Gerda Holz/Antje Richter-Kornweitz (Hrsg.) im Auftrag des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS) Kinderarmut und ihre Folgen Wie kann Prävention gelingen? Mit 12 Abbildungen und 23 Tabellen Mit Beiträgen von Annette Berg, Martina Block, Heiner Brülle, Mirjam Hartmann, Beate Hock, Gerda Holz, Thomas Lampert, Roland Merten, Heinz Müller, Antje Richter-Kornweitz, Matthias Richter, Hella von Unger, Hans Weiß und Michael T. Wright Ernst Reinhardt Verlag München Basel Gerda Holz ist Sozialarbeiterin und Dipl.- Politikwissenschaftlerin. Sie forscht und berät am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. (ISS), Frankfurt, im Schwerpunkt Armut und soziale Ausgrenzung. Dr. Antje Richter-Kornweitz ist Dipl.-Pädagogin, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Landesvereinigung für Gesundheit & Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen e.V. im Bereich Soziale Lage und Gesundheit. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. ISBN 978-3-497-2170-3 © 2010 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Reihenkonzeption Umschlag: Oliver Linke, Augsburg Cover unter Verwendung eines Bildes von © Stephanie Hofschlaeger/PIXELIO Satz: Fotosatz Reinhard Amann, Aichstetten Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected] Inhalt „Die Praxis zeigt den Weg zu gesellschaftlichen Lösungen“ – Eine Vorbemerkung Von Gerda Holz und Antje Richter-Kornweitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Armut bei Kindern – Ein mehrdimensionales Phänomen . . . . . . . . . 11 I Lebenslage und Teilhabechancen – Heute für morgen . . . . . . . . . . 1 Was brauchen Kinder? – Lebens- und Entwicklungsbedürfnisse von Kindern Von Hans Weiß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 (Kinder-)Armut – Als Faktum und als Herausforderung in unserer Gesellschaft Von Roland Merten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Kinderarmut – Definition, Konzepte und Befunde Von Gerda Holz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II Wirkung von Armut bei Kindern – Ein Leben lang . . . . . . . . . . . . . 4 Langzeitwirkungen von Armut – Konzepte und Befunde Von Antje Richter-Kornweitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Armut bei Kindern und Gesundheitsfolgen Von Thomas Lampert und Matthias Richter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Armut bei Kindern – Bildungslaufbahn und Bildungserfolg Von Roland Merten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Armut – Auch ein Thema für die Hilfen zur Erziehung! Empirische Befunde und Entwicklungsperspektiven Von Heinz Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 12 20 32 43 43 55 66 81 Armutsprävention für Kinder – Ansätze auf zwei Ebenen . . . . . . . . 93 8 Resilienz und Armutsprävention Von Antje Richter-Kornweitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6 Inhalt 9 Kindbezogene Armutsprävention als struktureller Präventionsansatz Von Gerda Holz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Präventionskonzepte in Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 10 Armutsprävention durch Empowerment: Interdisziplinäre Frühe Förderung von Familien Von Mirjam Hartmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 11 Partizipation von Kindern als Schlüssel der Gesundheitsförderung – Ein Beitrag zur Qualität in der Armutsprävention Von Martina Block, Hella von Unger und Michael T. Wright . . . . . 138 12 „Mo.Ki – Monheim für Kinder“ – Armutsprävention als kommunale Handlungsstrategie Von Annette Berg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 13 Bildung für alle – Strategien zur Sicherung der Bildungsteilhabe von sozial benachteiligen Kindern Von Beate Hock und Heiner Brülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 Kindbezogene Armutsprävention – Eine Handlungsanleitung für Praxis und Politik Von Antje Richter-Kornweitz und Gerda Holz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 Die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 „Die Praxis zeigt den Weg zu gesellschaftlichen Lösungen“ – Eine Vorbemerkung Mit jedem Tag wächst das öffentliche Interesse an Fragen zur Armut bei Kindern und den Folgen. „Kinderarmut“ als Kurzterminus dafür ist zu ­einem Top-Thema in der deutschen Medien-Öffentlichkeit geworden und ist längst nicht mehr nur eine Headline für einen Tag, sondern eher ein Dauerbrenner in vielen Medien. Es geht nicht mehr nur um die Beschreibung von Einzelfällen, die allzu oft das individuelle Verhalten von Eltern als mögliche Ursache für die kindliche Misere anprangern, sondern um eine fundierte Auseinandersetzung mit Fragen nach strukturellen Ursachen, der Verbindung zwischen Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung, nach Bildungschancen und Bildungskarrieren, nach Gefahren einer sozial vererbten Armut sowie nach staatlichem Handeln und dessen Wirkungen und nicht zuletzt nach sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit. Die Erkenntnisse erzeugen Druck – vor allem für die politischen und staatlichen Akteure. Diese Alltagsbeobachtung ist als Teil oder Phase eines Prozesses zu verstehen, in dem sich Gesellschaft, Staat und Wirtschaft langsam, aber stetig einem der schwierigsten sozialen Themen moderner Gesellschaften nähern. Armut als ihr genuiner Bestandteil lässt sich nur im kulturellen Kontext der jeweiligen Gesellschaft erfassen und bestimmen. Armut bei Kindern als gesellschaftliches Phänomen ist wiederum verbunden mit dem elterlichen Leben und Handeln und ist immer ein stark emotional besetztes und zumeist moralisierend diskutiertes Thema. Sehr schnell geht es um Schuld und Schuldzuschreibungen, um den Wunsch oder Zwang zum „Helfen“, um Gefühle der Ohnmacht, weil eine komplexe Problematik nicht mit ein­ fachen Antworten und eindimensionalen Strategien im Vorübergehen zu bearbeiten ist. Gefordert sind qualifizierte, alle Bereiche und Ebenen zusammenführende Lösungsstrategien. Armut bei Kindern als strukturelles Problem Deutschlands hat sich seit Mitte der 1980er Jahre herausgebildet und seitdem stetig verfestigt. Der Prozess der gesellschaftlichen, d. h. der öffentlichen und politischen Wahrnehmung hat seit rund zehn Jahren Fahrt aufgenommen: Zunächst über Problemanzeigen aus den sozialen Diensten und Einrichtungen vor Ort sowie vereinzelt über kommunale Armutsberichte, dann über wissenschaftliche Studien mit stets ähnlichen Befunden und die mediale Verbreitung dieser eindeutigen Ergebnisse, bis schließlich zu einer Viel- 8 Gerda Holz und Antje Richter-Kornweitz zahl von Fachtagungen, Seminaren oder Workshops im universitären, verbandlichen oder Praxisbereich. Damit einher ging eine stärker werdende politische Diskussion in Parlamenten, Gremien oder Parteien auf kommunaler, Landes- und Bundesebene. Kurz, aus einer Insider- wurde eine Massendiskussion. Doch dabei ist es nicht geblieben: Die Wahrnehmung und Problematisierung des Armutsphänomens bei Kindern und seinen Folgen zog die Beschäftigung mit der Frage nach dem Umgang mit der Problematik und den Handlungsmöglichkeiten nach sich. Auch hier ist das Spektrum gegenwärtig vorfindbarer Bemühungen groß, vom eher karitativ geprägten Engagement Einzelner und vieler Gruppen über sich ausweitende neue Angebote durch soziale Dienste und Einrichtungen bis hin zum Beginn einer grundsätzlichen Neuausrichtung sozialer Infrastruktur, ganz besonders auf kommunaler Ebene. Kurz, es kam zur inhaltlichen Akzentverschiebung – weg von der reinen Situationsbeschreibung, hin zur Entwicklung lösungsorientierter Konzepte. Heute stehen wir am Anfang einer Diskussion – sowohl im Theoretischen wie Praktischen – über wirkungsvolle Ansätze zur sozialen Gegensteuerung, bei der es um Inhalte, Schwerpunkte, Ebenen und Strukturen einer „Armutsprävention für Kinder“ geht. Besondere Charakteristiken dieses gesamten Prozesses sind: Der Impuls zur Auseinandersetzung mit der Problematik „Kinderarmut“ kam aus der Mitte der Gesellschaft. Den Weg zu einer versachlichenden Auseinandersetzung prägten die Praxis sozialer Arbeit (d. h. Fachkräfte, Verbandsvertreter/-innen) und die empirische, lebenslageorientierte Forschung (z. B. zur Lebenslage insgesamt oder zu Bildungs-, Gesundheits-, Integrationsfragen). Die Ansatzpunkte zum wirkungsvollen Handeln finden sich aktuell bei den Kommunen, verbunden mit einem gemeinsamen Engagement vieler Akteure vor Ort, sowie der Dienste und Einrichtungen des Sozial-, Bildungs-, Gesundheitswesen usw. Sie machen gleichzeitig deutlich, dass Armutsprävention als soziale Gegensteuerung eine staatliche Pflichtaufgabe ist und entsprechende Rahmensetzungen auf allen Staatsebenen erfordert – ressort-, institutions- und professionsübergreifend. Wir haben es mit einem Prozess zu tun, der sich aus dem Lebensalltag der Betroffenen und dem Arbeitsalltag in Diensten, Einrichtungen, Verwaltungen u. a. speist. Damit ist verbunden, dass sich die Handlungslogiken, einzelne Prozessschritte und Schwerpunktsetzungen oder auch (Miss-)Erfolge erst im Nachhinein empirisch differenziert erfassen lassen und zur Grundlage theoretischer Konzeptüberlegungen werden können. Praxisgeprägte Entwicklung erfordert jedoch eine Systematisierung, eine konzeptionelle Verortung und Zuordnung sowie ein theoretisches Weiterdenken. „Die Praxis zeigt den Weg zu gesellschaftlichen Lösungen“ – Eine Vorbemerkung Und genau das soll mit unserer Publikation umgesetzt werden: Gegebenes Wissen anhand ausgewählter Themenfelder zusammenführen, konzeptionelle Grundlagen vorstellen, zentrale Ansatzpunkte zur kindbezogenen Armutsprävention aus der Praxis der Sozialen Arbeit für die politische und die fachliche Praxis benennen. Daraus ergeben sich Handlungsempfehlungen, denn beide entscheiden wechselseitig bedingt, wie die Zukunft von Kindern gestaltet und die Chancen von armutsbetroffenen – sprich sozial benachteiligten – Jungen und Mädchen gesichert werden. Dementsprechend beginnt der Band mit einer Beschreibung von „Armut als mehrdimensionales Phänomen“ unter Berücksichtigung der individuellen und der gesellschaftlichen Perspektive. Die Beiträge über die Langzeitwirkungen von Armut oder die Folgen für den Gesundheits- und Bildungsstatus zeigen deutlich, dass Lebenslage und Teilhabechancen von heute über die Entwicklungschancen für morgen entscheiden. Am Beispiel der Hilfen zur Erziehung wird außerdem sichtbar, wie sehr die Armut von Kindern die Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe prägt. Die Vorstellung der empirischen Daten wird von allen Autorinnen und Autoren mit Handlungsvorschlägen für die Politik verknüpft. Das Kapitel „Armutsprävention für Kinder – Ansätze auf zwei Ebenen“ ist der Prävention von Armut bei Kindern auf individueller und struktureller Ebene gewidmet. Die Notwendigkeit eines Wechsels von der Defizit- zur Ressourcenperspektive wird erläutert, und es werden Ergebnisse verschiedenster (Langzeit-)Studien u. a. aus der Resilienzforschung analysiert. Hier werden die Konturen eines Konzeptes der kindbezogenen Armutsprävention theoretisch entwickelt und als anwendungsorientierter Handlungsansatz skizziert. Den Vorgaben dieses Denkprozesses folgend werden im Kapitel „Präventionskonzepte in Umsetzung“ Handlungsalternativen vorgestellt, die für eine ressourcenorientierte Armutsprävention – insbesondere auf lokaler Ebene – leitend sind. Die Beiträge der Autorinnen und Autoren handeln davon, wie Bedürfnisse und Bedarfe beteiligungsorientiert ermittelt werden können, wie Menschen zur Entdeckung der eigenen Stärken ermutigt werden, sowie von einer konsequenten Lebensweltorientierung als kommunaler Strategie zur Armutsprävention. Partizipation ernsthaft umsetzen, Eigenkräfte stärken, Zugangsgerechtigkeit herstellen, Bildungsteilhabe ermöglichen – abschließend wird dargestellt, wie dies in den Bereichen der sozialen Teilhabe, der Bildung, der gesundheitlichen Versorgung etc. auf kommunaler Ebene verwirklicht werden kann. In einer Handlungsanleitung zur kindbezogenen Armutsprävention für Praxis und Politik werden diese und weitere Ideen und Konzepte von uns noch einmal zusammenfassend präsentiert. Damit soll der Anstoß zur raschen, aber stets auf die jeweiligen Gegebenheiten einer Kommune angepassten Übertragung gegeben werden. 9 10 Gerda Holz und Antje Richter-Kornweitz Kinderarmut ist eine bundesweite Realität – Maßnahmen zur kindbezogenen Armutsprävention müssen ebenso zur bundesweiten Realität werden. Die Herausgeberinnen schulden den Autorinnen und Autoren großen Dank für die gute Zusammenarbeit und die sorgfältige Bearbeitung des Themas. Herzlichen Dank für das Engagement und die Geduld. Bedanken möchten wir uns außerdem bei Pia Theil, die uns mit kritischem Blick und ihren konstruktiven Rückmeldungen redaktionell unterstützt hat. Nun hoffen wir, dass der Band zahlreiche Leserinnen und Leser findet, die mit uns gemeinsam für die Umsetzung einer kindorientierten Armuts­ prävention in naher Zukunft eintreten. Wir hoffen ebenso, dass der Band impulsgebend für eine verstärkte wissenschaftliche Diskussion ist, die mit Blick auf Lösungen erst begonnen hat. Frankfurt am Main und Oldenburg, im Januar 2010 Gerda Holz und Antje Richter-Kornweitz