BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 6.5.2011, 20.15 Uhr Dr. Franz Stark Journalist, Autor, Dozent im Gespräch mit Dr. Hilde Stadler Stadler: Hallo und herzlich willkommen zu alpha-Forum. Unser Gast ist heute Franz Stark, Buchautor, Schriftsteller, Journalist und Dozent. Schön, dass Sie bei uns sind, Herr Stark. Stark: Freut mich auch. Stadler: Sie sind auch ein Kämpfer für die deutsche Sprache. Das klingt für viele nach Deutschtümelei, nach einem pensionierten Studienrat, der mit spitzer Feder vor dem Fernseher sitzt oder vor der Zeitung und Anglizismen sucht, die er dann geißelt, weil sie verwendet werden. Sehen Sie sich damit getroffen? Stark: Eigentlich nicht. Pensioniert? Ja. Studienrat? Nein. Das Problem ist doch ein bisschen vielschichtiger, als beide extreme Seiten glauben, als also sowohl diejenigen glauben, die die Fremdwörter bzw. die Anglizismen jagen, wie auch die, die sich darüber lustig machen. Es hat einfach eine sehr starke Auswirkung auf die eigene Sprache, wie präsent eine andere Sprache ist. Stadler: Sie haben ein Buch geschrieben mit dem Titel "Wie viel Englisch verkraftet die deutsche Sprache?". Es ärgern sich ja eine ganze Menge Leute bei diesem Thema. Es gibt diejenigen, die es uncool finden, wenn man die Verwendung von Anglizismen anprangert. Aber es ärgern sich auf der gegenteiligen Seite auch eine ganze Menge Menschen: Im ganz normalen Alltag, sei es am Bahnhof oder beim Umgang mit Medien, werden in der deutschen Sprache jede Menge Anglizismen verwendet. Man sieht, man hört und man liest diese Anglizismen überall. Manchmal denkt man sich, dass es da doch auch ein deutsches Wort gibt, das auch nicht uncool klingen würde. Stark: Dass man Anglizismen verwendet, ist völlig normal, genauso normal wie die Verwendung von französischen oder lateinischen Wörtern. Man muss hier wohl drei verschiedene Gruppen unterscheiden. Es gibt Anglizismen, die einfach notwendig sind; es gibt welche, die sind überflüssig und es gibt welche, die ärgerlich sind, weil sie passende deutsche Wörter unnötig verdrängen. Es gibt also erstens jede Menge Anglizismen, die schlicht notwendig sind. Wir müssen uns ja nur einmal in unserem eigenen Beruf umsehen: Für den Anglizismus "Interview" gibt es kein gutes deutsches Wort. Klar, dieses Wort ist bereits vor über 100 Jahren übernommen worden und deswegen ist man an dieses Wort im Deutschen absolut gewöhnt. Oder denken Sie an das Feature: Für diese besondere Art der Aufbereitung eines Berichts gibt es ebenfalls kein deutsches Wort. Es wäre also unsinnig zu sagen, diese Wörter müssten verschwinden. Es gibt noch viel, viel mehr von diesen Anglizismen, die wir brauchen. Dann gibt es Anglizismen, die parallel mit deutschen Begriffen existieren und keinen zusätzlichen Wert haben. Derjenige, der sie benützt, benützt sie deswegen, weil er sich modern geben möchte, weil er glaubt, Englisch sei besser. Und dann gibt es noch diese dritte Gruppe. Das sind die Anglizismen, die ärgerlich und unsinnig sind und möglicherweise sogar ausdrucksschwächer als das deutsche Pendant. Auf diesem Gebiet muss man also differenzieren. Die Frage ist nur, wie viele sind es und in welchen Bereichen. Stadler: Man hat den Eindruck, dass die Deutschen heute ganz besondere Probleme mit der eigenen Sprache haben, dass man bei uns heute eher zum Englischen neigt, wenn man sich modern und lässig fühlt, während das im Ausland ganz anders ist. Stimmt das? Stark: Ich glaube schon, wie ich aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit als Journalist für den Bayerischen Rundfunk sagen kann. Stadler: Zu Ihrer beruflichen Tätigkeit kommen wir selbstverständlich noch. Stark: Als Journalist war ich jahrzehntelang immer wieder in vielen Ländern der Erde. Aus bestimmten Gründen habe ich dabei immer besonders darauf geachtet, wie sich andere Völker sprachlich verhalten. Da fiel mir auf, dass wir uns diesbezüglich in der Tat von vergleichbar großen Völkern unterscheiden; denn wir können uns ja nicht mit einem Einmillionenvolk und dessen Sprache vergleichen, weil diese Menschen natürlich nie die Chance haben, dass ihre Sprache für andere eine Fremdsprache wird, d. h. sie müssen sich im internationalen Austausch von Haus aus einer anderen Sprache bedienen. Die Deutschen haben, wie ich festgestellt habe, ein gering ausgeprägtes Sprachbewusstsein, vielleicht auch Kulturbewusstsein. Das ist historisch begründet, aber das können wir jetzt natürlich nicht in aller Breite ausführen. Begonnen hat das alles nämlich bereits im Dreißigjährigen Krieg. Es gab in Deutschland nur eine Phase, in der dieses Bewusstsein wiederum sogar übersteigert war: Das war in der wilhelminischen Zeit, also in der Kaiserzeit bis hin zu den Nazis. Danach dann ging es total nach unten … Stadler: Aber aus dieser Zeit kommt das natürlich, was die Jugend bzw. die nicht mehr ganz so Jungen, also die 68er, kritisieren: dass das alles zu starr, zu wilhelminisch, zu tümelnd sei und dass eine Sprache ja immer auch etwas Lebendiges sei. Dieses Argument mit der Lebendigkeit bringen allerdings nicht nur Laien an, sondern erstaunlicherweise auch Linguisten. Stark: Zu "tümelnd" muss ich sagen, dass kein Mensch den Engländern vorhalten würde, dass sie englischtümelnd sind, oder den Spaniern vorhalten, dass sie spanischtümelnd sind. Von den Franzosen gar nicht zu reden, die sowieso französischtümelnd sind. Ich weiß nicht, warum die Deutschen da so eine Mutlosigkeit haben. Ein berühmter Linguist, Professor Jürgen Trabant, hat das, was die Deutschen heute sprachlich abliefern, mal als "kulturelle Mutlosigkeit" bezeichnet. Vielleicht kann ich Ihnen ja ein paar Beispiele erzählen, anhand derer ich das belegen kann. Stadler: Als Bundespräsident Wulff gewählt worden war, stattete er dem Europaparlament einen Besuch ab. Die Zeitungen schrieben anschließend darüber, er habe sich dort auf Englisch ins Goldene Buch eingetragen. Stark: Eben, das ist unverständlich. Ich würde meinen, dass sich hier sogar staatliche Vertreter kleinerer Staaten wie Lettland, Litauen, Finnland in ihrer eigenen Sprache eintragen, die eben nun einmal zu all den Sprachen dieses Europaparlaments gehört. Also, das ist schon merkwürdig, aber das ist auch kein Einzelfall. Das kann man bei uns bei vielen Politikern, vor allem bei Diplomaten, immer wieder beobachten. Vielleicht erzähle ich Ihnen mal, warum ich mich bereits seit ungefähr 30 Jahren mit diesem Thema beschäftige. 1983 habe ich einen Bericht über Tansania gemacht. Dabei war ich auch beim deutschen Botschafter eingeladen, der mich dann abends zu einem Gartenfest mit deutschen Entwicklungshelfern, ungefähr 30 Leuten, mitgenommen hat. Es war sehr schön dort. Zu später Stunde stieß noch ein Finne zu dieser Runde, der sofort alle auf Deutsch begrüßt hat. Der Botschafter klopfte dann an sein Glas und meinte: "Meine Damen und Herren, wir sind jetzt eine internationale Runde. Ich bitte Sie, ab jetzt nur noch Englisch zu sprechen." Daraufhin haben sich alle nur noch auf Englisch unterhalten. Der Finne selbst hat sogar noch protestiert und gesagt: "Ich kann doch Deutsch und ich kenne auch alle Leute hier!" Aber der Botschafter bestand darauf: "Das ist so und wir machen das jetzt so!" Da habe ich mich gefragt: Was ist denn da los? Aber ich dachte mir nichts weiter dabei. Im selben Jahr war ich auf einer internationalen Konferenz einer großen deutschen Stiftung. Dort ging es um den "Free Flow of Information", d. h. bereits der Titel war auf Englisch formuliert. Es waren dorthin vor allem Osteuropäer, aber auch Deutsche und Österreicher eingeladen. Die Osteuropäer beteiligten sich nicht an den Diskussionen, weil von dieser deutschen Stiftung nur Englisch und Französisch als Konferenzsprache zugelassen waren. Schließlich meldete sich ein Russe und sagte in gutem Deutsch: "Ich weiß nicht, warum dürfen wir hier nicht Deutsch sprechen? Wir sprechen alle gut Deutsch. Wir können aber nicht so gut Englisch und Französisch." Man unterbrach also die Sitzung und suchte nach einer Simultandolmetscherin für Deutsch-Englisch. Und dann, das war der eigentliche Witz, sprachen alle Osteuropäer lebhaft auf Deutsch, nur die deutschen Teilnehmer sprachen weiterhin auf Englisch. Da habe ich mir gesagt: "Hier stimmt doch etwas nicht im Sprachbewusstsein, im Kulturbewusstsein!" Und seitdem habe ich auf vielen Reisen immer wieder darauf geachtet, wie andere Völker das machen. Bis heute, bis zu dem erwähnten Beispiel mit dem Bundespräsidenten, habe ich festgestellt: Die Deutschen genieren sich, ihre eigene Sprache zu gebrauchen in Situationen, in denen dies angebracht wäre – denn das muss man ja selbstverständlich nicht immer und in jeder Situation machen. Stadler: Sie haben es bereits erwähnt, Sie waren als Journalist in der ganzen Welt unterwegs. Wenn man sich Ihre Studienfächer anschaut, dann sah das eigentlich gar nicht so aus, als würde das eines Tages zum Journalismus führen. Das sah vielmehr nach Linguist aus. Und in diesem Metier sind Sie ja auch tätig heute. Wie kamen Sie denn zum Journalismus? Studiert haben Sie nämlich Philosophie, Germanistik und Zeitungswissenschaft. Stark: Genau, denn die Kommunikationswissenschaft hieß damals noch Zeitungswissenschaft. Zum Journalismus bin ich eigentlich durch den Tod eines Professors gekommen. Stadler: Das heißt, Sie wollten eigentlich an der Uni bleiben. Stark: Ja, ich wollte eigentlich an der Uni bleiben, allerdings nicht in München, sondern an der Uni in Erlangen-Nürnberg. Im Kultusministerium lag bereits mein Arbeitsvertrag bei ihm, aber dieser Professor ist ganz plötzlich in der Nacht einem Herzinfarkt erlegen. Ich hatte aber in den Ferien schon immer als Reporter gearbeitet, als freier Mitarbeiter. Und so habe ich mich dann eben für den Journalismus entschieden. Ich muss im Rückblick sagen, dass ich mich Gott sei Dank dafür entschieden habe, denn das ist natürlich das ungleich interessantere Feld. Stadler: Sie sind aber dann nicht bei einer großen Zeitung gelandet, um dort Feuilletons zu schreiben, weil Sie ja von der wissenschaftlichen Seite gekommen sind. Stattdessen sind Sie zum Fernsehen gegangen: Das war damals ja ein sehr junges Medium und der Bayerische Rundfunk hatte gerade ein Studienprogramm gestartet. Dort, in diesem Bildungsfernsehen, haben Sie angefangen. Stark: Ich war ein Jahr lang im Studienprogramm tätig, aber danach dann immer politischer Redakteur. Ich wollte auch gar nicht nur auf der Wissenschaftsseite tätig sein, ich wollte einfach nur ganz normaler Journalist sein. Stadler: Die Wissenschaft hat Sie aber dann doch nicht losgelassen, auch die Philosophie nicht. Denn wenn man im Archiv des Bayerischen Rundfunks Ihren Namen eingibt, dann kommen selbstverständlich sehr viele Filme und Features von Ihnen, aber dann entdeckt man eben auch anderes. 1969 haben Sie mit zwei Philosophen ein Feature gemacht: mit Karl Popper und mit Herbert Marcuse. In diesem Zusammenhang habe ich sogar ein Buch entdeckt mit dem Titel "Revolution oder Reform?". Stark: Dieses Buch gibt es allerdings schon seit 40 Jahren nicht mehr. Stadler: Dieses Feature ist in der ARD gesendet worden, aber ich glaube, so würde man das heute gar nicht mehr machen können. Sehe ich das richtig? Stark: Das weiß ich nicht, das hängt natürlich von der Programmplanung ab. Wahrscheinlich würde man das heute nicht mehr machen können, weil damals dieses Thema natürlich sehr viel interessanter war, als es das heute ist. Dieses Feature hieß ja "Revolution oder Reform?" Herbert Marcuse stand für die Revolution, Karl Popper für die Reform. Ich habe die beiden, weil sie nicht zusammen auftreten wollten, kontrastiv zueinander geschnitten und beide sehr ausführlich an ihren Wohnorten gefilmt und zu Wort kommen lassen: Popper wohnte in England, Marcuse in San Diego in Kalifornien. Ich habe mich mit beiden auch so ein bisschen angefreundet und wir blieben auch danach noch ein wenig in Kontakt. Vor allem mit Marcuse bin ich in Kontakt geblieben, obwohl ich persönlich inhaltlich mehr auf der Popper-Seite gestanden bin. Aber Marcuse war irgendwie extrovertierter, lockerer, mit dem konnte ich einfach besser. Ich habe ihn auch danach noch ein paar Mal besucht in Kalifornien. Stadler: Heute würde man sofort nach der Quote fragen, würde fragen, wie realistisch es ist, dass die Zuschauer so eine Sendung anschauen. Gab es damals einfach noch eine andere Resonanz auf solche Themen? War das Bildungsbewusstsein der Zuschauer noch größer? Oder spielte das deswegen überhaupt keine Rolle, weil es gar keine Quotenmessung gegeben hat? Stark: Nun gut, es gab schon eine Messung und ich weiß auch noch, dass diese Sendung in der ARD drei Prozent Zuschauerbeteiligung hatte – was aber für so ein Thema gar nicht schlecht war, denn diese Sendung lief ja auch erst spät nachts von 23.00 bis 24.00 Uhr. Das heißt, das lief auch damals schon nicht im Hauptprogramm. Stadler: Aber kam da nicht bei nur drei Prozent irgendein Vorgesetzter, ein Chefredakteur und hat gesagt: "Herr Stark, was haben Sie denn da gemacht?" Stark: Nein, das war nicht so. Ich habe das Gefühl, dass heute das Bildungsbewusstsein gesunken ist, aber es ist natürlich klar, dass da jetzt sofort irgendein Soziologieprofessor kommen und sagen kann: "Haben Sie dafür empirische Daten? Wo sind die Beweise für diese Aussage von Ihnen?" Wie gesagt, ich habe das Gefühl, dass bei uns in Deutschland das Bildungsbewusstsein gesunken ist, aber empirisch beweisen kann ich das nicht. Damals konnte man solche Dinge jedenfalls leichter machen als heute. Man konnte damals als Journalist überhaupt leichter in der ganzen Breite der Themen tätig sein als heute. Heute ist man doch eher einem bestimmten Kästchen zugeordnet, in dem man dann auch bleiben muss. Ich war damals ja noch Innenpolitikredakteur und habe trotzdem pausenlos Auslandsreportagen gemacht. Stadler: Meinen Sie wie etliche andere auch, dass die 70er Jahre und die erste Hälfte der 80er Jahre die goldene Zeit des Fernsehens gewesen sind? Stark: Ja, das würde ich auch sagen: Da war Journalist beim Fernsehen der beste Beruf der Welt. Heute ist das immer noch ein sehr schöner Beruf, aber damals war das wirklich der beste Beruf, den man sich vorstellen kann. Stadler: Sie waren also in der Innenpolitik Redakteur und konnten dennoch sagen, dass Sie jetzt mal z. B. nach Angola fahren wollen. Bekamen Sie dafür tatsächlich einfach so eine Genehmigung? Stark: Das lag am jeweiligen Vorgesetzten: Wenn der das mitgetragen hat, dann ging das. Damals in den 70er und auch noch in den beginnenden 80er Jahren war man diesbezüglich noch recht flexibel, d. h. meine Vorgesetzten haben das immer mitgetragen. Ich habe das freilich immer auch aus einem bestimmten Anlass heraus gemacht. Ich war z. B. im Jom-Kippur-Krieg auf ägyptischer Seite als Journalist unterwegs: Ich war mit der ägyptischen Armee an den Suezkanal … Stadler: Heute nennt man das "embedded journalist". Stark: Damals hieß das noch nicht so, aber man war in der Tat "embedded". Ein paar Jahre später war ich im Ogadenkrieg und habe dort von somalischer Seite aus berichtet. Später war ich im Bürgerkrieg in Angola. Das war alles möglich damals. Als ich in Angola war, war ich allerdings schon für die Auslandsredaktion tätig. Stadler: Sie haben in Afrika ja auch als Trainer für junge afrikanische Journalisten gearbeitet. Was haben Sie da genau gemacht? Stark: Damals wurde gerade die Afrovision – und später auch die Asiavision – als Pendant zur Eurovision eingeführt. Es ging also um Nachrichtenaustausch. Genau das waren diese jungen Kollegen aber nicht gewöhnt, vor allem in Asien waren sie das nicht gewöhnt. Ich war dabei auch in China: Dort war man das überhaupt nicht gewöhnt. Dort arbeitete man immer noch mit sehr, sehr langen Aufsagern, mit sehr langen Fragestellungen, mit sehr langatmigen Interviews. Wir haben ihnen gesagt: "Leute, so könnt ihr nie im Nachrichtenaustausch tätig sein. Ihr müsst kurz und knackig und gezielt fragen!" Eigentlich war das also ein Training für kurze Nachrichtenfilme und für kurze Interviews und kurze Statements. Stadler: Spielte da die Sprache auch schon eine Rolle? Stark: Diese Kurse haben wir teilweise in Englisch gehalten. In China ging das auch auf Deutsch, weil die Chinesen ja auch kein Englisch beherrscht hätten und man sowieso dolmetschen musste. Es gab sehr gute Dolmetscher, weil damals viele Chinesen in der DDR sehr gut Deutsch gelernt hatten. Gute Dolmetscher für Deutsch-Chinesisch zu finden, war also kein Problem. Stadler: Es gibt da ja insgesamt das Phänomen, das Sie ebenfalls in Ihren Büchern angesprochen haben: Viele Menschen im Ausland haben Deutsch gelernt, sei es dort an der Schule oder hier bei uns. Wenn Sie dann die Gelegenheit haben, endlich mal mit Deutschen zu sprechen, sind sie oft frustriert, weil sie dazu gar nicht kommen, weil ihre deutschen Gesprächspartner von sich aus aufs Englische ausweichen. Diese Menschen sagen dann natürlich mit Recht: "Jetzt haben wir mit viel Mühe Deutsch gelernt und jetzt können wir das nicht anwenden." Stark: Besonders in Russland ist das der Fall. Dort war bis in die beginnenden 90er Jahre hinein die Zahl der deutsch Sprechenden größer als die Zahl der englisch Sprechenden. Inzwischen hat sich das allerdings auch dort gedreht. Diese Menschen waren natürlich besonders frustriert, wenn sie ihr Deutsch selbst in einer deutschen Firma nicht anwenden konnten. Ich habe das mal bei der Deutschen Bank in Moskau so erlebt: Die Angestellten dort konnten alle nur Englisch. Das ging rauf bis zum obersten Chef: Der war Deutscher und hat mit mir Deutsch gesprochen. Aber alle anderen konnten wirklich nur Englisch. Er bestätigte mir auch: "Wir stellen nur Leute ein, die Englisch sprechen! Deutsch brauchen wir nicht!" Das Finanzwesen ist natürlich neben dem Computerwesen schon so ein Bereich, in dem das Englische sehr verbreitet ist. In der Wissenschaft ist das ebenso der Fall, vor allem in den Naturwissenschaften. Stadler: Es gab im Januar 2011 in der Politischen Akademie in Tutzing eine Tagung mit Fachleuten unter dem Titel "Deutsch als Wissenschaftssprache". Sie waren dort auch mit dabei: Haben Sie den Eindruck, dass man durch solche Tagungen ein stärkeres Bewusstsein für diese Problematik schaffen kann, dass man das im Idealfall auch ein bisschen ändern kann, dass also Deutsch wieder ein stärkeres Gewicht bekommt als Wissenschaftssprache? Stark: Das war sicherlich die Intention der Veranstalter, aber es waren nur genau drei Journalisten da. Einer davon war ich. Aus dem Grund ist die Außenwirkung so einer Tagung natürlich nur gering. Aber das war eine hochinteressante Tagung, zu der ich auch gerne ein paar Sätze sage. Es ist ein riesengroßes Problem, was sich diesbezüglich in den Wissenschaften abspielt. Man muss bei der Wissenschaftssprache unterscheiden zwischen der des internationalen wissenschaftlichen Austauschs und der Vermittlung von Wissen: Das ist Englisch. Seit zehn, 20 Jahren ist das Englisch: Das ist so, daran kann auch nichts geändert werden. Stadler: Hat das etwas mit der Globalisierung zu tun? Stark: Ja, ganz klar durch die Globalisierung. Und in den Naturwissenschaften ist bereits seit den 80er Jahren Englisch auf dem Vormarsch gewesen. Aber das bedeutet nicht, dass man bei uns im Land selbst Englisch miteinander sprechen müsste, wenn sich zwei deutsche Wissenschaftler unterhalten. Genau dies geschieht aber häufig: Wenn sich heute irgendwo in Deutschland auf einer Konferenz deutsche Zellbiologen oder auch ganz allgemein deutsche Naturwissenschaftler treffen, dann sprechen sie häufig Englisch miteinander. Und dies aus einem ganz schlichten Grund: weil es die entsprechenden deutschen Begriffe nicht gibt, weil sie nicht gebildet werden. Das Problem liegt also darin, dass diese notwendigen Begriffe schon gar nicht mehr gebildet werden auf Deutsch. Wenn man sich mit einem neuen Phänomen beschäftigt und sich keine Gedanken darüber macht, wie man das auf Deutsch benennen kann, sondern einfach nur den englischen Terminus übernimmt, dann entsteht halt dafür kein deutscher Begriff mehr. Wenn das erst einmal ein paar Jahre lang geschieht, dann kann man ganz allgemein die Phänomene, mit denen man sich heute beschäftigt, überhaupt nicht mehr auf Deutsch beschreiben. Das ist aber eine riesengroße Gefahr für unsere Wissenschaft, für die Stellung der Wissenschaft, denn … Stadler: Das heißt, es müsste jede Disziplin für sich diese deutschen Begriffe prägen, denn das können ja nicht die Linguisten für alle anderen machen. In der Wissenschaft, in den Medien, in der Kunst usw. müssten also wieder diese entsprechenden deutschen Begriffe geprägt werden. Denn wenn es da z. B. mal einen deutschen Begriff gibt, dann wird der auch durchaus aufgenommen. Es gibt da z. B. die Einrichtung "Wort des Jahres": Da sind ja durchaus auch Wörter dabei, die es vor zehn, 20 Jahren noch gar nicht gegeben hat. Stark: Ja, das stimmt. Aber was wäre jetzt Ihre Frage? Stadler: Warum schaffen das die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen nicht? Gibt es dafür kein Bewusstsein? Stark: Auf der Tutzinger Tagung, an der 60 Leute teilgenommen haben, war dieses Bewusstsein da. Aber es gibt natürlich Hunderte anderer, bei denen dieses Bewusstsein nicht da ist. Ich kann das schwer beurteilen und das ist eigentlich schon fast eine Frage an den Psychologen. Aber hier spielt eben auch so ein bisschen die Überschätzung des Englischen eine Rolle, der Ausdrucksmöglichkeiten des Englischen. Das ist wirklich schwer zu erklären. Aber ich kann nur noch einmal sagen: Das ist wichtig für den Forschungsprozess – nicht für die Übermittlung des Wissens, denn das kann man auf Englisch machen, Artikel kann man auf Englisch schreiben, telefonieren mit dem Kollegen meinetwegen in Prag kann man ebenfalls auf Englisch. Aber beim Forschen selbst ist das wichtig, denn da geht es ja darum, dass man sich überlegt: "Was könnte die Ursache für dieses Phänomen sein? Ich mache jetzt verschiedene Versuche, wie stelle ich das an, was habe ich da für Ideen, für Gedankenblitze?" Hier ist die Muttersprache wichtig. Wenn wir unsere Muttersprache hier nicht nutzen, wird unsere Forschung absinken. Und genau das macht sie heute schon. Sie wird auf diese Weise nur mehr ein Anhängsel der amerikanischen Forschung sein. Es wird auch gar nicht mehr wahrgenommen, dass die Forschung in einem anderen Land stattgefunden hat, wenn sie sich auch im eigenen Land nur noch Englisch präsentiert. Stadler: Sprache wird dann sozusagen zu einer Kreativitätsbarriere. Stark: Ja, im Grunde genommen schon. Ich kann Ihnen ein Beispiel erzählen, um hier auch die symbolische Wirkung von all dem zu demonstrieren. Ein Bekannter von mir ist Menno Aden: Er ist in Essen Professor für Wirtschaftsrecht und hatte einmal eine Gastprofessur in Indien. Indien ist doch das Land, aus dem wir so viele Menschen holen wollten, damit sie unsere Informationstechnologie aufwerten usw. Diese Inder sind damals ja alle nicht gekommen, weil sie dort nämlich von Deutschland nicht sehr viel halten. Warum halten sie nicht viel von Deutschland? Mein Bekannter hat in seiner Zeit in Indien mit seinen Studenten einen Versuch gemacht, um das herauszubekommen. Er hat sich aus dem Lexikon 30 deutsche Welterfindungen zusammengesucht hat: angefangen mit der Erfindung des Buchdrucks bis hin zur MP3-Tonkomprimierung, die ja vor einigen Jahren bei uns in Deutschland im Fraunhofer-Institut erfunden worden ist. Er hat sich also wirklich bedeutende Erfindungen ausgesucht und diese dann untereinander auf ein Blatt geschrieben. Daneben hat er in fünf Spalten fünf verschiedene Länder angeboten: USA, England, Frankreich, Deutschland, Japan. Dieses Blatt gab er seinen Studenten und sie sollten ankreuzen, in welchem Land ihrer Meinung nach welche Erfindung gemacht worden ist. Von diesen 30 deutschen Erfindungen wurde keine einzige Deutschland zugeordnet! Er fragte daraufhin die Studenten: "Das gibt es doch nicht! Wisst ihr das wirklich nicht?" "Nein, wieso, in unseren Büchern steht das nicht. Unsere Lehrbücher kommen aus England. Da steht manchmal dabei, dass etwas in England erfunden wurde. Manchmal steht aber nichts dabei. Und weil eben alles mit englischen Begriffen bezeichnet wird, gehen wir davon aus, dass das auch dort erfunden wurde." Da sieht man sehr gut die symbolische Wirkung von Sprache. Der Stellenwert von Deutschland ist ja nun kein militärischer mehr – und das soll er auch nicht mehr sein –, sondern er ist ein wissenschaftlicher und ein technischer. Aber hier geben wir wirklich etwas preis. Stadler: Sie bringen in Ihrem Buch auch das Gegenargument von manchen, die sagen: "Na ja, da müssen wir drüberstehen, das sehen wir ganz locker." Sie jedoch weisen nach, dass das auch ganz handfeste wirtschaftliche Nachteile bringt. Stark: Sicher, das ist so. Das war jetzt gerade ein Beispiel dafür. Wenn man ein Land nicht mehr als Wissenschaftsnation und als große Techniker- und Erfindernation kennt, was Deutschland ja zweifellos ist bzw. war, dann wird man mit diesem Land auch weniger Wirtschaftsaustausch treiben. Man geht dann auch nicht mehr in dieses Land zum Studieren. Und man bevorzugt dann auch nicht mehr deutsche Ingenieure vor anderen. Ja, das hat enorme wirtschaftliche Folgen, wobei aber auch das wiederum im Detail nur schwer beweisbar ist. Aber es ist doch einfach naheliegend. Stadler: Wie sieht das denn in den großen Organisationen aus wie in der Europäischen Union, in der UNO? Dort ist doch das Deutsche z. T. Arbeitssprache, in der UNO ist Deutsch allerdings nicht Amtssprache. Bringt das Nachteile? Stark: Sicher. Es bringt vor allem natürlich symbolische Nachteile. In der EU bringt das auch praktische Nachteile. Auch hier muss ich kurz ausholen. In der EU war es so, dass bis 1973 Französisch und Deutsch die beiden Arbeitssprachen waren. Dann traten Großbritannien und Irland bei und es kam selbstverständlich Englisch hinzu. Das ist völlig normal und auch damals schon war Englisch die Weltsprache. Man hätte also Englisch einfach als dritte Sprache hinzunehmen können. Aber die Deutschen haben von sich aus verzichtet und gesagt: "Wir brauchen keine drei Arbeitssprachen. Dann sprechen wir Deutschen halt auch Englisch oder Französisch und Deutsch lassen wir weg." Nach ein paar Jahren hat man dann aber doch gemerkt, dass … Stadler: Gab es da keine Proteste? Stark: Nein, gar nicht. Aber das haben die Leute auch gar nicht so gemerkt, denn das ist einfach so geschehen. Stadler: War das ein Beschluss der damaligen Bundesregierung? Stark: Das war ein Beschluss der deutschen Beamten dort, der aber vom Auswärtigen Amt mitgetragen und gutgeheißen worden ist. Aber nach ein paar Jahren merkte man doch die Nachteile: Selbst kleine und kleinste mittelständische Betriebe – und die deutschen Betriebe haben nun einmal den größten Anteil am Wirtschaftsvolumen innerhalb der EU – mussten bei jedem Antrag an die EU einen Fachdolmetscher beschäftigen, der ihnen das alles erst einmal richtig übersetzt hat in technisches Englisch oder Französisch. Sie kamen auf diese Weise immer zu spät und wurden also benachteiligt. Das ist im Grunde genommen so geblieben bis heute, denn das zu ändern, ist nie mehr geschafft worden. Das änderte sich auch 1990 nicht, als sich Osteuropa öffnete und man wusste, dass von daher bald neue Länder in die EU kommen werden, in denen Deutsch die Lingua franca war zu der Zeit, also die Fremdsprache schlechthin. Dennoch hat sich niemand dafür stark gemacht, Deutsch wieder zur Arbeitssprache zu machen. Das Ergebnis ist heute, dass auch diese Nationen heute alle Englisch verwenden im internationalen Verkehr. Ja, das hat echte praktische Nachteile. Und dann gibt es eben noch die symbolischen Nachteile. Ein Land, dessen Sprache verwendet wird, erscheint vielleicht wichtiger als es ist. Großbritannien ist nicht so wichtig, aber Englisch ist wichtig und dadurch ist auch Großbritannien wichtig. Stadler: Frankreich ist zwar nicht so groß wie Deutschland, aber doch von der Bedeutung her und auch von der Sprachbedeutung her vergleichbar mit Deutschland. Die Franzosen haben ja bereits seit vielen Jahren eine ganz dezidierte Sprachpolitik, die von außen, also auch von uns manchmal belächelt wird. Da fällt schnell das Wort von der "Sprachpolizei" und es heißt, dass die Franzosen das alles übertreiben. Sehen Sie das auch so? Stark: Ich würde auch sagen, dass die Franzosen das übertreiben. So möchte ich es für Deutschland nicht haben. Aber ein bisschen was können wir schon von ihnen lernen. Sie haben z. B. eine Terminologiekommission: Wenn neue, möglicherweise gar nicht so sinnvolle englische Wörter aufgekommen und in den Alltagsgebrauch eindringen, dann setzen sich in dieser Kommission irgendwelche Experten zusammen und machen einen Vorschlag, wie man das auf Französisch sagen könnte. Das würde ich mir bei uns auch wünschen. Was ich mir nicht wünschen würde, ist, dass das dann von Amts wegen richtiggehend verordnet wird, wie das ja in Frankreich der Fall ist. Für staatliche Stellen, für offizielle Stellen, die Staatsgelder bekommen, ist es dann Vorschrift, diesen Ausdruck zu gebrauchen. Stadler: Aber vielleicht geht das gar nicht ohne Druck? Wenn Sie das mit der Kommission so beschreiben und das gerne ohne Verordnung haben möchten, dann ginge das ja nur, wenn diese Kommission genug Öffentlichkeitswirksamkeit besitzt, d. h. es müsste dafür in der Bevölkerung ein entsprechendes Bewusstsein herrschen. Meiner Meinung nach gibt es aber dieses Bewusstsein nur sehr eingeschränkt. Bei der deutschen Ausscheidung zum Schlager-Grand-Prix kann man sich bei uns seit einigen Jahren als Teilnehmer die Sprache aussuchen. Der Effekt ist, dass dann überwiegend Englisch gesungen wird. Und das, obwohl es doch seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 einen absoluten Wandel gegeben hat, wie nationale Symbole – z. B. eben auch die deutsche Sprache – bewertet werden. Diese WM hat ja für Deutschland im Ausland einen enormen Imagegewinn gebracht und auch der Umgang mit den nationalen Symbolen bei uns wurde als frisch, als jung und nicht als aggressiv bewertet. Stark: Wenn Sie von den nationalen Symbolen sprechen, dann würde ich gerne noch auf einen Punkt kommen, den wir vielleicht auch ansprechen sollten. Letztes Jahr gab es eine Umfrage, die sogenannte "Hohenheim-Studie", die von der Universität Hohenheim durchgeführt worden ist, über das Nationalbewusstsein oder auch Identitätsgefühl der Deutschen. Zu meiner Überraschung und zur Überraschung vieler ist dabei herausgekommen, dass das bei uns in Deutschland kein bisschen geringer ist als das der Engländer, der Franzosen, der Spanier usw. empfindet, obwohl man das so eigentlich gar nicht so beobachten kann bei uns im Land. 70 bis 80 Prozent der Befragten sagten also, sie seien gerne Deutsche und seien auch stolz darauf, Deutsche zu sein und sie würden auch gerne wieder Deutsche werden wollen, wenn sie noch einmal auf die Welt kämen usw. Aber in einem Punkt unterscheiden sich die Deutschen doch stark von den anderen Völkern: Das ist ein völlig unhistorisches Identitätsgefühl! Die anderen, vor allem die Engländer, fühlen sich natürlich vor allem wegen des früheren britischen Weltreichs als Engländer, wegen ihrer Wirtschafts- und Industriegeschichte usw. Auch die Parlamentsgeschichte, die Geschichte der Menschenrechte usw. spielen da im Bewusstsein der Menschen mehr oder weniger stark eine Rolle. Demgegenüber wurde bei uns als Grund genannt, warum man gerne Deutscher ist: Pünktlichkeit, handwerkliches Geschick usw. Der "Spiegel" hat damals über diesen Artikel so ungefähr die Überschrift "Nationalgefühl des Heimwerkers" gesetzt. Man sieht also: Bei uns spielen diesbezüglich weder Goethe noch Bismarck eine Rolle, auch kein Minnesang. Nichts, was in der Vergangenheit irgendwie bedeutend war in Deutschland, an Deutschland spielt im Bewusstsein der Menschen eine Rolle, wenn sie sagen, dass sie gerne Deutsche sind. Das unterscheidet uns ganz klar von anderen Völkern. Mit Jürgen Trabant kann man auch das als "kulturelle Mutlosigkeit" bezeichnen. Stadler: Es ist also nicht mehr so sehr das Bewusstsein vorhanden, dass wir auch das Volk der Dichter und Denker sind und diesbezüglich eine große Tradition haben. Das alles spielt wohl keine Rolle mehr. Stark: Ja, das spielt keine Rolle mehr. Ich muss aber sagen, dass das halt auch nur so ein Spruch ist, denn wir sind nun einmal nicht alle Dichter und Denker. Und auch die Engländer und die Franzosen glauben nicht von sich, dass sie das seien. Aber wir Deutsche sind eben gar nicht mehr historisch orientiert. Das merkt man ja auch an den Schulen: Wenn man sich die Abituraufgaben oder überhaupt die Aufgaben an den Oberstufen der Gymnasien ansieht, dann stellt man fest, dass da fast nur noch Weimarer Republik und Drittes Reich behandelt wird. Davor gab es offenbar kein Deutschland. Die großen Leistungen der Deutschen waren aber leider fast alle vorher und gerade nicht in dieser Zeit. Stadler: Wenn Sie sagen, dass der Niedergang der Sprache Deutsch als Wissenschaftssprache unserem Land keine Vorteile, sondern Nachteile bringt, dann stellt sich doch die Frage, was da der einzelne Wissenschaftler machen kann. Er muss, um anerkannt zu werden, ständig publizieren, und zwar in internationalen Zeitschriften, in denen es nur eine Sprache gibt, nämlich Englisch. Soll man das dann auf Deutsch und Englisch machen? Wäre das eine Möglichkeit? Stark: Ich könnte mir vorstellen, dass man zunächst einmal beginnt, die eigene Arbeit auf Deutsch schriftlich zu fixieren, um eben auch Begriffe auf Deutsch zu prägen. Anschließend übergibt man das dann einem Fachdolmetscher, damit er das ordentlich übersetzt. Denn die Artikel taugen ja auch nichts, die die meisten deutschen Wissenschaftler auf Englisch schreiben. Das ist eben nur so dieses Schulenglisch, fast schon ein Baby-Englisch. Stadler: Ist das dann so wie Denglisch? Stark: Nein, wie Denglisch vielleicht nicht, aber das ist halt kein elegantes Englisch, kein Kultursprachenenglisch, sondern ein Gebrauchsenglisch für den Alltag. Darüber lächeln die Angelsachsen natürlich, d. h. so ein Artikel leidet dann bereits unter seiner mangelnden sprachlichen Qualität. Wenn schon, dann müssen da Fachdolmetscher her und das könnte man natürlich auch z. B. vom Wissenschaftsministerium aus finanzieren. Stadler: Nun gibt es ja auch Negativpreise, Negativauszeichnung wie z. B. den "Sprachpantscher" oder den "Sprachhunzer". Das "Unwort des Jahres" bekommt recht breite Aufmerksamkeit, aber ein solches Maß an Aufmerksamkeit ist diesen Negativpreisen nicht beschieden. Wäre es nicht eine Möglichkeit, das noch mehr zu forcieren, um das Problem "Denglisch" ins Bewusstsein der Menschen zu bekommen? Stark: Ich glaube, dass sehr viele Menschen in der normalen Bevölkerung gegen dieses Denglisch sind. Das zeigen ja auch die Umfragen: 70, 80 Prozent der Leute mögen das nicht. Aber die sitzen ja nicht an den Schalthebeln. An den Schalthebeln sitzen jedoch auch wir Journalisten, aber es machen einfach zu wenige Journalisten etwas dafür, dass sich das ändert. Jeder Journalist sollte sich selbst auf diesem Gebiet ein wenig bemühen. Wenn da ein neues Wort aufkommt, dann sollte er sich überlegen, wie das eigentlich auf Deutsch heißt. Die "Bild", die viel gescholtene "Bild"-Zeitung macht das: Sie ist gut verständlich, sie bemüht sich auch Begriffe, zu erläutern oder sogar einen deutschen Begriff zu prägen. Manchmal setzt sich dieser Begriff dann sogar durch. Aber in der Regel gilt es halt als chic, so einen Begriff auf Denglisch einfach zu übernehmen. Nehmen Sie als Beispiel den Begriff Stalking. Das Phänomen "Stalking" hat es auch schon gegeben, bevor dieses Wort "Stalking" in Deutschland aufgekommen ist. Es gab die "Nachstellung", wenn man jemandem permanent nachstellte. Wieso muss man das "Stalking" nennen? Nur deswegen, weil die Amerikaner das "Stalking" nennen? Stadler: Auf der Tagung, von der wir vorhin gesprochen haben, war ja auch die Frage Thema, ob es sinnvoll sein kann, die Verwendung von "Deutsch" im Grundgesetz als Staatsziel zu verankern. Wäre das ein richtiges Signal? Stark: Ich war ursprünglich dagegen, weil ich mir gesagt habe: "Das haben wir doch nicht nötig. Denn es ist doch bekannt, dass Deutsch die Geschäftsund Amtssprache in Deutschland ist." Aber die Reaktion, die darauf erfolgte, dass nämlich alle aufgeschrien haben, das sei furchtbarer Nationalismus, das sei Deutschtümelei usw., hat mich dazu gebracht zu überlegen, ob man das nicht doch machen sollte, auch und gerade deshalb, um zu zeigen, dass das in der Tat eine symbolische Wirkung hat. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass von den 27 EU-Staaten 18 in ihrer Verfassung stehen haben, was die Amtssprache ist. Das ist übrigens in allen deutschsprachigen Staaten so, außer in Deutschland: In Österreich, in Liechtenstein, in der Schweiz, in Luxemburg ist das so. Luxemburg ist dreisprachig, hat aber auch Deutsch als Amtssprache. Auch Südtirol hat einen gesicherten Sprachstatus. Es ist also nicht einzusehen, warum wir das nicht auch machen sollten. Das hätte so eine gewisse symbolische Wirkung: zumindest für die Ämter und für die Behörden, denn auch sie ergehen sich oft in diesen teilweise irrwitzigen Anglizismen. Stadler: Aber aktuell sieht es nicht danach aus, im Gegenteil, die Justiz hat ja sogar Versuche unternommen, dass nicht nur Deutsch, sondern auch Englisch als Gerichtssprache verwendet wird. In Nordrhein-Westfalen hat man das so versucht … Stark: … auch in Schleswig-Holstein. Stadler: Es ist jetzt sogar ein entsprechendes Gesetz eingereicht worden, das in den Bundestag gehen soll. Als Begründung wird gesagt, dass es ein Nachteil wäre für den Rechtsstandort Deutschland, wenn bestimmte Wirtschaftsprozesse nicht in Deutschland stattfinden, wenn von vornherein der Gerichtsstand Großbritannien ist, weil es internationale Firmen eben scheuen, wenn sie in Deutschland vor Gericht verhandeln müssen, weil sie die Gerichtssprache "Deutsch" nicht so gut beherrschen. Stark: Ich würde sagen, dass an diesem Argument in der Tat etwas dran ist. Es ist aber auch am Gegenargument etwas dran, dass nämlich die Idee dazu vornehmlich von amerikanischen Großkanzleien aufgekommen ist, die Filialen in Deutschland unterhalten und die es einfach praktischer haben möchten. Sie sagen nämlich: "Wieso sollen unsere Leute da auf Deutsch verhandeln, wenn wir das auch auf Englisch machen könnten?" Hier muss man also abwägen. Ich könnte mir schon vorstellen, dass man das in ganz speziellen Ausnahmefällen mal machen kann. Aber man darf nicht davon ausgehen, dass die Richter bei uns so gut Englisch können, dass sie einen Prozess auch auf Englisch führen könnten. Stadler: Davon ist man aber anscheinend ausgegangen, denn man sagte, die Richter würden sowieso alle gut Englisch sprechen. Stark: Gut, Englisch kann jeder ein bisschen, aber es steht zu bezweifeln, dass jeder Richter so gut Englisch kann, dass er auch einen diffizilen Prozess auf Englisch führen kann, bei dem es auf die Begriffe ganz genau ankommt und bei dem auch Stimmungen eine Rolle spielen usw. Stadler: Gibt es denn ein Land, das neben der eigenen Sprache auch noch Englisch als Gerichtssprache hat? Stark: Das weiß ich nicht, aber ich glaube es fast nicht. Es sei denn, man bezieht diese Frage auch auf ganz kleine Länder, deren Sprache eben international nicht verwendbar ist. Stadler: Die Kulturhoheit liegt in Deutschland ja bei den Ländern. Glauben Sie, dass es auch deswegen schwierig ist, hier eine einheitliche Sprachpolitik, eine einheitliche Linie hinzubekommen, wie das z. B. in Frankreich möglich ist? Stark: Das ist ganz sicher einer der Gründe. Der Föderalismus bremst hier ganz sicher. Für Deutsch ist ja eigentlich niemand wirklich zuständig. Ist dafür der Freistaat Bayern zuständig oder Nordrhein-Westfalen oder BadenWürttemberg? Wenn, dann werden vom Freistaat der bayerische Dialekt und bestimmte kulturelle Inhalte gefördert, aber für das Verkehrs-Deutsch, also für das offizielle "Deutsch", ist eigentlich niemand zuständig. Ein bisschen zuständig fühlt sich das Auswärtige Amt, sofern es um Deutsch im Ausland geht, also um deutsche Schulen, um das Goethe-Institut usw. Aber das hauptsächliche Problem ist schon, dass wir eigentlich niemanden haben, der für Deutsch zuständig ist. Eigentlich gehört diese Frage ins Kanzleramt: Das ist eine zentrale Aufgabe, die vom Kanzleramt aus gesteuert werden müsste. Stadler: Sie selbst haben jedoch mal festgestellt, dass sich in der deutschen Politik, also bei den Kanzlern, bei den Regierungen, auf diesem Gebiet sehr wohl schon ein Bewusstseinswandel vollzogen hat. Man hat dort anscheinend verstanden, dass Sprache wichtig ist. Stark: Ja, das stimmt. Bundestagspräsident Norbert Lammert ist so jemand: Der macht das sehr gut. Sein Stellvertreter Thierse ebenfalls, obwohl diese Idee innerhalb der SPD wieder weniger Anklang findet. Stadler: Man kann sich noch gut daran erinnern, dass der damals neu im Amt befindliche Außenminister Westerwelle auf einer Pressekonferenz von einem britischen Journalisten gebeten wurde, er möge doch auf Englisch antworten, und er dieser Bitte nicht nachgekommen ist. Da gab es dann gleich einen Aufschrei auch in der deutschen Presse: "Unser Außenminister kann anscheinend kein Englisch!" Stark: Ja, das ist eben typisch: So würde kein anderes Land reagieren. Jedes andere Land würde sagen: "Das ist eine Frechheit, was sich der britische Journalist erlaubt hat!" Stellen Sie sich vor, ein Franzose bittet in London auf einer Regierungspressekonferenz einen Minister, er solle doch bitte auf Französisch antworten. Was glauben Sie, was Ihnen der britische Minister antworten würde? Oder gehen Sie als Spanier nach Frankreich und bitten dort einen Regierungsvertreter, er solle doch bitte auf Spanisch antworten. Da würde doch jeder sagen: "Jetzt geht's aber los! Wo sind wir denn hier!" Ich bin kein großer Fan von Westerwelle, aber hier hat Westerwelle meiner Meinung nach sehr mutig und richtig gehandelt. Die Journalisten, die sich über ihn lustig gemacht haben, gehören zu denjenigen Journalisten, über die ich mich vorhin beklagt habe: Das sind die, die dieses Sprachbewusstsein nicht haben. Aber das hat sich dann in der Tat bald geändert. Erstens hat man gesehen, dass Westerwelle selbstverständlich Englisch kann, weil man ja bei irgendwelchen Tagungen oder Konferenzen in der Berichterstattung manchmal noch den O-Ton hört. Und zweitens ist das natürlich kein Argument: Selbst wenn er es nicht könnte, wäre das kein Beinbruch. Viele englische Minister können z. B. nur Englisch und keine Fremdsprache. Stadler: Nun gut, für die besteht natürlich immer weniger die Notwendigkeit, eine Fremdsprache beherrschen zu müssen. Stark: Tja, sie sprechen halt die Weltsprache. Stadler: Die Angelsachsen, also in dem Fall die Briten und die Amerikaner, sagen ja auch immer wieder: "Warum sollen wir denn Fremdsprachen lernen? Das ist intellektuell sicherlich eine Bereicherung, aber wir brauchen das einfach nicht." Stark: Das ist übrigens ein weiteres Problem, denn es geht mir hier ja nicht nur ums Deutsche, sondern überhaupt um die Mehrsprachigkeit. Diese wahnsinnige Dominanz des Englischen, die es heute in allen möglichen Bereichen gibt, führt dazu, dass kein Mensch mehr eine andere Fremdsprache lernt. Weil man mit Englisch eben überall durchkommt. Und es ist schade, dass man deswegen nicht mehr Französisch oder Italienisch oder Spanisch usw. lernt. Stadler: Der deutsche EU-Kommissar Oettinger hat ja auch gesagt, dass man in Zukunft Deutsch quasi nur noch im privaten Raum verwenden wird. Er drückte das allerdings in einem Englisch aus, das ihn wiederum zu einer Berühmtheit auf YouTube werden ließ. Stark: Das macht die ganze Sache dann wirklich lächerlich: wenn man so argumentiert und selbst diese Fremdsprache kaum beherrscht. Ich habe mir das auch angesehen: Sein Englisch ist furchtbar, das war wirklich nur noch peinlich. Aber er hat das nicht in diesem berühmten YouTube-Vortrag gesagt, sondern das, was Sie meinen, hat er schon vorher gesagt. Stadler: Gut, man müsste in diesem Fall Herrn Oettinger selbst fragen. Aber warum macht denn jemand so etwas? Das ist doch ein intelligenter, gebildeter Mensch. Man weiß doch eigentlich, wie gut man eine Fremdsprache beherrscht – im Hinblick auf die Aussprache, auf das Vokabular. Wenn man sich in einer Fremdsprache äußert und dabei auch noch sagt, dass diese Sprache im Gegensatz zur eigenen Muttersprache künftig Lingua franca sein soll, dann muss man sich doch überlegen, wie es ankommt, wenn man diese Fremdsprache selbst nur auf diese lächerliche Art und Weise rüberbringt. Stark: Nun, es gibt halt Menschen mit viel Selbstkritik, mit einem minderen Maß an Selbstkritik und mit wenig Selbstkritik. Er selbst hat es wahrscheinlich so nicht gesehen, dass er so eine schlechte englische Aussprache hat und z. T. auch die falschen Wörter wählt. Aber die Äußerung, die Sie meinen, hat er bereits vorher getan, als er noch Ministerpräsident in Baden-Württemberg gewesen ist. Damals hat er gesagt: "Wir müssen in den großen Firmen mehr auf Englisch umstellen, denn Deutsch verschwindet dort sowieso allmählich. Deutsch wird nie ganz verschwinden, denn es wird immer die Sprache der Familie, der Freunde sein, wird die Sprache abends beim Wein oder beim Bier sein." Das genau ist aber die große Gefahr. Gut, diese Angst ist jetzt übertrieben, aber das könnte in 50 Jahren wirklich der Fall sein, wenn wir immer mehr Fach- und Sachbereiche an das Englische abtreten. Hier geht es gar nicht so sehr um die Anglizismen, denn die stellen gar nicht das eigentliche große Problem dar. Das viel größere Problem ist das Verschwinden der eigenen Sprache aus bestimmten Fachbereichen. Wenn man z. B. überall die Gerichtssprache Englisch einführen würde, dann würde Deutsch als Gerichtssprache komplett verschwinden. In der Biologie ist Deutsch eh schon verschwunden, in der Medizin befindet es sich ebenfalls stark auf dem Rückzug. Das Problem ist, dass Deutsch dann eines Tages keine Kultursprache mehr ist, sondern wirklich nur noch eine Feierabendsprache. Stadler: Es gibt darüber hinaus auch noch das Problem, dass wir hier in Deutschland englische Begriffe kreieren, die weder in England noch in den USA verwendet werden. Ganz bekannt wurde in diesem Zusammenhang ja im Jahr 2006 bei der Fußball-WM der Begriff "Public Viewing", was aufseiten der amerikanischen und englischen WM-Besucher in Deutschland zu argem Gelächter führte. Denn in den USA wird mit diesem Begriff ganz eindeutig die öffentliche Aufbahrung einer Leiche verbunden, während dieser Begriff für die Engländer eher "Tag der offenen Tür" bedeutet – in beiden Ländern bedeutet "Public Viewing" jedenfalls nicht das, was wir damit ausdrücken wollen. Warum konnte man denn keinen deutschen Begriff dafür finden? Stark: Ich muss sagen, dass ich diese "selbstgeprägten" Ausdrücke – das klassische Beispiel dafür ist ja das Wort "Handy" – gar nicht so schlimm finde: Das ist manchmal ganz originell und sprachschöpferisch. Das trifft nicht auf alle diese Wörter zu, aber bei manchen ist das einfach so. Denken Sie nur einmal an das Wort "Dressman": Auch das ist ja eine deutsche Wortschöpfung. Auch der "Smoking" wird nur in Deutschland verwendet, denn im Englischen ist er so nicht wirklich gebräuchlich. Stadler: Im Englischen wiederum gilt der Dressman eher als Transvestit und keinesfalls als das, was wir darunter verstehen. Stark: Ja, das sind einfach andere Bedeutungen. Aber das wäre kein großes Problem, wenn jeder weiß, was damit gemeint ist und es so gebraucht. Warum also nicht? Ich möchte noch einmal auf die Anglizismen zu sprechen kommen, weil wir ja auch mit ihnen angefangen haben. Ich hatte ja bereits gesagt, dass ich sie nicht als das Kernproblem betrachte. Aber ein Argument ist trotzdem absurd, das auch von Linguisten immer wieder gebracht wird, wenn gesagt wird: "Was wollt ihr denn? Das macht doch höchstens ein Prozent des Wortschatzes aus!" Aber das stimmt nicht. Erstens weiß man schon mal gar nicht, wie groß der Wortschatz überhaupt ist, weil man nicht genau sagen kann, was dabei mitgezählt werden soll. Zählt man Komposita, also Zusammenfügung als eigene Wörter mit? Zählt man Ableitungen mit Vor- und Nachsilben mit, weil sie als eigene Wörter gelten? Man geht da immer vom großen Grimmschen Wörterbuch aus: Es hat 33 Bände und 500000 Wörter. Wenn man dann bei uns 5000 Anglizismen in Gebrauch findet, dann sagt man, dass sie ja nur ein Prozent des gesamten Wortschatzes ausmachen. Aber das ist natürlich Unsinn, weil kein Mensch 500000 Wörter beherrscht und gebraucht. Man weiß auch gar nicht, wie viele Wörter durchschnittlich von uns gebraucht werden: 30000? 10000? 50000? Das weiß man nicht. Und das Ganze hängt auch sehr, sehr stark vom jeweiligen Fachgebiet ab. In der Mode, im Freizeitsport, in manchen Privatradiomoderationen haben die Anglizismen oft einen Anteil von 30 Prozent, während sie in anderen Bereichen bei 0 Prozent Anteil liegen. Diese Zahl von nur einem Prozent sagt also gar nichts. Es ist unseriös, wenn z. T. sogar bedeutende Linguisten mit diesem Argument pro Anglizismen sprechen. Aber wie gesagt, nicht die Anglizismen sind das Hauptproblem, sondern sie sind eigentlich mehr der Katalysator und das Symptom dafür, dass man in allen Bereichen das Englische so wahnsinnig hoch einschätzt. Stadler: Aber vielleicht ist das auch eine Chance, weil es sicherlich etliche Menschen gibt, die dann, wenn sie darauf hingewiesen werden, darüber nachdenken und recht schnell einsehen, dass das mit dem Gebrauch von Anglizismen doch meistens ein rechter Unsinn ist. Und viele der Aussagen, die in diesem Denglisch geäußert werden, bestehen eigentlich nur aus Worthülsen, hinter denen keine wirkliche Aussage steht. Wenn man solche Aussagen mal etwas genauer abklopft, dann stellt man fest: Ja, das klingt beim ersten Hören eigentlich ganz lässig, ganz cool, aber wenn man genauer hinhört, merkt man, dass da entweder gar nichts dahinter ist oder nur eine ganz, ganz simple Aussage. Stark: Es gibt da diesen berühmten Spruch, den man immer wieder von Wissenschaftlern hören kann: "Ich habe nicht so recht gewusst, was ich sagen sollte, dann habe ich es halt auf Englisch gesagt." Das ist zwar nur scherzhaft gemeint, aber da ist schon was Wahres dran. Noch eine letzte Aussage zu den Anglizismen und zum Englisch in manchen Bereichen: In der Computersprache ist das Englisch wirklich sehr stark verbreitet. Ich hatte ja ganz am Anfang von den drei zu unterscheidenden Kategorien gesprochen. Die dritte Kategorie sind die ärgerlichen, die unnötigen Anglizismen. Was mich ärgert, sind diese Internetadressen, wenn sie ausgesprochen werden. Da heißt es z. B.: www.xyz.de/soundso. Wobei der Schrägstrich eben nicht als "Schrägstrich" ausgesprochen wird, sondern als "Slash". Ich habe mal im Oxford Dictionary nachgelesen, was "slash" eigentlich heißt. Eigentlich ist das gemäß Lexikon ein Schnitt, eine klaffende Wunde, die durch einen weit ausholenden Schlag verursacht worden ist. Der "slash" ist aber auch der Schlitz in einem Kleid, der Holzschlag im Wald, eine drastische Kürzung, der Preisnachlass, eine heftige Kritik an jemandem, der Peitschenknall, der Farbstreifen auf einer Folie usw. Im Militärjargon heißt das über die Bedeutung "Strahl" sogar "urinieren". Stadler: Aber all diese Bilder haben wir nicht im Kopf, wenn wir "slash" sagen. Stark: Genau, jetzt kommt der Punkt: Wenn ein Engländer "slash" sagt, dann verbindet er mehr oder weniger diese Assoziationen damit, d. h. er hat ein semantisches Netz, in das dieses Wort eingewoben ist. In diesem semantischen Netz ist dieses Wort mit vielen unterschiedlichen Vorstellungen verbunden und hat dort auch seinen Sinn. Im Deutschen jedoch hat das Wort "Schrägstrich" einen viel größeren Sinn, weil man sofort versteht, was gemeint ist. Bei "slash" hingegen muss man das zuerst einmal lernen, muss man zuerst einmal wissen, was der "slash" eigentlich ist. Aber bei "Schrägstrich" weiß man das sofort: Man weiß, was "schräg" heißt und man weiß, was ein Strich ist. Im Bewusstsein der Englischsprecher spielt dieses Bild des Strichs, des Strahls ja auch mit. Insofern hat die deutsche Entsprechung absolut ihre Berechtigung. Das aber wird von den Leuten, die so gerne Anglizismen gebrauchen, immer unterschätzt. Es wird unterschätzt, dass wir die Anglizismen immer erst lernen müssen, während ein deutsches Wort – sofern vorhanden – sofort für jedermann verständlich wäre. Stadler: Das ist jetzt der Schlusssatz gewesen, der Gedankenstrich, der uns noch zum Nachdenken anregen soll. Vielen Dank für diese Einblicke und diese Zusammenhänge. Schön, dass Sie bei uns waren, Herr Stark. Stark: Ich bedanke mich für das Interesse. Stadler: Liebe Zuschauer, vielen Dank auch für Ihr Interesse und fürs Zuschauen. Bis zum nächsten Mal, auf Wiedersehen. © Bayerischer Rundfunk