgreifvögel ebenso wie die Eulen weiterhin fortlaufend unter einer
begleitenden strengen Triage im Hinblick auf die Entwicklung ihrer Wildbahnfähigkeit stehen
(KUMMERFELD et al. 2005). Die von NEUBECK 2009 telemetrisch nach ihrer
Auswilderung individuell begleiteten Mäusebussarde und Habichte zeigen die mit ihrer
Freilassung zu überwindenden hohen Anforderungen der Wildbahn (wie Wanderungen,
Habitatsuche, Beuteerwerb) eindrucksvoll und lassen keine Zweifel an der Forderung einer
100 %igen Fitness für solche Vögel aufkommen.
Die Aufnahmeuntersuchung mit Kategorisierung in A, B oder C zur besseren
Auswilderungs-Prognostik
Gemeinsames Leitsymptom der in der Wildbahn aufgefundenen Greifvögel und Eulen ist die
Flugunfähigkeit, die sowohl als perakutes (sehr guter Bemuskelungszustand) als auch schon
subchronisches Krankheitsbild (meist kachektische Vögel mit Abnutzungsmängeln an
Klauenhorn, Stoß- und Schwungfedern) vorliegen kann. Die Liste möglicher dafür
verantwortlicher Ursachen ist aber vielgestaltig und lang.
Die Anamnese, soweit der Finder/Überbringer überhaupt eine konkrete Auskunft zum
jeweiligen Fall geben kann, wird sich insbesondere auf die näheren Umstände (z.B. Waldkauz
nach Unfall mit einem Auto), die Jahreszeit (z.B. Mäusebussard mit Atemnot im
Frühsommer) und den Fundort (z.B. Sperber vor dem Terrassenfenster) konzentrieren müssen.
Die Adresse des jeweiligen Überbringers/Finders sollte in einem Protokoll/Krankenblatt
festgehalten werden, damit gegebenenfalls Auskunft gegenüber Behörden zur Herkunft der
besonders geschützten oder dem Jagdrecht unterliegenden Vögel erteilt werden kann und
Nachfragen möglich bleiben. Daneben sind natürlich auch Auskünfte zur Krankengeschichte
und Vorversorgung (vor allem Überweisungspatienten, Fälle aus Tierheimen oder
Vogelpflegestationen o.ä.) für Diagnostik und Prognostik hilfreich. Schließlich wird für die
Einschätzung der Wildbahnfähigkeit allgemein neben der betroffenen Spezies noch das Alter
zu berücksichtigen sein. Aus den Ursachen für die Hilfsbedürftigkeit der Findlinge lassen sich
nach RICHTER u. HARTMANN (1993) mehrere Gruppen bilden, dazu zählen u.a. (noch)
nicht flügge Jungvögel, Schwächung durch Wasser-/Nahrungsmangel und/oder Infektionen,
Unfallfolgen (Traumen) sowie auch andere Noxen (incl. Stromschlag oder Vergiftungen) oder
misslungene Handaufzuchten. Die systematische klinische Untersuchung wird vor allem
solche Ursachenkomplexe besonders berücksichtigen müssen, ihr Ablauf wird detailliert von
ISENBÜGEL (1988) sowie KORBEL (2003) beschrieben.
Flugunfähigkeit betrifft naturgegeben zunächst alle jungen Vögel, die als Nesthocker
(Nestlinge oder Ästlinge) noch nicht das Fliegen erlernt haben. Solche Jungvögel können sich
tatsächlich bei ersten Flugversuchen an Hindernissen leicht verletzen – ebenso häufig werden
aber insbesondere gesunde und nur vermeintlich verlassene/kranke Eulen-Ästlinge während
einer Kletterpartie zum Waldboden eingesammelt. Die klinische Untersuchung ggf. mit
Röntgen schafft schnell Klarheit über deren konkreten Zustand. Bei der weiteren Planung
sollte dann die elternlose Handaufzucht in einer Station, die wegen einer Gefahr der
Fehlprägung für die spätere Wildbahnfähigkeit nicht günstig ist, immer nur die letzte Option
sein und hinter jeder Methode einer „hands-off“- Haltung (z.B. Wildflug, Adoption)
zurückstehen (ISENBÜGEL 1988; LIERZ et al. 2005). Gut ernährte Jungvögel ohne offene
Wunden oder Frakturen sind i.d.R. kurzzeitig (z.B. im Wildflug oder besser zurück in den
eigenen Horst) auswilderungsfähig – hingegen führen massive Abmagerung und/oder schwere
Verletzungen / offene Frakturen meistens zur infausten Prognose. Es ist dabei immer zu
berücksichtigen, dass es auch bei Greifvögeln und Eulen eine natürliche Selektion gibt/geben
muß.
Während die Klinik bei Jungvögeln zu relativ klaren Beurteilungen (ja / nein) verhilft, macht
es Sinn, bei den flugunfähigen adulten Greifvögeln und Eulen 3 Bewertungsgruppen für die
Prognostik zu bilden: A. wildbahnfähige Vögel, B. zweifelhafte Vögel (vielleicht
wildbahnfähig) und C. sicher infauste/aussichtslose Fälle (zweifellos nicht mehr zur
Auswilderung geeignete Vögel) (KUMMERFELD et al. 2005).
Lauten die Befunde der klinischen Untersuchung adulter Greifvögel oder Eulen in frostfreien
Monaten bei gutem EZ lediglich auf oberflächliche Haut – oder Muskelverletzungen, zählen
diese Vögel zur Gruppe A. Ebenso sind mäßig ernährte Vögel im Winter zu bewerten, die ihre
Flugunfähigkeit nur einer Hunger/Schwächephase aufgrund eines vielleicht nur lokalen
Futtermangels (z.B. Mäuse unter hohem Schnee) zu verdanken haben und in der Pflege
schnell wieder zu Kräften kommen. Bei der Prognose kann die Ermittlung des HTK helfen,
eine Auswilderung unter 40 (35) % sollte ausgeschlossen sein. Bei Werten unter 20 %, liegt
ein zweifelhafter Fall (Gruppe B) vor. In die Gruppe A können auch noch solche Vögel
eingeordnet werden, die adspektorisch sichtbar, vermutlich durch einen Hindernisanflug nur
einige große Schwungfedern verloren haben, die gut zu ersetzen sind (Schiften).
Die Kriterien für die Gruppe B lassen sich ebenfalls überwiegend durch einfache klinische
Untersuchungen festzustellen. Der Befund zentralnervöser Störungen (ZNS) wird sich dabei
häufig ergeben, ausgelöst durch ein leichtes Schädeltrauma nach einer Kollision. Nach
spätestens 48 Stunden sollte das Tier jedoch wieder symptomfrei sein, um als sofort
auswilderungsfähig zu gelten. Auch akute, einfache und möglichst gedeckte Schaftfrakturen
einzelner Knochen der Gliedmaßen (Ausnahme: Humerus) können i.d.R. optimal versorgt
werden und in vertretbarer Zeit ohne funktionelle Mängel ausheilen. Zeigt der Röntgenbefund
jedoch Trümmer, die Beteiligung von Gelenken oder totale Luxationen bleibt die Prognose
zunächst zweifelhaft ebenso wie bei älteren offenen Frakturen bzw. tiefen infizierten älteren
Wunden (ggf. mit Gasbildung). Auch bei Verletzungen durch einen Schrot- oder
Kugelbeschuss muß eine Röntgendiagnose die speziellen Befunde liefern, die erst die
Bewertung für den Einzelvogel zulassen. Zur zweifelhaften Gruppe B zählen außerdem Ektound Endoparasitosen (z.B. durch Zecken, Federlinge, Kokzidien, Luftröhren-, Haar- oder
Spulwürmer). Ein geringer Befall mit diesen Parasiten ist bei Wildvögeln klinisch ohne
Relevanz für Einschränkungen. Bei den massiv befallenen und dadurch geschwächten Vögeln
sollte die Untersuchung aber neben der eigentlichen Parasitose zusätzlich die Ursache(n) für
die massive Parasitenvermehrung klären. Nur damit ist eine sichere Prognose möglich bzw.
eine entsprechende Therapie erst sinnvoll. Besteht dagegen der Verdacht auf eine Intoxikation
(Feldvergiftung oder Vorsatz), muß zunächst das Gift gefunden/identifiziert werden, bevor
weitergehende Entscheidungen möglich sind.
Die Grenze zur infausten Prognose der Gruppe C wird schleichend überschritten, wenn
traumatisch bedingt essentielle Körper-/Gliedmaßenteile (z.B. Ober-/Unterschnabel, Handoder Fingerknochen, Patagium, Unterschenkel, Atz- und Fangklauen) vollständig
ein/abgerissen oder schwer zerquetscht sind (KUMMERFELD et al. 2005). Als zweifelhaft
müssen prognostisch auch Greifvögel (betroffen sind neben Eulen insbesondere Bussarde und
Milane) gelten, die im näheren Bereich, unter oder neben Energieleitungen (wie von
Bundesbahn, S-Bahn, Mittelspannungsanlagen in Ortsnähe) gefunden werden. Zeigt die
Adspektion hier an Kopf/Schnabel und/oder den peripheren Gliedmaßenanteilen
punktförmige Verbrennungen / Bläschen, dann besteht bei diesen Vögeln ein Verdacht auf
Stromschlag mit nachfolgend zu erwartenden umfangreichen Gewebsnekrosen
(KUMMERFELD 2005). Ebenfalls in Gruppe C müssen schließlich Greifvögel und Eulen
eingeordnet werden, wenn sie massiv traumatisierte Sinnesorgane (insbesondere Augen und
Ohren/Gleichgewichtssinn) zeigen, deren vollständige Ausheilung nicht zu erwarten ist
(KORBEL 2003).
Ergeben Klinik und ergänzende Laboruntersuchungen nach ihrem Abschluss bei
geschwächten Vögeln Tumoren (Biopsie) oder mykotische, bakterielle (z.B. Aspergillose,
Salmonellose, Mykobakteriose, Rotlauf, Tetanus, Botulismus) sowie seltener virusbedingte
Infektionen (z.B. Herpes, PMV, AIV) als Ursache, wird für die anfangs vielleicht noch
zweifelhaften Fällen in der Regel ebenfalls eine infauste Prognose zu stellen sein
(KUMMERFELD et al. 1996 und 2005; THOMAS et al. 2007). Tumoren und
Infektionserkrankungen können bei Wildvögeln im Allgemeinen biologisch als Mechanismus
der natürlichen Selektion verstanden werden und sollten deshalb keine Indikation für
chirurgische, antibiotische/-mykotische Behandlungen darstellen. Indiziert ist bei allen
Vögeln der Katagorie C dann ausschließlich die zeitnahe Euthanasie, um die Tiere vor
längeren Schmerzen und Leiden zu bewahren (KUMMERFELD 2006).
Betroffene Greifvögel als Endglied der Nahrungskette mit eindeutiger Diagnose einer z.B.
massiven erregerbedingten Schwächung durch prädisponierende Faktoren aus ihrem Umfeld
könnten vielmehr als Umweltindikatoren begriffen und sollten als Aufhänger für
Sanierungsstrategien (z.B. gegen Umweltgifte, Gewässerverunreinigung, Mängeln an
Deponien) genutzt werden.
Bewertungspraxis mit Hilfe der unterschiedlichen Kategorien anhand von Beispielen zu
fraglichen Fällen
Während die prognostische Bewertung hilfsbedürftig gefundener Greifvögel und Eulen der
Gruppen A und C relativ einfach und nachvollziehbar klar erscheint, stellen die „unklaren“
Tiere aus Gruppe B den Tierarzt häufiger vor eine schwierige und zugleich
verantwortungsvolle Aufgabe. Es darf einerseits der Vogel nicht vorschnell (seine bequeme
Entledigung sollte sich keinesfalls als Verdacht aufdrängen) eingeschläfert werden,
andererseits darf aber die Behandlung der hilfsbedürftigen Greifvögel und Eulen selbst auf
keinen Fall deren Leidensweg unnötig in die Länge ziehen (sie werden „zu Tode“ gepflegt).
Im Sommer wird beispielsweise ein mäßig abgekommener Uhu aufgefunden, der im Bereich
des Rachendaches weißliche nekrotische Knötchen zeigt. Stellen sich diese Knötchen als
Trichomonaden heraus (Abstrich als Nativuntersuchung), könnte sich der Uhu bei
Beutetieren, z.B. Brief-/ Stadttauben, direkt infiziert haben und wäre nach einer gezielten
Therapie mit Antiflagellata in spätestens 2 Wochen auswilderungsfähig (A). Gehen die
Knötchen jedoch auf eine Eulenherpesinfektion (HSiSV) zurück, ist dieser Vogel zu
euthanasieren (C). Auch für den adulten Mäusebussard, der im mäßigen Ernährungszustand
im Dezember im Streckkrampf abseits einer Bundesstrasse gefunden wird, gibt es zunächst
mindestens zwei Optionen. Werden keine weiteren Verletzungen außer einigen Schürfwunden
gefunden, könnte es sich um eine Commotio cerebri handeln und der Vogel wird ggf. nach
einmaliger i.m. Gabe eines Hydrocortisons 48 Stunden später wieder ausgewildert. Er könnte
aber auch von einem Nahrungskonkurrenten durch einen nicht mehr sichtbaren Klauenstich
mit Tetanus infiziert worden sein und ist dann möglichst kurzfristig zu erlösen (ISENBÜGEL
u. RÜBEL 1987).
Alter und Konstitution von aufgefundenen Greifvögeln spielen besonders dann eine
wesentliche Rolle, wenn im Herbst die Opfer eines Verkehrunfalls beim Tierarzt vorgestellt
werden. Handelt es sich bei dem angefahrenen Tier z.B. um einen gut ernährten adulten
Bussard, ist die Situation als Unglücksfall im eigenen Nahrungsbiotop dieses Tieres zu
interpretieren. Wenn aufgrund der festgestellten Verletzungen/Frakturen eine Möglichkeit der
erfolgreichen Behandlung besteht, ist diese sehr sinnvoll, da der Vogel an gleicher Stelle
ausgewildert (vermutlich ?) gute Überlebenschancen in der ihm vertrauten Wildbahn hat. Ist
das Opfer aber eine abgemagerter Jungvogel, der ohne eigenes Jagdrevier schon bisher
erfolglos auf der Suche nach Beute/Aas mit dem Fahrzeug kollidierte, fällt die Triage eher
vorsichtig aus. Dieser junge Greifvogel hatte offenbar bereits als unverletztes Tier geringe
Überlebenschancen gegenüber der arteigenen Konkurrenz – weshalb sollten sich ihm nach
einer chirurgischen Therapie und anschließenden längeren Pflegezeit in einer Station
tatsächlich bessere Möglichkeiten bieten? Wenn zusätzlich auch nur geringe
Beeinträchtigungen am Großgefieder oder der Knochenheilung zurückbleiben, ist diese Frage
sicher zu verneinen bzw. sollte sie bei seiner Aufnahme schon sehr kritisch gestellt werden.
Schwierigkeiten anderer Art kann die Triage bereiten, wenn beispielsweise Turmfalken
flugunfähig im Bereich einer Bahntrasse gefunden wurden oder das Ziel eines
Luftgewehrschützen im Stadtpark waren. Die Isolatoren zwischen Mast und den Strom
führenden Aufhängungen der Kabel bei den Oberleitungen sind so kurz, dass selbst die
Spannweite eines Falken einen Kurzschluß auslösen kann. Dieser Stromschlag kann sofort
tödlich sein, es gibt aber auch die Fälle, bei denen man zunächst fast nichts oder nur bei
gezielter Betrachtung punktförmige Blitzmarken sieht. Hier stellt sich nach wenigen (zunächst
hoffnungsvollen) Tagen zunächst ein Ödem ein bevor die betroffenen Extremitätenabschnitte
absterben (mumifizieren) (KUMMERFELD 2005). Ein echter Behandlungserfolg ist in fast
keinem solcher Fälle zu erwarten und daher sollten diese Vögel umgehend der Gruppe C
zugewiesen werden. Nach einem Treffer mit einem Diabolo-Projektil aus einem Luftgewehr
muß die Lage etwas differenzierter gesehen werden. Sofern nur Muskelwunden oder frische
Radius- oder Ulnafrakturen vorliegen, kann die Triage nach Wundbehandlung und/oder
Osteosynthese positiv ausfallen (A oder B). Das Projektil sollte aber vollständig entfernt und
der Schusskanal gespült werden können. Müssen dagegen Weichbleireste im gut
durchbluteten Gewebe dieses Vogels verbleiben, kommt es zur chronischen Bleivergiftung
und dies schließt die spätere Wildbahnfähigkeit aus (GRIMM u. KÖSTERS 1982).
Zweifelhaft erscheinen schließlich auch noch hilfsbedürftige Greifvögel und Eulen, die mit
Verletzungen der Augen vorgestellt werden. Auf innere Verletzungen wie z.B. Risse des
Pectems oder Linsenluxationen hin müssen grundsätzlich alle traumatisierten Vögel
untersucht werden, da solche Befunde den Ausgang der Triage wesentlich beeinflussen
können (KORBEL 2003). Ohne jeden Zweifel schließt der Ausfall eines Auges bei
Greifvögeln eine spätere Wildbahnfähigkeit aus, Orientierung und erfolgreicher Beuteflug
sind allgemein nicht mehr gewährleistet. Nach Einzelbeobachtungen in der Wildbahn und in
Flugvolieren scheinen einäugige Eulen in der Dämmerung durch das Gehör unterstützt zwar
tatsächlich Beutetiere (wie Mäuse) schlagen zu können, generell sollten aber dennoch auch
die Eulen bei erheblich eingeschränkter Sehleistung/Verlust eines Auges sehr kritisch
hinsichtlicht ihrer längerfristigen Wildbahnfähigkeit beurteilt werden (B oder C).
Rehabilitation und Wiederauswilderung
Alle hilfsbedürftigen Greifvögel und Eulen (abgesehen von den unsinnig der Wildbahn als
Ästlinge entnommenen gesunden Jungvögeln), die nach der klinischen
Aufnahmeuntersuchung den Gruppen A und B zugeordnet werden, sollten mit
Notfallmaßnahmen versorgt werden. Es besteht dabei die Präferenz von zuerst Flüssigkeit
(p.o. oder s.c.), dann Wärme und schließlich artgemäßes leicht verdauliches Futter (KORBEL
2003). Nach dieser Stabilisierung können dann die gezielten notwendigen tierärztlichen
Maßnahmen durchgeführt werden (ISENBÜGEL 1988). Übergeordnet muß dabei bedacht
werden, dass unabhängig vom Behandlungserfolg während der gesamten folgender Pflegezeit
für den wildbahnfähigen Zustand des Federkleides, insbesondere der Schwung- und
Schwanz(Stoß)federn, Sorge zu tragen ist. Der Stoß sollte dazu in eine stabile Scheide z.B.
aus alten Röntgenfilmen verpackt werden (KUMMERFELD et al. 2005). Eine Rehabilitation
und Auswilderung mit defektem Gefieder verbietet sich in jedem Fall. Die Unterbringung der
versorgten Vögel muß nachfolgend sicher stellen, dass sich diese weder aufgeschreckt durch
panikartiges Anfliegen an Gitter oder Draht selbst verletzen noch von Beutegreifern (z.B.
Fuchs, Marder, Habicht) erfasst oder durch kontaminierte „Einstreu“ aufgrund von
Infektionen (z.B. Aspergillose, Kokzidiose) zusätzlich geschwächt werden können. Für den
Bau geeigneter Rehabilitationsvolieren gibt es kompetente aktuelle Literatur, generell ist bei
deren Bau auf glatte und möglichst geschlossene Wandkonstruktionen wie auch auf eine gute
Lüftung und den Kontakt zu realen Klimabedingungen zu achten (LIERZ et. al 2010). Als
allgemeine Maxime der Rehabilitation bei Greifvögeln und Eulen sollte gelten, dass der
Zeitraum in menschlicher Obhut/Umgebung so kurz wie irgend möglich zu gestalten ist, die
spätere Überlebenschance in der Wildbahn verhält sich eher umgekehrt proportional zur
Pflegedauer (die konkrete Entscheidung muß jedoch am Einzelfall getroffen werden!). Junge
Greifvögel (und Eulen?) durchlaufen während der Zeit zwischen der 6. bis 9. Lebenswoche
eine Prägephase, in welcher der die Rehabilitation betreuende Mensch dann nicht als
Bezugswesen auftreten darf, wenn spätere Verhaltensstörungen vermieden werden sollen
(ISENBÜGEL 1988). Für die Konditionierung auf die Anforderungen der Wildbahn und
gleichzeitig zur „sanften“ Auswilderung von Jungvögeln haben sich die Adoption
(insbesondere Eulen) wie auch die Wildflugmethode am Kunsthorst bewährt (LIERZ et al.
2005). Die Auswilderung längere Zeit gepflegter adulter Greifvögel oder Eulen setzt eine
gezielte Rehabilitation zur wildbahngerechten Konditionierung voraus, die auf bewährte
Trainingsmethoden der Falknerei (z.B. Leinentraining, Vertical jumping,
Federspiel oder Schleppe) zurückgreifen kann (RICHTER u. HARTMANN 1993; LIERZ et
al. 2005). Bei großen Eulen (vor allem Uhus) kann in Flugvolieren das erfolgreiche
Beutefangverhalten mit einer Schleppe überprüft werden, für kleinere Eule ist eher eine
Mäusewanne geeignet. Die Trainingsziele in der Rehabilitation sollten sich an den
Untersuchungsergebnissen von NEUBECK 2009 orientieren und eine entsprechende
Konstitution sicherstellen, die es den ausgewilderten Vögeln erlaubt, mehrere (mindestens bis
zu 3) Tage ohne Beute auszukommen um weitere Strecken (> 100 km) vor dem ersten
möglichen Jagdflug zu überwinden.
Zusammenfassung
„Flugunfähigkeit“ vereinigt als im Vordergrund stehendes Leitsymptom aller hilfsbedürftig
aufgefundenen Greifvögel und Eulen ein sehr weites Spektrum an möglichen Ursachen.
Deren klinische und labormedizinische Diagnostik erfordert ein hohes Maß an tierärztlicher
und biologischer Erfahrung und Kompetenz. Eine amtliche Überprüfung von
Wildvogelpflegestationen müßte deshalb auch die Gewährleistung der fachgerechten
tierärztlichen Betreuung erfassen (z,B. Betreuungsverträge). Unter dem Anspruch einer
bestmöglichen Prognose im Sinne einer späteren uneingeschränkten Wildbahnfähigkeit
sollten aber alle Möglichkeiten moderner Tiermedizin genutzt werden, ohne dass Behandlung
und Pflege selbst zum unnötigen Leiden führen. Eine tierschutzgemäße Aufnahme und
Prognostik von hilfsbedürftigen Wildgreifvögeln und Eulen wird erleichtert, wenn man die
Vögel in 3 Kategorien (A = wildbahnfähig, B = zweifelhaft, C = sicher nicht wildbahnfähig)
einordnet. Dazu ist jedoch eine kompetente (fach)tierärztliche Untersuchung und Begleitung
der Vögel in den Pflegestationen erforderlich. Nach Abschluß einer Behandlung ist die
sachgerechte Rehabilitation und aktuelle Leistungsbewertung vor der Auswilderung
unerlässlich, für ausführende verantwortliche Personen wäre daher ein Falknerschein oder
eine Ausbildung /Examinierung auf entsprechendem Niveau als Leistungsnachweis dringend
erforderlich.
Eine Wiederauswilderung von Greifvögeln oder Eulen mit Mängeln am Federkleid sowie
ohne Kontrolle ihrer Fähigkeit zum erfolgreichen Beuteflug und ohne Energie(Fett)reserven
zur Überbrückung einer längeren Hungerzeit muß als tierschutzwidrig im Sinne § 3 TSchG
bewertet werden.
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Anschrift des Verfassers:
Priv- Doz. Dr. med. vet. Norbert Kummerfeld
Tierärztliche Hochschule Hannover
Klinik f. Heimtiere, Reptilien,
Zier- u. Wildvögel
Bünteweg 9
30559 Hannover
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