3. Die Entwicklung Georgiens Als das knapp 70.000 km² große Georgien am 09.04.1991 unabhängig wurde, brachen auch hier die bereits zur Sowjetzeit latent existierenden ethnischen Konflikte offen aus. Von den 5,4 Mio. Einwohnern waren nur knapp 70 Prozent tatsächlich Georgier, während große Minderheiten von Armeniern, Aseri, Osseten und Abchasen in den grenznahen Gebieten lebten. Am längsten währte der Konflikt mit den Abchasen im Nordwesten der neuen unabhängigen Republik. Schon seit 1988 gab es Spannungen, welche vor allem mit dem wachsenden Nationalismus auf georgischer Seite zusammenhingen1. Zwischen 1992 und 1993 führte dies zu einem Krieg zwischen beiden Nationalitäten. Durch diesen Krieg traten weitere Konfliktlinien zu Tage, welche zunehmend zur Internationalisierung aller Krisenherde in Georgien beitrugen. Der neue Präsident Schewardnadse betrieb eine offen propagandistische Politik Richtung Aserbaidschan und in den Nordkaukasus, welche gegen die frühere Hegemonialmacht Rußland gerichtet war und Gegenreaktionen dieses Akteurs provozieren mußte. Die Konföderation der Völker des Kaukasus, welche nach dem der Zerfall der SU als Verteidigungsbündnis von 14 nordkaukasischen Völkern gegründet worden war, kämpfte hingegen auf abchasischer Seite gegen die georgischen Streitkräfte und konnte dadurch von externen Akteuren instrumentalisiert werden2. In diesem Zeitraum verschlechterte sich durch die verstärkten georgisch- nationalistischen Agitationen das zuvor unproblematische Verhältnis zwischen Georgiern und Osseten. 1990 brachen die ersten Kämpfe zwischen beiden Seiten aus. Erst 1992 konnte ein Waffenstillstand vereinbart werden, welcher von einer „joint control commission“ (JCC) in Form von Grenztruppen kontrolliert wurde. Diese Grenzeinheiten bestanden aus russischen, südossetischen und georgischen Streitkräften. Südossetien begriff diesen Zustand und die folgende sich verstärkende Anbindung an den russischen Wirtschaftsraum als erkämpfte Unabhängigkeit und erklärte sich 2004 zur unabhängigen „Republik Südossetien“, welche international nicht anerkannt wurde3. 1 Vgl. Matveeva, Anna: Georgia: peace remains elusive in ethnic patchwork; in: Tongeren, Paul van/ Veen, Hans van de/ Verhoeven, Juliette: a.a.O., S. 416 2 Vgl. Manutscharjan, Aschot: a.a.O. (Anm. 230), S. 75 ff. 3 Vgl. Bielawski, Martina/ Halbach, Uwe: Der georgische Knoten- Die Südossetienkrise im Kontext georgischrussischer Beziehungen; in: SWP- Aktuell 41, 09/ 2004, http://www.swpberlin.org/de/common/get_document.php?id=1014, 17.08.06, S. 4 Seite 1 von 16 3.1. Die politischen und sicherheitspolitischen Faktoren Georgiens erster Präsident war der ehemalige sowjetische Dissident Gamsachurdia. Obwohl er sein Amt, welches noch vom Obersten Sowjet Georgiens bestimmt worden war, durch eine Präsidentschaftswahl 1991 legitimierte, war er nur bis 1992 Staatsoberhaupt. Georgische Paramilitärs organisierten einen Putsch gegen ihn und setzten Schewardnadse ein, nachdem sie Gamsachurdia vertrieben hatten. Dieser gründete jedoch eine Exilregierung und kehrte 1993 ins Land zurück, wo er mit ihm ergebenen Truppen das westgeorgische Mingrelien eroberte. Schewardnadse schlug diesen Aufstand mit russischer Unterstützung nieder, wobei Gamsachurdia später erschossen aufgefunden wurde. Seit 1991 entglitt Georgien auch die Provinz Adscharien an der türkischen Grenze mit der wichtigen Hafenstadt Batumi immer mehr der staatlichen Kontrolle. Es handelte sich aber nicht um eine ethnisch begründete Sezession, die Bewohner dieses Gebietes waren ethnische Georgier muslimischen Glaubens. Vielmehr weigerte sich der Führer Abaschidse als Oberhaupt selbigen Familienclans, die Schwäche des Zentralstaates ausnutzend, Zölle und Gebühren an die Regierung weiterzuleiten. Die opponierende Haltung gegenüber Tiflis wurde von Rußland unterstützt. Abaschidse baute sein autokratisches Regime bis 1998 als Parlamentspräsident eines von ihm aufgelösten Parlamentes immer weiter aus und ließ sich 1998 zum Präsident von Adscharien ernennen. Aufgrund der zahlreichen Konflikte auf eigenem Territorium und des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien sowie der Befürchtung, daß dieser auch noch auf die von Armeniern und Aseri bewohnten georgischen Provinzen übergreifen könne, propagierte Georgien bis 1993 die Politik des „gemeinsamen kaukasischen Hauses“. Die beabsichtigte antirussische Wirkung blieb allerdings aus, führte jedoch zu einer Annährung zwischen Aserbaidschan und Georgien4. Da Georgien von Armenien außenpolitisch auf der Seite des Kriegsgegners stehend interpretiert wurde, verschlechterte dies die Beziehungen zwischen beiden Staaten nachhaltig. Zum einen wurde diese Politik von armenischer Seite als Affront gegen die „christliche Partnerschaft“ beider Länder verstanden, zum anderen konnte und wollte Armenien den antirussischen Kurs dieser Politik nicht unterstützen. Dennoch führten diese Spannungen nicht zu einer Eskalation, welche von der armenischen Minderheit Georgiens hätte getragen werden können. Allerdings entglitten die armenischen Gebiete langfristig der Kontrolle der Zentralregierung in Tiflis. In Georgien herrschte 1994, bis auf die Hauptstadt, überall Gesetzlosigkeit, der Staat war quasi zerfallen5. Dies eröffnete dem russischen 4 Vgl. Manutscharjan, Aschot: a.a.O. (Anm. 230), S. 72 ff. Vgl. Alaolmolki, Nozar: Life after the Soviet Union: the newly independent republics of Transcaucasus and Central Asia, New York 2001, S. 154 5 Seite 2 von 16 Präsidenten Jelzin die Möglichkeit, die Konflikte in russischem Interesse nicht nur immer wieder zu manipulieren oder zu regulieren, sondern auch direkten Einfluß auf Georgien zu nehmen6. Bereits 1993 war durch die UNO ein Waffenstillstand zwischen Abchasien und Georgien ausgehandelt worden, welcher später durch die „United Nations Observer Mission in Georgia“ (UNOMiG) überwacht wurde. Im Mai des Jahres 1994 beteiligte sich an dieser Mission auch eine 2500 Mann umfassende GUS- Truppe als „CIS Peace Keeping Force“ (CISPKF)7. Zuvor hatte Jelzin das Druckpotential durch russische Truppen auf fünf georgischen Militärbasen und der hierdurch theoretisch gegebenen Fähigkeit der Sicherung georgischer Territorialität benutzt, um das Land in die GUS zu drängen8. Nachdem 1992 Armenien und später Aserbaidschan unter Alijew in die GUS eintraten, folgte als letztes transkaukasisches Land Georgien. Trotzdem kooperierten alle Länder weiterhin mit dem PfP der NATO. Dies könnte direkt mit dem von externen Akteuren favorisierten Transportkorridor (Traceca- Transport Corridor Europe Caucasus Asia) zusammenhängen und veranschaulicht die hochkomplexe Interessenlage in bezug auf sämtliche Entwicklungen in Transkaukasien9. In die Zeit der GUS- Mitgliedschaft Georgiens fiel auch der Abschluß von Separatabkommen Rußlands mit Armenien, welche das Ende der georgischen Bemühungen um eine antirussische Einheit der kaukasischen Staaten darstellte. Die OSZE hatte bereits 1992 ein Hauptquartier in Tiflis aufgrund der herrschenden kriegerischen Auseinandersetzungen eröffnet, zu dem 1996 ein Presse-, und Informationszentrum hinzukam. Außerdem arbeitete seit dem 29.03.1994 die OSZE eng mit der UN im Rahmen der UNOMiG, bei der Errichtung eines Menschenrechtsbüros und einer Langzeitmission für Menschenrechte zusammen10. Obwohl die OSZE ihre Arbeit in Abchasien nie aufgab, entwickelte sich mit der Zeit eine Art Arbeitsteilung zwischen ihr und der UN. Schwerpunkt wurde zunehmend die Arbeit im eingefrorenen Konflikt in Südossetien. Um weitestgehende Konfliktprävention gewährleisten zu können, wurde das „Office on Democratic Institutions and Human Rights“ (ODIHR) zur Sicherung von Wahlen und dem Schutz der Minderheiten in Georgien eingerichtet. Gleichzeitig bemühte sich der „United Nations High Commissioner for Refugees“ (UNHCR) die etwa 250.000 georgischen Binnenflüchtlinge wieder zu einer Rückkehr in ihre Heimat zu bewegen. Es handelte sich hierbei um 230.000 Flüchtlinge aus Abchasien und 12.200 aus Südossetien. Außerdem hatte 6 Vgl. Halbach, Uwe: Moskaus Südpolitik- Rußland und der Westen im Kaspischen Raum; in: BiOSt Nr. 30, Köln 1999, S. 31 7 Vgl. MacFarlane, S. Neil: a.a.O., S. 61 8 Vgl. Alaolmolki, Nozar: a.a.O., S. 153 9 Vgl. Engelke, Thomas: a.a.O., S. 89 ff. 10 Vgl. Lacombe, Jean- Michel: The OSCE mission to Georgia: mandate and activities; in: Sabahi, Farian/ Warner, Daniel: a.a.O., S. 161 ff. Seite 3 von 16 Georgien einige Tausend Flüchtlinge aus Tschetschenien zu verkraften. Die Rückkehr georgischer Personen sollte vor allem nach Abchasien erfolgen. Insgesamt scheiterten die Bemühungen, führten aber zur weiteren Konzentration der georgischen Bevölkerung im abchasischen Distrikt Gali. In dieses Gebiet, welches von georgischen Partisanen kontrolliert wurde, strömten 1998 über 30.000 Georgier und führten zu einem Anwachsen der Gesamtbevölkerung auf rund 60.000 Menschen. Ihre in Abchasien verlassenen Häuser wurden von abchasischen Einheiten niedergebrannt. Die im Raum Gali operierenden georgischen Freischärler werden u.a. für den Beschuß von CISPKF, welche im Grunde ausschließlich aus russischen Einheiten besteht, verantwortlich gemacht und sind nicht kontrollierbar11. Politisch entwickelte sich Georgien dennoch demokratisch. Im August 1995 trat eine neue Verfassung in Kraft, nach welcher sich Schewardnadse zur Wahl stellte. Das Präsidentenamt sollte so maximal zweimal für fünf Jahre ausgeführt werden können. Schewardnadse wurde auf Grundlage der neuen Verfassung mit 72,9 Prozent zum Präsidenten gewählt. In diesem Jahr fanden auch die Parlamentswahlen für die vierjährige Legislaturperiode statt, welche die schewardnadsetreue „Bürgerunion Georgiens“ gewann. Sie errang 108 von 233 Mandaten12. Diese Wahlen wurden als die fairsten und freisten Wahlen im GUS- Raum bezeichnet. Trotzdem war der georgische Präsident nicht unumstritten und besaß zahlreiche Widersacher. Er überlebte insgesamt drei Mordanschläge13, in welche auch Rußland involviert gewesen sein soll. Schewardnadse brach den antirussischen Kurs nach 1995 auch nicht ab und propagierte zusätzlich eine starke Westintegration als Garant für Sicherheit und Stabilität. Dies resultierte aus der georgischen Sichtweise, daß nur der Westen der Kurator Georgiens sein könne14. So wurde erklärt, 2005 in die NATO eintreten zu wollen und im März 1996 eine wenig erfolgreiche Strategie „friedvoller Kaukasus“ formuliert. Die Zusammenarbeit mit Aserbaidschan intensivierte sich und führte Monate später mit einem Abkommen über Frieden, Stabilität und Sicherheit in der Kaukasusregion zu ersten Ansätzen multilateraler Sicherheitsbemühungen. Im Juni 1996 führten auch die Beratungen über die „Kaukasischen Vier“ wieder zu einer vorsichtigen Annährung mit Rußland. Mit Aserbaidschan, Armenien und Georgien wollte Rußland ein sicherheitspolitisches Abkommen für den gesamten Kaukasus vereinbaren. Es entsprach aber zu sehr russischen Vorstellungen und führte erst 2002 durch einen Politikwechsel Rußlands zu Vereinbarungen gegen Terrorismus, organisierte Kriminalität und 11 Vgl. MacFarlane, S. Neil: a.a.O., S. 60 ff. Vgl. Auch, Eva- Maria: a.a.O. (Anm. 162), S. 19 13 Vgl. Kaeter, Margaret: a.a.O., S. 110 14 Vgl. Coppieters, Bruno: Westliche Sicherheitspolitik und der Konflikt zwischen Georgien und Abchasien; in: BiOSt, Köln 1999, S. 14 ff. 12 Seite 4 von 16 Migration15. Im April 1997 eröffnete die OSZE ein Feldbüro in der südossetischen Hauptstadt Tskhinvali, welches seit dem Jahr 2000 mit zwei Missionsoffizieren besetzt ist. Außerdem nahm im gleichen Jahr das „Human Rights Office in Abkhazia, Georgia“ (HROAG) die Arbeit auf. Zur Überwachung der Repatriierung von Turkmeshkheten, welche in Zentralasien Pogromen ausgesetzt waren, wurde ein „Human Rights Office“ (später Human Dimension Office- HDO) eingerichtet16. Auch die EU arbeitete nun grenzüberschreitend in den Krisengebieten Kaukasiens. In Georgien, Abchasien und Tschetschenien, Südossetien und teilweise in Berg- Karabach wurde im Rahmen des ECHO- Programms in Zusammenarbeit mit NROs die Vertrauensbildung zwischen den Konfliktparteien forciert. Außerdem unterstützte man den Südkaukasus mit Nahrungsmittellieferungen, welche sich 1994 auf 1.414.000 t beliefen und Hungerkatastrophen verhinderten. Noch 1996 wurden 397.000 t zur Versorgung der Bevölkerung bereitgestellt. In diesem Rahmen sollte auch das von der EU initiierte RARPprogramm (Rural Agricultural Reform Project) wirken, welches die Unterstützung kleiner Farmunternehmen vorsah und so die Nahrungsmittelversorgung sichern helfen sollte. Begleitet wurden diese Bemühungen vom späteren Abschluß eines PCAs17. Schewardnadse versuchte im Oktober 1997 nochmals seine Position gegenüber Rußland zu verbessern, indem er mit der Ukraine, Aserbaidschan und der Moldaurepublik die GUAM gründete. Dieses Militärbündnis war eindeutig gegen die GUS gerichtet, ursprüngliche Intention war allerdings der militärische Schutz von zukünftig zu errichtenden Pipelines im Rahmen des Traceca- Programms durch ein eigenes Bataillon. Seit dem Jahr 2001 wurde zudem die „Friedenserhaltung“ mit in die Vereinbarungen aufgenommen18. Doch auch durch den 1999 erfolgten Beitritt Usbekistans (GUUAM) konnte man die formulierten Ansprüche nie leisten. Die Finanzkrise Rußlands 1998 offenbarte mit ihrem totalen Einfluß auf Georgien die immer noch starke Abhängigkeit vom russischen Wirtschaftsraum. Seit diesem Jahr brach bis 2001 immer wieder aufs neue der eingefrorene bzw. als „low intensity“ bezeichnete Konflikt zwischen georgischen Paramilitärs und Abchasen an der abchasischen Grenze aus. Nordkaukasen, vor allem tschetschenische Kämpfer, traten auf abchasischer Seite als Akteure auf. Die militärische Selbstbehauptung führte 1999 zur Unabhängigkeitserklärung Abchasiens19. Auch Rußland verschärfte die Spannungen zu Georgien als es Ende 1999 das georgische Pankisital an der Grenze zu Tschetschenien mit dem Verweis auf tschetschenische 15 Vgl. Allison, Roy: a.a.O., S. 24 ff. Vgl. Lacombe, Jean- Michel: a.a.O., S. 164 ff. 17 Vgl. MacFarlane, S. Neil: a.a.O., S. 68 ff. 18 Vgl. Allison, Roy: a.a.O., S. 28 ff. 19 Vgl. Matveeva, Anna: a.a.O. (Anm. 313), S. 417 16 Seite 5 von 16 Terroristen bombardierte20. Dieses Tal ist von den tschetschenischstämmigen Kisten bewohnt. Tatsächlich schienen aus diesem Gebiet Kämpfer ins benachbarte Kriegsgebiet einzusickern, vor allem aber sammelten sich auf georgischem Territorium tschetschenische Flüchtlinge, welche ebenfalls bombardiert worden. Da das Pankisital als sicherer Hafen für Kriminelle galt, handelte es sich bei den Terroristen sehr wahrscheinlich um eine etwa 70 Personen umfassende kriminelle Gruppe21, welche allerdings durchaus mit Terroristen vernetzt gewesen sein konnte. Im November 1999 hatte Rußland noch den Abzug von den Militärbasen Vaziani bei Tiflis und Gadauta in Abchasien verfügt und war so teilweise georgischen Forderungen nachgekommen. Allerdings blieben Truppen in Akhalkalaki und Batumi stationiert, für welche ein nie umgesetzter Plan vorgelegt wurde, diese bis 2001 zu räumen22. Es soll sich hierbei um etwa 15.000 in Georgien stationierte russische Soldaten handeln23, welche nun angeblich bis 2008 abgezogen und ins armenische Gyumri verlegt werden sollen. Die politische Wirkung dieses Schrittes kann indes kaum abgesehen werden. Zum einen stellten die Truppen einen nicht unerheblichen Wirtschaftsfaktor in den georgischen Regionen dar, zum anderen könnten sie die fragile armenisch- aserbaidschanische Machtbalance erheblich belasten. Im Jahr 2000 besuchte der türkische Präsident Demirel aufgrund vielfältiger Rußland betreffender Sicherheitserwägungen Georgien und auch der russische Präsident Putin traf Schewardnadse im gleichen Jahr wegen sicherheitspolitischer GUS- betreffender Fragen in Moskau24. Eine Lösung der vielfältigen Spannungen innerhalb Georgiens und zwischen Georgien und den Interessen der externen Akteure konnte allerdings nicht gefunden werden. Die Spannungen eskalierten im betreffenden Jahr sogar mehrfach. Zum einen inkorporierte Rußland Südossetien und Abchasien durch wirtschaftliche Beziehungen und Etablierung eines gemeinsamen Visaregimes in den nördlichen Wirtschaftsraum und trennte sie endgültig vom georgischen Staat. Zum anderen wurden im Kodorital/ Gali im Dezember 2000 zwei UNBeobachter entführt und 2001 die UNOMiG und CISPKF Angriffziele georgischer Paramilitärs. Außerdem kam es bei den GUS- Truppen zu Minenexplosionen und seit April 2001 zu gezielten Tötungen auf georgischer und abchasischer Seite25. Im Pankisital wurden im gleichen Zeitraum vier IRK- Schwestern entführt26 und ein UNOMiG- Helikopter abgeschossen. Die neun Insassen wurden getötet. Abchasien fragte noch während der Kämpfe 20 Vgl. Cornell, Svante E.: a.a.O. (Anm. 7), S. 12 Vgl. Williams, Phil: a.a.O., S. 82 22 Vgl. Charlick- Paley, Tanya/ Williams, Phil/ Oliker, Olga: : The political evolution of Central Asia and South Caucasus: implications for regional security; in: Oliker, Olga/ Szayna, Thomas: a.a.O., S. 37 23 Vgl. Lerch, Wolfgang Günter: a.a.O., S. 73 ff. 24 Vgl. Alaolmolki, Nozar: a.a.O., S. 152 25 Vgl. Matveeva, Anna: a.a.O. (Anm. 313), S. 420 ff. 26 Vgl. Klevemann, Lutz: The new great game: Blood and oil in Central Asia, London 2003, S. 54 21 Seite 6 von 16 mit Georgien im Jahr 2001 offiziell eine Mitgliedschaft in der russischen Föderation an27. Die politische und militärische Lage Abchasiens zeigte deutlich, daß die Konfliktlinien nicht mehr klar zwischen den Kriegsparteien verliefen und sich die Konfliktherde zunehmend vernetzten. So kämpften Tschetschenen für Abchasien, welches der russischen Föderation zugehören wollte, gegen die georgischen Streitkräfte, während zeitgleich russische Truppen in Tschetschenien und dem georgischen Pankisital Krieg gegen tschetschenische Kämpfer führten. Am 18. Juni 2001 wurde ein englischer Geschäftsmann entführt, welcher erst im November 2002 wieder frei kam. Die Sicherheitslage war so gespannt, daß Deutschland seit dem Jahr 2000 georgische Armeeinheiten ausbildete28 und auch die USA ein Jahr später im Zusammenhang mit dem „Krieg gegen den Terror“ 200 Militärberater entsandten29. In diesem angespannten Klima wurde Schewardnadse als Präsident wieder gewählt. Trotz demokratischer Legitimation erlangte er die Kontrolle über das Staatsgebiet jedoch nie mehr wieder. Während dieser Zeit hatte sich die Gefahr, welche aus diesen „no go areas“ für die Weltgemeinschaft resultierte, so potenziert, daß die Regionen mit nur noch theoretisch geltendem Recht, welches praktisch nicht zur Anwendung kam, nach dem 11. September 2001 nicht mehr hingenommen werden konnten30. Da Georgien seine Grenzen, vor allem nach Tschetschenien nicht mehr allein schützen konnte und es deshalb zwischen Moskau und Tiflis zu starken Mißtrauensbekundungen kam, wurde im Dezember 2001 eine unbewaffnete „Mission Border Monitoring Operation“ (BMO) an der 81,5 km langen tschetschenischen und 55 km langen inguschetischen Grenze vereinbart31. Am 27.02.2002 gaben die USA 64 Mio. US- Dollar für die militärische Unterstützung der georgischen Armee32 und inzwischen trainieren über 500 US- Militärberater georgische Einheiten, deren Gesamtzahl auf 17.000 Soldaten stieg33. Tiflis erwog sogar wieder eine militärische Kooperation mit Armenien, um Sicherheitsbedürfnissen nachzukommen, welche allerdings zu keinem realen Vertragsabschluß kam. Problematisch war der 2002 erfolgte Einmarsch von 80 russischen Soldaten ins Kodorital. Sie verletzten damit die völkerrechtliche anerkannte Integrität Georgiens wiederholt, weshalb die UNOMiG diesen Akt als aggressiv verurteilte34. Im selben Jahr wurde ein Vertrag über den Schutz der neuerrichteten BTC- Pipeline zwischen Georgien, Aserbaidschan und der Türkei unterzeichnet. Jeder 27 Vgl. Matveeva, Anna: a.a.O. (Anm. 313), S. 422 Vgl. Dekmejian, R. Hrair/ Simonian, Hovann H.: a.a.O., S. 145 29 Vgl. Kaeter, Margaret: a.a.O., S. 112 30 Vgl. Erler, Gernot: Regionale Konflikte in der Perspektive der „Nach- September- Welt“: Neue Optionen für den Südkaukasus? Arbeiten des Osteuropainstitutes München 2/02, München 2002, S. 151 31 Vgl. Lacombe, Jean- Michel: a.a.O., S. 166 32 Vgl. Czempiel, Ernst- Otto: a.a.O., S. 146 33 Vgl. Klevemann, Lutz: a.a.O. (Anm. 338), S. 35 34 Vgl. Klevemann, Lutz: a.a.O. (Anm. 180), S. 55 28 Seite 7 von 16 Vertragspartner sollte auf eigenem Territorium diesen Schutz sicherstellen können. Eine weitere Grenze zum potentiellen Konfliktherd Dagestan innerhalb der Russischen Föderation wurde mit einer von Rußland, Georgien und Aserbaidschan 2003 eingerichteten Grenzkontrolle gesichert35. Doch den georgischen Bemühungen Stabilität langfristig herstellen zu können, wurde international nicht mehr Vertrauen geschenkt und auch innenpolitisch war durch Korruption und Armut das Ansehen Schewardnadses weitgehend verspielt worden. Schon 2002 hatten der IWF und die Weltbank alle Finanzhilfen für Georgien suspendiert und so die Lage Schewardnadses aufgrund fehlender Handlungsfähigkeit vollends unmöglich gemacht. Als Schewardnadse zudem das gesamte georgische Energieversorgungssystem an Gazprom verkaufte, tangierte er US- amerikanische Energieinteressen und gab damit den Anlaß für US- gesteuerte Demonstrationen gegen ihn36. Sie begannen im Zuge des Versuches Schewardnadses, die Wiederherstellung von Handlungsoptionen durch „demokratischer Legitimität“ zu forcieren. Während der Parlamentswahl 2003 wurden deshalb massive Wahlfälschungen zugunsten des Schewardnadse nahestehenden Parteienblocks „Für ein neues Georgien“ durchgeführt. Dieser Block wurde am 02.03.2003 zum Sieger der Wahl erklärt. Nach langen Protestkundgebungen des oppositionellen Parteibündnisses „Vereinigte Nationale Bewegung“ in Tiflis und der Stürmung von Parlamentsgebäuden trat Schewardnadse am 23.11.2003 zurück37. Im Januar 2004 wurde der Oppositionsführer Saakashvili zum neuen Präsidenten Georgiens gewählt. Zwischen November 2003 und dem Januar 2004 war Burdschanadse Übergangspräsidentin. Tatsächlich führte die sogenannte „Rosenrevolution“ zu einer politischen Aufbruchstimmung in Georgien. Saakashvili leitete die ausgesetzte Privatisierung wieder ein und 2004 ging die Verschuldung Georgiens angeblich auf 35 Prozent des BIP zurück. Selbst der Adscharienkonflikt konnte überraschend schnell gelöst werden, als Abaschidse nach Moskau ins Exil ging. Aus diesem Grund stellten die EU und die Weltbank im Juni 2004 eine Milliarde US- Dollar als Finanzhilfe für die neue Regierung zur Verfügung, welche durch weitere Hilfsprogramme der USA flankiert wurden38. Die US- Amerikaner haben seit 1992 etwa 1,5 Mrd. US- Dollar Entwicklungshilfe gezahlt. Gerade innenpolitisch wird Saakashvili seine Befähigung unter Beweis stellen müssen, die verkrusteten korrupten Strukturen und die Schattenwirtschaft zugunsten einer prosperierenden Ökonomie zu eliminieren. Zahlreiche Armenier Georgiens sollen diesem Mann mit Skepsis begegnen und ihm die Befähigung zum Politiker absprechen. Aufgrund der zunehmenden 35 Vgl. Allison, Roy: a.a.O., S. 25 Vgl. Lauterbach, Reinert: Agent orange reloaded; in: hr2- „Der Tag“: Sendung 01.07.05, 8:40 min. ff. 37 Vgl. Auch, Eva- Maria: a.a.O. (Anm. 162), S. 19 38 Vgl. Bielawski, Martina/ Halbach, Uwe: a.a.O., S. 1 36 Seite 8 von 16 Verspannungen zwischen Georgien und Rußland fürchten sie eine, in naher Zukunft stattfindende russisch initiierte, Revolution gegen ihn, nachdem die USA dies 2003 erfolgreich demonstriert hatten39. Das Geschick des Präsidenten, die Sezessionskonflikte zu beseitigen war bereits 2004 erschöpft, nachdem die territoriale Integrität mit Gewalt wieder hergestellt werden sollte. Ursache war die Schließung des Schwarzmarktes vor Tskhinvali durch georgische Behörden. Auf diesem Markt wurden vor allem russische Güter gehandelt, viele Menschen verloren somit ihre einzige Einkommensquelle. Zwischen Georgien und Südossetien kam es zu einer ernsthaften Krise, die nur durch internationale Vermittlung nicht zu einem Krieg eskalierte und in dessen Folge sich Südossetien als unabhängige Republik konstituierte. 3.2. Die sozioökonomischen und kulturellen Faktoren Georgien galt seinen Nachbarrepubliken als abschreckendes Beispiel einer neuen unabhängigen Republik und tatsächlich waren die ethnischen Konfliktlinien noch zahlreicher als in Armenien und Aserbaidschan und traten immer unberechenbarer in allen Landesteilen auf. Ethnische Probleme gab es in Abchasien und Südossetien im Norden Georgiens sowie im Süden mit den dort lebenden Armeniern und den im Gebiet Marneuli siedelnden Aseri. Hinzu kamen durch die Schwäche der Zentralregierung hervorgerufene Probleme mit Adscharien und Konflikte zwischen Armeniern und den in ihren ursprünglichen Siedlungsraum zurückkehrenden Meshkheten. Meshkhetien ist eine geographische, keine ethnische Bezeichnung. Es handelt sich bei dieser dort lebenden Personengruppe um echte Türken, nicht um konvertierte Georgier. Diese siedelten, bis zu ihrer Deportation unter Stalin, im Gebiet des heutigen armenisch besiedelten Bezirks Samshe- Javakheti. Die Stadt Akhalkalaki wird auch Javakheti genannt. Die Konflikte in Javakheti und Adscharien hatten für Georgien eine besondere Brisanz, weil sie potentielle Gefährdungen der BTC- Pipeline darstellten40. Sozial verschärfend wirkten sich zudem die Kriegsfolgen aus. Über 4000 Tote forderten die Auseinandersetzungen und lösten eine Fluchtwelle von einer Viertelmillion georgischer Bürger nach Zentralgeorgien aus. In der Konsequenz bedeuteten diese Fluchtbewegungen, verbunden mit dem ökonomischen Einbruch nach der Unabhängigkeit, daß Georgien durch Emigration ca. 1/5 seiner Bevölkerung verlor41. Zusätzlich zu den hohen Migrationsraten existierte eine extrem niedrige Geburtenrate, bei sinkender Lebenserwartung. Insofern gab es seit 1995 kein positives Bevölkerungswachstum mehr. 39 Vgl. Arman: Interview, Yerevan 17.06.06; in: Böhme, Dominique: a.a.O. (Anm. 285), S. 2 Vgl. Dekmejian, R. Hrair/ Simonian, Hovann H.: a.a.O., S. 153 41 Vgl. Jeffries, Ian: a.a.O., S. 117 40 Seite 9 von 16 Abb. 5: Bevölkerungsentwicklung 1994 – 2004, Georgien 2,5 2 1,5 1 0,5 0 -0,5 -1 -1,5 Jahre Bevölkerungswachstum in % Geburtenrate (Kind/Frau) Eigene Darstellung; Datenquelle: CIA- worldfactbook 1994- 2004 Staatliche Dienstleistungen konnten kaum noch erbracht werden und sind teilweise für die gestiegene Mortalität mitverantwortlich. So sollen angeblich rund zwei Prozent des BIP für die flächendeckende Gesundheitsversorgung aufgewendet werden. Real existiert sie aber nur mit großen Schwächen. Die Schule ist zweigliedrig und führt bis zur achten Klasse, das Abitur kann nach 11 Jahren erworben werden42. Bis 1995 hatte Georgien auch einen drastischen Einbruch der zu Sowjetzeit führenden industriellen Basis zu verkraften. Die Elektrolokproduktion oder der Bau von Kampfflugzeugen wurden komplett eingestellt. Die Versorgungslage der Bevölkerung verschlechterte sich zunehmend, so daß Getreide und Fleisch importiert werden mußten. Hierdurch ergab sich zu Beginn der Unabhängigkeit bereits ein Außenhandelsdefizit von 1,7 Mrd. US- Dollar und die Inflationsrate lag bei rund 60 Prozent. Erst 1996 lagen diese Raten erstmals wieder unter 40 Prozent und zeitweise sogar im einstelligen Bereich43. Begünstigt wurde die Inflation durch die enge Vernetzung der russischen mit der georgischen Wirtschaft und der Verwendung des Rubels als gemeinsames Zahlungsmittel. Um den Wertverfall der Währung in Georgien beherrschbar zu machen und als ersten Schritt zur späteren Landeswährung Lari, wurden am 05.04.1993 Coupons als Ergänzung für die Bezahlung mit Rubel ausgegeben. Die Wirkung war allerdings gering, weshalb der Coupon am 02.08.1993 alleiniges Zahlungsmittel wurde. Dieser jedoch verlor stark an Wert und war nur noch für rationierte Güter wie Wasser und elektrischen Strom verwendbar. Aufgrund dieser Entwicklung begannen 1994 Gespräche über die Schaffung und Einführung der Währung Lari, welche zu Beginn des Jahres 1995 vorgenommen 42 Vgl. Auswärtiges Amt: Länderinformation Georgien, http://www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Georgien/Kultur-UndBildungspolitik.html, 16.08.06 43 Vgl. Kaeter, Margaret: a.a.O., S. 115 Seite 10 von 16 wurde. Alleiniges Zahlungsmittel wurde er aber erst im Oktober des Jahres. Unabhängig davon wurden Preisbindungen und Subventionen sukzessive zurückgenommen und betrafen 1994 nur mehr essentielle Grundnahrungsmittel und Güter wie Brot, Gas und Strom. 1996 wurden auch diese aufgehoben und nur noch Busfahrscheine und einige medizinische Dienstleistungen gestützt. Von dem wirtschaftlichen Einbruch hatte sich Georgien bis 2004 noch nicht erholt. Obwohl sich das BIP pro Kopf langsam erhöhte, das Wirtschaftswachstum zunahm und auch die Industrieproduktion nach 2001 moderat stieg, konnten sie die erlittenen Verluste nicht wieder ausgleichen und waren bei weitem geringer als in den Nachbarländern. Abb. 6: Wirtschaftsentwicklung, Georgien 1994 – 2004 20 15 10 5 0 % -5 -10 -15 -20 -25 -30 -35 -40 Jahre Wirtschaftswachstum Industrieproduktion Eigene Darstellung; Datenquelle: CIA- worldfactbook 1994 – 2004 1996 waren erst knapp die Hälfte des Landes privatisiert worden, aber die damals rund 2000 existierenden Kleinfarmen mit Größen unter einem Hektar produzierten die größte Menge an Nahrungsmitteln Georgiens44. Die Land-, und Holzwirtschaft trug 2002/ 03 sogar 33 Prozent zum BIP von etwa 15 Mrd. US- Dollar bei und beschäftigte mehr als die Hälfte aller Arbeitnehmer. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebte zu dieser Zeit schon unter der Armutsgrenze45. Aus diesem Grund betätigten sich große Teile der Bevölkerung illegal. Die Schattenwirtschaft, als Folgeerscheinung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, lag im Jahr 2003 bei 60 Prozent des BIP46 und steigerte sich somit noch von 40 Prozent im Jahr 1997. Der vormals wichtige Industriesektor trug nur zu knapp 15 Prozent zum BIP bei und beschäftigte nur noch etwa 10 Prozent der georgischen Arbeiterschaft. Der Bergbau brach nach 1990 durch die hohen Benzinpreise komplett zusammen, wuchs aber von niedrigem Niveau ausgehend seit 44 Vgl. Jeffries, Ian: a.a.O., S. 165 ff. Vgl. Kaeter, Margaret: a.a.O., S. 115 46 Vgl. Auch, Eva- Maria: a.a.O. (Anm. 162), S. 19 45 Seite 11 von 16 1995 wieder um mehr als 75 Prozent. Die Voraussetzungen für den Bergbau und darauf aufbauende Industrie sind in Georgien im Grunde sehr gut. Es gibt zahlreiche Lagerstätten von Kohle, Öl, Torf, Eisen, Kupfer, Zink und Quecksilber, deren Ausbeutung und Veredelung lukrativ betrieben werden kann. Außerdem sind ca. 1/3 der Landesfläche bewaldet und infrastrukturell ist das Land, auch ohne die Sezessionsgebiete, ausreichend erschlossen. Georgien ist in Transkaukasien das Schlüsselland für Tourismus und Handel. Die Waldfläche hat für Georgien auch eine wichtige wirtschaftliche Bedeutung. Privat wird das Holz als Heizmaterial und Baustoff genutzt, aber auch die Veredelung von holzwirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Erzeugnissen ist inzwischen eine signifikante georgische Industrie geworden. So wird u.a. Baumwolle aus Aserbaidschan in Georgien zu Textilien weiter verarbeitet47. Allerdings befinden sich diese strategisch wichtigen Betriebe in Staatseigentum. Trotz des Präsidentenerlasses vom Mai 1994 für eine Privatisierung, welche 1997 abgeschlossen sein sollte, betraf dies Betriebsbereiche wie Hydroelektrik, Öl, Gas, Kohle und Minenwesen nicht. 1997 wurde die Privatisierung für große staatliche Konzerne und als strategisch erachtete Firmen vollständig gestoppt. Sie blieben somit in Staatshand und eine effektive Restrukturierung dieser Wirtschaftseinheiten fand nicht statt48. Die Möglichkeit der Leistungsfähigkeitssteigerung der Kombinate wurde also vertan, so daß sie nur begrenzt zu einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung Georgiens beitragen konnten. Kleine Teile der Großindustrie und auch die Elektroindustrie wurden aber 1998 noch privatisiert. Der Einzelhandel war 1997 zu rund 90 Prozent privatisiert und Kleingeschäfte zu knapp 80 Prozent49, dies betraf im wesentlichen 14.000 kleine und 125 mittlere und große Betriebe. Einige strategische Betriebe mußte das Regime an Turkmenistan aufgrund 440 Mio. US- Dollar angelaufener Schulden abgeben. Das geschah in Verbindung mit einem mehrjährigen Entschuldungsplan50. Die als strategisch betrachtete Ölindustrie Georgiens ist in der Tat wichtig und könnte in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Im Jahr 2000 wurde das TaribauskyÖlfeld in der Nähe von Kathethia entwickelt. Mit den dort lagernden 3,5 Mio. t Öl soll vor allem eine nennenswerte Selbstversorgung mit fossilen Brennstoffen angestrebt werden. Erheblich größere Lagerstätten werden im Schwarzen Meer und in Abchasien vermutet. Es sollen dort etwa 580 Mio. t Öl lagern51. Von größter ökonomischer Bedeutung und im Rahmen des Energiesektors äußerst wichtig, ist die 2005 eingeweihte BTC- Pipeline. Diese verläuft 468 km auf aserbaidschanischem Territorium, 225 km über Georgien und 1037 km über die Türkei. Die 47 Vgl. Kaeter, Margaret: a.a.O., S. 114 ff. Vgl. Jeffries, Ian: a.a.O., S. 159 ff. 49 Vgl. Kaeter, Margaret: a.a.O., S. 116 50 Vgl. Jeffries, Ian: a.a.O., S. 165 ff. 51 Ebd., S. 155 48 Seite 12 von 16 Verträge wurden am 18.10.2000 in Tiflis und einen Tag später in Ankara unterzeichnet. Sie sehen Einkünfte für Georgien in Höhe von 0,12 US- Dollar/ Barrel in den ersten fünf, 0,14 USDollar/ Barrel in den anschließenden elf und 17 US- Cent/ Barrel in den letzten 24 Jahren vor. Jährlich sind somit 52,5 Mio. US- Dollar an Transitgebühren kalkulierbar, in 40 Jahren somit 2,1 Mrd. US- Dollar52. Auch die Bundesrepublik Deutschland mißt Georgien eine wirtschaftliche und strategische Bedeutung bei, seit 1993 wurden rund 650 Mio. DM investiert53. Dennoch blieben, trotz des starken Engagements ausländischer Investoren, wirtschaftliche Breiteneffekte aus. Die Bevölkerung verarmte sogar immer stärker und schien von der Transformation nicht zu profitieren, während sich wenige finanzstarke Eliten herausbildeten. Die Schattenwirtschaft und Korruption existierte mit einem Gesamtwert von rund einer Milliarde Lari überall in Georgien, so daß man von zwei georgischen Staatsbudgets sprach. Eines soll somit für die fünf Mio. Bürger gelten, ein anderes für 100 höhere Menschen54. Der sich etablierende freie Markt trug im selben Maß zur Entwicklung landesweiter mafiöser Strukturen bei, weil die Steuerungsfähigkeit des Staates nicht gegeben war. Durch die wirtschaftliche Betätigung von Investoren wurde es in diesem Geschäftsklima bei großen Unternehmen üblich, für den Frieden mit der Mafia zu zahlen. Bis zur Entmachtung Schewardnadses mußte man etwa die Hälfte aller geschäftlichen Profite als Bestechungsgelder entrichten55. In Georgien hatte sich eine eigenartige Symbiose aus organisierter Wirtschaftskriminalität und der Korruption lokaler Machteliten herausgebildet56, deren Schmuggelaktivitäten zu einem großen Teil über die Sezessionsgebiete abgewickelt wurden57. Im georgisch besiedelten Gali- Distrikt in Abchasien, einem Hauptanbaugebiet für landwirtschaftliche Produkte, wurden Farmer von Paramilitärs für die Gewährleistung von „Sicherheit“ erpreßt58. Das die russischen Friedenstruppen von georgischer Seite des öfteren als Träger von Instabilität begriffen wurden, könnte eine Ursache darin haben, daß diese an Schmuggel-, und Schattenwirtschaft partizipierten59. Da 2003 die Auslandsverschuldung Georgiens 3,4 Mrd. US- Dollar betrug, kein Haushaltsplan und kein Steuersystem mehr 52 Vgl. Nabiyev, Rizvan: a.a.O., S. 231 Vgl. Dekmejian, R. Hrair/ Simonian, Hovann H.: a.a.O., S. 145 54 Vgl. Williams, Phil: a.a.O., S. 91 55 Vgl. Jeffries, Ian: a.a.O., S. 156 56 Vgl. Bielawski, Martina/ Halbach, Uwe: a.a.O., S. 5 57 Vgl. Kaeter, Margaret: a.a.O., S. 111 58 Vgl. Matveeva, Anna: a.a.O. (Anm. 313), S. 419 59 Vgl. Bielawski, Martina/ Halbach, Uwe: a.a.O., S. 7 53 Seite 13 von 16 existierte sowie die Korruption alle Ebenen des Verwaltungsapparates erfaßt hatte, fror der IWF seine Zahlungen an die georgische Regierung ein60. 3.3. Weitere Faktoren Einen besonderen Einfluß auf Georgien haben ohne Zweifel der „Krieg gegen den Terror“ und die zunehmende Vernetzung von Trägern außerstaatlicher Gewalt gehabt. Das Land erhielt zahlreiche finanzielle und personelle Zuwendungen der USA, welche die strategische Bedeutung Georgiens sehr hoch einschätzten. Die am Krieg beteiligten deutschen Streitkräfte unterstützten die Alliierten, indem georgische Streitkräfte unter deutschem Kommando Militäreinsätze im Kosovo und in Afghanistan durchführten61. Georgien ist ein militärstrategisch bedeutendes Land, welches nach der „Rosenrevolution“ besonders eng mit dem Westen kooperiert. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß kein relevanter eingefrorener Konflikt gelöst wurde und das in Georgien zahlreiche Kräfte operieren, welche eine zukünftige positive Entwicklung durch Instabilität real in Frage stellen können. Dies trifft auf die in über zehn Jahren geschaffenen kriminellen Strukturen sowie Konflikte und Terrorgefahr im nähren Umkreis Georgiens zu. So war der Krieg in Tschetschenien zwischen 1994 und 1996 zunächst vor allem ethnisch motiviert, während er nun zunehmend unter dem Mantel der Religiosität geführt wird. Der praktizierte Austausch von Kämpfern zwischen Abchasien und Tschetschenien macht eine Infizierung dieses Konfliktherdes nach tschetschenischem Beispiel möglich62. Als es 2004 zu Kämpfen in Südossetien kam und 16 Menschen starben, unterstützten auch, aber nicht ausschließlich, tschetschenische Kämpfer diese Konfliktseite. Die Gefahr eines Stellvertreterkrieges auf georgischem Territorium war tatsächlich gegeben, weil sich auf ossetischer Seite mehrheitlich prorussische Kräfte und auf georgischer Seite antirussische Kräfte sammelten. Die Sezessionsherde Georgiens, vor allem jener Südossetien betreffend, wurden zu einem Kristallisationspunkt kaukasischer Solidarität. Bewiesen ist die Unterstützung durch Kämpfer aus Transnistrien in Abchasien, welche durch einen Beistandspakt von 1994 hierzu verpflichtet sind. Die Vernetzung der Akteure in einem immer komplexer werdenden Konfliktspektrum bekam eine neue Dimension durch die anhaltenden Demonstrationen und Solidaritätsbekundungen in Nordossetien63. 60 Vgl. Auch, Eva- Maria: a.a.O. (Anm. 162), S. 20 Vgl. Auswärtiges Amt: Länderinformation Georgien, http://www.auswaertigesamt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Georgien/Aussenpolitik.html, 22.08.2006 62 Vgl. Cornell, Svante E.: a.a.O. (Anm. 7), S. 20 63 Vgl. Bielawski, Martina/ Halbach, Uwe: a.a.O., S. 6 61 Seite 14 von 16 In gleichem Maß existiert eine kriminelle Vernetzung durch Zigaretten-, Treibstoff-, und Alkoholschmuggelringe, welche immer noch in den Gebieten operieren, welche nicht unter Kontrolle Tiflis´ stehen. Es gibt die Gefahr, daß sich Transkaukasien u.a. durch Georgien zu einer Transitroute nuklearer, biologischer und chemischer Waffen sowie solcher Materialien entwickelt64. Eben dieses Gefährdungspotential hat sich auch nach dem Machtantritt Saakashvilis nicht bedeutend vermindert. Es existieren über diese Strukturen auch Vernetzungen nach Zentralasien. Allein die Verbindungen zur Alkoholmafia in Nordossetien und zur Fischmafia in Dagestan generieren nicht ständig akute, sondern inzwischen chronische Konfliktverläufe65. Der Mangan-, und Metallschmuggel sowie die Auto-, und Eisenproduktion befinden sich in den Händen der Mafia, welche in Allianz mit einflußreichen Kriegsherren einen mächtigen politischen Faktor bilden, der nicht ignoriert werden kann66. Die Schwarzmärkte, vor allem jener in Tschetschenien, wirken somit grenzüberschreitend und reproduzieren in Georgien stereotype russische Feindbilder. Sie begünstigen deshalb nationalistische Tendenzen67. Negative Umweltfaktoren gibt es im Grunde nur durch industrielle Umweltverschmutzung. Dies betrifft das Schwarze Meer und die Gletschergebiete Georgiens. Die durch den Bergbau stark verschmutzten Gewässer transportieren ihre Fracht in die Nachbarrepubliken, vor allem nach Aserbaidschan und ins Kaspische Meer. Sie haben damit keine so gravierenden direkten Auswirkungen auf Georgien. Politisch könnte dies natürlich zunehmend thematisiert werden, wenn das Verursacherprinzip stringent angewandt werden sollte. Ökologisch schwerwiegende Bedeutung hätte eine Beschädigung der BTC- Pipeline, welche in Höhen von bis zu 2700 m in seismisch gefährlichen Zonen verläuft. Innerhalb von vier Jahren seit 1998 wurden vier schwere Erdbeben verzeichnet. Da die Pipeline nur 17 km von den berühmten Mineralwasserquellen von Borjomi entfernt liegt, hätte eine Bodenkontamination verheerende Folgen68. 3.4. Zusammenfassung Georgien begann nach der „Rosenrevolution“ Saakashvilis nach über 10 Jahren Unabhängigkeit mit einer Reform der Transformation, welche nach wie vor einen ungewissen 64 Vgl. Cornell, Svante E.: a.a.O., S. 14 ff. Vgl. Katschalajew- Panitsch, Leopold: Sorge um eine Region; in: Duve, Freimut/ Tagliavini, Heidi: KaukasusVerteidigung der Zukunft, Wien, Bozen 2001, S. 163 66 Vgl. Williams, Phil: a.a.O., S. 80 ff. 67 Vgl. Griffin, Nicholas: Caucasus: a journey to the land between Christianity and Islam, Chicago 2004, S. 226 ff. 68 Vgl. Nabiyev, Rizvan: a.a.O., S. 233 ff. 65 Seite 15 von 16 Ausgang hat. Die Labilität des georgischen Staates begünstigte die Etablierung und jahrelange Verfestigung von Strukturen, welche von Instabilität mehr profitieren als von einem funktionierenden Staatswesen. Mit dem langjährigen Verlust über die Kontrolle großer Gebietseinheiten des Territoriums war auch ein Mangel an Steuerungsfähigkeit verbunden gewesen, welcher dazu führte, daß Georgien 2003 kein Staat mehr, sondern ein Zerfallsprodukt mit Unterzerfallsprodukten war69. Wie die Analyse der politischen und sozioökonomischen Faktoren zeigte, gab es durchaus Bemühungen der politischen Führung, die Transformation anders als die anderen Staaten des Kaspischen Raumes zu gestalten. Die Entwicklung einer demokratischen Gesellschaft und ökonomischer Prosperität wurde jedoch zunehmend durch den immer stärker artikulierten georgischen Nationalismus, die Sezessionskonflikte und die Instrumentalisierung der Situation durch externe Akteure unmöglich gemacht. Infolgedessen, wurde nicht nur versucht, durch Wahlfälschung Kräfte an der Macht zu halten, welche durch den wirtschaftlichen Niedergang stark korrumpiert waren und deshalb kein Vertrauen mehr genossen. Es entwickelte sich außerdem langsam eine Art Agrarstaat mit teilweise ressourcenbasierender Exportwirtschaft, welcher kaum noch in der Lage war, außerhalb der Hauptstadt Steuern und Abgaben einzutreiben. Auch dies trug zur weiteren Verselbständigung einzelner Landesteile bei. Schließlich zeigte sich, daß die internationale Gemeinschaft zwar sämtliche Konflikte einfrieren oder zumindest auf ein beherrschbares Maß reduzieren konnte, eine konstruktive Lösung herbeizuführen vermochte sie aber über zehn Jahre nicht. Über die Sezessionsgebiete verzahnten sich Gewaltakteure und mafiöse Strukturen, die geographische Lage Georgiens als Frontstaat zu allen Kriegsgebieten des Nordkaukasus ausnutzend, äußerst eng und stellen eine Hauptgefahr für die zukünftige Entwicklung Georgiens und eine schwere Hypothek für die Politik des neuen georgischen Präsidenten dar. 69 Vgl. Kirchner, Henner: Interview, Giessen 11.12.03, 22:27 min. ff. Seite 16 von 16