Manager-Handeln nach der systemtheoretisch

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Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer*
Managerhandeln – nach der
systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende**
Entscheidung; Intervention; Kommunikation; Management;
Neue Systemtheorie
trale Elemente des Handelns von Managern –
Analyse interner und externer Umwelt, Leitung – sich aus systemtheoretisch-konstruktivistischer Perspektive verändern. Er plädiert für ein verändertes Verständnis der
Ausformung und Funktion von Managerhandeln in Organisationen und skizziert Möglichkeiten und Grenzen einer solchen Konzeption.
H. Kasper
W. Mayrhofer
Theoretische Entwicklungen in den Bereichen der sozialwissenschaftlichen (›neueren‹)
Systemtheorie und des Konstruktivismus und
ihre zunehmende organisationstheoretische
Rezeption legen es nahe, auch Managerhandeln aus diesen Perspektiven zu diskutieren.
Der vorliegende Beitrag zeigt auf, wie zen-
* Prof. Dr. Helmut Kasper, Leiter der Abteilung für
Allgemeine Betriebswirtschaftslehre/Personal, Führung und Organisation; Prof. Dr. Wolfgang Mayrhofer,
Leiter der Interdisziplinären Abteilung für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes Management; Dr. Michael Meyer, Assistent an der Interdisziplinären Abteilung für Verhaltenswissenschaftlich Orientiertes
Management, alle Wirtschaftsuniversität Wien, Augasse 2–6, A-1090 Wien.
** Wir danken unseren Kollegen, Herrn Prof. Dr.
Werner Nienhüser, Universität-GH-Essen, und a. o.
Univ. Prof. Dietmar Rössl, Wirtschaftsuniversität Wien,
für kritische und hilfreiche Anregungen.
DBW 58 (1998) 5
1.
Problemstellung und
Ausgangsüberlegungen
Management ist wichtig für Organisationen,
und Manager [1] sind es auch – trotz ihrer Nähe
zur Trivialität ist diese Aussage der Ausgangspunkt unserer Analyse. In die Nähe der Trivialität rückt sie deswegen, weil es zu den wohl
weithin akzeptierten Einsichten gehört, daß
Management, verstanden sowohl im funktionalen Sinn als die in arbeitsteiligen Organisationen entstehenden Prozesse und Funktionen
(z. B. Planung, Führung, Kontrolle) als auch im
institutionalen Sinn als Personen bzw. Personengruppen im Zusammenhang mit diesen Prozessen und Funktionen [2], zentraler Teil des
Geschehens in Organisationen und seiner Analyse ist [3]. Ausgangspunkt unserer Analyse ist
diese Aussage allerdings deswegen, da zentrale
Felder des Managements im Lichte jüngerer
theoretischer Entwicklungen neu zu bewerten
sind. Das gilt es näher zu erläutern.
Die von der einschlägigen Literatur als Kern603
Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer
gebiete des Managements bezeichneten Felder
enthalten – oft an zentraler Stelle – regelmäßig
›Information‹ und ›Entscheidung‹ [4]. Auf dem
Gebiet der Information wird dem Management
eine Schlüsselrolle bezüglich der Sammlung,
Verarbeitung und Weitergabe von Informationen im Hinblick auf interne und externe Beobachtungsfelder und Adressaten zugewiesen.
Gleichfalls zentral mit Management verbunden
sind Entscheidungen. Managen heißt (auch)
entscheiden, d. h. Willensbildung und Willensdurchsetzung nach vorhandenen Vorstellungen
zu formen. Planung, Realisation und Kontrolle
von Entscheidungen in wichtigen organisationalen Teilgebieten unterliegen so direkt oder
indirekt dem Management [5]. Auf den offensichtlich engen gegenseitigen Zusammenhang
zwischen Information und Entscheidung sei
hier lediglich hingewiesen [6]. Bedeutsame
theoretische Entwicklungen der jüngeren Zeit
in den Feldern ›Konstruktivismus‹ und ›Neuere
Systemtheorie‹ legen es nahe, an das tradierte
Wissen vom Management insbesondere in den
Bereichen Information und Entscheidung neue
Fragen zu stellen und damit die Chance für
neue Einsichten und Gestaltungsmöglichkeiten
zu eröffnen.
Die implizite Grundannahme für den Umgang
mit Informationen durch das Management ist
üblicherweise, daß Informationen grundsätzlich
›da‹, verfügbar und auswertbar sind. Zwar wird
– die oft ausgefeilten Instrumente zur Informationssammlung, -verarbeitung und -weitergabe
belegen dies – nicht davon ausgegangen, daß
der Zugang einfach ist. Nichtsdestotrotz gilt: Informationen sind als externe Qualität per se
vorhanden, gleichsam ein (Produktions-)Faktor,
der – ähnlich anderen Produktionsfaktoren wie
Rohstoffen, Maschinen, Menschen – objektiv
existiert [7]. Aus konstruktivistischer Sicht wird
eine andere Position eingenommen. Informationen existieren nicht an sich, sondern werden
im Zug des Beobachtens vom Beobachter (und
nur von ihm) erzeugt. Information ist nicht
›draußen‹ und muß gesammelt werden, sondern wird ›in-formiert‹, im ›Inneren‹ geformt
und erzeugt. Damit aber ergeben sich an die
Managementaufgabe ›Information‹ neue Fragen wie etwa: Nach welchen Regeln werden
Informationen konstruiert – und nicht mehr:
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Wie werden Informationen gesammelt? Wie
werden Informationen über Informationen gebildet – und nicht mehr: Wie werden Informationen – möglichst gut – übertragen?
Die Auseinandersetzung mit dem Managementbereich Entscheidung setzt üblicherweise
die mögliche Beeinflußbarkeit von Organisationen voraus. Vor dem Hintergrund einer sich
praktisch-normativ verstehenden Betriebswirtschaftslehre ist das in gleichem Maß zentral wie
wenig verwunderlich: Manager sollen und können Organisationen mit Hilfe unterschiedlicher
Instrumente und in Richtung auf unterschiedliche Maßgrößen steuern [8]. Diese Steuerung
ist -auch hier legt die Zahl existierender Management- und Führungskonzeptionen, -instrumente und -modelle beredtes Zeugnis ab – zwar
schwierig, aber möglich: Als (Wirtschafts-)Kapitäne sind Manager in der Lage, ihr (Unternehmens-)Schiff zum gewünschten Ziel zu steuern.
Aus der Sicht der sozialwissenschaftlichen Systemtheorie wird eine andere Position eingenommen. Die Vorstellung von Organisationen
als nicht mehr offenen, sondern in den Basisprozessen geschlossenen sozialen Systemen
ohne unmittelbaren Kontakt zur Umwelt und
die Ansiedlung von Personen und damit auch
Managern außerhalb des Systems ist nicht
vereinbar mit den skizzierten ›üblichen‹ [9]
Steuerungsvorstellungen. An die Stelle eines –
wenngleich bisweilen fein differenzierten – Machertums tritt die ›Kunst der Intervention‹: Organisationen können ›lediglich‹ mittels Interventionen zu Eigenaktivitäten angeregt werden,
ein direkter Durchgriff ist prinzipiell nicht möglich. Damit aber ergeben sich an die Managementaufgabe Entscheidung neue Fragen wie
etwa: Wie kann es Management überhaupt gelingen, geschlossene Systeme anzuregen – und
nicht mehr: Wie setzen Manager ihre Tools im
Unternehmen möglichst effizient ein? Welche
Möglichkeiten verbleiben (außenstehenden)
Managern, Organisationen zu Selbständerungen anzuregen – und nicht mehr: Wie steuern
Manager möglichst zielbezogen und punktgenau?
Vor diesem Hintergrund stellt der folgende
Beitrag die Frage: Was heißt Managementhandeln im Bereich von Information und Entscheidung vor dem Hintergrund einer konstruktiviDBW 58 (1998) 5
Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
Abschnitt 3
Abschnitt 2
Manager als Informationsverarbeiter und Entscheidungsträger
In-Formation
G. Spencer Brown
Autopoiesis
H. Maturana
Kommunikation als
dreifache Selektivität
N. Luhmann
Offenheit und
Geschlossenheit
N. Luhmann
vom Analysieren zum Konstruieren
vom Leiten zum Anregen
Abb. 1: Theorie-Innovationen und Konsequenzen für das Managerhandeln
stisch-systemtheoretischen Perspektive? Um die
Argumentation nicht noch weiter zu komplizieren, beschränken wir uns auf das Handeln von
Managern im Sinne des ›managerial roles approach‹ und gehen dabei wie folgt vor (vgl. Abbildung 1): In einem ersten Schritt werden die
für eine Neuanalyse von Managerhandeln in
den Bereichen Information und Entscheidung
herangezogenen theoretischen Grundlagen aus
dem Bereich des Konstruktivismus und der
neueren Systemtheorie aufgezeigt (Abschnitt 0).
Daran schließt sich eine Analyse von Zuschreibungen an das Managerhandeln an (Abschnitt
0). Zum Abschluß werden Konsequenzen für
das Managerhandeln zur weiteren Diskussion
gestellt (Abschnitt 0).
Zielsetzung dieses Beitrages ist es somit, einige grundsätzliche Theorieinnovationen aus
der neueren Systemtheorie vorzustellen und
ihre Konsequenzen für das Managerhandeln zu
diskutieren, wobei wir uns durchaus einer selektiven und vereinfachenden Darstellung bedienen. Im Sinne der in diesem Beitrag angesprochenen grundsätzlichen Problematik der
Steuerbarkeit von Organisationen durch Management, des ausgebauten systemtheoretischen und konstruktivistischen Gedankengebäudes und der umfangmäßigen Beschränkung
entsteht die Schwierigkeit, daß viele wichtige
Argumentationsstränge nur angedeutet oder
stillschweigend vorausgesetzt werden. Im Sinne
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von pars pro toto versucht dieser Beitrag, an
einem Bereich die Relevanz der zugrundeliegenden Gedanken zu zeigen. Nichtsdestoweniger handelt es sich um einen konzeptionell angelegten Beitrag, der nicht in erster Linie praktische Gestaltungsempfehlungen, sondern theoretische Umstellungen deutlich zu machen
sucht.
2.
Theoretischer Hintergrund
2.1. Informationen und
Kommunikationen
Alle Vorstellungen betriebswirtschaftlicher Rationalität bauen auf Informationen auf. [10]
Demzufolge liegt die Unvollkommenheit der Manager allein in der Beschränktheit ihrer Informationsverarbeitungskapazität. Um Prozesse,
egal ob im Markt oder im Unternehmen selbst,
zu steuern und zu kontrollieren, muß der Manager Zusammenhänge modellieren, um Ursachen von Wirkungen zu unterscheiden und
dann über den passenden Einsatz von Instrumenten Verhalten zu steuern. Jedenfalls dringen Informationen von außen auf Manager ein,
die sie in ihrer Funktion als ›humane Expertensysteme‹ auf Basis ihrer Erfahrungen verarbeiten. [11]
605
Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer
Form
(2) Bezeichnung
[3] Innen
(1) Treffen einer
Unterscheidung
[3] Außen
Abb. 2: Operation der Unterscheidung
Völlig anders gelagert ist die Auffassung von
Information vor dem Hintergrund der Neueren
Systemtheorie: Information ist ein Unterschied,
der einen Unterschied macht. [12] Daten, die
vorerst unstrukturiert, gleichförmig, quasi als
›Rauschen‹ auftreten, werden erst durch eine
Unterscheidung strukturiert, portioniert und
beobachtbar gemacht. »Draw a distinction«
lautet die erste Anweisung G. SpencerBrowns. [13] Eine Unterscheidung ist notwendig, um aus der Flut der Marktdaten jene auszuwählen, die für die Werbeplanung berücksichtigt werden, um aus der Unzahl möglicher
Personaldaten jene zu selegieren, die in ein Personalbeurteilungssystem einfließen sollen. Information bedeutet damit Selektion.
Ein Unterschied, der einen Unterschied
macht: Erst dadurch werden Daten zu Informationen, die etwas verändern, zu neuem Wissen
verhelfen und/oder zu andersartigen Entscheidungen motivieren. Am Beginn jeglicher Beobachtung steht die Unterscheidung, das Markieren eines vorerst ›unmarked space‹, das Ziehen
einer Linie. Die Anweisung »Draw a distinction«
umfaßt drei Komponenten [14]:
das Ziehen einer Grenze,
das Markieren einer Seite und
das Benennen einer Seite.
Damit entsteht eine Form, worunter SpencerBrown einen durch die Unterscheidung geteilten Raum versteht. (vgl. Abbildung 2). Folgt
man dieser Konzeption, so zeigt sich das Spezifische dieses Informations-Begriffes: In-Forma606
tion heißt dann, in Form bringen, eine Innenseite von einer Außenseite unterscheiden, und
die Innenseite bezeichnen. In-Formation bringt
eine Unterscheidung in unmarkierte Daten und
beruht immer auf einer Operation des Beobachters, der eine Grenze zieht und eine Seite bezeichnet. Diese Operation benötigt Zeit und ist
unumkehrbar.
Beobachtet ein Manager bspw. im Zuge der
Erstellung einer Portfolio-Analyse unterschiedliche strategische Geschäftsfelder (SGF), so
zieht er zuerst eine Grenze (1), markiert bzw.
bezeichnet eine Seite [2] und benennt sie. Ergebnis dieses Prozesses ist dann [3] ein einzelnes SGF, welches von anderen (auf der Außenseite) unterschieden wird. Schon das Abgrenzen
der Geschäftsfelder erfordert also Unterscheidungen, Bezeichnungen und Benennungen. Gerade Techniken wie die Portfolio-Analyse bieten
eine Reihe weiterer Unterscheidungsarrangements: Marktwachstum und Marktanteil,
Marktattraktivität und Wettbewerbsvorteile,
etc. Oft bleibt aber die Außenseite [3] unbenannt: So kann ein Manager – aufbauend auf
der Differenzierung strategischer Geschäftsfelder – eine weitere Grenze ziehen (1), eine Seite
markieren, bezeichnen [2] und als ›Kernkompetenzen‹ benennen [3]; die Konsequenzen für die
Außenseite (›Randkompetenzen‹?) bleiben vorerst offen. Gleichzeitig mit der Unterscheidung
zwischen Kern- und Randkompetenzen kann
keine andere Unterscheidung getroffen werden.
In jeder Bezeichnung wird also eine Unterscheidung mitaktualisiert. [15]
Spricht man von einer Form, impliziert man
bereits einen Beobachter. [16] Über ›motives‹,
›contents‹ und ›values‹ [17] werden Beobachter
in die unendlichen Unterscheidungs-Arrangements eingebaut: »Es kann keine Unterscheidung ohne ein Motiv geben, das heißt, ohne daß
verschiedene Werte in den unterschiedenen Inhalten gesehen werden. Es ist also eine Bewertung des Beobachters, die bestimmt, wo eine
Unterscheidung vorgenommen wird und welche
Inhalte bezeichnet werden.« [18]
Spencer-Brown will eine Erkenntnistheorie
entwickeln, die sich um den Beobachter und die
Medien seiner Wahrnehmung zentriert. [19]
Diese Differenz- und In-Formationstheorie impliziert folgende Annahmen: (a) UnterscheidunDBW 58 (1998) 5
Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
gen sind asymmetrisch, nur eine Seite wird bezeichnet (z. B. ›Kernkompetenzen‹). (b) Beim
Anlaß der Beobachtung der Form der Unterscheidung ist das Unterschiedene ununterscheidbar: Wenn mit der Form ›Kompetenz‹
zwischen den ›Kern-‹ und Randkompetenzen eines Unternehmens unterschieden wird, ist es
gleichzeitig unmöglich, jenen ›blinden Fleck‹ –
etwa Chancen oder Potentiale – zu sehen, der
durch ebendiese Form ausgeschlossen wird.
Unterscheidungen im Management-Alltag
setzen meist unendliche Differenzarrangements
voraus. So müssen Manager vielerlei Unterscheidungen gelernt haben, um beispielsweise
einen Gemeinkostenanstieg als Gemeinkostenanstieg zu unterscheiden: Kosten von Aufwand
und hinsichtlich ihrer Zurechenbarkeit, Ursachen von Wirkungen, Anstieg von Rückgang
oder Stagnation, Zukunft von Vergangenheit,
das Unternehmen von seiner Umwelt, eine Abteilung von einer anderen usw. ›Einfache‹ betriebswirtschaftliche Beobachtungen erweisen
sich so als höchst voraussetzungsvoll.
Festzuhalten bleibt, daß In-Formationen auf
Unterscheidungen beruhen, die von Beobachtern getroffen werden und eine Seite der Form
benennen, an die dann angeschlossen wird. [20]
Folgen wir diesem Konzept, so gibt es kein Zurück zu traditionellen Vorstellungen, die Kommunikation als Informationstransfer zwischen
Personen verstehen. Wer aber den Gedanken
der Beobachterabhängigkeit jeglicher Wahrnehmung konsequent zu Ende denkt, läuft Gefahr, ›blankem Subjektivismus‹ zu verfallen [21]
– keine sehr erbauliche Aussicht für verständigungs- und gestaltungsorientierte Manager.
Dem setzt Luhmann seine Fassung des Kommunikationsbegriffes entgegen, der das Soziale
nicht mehr auf Basis des Individuums konstruiert, sondern das Individuum mit Referenz auf
soziale Systeme als soziales Konstrukt behandelt. Kommunikation wird dann als eine emergente Ebene sui generis konstruiert und läßt
sich nicht mehr ausschließlich subjekt- bzw.
handlungsbezogen begreifen. Eine Zurechnung
auf einen Akteur kann dann nur mehr eine Verlegenheitslösung sein: »Nur die Kommunikation
kann kommunizieren, und erst im Netzwerk der
Kommunikation wird das erzeugt, was wir Subjekt bzw. Handlung zu nennen pflegen.« [22]
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Nicht mehr das Übertragungsmodell – Kommunikation als Informationstransfer im SenderEmpfänger-Regelkreis –, sondern die Selektivität von Kommunikation rückt jetzt in den
Mittelpunkt. Sie wird als dreistelliger Selektionsprozeß verstanden, bestehend aus den Komponenten Information, Mitteilung und Verstehen. [23] Information zeigt sich dabei als eine
Selektion aus einem (bekannten oder unbekannten) Repertoire von möglichen Themen,
ein Unterschied, der einen Unterschied macht.
Daraufhin muß jemand ein Verhalten wählen,
welches Information mitteilt; es erfolgt eine
(zweite Auswahl) aus dem weiten Spektrum
möglicher Mitteilungsformen. Die dritte Selektion, das Verstehen, bringt eine Zustandsänderung des Empfängers, unterscheidet zwischen
Information und Mitteilung und wählt eine von
vielen Möglichkeiten. Kommunikation bedeutet
also die Einheit einer dreifachen Selektivität,
nämlich jener der Information selbst, jener der
Mitteilung und jener der Erfolgserwartung, der
Erwartung einer Annahmeselektion. Ohne Verstehen gibt es keine Kommunikation. [24]
Erfolgreich ist Kommunikation dann, wenn
ihr selektiver Inhalt – die Information – als Prämisse für folgende Selektionen übernommen
wird, wenn also angeschlossen wird und damit
zukünftige Selektionen verstärkt werden. [25]
Der Kommunikation geht es also nicht um
»Stimmigkeit, Begründbarkeit, Wahrheit oder
Rationalität, sondern um Anschlußfähigkeit,
und diese muß die Kommunikation jenseits der
Verständigungsbereitschaft der Individuen erzeugen, denn Kommunikation bezieht sich immer nur auf Kommunikation. . . . Alle Sinngehalte, die in der Kommunikation Resonanz erzeugen, die kommuniziert werden, erzeugt die
Kommunikation selbst.« [26]
Menschen verlieren in dieser Konzeption ihren Platz als Bestandteil von Organisationen,
um im selben Zug eine zentrale Rolle in der
Organisationsumwelt zu gewinnen. Menschen –
präziser: ihre Bewußtseine – werden wichtige
Anregungsquellen für die Organisation. Die
Komplexität psychischer Systeme, die Gedanken aus Gedanken produzieren und damit für
Bewußtsein sorgen, wird unabdingbare Voraussetzung für soziale Systeme [27]: Organisationen und alle anderen sozialen Systeme werden
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damit zwar ›menschenleer‹, bleiben aber ohne
Menschen undenkbar.
Obwohl alle sozialen Systeme nur beschränkten Zugriff auf den Menschen nehmen können,
dominiert eine ›Rhetorik der Inklusion‹ [28]:
Personen werden als Adressen der Zurechnung
von Verantwortung im positiven wie im negativen Fall vereinnahmt, Erfolge und Mißerfolge
werden Organisationsmitgliedern zugeschrieben. Dann zeigen sich Kommunikationssysteme
dem Beobachter als Handlungssysteme, aus der
dreistelligen Einheit wird die Mitteilungskomponente – das einzig Sichtbare, dem dann Information unterstellt wird – besonders markiert
und mit Personen verbunden.
Ohne Zurechnung bleibt nämlich Kommunikation unsichtbar, Handlungen sind ein Ergebnis solcher Zurechnung. In Organisationen werden nun Handlungen regelmäßig als Entscheidungen verstanden: Für das Erleben einer
Handlung genügt die Zurechnung auf einen
Träger, das Erleben von Entscheidungen erfordert eine (oft auch implizit-latente) Zurechnung
auf Alternativenwahl: »Entscheidungen können
nur kommuniziert werden, wenn auch die abgelehnten Möglichkeiten mitkommuniziert werden, denn anders würde es nicht verständlich
werden, daß es sich überhaupt um eine Entscheidung handelt.« [29]
2.2. Offenheit und Geschlossenheit
2.2.1. Operative Schließung
Die Eigendynamik und prinzipiell undurchschaubare Operationslogik sozialer Systeme
wird in der Neueren Systemtheorie aus dem
Randbereich ins Rampenlicht geholt, die Grenzen der Systeme werden für Beobachter und
sonstige beteiligte Personen (Systeme) geschlossen. Komplexe soziale Systeme handeln und beobachten sich dabei selbst. [30] Sie reproduzieren ihre Einheit, ihre Strukturen und Elemente
kontinuierlich und in einem operativ geschlossenen Prozeß mit Hilfe der Elemente, aus denen
sie bestehen: Vorgelagerte Selektionen ermöglichen und bedingen nachfolgende Selektionen,
eine Kommunikation (Handlung, Entscheidung)
produziert damit die andere.
Auch Organisationen kontrollieren ihre Rea608
litätsannahmen in diesem Sinne rekursiv durch
Beobachtungen ihrer Beobachtungen. Die Entscheidungen, aus denen Organisationen bestehen, werden nur durch die Entscheidungen der
Organisation produziert, sie verweisen rekursiv
aufeinander und kondensieren, sofern sie erwartbar werden, zu Strukturen. Selbstreferentielle Systeme sind in ihrer Tiefenstruktur geschlossene Systeme.
Dieses Konzept der operativen Geschlossenheit erweist sich als besonders mißverständlich
und sperrig. Wenn nämlich behauptet wird, daß
soziale Systeme und damit auch Organisationen
geschlossen sind, so widerspricht dies nicht nur
den konkurrierenden Theoriekonzepten, sondern steht auch dem common sense diametral
entgegen. Wie kann man Geschlossenheit behaupten, wenn man doch auf den ersten Blick
sieht, daß Organisationen durch vielfältige Beziehungen an ihre Umwelten bzw. Umweltsysteme, an Lieferanten und Abnehmer, an den
Staat, an Kapital- und Personalmärkte etc. gekoppelt sind? Wurden hier nicht die neurobiologischen und physiologischen Analogien überzogen?
Was dabei vielfach übersehen wird, ist das
notwendige Zusammenspiel zwischen Offenheit
und Geschlossenheit: Erst die Geschlossenheit
auf der Ebene der (Re)Produktion der Systemelemente ist es, die in anderen Bereichen, bspw.
hinsichtlich des Personal-, Material-, Energieund Informationsbedarfes, eine Offenheit des
Systems ermöglicht; und erst die Offenheit des
Systems gegenüber seiner Umwelt sorgt für den
Stoff, aus dem die Elemente der Organisation
(re)produziert werden. Geschlossenheit bedeutet also keineswegs Unabhängigkeit oder gar
Autarkie. Dies würde nicht nur Widerstand gegen ›harte‹ Empirie und Beobachtungen der
Umweltabhängigkeit von Systemen, sondern
auch gegen die Logik der Systemtheorie bedeuten: Systeme ohne Umwelt sind undenkbar, erst
durch die Abgrenzung von Umwelt und durch
die Aufrechterhaltung dieser Grenzen können
sich Systeme etablieren. Organisationen sind an
Märkte gekoppelt, die die Zufuhr von Rohstoffen, Energie, Kapital und Personen sicherstellen. Diese Form der Umweltabhängigkeit bleibt
theoretisch banal und unbestritten. Auf einer
›basalen‹ Ebene aber, in ihrer Tiefenstruktur,
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Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
die die permanente Produktion der Elemente –
die Auswahl und Verkoppelung von Entscheidungen etwa – steuert, verschließen sich Systeme in ihrer Eigenlogik einer direkten Beeinflußbarkeit.
Wie gehen Systeme mit Umweltabhängigkeit
um? Abgesehen von engen Abhängigkeiten, deren Nichtbeachtung zur Katastrophe führen,
also einen »schnellen Weg zur Entropie« [31]
bedeuten würde, zeigen sich beachtliche Spielräume: Während die eine Organisation die Zunahme von Kundenbeschwerden als Alarmsignal wertet und mit Entscheidungen reagiert,
gilt für die andere ›business as usual‹, ohne daß
dies postwendend zu Sanktionen mangels Angepaßtheit führt. Anscheinend verfügen Systeme
über die Möglichkeit, ihre Umweltabhängigkeit
in weiten Bereichen selbst zu bestimmen, also
zu selegieren, welche Abhängigkeiten überhaupt wahrgenommen werden.
2.2.2. Strukturelle Kopplung
Das Verhältnis zwischen System und Umwelt
kann mit dem Begriff der strukturellen Kopplung beschrieben werden [32], was nichts anderes heißt als »Indifferenz gegenüber fast allem bei Kanalisierung spezifischer Abhängigkeiten, die aber nicht strukturdeterminierend
wirken können.« [33] So zeigt sich ein Unternehmen gegenüber fast allen Entscheidungen
des Finanzamtes indifferent, es sei denn, es
geht um Steuerbescheide oder die Anordnung
von Betriebsprüfungen.
Vorerst bedeutet Umwelt für die Organisation
bloßes Rauschen. Erst durch einen Unterschied,
der etwas selegiert und im Umwelt-Bild der Organisation einen Unterschied macht, wird daraus In-Formation. Stehen keine etablierten Muster zur Verfügung, beobachtet die Organisation
mit der Differenz ›neu/bekannt‹ und fühlt sich
irritiert. Irritation ist ein Aspekt struktureller
Kopplung und bezeichnet einen systeminternen
Zustand, für den keine Bearbeitungsroutinen
zur Verfügung stehen, und der sowohl intern
(auf die eigenen Strukturen) als auch extern
(auf Umwelt/-systeme) zugerechnet werden
kann. Die unerwartet hohe Steuervorschreibung wird bspw. einem politisch motivierten
Angriff auf das freie Unternehmertum, der InDBW 58 (1998) 5
kompetenz des Steuerberaters oder aber der
eigenen Nachlässigkeit bei der Ausnützung von
Abschreibungsmöglichkeiten zugeschrieben.
Organisationen verfügen aber über Gedächtnis [34], welches ihnen im Umgang mit Irritationen zwei Möglichkeiten eröffnet: Zu vergessen oder zu erinnern. Wenn die Irritation als
einmalig und durch die spezifische Situation bedingt eingeschätzt wird, wird ihr Vergessen erleichtert. Wenn mit Wiederholung gerechnet
wird, kann Gewöhnung eintreten. [35] Dabei hat
Vergessen Priorität, erinnert und gelernt wird
nur ausnahmsweise und hochselektiv. Erinnern
und Gewöhnung an Irritationen wird deren Bewertung ändern. Kundenbeschwerden bspw. irritieren die Marketingabteilung nicht mehr,
sondern werden nach ›standard operational
procedures‹ abgearbeitet. Jede Organisation
verfügt in ihrem Wahrnehmungsraster über ein
Set von Ereignissen, auf die quasi programmgemäß mit Entscheidungen reagiert werden kann.
Strukturelle Kopplung wird dann zur Routine.
Organisationen arbeiten jeweils mit einer
Reihe etablierter Differenzschematismen, sie
legen durch Entscheidung fest, welche Umwelten für sie wie relevant sind: Es wird bspw.
zwischen Personen inner- und außerhalb der
Organisation, zwischen freundlich und feindlich
gesinnten Umweltorganisationen etc. unterschieden, wobei sich diese Differenzierungen je
nach Kommunikationszusammenhang (z. B. in
unterschiedlichen Abteilungen, bei unterschiedlichen Themen) verschieben. Wenn ein irritierendes oder erwartetes Ereignis der Intention
eines Akteurs oder einer Umweltorganisation
zugeschrieben wird, sieht man sich einer Intervention ausgesetzt.
Die strukturelle Kopplung zwischen Systemen ist eng, wenn durch die Elemente des einen
Systems – Kommunikationen, Handlungen, Entscheidungen – die Spielräume des anderen Systems stark eingeschränkt werden. Sie ist lose,
wenn die Relation zwischen den Systemen die
Spielräume nur geringfügig einschränkt. [36]
Die Form der strukturellen Kopplung beschreibt
demzufolge das Ausmaß der Orientierung der
Erwartungen an Umweltsystemen. Abgesehen
von materiellen und energetischen Abhängigkeiten konditionieren sich Systeme anhand
unterschiedlichster
Umwelt-Beobachtungen
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selbst: Die ›shareholder‹-orientierte Organisation ist eng an Entwicklungen auf Aktien- und
Derivatenmärkten gekoppelt, der motivationszentrierte Manager an Entwicklungen im Innenleben seines Assistenten. Ein Beobachter,
der es gewöhnt ist, zwischen Ursachen und Wirkungen zu unterscheiden, wird dann die Aktionen der Systeme als durch die Umwelt verursacht konstruieren. [37]
Folgt man der Annahme autopoietischer Geschlossenheit, so definieren Systeme autonom,
welche Schnittstellen sie zu ihren Umwelten offenhalten und wie sie auf den ›Input‹ reagieren.
Es würde nicht nur die Entscheidungskapazität
jeder Organisation überfordern, allen Umwelteinflüssen gegenüber aufnahmebereit zu sein,
es würde auch die Aufrechterhaltung der eigenen Grenzen verunmöglichen. Offenheit bedeutet damit systemtheoretisch immer Selektivität,
die Auswahl ›relevanter‹ Umwelten bei gleichzeitiger Nichtbeachtung anderer. Organisationen lernen beispielsweise, gesamtwirtschaftliche und politische Entwicklungen zu beobachten und zu entscheiden, welche davon in der
strategischen Planung zu berücksichtigen sind.
Die Umwelt einer Organisation wird erst
durch die permanente (Re)produktion der
Grenzen – durch die Entscheidung darüber, was
dazugehört und was nicht – konstituiert und
durch die Differenzschemata und Wahrnehmungsraster der Organisation konstruiert. Organisationen reiben und bestätigen sich ständig
an ihrer Umwelt, sie grenzen sich von Personen, anderen Organisationen, aber auch Funktionssystemen wie Wirtschaft und Politik ab. Organisationen werden damit durch ihre Strukturen determiniert und nicht durch die Umwelt.
Ihre Zustände können niemals von außen, sondern nur durch die eigenen Strukturen, d. h.
durch Erwartungen, die durch Entscheidungen
generiert, ständig erneuert und durch andere
ersetzt werden, festgelegt werden. Wenn eine
Organisation einmal auf verschärften Wettbewerb mit Outsourcing reagiert und in der Buchhaltung Personal abgebaut hat, werden in ähnlichen Situationen ähnliche Entscheidungen erwartbar.
Gerade wegen ihrer operativen Schließung
sind Organisationen in der Lage, sich von ihrer
Umwelt zu unterscheiden, ihre Grenzen auf610
rechtzuerhalten und sich dazu laufend selbst
(im Unterschied zur Umwelt) zu beobachten.
Erst aufgrund operativer Schließung, also nur
dann, wenn die Organisation auf dieser Ebene
keinen Kontakt mit der Umwelt hat, ist Kognition möglich. [38] Die Organisation kann Umwelt nur dann ›erkennen‹, wenn keine Vermengung von Elementen besteht, wenn also klar ist,
wem die Entscheidungen zuzuordnen sind. So
versuchen bspw. Beratungsunternehmen über
interne Strukturen zu verhindern, ihre Beratergruppen an die Klienten-Organisationen zu verlieren: Strenge Karriereregeln (›Up or Out‹), die
Etablierung selbstbezüglicher Kommunikation
(›Strategieseminare‹) und die Rechtsform der
›Partnerships‹ (verbunden mit Strategie-, Kontroll- und Gewinnverteilungsentscheidungen)
sorgen für eine regelmäßige Thematisierung
der Einheit in spezifischen Entscheidungen und
damit für die durch den Klientenkontakt gefährdete Selbstreferenz. [39]
Zusammengefaßt: Sowohl auf operativer wie
auch auf struktureller Ebene sind Organisationen geschlossen. Nur sie selbst entscheiden
(über) ihre Entscheidungen, (über) ihre Strukturen und (über) ihre Systemzustände. Strukturelle Kopplung bedeutet einerseits wechselseitige Abhängigkeit und Selektivität. Andererseits kann strukturelle Kopplung auch zur Erweiterung des Potentials einer Organisation
führen, indem Umweltsysteme, beispielsweise
Menschen (psychische Systeme) oder Gruppen
(Interaktionssysteme) der Organisation ihre
Komplexität zur Verfügung stellen (vice
versa). [40]
Durch strukturelle Kopplungen können Organisationen, wenn sie external/konstant zuschreiben und erinnern, dauerhaft ›irritiert‹
werden. Beobachter der Organisation und damit auch die Organisation in ihrer Selbstbeobachtung können dann ›Kausalität‹ konstatieren:
»Der Entscheidungsprozeß erfordert einen
ständigen Nachschub von Informationen und
Gründen, die aber nur im System selbst erzeugt
werden können.« [41]
DBW 58 (1998) 5
Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
Objektive Rationalität
Intendierte Rationalität
Objektive Umwelten
Wahrgenommene Umwelten
Das Feld von Objekten
und Ereignissen
Die Annahmen des
Managers
Abb. 3: Von der objektiven zur ›intendierten‹ Rationalität
3.
Zuschreibungen an das
Managerhandeln
Nimmt man die skizzierten theoretischen Festlegungen ernst, zeigen sich folgende Implikationen für das Managerhandeln: Zum einen ist
ein Verständnis von Managern als Analytiker
nicht mehr angebracht (3.1), zum anderen wird
es problematisch, ihnen eine Leitungsrolle in
Organisationen zuzuschreiben (3.2).
3.1. Zwischen Analyse und Konstruktion
In der Perspektive der Neueren Systemtheorie
verwandeln sich psychische Systeme wie Manager und soziale Systeme wie Organisationen,
Abteilungen, Teams, etc. von Analytikern zu
Konstrukteuren. Die Informationssuche und
-sammlung in Organisationen läuft anders ab,
als dies die Theorie rationalen Entscheidens [42] postuliert. Spätestens seit Ende der
fünfziger Jahr gelten mit den Arbeiten von
Cyert, March und Simon [43] Theorieansätze als
überholt [44], die ›pure‹ (objektive) Rationalität
des Entscheiders zur Erklärung von organisationalen Prozessen heranziehen. Diese Forschergruppe hielt allerdings am – wenngleich
nicht objektiven – Rationalitätsbegriff fest. Sie
ersetzte die objektive durch eine subjektive
bzw. sogenannte ›intendierte‹ Rationalität und
konzentrierte sich dabei vor allem auf die
Frage, welche individualen und sozialen HinDBW 58 (1998) 5
dernisse der Realisierung von objektiver Rationalität im Wege stehen (vgl. Abbildung 3). [45]
Seit Cohen, March, Olsen sowie Weick [46]
den Schwerpunkt in Richtung intepretative Ansätze verlagert haben, nehmen auch in der Managementforschung Abhandlungen auf dieser
Basis zu. [47] Das Neue: Bei der Beschreibung
von Entscheidungsprozessen kommt es vor allem darauf an, wie der Akteur bzw. das soziale
System in einer bestimmten Situation Realität
wahrnimmt, definiert und interpretiert bzw.
›gestaltet‹ (enacts). Entscheidungen werden
diesem Verständnis nach nicht ›produziert‹,
sondern konstruiert. [48] Die graphische Darstellung in Abbildung 4 zeigt den Perspektivenwechsel: Ereignisse und Objekte werden aufgrund von Annahmen, die auf Lebenserfahrungen, Sozialisationsprozessen, individueller Disposition, Interessen, Perspektiven etc. basieren,
›erfunden‹.
In der neueren Systemtheorie wird ähnlich
argumentiert: Demnach geht es – auf den Managementbereich übertragen und grob vereinfacht ausgedrückt – auch in Organisationen
darum, wie der Manager in einer bestimmten
sozialen Situation die Wirklichkeit durch Beobachtung, die ihrerseits von unterschiedlichen
Annahmen bestimmt sind, für wahr-nimmt, versteht und interpretiert (=konstruiert). Entscheidungen werden nicht auf der Grundlage von
objektiv gegebenen Tatbeständen und analytischen Fähigkeiten getroffen, sondern vielmehr
aufgrund (sozialer) Konstruktionen (= ›Erfindungen‹, besser: ›enactment‹ [49]) der Manager.
Die Perspektive der Systemtheorie zwingt dem
611
Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer
Das Feld von
Objekten und
Ereignissen
Die Annahmen
des Managers
"Gestaltete" Umwelten
Abb. 4: Enacted Environment
Manager einen grundlegenden Rollenwechsel
auf: er mutiert vom Analytiker zum Konstrukteur.
(1) Der Manager als Analytiker
Dem traditionellen Ideal wissenschaftlicher Objektivität entsprechend wird eine klare Trennung zwischen Subjekt (dem Beobachter) und
Objekt (dem Beobachtungsgegenstand) der Beobachtung stillschweigend vorausgesetzt, also
eine deutliche Trennung zwischen Beobachter
und beobachtetem System. Verbunden damit ist
ein Denken in Ursache-Wirkungs-Beziehungen.
Systeme sind in ihrem Verhalten vorhersagbar
und determiniert. »Wer mit solchen Systemen
umgeht, braucht nur bis zwei zählen zu können:
von Input zu Output, von ›Ursache‹ zu ›Wirkung‹«. [50] Dieses ›Modell der trivialen Maschine‹ mit der Möglichkeit, seine Wirkungsfunktionen genau zu kennen, Berechenbarkeit
und Beherrschbarkeit, mit determinierten, stabilen Wirkungsverläufen, etc. dominiert, wiewohl theoretisch längst kritisiert, die einschlägige Fachliteratur der betriebswirtschaftlichen
Organisationslehre. Manager sind unter diesem
Blickwinkel Akteure (rationale, können aber –
menschlicherweise – auch durchaus irrationale
sein!), denen die Diagnose von Umwelt wie beispielsweise der ›Markt‹, die Konkurrenzunternehmungen, die Kunden etc. obliegt. Ob sie
diese Analyse erfolgreich durchführen, liegt
einzig allein an ihnen, der umfassenden Be612
rücksichtigung aller (!) relevanten Daten und
der richtigen (!) Wahrnehmung durch Beobachtung und richtigen Entscheidung.
(2) Der Manager als Konstrukteur
Managen im systemtheoretischen Sinne heißt
dagegen zuerst einmal beobachten, dann beschreiben und konstruieren: Beobachtung und
Erklärung sind für Manager zentrale Operationen. Was tun Beobachter, also auch Manager,
wenn sie beobachten? Sie treffen zunächst eine
Unterscheidung im Sinne von Spencer-Brown
(vgl. Abschnitt 2.1.). Und wenn man wie Maturana davon überzeugt ist, daß wir »die Welt in
der wir leben, buchstäblich dadurch erzeugen,
daß wir sie leben« [51], dann besteht Verschiedenheit in der Beobachtung nicht in der unterschiedlichen Bearbeitung einer unabhängigen
Realität, sondern im Aufbau unterschiedlicher
Wirklichkeitsmodelle. Was in einer Organisation beobachtet wird, ist von den benutzten Rastern, also den Differenzenschematismen derjenigen abhängig, die beobachten; kurzum, welche Unterscheidungen der Beobachter anlegt.
Beobachten kann entweder ein soziales System
(die Organisation) oder ein physisches System
(ein Manager, ein Organisationsmitglied). Das,
was beim Anfertigen solcher Differenzen herauskommt, ist das Resultat eines Prozesses, der
in Organisationen tagtäglich und kontinuierlich
abläuft und permanent Unterscheidungen wie
die folgenden hervorbringt: Heute haben wir
eine bessere, aktuellere, spannendere Zeitung
produziert als unsere einschlägige Konkurrenz.
Oder: Die neue Imagekampagne läuft besser als
die letzte. Oder: Der ständig nörgelnde Abteilungsleiter ist heute sichtlich zufriedener als
sonst. [52] Mit derartigen Differenzschematismen werden somit Bezeichnungen fixiert und
Festlegungen getroffen. Mit anderen Worten,
mit ihrer Hilfe werden innerhalb eines Systems
Informationen generiert. Die Spannbreite der in
einem System erzeugten Informationen umfaßt
sowohl Informationen über das System selbst
(»Der ständig nörgelnde . . .«) als über seine
Umwelt (»Wir haben die bessere Zeitung produziert als . . .«). Auf Grundlage der neu gewonnenen Informationen treffen Organisationen Entscheidungen, die dann von der Organisation
(oder aber auch vom einzelnen OrganisationsDBW 58 (1998) 5
Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
mitglied als psychisches System) neuerlich zur
Informationsgewinnung benutzt werden können. So setzt sich der Kreislauf von Differenzschema-Informationsgewinnung-Entscheidungsfindung innerhalb einer Organisation unaufhörlich fort. Aus diesem Ablauf ergibt sich in
aller Deutlichkeit, daß Informationen keineswegs als etwas Feststehendes, Objektives, Unveränderbares oder gar Fixes angesehen werden können. Sie sind nicht als eine Art Gegenstand handelbar, die irgendwo und womöglich
auch noch fix verpackt abgeholt oder ins Haus
geliefert werden können. Man kann sie daher
auch nicht eins zu eins von einer Organisation
in eine andere transferieren. Informationen
können nur in Eigenregie, im System selbst entstehen. Voraussetzung dafür ist, daß es der Organisation gelingt, ihr Unterscheidungsvermögen zu aktivieren. Die Wahl dieser oder jener
Unterscheidungen, die das Beobachtete markiert, ist nie durch die Umwelt vorgegeben,
wird nicht durch sie diktiert sondern ist immer
eine eigene Konstruktion des Systems. [53]
Jeder Manager ist als Beobachter zunächst
immer erst einmal mit irgendwelchen Phänomenen konfrontiert, die er zu unterscheiden
und zu beschreiben hat. Personen wie soziale
Systeme orientieren sich in ihren verschiedenen
Realitätsbereichen, indem sie diese mit Hilfe
von Unterscheidungen gleichsam abtasten. Mit
Hilfe von solchen Differenzschemata und den
dadurch ermöglichten Bezeichnungen und Festlegungen erzeugen beobachtende Systeme Informationen. Bereits hier steht der Manager vor
der Notwendigkeit, eine Auswahl vorzunehmen
und bestimmte Wahrnehmungen zu benennen
(beschreiben). Durch vollzogene Unterscheidungen und Benennungen werden immer andere ausgeblendet und vernachlässigt. Schon
jetzt erhebt sich die Frage, welche Beschreibung für seine Zwecke die nützlichste ist. [54]
Eine Möglichkeit, (s)eine Organisation zu verstehen, ist der Versuch, die Selbstbeschreibungen des Systems zu verstehen. Wünschenswert
wäre, auf der Ebene der individuellen Wirklichkeitskonstruktionen ein möglichst hohes Maß
an Abstimmung der Bezugsrahmen zu erreichen. Dazu zählt: Das Teilen gemeinsamer Erfahrungen, ein stimmiges Bild der unmittelbaren Zukunft, ähnliche Konstellationen, Wissen
DBW 58 (1998) 5
von gegenseitigen Vorlieben/Neigungen, Stärken/Schwächen, Ahnen von Verhaltensweisen,
ohne zu kommunizieren und die Vorhersage
wahrscheinlicher Aktionen und Reaktionen des
anderen sowie das Vertrauen, daß die wechselseitigen Erwartungen zu einem hohen Prozentsatz erfüllt werden. Das alles hilft, die Komplexität der Situation auf ein handhabbares
Maß zu reduzieren. Voraussetzung dafür ist
eine hinreichend lange, gemeinsame Geschichte
und die Entwicklung eines funktionierenden Systems direkter Kommunikation und gemeinsamer Sinnstiftung. [55]
Damit sind die Wahlmöglichkeiten des Beobachters/Beschreibers noch nicht erschöpft. Er
muß die von ihm beschriebenen Phänomene bewerten, wenn er aus ihnen Handlungsanleitungen gewinnen will. Je nachdem, ob solch eine
Bewertung positiv oder negativ ausfällt, werden
ihm andere Maßnahmen als sinnvoll erscheinen. Wenn es aber um das Bewerten geht, muß
man sich über Werte auseinandersetzen. »Jeder Beobachter braucht [1] einen Bewertungsmaßstab, ob bestimmte, von ihm unterschiedene und bezeichnete Phänomene für ihn erstrebenswert oder besser zu vermeiden sind;
und [2] er muß Modellvorstellungen darüber
entwickeln, nach welchen Spielregeln die Welt
funktioniert und wie er sich einmischen und
mitspielen kann. Er kann es nicht bei der Beschreibung von sinnlich wahrgenommenen
Phänomenen belassen, sondern er muß [3] Erklärungen für das Entstehen der von ihm erstrebten oder befürchteten Ereignisse konstruieren« [56], wenn er sich in die Prozesse des
Entstehens oder der Beseitigung der von ihm
beschriebenen und bewerteten Phänomene einmischen will. Nur wenn der Manager eine Erklärung konstruiert, also Ursachen von Wirkungen unterscheidet, kann er selbst zielgerichtet
tätig werden und andere veranlassen, das Nötige zu tun und das Schädliche zu lassen.
3.2. Zwischen Leiten und Anregen
Manager managen, d. h. sie üben Autorität aus,
disziplinieren, formulieren Ziele, planen, entscheiden, organisieren, kontrollieren etc. [57] –
so zumindest will es die klassische Manage613
Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer
mentlehre (sehen). Auf dieser Basis wird ein
mehr oder minder ausgefeilter Instrumentenkasten entwickelt, der Manager bei der Leitung
von Organisationen als ihrer Kernaufgabe unterstützt. Organisationen werden dabei – und
das gehört zu den unverzichtbaren Kernsätzen
einer sich praktisch-normativ verstehenden Betriebswirtschaftslehre [58] – als zielgerichtet beeinflußbar aufgefaßt. Die sich aus der Spezialisierung und Differenzierung ergebenden Koordinations- und Steuerungsprobleme sind –
wenngleich nicht ganz einfach – durch den Einsatz entsprechender technokratischer (z. B. Planung, Formalisierung) und personeller (z. B. Sozialisation, persönliche Weisung) Steuerungsinstrumente zu lösen. Es wird somit davon ausgegangen, daß – bei allen Unwägbarkeiten und
Störgrößen – durch den Einsatz entsprechender
Steuerungsinstrumente eine kalkulierbare Wirkung prinzipiell erzielbar ist. [59]
Die oben beschriebene Vorstellung von Unternehmen als operativ geschlossenen sozialen
Systemen hat erhebliche Konsequenzen für die
Steuerbarkeit sozialer Systeme – und damit auf
das, was Manager in ihrem Manager-Sein tun
(sollen bzw. können). Die Geschlossenheit auf
der Ebene sozialer Systeme macht Leitung im
bisherigen Verständnis unmöglich. Stattdessen
geht es auf der Ebene der Steuerungsversuche
durch Manager nunmehr um Anregung. Damit
stellen sich bei der Diskussion um die Steuerung von Organisationen zwei zentrale Probleme: [1] (Wie) Überwinden Manager bei ihren
Steuerungsbemühungen die Grenze zwischen
sich und der Organisation und [2] (wie) lassen
sich autopoietisch geschlossene Organisationen
individuell absichtsvoll beeinflussen?
(1) Überwindung von Systemgrenzen
Managern ist es wohlvertraut, daß ihre Beeinflussungsversuche mitunter ihre Zielgruppen
gar nicht erreichen. Der theoretische und praktische Erfahrungsschatz etwa aus dem Bereich
der Organisationsentwicklung [60] und dem
Change Management [61] ist dafür ein gutes
Beispiel und versieht diesen Sachverhalt mit
Etiketten wie Veränderungswiderstand, Systemträgheit oder Beharrungsvermögen. Konzeptionell bleibt aber mit Rückgriff auf die Of614
fenheit von Systemen stets klar, daß mit einem
entsprechenden Instrumentarium der Widerstand umgangen oder aufgelöst, die Trägheit
überwunden und das Beharrungsvermögen
verwandelt werden kann.
Die sozialwissenschaftliche Systemtheorie
gibt auf die Frage nach den Möglichkeiten einer
Überwindung der Systemgrenzen eine klare
Antwort, allerdings in eine andere Richtung:
Auf Grund der operativen Geschlossenheit ist
eine solche Grenzüberschreitung prinzipiell unmöglich. Das heißt selbstverständlich nicht, daß
das System nicht auf die Umwelt reagieren
kann, nur: Eine direkte, unmittelbare Einflußnahme wird ausgeschlossen. Damit rückt Intervention als ». . . eine zielgerichtete Kommunikation zwischen psychischen und/oder sozialen
Systemen . . ., welche die Autonomie des intervenierten Systems respektiert . . .«, [62] in den
Vordergrund. Wenn Systeme auf Interventionsversuche aus ihrer Umwelt reagieren, dann tun
sie es im Rahmen ihrer eigenen Operationslogik. Dabei ist es nicht selbstverständlich, daß
sie überhaupt reagieren. Das meiste, was im
Rahmen von Umweltrauschen an Systeme herangetragen wird, bleibt unbeachtet. Streng selektiv wird durch die Herausbildung spezieller
›Grenzeinheiten‹ festgelegt, wie auf Irritationen
in der Umwelt mit systeminternen Operationen
reagiert wird. Kurzum: Das System ist somit
eigenwillig und eigensinnig.
Der veränderte theoretische Ausgangspunkt
zwingt auch dazu, die Managern wohlvertraute
Frage nach den Überwindungsmöglichkeiten
von Systemgrenzen neu zu stellen: Wie können
Manager Bedingungen für die Möglichkeit
schaffen, daß soziale Systeme ihre aus der Umwelt stammenden Interventionen in interne
Operationen umwandeln? Eine solche Fokussierung nimmt Abschied von einer Übertragungsmetapher und macht die beschränkten Möglichkeiten einer Aktivierung sozialer Systeme von
Seiten der Manager deutlich.
Allerdings bedeutet eine Anerkennung dieser
eingeschränkten Möglichkeiten der Einflußnahme durch Manager nicht, daß keine Spielräume bestehen. Zwei Schlüsselelemente erfolgreicher, d. h. mit Folgen verbundener Intervention, sind die Hervorbringung anschlußfähiger Anregungen und Irritationen und die
DBW 58 (1998) 5
Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
Nutzung vorhandener Kopplungsmechanismen
zwischen System und Umwelt.
Umweltrauschen wird dann leichter vom System ›entdeckt‹ auf und in systeminterne Operationen umgesetzt, wenn die Interventionen
des Managers anschlußfähig sind. Anschlußfähigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang,
›passende‹ Annahmen über die Operationslogik
des Systems zu entwickeln und die Intervention
von der Art her daran auszurichten. Fußballtrainer versuchen, die Sprache der Spieler zu
sprechen, um Erfolg zu haben; Investmentbanker versuchen, Finanzmärkte nicht (nur) durch
mantraartige Beschwörungsformeln zu beeindrucken, sondern vertrauen auf geldliche
Transaktionen; Berater holen Gruppen dort ab,
wo sie stehen – solche wohlbekannten Sachverhalte illustrieren die Notwendigkeit, Umweltwünsche auf eine Art zu formulieren, die
vom intervenierten System aufgegriffen werden
kann.
Um zu ermöglichen, daß Interventionen vom
System registriert werden, müssen die spezifischen Kopplungsmechanismen zwischen System und Umwelt genutzt werden. Damit sind
konkret durchaus unterschiedliche Sachverhalte angesprochen. Ein in sozialen Systemen
prominenter Kopplungsmechanismus sind Personen (genauer: psychische Systeme). Psychische und soziale Systeme sind strukturell gekoppelt, d. h., über psychische Systeme sind soziale Systeme tendenziell bereit, sich beeindrucken zu lassen. [63]
(2) Beeinflussung sozialer Systeme
Die Kernaufgabe von Managern – die zielgerichtete Beeinflussung der jeweiligen sozialen
Systeme – ist alles andere als trivial. Das oftmalige Scheitern von Steuerungsbemühungen, z. T.
selbst bei gutem Willen aller Beteiligten, macht
deutlich, daß soziale Systeme eine Eigenlogik
entwickeln. Mehr vom Gleichen, d. h. ein stärkeres Mühen um die ›richtigen‹ Interventionsinstrumente, verspricht hier kaum Abhilfe. Zielführender scheint es daher, die solchen Überlegungen zugrundeliegende Vorstellung aufzugeben und die prinzipiell nicht gegebene
unmittelbare Steuerbarkeit sozialer Systeme
anzuerkennen.
Ähnlich wie bei der Frage nach der ÜberDBW 58 (1998) 5
windung der Systemgrenzen wird daher mit der
durch die sozialwissenschaftliche Systemtheorie vorgenommenen theoretischen Radikalisierung die Frage nach der zielorientierten Beeinflussung sozialer Systeme in ihrem ursprünglichen Sinn obsolet. Die theoretische Aussage ist
klar: Steuerung sozialer Systeme kann auf
Grund der autopoietischen Geschlossenheit immer nur Selbststeuerung sein. Externe Irritationen werden – s. o. – gegebenfalls in interne
Operationen umgewandelt, die weitere Operationen nach sich ziehen. Systeme reagieren also
i. e. S. ausschließlich auf sich selbst, d. h.: Wie
das System auf die Irritation durch die Umwelt
reagiert, wie die Operationen weiter verarbeitet
werden, entzieht sich der Hoheit des intervenierenden Systems (hier etwa: des Managers). Manager sind damit (auch) in ihrem Führungshandeln von autonomen, von ihnen nicht erzwingbaren Prozessen der intervenierten Systeme wie etwa Unternehmen, Abteilungen etc.
abhängig.
Wird diese theoretische Position akzeptiert,
so stellt sich nicht mehr die klassische Frage
nach der zielorientierten Beeinflußbarkeit. Vielmehr lautet das Problem: Wie können Manager
Bedingungen für die Möglichkeit schaffen, daß
sich das System mittels Selbststeuerung (wie
sonst?) in die ›richtige‹ Richtung bewegt? Die
mit dieser Problemstellung vorgenommene Fokussierung heißt wiederum nicht, daß Manager
nichts mehr tun können oder unwichtig sind.
Vielmehr rücken für das Managementhandeln
zwei Gesichtspunkte in den Vordergrund: kontextuelle Interventionen und die rekursive Beziehung zwischen autopoietischen Operationen
und Strukturen.
Mit Hilfe von kontextueller an Stelle von direkter Intervention wird versucht, Systemveränderungen über eine entsprechende Gestaltung des Umweltrauschens herbeizuführen.
Über verschiedene Kopplungsmechanismen
wandelt das System selbst dieses Umweltrauschen in interne Operationen um. Managen im
Sinne des Auslösens kontextueller Intervention
bedeutet aus diesem Blickwinkel das Herantragen dosierter Diskrepanzen an das System. Die
über kontextuelle Intervention angebotenen alternativen Sichtweisen können vom System
noch verstanden und in die systeminterne Ope615
Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer
rationsweise übernommen werden. [64] Dem
Wirklichen, also dem derzeit im System Realisierten, wird Mögliches gegenübergestellt, das
derzeit noch keine Möglichkeit für das System
ist, es aber werden könnte. [65]
Wenn Änderungen im System auf der Basis
von Selbststeuerung geschehen, dann gewinnen
diejenigen Strukturen an Bedeutung, welche die
internen Prozesse des Systems steuern. Strukturen in sozialen Systemen bestimmen, was als
Entscheidung anzusehen ist, die zugelassenen
Relationen und überbrücken die Distanz von
Entscheidung zu Entscheidung (Autopoiesis in
Organisationen heißt ja zentral: Eine Entscheidung produziert die nächste). In sozialen Systemen sind Strukturen als Erwartungen zu
denken. Erwartungen transformieren Kommunikationen bzw. Handlungen in Entscheidungen. Wenn unter Erwartungsdruck gehandelt
wird, dann entstehen Entscheidungen (unabhängig davon, ob der einzelne sein Handeln als
Entscheidung für oder gegen eine Erwartung
interpretiert sehen möchte). Damit verändert
sich für Manager der Fokus bei ihren Steuerungsbemühungen in doppelter Weise. Erstens
geht es um Entscheidungen und nicht isoliert
um eine Schnittstelle, einen Prozeß, den Menschen o. ä. Zweitens stehen nicht mehr einzelne
Elemente, sondern Relationen im Vordergrund.
Damit wird das Augenmerk auf das Ganze, auf
Muster gelenkt. [66]
4.
Schlußfolgerungen und
Konsequenzen
Es bieten sich vielfältige Möglichkeiten, Beobachtung und Wirklichkeitskonstruktion unterschiedlich zu strukturieren. Wie ein Manager
seine Wirklichkeit konstruiert, ist somit ein zentraler Bestandteil seines Führungshandelns. Es
bestimmt, wie er – als dominante Managementfunktion – kommuniziert und es trägt entscheidend dazu bei, wie sich die Unternehmung organisiert. Das eigene Führungsverständnis, die
im Laufe der eigenen Lebensgeschichte aufgebaute ›subjektive Theorie von Führung‹ spielt
dabei eine zentrale Rolle.
Der Bezugspunkt aller Wahrnehmungen (Be616
obachtungen) ist nun einmal das Individuum
selbst, und der Bezug ist auch geprägt durch die
spezifische Sozialisation. In der Konstruktion ist
dieser eigene Bezugspunkt das Maß, wie beobachtet wird, nach dem Motto »Überall wo ich
hinschaue, sehe ich mich selbst« oder wie der
Wiener Volksschauspieler Helmut Qualtinger
seinen Freundeskreis karrikierte »Ollas so
klasse Buaschen wie I!« Dabei beeinflußt das
Individuum das System, das es beschreibt.
Aber: »Wie sorgt er (der Manager, Anm. d. A.)
dafür, daß er – möglicherweise – in seinen Erkenntnis- und Analysebemühungen immer wieder die von ihm selbst versteckten Ostereier
findet?« [67]
Um Mißverständnissen hinsichtlich der individuellen Möglichkeiten von Wirklichkeitskonstruktion vorzubeugen: Unentbehrlich ist dabei
immer die Interaktion mit anderen, um zu einer
akzeptablen Sichtweise der Wirklichkeit zu
kommen. Zur Konstruktion braucht man die anderen, man ist nicht frei, sich zu konstruieren,
was man will. So verbringen Menschen in Organisationen viel Zeit damit, untereinander eine
annehmbare Darstellung dessen, was vor sich
geht, auszuhandeln, um eine Einigung darüber
zu erzielen, was Wirklichkeit ist, was (wirklich)
gilt, oder besser zu gelten hat. [68] Neben dem
mehr oder weniger gemeinsamen Sinnesapparat sind es die gemeinsamen zwischenmenschlichen Erfahrungen, die Spielregeln über soziale Prozesse und deren Interpretationen, die
zur »konsensuellen Validierung« [69] führen.
Dieser Prozeß des Aushandelns, des Sinngebens
von Wirklichkeit ist nicht (immer) konfliktfrei,
sondern machtdurchdrungen, widersprüchlich,
da es gilt, (Macht-)Positionen zu sichern, Komplexität zu reduzieren, interessenbezogen vorzugehen, etc. Dabei wird Wirklichkeit oftmals
buchstäblich herbeigeredet. Selbst wenn dabei
so bezeichnete ›objektive‹ Fakten und Zahlen
bei der Interpretation der Wirklichkeit als Argumente eingesetzt werden, bleibt das Geschehen letztlich immer subjektiv konstruiert, weil
es ja darauf ankommt, wessen Daten es sind,
wessen Argumente sie stützen etc.
Die für die Praxis des Managements wichtige
Erkenntnis des Konstruktivismus bzw. der
neueren Systemtheorie ist demnach, daß die
Qualität von Wirklichkeitskonstruktionen nicht
DBW 58 (1998) 5
Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
nach ihrer Wahrheit oder Falschheit zu beurteilen ist, sondern danach, ob sie einerseits zu
den jeweils beschriebenen Phänomenen paßt
und andererseits, ob sie für denjenigen, der sie
verwendet, nützlich oder schädlich ist. [70] Es
gibt daher auch keine ›richtige‹ oder ›wahre‹
Beschreibung der Wirklichkeit, sondern sehr
viele verschiedene, je nachdem, welche (Unterscheidungs)Kriterien, welche Bedeutungszuschreibung und Bewertung der Beobachter für
die Auswahl seiner Informationen anlegt.
Folgt man diesen Annahmen und den hier
vorgestellten In-Formationsverständnis, so stellen sich für die Beobachter von Managerhandeln und damit für die empirische Managementforschung (aber auch die Beratung) folgende Fragen:
1. Wenn von Managern (oder Organisationen)
Unterscheidungen angewendet werden, was
ist dann die jeweils andere, die ausgeschlossene Seite? Alles, was unterschieden wird,
hat eine ausgeblendete Seite. Was versteckt
sich im ›unmarked‹ Bereich? Wofür ist die
Unterscheidung blind?
2. Ist die In-Formation anschlußfähig? Wenn
eine Unterscheidung und eine Bezeichnung
gefallen ist, gibt es nur mehr Innen- und
Außenseite. Wenn auf eine dieser Seiten
nicht (mit Entscheidungen) angeschlossen
werden kann, ist eine zweite Unterscheidung
vonnöten, die dritte Selektionsleistung (im
dreistufigen Prozeß der Kommunikation) ist
nicht gelungen.
3. Wird reflektiert? Wie? Das Treffen einer Unterscheidung schließt eine gleichzeitige Beobachtung aus, die Form fällt dem Unterscheider nicht auf, sondern nur dem Beobachter. Dieser Beobachter kann auch das
(später) sein eigenes früheres Handeln und
Entscheiden beobachtende System, also der
Selbstbeobachter sein. Was sind die Bedingungen für die Reflexion der eigenen Unterscheidungs- bzw. Anschlußpraxis?
Zusammenfassend: Managen heißt beobachten,
konstruieren (und intervenieren). Ziele des Managens sind: Sinn zu schaffen (Sinngrenzen zu
vergrößern/verändern), Bedeutungen zuzuschreiben, Aufbau und Abbau von Komplexität,
Unterschiede anzubieten (die einen Unterschied
DBW 58 (1998) 5
machen) und Veränderungen zu unterstützen. [71] Bezogen auf die Verantwortung des
einzelnen Managers heißt dies: Er hat Einfluß
und Wirkung, und dennoch kann er nicht determinieren, wie sein eigenes Schicksal und das
des sozialen Systems verläuft. Er muß die Herausforderung annehmen und die Komplexität
des Systems akzeptieren. Mit Komplexität ist
aber kein mythischer Entschuldigungsmechanismus für Nichtstun, kein Anlaß zur Resignation gemeint. Komplexität heißt nur, daß wir es
in Systemen fast immer mit der Wechselbeziehung von mehr als zwei Variablen oder Interaktionsteilnehmern zu tun haben, die wir bei
unseren Verstehens- und Erklärungsversuchen
nicht ohne Strafe ausblenden dürfen. Deshalb
müssen wir lernen, mindestens bis drei zu zählen und vernetzte Abläufe zu erfassen. Systemisch zu berücksichtigen ist: Die Beobachtungslogik (und im Anschluß dann auch die Interventionslogik) des Managers kann eine andere sein als die Prozeßlogik des Systems. Dies
dürfte im übrigen den Unterschied zwischen einen ›guten‹ (effizienten, erfolgreichen) Manager
und einem ›schlechten‹ (für soziale und systemische Prozesse unreflektierten) Manager
ausmachen. Es kommt auf die Anschlußfähigkeit an, ob das Managerhandeln ›paßt‹.
Die Überlegungen zu Möglichkeiten und
Grenzen des Managementhandelns zur Steuerung sozialer Systeme im gewählten theoretischen Rahmen machen eine Neueinschätzung
des Managerhandelns notwendig. Manager sind
in der hier vertretenen Sichtweise weder ohnnoch allmächtig. Sie haben nach wie vor eine
bedeutsame Rolle – aber eben eine andere als
bisher üblich. Das kann gleichermaßen enttäuschend wie auch befreiend wirken.
Für Enttäuschung gibt es mehrere Quellen.
(All-)Machtphantasien, welche Manager in die
Nähe von souveränen Heroen rücken, die mit
umsichtiger Hand das Unternehmensschiff zuverlässig leiten (können), wird die theoretische
Grundlage entzogen. Gleichsam als Gegenstück
erweisen sich die Geborgenheitssehnsüchte, die
das Arbeiten mit und unter ›mächtigen‹ Managern stillen könnte, als notwendigerweise unbefriedigbare Illusion und weichen einer ganzheitlicheren Sichtweise, in der die stets kontingente, niemals völlig durchschaubare Eigenlo617
Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer
gik von Systemen eine prominente Rolle spielt.
Vertraute und oft entlastend wirkende personalisierte Zurechnungsmuster – und damit auch
die Verteilung von Schuldzuweisungen – müssen zugunsten einer differenzierteren Sichtweise aufgegeben werden, in der zwar die
strukturelle Kopplung psychischer und sozialer
Systeme, aber auch die prinzipielle Autonomie
der internen Operationen sozialer Systeme anerkannt werden.
Aber auch für Befreiung liefert eine solche
Sichtweise genug Gründe. Sie lenkt den Blick
vom einzelnen Element auf das ganze System
und bietet so die auch konzeptionell adäquate
Möglichkeit, Managementhandeln über das
sprichwörtliche Stochern im Nebel hinauszuheben. Auch befreit sie von einer Überverantwortung, die einzelnen Managern das Wohl und
Wehe ganzer sozialer Systeme aufbürdet und
damit das Unmögliche möglich machen will.
Schließlich wird hier der einzelne Manager
nicht in die Rolle des Reisenden durch die Unendlichkeit der Psyche gedrängt, sondern als
Interventions- und Anregungskünstler aufgefaßt, der die Autonomie der intervenierten Systeme grundsätzlich respektieren muß. [72]
Anmerkungen
[1] Skepsis gegenüber großen I’s, Schräg- oder Bindestrichketten sowie eine einschlägige sprachliche Sozialisation führen dazu, daß neben dem
Bemühen um eine geschlechtsneutrale Formulierung dort, wo es ›leicht‹ möglich ist, überwiegend
die männliche Form benutzt wird. Gemeint sind
stets beide Geschlechter in gleichem Maß.
[2] Staehle 1994, S. 78.
[3] Indizien dafür finden sich in Fülle. Von einem
Teilgebiet des Management wird etwa behauptet:
»Führung gab es zu allen Zeiten und in allen
Kulturen.« (Wunderer/Grunwald 1980, S. 5); die
unübersehbare Fülle praktischer und praxisnaher Ratschläge zur Erreichung von Unternehmenserfolg beziehen sich in der Regel zentral auf
verschiedene Aspekte des Managements; Praktikerzeitschriften sehen in Managern den Erfolgsfaktor für Unternehmen; die wissenschaftliche
Auseinandersetzung mit der Bedeutung von Management für Organisationen reicht allein in diesem Jahrhundert zeitlich von den Schriften Taylors zum Scientific Management (Taylor 1911, dt.
618
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1917) bis hin zu jüngsten Konzepten wie Lean
Management, Total Quality Management (vgl.
etwa Dietzel/Seitschek 1993) oder Business Process Reengineering (vgl. etwa Hammer/Champy
1993) – die Liste ließe sich beliebig erweitern.
Vgl. dazu aus institutioneller Perspektive etwa
Mintzberg 1973; Mahoney/Jerdee/Carroll 1965;
Schirmer 1992; aus funktionaler Perspektive
Staehle 1994, S. 78 ff und die dort zitierte Literatur.
Einzelne Ansätze wie etwa der entscheidungsorientierte Ansatz von Heinen (1967) sind grundlegend auf dieses Phänomen aufgebaut.
So formuliert etwa Heinen (1978, S. 55) in seinem
zentral auf Entscheidungen abstellenden Konzept
der Betriebswirtschaftslehre: Es stehen ». . . stets
Informationen im Mittelpunkt der einzelnen Phasen des Entscheidungsprozesses. In allen Phasen
werden Informationen gewonnen, verarbeitet und
weitergegeben. . . . Dieser Prozeß der Gewinnung
und Verarbeitung von Informationen setzt sich
fort, bis . . . neue Entscheidungsprobleme abgeleitet werden.« (Hervorhebung im Original).
Die Diskussion um die Rolle von Informationen in
der seit den technischen Entwicklungen rund um
die Mikroprozessoren sich entwickelnden Informationswirtschaft fordert folgerichtig, Informationen als einen weiteren Produktionsfaktor zu
behandeln (vgl. z. B. Heinrich 1993).
Darin sind sich selbst z. B. im Hinblick auf andere
Grundannahmen, Ansatzpunkte und Zielsetzungen durchaus unterschiedliche Vertreter der Betriebswirtschaft wie Wöhe (z. B. 1996), Welge
(z. B. 1985) oder Staehle (z. B. 1994) durchaus
einig.
Eine Ausnahme bildet hier etwa Schreyögg 1996.
Besonders deutlich wird dies im Controlling, wo
Informationsversorgungssystemen zentraler Stellenwert zukommt (vgl. bspw. Horvath 1986,
S. 352 ff).
So zumindest die nicht nur praxis-, sondern in
der BWL einigerorts auch wissenschaftsgängige
Vorstellung, die aber keineswegs den generellen
epistemologischen Reflexionsstand der Disziplin
widerspiegelt.
Bateson 1992, S. 488.
Spencer-Brown 1979, S. 3; eine aktuelle Übersetzung eines früheren Werkes findet sich in
Spencer-Brown 1996; zur Differenztheorie Spencer-Browns vgl. auch Baecker 1993a und 1993b.
Vgl. Baecker 1993c, S. 17 ff, Simon 1993b,
S. 44 ff.
Vgl. Luhmann 1990, S. 707.
Nur bei der allerersten Unterscheidung tut man
sich hier schwer, diese findet gleichsam im Nichts
statt.
Vgl. Spencer-Brown 1979, S. 5, S. 20, S. 42.
Simon 1993a, S. 59.
Vgl. Simon 1993a, S. 55.
Ein früherer Ansatz, Wahrnehmung auf Unterscheidungen bzw. Dichotomien zurückzuführen,
DBW 58 (1998) 5
Managerhandeln – nach der systemtheoretisch-konstruktivistischen Wende
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findet sich in den ›persönlichen Konstrukten‹ Kellys (1955, S. 59 ff).
Vgl. Bardmann 1994, S. 85.
Bardmann 1994, S. 102; vgl. zum Überblick auch
Luhmann 1995c, 113 ff.
Vgl. Luhmann 1984a, S. 193 ff.
Vgl. Luhmann 1984a, S. 195 f.; Luhmann (1984a,
196) orientiert sich bei seinem Kommunikationskonzept am Organon-Modell Karl Bühlers (vgl.
Bühler 1965, S. 24 ff.), der zwischen Darstellungs-, Ausdrucks- und Appellfunktion der Sprache unterscheidet, vermeidet jedoch dessen
handlungstheoretische
Begriffsfassung
(vgl.
Bardmann 1994, S. 103).
Vgl. Luhmann 1981, S. 26.
Bardmann 1994, S. 106 f.
Dafür verwendet Luhmann den Begriff Interpenetration: »Interpenetration liegt entsprechend
dann vor, . . . wenn also beide Systeme sich wechselseitig dadurch ermöglichen, daß sie in das jeweils andere ihre vorkonstituierte Eigenkomplexität einbringen.« (Luhmann 1984a, S. 290) Soziale Systeme sind ohne psychische Systeme undenkbar vice versa. Kommunikation benötigt
Bewußtsein vice versa. Der Zusammenhang ist
bloß nicht mehr als Input/Output oder als Teil/
Ganzes denkbar.
Vgl. Bardmann 1995, S. 253.
Luhmann 1995a, S. 46; an anderer Stelle beschreibt Luhmann Entscheidungen als Handlungen, die auf eine an sie gerichtete Erwartung
reagieren (vgl. Luhmann 1984b, S. 594).
Vgl. Luhmann 1988a, S. 95.
So beschreibt Luhmann 1984a, S. 477, Katastrophen.
Übrigens ein Begriff, den Luhmann von Maturana
(bspw. 1987, S. 102) übernimmt.
Luhmann 1995a, S. 61.
Wie alle strukturdeterminierten Systeme, weil sie
sonst nicht auf die Determiniertheit ihrer eigenen
Strukturen reagieren können; vgl. Luhmann
1995a, S. 62; vgl. zum Gedächtnis und zum semantischen Speicher der Organisation auch Kasper 1990, S. 338 ff.; 1991, S. 47 ff.
Diese Vermutung läßt sich attributionstheoretisch
reformulieren: Zurechnung auf instabile Ursache
fördert Vergessen, Zurechnung auf stabile Ursachen Lernen und/oder Gewöhnung.
Vgl. Weick 1976, Weick 1985, S. 163 ff.; im Unterschied zu Weick gehen wir aber bei Kopplungen
nicht von »gemeinsamen Variablen« aus, da die
Elemente
Kommunikationen/Handlungen/Entscheidungen nur jeweils einem System zugehörig
sein können.
»Operative Schließung schließt selbstverständlich
kausale Interdependenzen zwischen System und
Umwelt nicht aus.« (Luhmann 1995a, S. 61) Das
Feststellen von Kausalität setzt allerdings einen
Beobachter voraus, der eine Selektion vornimmt
und Ursachen von Wirkungen unterscheidet. In
neueren Arbeiten charakterisiert Luhmann
DBW 58 (1998) 5
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(1995a, S. 76 ff., 1995b, S. 12 ff) Kausalität als
Medium, innerhalb dessen Unterscheidungen
möglich sind, und gleichzeitig als die Form, die
Ursachen von Wirkungen unterscheidet.
Vgl. Luhmann 1995a, S. 61.
Vgl. de Vries 1995.
Dieses wechselseitige Zurverfügungstellen von
Eigenkomplexität zur Komplexitätssteigerung
des anderen Systems wird auch als Interpenetration bezeichnet (vgl. Luhmann 1984a, S. 286 ff),
womit insbesondere das Zusammenspiel von
psychischen und sozialen Systemen neu beleuchtet wird.
Luhmann 1995a, 53.
Siehe dazu Schreyögg 1984, S. 151 ff.
March/Simon 1958; Cyert/March 1963.
Siehe Reber 1985, S. 489.
Siehe Reber 1973, S. 297 ff. und 1985, S. 489;
Abb. 3 und 4 entstanden in Anlehnung an Morgan (1989, S. 92), der seinerseits die Abbildungen
aus einem unveröffentlichten Manuskript von
Smircich/Stubbart (1985) adaptiert hat.
Cohen/March/Olsen 1972; March/Olsen 1976;
Weick 1979.
neuerdings insbesondere Morgan 1986 und
Senge 1990.
Vgl. Schreyögg 1984, S. 201 f.
Weick 1979, S. 130 f., jüngst Weick 1995, S. 30 ff.
Simon 1995b, S. 80.
Maturana 1982, S. 269.
Vgl. auch Wimmer 1996, S. 251.
Wimmer 1996, S. 252; ähnlich mit Bezug auf organisationale Karrierelogiken (OIKLs) in international tätigen Unternehmen Mayrhofer 1997.
Simon 1995a, S 18.
Simon 1994, S. 6.
Simon 1995a, S. 17.
Fayol 1949, zit. n. Pugh 1985, S. 135; Staehle
1994, S. 78 ff.
Vgl. dazu etwa Raffée 1974, S. 69 ff.
Zu den Möglichkeiten und Grenzen des Managerhandelns im Umgang mit Managementproblemen
gibt es in der BWL verschiedene Standpunkte; so
z. B. unterscheidet Kirsch (1978) zwischen Problemlösung und Problemhandhabung.
Vgl. etwa French/Bell 1982.
Vgl. etwa Reiß u. a. 1997.
Willke 1987, S. 333.
Klarerweise nicht: punktgenau zu reagieren. Die
prominente Stellung psychischer Systeme (und
damit: von ›Personen‹) in der Theoriekonzeption
läßt den Vorwurf mancher Kritiker, die sozialwissenschaftliche Systemtheorie wäre in- bzw.
ahuman, unverständlich erscheinen.
Willke 1987, S. 352 f.
Willke 1987, S. 356; damit wird auch deutlich,
daß es bei Interventionen im vorliegenden Sinne
keineswegs darum geht (und im Sinne einer notwendigen Entwicklung auch gar nicht gehen
kann), jeweils nur ›gleiches‹ an das System heranzutragen (wie vielleicht die Ausführungen über
619
Helmut Kasper / Wolfgang Mayrhofer / Michael Meyer
[66]
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[71]
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die Anschlußfähigkeit hätten gedeutet werden
können).
Luhmann 1988b, S. 172 ff.
Simon 1995b, S. 80.
Dazu ausführlich Weick 1985.
Weick 1985, S. 12.
Simon 1994, S. 7.
Zur Funktion von Zielen aus systemtheoretischer
Perspektive vgl. Meyer 1994.
Als Faktum, wohlgemerkt, und nicht aus humanistischen etc. Gründen.
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